Von der Freiheit eines Christenmenschen
Von der Freyheyt eynisz Christen menschen
Martin Luther war ein deutscher Augustiner-Mönch, Professor der Theologie und der geistige Urheber der Reformation. Er wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren. Nach dem Schulbesuch im benachbarten Mansfeld und an der Magdeburger Domschule schickten ihn seine Eltern von 1498 bis 1501 auf die Pfarrschule zu St. Georgen in Eisenach, wo er vor allem seine Lateinkenntnisse vervollkommnete.
Anschließend besuchte Martin Luther die Universität Erfurt, studierte die „Septem artes liberales“ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) und erwarb dort 1505 den akademischen Grad eines „Magister Artium“. Danach begann er dort ein Studium der Rechtswissenschaften. Dieses Studium brach er ab, nachdem er am 2. Juli 1505 bei einem schweren Gewitter in Todesangst ein Gelübde ablegte, Mönch werden zu wollen. Er trat in das Kloster der Augustinereremiten in Erfurt ein und wurde 1507 zum Priester geweiht.
Ab 1508 studierte Luther Theologie in eine Klosterschule in Wittenberg, wurde 1509 „Baccalarius biblicus“ (Professor der Bibel) und begann an der Universität in Wittenberg seine Lehrtätigkeit. Nach einer Romreise (1510 oder 1511) bewarb sich Luther in Wittenberg um ein theologisches Doktorat. Im Oktober 1512 wurde Luther zum „Doctor Theologiae“ promoviert. Er übernahm den Lehrstuhl der „Lectura in Biblia“ (Bibelauslegung) an der Wittenberger Universität, den er bis zu seinem Lebensende behielt.
1517 verfasste Luther 95 Thesen, die sich kritisch mit dem damaligen Ablasshandel auseinandersetzen. Nachdem Luther in Rom angezeigt wurde, kam es 1518 zu einem Ketzerprozess in Augsburg, der aber zunächst ohne Ergebnis blieb. Erst auf dem Reichstag in Worms 1521 wurde Luther schließlich exkommuniziert und für vogelfrei erklärt. Luther erhielt Exil auf der Wartburg in Eisenach, wo er das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Diese Übersetzung und die Übersetzung des Alten Testamentes (übersetzt 1534) bilden zusammen die berühmte Lutherbibel.
Nach dem Ausbruch von Unruhen kehrte Luther 1522 nach Wittenberg zurück. Nachdem er sein Leben als Mönch beendet hatte, heiratete er dort 1525 die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Diese Eheschließung widersprach nicht seinen theologischen Grundüberzeugungen, da er den Zölibat ablehnte, die Auflösung der Klöster verlangte und die Ehe nicht als Sakrament verstand.
In der Zeit der Bauernaufstände stellte sich Luther gegen die Bauern und ihren Führer Thomas Müntzer, der ein früherer Schüler Luthers gewesen war. Nach dem Augsburger Reichstag (1530), der die Duldung des protestantischen Glaubensbekenntnisses beschloss, wirkte Luther vor allem als Seelsorger, Professor und Autor. Er versuchte mit unterschiedlichen Schriften zu theologischen und politischen Einzelfragen, den weiteren Verlauf der Reformation zu beeinflussen.
Am 18. Februar 1546 starb Martin Luther in Eisleben.
„Damit du aber deinem Verderben entrinnen kannst, gibt Gott dir seinen Sohn Jesus Christus und lässt dir durch sein lebendiges und tröstliches Wort sagen: Du sollst diesem Wort mit festem Glauben folgen und einfach darauf vertrauen. So sollen dir durch diesen Glauben alle deine Sünden vergeben, dein Verderben überwunden und du gerecht, wahrhaftig, befriedet, fromm und alle Gebote erfüllt sein, und du sollst von allen Dingen frei sein.“
„Das du aber auß dir und von dir, das ist auß deynem vorterbenn, kommen mügist, ßo setzt er dir fur seynen lieben ßon Ihesum Christum, und leßsit dir durch seyn lebendigs trostlichs wort sagen: Du solt ynn den selben mit festem glauben dich ergeben, und frisch ynn yhnvortrawen, So sollen dir umb desselben glaubens willen alle deyne sund vorgeben, alle deyn vorterben uberwunden seyn, und du gerecht, warhafftig, befridet, frum und alle gebott erfullet seyn, von allen dingen frey sein.“
Luthers Abhandlung „Über die Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahr 1520 gehört zweifellos zu den wichtigsten Texten der europäischen Kulturgeschichte. Sie stellt einen der zentralen Texte der Reformation dar und war in der lateinischen Version („De libertate christiana“) an Papst Leo X. gerichtet.
Der Traktat war eine theologische Reaktion Luthers auf die ihm angedrohte Exkommunikation. Er thematisiert den für Luthers Denken zentralen Freiheitsbegriff. Sein Verständnis christlicher Freiheit verneint dabei die Gültigkeit zentraler Elemente der katholischen Lehre und religiösen Praxis, wie sie zu seiner Zeit vorherrschten. Anders als die berühmten „95 Thesen“, die er am 31. Oktober 1517 an das Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben soll, behandelt „Über die Freiheit eines Christenmenschen“ aber keine theologische Einzelfrage („Buße“ beziehungsweise „Ablass“), sondern enthält bereits im Kern die vier bestimmenden Merkmale der lutherschen Theologie:
„Allein durch Jesus Christus“ (solus Christus): Christus als wahrer Mensch und wahrer Gott sorgt durch seinen stellvertretenden Tod am Kreuz für die Rechtfertigung des Glaubenden, die ihm im Evangelium und im Sakrament des Abendmahls zugesagt wird. Hierauf bauen die übrigen drei Prinzipien auf:
„Allein durch Gnade“ (sola gratia): Ohne eigene Leistungen wird der Mensch von Gott von seinen Sünden freigesprochen.
„Allein durch den Glauben“ (sola fide): Durch die geschenkte (nicht zu erarbeitende) Annahme Jesu Christi, wird der Mensch erlöst.
„Allein die Heilige Schrift“ (sola scriptura): Allein die Bibel stellt die Quelle des Glaubens an und des Wissens über Gott dar, nicht Bischofsversammlungen oder Beschlüsse des Papstes.
Wegen ihrer breit angelegten Konzeption ist diese Abhandlung hervorragend geeignet, um die Grundzüge des protestantischen Denkens bis in die Gegenwart hinein kennenzulernen. Gleichzeitig erhalten historisch interessierte Leser durch diese Schrift einen guten Einblick in die theologischen Triebkräfte der Reformation, die ab dem 16. Jahrhundert die westliche Kultur und die politische Landkarte maßgeblich veränderte.
Hingewiesen sei darauf, dass der luthersche Freiheitsbegriff – wie auch andere Elemente seiner Vorstellungswelt – nicht vom aktuellen Verständnis der Freiheit als eines autonomen Erkenntnis- oder Handlungssubjektes her zu verstehen ist. Luthers Denken ist zweifellos noch im Mittelalter verwurzelt, in einer Welt voller Teufel und Dämonen, dominiert vom Glauben an ewige Verdammnis beziehungsweise Erlösung. Ideengeschichtlich mag Luther durchaus einige Anstöße zum allmählichen Entstehen der aufgeklärten Moderne ab dem 16./17. Jahrhundert geliefert haben. Der wichtigste Beitrag der Reformation zu diesem Prozess war jedoch ein destruktiver: Mit der Zerstörung der jahrhundertelangen Deutungshoheit der katholischen Kirche und des exklusiven Priestertums gewannen konkurrierende Ideen sukzessive an Einfluss.
Um den Einstieg in Luthers Denken zu erleichtern, wurde eine Textfassung den aktuellen Regeln der Rechtschreibung und Grammatik angepasst – ohne Luthers Sprachkraft zu verringern oder die Bedeutung des Geschriebenen zu verwässern. Weggelassen wurde hier Luthers Widmung an den Stadtvogt von Zwickau, da diese zum inhaltlichen Verständnis der dreißig Thesen des Textes keinen Beitrag leistet. Außerdem enthält der Band zum Vergleich die transkribierte Urfassung der Abhandlung aus dem Jahr 1520 – für alle, die sich intensiver mit dem Thema beschäftigen wollen.
Wittenberg, 1520
1.
Damit wir die Gründe verstehen, die einen Christen zum Christen machen und damit wir erkennen, wie es um die Freiheit bestellt ist, die ihm Christus erworben und gegeben hat, worüber der Heilige Paulus ausführlich spricht, mache ich zunächst diese beiden Feststellungen:
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Diese zwei Aussagen sind offensichtlich: Paulus schreibt, 1. Korinther 9: „Ich bin frei in allen Dingen und habe mich für jedermann zum Knecht gemacht.“ Genauso sagt er im Römerbrief 13: „Ihr sollt niemandem zu etwas verpflichtet sein, außer dass ihr euch untereinander liebt.“ Liebe aber, die ist dienstbar und dem untertan, was sie liebt; also sagt er auch von Christus, Galater 4: „Gott hat seinen Sohn ausgesandt, von einem Weibe geboren, und dem Gesetz untertan gemacht.“
2.
Bei diesen sich widersprechenden Aussagen über Freiheit und Dienstbarkeit müssen wir wissen, dass jeder Christ aus zwei Naturen besteht, einer geistlichen und einer leiblichen. Mit Blick auf die Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt. Und wegen dieses Unterschiedes werden in der Bibel sich direkt widersprechende Aussagen über ihn getroffen, wie ich sie gerade von der Freiheit und Dienstbarkeit gesagt habe.
3.
Wenn wir den innerlichen, geistlichen Menschen betrachten, um zu verstehen, was ein gläubiger, freier Christenmensch ist, so ist es offensichtlich, dass ihn keine Äußerlichkeiten gläubig machen können, denn seine Frömmigkeit und Freiheit oder seine Bosheit und Gebundenheit sind weder leiblich noch äußerlich. Was hilft es schließlich der Seele, wenn der Leib frei, frisch und gesund ist, mag er essen, trinken, wie er will! Wiederum, was schadet es der Seele, wenn der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet! Keines dieser Dinge reicht bis an die Seele, um sie zu befreien oder zu fangen, um sie gottgefällig oder böse zu machen.
4.
Deshalb hilft es der Seele auch nicht, wenn der Leib heilige Kleider anlegt, wie es die Priester und Geistlichen tun. Es hilft einem Christen auch nicht, wenn er Kirchen und heilige Stätten besucht, auch nicht, wenn er mit heiligen Dingen umgeht, und auch nicht, wenn er leiblich betet, fastet, Wallfahrten unternimmt und alle guten Werke tut, die durch und in dem Leibe geschehen mögen. Es muss noch etwas ganz anderes geben, was der Seele Frömmigkeit und Freiheit bringt und gibt. Denn all diese erwähnten Dinge, Pflichten, Werke und Verhaltensweisen könnte auch ein böser Mensch und Heuchler besitzen, übernehmen und ausüben, womit nichts anderes als Heuchler entständen. Andererseits schadet es der Seele nichts, wenn der Leib unheilige Kleider trägt, und sich an unheiligen Orten aufhält, dort isst, trinkt, nicht betet und alle die Werke nicht ausführt, die die erwähnten Heuchler tun.
5.