Neu ins Deutsche übersetzt von Victoria Lorini
Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Matteo Burioni (Francesco di Giorgio und Lorenzetto Vecchietta), Sabine Feser (Paolo Romano, Mino und Chimente Camicia, Mino da Fiesole), Christina Irlenbusch (Antonio Filarete und Simone Scultore, Carpaccio und andere venezianische und lombardische Maler), Christina Posselt-Kuhli (Ercole Ferrarese, Cecca, Jacopo Indaco) und Anja Zeller (Dello Delli, Parri Spinelli, Lazzaro Vasari, Bellano da Padua, Benozzo Gozzoli, Francesco di Giorgio und Lorenzetto Vecchietta, Lorenzo Costa, Bartolomeo della Gatta, Francesco Francia)
Verlag Klaus Wagenbach Berlin
Wir danken dem italienischen Außenministerium für die freundliche Unterstützung dieses Buches durch eine Übersetzungsförderung.
Questo libro è stato tradotto grazie al contributo alla traduzione del Ministero degli Affari Esteri italiano.
EDITION GIORGIO VASARI Originalausgabe 2020
© 2020 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
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Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
eISBN 978-3-8031-4189-7
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Nach dem Abschluß der gedruckten EDITION GIORGIO VASARI erscheinen die verbleibenden Lebensläufe Vasaris in elektronischer Form. Damit werden die Vite (etwa 160 Künstlerbiographien) komplett in neuer Übersetzung zugänglich sein.
Die zweite von drei Lieferungen vereint zweiundzwanzig Künstler, die im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert wirkten.
Kunsttheorie und Kunstgeschichte • Parmigianino • Raffael • Pontormo • Sebastiano del Piombo • Rosso Fiorentino • Giorgio Vasari. Mein Leben • Tizian • Giulio Romano • Andrea del Sarto • Steinschneider, Glas- und Miniaturmaler • Leonardo da Vinci • Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei • Sodoma und Beccafumi • Die Bildhauer des Cinquecento • Sansovino und Sanmicheli mit Ammannati, Palladio und Veronese • Bramante und Peruzzi • Die Künstler der Raffael-Werkstatt • Giorgione, Correggio, Palma il Vecchio und Lorenzo Lotto • Piero di Cosimo, Fra Bartolomeo und Mariotto Albertinelli • Perino del Vaga • Montorsoli und Bronzino sowie die Künstler der Accademia del Disegno • Francesco Salviati und Cristofano Gherardi • Daniele da Volterra und Taddeo Zuccaro • Baccio Bandinelli • Michelangelo • Die Sangallo-Familie • Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosselli und Alesso Baldovinetti • Tribolo und Pierino da Vinci • Bellini und Mantegna • Jacopo della Quercia, Niccolò Aretino, Nanni di Banco und Luca della Robbia • Masolino, Masaccio, Gentile da Fabriano und Pisanello • Perugino und Pinturicchio • Lorenzo Ghiberti • Lippi, Pesello und Peselli, Castagno, Veneziano und Fra Angelico • Andrea del Verrocchio und die Gebrüder Pollaiuolo • Brunelleschi und Alberti • Giuliano da Maiano, Antonio und Bernardo Rossellino, Desiderio da Settignano und Benedetto da Maiano • Paolo Uccello, Piero della Francesca, Antonello da Messina und Luca Signorelli • Donatello und Michelozzo • Ghirlandaio und Gherardo di Giovanni • Die Sieneser Maler • Taddeo Gaddi, Agnolo Gaddi, Buffalmacco, Orcagna, Spinello Aretino und Lorenzo Monaco • Bildhauer und Architekten des Duecento und des Trecento • Cimabue, Giotto und Cavallini • Andrea Tafi, Gaddo Gaddi, Margaritone, der Florentiner Stefano und der Sieneser Ugolino, Giottino, Giovanni dal Ponte, Antonio Veneziano, Jacopo del Casentino, Gherardo Starnina, Lippo Fiorentino und Lorenzo di Bicci
Kaum ein anderes literarisches Werk hat auf die Kunstgeschichtsschreibung folgender Generationen einen so nachhaltigen Einfluß ausgeübt wie die von Giorgio Vasari (1511–1574) verfaßten und erstmals 1550 im Druck erschienenen
Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten, die achtzehn Jahre später in einer revidierten und erweiterten Fassung noch einmal herausgegeben wurden. Heute ist das Hauptwerk Vasaris vor allem unter dem Titel Le vite bekannt.
Vasaris Text wurde in der Fassung von 1568 (nach der kritischen Ausgabe von Rosanna Bettarini und Paola Barocchi) neu übersetzt – textgetreu, ungekürzt und vollständig auch da, wo Vasari sich zu wiederholen scheint.
Eine Einführung stellt die jeweilige Künstlervita vor. Der Anmerkungsapparat behandelt nicht nur die jeweiligen kunsthistorischen, literarischen und zeitgeschichtlichen Aspekte auf neuestem wissenschaftlichem Stand, sondern benennt auch die heutigen Standorte (und Zustände) der Kunstwerke, die wichtigen Abweichungen gegenüber der ersten Ausgabe der Vite sowie die uns heute bekannten Lebensdaten des Künstlers.
Herausgegeben von Alessandro Nova
mit Matteo Burioni, Katja Burzer, Sabine Feser,
Hana Gründler und Fabian Jonietz
Bereits vor Giorgio Vasaris erster Version der Vita aus dem Jahr 1550 finden sich in den Florentiner Bändchen Libro di Antonio Billi und Anonimo Magliabechiano kurze Lebensbeschreibungen des Künstlers Dello Delli aus Florenz. Vasari übernimmt nahezu wortgetreu die darin enthaltenen Informationen über dessen Weggang nach Spanien und über den Neid, den dieser bei einer kurzen, hochdekorierten Rückkehr in seiner Heimatstadt ausgelöst haben soll. In der zweiten Edition der Vita tilgt der Biograph fast alle moralisierenden Bemerkungen über die Konkurrenz unter Künstlern, füllt die Vita statt dessen mit ausführlichen, äußerst interessanten Bemerkungen zur Florentiner Truhenmalerei auf; Werke, die es auch im Besitz der Medici gegeben habe. Vasari erwähnt in der überarbeiteten Version von 1568 namentlich Lorenzo il Magnifico und die alte Residenz der Medici, Giovanni de’ Medici und schließlich Cosimo I. samt des Palazzo Vecchio, in dem Vasari selbst Bilderreste von Dello Delli konserviert haben will. Er gibt sich damit auch als Florentiner Denkmalpfleger und Kulturhistoriker, der bei der Herrscherfamilie in Diensten stand.
Während er in der ersten Fassung der Vita nur ein einziges Werk Dello Dellis genannt hatte, das Fresko im Kreuzgang von Santa Maria Novella, stellt er seinen Protagonisten 1568 zunächst als Tonbildner vor, der Terrakotten für die Krankenhauskirche Sant’ Egidio von Santa Maria Nuova geschaffen habe. Tatsächlich können Dello heute, dank Vasaris Angaben, einige erhaltene Werke aus diesem Material zugeschrieben werden. Da er allein von der Tonbildnerei aber nicht leben konnte, so Vasari, habe er sich auch der Malerei zugewandt. Im Kolorieren begabt, seien ihm besonders die kleinen Figuren gut gelungen. Mit diesem (heute nicht mehr überprüfbaren) Hinweis leitet der Autor zu einem Exkurs über die alte Kunst des Möbelbemalens über, der Cassone-Malerei, derer sich heute viele schämen würden.
Zwar sind Vasaris Angaben, Delli habe sich als erster würdevoll der Bemalung von Hochzeitstruhen und Möbeln gewidmet, sicher nicht zutreffend. Doch bleibt der Passus als Zeugnis für Vasaris historiographisches Interesse bedeutsam, eine alte Kunstgattung samt ihrer Sujets und ihrer Verwendung in den Vite unterzubringen. Vasari erweiterte seine Künstlerlebensbeschreibungen an vielen Stellen in dieser Hinsicht, wohl nach Anregung durch Vincenzo Borghini und nicht zuletzt, um die wertvollen Sammlungsgegenstände der Familie Medici vorzustellen.
Weder Giorgio Vasari noch die früheren Biographen Antonio Billi und Giovan Battista Gelli wußten – mangels eigener Anschauung – von Werken zu berichten, die im fernen Spanien entstanden sind. Dorthin wanderte Delli 1433 aus, begleitet und gefolgt von seinen jüngeren Brüdern Niccolò und Sansone. Am Hofe Juans II. von Kastilien scheint er den größten Teil seines Arbeitslebens verbracht zu haben. Aber auch von Seiten Alfonsos von Aragon in Neapel gab es, der königlichen Korrespondenz zufolge, Arbeitsaufträge für ihn. Leider ist keine dieser Tätigkeiten konkret bezeugt. Delli war hier wahrscheinlich weniger als Maler, sondern eher als Architekt oder Baumeister tätig, auch wenn zuletzt wieder seine Mitarbeit am Retabel von Salamanca für möglich gehalten wurde. Antonio Filarete zählt ihn noch 1461/64 zu den »geeignetsten Architekten« seiner Zeit.
Vasari wiederholt die Berichte vom Ruhm, den sich Dello beim spanischen König erwarb, und vom Neid, den er offensichtlich damit bei den alten Bekannten in Florenz auslöste, als er reich und hoch dekoriert 1446 für kurze Zeit in seine Heimatstadt zurückkehrte, wie erwähnt gemäß Florentiner Überlieferung. Während diese Anekdote in der ersten Fassung der Vita Anlaß zu moralischen Äußerungen gegeben hatte, legt Vasari 1568 mehr Wert darauf, Dello Delli als vielseitigen Künstler vorzustellen. So soll Dello auch unter den ersten gewesen sein, die sich anatomischen Studien widmeten, selbst wenn er kein guter Zeichner gewesen sei. Vasaris beliebte Hierarchisierung der Künste wird in dieser Vita in gewisser Weise im kleinen nachgezeichnet: So entwickelt sich der Tonbildner über die kleinfigurige Malerei auf Gebrauchsgegenständen zum Maler von Aktstudien und Fresken.
An mehreren Stellen der Vita wird deutlich, daß Vasari in der Datierung von Dello Dellis Leben irrt. Er setzt es zu früh an: Donatello, der in Wirklichkeit knapp zwanzig Jahre älter war als Dello, kann nicht in jungen Jahren in seiner Werkstatt mitgearbeitet haben. Auch dem berühmten Feldherrn Pippo Spano wird Dello nicht als Sechsjähriger begegnet sein.
Nicht bekannt war dem Biographen auch, daß Dello 1424 Florenz verließ, um sich mit seinem wegen Hochverrats aus der Stadt verbannten Vater mehrere Jahre in Siena und Venedig aufzuhalten. Erst 1433 schrieb sich Dello Delli in die Florentiner Malerzunft ein und verließ seine Heimatstadt Richtung Spanien.
AZ
Vita di Dello. Pittor Fiorentino (1568)
Obwohl der Florentiner Dello1 zu Lebzeiten und auch später immer nur als Maler bekannt gewesen ist, war er doch auch in der Bildhauerei tätig, ja, er hat sogar als seine ersten Werke Skulpturen geschaffen und, lange bevor er mit dem Malen begann, im Bogenfeld über dem Portal der Kirche Santa Maria Nuova eine Marienkrönung2 und für den Innenraum der Kirche die zwölf Apostel aus Terrakotta ausgeführt;3 dazu in der Servitenkirche einen toten Christus auf dem Schoß der Jungfrau und noch viele weitere Werke überall in der Stadt.4 Weil er aber sah (und außerdem wankelmütig war), daß er mit der Arbeit in Terrakotta wenig verdiente und in seiner Armut größeren Rückhalt benötigte, beschloß er, sich der Malerei zuzuwenden, zumal er einen guten disegno besaß. Dies gelang ihm mühelos, schnell lernte er gekonnt in Farbe zu arbeiten, wie es viele Werke zeigen, die er in seiner Stadt ausführte, und vor allem die kleinen Figuren, die er mit sehr viel mehr Anmut schuf als die großen.5 Dieser Umstand kam ihm sehr gelegen, weil man damals den Brauch pflegte, in den Schlafzimmern der Bürger große Truhen aus Holz aufzustellen, deren Deckel, wie bei Särgen, vielfältig gestaltet waren, und diese Truhen ließ niemand unbemalt. Neben den Szenen, die vorne auf dem Korpus und an den Schmalseiten angebracht wurden, ließ man an den Ecken und bisweilen auch an anderen Stellen das Wappen beziehungsweise die Insignien der Familien darstellen.6 Bei den Szenen, die auf der Vorderseite des Truhenkörpers angebracht wurden, handelte es sich in den meisten Fällen um Sagen aus Ovid und solche von anderen Dichtern oder auch um die Erzählungen griechischer oder lateinischer Geschichtsschreiber, desgleichen Jagdszenen, Turniere, Liebesnovellen und, je nach Vorliebe, andere Themen dieser Art. Das Innere [der Truhe] wurde dann nach Rang und Vermögen der Auftraggeber mit Leinen oder Tuch ausgekleidet, um die Kleider aus edlem Stoff und andere wertvolle Dinge darin besser aufbewahren zu können. Dazu kommt, daß nicht nur die Truhen in dieser Weise bemalt wurden, sondern auch die Betten, Wandtäfelungen, die rings umlaufenden Friese und andere Verzierungen dieser Art, mit denen man das Schlafgemach seinerzeit prächtig auszustatten pflegte und wovon unendlich viele Beispiele in der ganzen Stadt zu sehen sind. Dieses Vorgehen war viele Jahre lang dermaßen gebräuchlich, daß auch die vortrefflichsten Maler solche Arbeiten ausführten, ohne sich für das Malen oder Vergolden derartiger Werke zu schämen, wie es heute bei vielen der Fall wäre.7 Wie wahr dies ist, hat man bis in unsere Tage neben etlichen anderen Beispielen an diversen Truhen, Wandtäfelungen und Rahmenornamenten in den Gemächern von Lorenzo il Magnifico gesehen, dem Älteren aus dem Geschlecht der Medici, in denen von der Hand nicht etwa irgendwelcher gemeiner Maler, sondern von vortrefflichen Meistern alle Turniere, Kampfspiele, Jagden, Festivitäten und andere Schauspiele, die zu seiner Zeit stattgefunden haben, gemalt sind, und zwar mit Urteilskraft, Erfindungsgeist und wunderbarer Kunstfertigkeit.8 Werke dieser Art sieht man nicht nur im Palast und in der alten Residenz der Medici, sondern diverse Überbleibsel auch in allen nobleren Häusern von Florenz. Und es gibt einige, die an diesen alten Gepflogenheiten festhalten, die wirklich prachtvoll und überaus ehrwürdig sind, und die Werke von dieser Machart nicht haben entfernen lassen, um Raum für moderne Verzierungen und Gepflogenheiten zu schaffen.
Als sehr erfahrener und guter Maler vornehmlich, wie gesagt, sehr anmutig ausgeführter, kleinformatiger Malereien tat Dello viele Jahre lang nichts anderes, als mit großem Gewinn und allen Ehren Truhen, Wandtäfelungen, Betten und andere Verzierungen obengenannter Art zu gestalten und zu bemalen, weshalb man sagen darf, daß dies sein vorrangiger und eigentlicher Beruf war. Weil aber nichts auf dieser Welt Bestand hat oder von langer Dauer ist, so gut und lobenswert es auch sein mag, verging nur wenig Zeit, bis die Künstler ihre Begabung verfeinerten und man von dieser ersten Ausführungsweise zu reicheren Verzierungen und solchen aus geschnitztem und vergoldetem Nußholz überging und ähnliche Ausstattungsgegenstände mit wunderschönen Szenen in Ölfarbe bemalte, welche die Prachtentfaltung der Bürger wie auch die Vortrefflichkeit der Maler vor Augen geführt haben und führen. Um aber auf Dellos Werke zu sprechen zu kommen, der sich als erster mit Sorgfalt und guter Praxis dieser Art von Werken zugewandt hatte: Er malte insbesondere für Giovanni de’ Medici9 die gesamte Ausstattung eines Gemachs, das als wirklich außergewöhnliches Werk und wunderschönes Beispiel dieser Gattung galt, wie es einige davon verbliebene Überreste zeigen. Und wie sie sagen, hat Donatello10 ihm noch als ganz junger Mann dabei geholfen, indem er eigenhändig mit Stuck, Gips, Leim und Ziegelmehl Szenen und Ornamente im Flachrelief ausführte, die, anschließend vergoldet, die gemalten Szenen begleiteten und einen wunderschönen Anblick boten. Dieses und viele andere vergleichbare Werke erwähnt [Cennino] Andrea Cennini ausführlich in seinem Werk, über das weiter oben genügend gesagt worden ist.11 Und weil es gut ist, ein Andenken an diese alten Werke zu bewahren, habe ich im Palast von Herzog Cosimo einige bestehen lassen, die von Dellos eigener Hand stammen, wo sie damals wie heute Beachtung verdienen, und sei es nur wegen der unterschiedlichen Gewänder von Männern und Frauen der damaligen Epoche, die darin zu sehen sind.12
Dello führte außerdem im Kreuzgang von Santa Maria Novella an einer Ecke ein Fresko in terraverde aus, das die Szene von Isaak bei der Segnung Esaus zeigt.13 Kurz darauf wurde er nach Spanien in den Dienst des Königs geleitet, wo er zu solchem Ansehen aufstieg, daß man sich von keinem Künstler mehr hätte erhoffen können. Und obwohl man keine Einzelheiten über die Werke weiß, die er in jenem Land ausführte, darf man angesichts der Tatsache, daß er überaus wohlhabend und in großen Ehren von dort zurückkehrte, davon ausgehen, daß sie sehr schön und sehr gut gewesen sind.14 Einige Jahre später, nachdem man ihn für seine Mühen königlich entlohnt hatte, bekam Dello Lust, nach Florenz zurückzukehren, um den Freunden zu zeigen, wie er aus tiefster Armut zu großen Reichtümern aufgestiegen war. Als er ging, um die Erlaubnis jenes Königs einzuholen, wurde ihm diese nicht nur huldreich gewährt – obwohl jener ihn gerne bei sich behalten hätte, wenn Dello gewollt hätte –, vielmehr schlug ihn jener überaus großzügige König als weiteres Zeichen der Dankbarkeit auch noch zum Ritter.15 Als er sich im Anschluß an seine Rückkehr nach Florenz um die Fahnen und die Bestätigung seiner Privilegien bemühte, wurden sie ihm auf Betreiben von Filippo Spano degli Scolari verweigert, der zu jener Zeit als Großseneschall des Königs von Ungarn siegreich von den Türken zurückgekehrt war.16 Dello schrieb umgehend an den König in Spanien, um sich über dieses Unrecht zu beschweren, woraufhin der König mit so warmen Worten zu seinen Gunsten an die Signoria schrieb, daß ihm die gewünschte und ihm zustehende Ehrenbezeigung dann ohne weitere Umstände bewilligt wurde. Man erzählt sich, daß Dello, als er so in Brokat gekleidet mit den Ehrenbezeigungen der Signoria und den Fahnen zu Pferd nach Hause kam, auf dem Weg durch die Vacchereccia – in der damals viele Goldschmiedewerkstätten ansässig waren17 – von einigen Freunden, die ihn aus ihrer Jugendzeit kannten, aus Hohn oder Spaß verspottet wurde, woraufhin er sich in die Richtung drehte, aus der er die Stimmen gehört hatte, und ihnen mit beiden Händen die Feigen wies.18 Ohne ein weiteres Wort entfernte er sich, so daß außer denen, die ihn verspottet hatten, fast niemand etwas davon mitbekam.19 Dieses Vorkommnis wie auch andere Anzeichen machten ihm bewußt, daß in der Heimat der Neid nicht weniger gegen ihn eiferte, als es Bosheit zu der Zeit getan hatte, als er noch bettelarm gewesen war, und so beschloß er, nach Spanien zurückzugehen. Also schrieb er an den König und kehrte nach erhaltener Antwort in jenes Land zurück, wo er mit großer Gunst empfangen wurde und immer gern gesehen war; und so arbeitete und lebte er dort als Ehrenmann und malte fortan stets mit einem Kittel aus Brokat.20
So also hat er für Neid gesorgt, und er lebte,21 bis er mit neunundvierzig Jahren starb22 und von selbigem mit diesem Epitaph in Ehren bestattet wurde:
DER FLORENTINER RITTER DELLO, DURCH DIE KUNST DER MALEREI WEITBERÜHMT UND DURCH DES KÖNIGS VON SPANIEN FREIGEBIGKEIT UND AUSZEICHNUNGEN HOCHGEEHRT, IST HIER BEGRABEN. MÖGE DIR DIE ERDE LEICHT SEIN.23
Dello war kein sehr guter Zeichner, trotzdem gehörte er zu den ersten, die mit einigem Urteil die Muskeln an den nackten Körpern ergründet haben, wie man es in einigen chiaroscuro-Zeichnungen von ihm in unserem libro sieht.24 In Santa Maria Novella hat Paolo Uccello ihn in der Szene, in der Noah von seinem Sohn Ham berauscht [vorgefunden] wird, in chiaroscuro porträtiert.25
Ende der Lebensbeschreibung des Florentiner Malers Dello.
In der Lebensbeschreibung des Malers Parri Spinelli aus Arezzo zeigt sich Vasari ganz als begeisterter Landsmann, der die meisten Werke des Malers, selbst die zu dessen Lebzeiten schon nicht mehr erhaltenen, gewissenhaft aufzählt und Informationen und Anekdoten über die gemeinsame Heimatstadt unterbringt, wo er nur kann. Um das Fünffache erweiterte er den Text für die zweite Fassung, die 1568 im Druck erschien.
In die erste Riege persönlicher Aretiner Vorläufer, in deren Tradition Vasari sich sah, wurde Parri Spinelli jedoch nicht aufgenommen. In der Camera della Fama in Vasaris Privathaus porträtierte er ihn in der Genealogie der Vorbilder nicht, statt dessen den ungleich berühmteren Vater Spinello Aretino.
Während in der ersten Version der Vita allein dieser als Lehrer des Sohnes erwähnt wird, sind es in der zweiten Ausgabe die großen Florentiner der Zeit, mit denen Parri in Verbindung gebracht werden soll: Lorenzo Ghiberti, Masolino und Lorenzo Monaco. Über seine frühen Ausbildungsjahre – in der Werkstatt des Vaters in Florenz und Arezzo – und die verwandtschaftlichen Beziehungen nach Florenz weiß Vasari dennoch wenig Konkretes zu berichten. Daß er Spinello Aretino nachweislich im Rathaus von Siena unterstützte, bleibt beispielsweise unerwähnt (ebenso der ganze Auftrag im Leben des Spinello Aretino).
Vasari schrieb die einleitenden Sätze der Vita für die revidierte Fassung von 1568 komplett um. Während es in der ersten Ausgabe etwa geheißen hatte, Parri habe seine Heimatstadt niemals verlassen wollen, wurde er in der zweiten – laut Vasari – vom Gelehrten Leonardo Bruni nach Florenz gebracht, wo er mit Masolino Freundschaft schloß, dessen Stil nachahmte, aber auch seine eigene Malart der gelängten, schlanken Figuren entwickelte und erst in die Heimatstadt zurückgekehrt sei, als der Vater im Sterben lag.
Vasari scheut sich nicht, Parris Leben prominent zwischen denen von Masolino und Masaccio zu plazieren. Zur Aufwertung seiner Arbeiten dienten darüber hinaus die ausführlichen und (soweit nachweisbar) exakten Beschreibungen von Parris Fresken samt dezidierter Bewertungen.
Aretiner Künstler sind in den Augen Vasaris gerne auch Erfinder: So habe Parri die Freskotechnik vorangebracht, indem er als erster nicht mehr die terra verde unter den Fleischtönen verwendete. Eine nie dagewesene Ikonographie der Caritas und die kapriziöse Darstellung eines Spiegels, in dem der Heilige Thomas die Passion und der Betrachter sich selbst sehen könne, seien darüber hinaus seine innovativen Ideen gewesen.
Mit seinen Ausführungen zur Tragödie eines doppelzüngigen Verrats zeigt sich Vasari als leidenschaftlicher Dichter, der auch mit Anekdoten aus der Ortsgeschichte zu unterhalten weiß. Die Beschreibungen von Parris besonderen Ikonographien, seinem Stil und einer angeblich komplizierten Psyche gehören zu den Glanzlichtern der Vita.
Gewaltbereite Verwandte hatten Parri einen solchen Schreck versetzt, daß dieser nicht mehr nur sehr längliche Figuren malte, wie Vasari zu Beginn der Vita bemerkte, sondern jene nach diesem Vorfall immer auch einen Drall zur Seite hatten. Die Angst vor den Verwandten habe sich also auch in seinen Figuren widergespiegelt. Ausgehend von einer Steuereintragung aus dem Jahr 1427, der zufolge Parri viele Jahre krank war und nicht arbeiten konnte, und Vasaris Schlußbemerkung, Parri habe sein Leben durch Einsamkeit, Melancholie und zu viel Arbeit verkürzt, war Parri Spinelli lange Zeit in der Forschung nur als psychisch labiler Künstler interessant.
Die Lebensbeschreibung von Parri Spinelli bietet also weit mehr als eine Aneinanderreihung von Werken und biographischen Daten des zwischen 1428 und 1448 meistbeschäftigten Malers Arezzos, der laut Vasari im Zeichnen besser gewesen sei als in der Malerei (was noch heute an zahlreichen erhaltenen Blättern überprüft werden kann). Zurückgenommen ist in der zweiten Ausgabe trotz allem das allzu große Lob, mit dem Vasari die erste Fassung der Vita begonnen hatte.
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Vita di Parri Spinelli Aretino (1568)
Der Maler Parri di Spinello Spinelli aus Arezzo wurde, nachdem er die Grundlagen der Kunst bei seinem Vater gelernt hatte,1 von dem Aretiner Leonardo Bruni2 nach Florenz gebracht, wo ihn Lorenzo Ghiberti3 in der Schule aufnahm, in der viele junge Leute unter seiner Anleitung lernten. Und weil damals gerade die Türen von San Giovanni gesäubert wurden, setzte man ihn zusammen mit vielen anderen an diese Arbeit, wie weiter oben schon gesagt worden ist.4 Während er auf diese Weise beschäftigt war, schloß er, weil ihm seine Art zu zeichnen gefiel, Freundschaft mit Masolino da Panicale, den er in vielen Dingen nachzuahmen begann,5 wie er es teilweise auch mit dem Stil von Lorenzo degli Angeli tat.6 Parri schuf seine Figuren sehr viel schlanker und gelängter als jeder andere Maler vor ihm, denn wo die anderen sie maximal zehn Köpfe hoch machen, schuf er sie elf, manchmal sogar zwölf hoch. Keineswegs ließ sie das mißgestaltet wirken, obwohl sie schmal waren und sich immer in einem Bogen mal zur rechten, mal zur linken Seite neigten, weil es ihm schien, wie er selbst sagte, daß sie auf diese Weise mehr Kühnheit besaßen.7 Der Faltenwurf der Gewänder war überaus feinteilig und stoffreich in den Säumen, die seinen Figuren von den Armen bis auf die Füße herabfielen. Die Farbgebung in Tempera beherrschte er aufs trefflichste und die des Fresko perfekt. Er war außerdem der erste, der bei der Arbeit in Fresko auf die Verwendung von verdaccio [Erdgrün] unter den Hauttönen verzichtete, um sie dann mit rosigen Fleisch- und chiaroscuro-Tönen aquarellartig durchscheinend zu übermalen, wie es Giotto und die anderen alten Maler noch getan hatten.8 Statt dessen verwendete Parri für das Anrühren der Grundierungen und Farbtöne kräftige Grundfarben und setzte sie mit großem Urteilsvermögen an die ihm passend erscheinenden Stellen, will heißen die hellen Tönen an die höchste Stelle, die mittleren Werte zu den Seiten hin und die dunklen an den äußeren Konturen. Mit dieser Arbeitsweise demonstrierte er größere Leichtigkeit in den Werken und verlängerte die Lebensdauer der Malereien in Fresko, da er die Farben, nachdem er sie an den entsprechenden Stellen aufgebracht hatte, unter Verwendung eines recht großen, weichen Pinsels miteinander in Einklang brachte. Obendrein führte er die Werke mit derart sauberer Präzision aus, daß man sich nichts Besseres wünschen kann, und seine Farbgebungen sind ebenfalls ohnegleichen.9
Nachdem Parri folglich viele Jahre fern der Heimat verbracht hatte, wurde er, als der Vater starb, von seinen Angehörigen zurück nach Arezzo gerufen,10 wo er neben vielen anderen Dingen, über die zu berichten zu lange dauern würde, eine Reihe von Werken schuf, die auf keinen Fall verschwiegen werden dürfen.11 Im Alten Dom freskierte er drei verschiedene Madonnen12 und malte auf der Innenseite des Hauptportals jener Kirche zur Linken des Eingangs in Fresko eine Szene mit dem Seligen Tommasuolo, der in jener Zeit ein Eremit des Sackbrüderordens war und Mann mit heiliger Lebensführung.13 Und weil er in seiner Hand einen Spiegel zu tragen pflegte, in dem er, wie er erklärte, die Passion Jesu Christi sah, porträtierte Parri ihn in jener Szene auf Knien mit dem Spiegel in der rechten Hand, die er zum Himmel erhoben hat. Darüber schuf er Jesus Christus auf einem Thron aus Wolken und um ihn herum sämtliche Mysterien der Leidensgeschichte, die er alle mit wunderschöner Kunstfertigkeit sich auf solche Weise in dem Spiegel widerspiegeln ließ, daß nicht nur der Selige Tommasolo sie sehen konnte, sondern jeder, der dieses Gemälde betrachtete. Das war eine wirklich einfallsreiche und schwierige Erfindung und so schön, daß viele nach ihm davon gelernt haben, vielerlei Dinge mit Hilfe von Spiegeln abzubilden. Da ich nun einmal auf dieses Thema zu sprechen gekommen bin, will ich nicht verschweigen, was dieser heilige Mann einst in Arezzo vollbracht hat, und dies trug sich folgendermaßen zu.
Unermüdlich darum bestrebt, unter den Aretinern für Eintracht zu sorgen, indem er mal predigte, mal Unglücke vorhersagte, mußte er am Ende jedoch erkennen, daß er nur seine Zeit vergeudete. Da betrat der Selige eines Tages den Palast, in dem die Sechzig sich versammelten und wo er sie Tag für Tag zu Rate sitzen, aber keine anderen Beschlüsse fassen sah als solche, die der Stadt schadeten. Als er sah, daß der Saal sich gefüllt hatte, packte er sich den weiten Saum seines Gewandes mit glühenden Kohlen voll, trat damit kühn vor die Sechzig und all die anderen Magistrate der Stadt, warf sie ihnen vor die Füße und sprach: »Meine Herren, das Feuer ist unter Euch, gebt acht, Euer Untergang naht«, und mit diesen Worten ging er. Aber da es Gott gefiel, hatte die Einfachheit und gutgemeinte Warnung jenes heiligen Mannes solche Macht, daß diese Geste auf einmal vollbrachte, was alles Predigen und Drohen nicht hatte ausrichten können, sie sich also nur wenig später einig wurden und sie jene Stadt dann viele Jahre lang in gedeihlichem Frieden und Ruhe für jedermann regierten.
Um aber auf Parri zurückzukommen, der nach besagtem Werk in der Kirche und dem Spital von San Cristoforo neben der Annunziata-Bruderschaft für M[ad]onna Mattea de’ Testi, Ehefrau von Carcascion Florinaldi, der jenem Kirchlein stattliche Einkünfte vermacht hatte,14 in einer Kapelle einen gekreuzigten Christus freskierte und rings um ihn und über ihm vielerlei Engel, die durch eine verdunkelte Luft fliegen und bitterlich weinen. Zu Füßen des Kreuzes sind auf der einen Seite Magdalena und die Marien, welche die ohnmächtige Madonna in Armen halten, und auf der anderen die Heiligen Jakobus und Christophorus.15 Auf die Wände malte er die Heilige Katharina, den Heiligen Nikolaus, die Verkündigungsmadonna und Jesus Christus an der Säule; und im Bogenfeld über dem Portal besagter Kirche eine Pietà, den Heiligen Johannes und die Madonna. Die [Bilder] im Inneren aber sind (abgesehen von der Kapelle) zerstört worden. Außerdem hat man den Bogen beim Einbau eines modernen Portals aus macigno-Stein abgerissen, auch weil man mit den Einkünften jener Bruderschaft ein Kloster für einhundert Nonnen zu errichten gedachte.16 Für jenes Kloster hat Giorgio Vasari17 ein vielbeachtetes Modell vorgelegt, das dann aber verändert oder besser gesagt verstümmelt worden ist, und zwar von demjenigen, dem unwürdigerweise die Leitung dieses bedeutenden Baus angetragen wurde. So trifft man häufig auf sogenannte gelehrte, meist jedoch ahnungslose Männer, die mit ihrer vorgeblichen Kennerschaft immer wieder großtuerisch den Architekten geben und Bauaufsicht führen wollen und damit in der Regel die Entwürfe derjenigen zugrunde richten, die, sich in Studien und praktischer Arbeit aufreibend, in kompetenter Weise Baupläne entwerfen. Und dies geschieht zum Schaden der Nachwelt, weil sie des Nützlichen und Angemessenen, der Schönheit, des Ornaments und der Großartigkeit beraubt wird, welche für Bauwerke, und allen voran für öffentliche, gefordert sind.18
Parri arbeitete auch in der Kirche von San Bernardo, einem Kloster der Olivetanermöche, wo er zwei Kapellen ausgestaltete, die das Hauptportal auf der Innenseite einrahmen. In der zur Rechten, die der Dreifaltigkeit geweiht ist, schuf er einen Gottvater, der mit den Armen einen Christus am Kreuz stützt, und darüber die Taube des Heiligen Geistes in einem Engelsreigen; außerdem malte er auf eine Wand derselben Kapelle in vollendeter Weise einige Heilige in Fresko. In der anderen, der Madonna geweihten [Kapelle] ist die Geburt Christi dargestellt und einige Frauenfiguren, die ihn in einer kleinen hölzernen Wanne waschen und dies mit einer weiblichen Anmut tun, die mehr als trefflich zum Ausdruck gebracht ist. In der Ferne befinden sich auch ein paar Schäfer in der ländlichen Kleidung jener Epoche, die ihre Schäfchen hüten und sehr lebhaft und höchst aufmerksam den Worten des Engels lauschen, der sie anweist, nach Nazareth zu gehen. Auf der anderen Wand ist die Anbetung der Könige gezeigt, mit den Trossen, Kamelen, Giraffen und dem gesamten Gefolge jener drei Könige, die ihre Schätze ehrfurchtsvoll darbieten und Christus im Schoß der Mutter anbeten. Darüber hinaus schuf er in der Wölbung und einigen der Giebelfelder außen ein paar wunderschöne Szenen in Fresko.19 Wie es heißt, hat zu der Zeit, als Parri dieses Werk ausführte, Bruder Bernhardin aus Siena,20 ein Franziskaner und Mann heiliger Lebensführung, in Arezzo gepredigt und viele seiner Mitbrüder dadurch zu einem wahren geistlichen Leben bewegt wie auch zahlreiche andere Menschen bekehrt, weshalb er für sie die Kirche von Sargiano bauen wollte und dafür von Parri das Modell anfertigen ließ.21 Als er später hörte, daß eine Meile vor der Stadt im Wald bei einem Brunnen viele schlimme Dinge geschahen, machte er sich, die gesamte Einwohnerschar Arezzos im Gefolge, eines Morgens dorthin auf, in der Hand ein großes Holzkreuz, so wie er es gewöhnlich zu tragen pflegte. Dann ließ er nach einer feierlichen Predigt den Brunnen abtragen, den Wald roden und kurze Zeit später mit dem Bau eines Kapellchens beginnen, das dort zu Ehren der Madonna unter dem Weihtitel Santa Maria delle Grazie errichtet wurde.22 Im Inneren wünschte er sich nun, daß Parri, wie er es dann tat, mit eigener Hand die Glorreiche Jungfrau malen würde, wie sie mit ausgebreiteten Armen die gesamte Bevölkerung von Arezzo unter ihrem Mantel birgt. Diese hochheilige [Figur der] Jungfrau hat an jenem Ort dann viele Wunder gewirkt und tut dies auch weiterhin. An diesem Ort hat die Gemeinde von Arezzo später eine wunderschöne Kirche errichten und in ihrem Zentrum die von Parri geschaffene Madonna aufstellen lassen. Rings um den Altar und darüber ist sie mit reichverziertem Rahmenwerk aus Marmor und Figuren eingefaßt worden, wie es in der Vita von Luca della Robbia23 und seines Neffen Andrea24 gesagt worden ist und wie es nach und nach in den Lebensbeschreibungen derer zu berichten sein wird, deren Werke jenen heiligen Ort zieren.25
Die Verehrung, die er jenem heiligen Mann entgegenbrachte, hat Parri nicht lange danach veranlaßt, besagten Heiligen Bernhardin auf einem großen Pfeiler im Alten Dom in Fresko zu porträtieren. An jenem Ort malte er außerdem in einer kleinen, ihm geweihten Kapelle die Verherrlichung jenes Heiligen im Himmel, umringt von einer Engelsschar und dazu drei Halbfiguren: zwei auf den Seiten, welche Geduld und Armut darstellten, und eine darüber, das war die Keuschheit – drei Tugenden, die jenen Heiligen bis zu seinem Tod begleitet haben. Unter seinen Füßen hatte er einige Bischofsmützen und Kardinalshüte, um zu veranschaulichen, daß er alles Weltliche verhöhnt hat und solche Würden immer verschmähte. Und unterhalb von diesen Malereien war die Stadt Arezzo in der Gestalt abgebildet, die sie zu jener Zeit aufwies.26 Ebenso freskierte Parri an der Außenseite des Doms für die Annunziata-Bruderschaft in einem Kapellchen oder besser gesagt in einer Maestà27 die Madonna, wie sie sich durch die Verkündigung des Engels vor Schreck mit dem ganzen Körper wegdreht.28 Und in dem kreuzgratgewölbten Himmel schuf er in jeder Ecke zwei Engel, die durch die Luft fliegen und auf verschiedenen Instrumenten musizieren, wobei sie wirken, als würden sie sich aufeinander einstimmen, und man beinahe einen allerliebsten Wohlklang zu hören vermeint. Auf den Wänden sind noch vier Heilige dargestellt, will heißen auf jeder Seite zwei. Die Fähigkeit, seine Vorstellung mit noch anderen Mitteln zum Ausdruck zu bringen, hat er dann an den beiden Pfeilern demonstriert, die am Eingang den vorderen Bogen tragen. Auf dem einen ist nämlich eine wunderschöne Caritas, die liebevoll ein Kind stillt, ein anderes herzt und das dritte an der Hand hält; auf dem anderen dann eine neuartig gemalte Figur des Glaubens, die in der einen Hand den Kelch und das Kreuz hält und in der anderen einen Becher mit Wasser, den sie über dem Kopf eines Jungen ausgießt und ihn so zum Christen macht.29 Alle diese Figuren sind ohne Zweifel die besten, die Parri in seinem ganzen Leben geschaffen hat, und auch im Vergleich mit den modernen sind sie ganz wunderbar.30
Derselbe malte innerhalb der Stadt in der Kirche Sant’Agostino im Chor der Brüder viele Figuren in Fresko, die am Stil der Kleider zu erkennen sind und an ihren gelängten, schlanken und verdrehten Körpern, wie weiter oben gesagt worden ist.31 Am Lettner der Kirche San Giustino freskierte er einen Heiligen Martin zu Pferd, der ein Stück von seinem Gewand abschneidet, um es einem Bedürftigen zu geben, und noch zwei weitere Heilige.32 Außerdem hat er in der Bischofskirche, und zwar auf eine Mauerwand, eine Verkündigung gemalt, die heute halb zerstört ist, weil sie viele Jahre lang ungeschützt im Freien war.33 In der Pieve derselben Stadt malte er die Kapelle aus, die sich heute in der Nähe des Raumes der Kirchenbauverwalter befindet und durch die Feuchtigkeit fast vollständig verfallen ist. Und dieser arme Maler hatte wirklich Pech mit seinen Werken, weil nahezu der größte Teil von ihnen durch Feuchtigkeit oder Abriß zerstört worden ist.34 Auf eine runde Säule besagter Pieve malte er einen Heiligen Vinzenz in Fresko35 und in San Francesco schuf er für die Familie Viviani rings um eine Madonna im halbhohen Relief einige Heilige und in dem Bogen darüber die Apostel, die den Heiligen Geist empfangen. In der Wölbung sind einige weitere Heilige und seitlich Christus mit dem Kreuz auf der Schulter, aus dessen Seite Blut in einen Kelch fließt, und um besagten Christus einige sehr gut gemachte Engel.36 Ihr gegenüber schuf er für die Bruderschaft der Steinmetze, Maurer und Schreiner in ihrer Kapelle der Heiligen Vier Gekrönten37 eine Madonna, besagte Heilige mit den Werkzeugen jener Zünfte in Händen und darunter, ebenfalls in Fresko, zwei Szenen mit ihren Taten und wie sie enthauptet und ins Meer geworfen werden. Wunderschön sind in diesem Werk die Haltungen und Kraftanstrengungen derer, die sich jene in Säcken steckenden Körper auf die Schultern laden, um sie zum Meer zu tragen, weil ihnen Bereitschaft und Lebendigkeit anzusehen sind. Außerdem freskierte er in San Domenico auf der rechten Wand unweit des Hauptaltars eine Madonna, den Heiligen Antonius und den Heiligen Nikolaus für die Familie Alberti aus Catenaia, einst Herren jenes Ortes, die sich nach der Zerstörung desselben in Arezzo und Florenz niederließen. Und daß es sich um ein und dieselbe Familie handelt, zeigt das Wappen der einen wie der anderen, weil es dasselbe ist. Dabei trifft es zu, daß die in Arezzo heute nicht mehr Alberti, sondern Catenaia genannt werden, während jene in Florenz Alberti heißen und nicht Catenaia.38 Ich erinnere mich zudem, gesehen und auch gelesen zu haben, daß die einst in den Alpen von Catenaia gelegene Abtei del Sasso, die heute abgerissen und nach weiter unten Richtung Arno verlegt worden ist, von eben diesen Alberti für die Kamaldulenserkongregation erbaut worden ist; heute gehört sie zum Angeli-Kloster in Florenz, das es als ursprüngliche Stiftung besagter Familie anerkennt, die in Florenz zum Hochadel gehört.
Im alten Audienzsaal der Bruderschaft von Santa Maria della Misericordia malte er eine Madonna, die mit ihrem Mantel die Bevölkerung von Arezzo schirmt,39 wo er die damaligen Klosterleiter in zeitgenössischen Gewändern nach dem Leben porträtierte. Unter ihnen war einer, den sie Braccio nannten, heute allerdings, wenn von ihm die Rede ist, Lazzaro der Reiche genannt wird; er starb 1422 und hinterließ alle Reichtümer und sein gesamtes Vermögen jenem Kloster, das es zugunsten der Armen Gottes verteilt und die heiligen Werke der Barmherzigkeit mit großer Nächstenliebe ausübt.40 Diese Madonna wird auf der einen Seite vom Heiligen Papst Gregor eingerahmt, auf der anderen vom Heiligen Donatus, der Bischof und Schutzherr der Bevölkerung von Arezzo war.41 Und weil Parri ihnen mit diesem Werk hervorragende Dienste erwiesen hatte, ließen diejenigen, die jene Bruderschaft damals leiteten, ihn in einer in Tempera gemalten Tafel eine Madonna mit dem Kind im Arm ausführen, dazu einige Engel, die ihr den Mantel aufhalten, unter dem sich besagte Bevölkerung versammelt hat, darunter die Märtyrerheiligen Laurentius und Pergentinus. Diese Tafel wird alljährlich am zweiten Juni nach draußen gebracht und von den Männern jener Bruderschaft in einer Prozession feierlich bis zur Kirche besagter Heiligen getragen, wo sie auf einen silbernen Sarg gestellt wird, den der Goldschmied Forzore, Parris Bruder,42 angefertigt hat und der die sterblichen Hüllen der Heiligen Laurentius und Pergentinus birgt. Ich sage nach draußen bringen, weil dieser Altar unter einem Zeltdach am Canto alla Croce aufgebaut wird, an der jene Kirche liegt, weil diese klein ist und die Menschenmenge, die zu diesem Fest herbeiströmt, nicht aufnehmen könnte. Die Predella, auf der diese Tafel aufsetzt, enthält eine kleinfigurige Darstellung des Martyriums dieser beiden Heiligen und ist so gut gemacht, daß es für ein kleinformatiges Werk eine wunderbare Sache ist.43 Von Parris Hand stammt im Borgo a Piano ein Tabernakel unter dem Dachvorsprung eines Hauses, darin das Fresko einer Verkündigung, die sehr gelobt wird. Und für die Bruderschaft der Puraccioli in Sant’Agostino freskierte er die Heilige Jungfrau und Märtyrerin Katharina, die wunderschön ist.44 Ebenso malte er in der Kirche von Muriello für die Bruderschaft der Cherici eine drei Ellen hohe Heilige Maria Magdalena.45 Und in San Domenico malte er dort, wo neben dem Eingangsportal die Glockenseile hängen, die Nikolaus-Kapelle mit Fresken aus, darin ein großes Kruzifix mit vier Figuren, das so gut gearbeitet ist, daß es wie eben gemalt aussieht. Im Bogenfeld schuf er zwei Szenen mit dem Heiligen Nikolaus, und zwar als er den Jungfrauen die goldenen Kugeln zuwirft und als er zwei vor dem Tod rettet; in dieser Szene sieht man den Henker, der sich anschickt, ihnen die Köpfe abzuschlagen, was sehr gut gemacht ist.46
Während Parri mit der Ausführung dieses Werks beschäftigt war, wurde er von einigen bewaffneten Verwandten überfallen, mit denen er wegen irgendeiner Mitgift im Streit lag. Weil aber ein paar Männer sofort bei ihm waren und ihm zu Hilfe eilten, taten sie ihm kein Leid an. Trotzdem heißt es, daß die Angst, die er dabei ausstand, dafür gesorgt habe, daß er seine Figuren nicht mehr nur zu einer Seite geneigt schuf, sondern sie von diesem Tag an fast immer reichlich verschreckt darstellte.47 Und weil er viele Male Opfer neidischer Zungen und mißgünstiger Angriffe geworden worden war, schuf er in dieser Kapelle eine Szene mit brennenden Zungen und um sie herum ein paar Teufel, die das Feuer schüren. In der Höhe war ein sie verfluchender Christus und seitlich standen die Worte: A LINGUA DOLOSA [der bösen Zunge].48
Mit viel Eifer betrieb Parri das Studium der Kunst und zeichnete ganz hervorragend, wie es viele Zeichnungen belegen, die ich von seiner Hand gesehen habe,49 darunter ganz besonders ein Fries mit zwanzig Szenen aus dem Leben des Heiligen Donatus, den er für seine Schwester schuf, die ausgezeichnet stickte; und wie man glaubt, hat er ihn ausgeführt, weil am Hauptaltar der bischöflichen Kirche Verzierungen angebracht werden sollten. In unserem libro befinden sich einige Blätter, die er sehr gut mit der Feder gezeichnet hat.50 Porträtiert wurde Parri von Marco aus Montepulciano, der ein Schüler von Spinello war, im Kreuzgang von San Bernardo in Arezzo.51
Er lebte sechsundfünfzig Jahre und hat sein Leben dadurch verkürzt, daß er von Natur aus melancholisch und einzelgängerisch war und sich allzu beharrlich in seine künstlerischen Studien und seine Arbeit vergrub.52 Bestattet wurde er in Sant’Agostino im selben Grab, in dem sein Vater Spinello zur Ruhe gebettet worden war; und alle virtuosen Menschen, die von ihm Kenntnis hatten, waren über seinen Tod betrübt.53
Ende der Lebensbeschreibung des Malers Parri Spinelli. 54
Bereits zu Beginn der Vita fällt Vasari ein vernichtendes Urteil über das Werk des Florentiner Bildhauers, Architekten und Theoretikers Antonio Averlino, genannt Filarete (* um 1400 Florenz – † um 1469 Rom?): Die Bronzetür für Sankt Peter in Rom – eines der Hauptwerke des Künstlers – sei laut Vasari in einem »unglückseligen Stil« ausgeführt (»sciaurata maniera«) worden. Ihr Auftraggeber, Papst Eugen IV., dem Vasari hier jegliches Vermögen abspricht, Kunst zu beurteilen, hätte besser nach einem Künstler vom Rang eines Filippo Brunelleschi, Donatello oder anderer herrlicher Bildhauer für ihre Anfertigung suchen sollen, dann wäre ihr Stil zweifellos besser ausgefallen. Weiterhin kritisiert Vasari mit harten Worten Filaretes Architekturtraktat und nennt es gar ein »lächerliches« und »albernes« Werk (»ridicola e tanto sciocca«), das nicht einmal in geordneter Form genügend Informationen über zeitgenössische Künstler und ihre Werke präsentiere. Damit will Vasari freilich einmal mehr seine eigene Leistung als Künstlerbiograph hervorheben. Auffällig ist zudem, daß Vasari an keiner Stelle der Vita schreibt, Filarete habe mit seinen Werken die Kunst vorangebracht. Dies ist aber eines der Leitmotive im Fortschrittsmodell der Vite. Auch beim Ospedale Maggiore in Mailand, das Vasari immerhin eingehend beschreibt und lobt, wird dessen wegweisende Vorbildfunktion für später entstandene Spitalbauten nicht ausreichend gewürdigt. Daß der Bau wegen seiner Orientierung an der Florentiner Frührenaissance einen Wendepunkt in der lombardischen Architektur des 15. Jahrhunderts markiert, wird von Vasari ebenfalls nicht erwähnt.
Vasaris niederschmetterndes Urteil hat die Rezeption Filaretes – vornehmlich seiner Bronzetür und seines Architekturtraktats – bis in das 20. Jahrhundert hinein wesentlich beeinflußt. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden beispielsweise die Bronzetür für Sankt Peter, deren Formeneklektizismus vielfach Irritationen auslöste, für ihre antiquarische Gelehrsamkeit gewürdigt.1 Filarete habe sich bei der Ausführung der Bronzetür bewußt unterschiedlicher Bildmodi bedient und bei den Martyriumsszenen auf eine perspektivische Darstellung verzichtet, da der Antike diese frühneuzeitliche Darstellungsform fremd gewesen sei. Neben Filaretes Architekturtraktat, das im Gegensatz zu Leon Battista Albertis epochalem Werk De re aedificatoria ungeordnet erscheint und – für ein Traktat ungewöhnlich – in Form eines utopischen Romans verfaßt ist, dürfte es vor allem der Formeneklektizismus der Bronzetür gewesen sein, der zu Vasaris harscher Kritik an dem Künstler führte. Daß der Aretiner gleich zu Beginn Brunelleschi und Donatello als beipielhafte Künstler erwähnt, ist bezeichnend, denn sie sind es, an denen die Werke Filaretes letztlich gemessen werden. Auch Lorenzo Ghiberti, dessen Bronzetüren für das Florentiner Baptisterium Vasari in der zweiten Ausgabe der Vita im Zusammenhang mit der Tür für Sankt Peter erwähnt, wird Filarete gegenübergestellt. Alle drei, vor allem aber Brunelleschi und Donatello, zählen im zweiten Teil der Vite zu den die anderen Künstler überragenden Bildhauern und Architekten, denen es zu verdanken sei, daß sich die Künste auf entscheidende Weise fortentwickeln konnten. Sie waren es, die mit ihren innovativen Schöpfungen das Fundament für die Künstler der terza età legten, denn ihre Werke waren nicht nur an der Antike orientiert, sondern wiesen auch eine meisterhafte Naturnachahmung auf, waren voller Erfindungskraft und nach den Regeln der Perspektive aufgebaut. Der Vergleich mit Vasaris Bewertung Brunelleschis und Donatellos legt offen, wieso der Aretiner kein Verständnis für Filaretes Werke aufbringen konnte und zweifellos auch nicht wollte: Sie entsprachen einfach nicht seinem künstlerischen Ideal.2
Wie im Titel bereits anklingt, behandelt Vasari in der Vita nicht nur Leben und Werk Filaretes, sondern geht auch auf einen gewissen Simone ein, der Donatellos Bruder gewesen sein soll und angeblich mit Filarete unter anderem die Bronzetür für Sankt Peter ausführte. Die Identität Simones ist umstritten, da nicht belegt ist, daß Donatello tatsächlich einen Bruder hatte, und da Filarete weder in seinem Relief an der Bronzetür, in dem er seine Mitarbeiter aufführt, noch in seinem Architekturtraktat einen Künstler namens Simone erwähnt. Immer wieder wurde versucht, verschiedene zeitgenössische Künstler, die den Namen Simone trugen, mit Vasaris Schilderungen in Verbindung zu bringen, unter ihnen zwei Goldschmiedemeister namens Simone di Giovanni Ghini. Doch bleibt die Identität des von Vasari genannten Künstlers auch weiterhin fraglich. Die Werke, die Vasari ihm in der Vita zuschreibt, werden heute anderen Künstlern zugeordnet oder ihre Urheber konnten nicht identifiziert werden.
CI
Vita d’Antonio Filarete e di Simone Scultore. Fiorentini (1568)