Gerhard Engelsberger

Wunderwege

Sinngeschichten

und Impulstexte

Gütersloher Verlagshaus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Quellennachweis: Die Bibelzitate stammen aus: Lutherbibel, revidierter Text 1984,

durchgesehene Ausgabe. © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Copyright © 2015 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das Gütersloher Verlagshaus, Verlagsgruppe Random House GmbH, weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.

Umschlagmotiv: © frilled_dragon – Fotolia.com

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-11418-3

www.gtvh.de

geh staunen

nimm

ein Kind

an der Hand

lass dich

führen

Kinder

wissen

den Weg

nimm mit

einen Schirm

ein Täschchen

wenige Münzen

keinen Plan

dann geh

du wirst

dich

wundern

Inhalt

Vorwort

Adam, steh auf

Für Bibelkundige

Engel leuchten den Weg

Für Wegsucher

Die Schnecke

Für Geschwindigkeitsfans

Was ist ein Wunder?

Für Menschen, die sich noch wundern

Unterwegsmenschen

Für Menschen an Flüssen

Schutzengel

Für Menschen, die Geleitschutz brauchen

Rechtslastig

Für Menschen mit Gespür

Inselgedanken

Für Belastete

abschüssig

Für Menschen, die fliehen

Träfe ich einen (für Lukas)

Für Menschen mit Selbstzweifeln

Kraut oder Unkraut

Für Pflanzenfreunde

geh

Für Menschen mit Entdeckerlust

Keine Fragen mehr

Für Menschen mit vielen Fragen

Ein Teil des Wunders

Für Menschen, die staunen

Geh mit den Enkeln spielen, Noah (für Jona)

Für Großmütter und Großväter

ohne Absicht

Für Absichtslose

Kreuzwege

Für Menschen, die sich verloren wähnen

Kein leeres Blatt

Für Bescheidene

… dachte ich (für Paul)

Für Übelgelaunte

Platte mit 78 Umdrehungen

Für »schnelldrehende« Unsichere

Es war einmal

Für Menschen, die Alternativen lieben

Der Reißverschluss

Für Weglose

Über die Brücke gehen

Für die Forschen

In Lebenskrisen

Für Menschen, die begleitet werden

Ich bin

Für Querdenker

Nicht verirrt

Für Menschen, denen das Miteinander wichtig ist

Gebet

Für Menschen, die den Tag vor dem Abend loben

Sie hatte wenig, außer sich selbst

Für Menschen, die (fast) selbstverständlich lieben

Gefragt I

Für Menschen beim Suchen nach der Himmelsrichtung

Eines Tages

Für Menschen, die ihre Grenzen erkennen

Vater unser – Kurzfassung

Für Eilige

Suchet der Stadt Bestes

Für Hilfsbereite

Im Vorbeigehen lieben

Eine Warnung für »vorübergehend« Liebende

abseits

Für Touristen

Ich habe heilige Orte erlebt

Für Besuchende

Vom Wollen und Dürfen, vom Können und Bleiben

Für Menschen, die die Offenheit und Weite lieben

Schrumpfen und andere Heilmittel

Für Rechnerinnen und Rechner

Zur Heilung stolpern

Für Menschen ohne Uhren

… und in kürzeren Sätzen

Für Menschen mit Sitzfleisch

Gotteshaus

Für Menschen, unterwegs mit Wohnwagen

Sie stand an meiner Tür

Für Menschen, die in ihrer Krankheit vertrauen

Gefragt II

Für Wegweiser

Bruder Gott und die Demut

Für Ungeduldige

Nur ein Wort

Für Hörende

Der Tag, an dem die Fernseher Füße bekamen und das Laufen lernten

Für Fernbedienungen und ihre Bediener

Wes Geistes Kind

Für Menschen, die sich an alten Bekenntnissen orientieren

Schmetterling

Für Menschen in schlanker Schwebe

Ein Neuer ist gekommen

Für Zurückhaltende

Geleitflug ins Leben

Für Eltern

Es war an einem Mittwoch

Für Menschen über 70

Mensch Kain, warum?

Für Soldaten

Herz an Herz

Für Menschen, die Kirche (be)suchen

Gefragt III

Für Menschen – unterwegs zur »heiligen Stadt«

Die Leichtigkeit des »nebenbei«

Für Menschen unterwegs

Wir sind Bettler

Für Reisende

Mikrokosmos und Makrokosmos

Für Menschen, die am Himmel Wege suchen

Ich sah (für Amelie)

Für die Sehenden

Papierschiffchen auf dem Fluss

Für Menschen, die es nicht abwarten können

Sternstunden

Für Menschen mit Hemmungen

Jesus seilt sich ab und tankt auf

Für Menschen, die Stille suchen

Meine Liebe zu Lots Frau

Für Menschen, die widersprechen

Der Schlüsselbund

Für Menschen, die lieber Steine sammeln, als Steine zu werfen

Geheilt entlassen

Für Gekränkte

morgen

Für Sehnsüchtige

Mehr als ein flüchtiges Streicheln

Für Menschen, denen Segen zugesprochen wird

Segen

Für Menschen mit offenen Händen

Am Beispiel des Rizinus: Zwischen Ökologie und Kommunalpolitik

Für Loser

Kein Brotkönig

Für Menschen, für die Teilen Heilung bedeutet

Gleichnis

Für Hilfsbereite

Organischer Nachschub im Garten des Menschlichen

Für Naturverbundene

Ali, Anthony und andere

Für Menschen mit Freunden aus der einen Welt

Von Brunnen und Quellen

Für Menschen, die Quellwasser lieben

Ein vorsichtiges Ja

Für Menschen, die angekommen sind

Münze in kleiner Hand

Für Menschen, die teilen mit Sommerhänden

Wer uns segnet

Für Menschen, die gesegnet sind

Wie lernt man, was es heißt, Christ zu sein?

Für Menschen auf der Suche nach Wahrheit

mit Sommerhänden

Für Wintermenschen

Tisch ohne Grenzen

Für Menschen mit Heimat

Die Quelle des Lebens

Für Menschen, denen Gott ein Rätsel ist

Höre auf, dein Kind anzuhimmeln. Beginne, es zu lieben

Für Menschen, die Jesus Christus trauen

Wer steht für den anderen auf?

Für Menschen, die die Enge meiden

Agenda oder Acta

Für Menschen, die Jesu Acta vertrauen

Was am Ende bleibt

Für Zauderer

Anmerkungen

Vorwort

Wanderwege und Wanderführer gibt es millionenfach.

Wunderwege, gar Wunderführer sind äußerst selten.

Die Schriften der Religionen sind Kostbarkeiten.

Die Bibel ist mir der wichtigste Wunderführer.

Der Mann aus Nazareth, so die übereinstimmende Meinung seiner Zeitgenossen, ging Wunderwege. Ihnen zu folgen ist eines der Ziele dieses Buches.

Dabei bin ich mir gewiss, dass Wunderwege von Haus zu Haus führen, Mensch und Mitmenschen verbinden. Wunderwege sind kunterbunt, gehen kreuz und quer, vor und zurück, widerstehen gelegentlich dem »Fort-Schritt«. Natürlich gibt es darunter auch Umwege. Aber sie führen immer von Tür zu Tür.

Jesus war kein Heiler, den man bestellen konnte.

Seine Wege waren bekannte Wege. Wege, die von vielen gegangen wurden. Seine Schritte waren kurz. Er hat nicht »weit-ausgreifend« geheilt.

Jesus war ein Weg-Mensch. Ging zu den Menschen. War ein Unterwegs-Heiler.

Jesus war ein Jahr unterwegs. Eines der Evangelien erzählt von drei Jahren.

Siddharta Gautama (Buddha) blieb 45 Jahre am Ufer des Neranjara-Flusses bei Bodhgaya unter einer Pappelfeige sitzen.

Mohammeds Hidschra dauerte jahrelang.

Man kann daraus keine »religiöse Pflicht« ablesen: Bleiben und Gehen sind offensichtlich dem einen Gott zweitrangig.

Wunder, das werden wir in diesem Buch entdecken, darf man nicht verwechseln mit Zauberei. Wunder haben eine Tiefendimension, die die Seele erreicht. Wo beim Zaubern allenfalls das Rätsel hinter dem Trick offen bleibt, lässt das Wunder eine verwandelte Seele zurück. Als ob für einen kürzesten Augenblick das Innerste nach außen gekehrt gewesen wäre. Weil Wunder diese Tiefendimension haben, bleiben sie auch »innen« haften. Es bleibt so etwas wie ein »Nachleuchten«.

Mehr und mehr junge Eltern rechnen mit Schutzengeln für ihre Kinder. Sie scheinen die Wunderwege auszuleuchten. So möchte auch ich wieder klein beginnen: Ich darf das zusammen mit vier Enkeln, mit Lukas, Amelie, Jona und Paul, denen ich viele Wunderwege und die nicht nachlassende Fähigkeit, zu staunen, wünsche. Ihnen seien die »Wunderwege« gewidmet.

Gerhard Engelsberger, im Advent 2014

Da erschien der Engel des Herrn

dem Josef im Traum und sprach:

Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter

mit dir und flieh nach Ägypten …

Da stand er auf

und nahm das Kindlein

und seine Mutter mit sich

bei Nacht und entwich nach Ägypten.

Matthäus 2,14

Adam, steh auf

Adam

jetzt

endlich wirst du der Fesseln ledig

deine Füße stehen auf weitem Raum

der Engel vor dem Paradies hat sich zurückgezogen

deine Kinder opfern auf einem gemeinsamen Altar

Eva spielt mit ihren Enkeln am Nest der Natter

Menschen gehen ihre Wege ohne Kainsmal

niemand wird verfolgt wegen der Sünde der Väter

Mauern fallen

keiner bewacht Brücken

ein jeder gibt mit Sommerhänden

Adam

steh auf

Für Bibelkundige:

Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. … Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. (1. Mose 3,21.24)

Engel leuchten den Weg

Er trägt im Matthäusevangelium keinen Namen.

Er ist (nur) »der Engel des Herrn«.

Er kennt die Gefahr.

Er kennt einen Fluchtweg.

Er sorgt dafür, dass das Wunder nicht gefährdet wird.

Zwischen Weihnachten und Epiphanias,

zwischen heute und morgen ein Engel.

Engel leuchten die Stille aus.

Sie schenken dem Wanderer leichte Wege.

Tragen Kostbarkeiten.

Säumen dem Gefährdeten den Weg.

Sie bergen den Träumer mit sanfter Hand

und leuchten dem Müden ein heiteres Dach.

Für Wegsucher:

Denn ich glaube, dass ein guter Engel Gottes ihn geleitet und alles zum Besten lenkt, was ihm begegnet, sodass er in Freuden wieder heimkehren wird. (Tobit 5,29)

Die Schnecke

Die Schnecke

trägt alles bei sich,

gleitet über Hindernisse,

sucht lichtes Grün,

streckt ihre Fühler aus,

hat einen weiten Horizont,

kennt keine Wegweiser,

bleibt bei sich,

duldet Umwege,

hat alle Zeit der Welt

und kommt an.

Es gibt Tiere

des Himmels, der Erde und unter der Erde,

die Grenzen schneller überwinden,

Höhen und Tiefen bezwingen und

dem Menschen gewachsen sind.

Die Schnecke kümmert das nicht.

Das Schneckenhaus gleicht dem Labyrinth,

dem träumerischen Suchweg der Gelassenen,

dem heiteren »Minitop« des Entschleunigten.

Für Geschwindigkeitsfans:

Ihr sollt wissen, meine lieben Brüder: Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. (Jakobus 1,19)

Was ist ein Wunder?

Was ist ein Wunder?

Eine Mutter sagt mir: Schauen Sie sie sich doch an, drei Monate. Gesund, und wie sie lacht und wir uns mögen. Wie alles so gut geht.

Was ist ein Wunder?

Ein Mann, Jahrgang 28, am Kriegsende noch beim Volkssturm, Elternhaus zerbombt. Mutter tot. Vater in Gefangenschaft. Mit 17 schon mit dem Leben am Ende. Dass dann noch was kam, nach dem Krieg, dass da noch was Gutes kam! Dass aus mir jungem Gauner, der die Zonen passierte wie der Wind die Grenzen, der manchen Mist gebaut hat und noch mehr, dass aus mir ein Mensch wird, mit – mit Enkeln!

Was ist ein Wunder?

Im Dezember hitzefrei, sagen die Kindergottesdienstkinder. Oder wenn Käptn Blaubart mal keine Geschichte mehr einfällt. Oder wenn meine Oma erklären kann, was Abseits im Fußball ist.

Was ist ein Wunder?

Staunen. Kopfschütteln. Vor Freude weinen. Sich nach dem verflixten siebten Ehejahr immer noch lieben, oder gar noch mehr.

Irgendwie spüren wir alle: Wenn wir »Wunder« sagen, dann haben wir die Finger selbst nicht im Spiel. Das kommt von außen, das ist überraschend. Eher so etwas wie Geschenk und Gabe, wie hitzefrei im Dezember und Leben nach dem Tod.

Albert Schweitzer hat das »Staunen« so übersetzt: Ehrfurcht vor dem Leben, sagt er. Und Leben? Leben ist nicht nur meines!

Ich sammle kleine und große Ammoniten. Als diese Tiere in ihren meerestauglichen Riesenschneckenhäusern lebten, gab es noch keine Menschen. Erst seit einer Sekunde auf einer »Weltzeituhr« gibt es Menschen.

Angesichts dessen, was wir anrichten, und angesichts dessen, was wir Gutes tun könnten, frage ich mich: Was eigentlich ist der schnelllebige Mensch? Der in einer Sekunde zerstört, was ein anderer in 24 Stunden aufgebaut hat.

Was als erste Lektion bleibt, ist das Staunen über eine Ähre, einen Ammoniten, ein Kind, die Milchstraße und die Liebe unter den Menschen.

Für Menschen, die sich noch wundern:

Er tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind. (Hiob 9,10)

Unterwegsmenschen

Nächtelang unterwegs.

In fließenden Gewässern

sind meine Zehen auf Kieseln zu Hause.

Haben meine unsicheren Füße endlich einen Stand.

Wir kennen uns.

Mitten im Fluss spricht er mich an:

Ausgeträumt?

Fragt er.

Geht noch!

Sage ich.

Oben oder unten,

Gehen oder Bleiben,

Zögern oder Hasten.

Erinnerungen sind Fragmente.

Ich erinnere mich an eine junge Frau

auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Eberbach.

Ein frohes Lachen auf ihrem Gesicht. Sie ging allein.

Und lachte fröhlich.

Begegnungen auf Zebrastreifen oder Bahnhöfen – Fragmente.

Halte sie ins Licht.

Fragmente im Licht leben im Widerspruch.

Lichter und Schatten, Kommen und Gehen.

Wird alles gebrochen.

Ohne Brechen kein Leuchten.

Alles stimmt und nichts bleibt.

Nichts geht, alles bleibt.

Nichts stimmt und alles geht.

Wie soll einer wissen?

Was für eine Hybris, wollte einer urteilen.

Einer, der sieht, bleibt stehen.

Bis das Sehen vorbei ist.

Es bleibt.

Es leuchtet dir schwächer.

Morgen noch.

Solang du stehen bleibst.

Bei abnehmendem Wunder bleibt ein Schein.

Morgen ist heute nur gestern.

Und gestern war heute nur morgen.

Und »jetzt« ist danach nur vorbei.

Mit Zeit gehen wir rücksichtslos um.

Am Horizont sehen wir nur Grenzen.

Wenn du – unterwegs – zurückschaust,

ist die Grenze immer ein Neubeginn.

Doch die Alten haben es schon verstanden: Alles fließt.

Deshalb: Zum fließenden Wasser gehen.

Dunkles vergessen.

Die Nacht vertagen.

Und dann: Die Füße in den Fluss halten.

Stromabwärts.

Nicht gleich wieder in die Stiefel.

Du brauchst Geduld für ein Zeichen.

Du brauchst Zeit für eine Offenbarung.

Für ein Wunder brauchst du ein Leben.

Und offene Hände.

Klare Augen.

Weite Arme.

Und ein geweitetes Herz.

Für Menschen an Flüssen:

Du gibst meiner Seele große Kraft. (Psalm 138,3)

Schutzengel

Bei Karl Rahner las ich: »Am ersten Septembersonntag feiert das katholische Volk den Schutzengelsonntag und weiht den Monat im September der besonderen Verehrung jener seligen Geister, die Gott uns zur Seite gestellt hat, damit sie uns dorthin geleiten, wo sie sind … Wenn der Mensch so seinen Weg durchs Leben zieht, dann gehen immer zwei dieselbe Straße: der Schutzengel und der Mensch, und beide schauen unverwandt aus nach Gott.«1

Sofort stellten sich Erfahrungen und Fragen ein.

Erfahrung: Gebe ich Taufeltern 100 Bibeltexte zur Auswahl für meinen Taufspruch ihres Kindes, dann wählen ca. 60 Prozent den »Schutzengeltext« aus Psalm 91,11: »Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.«

Fragen: Ist unsere durch und durch organisierte, digitalisierte, transparente und vernetzte Welt offen geworden für Wunder?

Müssen wir nach 200 Jahren Aufklärung vielleicht wieder klein beginnen, wir Kinder des Universums?

Ich gehe über unseren großen Friedhof. Meist sind auf den Friedhöfen Kindergräber an einem besonderen Ort versammelt. Dort allerdings finden sich auf den Gräbern auch viele kleine, meist putzige, gelegentlich wohlgenährte, in der Regel beflügelte Engel.

Haben die »Schutzengel« an diesen familiären Trauerorten besonders versagt?

Oder brauchen die jungen Eltern eine Hilfe, die wir mit unserer Wortlastigkeit nicht zu geben vermögen?

Warum bin ich so kritisch bei dem Engelboom auf Kindergräbern?

Weil meine Worte hilfloser sind als der Gipsengel?

Weil ich »gut reden« habe?

Für Menschen, die Geleitschutz brauchen:

Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen. (Psalm 91,11)

Rechtslastig

Man erkennt ihn am Schritt, weil er etwas rechtslastig hinkt.

Das wird so mit den Jahren, sagt er fröhlich auf der Bank am Rhein, auf der er neben mir zum Sitzen kommt. Tragetasche, Mantel auf, Märzsonne ins Gesicht.

»Schau dir den Kahn an«, sagt er, »kommt alle vierzehn Tage. Amsterdam und retour«, sagt er. »Kohle.« – »Und dann leer wieder runter in einem Affenzahn.«

Und tatsächlich. Er winkt dem Mann auf der Brücke. Der winkt zurück. Und schickt noch ein kurzes Signalhorn zu uns.

»Fast war ich zu spät«, sagt er. »Wir kennen uns. Alter Kumpel von mir. Sechs Tage rauf, drei Tage runter. Und dann geht’s wieder neu los. Immer unterwegs.«

Wie er heißt, frage ich vorsichtig.

»Wie er heißt, weiß ich nicht. Sein Kahn ist die Aaltje‹.«

»Die Alte«, sage ich, »das ist aber ein komischer Name.«

»Nee«, sagt er, »Aaltje. Das heißt so viel wie Edle. Sie können auch Adelheid sagen. Ist eh nicht mehr so, wie es war.«

»Ist eh nicht mehr so, wie es war?«

»Ja, was soll man sagen. Ist eine Nelina dazwischengekommen. In Dortmund oder was früher. Und dass Sie nicht mehr fragen müssen: Nelina ist auch aus Holland und heißt die Strahlende. Und so ist der Kerl mit der Nelina auf der Aaltje Rhein rauf und Rhein runter getuckert. Kein Spaß. War echt so.«

Pause.

»Jetzt kocht die edle Adelheid bei Robin auf der Laura. Haste nicht gedacht! Hat nach Belgien geheiratet. Ist jetzt auf der Maas am Putzen.«

»Und woher wissen Sie das alles?«

»Was für eine Frage. Ich bin doch jeden Tag hier. Oben am Kiosk kennen die alle, die kommen und gehen.«

Dann zieht er aus seiner rechten Manteltasche (rechtslastiges Hinken) eine Flasche Barnetti Rosso.

»Zweifünfzig oben am Kiosk«, sagt er.

»Billig, aber gut. Nimm ’nen Schluck. Schadet nichts. Und ist vom Pfarrer.«

»Vom Pfarrer?«

»Also – wenn du einen Tipp brauchst unter Freunden: Über die Brücke, bei den Katholiken kriegst du nichts, in Christus erst recht nicht, Trinitatis ist tote Hose, bleib in der Nähe vom Bahnhof. Traitteurstraße, Friedenskirche. Nicht jammern. Eher einen auf Kumpel machen, dann gibt der dir auch mal Geld. Sonst nur Essensgutscheine. Kann man auch tauschen, aber bestenfalls eins zu zwei. Nun trink schon.«

»Ich muss jetzt«, sage ich.

»Dann lass dich nicht aufhalten«, sagt er.

»Man sieht sich«, sage ich.

»Sagst du«, sagt er.

Für Menschen mit Gespür:

Tragt keinen Geldbeutel bei euch, keine Tasche und keine Schuhe, und grüßt niemanden unterwegs. (Lukas 10,4)

Inselgedanken

Jeder Mensch braucht geschützte Orte

mitten im alltäglichen Geben und Nehmen,

Kommen und Gehen.

Jeder Mensch braucht Inseln im Alltag.

Wo ist deine Zuflucht?

Wo ist der Ort,

an dem du die Augen schließen,

die Hände in den Schoß legen

und deine Gedanken gehen lassen kannst

ohne Angst?

Es ist ein Geschenk,

wenn Menschen Orte finden,

an die sie sich zurückziehen können,

umfriedete Räume, Refugien,

die je eigene Insel,

Zuflucht für Körper und Seele.

Für Belastete:

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. (Psalm 139,9.10)

Und sie standen auf

und stießen ihn zur Stadt hinaus

und führten ihn an den Abhang des Berges,

auf dem ihre Stadt gebaut war,

um ihn hinabzustürzen.

Aber er ging mitten

durch sie hinweg.

Lukas 4,29.30

Und er verließ Nazareth,

kam und wohnte in Kapernaum,

das am See liegt

im Gebiet von Sebulon und Naftali.

Matthäus 4,13