Die Erde ist eine Kugel. Eine nicht ganz runde Kugel. Nicht so rund wie eine Marzipankartoffel oder eine Rumkugel, sondern eher wie ein Kürbis.
Und glatt ist die Kugel auch nicht, sondern etwas holperig; wegen der Berge und der Täler, der Wälder und der Wolkenkratzer.
Auf der Erdkugel gibt es so viel Wasser, dass nicht einmal eine Milliarde Eimer reichen würde, um alles auszuschöpfen. Nicht einmal eine Milliarde Rieseneimer würde dafür reichen. Das meiste Wasser ist Salzwasser und es heißt Weltmeere. Die Weltmeere sind so riesig, dass die Menschen noch nicht jeden Winkel darin erforscht haben.
So gibt es mitten in den Weltmeeren auch heute noch Inseln, die kaum ein Mensch kennt. Auf einer dieser Inseln leben Wesen, von denen jeder schon gehört oder gelesen hat, aber ob je ein Mensch sie schon gesehen hat? Wahrscheinlich nicht, denn diese Wesen verlassen ihre Insel nur sehr selten.
Es ist die Insel der Drachen.
Dort leben viele verschiedene Drachen. Manche sind sehr groß. So groß wie zwanzig Elefanten und so hoch wie drei Giraffen. Andere sind nur halb so groß, und wieder andere sind ziemlich klein, jedenfalls aus Drachensicht betrachtet.
Und ganz winzige Drachen gibt es auch. Die größten Drachen sind die Meeresdrachen, denn im Meer ist genug Platz, und da macht es nichts, wenn die Drachen sehr groß sind.
Wenn sie nicht gestört werden, sind die Meeresdrachen sehr friedliche Wesen. Sie können tiefer tauchen als jeder Fisch, tiefer sogar als der Pottwal, und der ist der berühmteste Tieftaucher der Welt.
Wie gesagt, der Meeresdrache ist sehr friedfertig. Allerdings gibt es zwei Dinge, die er überhaupt nicht mag: die große Seeschlange und kreischende Schiffsschrauben. Da kann er sehr ungemütlich werden.
Manche Drachen sind aber überhaupt nicht friedlich. Sie haben messerscharfe Zähne und fressen alles, was sie erwischen können.
Diese so genannten Fressdrachen sind sehr gefährlich und beinahe alle Lebewesen auf der Dracheninsel fürchten sich vor ihnen. Nur wenige Inselbewohner haben keine Angst vor den Fressdrachen.
Die Feuerdrachen zum Beispiel. Die haben überhaupt keine Angst vor den Fressdrachen. Feuerdrachen werden auch Königsdrachen genannt.
Sie können nämlich nicht nur Feuer speien, sondern auch fliegen. Und schwimmen können sie auch. Feuerdrachen sind die friedlichsten aller Drachen, was ja klar ist, denn sie brauchen niemanden zu fürchten, außer dem Höhlenungeheuer, das in den Bösen Buckeln wohnt. Davon werdet ihr in diesem Buch noch mehr erfahren.
Feuerdrachen fressen keine anderen Tiere, sondern nur Pflanzen, und am liebsten fressen sie geröstete Kokosnüsse.
Niemand weiß, wie alt ein Feuerdrache wird. Wahrscheinlich ururalt. Dass ein Feuerdrache ururalt ist, merkt man daran, dass seine Feuer- und Flugkraft nachlässt und seine Haut allmählich faltig wird, wie zerknülltes Papier.
Hier seht ihr den kleinen Feuerdrachen Kokosnuss und seinen Vater Magnus. Kokosnuss übt gerade das Feuerspeien.
Jetzt fragt ihr euch vielleicht, warum es ein ganzes Buch über den kleinen Kokosnuss gibt – dieser kleine Drache ist sehr schlau, sehr mutig und vor allem sehr neugierig. Und wer schlau ist und mutig und neugierig, der erlebt eine Menge Abenteuer.
Und über einen, der eine Menge Abenteuer erlebt, wird eben manchmal ein Buch geschrieben.
Der Wal Kasimir
Das allererste Abenteuer
Eigentlich führen Feuerdrachenkinder ein ganz ähnliches Leben wie Menschenkinder. Auch sie müssen zur Schule – zur Flugschule und zur Schwimmschule.
Wenn der Frühling die Insel mit einem Meer von bunten Blumen und dicken grünen Blättern überzieht, dann spielen Kokosnuss und die anderen Drachenkinder am liebsten Kokosnussboule. Dabei müssen sie nur aufpassen, dass die große Luzie ihnen die Kokosnüsse nicht wegschnappt. Luzie ist eine ziemlich verfressene Langhalsdickbauchdrachin. Sie kann zwar nicht fliegen, aber ihr Hals und ihre Zunge sind so lang, dass sie Kokosnüsse direkt aus der Luft schnappen kann.
Nach dem Frühling kommt der Sommer und der ist heiß. Die Feuerdrachen verbringen im Sommer die meiste Zeit am Strand. Entweder unter den Palmen oder am Wasser. Und weil die ganz großen Drachen nicht unter die Palmen passen, bauen sie sich schöne, große Sonnenschirme aus Palmenblättern, damit sie auch Schatten haben.
Im dritten Sommer seines Drachenlebens muss ein Feuerdrachenkind schwimmen lernen, ob es will oder nicht. Schwimmen ist eben wichtig und Tauchen auch. Nur die ganz kleinen Drachen dürfen noch Schwimmringe benutzen.
Nach dem Sommer kommt der Herbst. Er ist meistens ziemlich warm und auch ganz kurz. Ein kräftiger Wind fegt dann über die Insel. Im Felseichenwald, gar nicht weit von den Drachenhöhlen entfernt, fällt dann so viel Laub zu Boden, dass die Drachenkinder dort wunderbar Verstecken spielen können.
Meist folgt dem Herbst wieder der Frühling, denn auf der Dracheninsel gibt es nur ganz, ganz selten einmal einen Winter. Palmen und Dschungel vertragen sich nämlich nicht besonders gut mit dem Winter und die Drachen mögen ihn schon gar nicht.
In diesem Jahr aber wird der Herbst immer herbstlicher, der Wind immer kühler, dann wird er kalt, dann sogar sehr kalt und bald herrscht klirrender Frost auf der Insel. Es dauert nicht lange, da fallen die ersten Schneeflocken vom Himmel.
»Was ist das denn?«, fragt Kokosnuss erstaunt.
»Schnee«, sagt Magnus. Er packt gerade die große Reisetasche. Das machen alle Drachen, die fliegen können, denn bei Schneefall ziehen sie zur Sommerinsel in die südliche Südsee. Dort fällt nämlich garantiert kein Schnee.
Und die kleinen Drachen, die noch nicht fliegen können? Die müssen auf der Dracheninsel bleiben, bei der alten Fluglehrerin Proselinde. Bei ihr müssen sie dann den ganzen Winter über Fliegen üben, und das ist nicht gerade lustig, denn Proselinde ist streng und versteht überhaupt keinen Spaß.
»Das ist ungerecht!«, protestiert Kokosnuss.
»Sei nicht traurig, Kokosnüsschen. So ist das nun mal, wenn man noch nicht fliegen kann. Lerne fliegen, dann kannst du beim nächsten Mal mit zur Sommerinsel«, entgegnet Mette. Mette ist die Mutter von Kokosnuss.
»Trotzdem ungerecht!« Kokosnuss ist wütend.
Aber das nützt nichts: Die großen Feuerdrachen ziehen in den südlichen Süden und die uralten und ganz jungen Feuerdrachen bleiben auf der kalten, verschneiten Dracheninsel zurück – die alten bleiben, weil ihre Flügel lahm geworden sind, und die jungen bleiben, weil sie eben noch nicht fliegen können.
Und dann ist Flugunterricht angesagt.
»So«, schreit Proselinde. »Alle mal herhören! In einer Reihe aufstellen und nacheinander auf die Schanze laufen, aber zack, zack!« Proselindes Stimme klingt wie das Schrubben einer Drahtbürste durch eine löchrige Dachrinne.
Toller Winter, denkt Kokosnuss. Den ganzen Tag über war er in der Flugschule und gerade mal fünf Drachenschritte weit ist er geflogen. Missmutig schlurft er zur Bucht hinunter.
Der Mond spiegelt sich auf dem Meer, das ganz ruhig und riesig und dunkel vor ihm liegt wie ein großes blaues Tuch. Da plötzlich zerteilt sich die Wasseroberfläche und etwas Weißes schwimmt direkt auf ihn zu. Kokosnuss erschrickt und macht einen Sprung rückwärts.
»Hab keine Angst«, sagt das große weiße Ding.
»Ui«, Kokosnuss bringt vor Staunen erst kein Wort heraus. »Ein Riesenfisch!«, flüstert er schließlich.
»Nein, nein, ich bin kein Fisch. Ich bin ein Wal.«
»Ein Wal?«
»Genauer gesagt bin ich ein Pottwal. Noch genauer gesagt, bin ich ein weißer Pottwal. Wir weißen Pottwale sind eine Seltenheit, ungefähr so selten wie ein Vulkanausbruch, nur nicht so gefährlich«, erklärt der Wal. »Ach ja, und ich heiße Kasimir«, fügt er hinzu.