John U. Brownman
Deckname Condor
ISBN 978-3-86394-874-0 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1989 bei Der Kinderbuchverlag Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Fred Westphal
© 2012 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Godern
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Die Fahrt geht nach Süden. Vorbei an dunklen Bürogebäuden und den hellen Fenstern von Apartmenthäusern. Grellbunte Leuchtschriftreklamen immer noch geöffneter Läden huschen vorbei. An Straßenecken hingeduckte Imbissbuden sind dicht umlagert. Auf besser zahlende Gäste warten Speiserestaurants mit Spezialitäten aus der ganzen Welt. Aber auch Hotels aller Preisklassen haben noch Zimmer frei. Die Millionenstadt wirkt schläfrig und wach zugleich.
Das gelbe Auto rollt zielgerichtet durch die nächtlichen Straßenschluchten Manhattans. East River und Hudson River, die die steinerne Insel umspülen, hat die Dunkelheit verschluckt.
Das Taxi will zügig die 34. Straße kreuzen. Ein Betrunkener torkelt auf den feucht glänzenden Asphalt. Der Fahrer muss scharf abbremsen. Er flucht laut, weil sein Fahrgast bei dem Ausweichmanöver nach vorn geschleudert wird.
„Alles okay?"
„Alles", kommt die lakonische Erwiderung des Mädchens.
Mit roten und blauen Lichtsignalen sowie bedrohlich heulender Sirene jagt ein Streifenwagen vorbei. Maria Gomez wendet den Kopf, drückt ihr Gesicht gegen die Heckscheibe und blickt neugierig dem davonrasenden Polizeiauto nach. Es hält auf das Theaterviertel zu. Keine Frage, denkt die Dreizehnjährige, Sheriffs von heute müssen motorisiert sein. Und hier erst recht! Zu Pferde hätten sie doch keine Chance in dieser Prärie aus Asphalt. In diesen kilometerlangen Canyons aus Betongebäuden, die hoch zum Himmel aufragen. Die die Wolken zu kratzen scheinen, wie ihnen treffend nachgesagt wird. Und wovon sich ihr Name abgeleitet hat.
Der Taxifahrer weist auf ein Buch mit buntem Umschlag, das neben ihm auf dem Beifahrersitz liegt: „Hat ein Fahrgast mir geschenkt. Und da steht drin, dass Manhattan beileibe nicht mehr die Himmlische Insel ist. Wie die Indianer vom Stamme der Manhate sie einst nannten. Bis ihnen dieser Flecken Erde für Tuche und Glasperlen im Werte von 60 Gulden abgeluchst wurde. Stimmt sicher, diese Story! Die weißen Siedler aus Europa waren an Geschäftssinn zweifellos den naiven Eingeborenen weit überlegen."
Der Mann klatscht wie zur Bestätigung seiner Worte mit der Hand auf den Buchdeckel. Den Blick auf die Fahrspur gerichtet, lacht er beinahe anerkennend:
„Eine Insel von vielleicht 5 mal 5 Meilen! Für nur 24 Dollar! Stell dir das vor! Nach dem Kurs im vergangenen Jahrhundert waren das 60 Gulden. Nimm dagegen die heutigen Grundstückspreise im Lande!"
Was soll das Mädchen darauf erwidern? Grundstückspreise haben sie noch nie interessiert. Die Indianer tun ihr höchstens leid. Heute noch. Dass deren Gutgläubigkeit brutal ausgenutzt worden war. Um sie ganz gemein und schäbig zu betrügen. Aber das wird der Mann nicht hören wollen. Also schweigt Maria Gomez lieber.
Das Heulen der Polizeisirene gellt dem Fahrer immer noch in den Ohren. Es hat in ihm Neugier wach werden lassen. Zu gerne würde er wissen, wohin der Streifenwagen fährt. Welchen Auftrag hat seine Besatzung? Sollen ein paar kleine Dealer geschnappt werden? Weil man hofft, über sie endlich an die weitaus wichtigeren Hintermänner heranzukommen? An die großen Bosse!
Das Geschäft mit dem Rauschgift läuft auch am Broadway inzwischen bestens. Es ist hier sogar ergiebiger als in den Gegenden von Brooklyn, der Bronx oder Harlem. In diesen Elendsvierteln greift man nur eher zum Stoff, aus dem die Träume des Vergessens kommen. Um wenigstens zeitweilig einer Welt mit Arbeitslosigkeit, Armut und Rassendiskriminierung zu entfliehen. Dass das Erwachen aus dem Rausch jedoch oft schmerzhafter ist als der Lebenszustand zuvor, das will natürlich niemand wahrhaben. Auch nicht die Tatsache, dass sich die Sucht von Tag zu Tag steigert. Immer mehr Geld ist zu ihrer Befriedigung erforderlich. Zu beschaffen oft nur mit kriminellen Mitteln. Und je länger der Teufelskreis der Abhängigkeit andauert, um so schwerer ist er zu durchbrechen. Wenn überhaupt noch. Die Endstation heißt häufig Zuchthaus. Oder Tod!
„Ob irgendwo ein Überfall stattgefunden hat?" Maria Gomez lenkt die Gedanken des Mannes in eine neue Richtung.
„Kannst recht haben. Vielleicht hat man eine Bank ausgeraubt? Wieder einmal! Oder hat es irgendeinen kleinen Ladeninhaber erwischt? Jedenfalls sind die Hüter der Gerechtigkeit alarmiert und über Funk zum Tatort beordert worden."
In dieser Stadt ist alles möglich. Das weiß auch die dreizehnjährige Maria Gomez. Rivalisierende Banden liefern sich auf offener Straße blutige Kämpfe. Ein führender Mafiaboss wird umgebracht. Weil der machthungrige jüngere Konkurrent dessen Platz einnehmen will.
Vor noch nicht zwei Jahren erging es einem gewissen Paul Castello so. Am 16. Dezember 1985! Die Abendnachrichten auf Kanal 7 brachten es als Spitzenmeldung: Man habe den 70-Jährigen brutal niedergeschossen, als er um 5 Uhr 26 nachmittags das Restaurant „Sparks Steak House" in der 46. Straße betreten wollte, um sein Abendessen einzunehmen. Die flinken TV-Übertragungswagen mit ihren mobilen Videokameras sendeten live vom Tatort. Wie üblich waren sie eher als die Polizei am Ort des Verbrechens gewesen ...
Der ermordete Paul Castello hatte den Gambino-Clan angeführt. Eine der sogenannten fünf ehrbaren Familien, die den BIG APPLE beherrschen. Aber nicht nur sie sind wie Maden, die den Großen Apfel New York so ungenießbar machen. An korrupte Polizisten und Politiker wäre ebenso zu denken. Und seit Langem bedroht der sich immer mehr verschärfende Kontrast von Armut und Reichtum sein gesundes Wachstum. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann diese um sich greifende innere Fäulnis den BIG APPLE endgültig zerstört haben wird ...
„Glaubst du etwa an die Freiheit, die die im Hafen postierte Riesendame mit ihrer Fackel in der Hand seit über 100 Jahren bewacht?"
Maria zuckt erst unsicher die Schultern. Dann schüttelt sie den Kopf.
„Es waren ganz und gar nicht nur die salzigen Winde vom nahen Atlantik und ebenso wenig allein die giftigen Dämpfe der unweit gelegenen Chemiewerke von New Jersey, die unsere Eiserne Lady in der Robe rosten ließen! Dass ihr der Kopf schließlich nicht mehr fest genug auf den Schultern saß, Mädchen! Und dass in ihrem Arm, der die Freiheitsfackel hochhält, schlingpflanzenähnliche Gebilde heranwuchsen! Aber eine fast dreijährige kosmetische Operation hat ihr den äußerlichen Glanz zurückgegeben. Dabei sollte die Statue of Liberty nach dem Willen ihres französischen Schöpfers haltbar sein! Wie die Bauten der alten Ägypter!"
Maria staunt. Ihr will scheinen, der Mann am Lenkrad weiß mehr über New York als ihr Geografielehrer an der Highschool.
„Steht alles in dem schlauen Buch hier drin", dämpft der Taxifahrer ihre Bewunderung. „Auch dass dieser Monsieur Bartholdi im Antlitz der Freiheitsgöttin das Gesicht seiner Mutter Charlotte verewigte. Doch seine Voraussage über die Standfestigkeit des Denkmals erfüllte sich nicht. Leider! Die hat stattdessen wohl eher Schritt gehalten mit dem Gang unserer amerikanischen Geschichte."
Hinter den wuchtigen Schultern des mit irischem Akzent sprechenden Fahrers, die seine speckig glänzende Lederjacke zu sprengen drohen, fühlt Maria sich geborgen und beschützt. Schickt sie deshalb ein dankbares Lächeln in den Rückspiegel? Ein gutmütiges Grienen und ein verschmitztes Augenzwinkern kommen als Antwort. Mit seinem buschigen rötlichen Vollbart und der lockigen, kaum zu bändigenden Haarflut im gleichen Farbton ähnelt der Mann einem gutartigen Bären. Wer zu dieser nächtlichen Stunde nach Hause will in New York, sollte wie Maria ein Taxi benutzen. Keineswegs die SUBWAY. Und schon gar nicht den Heimweg zu Fuß antreten wollen.
Am Madison Square erreichen sie den unteren Broadway. Er führt südlich geradewegs ins Finanzviertel. Hin zur berühmten Wallstreet. Einst stand hier nur ein Palisadenwall. Er reichte vom East River bis zum Hudson River und sollte die Siedler vor Indianerüberfällen aus dem Norden schützen. Heute schlägt in dieser Gegend das Herz der internationalen Geldwirtschaft - die Börse! Westlich zum Hudson River erstreckt sich das von Touristen zu jeder Tageszeit eifrig besuchte und inzwischen unter Denkmalsschutz stehende Künstlerviertel Greenwich Village ...
Das Taxi fährt an einer reglos liegenden Gestalt vorüber. Sie scheint zu schlafen. Ein Betrunkener? Einer der immer zahlloser werdenden Obdachlosen? Maria kann durch das Autofenster nicht einmal erkennen, ob es eine Frau oder ein Mann ist.
An der Ecke Union Square stehen mehrere Farbige. Einer von ihnen spielt Gitarre. Seine Begleiter klatschen den Rhythmus und wiegen sich dazu tänzerisch in den Hüften.
Die sonst tagsüber zahlreich dahinschlendernden Passanten sind zu dieser Stunde verschwunden.
Die üblichen Rufe der Schuhputzer fehlen ebenso wie die der Souvenirverkäufer. Es ertönen auch nicht mehr die überlaut gespielten Plattenhits aus den Kompaktboxen der Radiogeschäfte und Diskotheken.
Maria Gomez weiß mit Sicherheit, dass ihr Dad sauer sein wird, weil sie so spät zu Hause landet! Sie habe einfach nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen sei!? Damit kann sie ihrem Vater nicht kommen. Soll sie ihm die Wahrheit sagen? Noch nicht! Wenn die Aufführung ein Erfolg geworden ist, dann wird sie es nachholen. Falls der ehrgeizige Versuch ihrer Musiklehrerin überhaupt gelingt, überzeugend eine Schulaufführung der WEST SIDE STORY mit zwei Klassen der Highschool auf die Beine zu stellen. Aber wenn doch - die Beifallsstürme im Saal werden kein Ende nehmen! Und voller Stolz wird Dad dann seinen Arm um ihre Schultern legen, träumt das Mädchen vor sich hin ...
Sie war mit Miss Miller und deren Freund nach der Probe noch in eine Snackbar gegangen. Alle hatten Sandwiches gegessen und dazu Juice getrunken. Maria ließ sich gern von dem jungen Tänzer bestätigen, wie trefflich besetzt er sie in der Rolle finde. Sie konnte nicht oft genug hören, dass sich ihre Stimme glänzend eigne, aber auch ihr großes tänzerisches Talent unübersehbar sei. Er, der an einem kleinen Broadwaytheater engagiert ist, habe dafür einen Blick!
Und Maria sieht sich wieder am späten Nachmittag auf der Probebühne stehen. Sie sang ihr „I Feel Pretty" aus dem 2. Akt des Musicals. In der Rolle der Heldin, die wie sie Maria heißt, bereitete sie sich auf ihr Rendezvous mit Tony vor:
„Weil ich nett bin,
Einfach nett bin,
Und adrett bin und süß und gescheit -
Tun mir Mädchen,
Die nicht ich sind, heute sehr, sehr leid.
Nette Hände
Sprechen Bände,
Nette Schultern, so weiß wie der Schnee,
Ja, am Ende
Ist Maria eine Märchenfee ..."
Ja! Eines Tages wirklich Schauspielerin sein! Und an vielen Abenden auf der großen Bühne stehen! Die besten Theaterkritiker überschlagen sich vor Begeisterung in ihren Urteilen ...
Du spinnst, Maria Gomez! ruft sich das Mädchen zur Ordnung. Träume sind Schäume!
Aber ist sie nicht eine überzeugende Maria in diesem Musical? In dieser auf dem Theater seit Jahrzehnten erfolgreichen und auch als Film weltberühmt gewordenen Geschichte. Auf der Leinwand konnte man vor über zwanzig Jahren Nathalie Wood als Maria bewundern. Ein Star inzwischen. Warum soll sie das nicht auch werden?
Miss Miller, deren Freund und Maria hatten am Abend wieder und wieder den Inhalt der WEST SIDE STORY durchgesprochen: Zwei rivalisierende Jugendbanden in einem New Yorker Elendsviertel bekämpfen sich. Eingewanderte Puertoricaner und einheimische Jugendliche stehen sich in unversöhnlichem Hass gegenüber. Es ist eine Rivalität auf Leben und Tod. Obwohl beide Gruppen unter einer ähnlichen Notlage leiden. Aber weder die JETS noch die SHARKS erkennen das. Deshalb muss auch zwangsläufig die Liebe des puertoricanischen Mädchens Maria zu einem jungen Amerikaner tragisch enden. Tödlich für Tony! Es ist die moderne Version der ROMEO UND JULIA-Geschichte. Auch bei Shakespeare kostet die Liebe einen gleich hohen Preis: Das Leben!
Was in unzähligen Hollywoodstreifen über die Liebe vorgeführt wird, das hat damit wohl wenig zu tun. Nein! Energisch schüttelt Maria den Kopf. Das kann einfach nicht jenes aufrichtige und tiefe Gefühl sein, wie es zwei Menschen füreinander empfinden. „Ist was?"
Die Stimme des Fahrers reißt das Mädchen aus seinen Träumen. Maria wirft einen Blick aus dem Seitenfenster.
„Bitte, halten Sie! Ich möchte aussteigen."
„Hier?" Es ist Besorgnis statt Neugier, die den Mann fragen lässt.
„Sind nur noch ein paar Schritte."
Beinahe ruckartig hält der Wagen. Maria winkt großzügig ab, als der Taxifahrer einen halben Dollar herausgeben will. Er braucht nicht zu wissen, dass das der Rest vom gesparten Taschengeld war. Soll er sie für die Tochter eines Millionärs halten! Aber die geben sicher mehr als nur einen halben Dollar Trinkgeld. Und die wohnen auch nicht in solchen Gegenden.
„Wirklich nur noch ein paar Schritte?" Marias Stimme klingt selbstsicher: „Mir kann nichts mehr passieren."
„Hoffentlich!" Die Männerstimme klingt immer noch besorgt.
Das Mädchen steht bereits auf der Straße.
„Meine Tochter jedenfalls dürfte um die Zeit hier auch nicht einen Schritt alleine machen", knurrt es aus dem roten buschigen Bart.
„Aber das berühmte 9. Polizeirevier mit Lieutenant Theo Kojak befindet sich doch in der Nähe", erinnert Maria lächelnd an eine bekannte Krimiserie.
„Ach komm, Baby! Der Lollyball lutschende Glatzkopf ist nichts weiter als ein TV-Detectiv. Diese Werbung für clevere Bullen bezahlt nicht etwa Coca Cola, sondern das New Yorker Polizeihauptquartier! Nur auf der Mattscheibe hat dieser Kojak seinen erfolgreichen Einsatz in Manhattan. Im wirklichen Leben aber ... - den lassen smarte Gangster doch zu Boden gehen, bevor er auch nur ..." Ein müdes Abwinken beendet den Satz. Dann braust der Wagen davon.
Stille bleibt zurück. Und eine dunkle leere Straße.
Maria Gomez schultert ihren Sportbeutel. Sie hakt die linke Hand in den Trageriemen und läuft die 14. Straße hinunter. Richtung Avenue of Americas. Es sind im Grunde nur ein paar Schritte. Doch selbst die können verdammt lang werden!
Was soll mir schon geschehen, beruhigt sich das Mädchen. Aber ganz wohl ist Maria trotzdem nicht. Ihr fällt ein, was die Polizei immer wieder Frauen rät: Sich spätabends nicht allein auf menschenleeren Straßen aufhalten! Spraydosen mit speziellem Reizgas zur Gegenwehr in Handtaschen mitführen! Noch besser: Karate können! Aber bei einem Überfall sich weder des einen noch des anderen zu bedienen! Keinen Widerstand leisten! Damit alles nicht noch schlimmer wird ...
Überlegungen, die Angst einjagen. Also sucht sich das Mädchen abzulenken. Denkt an das, was ihr gleich bevorsteht: Dads Zorn! Wie kann sie ihn besänftigen?
Aber was ist das?! Dieses Geräusch ...
Maria hat das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Sie wendet sich ruckartig um. Nichts zu sehen! Das Mädchen bleibt stehen. Wartet. Nein. Nichts zu hören. Maria geht weiter. Zögernd. Auf jeden Laut jetzt achtend. Die Spannung in ihr wächst. Und mit jedem Schritt, den sie sich vorwärts tastet, steigert sich ihre Angst. Sie verharrt erneut.
Da! Es ist nicht zu überhören, sondern ganz deutlich zu vernehmen:
Tack-tack-tack ...
Es folgt ihr. Ein regelmäßiges Klopfen. Holz auf Stein? Tack-tack-tack ... Holz auf Stein!
Es scheint sich dem Rhythmus ihrer Schritte anzupassen. Tack-tack-tack ...
Hitzewellen breiten sich aus im Körper der Dreizehnjährigen. Sie sind in jeder Pore der Haut. In jeder Nervenfaser. Der Hals ist wie zugeschnürt. Kein Hilferuf würde die Kehle verlassen können. Und selbst wenn sie ihn aus sich herauspresste - was nützt das? Beistand darf Maria nicht erwarten. Von wem auch? Noch eben erleuchtete Fenster würden sich plötzlich verdunkeln. Höchstens, dass jemand die Polizei telefonisch darüber informiert, irgendetwas Schlimmes geschehe auf der Straße ...
Das Mädchen beschleunigt die Schritte. Das seltsame Geräusch bleibt hinter ihr! Tack-tack-tack ...
Maria umkrampft den Schulterriemen ihrer Tasche. Mein Glücksbringer! Hätte ich ihn jetzt zur Hand! Mir würde dann nichts passieren! Gar nichts! Ein vogelähnliches Tier aus Stoffresten besitzt für sie eine derartige Wunderwirkung. Solange Maria denken kann, hat der Stoffvogel einen Platz auf ihrem Kopfkissen. Oder er sitzt auf dem Tisch. Wenn es Zeit ist für die Schulaufgaben. Mag die Tasche noch so vollgestopft sein, für ihn findet sich ein Eckchen! Der Vater hat sie noch bestärkt in ihrem Glauben, dass diese farbigen Flicken etwas ganz Besonderes sind! Wenn eine der Stoffnähte platzt, darf nur Dad diesen Glücksbringer reparieren. Selbst Ev Hunter, Vaters Freundin, ist es nicht erlaubt, zu Nadel und Faden zu greifen!
Gonzales Gomez hat das stets mit dem Hinweis erklärt, es handle sich um ein zu wertvolles Andenken aus der chilenischen Heimat. Diese indianische Handarbeit stelle einen Condor dar ...
Und wie oft schon hatte er gesagt: „Bei ihm ist das Herz am wichtigsten, Maria. Merke dir das! Sein Herz macht den Condor zum mutigsten aller Vögel. Nur das Herz erlaubt es ihm, sich über die Kordilleren zu erheben. Dass man denken könnte, beim Fliegen streife er die Wolken. Und glaube mir, Kind, dein Stofftier kann sogar sprechen. Das hat mit Zauberei nichts zu tun ..." Ein seltsam wissendes Lächeln glitt bei diesen geheimnisvollen Worten über das Gesicht des Vaters.
Wann immer Dad das sagte, kam er Maria wunderlich vor. Und doch wäre sie froh, hätte sie in diesem Augenblick ihr Maskottchen zur Hand. Aber der Talisman ruht vergraben in dem Sportbeutel. Unter Gymnastikanzug, Ballettschuhen, Waschzeug, Handtuch. Und - jetzt ist weder die Zeit noch der Ort, ihn hervorzukramen.
Überdeutlich registriert Maria das kleinste Geräusch aus der Dunkelheit. Nicht das Miauen einer Katze jagt ihr Furcht ein. Nicht das Quietschen der Feuerleitern an den Außenwänden der Häuser - es ist dieses geisterhafte Klacken von Holz auf Stein:
Tack-tack-tack ...
Das Mädchen wagt nicht noch einmal, stehenzubleiben und sich umzusehen. Die Schritte werden schneller. Aber das Pochen passt sich diesem Tempo an! Maria läuft. Sie schwört, nie wieder abends allein nach Hause zu kommen. Und zu so später Stunde. Nun erst begreift Maria die ständige Angst und Sorge des Vaters. Sicher wartet er voller Ungeduld und Unruhe vor dem Hauseingang ...
Die Straße liegt ausgestorben da. Kein einsamer Spaziergänger irgendwo. Niemand, der seinen Hund ausführt. Die Riesenstadt scheint endgültig verstummt zu sein. Das Mädchen hastet weiter.
Tack-tack-tack ...
Plötzlich schöpft Maria Hoffnung. Sie erblickt ein Auto. Es parkt mit abgeblendeten Lichtern. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ist ihr dieser Wagen in den vergangenen Tagen nicht schon einige Male aufgefallen? Oder täuscht sie sich? Zufall! Aber warum nicht daran glauben? Hilfe in höchster Not! Das Gedächtnis des Mädchens arbeitet wie eine Filmkamera - das Auto stand vor ihrer Schule! Sie sah es auch am Central Park! Wo sie mit Klassenkameraden joggen war und alle anschließend auf dem Rasen ein Picknick gehalten hatten! Der Wagen parkte einmal sogar am helllichten Tage vor dem Nebenhaus! Das Erinnerungsvermögen der Dreizehnjährigen reiht Bild an Bild ...
Keine zwanzig Yards! spricht sich Maria Mut zu. Dann habe ich es geschafft!
Dem Mädchen peitscht eine grelle Helligkeit entgegen! Die aufgeblendeten Scheinwerferaugen des Autos! Maria bleibt erschrocken stehen. Hat das Empfinden, erblindet zu sein. Mit der rechten Hand sucht sie ihre Augen abzudecken.
„Maria! Vamos!"
Der Befehl zwingt das Mädchen vorwärts. War es Dads Stimme? Oder hat jemand hinter ihr diese Worte gerufen? Maria weiß darauf keine Antwort. Aber sie gehorcht dem Kommando. Es muss Dad gewesen sein. Allein mit ihm spricht sie Spanisch, ihre Heimatsprache ...
Ein Motor heult auf! Aber der Wagen startet Sekunden zu spät. Maria hat den Hauseingang erreicht. Sie schlüpft hinein und drückt die schwere Tür hinter sich ins Schloss ...
Atemlos steht das Mädchen kurze Zeit danach vor der Wohnung. Während Maria mit fahrigen Bewegungen versucht, die Schlüssel im Sportbeutel zu finden, wird die Tür aufgerissen. Im warmen Schein der Flurlampe zeigt sich eine hochgewachsene hagere Gestalt. Aufregung und Unruhe prägen den Gesichtsausdruck des vierzigjährigen Mannes. Er zieht Maria hastig in den Korridor, schließt hinter ihr die Tür und schiebt einen Riegel vor. Und noch einen. Ein schwarzer Kasten mit zwei Schaltern ist an der Wand befestigt. Vor wenigen Tagen erst ist diese neue Alarmanlage eingebaut worden. Mit einem zweimaligen Schalten setzt der Mann sie in Bereitschaft.
Maria sieht ihrem Dad die Erleichterung an, sie endlich wohlbehalten bei sich zu wissen. Das sonst streng zurückgekämmte und gescheitelte dunkle wellige Haar hängt ihm in feuchten Strähnen wirr am Kopf. Schweißtropfen perlen auf der Stirn. Sonst für korrekte Kleidung bekannt, trägt der Mann weder Sakko noch Schlips. Die Hemdbrust weit geöffnet - so kennt Maria ihren Dad nicht! Aber es gab bisher keine solche Situation ...
„Wenn du wüsstest, wie froh ich bin, Kind!" Ein Aufatmen begleitet die mit heiserer Stimme gesprochenen Worte.
Der Vater streicht seiner Tochter liebevoll über das Haar. Maria schmiegt sich fest an ihn. Sie fühlt sich geborgen.
Gonzales Gomez blickt der Tochter nach, die zum Flurspiegel geht. Sie lässt den Sportbeutel achtlos neben sich auf den Fußboden plumpsen.
Der Mann schüttelt den Kopf. Es ist ihr einfach nicht beizubringen! Doch dann lächelt Gonzales Gomez. Weiß er, dass man niemanden zur Ordnung zwingen kann? Dass jeder sie auf eigene Weise für sich akzeptieren muss?
Das Mädchen beschaut sich im Spiegel. Es wirft dem seitenverkehrten Zwilling einen koketten Blick zu. Maria Gomez scheint mehr als zufrieden mit dem, was sie sieht. Von der ausgestandenen Furcht keine Spur mehr! Ein unruhiges Gefühl höchstens - das Mädchen nickt dem Ebenbild aufmunternd zu: Da kann Dad oft und lange predigen - uns stehen Hosen gut! Was, Maria zwo?! Ich sei alt genug, mich fraulicher zu kleiden!? Gut, auch Ev Hunter ist dieser Meinung. Und das will was heißen! Von Mode hat Dads Freundin Ahnung. Trotzdem! Ich will keine Kleider oder Röcke tragen! Du etwa? befragt Maria ihren Spiegelzwilling. Hosen kleiden uns! Und Jeans erst recht! Da kann einer sagen, was er will! Bei unserer knabenhaften Figur, was, Maria zwo!? Dass das T-Shirt sich über dem Oberkörper spannt, na und? Da kaufen wir in Zukunft eine Nummer größer! In einem Kleid sehen wir doch geschossen aus - oder?! Zu den langen schwarzen Haaren, in der Mitte madonnenhaft gescheitelt, können wir auch mal ein Kleid anziehen. Meinetwegen. Keine Frage. Nur ...
„Das war das erste und das letzte Mal, Maria!"
Die Stimme des Vaters klingt streng. Im Gegensatz dazu steht ein hilfloses Lächeln in seinem Gesicht. Maria weiß jetzt, dass es nicht Dad war, der ihr befohlen hatte, wegzulaufen. Aber - wer dann?
Maria erwartet eine Strafpredigt. Wie soll das Mädchen ahnen, dass sein leichtsinniges Verhalten gar nicht zur Debatte steht? Es geht um Ereignisse, die in engem Zusammenhang mit der zwangsläufigen Loslösung von der chilenischen Heimat stehen. Vor fast anderthalb Jahrzehnten. Und sie betreffen Gonzales Gomez und Maria gleichermaßen.
„Höre mir jetzt gut zu!"
„Ja, Dad?"
Gomez lehnt sich mit dem Rücken an die Wand, als brauche er Halt. Er mustert nachdenklich und prüfend das Mädchen. Jetzt ist es soweit, denkt der Vater. Die Stunde der Wahrheit! Selbst wenn er nicht alles preisgeben kann und will, was er zu wissen glaubt.
„Als du hereinkamst, Maria, hattest du Angst! Ich habe es dir angesehen!" Er packt die Tochter bei den Schultern: „Gib es zu!"
„Du tust mir weh, Dad!"
„Ist dir etwas aufgefallen? Sag mir alles! Auch wenn du es für unwichtig hältst ..."
Warum ist Vater derart erregt? Für Maria wird alles noch geheimnisvoller. Ihre Verwunderung und Unsicherheit nehmen zu. Die Dreizehnjährige sucht durcheinanderpurzelnde Gedanken zu ordnen. Soll ich Dad von dem Auto erzählen? Aber ihr war nicht nur dieser Wagen aufgefallen, auch jener hinkende Mann! Mehrfach hielt er sich in ihrer Nähe auf. Einmal hatte der Hinkende ihr sogar zugelächelt! Suchte er ihr Vertrauen zu gewinnen? Der Unbekannte muss in Dads Alter sein. Er hat einen Schnurrbart. Die bräunliche Tönung seiner Haut erinnert gleichfalls an den Vater. Und beim Gehen stützt er sich auf einen Stock mit geschnitztem Griff.
Maria stutzt. Ein hinkender Mann mit Gehstock! Schlurfende Schritte! Das Geräusch!! Dieses Tack-tack-tack!!!
Natürlich! Ein Hinkender mit seinem Stock hatte sie verfolgt. Aber was wollte der von ihr!? Hatte er ihr nicht auch befohlen, wegzulaufen, bevor das Auto sie erreichte!? Weshalb nur?
Ein Telefon schrillt. Das Klingelgeräusch durchbricht ihr Schweigen. Mit schnellen Schritten nähert sich Gonzales Gomez dem Apparat. Er greift zum Hörer:
„Ja, bitte!?"
Das Gesicht wird beherrscht von wachsamer Aufmerksamkeit. Sie schlägt um in Erleichterung und Freude. „Ev!?" Und mit einem besorgten Seitenblick auf Maria sagt Gomez:
„Ja, sie ist inzwischen hier. Alles in Ordnung!"
Der Mann presst den Telefonhörer ans Ohr. Er wirkt ruhig und sicher: „Ja, ich spreche mit ihr. Natürlich mache ich ihr das unmissverständlich klar ..."
Aber schon ist sie wieder da - diese Unruhe! Gonzales Gomez scheint für Sekundenbruchteile verändert. Ebenso schnell fasst er sich: „Leg dich schlafen, Ev! Du hast einen schweren Tag vor dir. Wir sehen uns morgen! Gute Nacht."
Marias Vater beendet das Telefonat mit einem Lächeln. Sein Gesicht entspannt sich.
Die Tochter atmet auf. Klar! Ev Hunter macht's möglich! Da fährt Dad stets drauf ab! Aber auch für Maria ist die in der Werbung tätige junge Frau zu einer wichtigen Bezugsperson geworden. Zu Freundin, Schwester und Mutter in einem ...
„Du wartest noch so lange, bis dir ein anderer Ev kurz entschlossen ausspannt, Dad. Sie auf der Stelle heiratet."
Hinter dieser ablenkenden Prophezeiung verbirgt das Mädchen ernsthafte Besorgnis.
„Du kennst doch das Problem", geht der Vater überraschend auf dieses Thema ein. Er gedenkt offenbar nicht, das Gespräch über Marias späte Heimkehr fortzusetzen.
Die Tochter hat sich schon oft gefragt, warum Dad die attraktive Ev Hunter nicht heiratet. Eines Tages hatte das Mädchen den Grund erfahren: Dads erste Frau willigt nicht in eine Scheidung ein. Obwohl Mercedes und er schon sehr lange getrennt voneinander leben. Bald nach Marias Geburt war der Vater mit ihr in die USA übergesiedelt, Mercedes Gomez dagegen in Chile geblieben. Die Eltern haben sich seit 1973 nicht mehr gesehen. Auch auf brieflichen Kontakt verzichtet ...
Maria Gomez ist zwischen Betonschluchten aufgewachsen. Ihre chilenische Heimat kennt sie nur von geschönten Hochglanzfotografien. Immer wieder hat der Vater ihr von Landschaft und Leben dort erzählt. Nie von der Mutter gesprochen! In Manhattan wechselten sie mehrmals die Wohnung. Manchmal von einem Tag zum andern. Ihr Dad mietete stets eingerichtete Apartments. Daher hatten sich persönliche Sachen kaum angesammelt. Für jeden Umzug genügten einige Koffer, Kisten und Kartons.
Die ersten acht Lebensjahre hat das Mädchen in der Nähe des Central Park gewohnt. An der Grenze zu Harlem. Mit Kindern aus dem nahe gelegenen Negerviertel schloss Maria schnell Freundschaft. An die Zeit erinnert sie sich besonders gern. In dem großzügig vor über hundert Jahren angelegten Grüngelände ließ sich herrlich spielen. Zahlreiche Wander-, Radfahr- und Reitwege durchziehen den Park mit seinen Liegewiesen, Bootsteichen und vielen Bäumen. Diese grüne Lunge von etwa drei Meilen Länge und einer halben Meile Breite liegt im Herzen Manhattans. Sie ist zentraler Treffpunkt und Erholungsort für alle Bewohner der Riesenstadt New York.
An heißen Sommertagen fanden auf einer Freilichtbühne im Central Park viele Veranstaltungen statt.
Einmal war auch eine Gruppe chilenischer Künstler aufgetreten. Aber nicht auf der großen Freilichtbühne. Nein, irgendwo im Parkgelände. Maria und Gonzales Gomez kamen zufällig hinzu. Während eines Spaziergangs. Dad hatte nur Augen für die junge Sängerin der Truppe gehabt. Aber sein Gesicht war traurig gewesen. Nach den Protestliedern gegen die in Chile herrschenden Militärs folgte eine Geldsammlung. Der Vater spendete 50 Dollar!
Über sein Leben in Chile hat Gonzales Gomez nie mit der Tochter gesprochen. Sie führt das auf seine Trennung von der Ehefrau zurück. Das Mädchen kann sich diese Mercedes Gomez nicht als Mutter vorstellen. Um so mehr wächst ihre Neugierde. Doch Dad verstummt, sobald sie ihn auszuforschen beginnt. Maria weiß, dass ihr Dad Teilhaber eines kleinen Buchversandunternehmens ist. Sein Partner ist der Amerikaner Lionel Armstrong. Die Firma hat sich auf spanischsprachige Literatur spezialisiert. Von Autoren aus lateinamerikanischen Ländern. Auch persönlich schätzt der Vater Bücher sehr. Er bevorzugt jedoch Kriminalromane; beispielsweise den Klassiker der Detektivliteratur Edgar Allan Poe. Auch die Tochter liest seit Langem gerne. Das wundert nicht - wie zufällig vergisst der Vater stets auf ihrem Nachttisch ein Buch ...
„Ich muss dir noch etwas sagen, Maria", nimmt Gonzales Gomez zögernd das Gespräch wieder auf.
„Ich höre, Dad."
„Ab morgen brauchst du nicht mehr zur Schule!"
„Was???"
„Zumindest vorerst nicht."
„Ein Witz, stimmt's?"
„Nein." Der Vater sagt es ganz ruhig.
„Das ist unmöglich!", widerspricht erregt die Tochter. „Ich soll die Hauptrolle in einer Schulaufführung spielen, Dad! Die Maria in der WEST SIDE STORY. Wir haben jeden Tag Probe. In etwa sechs Wochen ist Premiere!"
„Ohne dich. Du darfst mir glauben, es tut mir leid."
„Das sagst du nicht im Ernst!" Nur mühsam hält Maria Tränen zurück.
„Das muss sein!" Es ist Gomez anzusehen, wie schwer es ihm fällt, der Tochter wehzutun. Marias Traurigkeit und Wut sind stärker als jede Einsicht und schlagen in Trotz um: „Ich gehe doch!"
„Auf keinen Fall!"
„Aber warum denn nicht?!" Die Frage des Mädchens ist ein hilfloser Schrei.
Der Mann schweigt. Tiefe Falten kerben seine Mundwinkel. „Sag wenigstens - warum, Dad?!"
Auf die Frage erfolgt keine Antwort. Maria beginnt zu begreifen, dass Dads Anordnung keine Bestrafung sein soll. Hat es mit dem heutigen Abend zu tun? Mit ihrem Zuspätkommen ...
„Ich verspreche, Dad, das passiert nicht noch einmal! Okay?"
„Wir fahren weg, Maria. Ich nehme mir frei."
„Urlaub? So plötzlich!?"
„Kein Urlaub!"
Maria glaubt plötzlich zu wissen, was Sache ist. Sie lacht freudig erregt auf:
„Ev kommt mit, ja!? Eure Hochzeitsreise, stimmt's?! Ist es das? Habt ihr euch endlich entschieden? Das wolltest du mir nur nicht verraten?!" Die Dreizehnjährige sprudelt, ohne innezuhalten, ihre Worte heraus. Und vollführt einen Freudentanz. Natürlich! Das ist es!
„Nein, Maria", sagt der Mann leise. „Es geht um Leben oder Tod! Frag nicht weiter. Noch kann ich dir nicht alles sagen ..."
Gonzales Gomez schließt müde die Augen. Seine Gesichtszüge sind von seelischer Erschöpfung gezeichnet.
Um Leben oder Tod!? Es ist nicht Dads Art, leichtfertig so etwas auszusprechen! Maria weiß das. Es muss schlimm stehen!
„Geh schlafen, Kind! Es ist spät. Morgen sehen wir weiter. Okay?"
Das soll beruhigend klingen, spürt das Mädchen. Dad gibt sich echt Mühe, überzeugend zu wirken. Um Leben oder Tod? Wie kann ich jetzt noch ruhig schlafen?! Benommenheit packt Maria. Sie wendet sich stumm ab und geht mit beinahe mechanischen Schritten in ihr Zimmer.