Das Buch
Molly & ich erzählt die herzergreifende Geschichte einer Freundschaft zwischen der aufgeweckten Cockerspaniel-Hündin Molly und dem Ex-Polizisten Colin Butcher. Von ihren vorherigen Besitzern als untrainierbar und widerspenstig eingestuft, findet Molly dank der Liebe und Hingabe ihres neuen Herrchens eine neue Bestimmung: Als erste Hundedetektivin der Welt unterstützt sie Colin auf der Suche nach verschollenen Haustieren in Südengland. Während sie ihre spannenden Fälle lösen, treffen sie auf unheimliche Gestalten, geraten in manchmal gefährliche Situationen und schließen neue Freundschaften. Am allerwichtigsten aber ist, dass sie einander gefunden haben!
Colin Butcher
mit Joanne Lake
Molly & ich
Freunde fürs Leben und
Haustier-Detektive auf heißer Spur
Aus dem Englischen übersetzt
von
Antje Althans und Juliane Lochner
Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Molly & Me. How One Man and His Dog Became a Crime-Solving Duo bei Michael Joseph, einem Imprint von Penguin Random House UK, London. Veröffentlicht in Kooperation mit YM&U, London.
Antje Althans dankt dem Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen und der Kunststiftung NRW für die Unterstützung der übersetzerischen Arbeit.
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Deutsche Erstausgabe Juli 2019
Copyright © 2019 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Copyright der Originalausgabe © 2019 Colin Butcher
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,
unter Vewendung von Fotos von © Rachel Oates
Fotos im Bildteil: © Colin Butcher,
© Renu Williams (Foto 10 und 11) und
© Katy Thatcher (Foto 21)
Lektorat: Marion Preuß
MP · Herstellung: kw
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-23903-9
V001
www.goldmann-verlag.de
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1. Mollys erste Bewährungsprobe
2. Auf der Erfolgsspur
3. Vom Privatschnüffler zum Tierdetektiv
4. Der Katalysator für eine Veränderung
5. Ein Pionierprojekt
6. Eine bemerkenswerte Rettung
7. Talent und Drill auf Bramble Hill
8. Phillip, Holly und Racker Molly
9. Bringt Buffy zurück
10. Der Blauglöckchenwald
11. Die Hündin und die Schlange
12. Die Katze und das Hausboot
13. Ein Alptraum in Notting Hill
14. Eine vermisste Katze und ein mürrischer Nachbar
15. Molly und die ausgewanderten Katzen
16. Der Ausreißer von Brixton
Epilog
Danksagung
Bildteil
Für David
Vom Volk werden sie Spürhunde genannt.
Diese Hunde sind von so phänomenaler Klugheit, dass sie nach Dieben suchen und sie nur anhand des Geruchs der gestohlenen Waren verfolgen.
– The History and Croniklis of Scotland (1536) von John Bellenden
(schottische Übersetzung von Hector Boeces Historia Gentis Scotorum)
Am Freitag, den 3. Februar 2017, um neun Uhr morgens, klingelte das Telefon. Meine Assistentin Sam hatte sich gerade an ihren Schreibtisch gesetzt, ihren Computer hochgefahren und ihren ersten Schluck Espresso getrunken, während ich mich draußen in der Auffahrt der Bramble Hill Farm befand und mich bereitmachte, Molly in der frühen Morgensonne Bewegung zu verschaffen. Meine Cockerspaniel-Hündin war seit dem Aufstehen schon so lebhaft gewesen, dass sie die Lladró-Lieblingsvase meiner Freundin Sarah im Hausflur umgestoßen hatte, und musste überschüssige Energie abbauen.
»UK Pet Detectives«, meldete sich Sam. »Können wir Ihnen helfen?«
»Das hoffe ich sehr«, antwortete eine bedrückte Stimme. »Unsere Katze Rusty ist verschwunden. Wir haben überall nach ihr gesucht und können sie nirgends finden. Wir sind mit unserem Latein am Ende, deshalb wenden wir uns an Sie.«
Tim war Grafikdesigner und lebte mit seiner Freundin Jasmine, die als Physiotherapeutin arbeitete, in der Stadt St Albans in Hertfordshire. Sie sparten eisern für die Anzahlung auf ein Einfamilienhaus, wohnten jedoch bis dahin in einer ruhigen Sackgasse in einer einfachen Mietwohnung. Die beiden liebten Katzen und hatten die kleine Rusty, eine Katze aus dem Tierheim mit schwarz-weiß-kupferrotem Fell, mandelförmigen Augen und einem langen flauschigen Schwanz, voll Freude in ihrem Leben willkommen geheißen. Da die Wohnung recht beengt war und viele ihrer persönlichen Sachen noch in Kartons verpackt waren, ließen sie ihre Katze oft nach draußen. Dort lief sie dann auf der halbmondförmigen Straße herum, faulenzte in Einfahrten und saß auf Türschwellen, entfernte sich jedoch nie zu weit und kam nie spät nach Hause.
Doch am vorigen Freitag war Rusty nicht aufgekreuzt, um sich ihren gedünsteten Schellfisch abzuholen, ihren allwöchentlichen Leckerbissen; da sie verrückt nach frischem Fisch war, waren ihre Besitzer völlig perplex.
»Es ist einfach so untypisch«, erklärte Tim. »Wir haben das ganze Wochenende über alle Straßen und Gärten abgesucht und sogar Flugblätter und Plakate gedruckt, aber sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir wissen nicht mehr weiter.«
»Das tut mir leid«, sagte Sam, die selbst Katzenbesitzerin war und ihren Schmerz aufrichtig nachempfinden konnte. »Überlassen Sie das mir. Ich rede mit meinem Chef und melde mich wieder bei Ihnen.«
Sie stürzte sofort an das große Schiebefenster und riss es hoch.
»COLIN!«, schrie sie, worauf Molly und ich, die wir mit großen Schritten auf die Wiese zusteuerten, wie angewurzelt stehenblieben. »Nach eurer Trainingseinheit musst du unbedingt kurz bei mir reinschauen. Ich glaube, ich habe Mollys ersten richtigen Auftrag erhalten …«
Eine halbe Stunde später saß ich im Büro und sprach mit Sam über Rustys Verschwinden, während Molly erschöpft ein Nickerchen machte. Mein Puls beschleunigte sich, als meine Kollegin mir von ihrem Gespräch mit Tim erzählte und mir die Umstände des vermissten Haustieres erläuterte. Wenn unser allererster Auftrag, eine Katze aufzuspüren, ein Erfolg werden sollte, mussten die Suchbedingungen so günstig wie möglich sein, und dieser Fall schien alle Kriterien zu erfüllen. Erstens kam Rusty aus einem Ein-Katzen-Haushalt, was es mir ermöglichte, eine vernünftige Haarprobe zu bekommen, die Molly die beste Voraussetzung bot, den Geruch zu isolieren und der vermissten Katze zuzuordnen. Zweitens war die Mieze seit weniger als einer Woche verschwunden, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, sie lebend zu finden. Dass das Wetter windstill und beständig war, für Anfang Februar eigentlich ungewöhnlich, wirkte sich ebenfalls zu unseren Gunsten aus. Starker Wind oder Niederschlag in jeglicher Form (zum Beispiel Regen, Schnee oder Nebel) hätten den Katzengeruch abgeschwächt und sich störend auf die überempfindliche Nase meines Hundes ausgewirkt.
Als ehemaliger Militärangehöriger kannte ich mich zum Glück mit allen meteorologischen und topografischen Aspekten gut aus. Vor meinem langen Berufsweg bei der Polizei hatte ich über ein Jahrzehnt bei der Royal Navy gedient, was in mir ein starkes Interesse an Wetter, Klima und Küstennavigation geweckt hatte. In meiner Kajüte auf der HMS Illustrious hatte ich den Lernstoff über all diese Sachthemen regelrecht verschlungen und meine naturwissenschaftlichen Fachkenntnisse über Luftmassen, Frontensysteme und Kartografie erweitert, wodurch ich zu einer Art Fachmann geworden war. Damals ahnte ich nicht, wie nützlich mir dieses Wissen einmal sein würde.
Im Dezember 2016 hatte Molly bei einer in Milton Keynes ansässigen Wohltätigkeitsorganisation namens Medical Detection Dogs (MDD) ein intensives Geruchserkennungstraining absolviert. Seitdem hatten sie und ich im Hauptquartier meiner Detektei auf der Bramble Hill Farm unzählige Übungssituationen durchgespielt und als Vorbereitung auf unsere erste richtige Suche nach einer vermissten Katze unsere Fertigkeiten verbessert. Obwohl ich schon lange fest davon überzeugt gewesen war, dass Molly und ich das erforderliche Kompetenzniveau erreicht hatten, hatten wir erst grünes Licht bekommen, nachdem ich Videoaufnahmen unseres Trainings an die Experten bei MDD geschickt hatte.
»Nach allem, was wir gesehen haben, glauben wir, dass ihr beide für eure erste richtige Suchaktion bereit seid«, hatten sie gesagt, worauf mir ein Kribbeln über den Rücken gelaufen war. »Eure Interaktion und eure Teamarbeit sind herausragend, und von unserer Seite aus seid ihr startklar.«
Und nach Sams Telefongespräch hatte ich endlich die Aussicht, mit Molly an meiner Seite eine richtige Suche zum Erfolg zu führen. Ich verspürte eine Mischung aus Hochgefühl und Beklommenheit, denn es war so viel Zeit und Energie in die Entwicklung meiner innovativen Katzenspürhund-Idee geflossen (fünf Jahre, um genau zu sein), dass ich mir jetzt, wo ich endlich meine perfekte Assistentin gefunden hatte, sehnlichst den entscheidenden »Machbarkeitsnachweis« wünschte, um zu beweisen, dass sich unsere ganze harte Arbeit gelohnt hatte.
»Es könnte so weit sein«, sagte ich zu Sam. »Das könnte Mollys erste Bewährungsprobe sein.«
»Du meine Güte, wie aufregend!«, strahlte meine Kollegin.
An diesem Abend telefonierte ich etwa eine Stunde mit Tim, um so viele Hintergrundinformationen wie möglich von ihm einzuholen. Ich erkundigte mich, ob es irgendwelche Auslöser gegeben haben könnte, die Rusty in die Flucht geschlagen hatten (zum Beispiel Unruhe in der Familie oder ein ihr feindlich gesonnener Artgenosse). Doch Tim beharrte darauf, dass sich seiner Einschätzung nach nichts verändert hatte.
»Die ältere Dame aus der Wohnung gegenüber ist letzte Woche gestorben, was sehr verstörend war«, sagte er. »Aber ansonsten war hier alles ziemlich normal.«
In ihrem eigenen Viertel hatte niemand Rusty gesehen, doch an jenem Morgen hatten zwei Zeugen aus einem ein paar Meilen entfernten Dorf angerufen und angegeben, bei sich im Garten eine Katze gesehen zu haben, die Rustys Beschreibung entsprach.
»Ich habe meine Zweifel, dass es unsere Katze ist, weil sie sich noch nie so weit fortgewagt hat«, gestand Tim. »Doch wir möchten Sie trotzdem bitten, der Sache nachzugehen.«
»Ich helfe Ihnen sehr gern«, antwortete ich, bevor ich ganz nebenbei erwähnte, dass ich in Begleitung einer vierbeinigen Kollegin käme.
»Meine Cockerspaniel-Hündin Molly wird mitkommen«, erklärte ich. »Sie hat einen respektablen Geruchssinn und verbellt Katzen nicht, weshalb sie sehr hilfreich sein könnte. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
Ich spielte ihre Rolle ganz bewusst herunter, um weder Molly noch mich zu sehr unter Druck zu setzen.
»Kein Problem«, antwortete Tim. »Alles, was uns beim Aufspüren von Rusty helfen könnte, ist mir recht.«
An jenem Abend arbeitete ich bis spät in die Nacht. Während Sarah neben mir schlief, studierte ich digitale Landkarten, Stadtpläne und Fotos der Gegend um St Albans. Um Molly und mir die beste Chance zu geben, die vermisste Katze zu finden, war es wichtig, so viel wie möglich über das Gebiet in Erfahrung zu bringen. Als ich kurz vorm Wegnicken war, fuhr ich meinen Laptop herunter und sah wie jeden Abend nach Molly. Sie spürte, dass ich durch den Türspalt lugte, hob den Kopf und öffnete schläfrig ein Auge.
»Wir haben einen großen Tag vor uns, junge Dame«, flüsterte ich. »Wir sehen uns morgen in aller Frühe.«
Ja, ich weiß, Herrchen, schien Molly zu sagen. Wie wär’s also, wenn du mich schlafen ließest?
Sie hielt meinen Blick ein paar Sekunden, bevor sie sich eng zusammenrollte und weiterschlummerte.
Wir verließen das Haus um fünf Uhr morgens. Die Wettervorhersage hatte zutreffend einen kühlen und wolkigen Tag mit einer leichten Brise angekündigt: perfekte Bedingungen für unsere große Suche, wie ich hoffte. Sarah war früh aufgestanden, um uns nachzuwinken, da sie wusste, wie wichtig die nächsten Stunden für uns waren. Sie hatte meine langen Vorbereitungen auf diesen Moment miterlebt und war sich bewusst, wie viel er mir bedeutete.
»Ich hoffe, es klappt alles, Schatz.« Sie hatte gelächelt, und ich traute meinen Augen nicht, als sie sanft, aber vorsichtig, den glänzenden schwarzen Kopf meiner Hündin tätschelte, bevor sie auch ihr viel Glück wünschte. Sarah hatte sich noch nicht ganz an Molly gewöhnt (sie war, formulieren wir es mal so, keine Hundefreundin), und dies war eine seltene Geste der Zuneigung.
Meine Hündin nahm sie mit Begeisterung entgegen und schleckte meiner Freundin zum Dank mit nasser Zunge die Hand ab. Ich musste schmunzeln, als ich mir vorstellte, wie Sarah schnurstracks zur antiseptischen Flüssigseife flitzen würde, sobald sie wieder ins Haus käme.
Nach der zweistündigen Autofahrt von West Sussex nach Hertfordshire begrüßten mich Tim und Jasmine vor ihrem modernen vierstöckigen Wohnblock. Sie waren jung, beide blond und wirkten sportlich (ich schätzte sie auf Mitte zwanzig), doch beide hatten diesen niedergeschlagenen Gesichtsausdruck, den ich nur zu gut kannte. Wie viele meiner Klienten vor ihnen waren sie krank vor Sorge, weil ihr geliebtes Haustier ausgerissen war.
Mein Blick fiel auf ein Riesenplakat in ihrem Vorderfenster. BITTE HILF MIR, ICH HABE MICH VERLAUFEN, verkündete es. KANNST DU MIR HELFEN, WIEDER NACH HAUSE ZU FINDEN?
Als Hintergrund des gedruckten Textes diente ein wunderschönes Foto der verschwundenen Samtpfote. Rusty war eine hübsche Katze mit einem freundlichen Gesicht; durch den weißen Brustlatz, die weißen Beine und die zwei schwarzen Flecken über den Augen sah sie aus wie Batman in Katzengestalt.
»Ich wünschte, alle meine Klienten hätten etwas so Professionelles vorzuweisen«, sagte ich.
»Mein Beruf als Grafikdesigner erweist sich manchmal als nützlich …«, antwortete Tim mit einem müden Lächeln.
»Und unsere Rusty lässt sich traumhaft gut fotografieren«, fügte Jasmine wehmütig hinzu.
Ich folgte dem Paar ins Haus und ließ Molly mit ihren Lieblingsspielzeugen im sicher verschlossenen Wagen zurück (wie immer so, dass ich sie im Auge behalten konnte). Ich wusste, dass sie beim Betreten einer fremden Wohnung unter massiver Reizüberflutung leiden würde, und wollte, dass sie so ruhig wie möglich blieb. Außerdem war es unerlässlich, dass sie sich ausschließlich auf Rustys Geruch konzentrieren konnte, sollte ich das Glück haben, eine geeignete Probe zu bekommen.
Dann entwarfen wir drei einen Schlachtplan. Jasmine musste an dem Morgen zur Arbeit (montags wurden in der Klinik viele Patienten mit Sportverletzungen vorstellig), weshalb Tim Molly und mich allein auf der Suche begleiten würde. Unsere erste Anlaufstation würde das Nachbardorf sein, in dem es zwei Katzensichtungen gegeben hatte. Doch bevor wir losfuhren, stellte ich noch eine Frage.
»Ich weiß, das klingt vielleicht merkwürdig, aber hätten Sie etwas dagegen, wenn ich eine Probe von Rustys Katzenhaaren nehmen würde?«, fragte ich vorsichtig. »Molly ist ein ausgebildeter Spürhund und – man weiß ja nie – kann vielleicht eine Geruchsspur aufnehmen.«
Ich hielt den Ball flach und spielte unsere Fähigkeiten bewusst herunter. Ich musste Tims Erwartungen dämpfen, damit er nicht glaubte, dass der Einsatz eines Suchhundes Rustys Auffinden garantieren würde.
»Ja klar, nur zu«, antwortete er. »Sie verliert massenhaft Haare. Ihr Katzenbett ist voll davon.«
Also holte ich mein sterilisiertes Marmeladenglas hervor und füllte ein Büschel weißlicher Haare hinein; mehr als genug, damit Molly ihre fantastische Nase hineinstecken konnte.
Das Dörfchen Broomfield bestand aus einer Handvoll kleiner Cottages inmitten mehrerer Morgen sehr alten Waldgebiets. Auf den Grasstreifen, die das Sträßchen säumten, wuchsen dicht an dicht Osterglocken und Narzissen, deren Blütenblätter und -trompeten eine Farbpalette von Vanilleweiß bis Dottergelb aufwiesen. Nester bauende Amseln, die Strohhalme und dünne Zweige fest in den Schnäbeln hielten, huschten von Hecken zu Sträuchern. Wir parkten auf dem Parkplatz eines Pubs, wo ich Molly ihr Spezialgeschirr anlegte und den Reißverschluss meiner UKPD-Fleecejacke hochzog. Diesen Übergang vom Haustier- zum Arbeitsmodus hatten sie und ich auf der Bramble Hill Farm schon oft geübt, und das Anlegen unserer Uniform war stets ein wichtiger Teil dieser Routine gewesen. Ich war sehr aufgeregt, setzte jedoch alles daran, professionell aufzutreten. Doch Molly bemerkte meine Nervosität und begann zu winseln und sich in ihrer Box im Kreis zu drehen.
Während Tim und ich unsere Umgebung inspizierten, erhob sich ein frischer Wind, der so stark war, dass er uns die Haare zerzauste. Das war nicht vorhergesagt, dachte ich bei mir. Als ich zum Horizont blickte, sah ich die verräterischen Anzeichen einer sich nähernden Warmfront. Ich wusste, sie würde für den Rest des Tages beständigen Wind bringen, gefolgt von Regen. Ich überschlug rasch die Windgeschwindigkeit; meiner Schätzung nach blieben uns noch etwa sechs Stunden, bevor uns das erste Regenband erreichte.
»Wir müssen jetzt wirklich loslegen, Tim«, sagte ich mit einem Blick auf meine Uhr.
»Okay«, antwortete er. »Dann mal los.«
Tim und ich ermittelten rasch die zwei Gärten, in denen Rusty angeblich gesehen worden war. Sie lagen an gegenüberliegenden Seiten der Straße, und zum Glück gewährten uns beide Familien Zugang. Dann, tief durchatmend und mit Herzrasen, führte ich Molly Rustys Katzenhaarprobe zum ersten Mal zu. Ich sah, wie Tims Augen vor Überraschung und Faszination groß wurden, als ich das Marmeladenglas aufschraubte und es nach meinem üblichen Kommando »Toma« (die spanische Übersetzung von »Nimm«) Molly vor die Nase hielt. Dieses unverwechselbare Wort hatten Mollys Ausbilder bei MDD sorgfältig ausgewählt, da sie es im Haus oder in einem anderen Zusammenhang niemals hören würde.
Sie inhalierte den Geruch, wartete auf meinen üblichen Befehl »Such, such« und rannte schwanzwedelnd in den ersten Garten.
»Oh, wow …«, staunte mein Auftraggeber, der langsam kapierte, dass Molly keine gewöhnliche Hündin war. »Ist sie … ist sie dafür abgerichtet?«
»Ja«, bestätigte ich lächelnd. »Aber Tim, Sie müssen wissen, dass dies ihre erste richtige Suche ist, und es wäre Ihnen – und auch Molly gegenüber – unfair, Ihnen etwas zu versprechen. Aber sie wird ihr Bestes geben, Rusty aufzuspüren. Das kann ich Ihnen versichern.«
Molly suchte überall – unter einer Stechpalme, im Gewächshaus, hinter dem Komposthaufen –, aber ohne Erfolg. Die ganze Zeit über nahm sie immer öfter Blickkontakt zu mir auf, was, wie ich von unseren vielen Übungsdurchgängen wusste, bedeutete, dass sie das Areal gründlich durchsucht hatte.
Hier ist keine Katze, Herrchen … Gehen wir … interpretierte ich ihre Körpersprache.
Im zweiten Garten lief es ganz ähnlich. Molly konnte keine Fährte ausfindig machen; deshalb (so groß war mein Vertrauen in sie) konnte ich nur mutmaßen, dass Rusty sich dort nie aufgehalten hatte. Doch als ich meine Hündin mit dem Befehl »Molly, komm« zurückrief, entdeckte ich plötzlich eine schwarzgrau-lohfarbene Katze, die über den Rasen schlich. Als sie näher kam, blinzelte ich.
Du liebe Güte, dachte ich. Kommt da Rusty auf mich zu? Hat Molly einen schlechten Tag?
»DAS IST SIE!«, schrie die Hausbesitzerin aus ihrem Küchenfenster. »Das ist die Katze, die ich gesehen habe!«
Tim erschreckte sich fast zu Tode, doch seine Reaktion beim Anblick des Tieres sprach Bände. Auch Molly war unbeeindruckt geblieben, was mir alles hätte sagen müssen, was ich wissen musste.
»Das ist sie nicht«, sagte mein Auftraggeber und schüttelte traurig den Kopf. »Dieselbe Färbung, aber anders gemustert. Und Rusty hat eine sehr ulkige halb rosa, halb schwarze Nase. Ich würde sie überall erkennen.«
Nach dieser Verwechslung trotteten wir enttäuscht zum Pub, um einen Kaffee zu trinken, während Molly geräuschvoll aus einer großen Wasserschale schlabberte. Wenn sie auf einer Suche war, brauchte sie viele Auszeiten und viel zu trinken, und ich achtete sehr darauf, sie nie zu überfordern. Ich wollte nicht, dass sie an Geruchsermüdung litt (auch als »Nasenblindheit« bekannt), wodurch sie ihre Fähigkeit verlieren würde, einen bestimmten Geruch zu isolieren.
Tim nutzte die Gelegenheit, seine Freundin auf den neusten Stand zu bringen.
Noch kein Glück, Jaz, simste er ihr. Melde mich wieder. Küsse.
Um mehr Hinweise auf Rustys Verschwinden zu erhalten, bohrte ich ein bisschen tiefer nach und fragte Tim über sein Wohnviertel aus. Als die Sprache erneut auf die verstorbene alte Dame im Mietshaus kam, drängte ich auf weitere Informationen. Tim zufolge war sie eines natürlichen Todes gestorben und ihre Leiche innerhalb von Stunden in einem Krankenwagen weggebracht worden. Dieses Detail brachte mich ins Grübeln.
»Wissen Sie noch, an welchem Tag Ihre Nachbarin verstorben ist?«, fragte ich.
»Ähm, da muss ich nachdenken«, antwortete er und zählte an seinen Fingern zurück. »Am Freitag. Ja, es muss letzten Freitag gewesen sein.«
»Derselbe Tag, an dem Rusty verschwand?«
Tim stutzte und legte die Stirn in Falten.
»Ja … Ich glaube schon. Ich weiß, was Sie denken, Colin, aber Rusty hatte Angst vor Autos. Sie verbindet sie mit Tierarztbesuchen.«
»Private Sanitätsfahrzeuge sind aber üblicherweise keine normalen Autos«, erklärte ich. Als Polizeibeamter hatte ich es mit vielen plötzlichen Todesfällen zu tun gehabt und Dutzende solcher Fahrzeuge gesehen, und die meisten davon waren große, geräumige Kleinbusse mit verdunkelten Fenstern und leicht zugänglichen Rampen. »Okay«, sagte ich, während sich mein Detektivinstinkt einschaltete. »Geben Sie mir ein paar Minuten? Ich muss ein paar Telefongespräche führen.«
»Ja, natürlich«, antwortete Tim. »Ich gehe nach draußen, um eine zu rauchen. Ich habe letztes Jahr aufgehört, aber seit Rustys Verschwinden hatte ich einen Rückfall.«
Ich rief den zuständigen Hausarzt an, der mich informierte, dass die alte Dame über neunzig und bei ihm in Langzeitbehandlung gewesen war, weshalb ihr Tod als »abzusehen« eingestuft worden war und er den Totenschein an Ort und Stelle ohne Beteiligung der Polizei hatte ausstellen können. Danach war die Leiche der Frau von einer privaten Ambulanz zur Leichenhalle des Bestattungsunternehmers in Stonebridge (etwa eine Meile vom Haus meiner Klienten entfernt) transportiert worden. Nach Aussage des dortigen Personals hatte das Fahrzeug, ein großer dunkelblauer Minibus, den Rest des Tages draußen vor ihren Büroräumen geparkt. Langsam, aber sicher setzten sich die Puzzleteile zusammen.
Mit der rundum erholten Molly im Schlepptau lief ich hinaus auf den Parkplatz, wo wir Tim an der Motorhaube lehnend vorfanden, der seinen ausgedrückten Zigarettenstummel geschickt in einen Abfalleimer schnipste.
»Okay«, sagte ich forsch. »Ich glaube langsam, es handelt sich um einen Fall versehentlichen Transports.«
Ich informierte ihn, dass eine sehr reelle Möglichkeit bestünde, dass Rusty sich vor dem Mietshaus unbemerkt in die Ambulanz des Bestattungsunternehmers geschlichen hatte – vielleicht über die Rampe – und infolgedessen mitgefahren war. Die Zeitabfolge der Ereignisse war stimmig, und es würde ihr plötzliches Verschwinden erklären.
»Nächster Halt Stonebridge«, sagte ich und gab Tim ein Zeichen, wieder in den Wagen zu steigen.
Auch wenn die Empfangsdame des Bestattungsunternehmers die Fahrtroute der Ambulanz am fraglichen Tag bestätigte, so hatte sie doch nichts davon gehört, dass darin eine Katze vorgefunden worden sei. Sie räumte jedoch ein, dass die Hecktüren des Fahrzeugs zu vielen Gelegenheiten geöffnet und wieder geschlossen worden waren: erstens zum Transport der verstorbenen Frau und zweitens, um dem Autowäscher, der einmal pro Woche kam, die Arbeit zu erleichtern.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr helfen kann«, sagte sie, »aber vielleicht sollten sie mit den Damen vom Postamt nebenan sprechen. Wenn es Neuigkeiten oder Klatsch und Tratsch gibt, wissen sie darüber Bescheid. Aber Vorsicht«, warnte sie uns grinsend, »wenn Sie nicht aufpassen, kauen die Ihnen das Ohr ab.«
Damit lag sie nicht falsch. Die Damen hinter der Ladentheke schlossen Molly sofort ins Herz, ebenso wie der attraktive 1,83 Meter große Mann, der seine arme kleine Katze verloren hatte. Nachdem sie unsere Geschichte gehört hatten, willigten sie ein, eines von Tims Plakaten an der Anschlagtafel auszuhängen. Während ich den Suchaufruf mit ein paar Reißzwecken fest anheftete, kam ein älterer Herr herein, warf einen Blick auf Rustys Foto und schnappte nach Luft.
»Diese Katze hat heute Morgen auf unserem Zaun gesessen, da bin ich mir sicher«, verkündete er. »Wunderschönes Geschöpf, hübscher buschiger Schwanz. Ich erinnere mich, wie meine Frau sagte, sie hätte sie noch nie zuvor gesehen. Ach ja, und sie hatte eine wirklich komische Nase …«
Tim packte mich aufgeregt am Arm. Vielleicht lag ich mit meiner Ambulanz-Theorie goldrichtig.
»Könnten Sie uns vielleicht zu Ihrem Garten bringen?«, fragte ich.
»Ich hebe nur schnell meine Rente ab, alter Junge.« Er lächelte. »Aber kommen Sie unbedingt mit mir.«
Zehn Minuten später hockte ich vor der ziegelroten Doppelhaushälfe des alten Mr Renshaw, hielt das Marmeladenglas fest in der Hand und ging zum zweiten Mal an diesem Tag mit Molly die Geruchschnüffel-Routine durch. Mit Rustys Geruch in der Nase spurtete sie in den Garten hinterm Haus und führte innerhalb von Sekunden – ratzfatz – mitten auf dem Rasen ihr sogenanntes »Ablegen« aus, Mollys typisches Erfolgssignal. Diese prompte Reaktion war ihr bei Medical Detection Dogs eingebläut worden, damit sie ihren Hundeführer alarmieren konnte, ohne die gesuchte Katze zu verschrecken. »Ablegen« hieß für sie, sich reglos und still flach hinzulegen, mit ausgestreckten Vorderpfoten, die Hinterbeine unter dem Körper, den Kopf erhoben und Blickkontakt zu mir haltend. Ihr Körper zitterte vor Erregung und Verzückung über den »Sieg« und vor freudiger Erwartung, für ihre Leistung belohnt zu werden. Mein Herz fing an, wie eine Trommel zu schlagen. Wir hatten das so oft bei uns auf der Bramble Hill Farm geübt, doch dies war das erste Mal, dass ich sah, wie sie es für einen Klienten ausführte.
»Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte Tim, als er Molly zitternd vor uns liegen sah.
»Sie zeigt an, dass sie eine hohe Konzentration von Rustys Geruch wahrgenommen hat«, antwortete ich. »Daher können Sie sich ziemlich sicher sein, dass Ihre Katze vor Kurzem hier gewesen ist. Wir müssen nur herausfinden, wo sie sich jetzt befindet.«
Während Tim, von dieser Aussicht aufgemuntert, eine SMS an Jasmine schickte, belohnte ich Molly für die getane Arbeit; immerhin hatte sie den Geruch aufgespürt, auch wenn wir die Katze selbst nicht angetroffen hatten. Ihre favorisierten Blutwurst-Leckerlis verputzte sie in einer Millisekunde.
Mithilfe meines meteorologischen Fachwissens versuchte ich herauszufinden, warum Molly sich exakt in der Mitte des Gartens abgelegt hatte und warum sich der Geruch an diesem bestimmten Punkt angesammelt hatte. Ich stellte mich genau an die Stelle, wo Molly gelegen hatte, und hielt das Gesicht in den Wind. Die Brise wehte direkt über den Zaun, und ich wusste, dass dies die Luft nach oben gedrückt hatte, wodurch sie sich wie eine Welle über den Rasen gewälzt und den Geruch genau an die Stelle getrieben hatte, die Molly angezeigt hatte.
Was für ein braves Mädchen, dachte ich bei mir. Sie lag goldrichtig.
Da Rusty sich höchstwahrscheinlich in der unmittelbaren Umgebung aufhielt, war es jetzt wichtig, mein ganzes Vertrauen in Molly zu setzen und mich einer strategischen und systematischen Herangehensweise zu bedienen. Zuallererst mussten wir das Suchgebiet, so gut es ging, eingrenzen. Auf Mr Renshaws Straßenseite standen etwa dreißig Häuser. Von ihren langen, achtzehn Meter umfassenden Gärten ausgehend erstreckte sich eine riesige Fläche urbaren Ackerlands. Da wir durch die Suche im falschen Dorf schon einen halben Tag verloren hatten, mussten wir so schnell wie möglich die Grundstücke lokalisieren, die uns am vielversprechendsten erschienen. Deshalb beschloss ich, Molly an dem geschotterten Fußweg entlangzuführen, der die Gärten der Anwohner von den Feldern der Bauern trennte. Als wir an einigen der benachbarten Doppelhäuser vorbeikamen, bemerkte ich, dass Molly fokussierter wurde und sich mehrfach um 180 Grad drehte. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, da dies oft ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie etwas Wichtiges entdeckt hatte.
»Tim, könnten Sie mir einen Gefallen tun und an die Türen der Hausbewohner klopfen?«, fragte ich. »Molly will unbedingt hinein, und wir brauchen ihre Erlaubnis.«
Das erste Haus, Nummer 36, wurde von zwei achtzigjährigen Schwestern bewohnt, die, obwohl sie angesichts des ganzen Wirbels leicht perplex waren, gern bereit waren, uns ihr Grundstück absuchen zu lassen.
Das werden die armen alten Damen noch bereuen, dachte ich, als Molly pfeilschnell durch das hintere Tor schoss und in einen der makellosesten Gärten flitzte, den ich je gesehen hatte.
»Mein Gott, hier sieht’s aus wie bei der Chelsea Flower Show«, flüsterte Tim.
»Wenn Molly da drin fertig ist, nicht mehr«, antwortete ich trocken.
Meine aufgeregte Hündin lief im Slalom um dekorative Vogeltränken und japanische Topfpflanzen herum und wühlte dabei den gepflegten Rasen auf. Dann kraxelte sie einen alpinen Steingarten hinauf und mähte mit ihrem sausenden Schwanz die Blütenköpfe der hauchdünnen Alpenveilchen ab.
»Das tut mir wirklich leid«, sagte ich zu den Schwestern. »Ich kann sie an die Leine nehmen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Auf keinen Fall!«, antwortete eine. »Das ist faszinierend …«
Dann machte Molly eine Vollbremsung und vollführte eine weitere 180-Grad-Drehung, bevor sie in Richtung des frisch gestrichenen Gartenzauns abschwenkte und mit ihren scharfen Krallen an den dunkelgrünen Paneelen herunterschrammte. Ihr Intensitätsniveau stieg an, und ich musste den Grund wissen.
Was willst du mir sagen, Molls, fragte ich mich und kam mir ein bisschen vor wie Sherlock Holmes, der Dr. Watson ausquetscht.
Ich will nach nebenan, ich will nach nebenan, schien sie zu sagen, während ihr Blick zur Orientierung meinen suchte. Lass. Mich. Nach. Nebenan. Gehen.
»Hab etwas Geduld, Molly«, flüsterte ich.
Ich spähte über den Zaun. Eine Frau mittleren Alters und ein Teenager, Mutter und Sohn, vermutete ich, standen auf ihrer Terrasse und reckten die Hälse. Der Lärm und die Unruhe, die vom Haus der Schwestern ausgingen, beunruhigten sie. Ihr Garten war nicht so kunstvoll angelegt wie der ihrer Nachbarinnen, hatte aber ein imposantes Gartenhaus mit Glasfassade und eine großflächige Holzterrasse vorzuweisen.
»Dürfen wir herüberkommen?«, rief ich, erzählte ihnen eine gekürzte Version der Ereignisse und rannte dann mit Molly und Tim im Schlepptau zu ihrer Eingangspforte. Derweil hatte sich draußen auf dem Gehsteig eine kleine Menschentraube gebildet, darunter war auch eine der Damen von der Post. Die Nachricht von der verschwundenen Katze und dem Spürhund hatte sich offensichtlich herumgesprochen.
Ich gab meiner Hündin das Zeichen zum Weitermachen. Während Tim und ich ihr nachfolgten, stürmte Molly, die nicht mehr zu halten war, durch den Garten des Hauses Nummer 38 und schnappte sich, ohne Halt zu machen, eine Speckschwarte, die für die Vögel ausgelegt worden war. Sie sprang auf die Terrasse, wirbelte zu mir herum, nahm Blickkontakt zu mir auf und vollführte, während ihr ein Stück Speckschwarte aus dem Maul hing, das nachdrücklichste »Ablegen«, das ich je gesehen hatte.
»Oh mein Gott, sie zittert wieder«, flüsterte Tim mit bebender Stimme. »Hat sie sie gefunden?«
»Einen Moment …«, sagte ich, bevor ich mich verstohlen zum Gartenhaus schlich und durch die einen Spalt offenstehende Glastür lugte. In einer dunklen Ecke saß auf einem blauen Kissen eine Katze. Eine weiß-schwarz-kupferrote Katze. Eine mandeläugige Katze mit buschigem Schwanz. Eine Katze mit einer schwarz-rosa Nase.
»RUSTY!«, rief Tim, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle halten konnte. »Meine Katze!!! Molly hat meine Katze gefunden!!!«
»Eine Katze? Nie-maals …«, sagte der Sohn im Teenageralter schleppend, der eindeutig keine Ahnung hatte, dass im Gartenhaus seiner Familie eine Katze zur Untermiete wohnte.
»Das passiert eben, wenn dein Dad die Tür nicht richtig verschließt«, mokierte sich seine Mutter. »Das arme Ding.«
Doch in Sekundenschnelle hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Vielleicht hatte Rusty vom Johlen und Brüllen ihres Besitzers Angst bekommen, denn sie schoss aus dem Gartenhaus, raste die Einfahrt hinab und sauste durch eine Reihe von Vorgärten. Tim rannte hinter ihr her, nahm die Ligusterhecken wie ein olympischer Hürdenläufer und hob Rusty schließlich unter einem Haselnussstrauch hervor. Ich eilte mit Molly an der Leine hinterher und fand ihn mit seiner Katze auf dem Arm auf dem Gehsteig vor, während ihm Freudentränen über die Wangen strömten.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, schluchzte er. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie sie gefunden haben. Danke, Colin. Danke, Molly. Ich danke Ihnen so sehr.«
Von den versammelten Zaungästen ertönte spontaner Applaus.
»Das Aufregendste, das seit Jahren hier im Dorf passiert ist«, sagte einer lachend.
»Besser als Mission: Impossible«, gluckste ein anderer.
Die Schwestern von Nummer 36 erlaubten Tim, Rusty eine Weile ins Haus zu bringen, wo sie eine ganze Schüssel voll Wasser gluckerte und einen Beutel Katzenfutter verschlang, den ein Nachbar gespendet hatte. Während Tim am Küchentisch saß, informierte er Jasmine über die gute Nachricht, die gerade im Zug nach Hause saß und sich prompt in Tränen auflöste, und schilderte ihr dann die Ereignisse des Tages.
Er erzählte ihr, dass Rusty fast sicher in der Ambulanz des Leichenbestatters mit nach Stonebridge gefahren und irgendwann herausgekrochen war. Danach war sie auf der Suche nach Schutz, Wärme, Futter und Wasser – die Grundbedürfnisse einer jeden Katze – im Dorf herumgestromert und in Nummer 38 übergesiedelt. Diese Entscheidung hatte sich als sehr klug erwiesen. Das Gartenhaus hatte ihr als Zuflucht gedient, während die proteinreichen Speckschwarten (ebenso wie das Wasser aus den Vogeltränken nebenan) ihr die lebenswichtige Versorgung geboten hatten.
»Colin sagt, sie ist ein helles Köpfchen«, sagte Tim halb lachend, halb weinend.
Nachdem Tim aufgelegt hatte, stand ich auf, verabschiedete mich und lief zu den grünen Feldern jenseits der Gärten. Der Himmel war jetzt dunkel, schwere Wolken zogen auf, doch in meinem Kopf und meinem Herzen kam es mir wie ein wunderschöner Sommertag vor. Als ich alles so richtig begriff, bekam ich feuchte Augen. Vor vier langen Jahren hatte ich begonnen, einen Katzenspürhund zu suchen und auszubilden, und hatte geglaubt, dass ich dafür nur sechs Monate bräuchte. Ich hatte Hunderte von Stunden über die Sinnesorgane von Hunden recherchiert, war Tausende von Meilen gereist, um mich mit den besten Fachleuten auf diesem Gebiet zu treffen, und hatte gegen viel Widerstand und Feindseligkeit ankämpfen müssen. So viele Leute hatten mir gesagt, meine Idee sei nicht durchführbar, und angedeutet, dass ich töricht sei und Wahnvorstellungen hätte.
Doch jetzt, in diesem winzig kleinen Winkel von Hertfordshire, hatte ich endlich meinen Machbarkeitsnachweis, und Molly und ich hatten den Fall unter Einsatz unserer detektivischen Fähigkeiten à la Holmes und Watson gelöst und ein Haustier wieder mit seinem Besitzer vereint. Ich hatte die strategische und analytische Rolle übernommen und aus meiner Fülle von Ermittlungserfahrung geschöpft, um die Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten Rustys Verbleib betreffend einzuschätzen und die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Zeugen zu beurteilen. Meine Partnerin Molly – energiegeladen, willensstark und mit einer fantastischen natürlichen Begabung gesegnet – hatte sich als mein perfektes Gegenstück erwiesen, und durch unsere Teamarbeit hatten wir unseren Auftrag kompetent und professionell erfüllt.
Ich kniete mich hin und streichelte sanft Mollys Gesicht, da ich wusste, wie gern sie durch Berührungen unsere emotionale Bindung vertiefte.
»Kannst du es fassen, Molly?« Ich lächelte, als sie sachte an meiner Handfläche knabberte. »Wir haben tatsächlich unsere erste verschwundene Katze gefunden!«
Nachdem ich mich verstohlen umgesehen hatte, um sicherzugehen, dass wir allein waren, sprang ich in die Luft und schrie, so laut ich nur konnte: »JA!« Zuerst war Molly überrascht, doch dann hüpfte auch sie in die Höhe und begann, ihr ureigenes »JA!« herauszubellen. Wir tollten wie zwei verrückte Märzhasen über das Feld und bemerkten den heftigen Regen nicht, der eingesetzt hatte.