Dieter Hintermeier

Wirtschaftsmacht Fußball

Hintergründe, Fakten und Visionen eines globalen Milliardengeschäfts

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Print-ISBN:        978-3-446-46343-1
E-Book-ISBN:   978-3-446-46434-6
ePub-ISBN:       978-3-446-46565-7

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

1 Prolog

Ausdruck des Klassenkampfes

Ein später Weg in die Professionalität

Am Ende gewinnt das Geld

2 Der Markt

Auf der Suche nach dem großen Geschäft

Dominanz der englischen Clubs

Sprudelnde Geldquellen

Die Börse als Kapitalgeber

Interview mit Lars Figura: »Wer die Chancen erkennt, wird nachhaltig erfolgreich sein.«

3 Die Vereine

Eigentumsverhältnisse bei stagnierenden Besucherzahlen

Steigende Umsatzzahlen bei stagnierenden Besucherzahlen

Erfolgsgeschichte: England – Premier League

Turnaround: Spanien – Primera División (La Liga)

Steiniger Weg: Italien – Serie A

Gemischtwarenladen: Deutschland – die Bundesliga

Fünfter Platz: Frankreich – Ligue 1

Planbare Einnahmen: Europa – Super League

Interview mit Dietmar Hopp: »Fußball sollte der Spaßfaktor in meinem Leben sein.«

4 Der Spieler

Extreme Gehaltsunterschiede und schnell am Abgrund

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Wo Schatten ist, ist auch Licht

Systematische Nachwuchssuche und -förderung

Gehälter der Profis

Interview mit Ulf Baranowsky: »Die Arbeit der Spielergewerkschaft ist für Profis von großer Bedeutung.«

5 Die Medien

Profiteure, Strippenzieher und Taktgeber

Fußball als Entertainment-Spektakel

Veränderte Berichterstattung

Sport und Marketing – zwei Seiten einer Medaille

Von Helden und Erfolgen

Ein Geben und Nehmen

Interview mit Andreas Kötter: »Eine nüchterne Ergebnismeldung kann sich heute niemand mehr leisten.«

6 Trainer und Manager

Attacke, Tika-Taka und es ist nicht alles Gold, was glänzt

Traumjob Fußballtrainer oder Arbeiten auf dem Schleudersitz?

Die fünf weltbesten Trainer

Management: Stallgeruch bevorzugt

Manager mit Strahlkraft

Interview mit Peter Peters: »Ohne wirtschaftliche Stabilität kann kein Proficlub wettbewerbsfähig bleiben.«

7 Die Wettbewerbe

Es klingeln die Kassen!

The Winner Takes It All

Europameisterschaft unter Rekordverdacht

Die großen Gewinner Champions League und UEFA-Superpokal

Bescheidenheit in der Europa League

Interview mit Katja Kraus: »Der Fußball bietet eine enorme emotionale Verbundenheit.«

8 Die Fans

Nichts bleibt wie es ist

Eine aussterbende Gruppe?

Das Stetige im Wandel

Abschreckende Ticketpreise

Interview mit Simon Rolfes: »Es ist einfach fantastisch, in ein volles Stadion einzulaufen.«

9 Die Digitalisierung

Kein Weg führt daran vorbei

Erste Anwendungen von Künstlicher Intelligenz

Versierter Umgang mit Social Media

Zentrale Rolle von Datenanalysen

Mehr Möglichkeiten und mehr Gerechtigkeit durch digitale Helfer

Interview mit Arjan Sissing: »Fußball ist das Sportthema Nummer eins bei uns.«

10 Finale

Die Erschütterung

Gefährlicher Aufbruch

11 Literatur- und Quellenverzeichnis

12 Anhang

Ethik-Kodex des Deutschen Fußball-Bundes

14 Der Autor

1 Prolog

»Fußball ist das Heraustreten aus dem versklavten Ernst des Alllags in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und deshalb so schön ist.«

Benedikt XVI. (Jospeh Ratzinger; faz.net 2006)

Der 10. November 2001 war ein ganz normaler Samstag. In Buenos Aires erfreuten sich die Menschen am argentinischen Frühling. Doch so normal sollte der Tag in der argentinischen Hauptstadt nicht werden, denn im Stadion La Bombonera des Kultclubs Boca Juniors, dem Club der Rang- und Namenlosen, nahm ein ganz großer des Weltfußballs seinen Abschied vom Fußball. Sein Name: Diego Armando Maradona. Für viele ist der 1,65 Meter »große« Mann der beste Fußballer aller Zeiten. Andere, die ihm nicht Wohlgesonnenen, erinnern sich bei Maradona vielleicht nur an dessen Eskapaden während und nach seiner aktiven Spielzeit. Übergewichtig, laut feiernd, krank, drogenaffin, aufgeschwemmt durch die Einnahme vieler Medikamente und Hilfe suchend beim kubanischen Staatschef Fidel Castro.

In der Tat: In seinem Fußballerleben hat Maradona alle Höhen und Tiefen des Fußballgeschäfts miterlebt. Seine rauschenden Partys waren genauso legendär wie seine Tore. Apropos Tore: Bei seinem wichtigsten, und das ihn auch gleichzeitig in den Legendenstatus erhob, war sogar die »Hand Gottes« im Spiel. Es war ein irreguläres Tor, das er am 22. Juni 1986 bei der Weltmeisterschaft im Spiel der argentinischen Nationalmannschaft gegen England erzielte. Fast 115 000 Zuschauer sahen Diegos »Tor« unter Zuhilfenahme seiner Hand zum 1:0 für Argentinien im Aztekenstadion in Mexiko-Stadt. »Es war ein bisschen Maradonas Kopf und ein bisschen die Hand Gottes«, kommentierte »der Goldjunge«, wie Maradona genannt wurde, seinen Treffer. Doch der Fußballgott wollte Maradona an diesem 22. Juni im Aztekenstadion nicht als elenden Schwindler in die Historie des runden Leders eingehen lassen. Im selben Spiel gelang ihm nach einem 60-Meter-Solo, bei dem er gefühlt zehn englische Spieler ausdribbelte, ein regulärer Treffer, der später zum WM-Tor des Jahrhunderts gewählt wurde.

Welchen Stellenwert dieses Spiel und Maradonas »Hand«-Tor für sein Heimatland hatte, kann nur der verstehen, der weiß, dass der Falkland/Malvinen-Krieg im Jahr 1982 zwischen Argentinien und England mit einer Schmach für das südamerikanische Land endete, das die britische Insel im Atlantik angegriffen hatte. Nach nur rund zweieinhalb Monaten hatten die Briten den Aggressor besiegt. Vier Jahre später stellt dann der »Goldjunge« Maradona die »Ehre« seines Landes mit seinen beiden Toren im Spiel gegen England wieder her. Spätestens ab diesem Zeitpunkt genießt Maradona in seinem Land, in dem auch ein Fußballspieler namens Lionel Messi das Licht der Welt erblickte, einen Heldenstatus. Und Helden verzeiht man bekanntlich (fast) alles.

Der aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Maradona war nicht nur der König der Armen und Entrechteten Argentiniens, sondern auch ein Profiteur des aufblühenden Fußballbusiness der 1980er-Jahre. Als er 1982 von den Boca Juniors zum edlen FC Barcelona wechselte, soll die Top-Summe von umgerechnet acht Millionen Euro beim Transfer geflossen sein. Aber es sollte für Maradona noch besser kommen. Bei seinem Weggang vom katalanischen Spitzenclub zum SSC Neapel im Jahr 1984 soll die damals unglaubliche Summe von umgerechnet rund zwölf Millionen Euro für ihn gezahlt worden sein. Dass der bürgerliche FC Barcelona diese Ablösesumme für den »Goldjungen« problemlos aufbringen konnte, hatte damals niemand in der Fußballwelt verwundert. Schließlich hatten sich die Katalanen bei einigen Zeitgenossen den Ruf erworben, nicht viele echte Fans zu haben, sondern dass es vielmehr solvente »Kunden« waren, die den Fußballtempel Camp Nou aufsuchten. Und die erlesene Kundschaft verlangte nach Stars wie Maradona. Für die Barca-Vereinsfunktionäre gehörte es deshalb zum guten Ton, auf diesem Gebiet für Nachschub zu sorgen. Wie es aber dem SSC Neapel, aus der Metropole des armen italienischen Mezzogiorno, gelang, die damals astronomische Summe von umgerechnet zwölf Millionen Euro für den Maradona-Transfer aufzubringen, bleibt bis heute, mit Verlaub, nebulös.

Dank einer Analyse des Nachrichtenmagazins Spiegel wissen wir heute, dass die europäischen Transfers des »Goldjungen« aus Argentinien die kostspieligsten der letzten Jahrzehnte waren. Gemessen an heutigen Maßstäben hätten die Maradona-Transfers ohne Probleme die 100-Millionen-Euro-Marke durchbrochen. Das ist fast genau der Preis, den Real Madrid 2013 für den Wechsel des walisischen Stürmers Gareth Bale vom Premier-League-Club Tottenham Hotspur zahlte. So war Bale im direkten Vergleich mit Maradona nur der Sieger auf dem Papier – böse Zungen würden behaupten: Bale war ein Papiertiger.

Ausdruck des Klassenkampfes

Dass im Fußball das Geld schon immer eine wichtige Rolle spielt, ist fast so alt wie dieses Spiel selbst. So überführten die Erfinder des europäischen Fußballs auf der britischen Insel diesen Mannschaftssport relativ zügig in professionelle Strukturen. Mit der Folge, dass seit 1888 in England schon Profimannschaften gegeneinander antraten. Klaus Zeyringer beschreibt diesen Wandel des britischen Fußballs von einem Sport der britischen Oberschichtjugend in seinem Buch Fußball. Eine Kulturgeschichte so: »Mit dem Beginn der Fankultur wurde der Fußball zum Geschäft. Die Proficlubs waren jetzt Unternehmen. Sie fingen an, Spieler zu kaufen und zu verkaufen und sie brauchten dazu Betriebsleiter«, berichtet Zeyringer. Aus dieser, nennen wir es mal, Firmenphilosophie, ist auf der britischen Insel die Funktion des Trainers entstanden, der konsequenterweise dann auch »Manager« genannt wurde. Eine Berufsbezeichnung, die heute noch im britischen Fußball gang und gäbe ist. Der Manager ist in Personalunion Trainer und gleichzeitig quasi Sportdirektor des Clubs und folglich mit einer entsprechenden Machtfülle ausgestattet

Im deutschen Fußball konnte sich diese Form des Fußball-Managers nach britischem Vorbild dagegen nicht durchsetzen. Wenn man zum Beispiel von Felix Magath absieht. Die Ikone des Hamburger SV aus glorreichen Zeiten, als der hanseatische Club noch in den 1980er-Jahren den europäischen Fußballthron der Landesmeister erklomm, heuerte 2009 bei Schalke 04 an, nachdem er mit dem VfL Wolfsburg sensationell Deutscher Meister wurde. Von den S04-Bossen wurde er in Personalunion zum Trainer und Manager bestimmt. On top gab es für Magath noch einen Posten im Vorstand des Vereins. Das Experiment »Manager« nach britischem Vorbild endete für den Fußballeuropameister Magath schon 2011. Ihm wurden unter anderem »zu viele« Transfers vorgeworfen. Als »Kündigungsgrund« diente für Magath dann auch noch der (phasenweise) mangelnde sportliche Erfolg der Mannschaft.

Obwohl Magath zum Beispiel mit den damaligen Schalke-Verpflichtungen der beiden Starstürmer Raúl von Real Madrid und Klaas-Jan Huntelaar vom AC Mailand Akzente in der Liga setzen konnte, scheiterte das britische Firmenmodell »Manager« im deutschen Profifußball. Dort setzte man stattdessen weiterhin auf Arbeitsteilung innerhalb eines Proficlubs. So gibt es heute immer noch den klassischen Trainer, der sich im Regelfall rein um die sportlichen Belange des Teams kümmert, und eine stattliche Anzahl von Managern, die für die verschiedenen Aufgabenbereiche des Fußballunternehmens zuständig sind. Angefangen vom Finanzsektor über das Merchandising, dem Marketing bis hin zum Sportdirektor.

Im deutschen Profifußball gibt es nach wie vor eine Arbeitsteilung zwischen Trainer und dem Management.

Für Zeyringer ist die organisierte Form des Fußballs, wie wir ihn heute kennen, eine Folge der Entwicklung der englischen Industriegesellschaft und den Kämpfen zwischen Fabrikbesitzern einerseits und Arbeitern und Gewerkschaften andererseits. Letztlich setzte sich das Credo der Industriegesellschaft, dass Raum und Zeit der Planung bedürfen, um erfolgreich zu sein, auch im »Fußball« durch. Statt das Chaos regieren zu lassen, wurde der Spielbetrieb von nun an einem geregelten Ablauf unterworfen. Und dass sich die Fanbasis des Fußballs im Laufe der Industrialisierung immer mehr vergrößerte, ist auch den Arbeitskämpfen der englischen Gewerkschaften zu verdanken. Sie erkämpften zum Beispiel den Samstag als arbeitsfreien Tag. Dieses mehr an freier Zeit nutzten die Arbeiter zum Beispiel dann auch zum Besuch von Fußballspielen. Während sich der Fußball in der britischen Industriegesellschaft durch diese Entwicklungen immer mehr zum Sport für die breite Masse entwickelte, suchte die junge britische Oberschicht, die eigentlichen Erfinder und Protagonisten des heutigen Fußballspiels, nach Abgrenzung von diesem »Massensport«. Die Eliteschüler von Cambridge bis Eton wandten sich deshalb wieder anderen Sportarten zu. Hierbei spielte dann Rugby plötzlich eine besondere Rolle. Während sich die britische Upperclass-Jugend vom Massensport Fußball verabschiedete, traten bei den Fußballclubs »Sponsoren« vermehrt auf den Plan. Hier zählten Brauereien und Gaststätten zu den frühen Gönnern der Clubs.

Das Leistungsprinzip des britischen Bürgertums hielt während des aufstrebenden Kapitalismus in England nach und nach Einzug in den Sport und folglich auch in den Fußball. »Die viktorianische Gesellschaft legte großen Wert auf physisches und psychisches Wohlbefinden«, schreibt Zeyringer. Den Körper betrachtete das Bürgertum im aufblühenden kapitalistischen Wirtschaftssystem als »Maschine«. Und war die »Maschine« gesund, folgte dieser auch der »Geist«, so die simple Schlussfolgerung.

Über die katastrophalen Zustände in englischen Fabriken während der Industrialisierung gibt es zahlreiche soziologische Abhandlungen. Unter diesen Umständen in den Fabriken lag es nahe, dass Sportausübung als Mittel, um die Gesundheit der Arbeiter zu erhalten, auch von Fabrikbesitzern propagiert wurde. »Immerhin förderten nicht wenige Unternehmen in Großbritannien den Fußball. Damit konnten sie sich als gute Väter ihrer Arbeiter zeigen, denen sie eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung ermöglichten und sie derart vom Alkoholismus und von gefährlicher Agitation fernhielten«, so Zeyringer, und er nennt ein Beispiel für dieses doch tendenziell eigennützige Engagement der Fabrikbesitzer. So habe es beispielsweise in der Londoner Thames Ironworks einen Streik gegeben, woraufhin der Fabrikbesitzer Arnold F. Hills kurzerhand den Fußballverein West Ham United ins Leben rief, um seine Arbeiter von weiteren Arbeitskampfaktionen abzuhalten. Stattdessen sollten diese sich der fußballerischen Ertüchtigung hingeben. Die Maßnahme war ein kluger unternehmerischer Schachzug. Hills, der 1894 in seinem Unternehmen auch den Achtstundentag einführte, blieb vielleicht wegen seines West-Ham-Schachzugs vom großen London-Engineer-Streik im Jahr 1897 verschont.

Der Siegeszug des Fußballs war nun auch in Deutschland mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr aufzuhalten. Zuerst als »Fußlümmelei« oder »englische Krankheit« verächtlich gemacht, begeisterte der Fußball im Laufe der Jahre immer mehr die breiten Massen. Nach der Überlieferung soll es der Lehrer Konrad Koch gewesen sein, der den Fußball im Jahr 1874 in Deutschland etablierte. Koch war Lehrer am Braunschweiger Gymnasium Martino-Katharineum. Gespielt wurde in der Schule zunächst nicht mit einem klassischen Fuß-, sondern mit einem Rugbyball. Pädagoge Koch hatte sich zum Ziel gesetzt, seinen Schülern die ethischen Tugenden des Sports zu vermitteln und dabei gleichzeitig dem möglichen Bewegungsmangel seiner Schützlinge vorzubeugen.

Anders als in England musste der Fußball in Deutschland viel länger um die gesellschaftliche Anerkennung kämpfen.

Das Turnen stand als sportliche Leibesertüchtigung in deutschen Schulen und beim Militär ganz hoch im Kurs. »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn hatte 1811 die deutsche Turnbewegung ins Leben gerufen. Es war sein Versuch, auf die damalige »französische Fremdherrschaft«, gemeint ist der Zeitraum der Napoleonischen Kriege im Nachgang der Französischen Revolution, zu reagieren. Jahn wollte mit seinem Faible für das Turnen die deutsche Jugend körperlich auf einen möglichen Befreiungskrieg gegen Frankreich vorbereiten.

Ein später Weg in die Professionalität

Mit dem aus England importierten Fußball etablierte sich im deutschen Kaiserreich neben dem Turnen aber eine neue Form der Körperkultur. Dabei diente der Fußball nicht wichtigen politischen Zielen, wie das Turnen dies implizierte, sondern er avancierte zu einer unpolitischen, bürgerlichen Form der Freizeitgestaltung. In der Anfangszeit des neuen Sports in Deutschland spielten in aller Regel die Mitarbeiter englischer Unternehmen, Studenten, Techniker, Geschäftsleute und britische Botschaftsangehörige Fußball. Von einem »Arbeitersport« konnte zu dieser Zeit, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, in Deutschland deshalb keine Rede sein. Im Gegenteil: Fußball spielten vielmehr die sogenannten besserverdienenden Gesellschaftsschichten. Für den deutschen Arbeiter war der Sport schlicht zu teuer im Hinblick auf die Anschaffungskosten für die Ausrüstung, um an einem geregelten Fußball-Vereinsleben teilzunehmen. Sie hielten deshalb weiterhin in der Mehrzahl den Turnvereinen die Treue.

Im Angestelltenmilieu zeigte man sich stattdessen offen für neue Freizeiterscheinungen wie den Fußball. So war eine große Zahl der Angestellten auch generell bereit, für ihre Freizeitvergnügen viel Geld auszugeben. Ausgestattet mit dieser Neugier auf neue Entwicklungen und dem nötigen »Kleingeld«, um dieses neue Freizeitvergnügen auch für sich persönlich auszutesten, wandten sich nicht wenige Angestellte in Deutschland dem Fußball zu. Auch bei den Studenten hinterließ der Fußball seine Spuren, wenn auch auf Umwegen. So war es zum Beispiel deutschen Technikstudenten nicht erlaubt, sich Studentenverbindungen anzuschließen. Diese mussten sich deshalb neue Wege bahnen, um an der herrschenden Verbindungskultur im studentischen Umfeld teilzuhaben. So kreierten sie verbindungsnahe Vereinsnamen wie »Borussia« und »Alemannia«, die heute noch landauf und landab in Deutschland als Clubnamen zu finden sind. Welchen Einfluss bürgerliches Selbstverständnis auf den »englischen Sport« hatte, wird auch dadurch dokumentiert, dass die frühen deutschen Fußballer großen Wert auf Orden, Medaillen und Ehrentitel wie »Meister« legten. »Titel«, die dem Bürgertum entliehen wurden.

Der Weg in die Professionalität gelang dem deutschen im Vergleich zum englischen Fußball ebenfalls spät. Zu sehr war der Fußball in Deutschland dem Amateurgedanken verbunden.

Während in England die ersten Profis schon Mitte der 1880er-Jahre dem Fußball hinterherrannten, mussten in Deutschland fast 100 Jahre vergehen, bis der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Realitäten ins Auge sah und dem professionellen Fußball keine Steine mehr in den Weg legte.

Dass der professionelle Fußball in Deutschland aber nicht zu verhindern war, wurde bereits in den 1920er-Jahren deutlich. In die Stadien strömten ab diesem Zeitpunkt immer mehr Zuschauer, die Kassen der Vereine waren dadurch prall gefüllt. Die Clubs, hier vor allem die Spitzenvereine, versuchten nun mit sogenannten Handgeldern, Spieler aus anderen Vereinen abzuwerben oder gute Kicker durch verdeckte Gehaltszahlungen im Verein zu halten. Einen regelrechten Skandal in dieser Hinsicht gab es im Jahr 1930, als bekannt wurde, dass der FC Schalke 04 an viele Spieler Geld gezahlt hatte. Der DFB wollte daraufhin die Kicker lebenslang sperren. Nach großer öffentlicher Empörung wurden die »lebenslangen Strafen« aber bereits nach einem Jahr vom Verband zurückgenommen.

Der DFB merkte nun, dass am Profifußball kein Weg mehr vorbeiging, und schrieb sich auf seinem Bundestag im Oktober 1932 die Einführung einer professionellen Reichsliga auf die Fahnen. Wie das Vorhaben operativ umzusetzen sei, wollte der DFB auf einer Sondersitzung im Mai 1933 beschließen. Dazu kam es durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten dann nicht mehr. Es sollte bis zum Jahr 1949 dauern, bis das Profithema im Fußball wieder Fahrt aufnahm.

Der DFB führte ab diesem Zeitpunkt den sogenannten Vertragsspieler ein. Hierunter verstand man bis zur Einführung der Bundesliga im Jahr 1963 einen Spieler, der sich vertraglich für eine oder mehrere Saisons an einen Verein band. Dafür wurde er mit einer Entschädigung entlohnt, die anfangs 320 DM im Monat betrug. Außerdem musste der Vertragsspieler einen Beruf oder eine Ausbildung nachweisen, dem er nachging beziehungsweise die er absolvierte. Mit dem Start der Bundesliga wurde dann aus dem Vertrags- ein Lizenzspieler, dem der DFB jetzt ein monatliches Gehalt von 1200 DM erlaubte.

Ausnahmen gab es hier für Nationalspieler, diese durften ein höheres Gehalt erhalten, damit sie nicht den finanziellen Verlockungen ausländischer Vereine erlagen. Die »normalen« Bundesligaspieler waren aber weiterhin Halbprofis, die neben ihrem Fußballjob noch einer Berufstätigkeit nachgingen. In den rebellischen 1970er-Jahren machten dann die Bundesligavereine in Sachen Profifußballer immer mehr Druck auf den DFB. Mit der Folge, dass der Verband die Gehaltszahlungen an Profifußballspieler ab 1972 endlich komplett freigab.

Seit 1972 gelten auch für Spielergehälter in Deutschland die freien Regeln des Marktes.

Die Gehälter der Spieler haben mittlerweile im Fußballbusiness fast irrationale Höhen erreicht. Schon ein durchschnittlicher Bundesligaspieler darf mit einer Millionengage rechnen. Top-Spieler, wie Bayern-Münchens Goalgetter Robert Lewandowski, soll angeblich mit einem Salär von 15 Millionen Euro im Jahr ausgestattet sein. Dass diese Gehälter von den Clubs gezahlt werden, haben sie der immer weiter fortschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs zu verdanken. Vor allem die Medien haben in den letzten 30 Jahren dafür gesorgt, dass den Vereinen immer mehr Geld in die Kassen gespült wurde. Für Übertragungsrechte kassieren die europäischen Ligen mittlerweile Milliardenbeträge. Auch die Clubs haben sich in den letzten Jahrzehnten zu Wirtschaftsunternehmen gewandelt, bei denen der Gewinnmaximierung kein unwichtiger Stellenwert zukommt.

Darüber hinaus haben sich die einzelnen Fußballligen in Europa durch die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs zu mächtigen Wirtschaftsimperien gewandelt. Mit einem Umsatz von 5,4 Milliarden Euro ist aktuell die englische Premier League der unangefochtene Spitzenreiter. Deutlich dahinter folgt mit 3,2 Milliarden Euro die deutsche Bundesliga auf dem zweiten Platz. Dritter in der europäischen Umsatzliga ist die Primera División. Sie setzt aktuell 3,1 Milliarden Euro jährlich um. Das sind Zahlen, die von der Beratungsgesellschaft Deloitte für die Saison 2017/2018 ermittelt wurden. Deloitte-Fußballexperte Stefan Ludwig stellt hierzu fest, dass einmal mehr die gestiegenen TV-Übertragungsrechte der Wachstumsmotor der Ligen sind.

Spitzenumsätze: Saison 2017/2018

       Premier League: 5,4 Milliarden Euro

       Bundesliga: 3,2 Milliarden Euro

       Primera División: 3,1 Milliarden Euro

Doch die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs gefällt nicht allen. Die groß angelegte Studie »Situationsanalyse Profifußball 2017« kommt zu dem Schluss, dass die größten Probleme des deutschen Profifußballs vor allem auf dem primären Streben (der Vereine, der Funktionäre, der Spieler und ihrer Berater) nach immer mehr Geld zurückzuführen sind. Darüber hinaus sorge die ungleiche Verteilung dieser Gelder für erhebliche negative Folgen für den Profifußball. Dazu zählt die Studie Entfremdung der Clubs von den Fans, Realitätsverlust der Vereine, Wettbewerbsverzerrung und Langeweile im Ligabetrieb. Im Ergebnis bleibe der Fan bei dieser bedenklichen Entwicklung auf der Strecke, so die Studienautoren.

Zurück zum 10. November 2001 in Buenos Aires. Diego Maradona hält im Stadion La Bombonera im Konfettiregen seine Abschiedsrede vor 50 000 Fans, die ihrem Idol huldigen. Maradona bedankt sich »beim Fußball« und er wünscht sich, dass dieses Fest für ihn nie zu Ende gehen wird. Fußball, so Maradona, ist der schönste und ehrlichste Sport der Welt. Und wenn jemand im Fußball Irrwege geht, dann liegt das nicht am Fußball. Das sagt ein ganz Großer des Fußballsports, der es wissen muss – unter Tränen.

Am Ende gewinnt das Geld

In diesem Buch kommen auch bekannte Protagonisten der Fußballbranche zu Wort und erklären ihre Sicht der Dinge, wenn es um das Thema Profifußball geht. So zum Beispiel Dietmar Hopp. Der Name des SAP-Gründers und Stifters ist untrennbar mit der TSG 1899 Hoffenheim verbunden. Dem Verein, den der Mäzen Hopp in die Bundesliga verhalf. Dietmar Hopp ist auch heute noch mit Leib und Seele dem Fußball verbunden. »Wenn wir ein Spiel verlieren, dann schlafe ich schlechter und träume von dem Mist. Fußball ist noch immer der Sport, der mir am meisten Spaß macht. Selbst wenn es nur Torwandschießen ist. Oder ich mit den Enkeln im Garten spiele. Ich habe mit Überzeugung und Weitsicht investiert«, sagt er in unserem Gespräch. Doch er macht sich auch Sorgen um den Profifußball. »Die Summen, die da im Spiel sind, verleiten eben auch zur Unehrlichkeit. Dem muss begegnet werden. Ich hoffe, dass die zuständigen Verbände ihrer Wächterfunktion da etwas besser gerecht werden können, als dies bislang der Fall zu sein scheint«, fordert er ein.

Einen Blick auf die Profifußballer aus Arbeitnehmersicht wirft Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV). Er räumt mit Vorurteilen auf. »In Relation zur großen Masse der Fußballer kommen nur sehr wenige Spieler in den Genuss von Millionengehältern. Stellen Sie sich einen Eisberg vor: Die kleine Spitze ragt aus dem Wasser heraus und wird gesehen. Die breite Masse treibt quasi unsichtbar unter der Wasseroberfläche«, stellt er fest. Über das Innenleben eines Profifußballers berichtet Simon Rolfes. Der ehemalige Profifußballer und Nationalspieler kennt die zwei Seiten einer Medaille im Fußballgeschäft, denn heute ist er Manager beim Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen.

Peter Peters, Vorstand des Bundesligisten FC Schalke 04, glaubt an die Faszination und den Erfolg des Fußballs, wenn er sagt: »Der Fußball hat sich in den letzten 30 Jahren enorm entwickelt. Wenn man sich allein die wirtschaftlichen Zahlen und die Reichweite heute im Vergleich zu früher anschaut, sieht man, dass der Fußball nach wie vor boomt und so viele Menschen weltweit erreicht wie nie zuvor.«

Den Kapitalmarkt und den Profifußball hat Lars Figura in unserem Gespräch im Fokus. Der ehemals erfolgreiche Leichtathlet und Fußballtrainer ist heute Partner der internationalen Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). Für ihn steht fest, dass der Fußball mittlerweile auch für institutionelle Anleger ein interessantes Investment sein kann. Figura sagt auch: »Geld schießt keine Tore, aber am Ende gewinnt das Geld.« Mit Katja Kraus kommt eine weitere renommierte Persönlichkeit des deutschen Fußballs zu Wort. Sie war die erste Frau im Vorstand eines Bundesliga-Vereins. Bei ihrem Engagement beim Hamburger SV setzte sie wichtige Akzente. Aus der Welt der (Fußball-) Medien berichtet im Gespräch der langjährige Sportjournalist Andreas Kötter. Und Arjan Sissing, Senior Vice President Group Brand Marketing der Deutschen Post DHL Group, gewährt uns im Interview einen Blick ins Sportsponsoring.

In diesem Jahr wird der Fußball einmal mehr im Fokus stehen. Denn die Fußballeuropameisterschaft beginnt in wenigen Tagen. Diesmal steht dieser Wettbewerb unter ganz besonderen Vorzeichen, denn zum 60. Mal wird die Europameisterschaft ausgetragen. In nicht weniger als zwölf Ländern finden die Spiele statt – ein Novum. Milliarden Zuschauer werden die EM live im Stadion oder weltweit im TV verfolgen. Was bleibt?

Trotz aller Skandale und schmutzigen Geschäfte, die im Profifußball dankenswerterweise immer wieder an das Tageslicht befördert werden, die Faszination dieses Spiels wird trotzdem immer wieder die Menschen in ihren Bann ziehen – daran wird sich nichts ändern.

2 Der Markt

Auf der Suche nach dem großen Geschäft