Ernst Weiß

Nahar

Zweite Fassung 1930

 

 

 

Ernst Weiß: Nahar. Zweite Fassung 1930

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Franz Marc, Der Tiger, 1912

 

ISBN 978-3-7437-0187-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-3389-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-3392-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Kurt Wolff Verlag, München 1922. Hier in der vom Autor überarbeiteten Fassung von 1930.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Erster Teil

I.

Im Norden Europas starb ein Mensch. Im südlichen Wendekreis, mitten auf einer tropischen Insel, wurde ein Tiger geboren. Ein Herz hörte auf, ein Herz begann zu schlagen.

Ein düsterer Himmel über dem Lager der gebärenden Tigerin. Schweres Grau. Feuchter Nebel, in warmen Schwaden zwischen den gewaltigen Bäumen. Es brauste in den Kronen der Mangobäume.

Im Urwald floß ein Strom im Bogen rings um den Schlupfwinkel des Tigers. Jetzt stürzte das Wasser vom Himmel herab, ein weißer schäumender Regenwasserfall. Windgepeitscht warfen sich die dichtbelaubten Sträucher, zwischen denen die tragende Tigerin sich gelagert hatte, zu Boden. Rosige Blüten des Hibiskus, die gelben vom Oleanderstrauch glitten nieder zur Erde.

Rasch wurde es dunkel mitten am Tage. Zart zeichnete sich der Umriß eines Waringinbaumes gegen den fliederfarbenen Himmel ab. Wasser auf Wasser rauschte herab, Gras und Erde durchtränkend. Bald aber wurde es wieder hell, schon verstummte das Regenrauschen, die Sonne brach machtvoll durch, der Wind säuselte durch die grüngoldenen, zitternden feingefiederten Wedel der graustämmigen Palmen, langsam bewegte er die breiten, atlasglänzenden, dicken Blätter der Bananen. Die Bambusgesträuche schwankten, dunkler, inniger färbte sich das Laub des gewaltigen Brotbaumes. Die Knospen der Pflanzen strotzten in der warmen Feuchtigkeit.

Die gewaltige Tigerin leckte mit der hornbesetzten, rauhen Zunge sich ihren Leib, wand sich auf ihrem Lager, schlug mit dem Schweife um sich; sie öffnete den Rachen zu einem Brüllen, aber statt des tiefen dröhnenden Tigerrufes kam nur dumpfes Stöhnen. Die Sonne brach sinkend durch die Zweige. Wie hergezaubert schwankten winzige schillernde Vögelchen, blau, rot, smaragdfarben, durch die Luft des Abends, und zackig geflügelte Schmetterlinge, viel größer als die edelsteinfarbenen Vögelchen, segelten in Schwärmen durch die Luft, die von feurigen Farbenpunkten sprühte.

Dumpf dröhnte der Boden. Eine Herde schwarzer, schwerer Wasserbüffel zog vorbei. Der Leitstier hielt die mächtigen Krummhörner tief zur Erde gesenkt, streifte die Gesträuche, schnaubte, schlug mit dem langen Schweif um sich. Die alte Tigerin horchte auf, ihre gelblichbraunen Augen inmitten des goldfarbenen, schwarzgeströmten Antlitzes funkelten, die weißen Schnurrhaare zitterten. Sie reckte den gewaltigen geschmeidigen Körper, krallte sich mit den Vorderpranken an einem Baumstamme fest, dehnte sich, gähnte laut, entblößte ihr in der Dämmerung noch hell blitzendes Gebiß.

Wolkenloser Abendhimmel nach den Regengüssen. Die Sonne erglänzte in kupfernem Schimmer, während sie sich zum Spiegel des hoch angeschwollenen Stromes niedersenkte. Die Brise wehte vom Lande her. Zages Pendeln lackgrüner Blätter. Weiße Kakadus kreischten, von einem Iltis verfolgt, verstummten. Stare plapperten noch in den Zweigen. Hyänenhafte dürre Hunde schlichen sich vom Dorfe her durch das Gebüsch, suchten mit den spitzen Schnauzen abgefallene Kokosnüsse, vom Hunger gepeinigt. Dann zogen auch sie zum Flusse, zur Tränke.

Die Tigerin, zum erstenmal gebärend, spürte nicht Hunger, nicht Durst. Sie hatte sich breit auf den Boden gelagert, die Augen geschlossen. Schwer atmend ruhte sie. Stille und Schweigen. Ruhige Nacht. Dunkel und die ersten Sterne. Der Fluß schwarz. Tiefes Rauschen. Es krampfte sich mit einem zuckenden Herzschlag das Innere des Tieres zusammen. Die Glieder hatte das Tigerweib an sich gerissen, heiße Feuchtigkeit strömte von ihr. Es löste sich der Krampf des Innern. Es stieg der Mond, die hellen Sterne flimmerten. In ihrem Glanz sah jetzt die Tigerin aus ihrem Leibe Blut strömen, ein winziges, ganz rundes Haupt mit spitzen Öhrchen drängte sich ihr zwischen den Hinterbacken hervor, ein dünner Hals folgte nach, eine magere Brust, fleischlose Pranken mit plumpen Tatzen, zum Schluß ein dünner geringelter Schweif. Durch eine dünne Ader war das junge Tier verbunden mit der Mutter. Sie leckte ihr erstes Junge mit ihrer starren hornigen Zunge. Sie berührte die noch geschlossene Höhle der zwei Augen, die Stelle an der Brust des Kindes, wo ein Herz pochte in schnellem Schlage. Ein Leben ward begonnen. Nahar lebt, ein ruhendes, kleines, eben erst atmendes Tier. Die Mutter faßt das miauende Wesen ins Maul, trägt es sacht nach vorn, unter ihre Brust, nahe den strotzenden Zitzen. Da wird es ruhig, regt sich nicht. Noch einmal drängt es die Mutter, sich zusammenzukrampfen, sich aufzulösen. Es öffnet sich in strömendem Blut noch einmal der Leib des riesigen Tieres. Tiefe Nacht. Frösche quaken, laut tönt das Trillern der Zikaden, das schrille Reiben der Zikadenflügel. Die hohen Halme des Alang-Alanggrases zittern, das gebärende Tier verbergend. Durch die Nacht jagt Kalong, der Vogel mit Fledermausflügeln; die Nachtvögel tönen dumpf auf den Wipfeln der wehenden Brotbäume, Affen schnattern, nimmermüde in weiten Sprüngen von den knackenden Ästen absetzend, von starken Männchen geführt, die pfeifen und kreischen. Kokosnüsse fallen krachend herab. Jetzt heben sich allmählich grauweiße Nachtwolken aus dem nahen Strom, umwittern aufsteigend den schwebenden Mond, verfangen sich zwischen den Zweigen am Ufer. Das Mondlicht verdämmert, erlischt. Hirsche, Antilopen, massige Bisons ziehen in Rudeln zur Tränke. Prasselnd bricht ein Nashorn durch. Ein Büffel stampft auf den Boden. Schwer weht warme Luft, von Feuchtigkeit gesättigt. Regen strömt von neuem. Die Mutter deckt die zwei neugeborenen Jungen mit ihrem ausgebreiteten Körper zu.

Die Zeit verging ohne Anfang und Ende.

Auf der Halbinsel nahe dem Dorfe lauschte versteckt unter den Bäumen, inmitten des hohen Alang-Alanggrases, das Tierlager mit den ruhenden Tieren. Dumpfes Gleiten des Wassers zur Nacht, ewiges Atmen, ewig ziehender Zug. Schwerer strömte der warme Regen der Tropen, wusch sie alle, beruhigte sie, schläferte sie ein mitten in der herrlich quellenden Wildnis.

So lebte Nahar auf, zur Glückseligkeit Tier, gekleidet in den bunt gespannten Mantel einer herrlichen Kreatur, in flammend gestreiftes Fell. Der Regen verstummte. Gewaltig in Glanz brach durch die ziehenden Wolken der Mond von neuem.

 

II.

Von einem Tiger geworfen, atmete Nahar Tigerdunst ein. Selig in ihrer müden Wonne saugte sie in sich den ersten Schlaf der Tiere. Über sich fühlte sie die Mutter, einen guten, großen Gott.

Guter, großer Gott der wiedergeborenen Kreatur. Ziehen, Rauschen, Hauchen ganz weich: so blies das Muttertier den jungen Tiger an, um ihn zu trocknen von der triefenden Feuchte der glücklichen Geburt. Die Mutter war glücklich: Nahe zum Greifen, nahe zum Kosen hatte sie vor sich die bis jetzt unsichtbare Last. In ihr aufgerichtetes, hell umbuschtes Ohr schmeichelte sich die Stimme der Jungen, die bis jetzt stumm in der Brunnentiefe ihres Leibes gelebt hatten.

Auf ihren gewaltigen, breit gehämmerten Pranken ruhten jetzt, gewichtlos wie abgefallene Knospen, die Köpfe der Geschwister. Inden Winkel des gebeugten Schenkels faßte die Mutter das Kind. In ihrem Knie kniete es, das hilflose. An ihre Augen wurde es gehoben, das blinde. Mit rauher Zunge, scharrend wie Stroh, berührte die Mutter die Tochter, um sie ganz zu fassen, zu fühlen im Kern ihres Herzens. Wieder betastete sie das Kind mit der Spitze der Zunge, dann mit der ganzen Fläche, die mit Stacheln aus starrem Horn, mit beißenden Kämmen besetzt war. So schlichtete sie das zerwühlte Fell, ordnete mit langem Ziehen des Kammes die kurzen Härchen der Jungen das Rückgrat entlang, vom mageren Hals bis zum dürren, unruhigen Schweif. Der noch geschlossenen Höhle der Augen, dem Spalt des zahnlosen Mundes spürte die Tigermutter nach, stark und sanft: tief atmend kostete sie den letzten Duft des eigenen Leibes, des eigenen Blutes. Noch einmal durchrann die Mutter die Wonne des Tragens. Es verzitterte das Beben der ersten Geburt.

Die Kinder, ganz erschöpft, lagen vor ihr wie tot.

 

III.

Nacht, gegen Morgen.

Nahar und das Brudertier, von Blindheit umgeben, verschränkten ineinander die winzigen Glieder, flochten ineinander die Ringe, die ihren Leib umspannten, goldflaumig und schwarz. Nahars Kopf hatte sich tief eingelagert in die warmen Flanken des Bruders, Nahars Kopf wurde gehoben und gesenkt mit den Atemzügen des Bruders.

Kühler Regenwind öffnete das dichte Gezweig der Weide.

Wie durch das Tor schritt mit schwebendem Gang das Vatertier, Jagdbeute schleppte es nach, raschelte durch Traum und Schlaf.

In Dunkelheit erwachte Nahar. Der salzige Geruch des frischen Fleisches weckte sie mit bebender Freude, hoch horchte sie hin nach dem Fallen der Blutstropfen, die niedertropften in das regengeschützte Versteck. Über ihre emporgewölbte kleine Stirn streifte ein zertrümmerter Knochen, Körnchen von blutigem, fettem Mark glitten über des Tieres Lefzen, die jetzt ins Leere saugten und feuchte Luft erhaschten statt Speise.

Noch lagerte die Mutter in dem warmen Winkel der Geburt, noch träufelte das Blut der Eröffnung um ihren gewaltigen Hinterleib, als sie Nahar sacht emporhob in die Höhlung ihres gekrümmten Bauches. Die Kinder zu sättigen, erfaßte sie mit der aufgerollten Zunge eine ihrer starrenden Zitzen und drückte ihre milchspendende Brust Nahar in den zahnlosen, mit hohen Kiefern schnappenden Mund.

Selig sog das Junge die heiß sprudelnde Süßigkeit, in schwarzem, warmem Frieden breitete es sich rings um den Euter, den breiten, runden Heimatherd, es atmete und trank in tiefen Zügen, bewußtlos von Wonne wie ein Baum: neue Nahrung, Regen ohne Ende floß ihm zu.

Freudenvolle Wollust des Seins. Der große Mond, weiß in der Mitte des Himmels, durchbrach das dämmernde Regengewölk. Matt schimmerte er durch Nahars Augenrund, das noch mit dünnem Gehäuse verschlossen war. Zart wallendes Licht.

Der Wind, sehr feucht vom Regen, begann zu fauchen, zu zittern in der Krone des Baumes, unter dem vier Tiere ruhten.

Aus der Fülle des Traumes, von dem Teppich ihres Bettes, von dem schützenden Dach, vom warmen Heimatherd sang Nahar eintönigen Gesang. Ohne Mühe entquoll es schnurrend ihrer Brust, dehnte alles aus in ruhevollem Laut, in tief summendem Schwirren, hügelan gehoben mit der atmenden Brust, hügelab verseufzend in Stille.

Den Kopf hob Nahar fort von dem warmen Hügel der Mutterbrust. Es fühlte sich leben, das selig umdunkelte Tier. Mit winziger Zunge leckte es sich selbst die eckige Schulter, das magere Gebein seiner Brust, der dünn behaarten.

Die Mutter regte sich, aus dem gewaltigen Schlund kam dröhnendes Gähnen. In den weitaufgerissenen Rachen der Mutter tappte Nahar ihre ersten Schritte: sie klammerte sich an das Gesicht der Alten, verbarg sich ganz in der Grotte des Maules, frierend in der Nacht. Aber schon glitt sie hinab, den Quellen der Brüste nach.

In großer Beseligung preßte sie sich in das Gewühl des strotzenden Fleisches, sie lagerte sich in der milchtropfenden gesegneten Nähe: gesättigt, genährt an freudevollen Düften, sich selbst nahe, alle Glieder näher an sich heranschlingend, in stillstarker Umarmung schlummerte sie ein.

Wehender Monsun der ozeanischen Gestade. Der Mond war grau umhüllt. Graues Schimmern durch Nahars Augenlider.

Groß öffneten sich die Mutteraugen. Goldenes Funkeln, blendender Blitz in graues Gewölk. So wanderten die Augen um den Schlaf der Jungen, schützende Gestirne.

Regen rauschte von neuem, umstreichelte die engverschlungenen Zweige des Baumes. Das Vatertier schritt draußen im Regen, leise zwischen kriechendem Gebüsch. Der Vater zerriß die seilartig gestrafften Schlingpflanzen, sein mächtiges Haupt, aufspürend den Waldgang der jagdbaren Tiere, folgte nicht der lockenden Spur. Um das Lager des Weibes und der schlafenden Jungen wanderte er, in niedrig federnden langen Schritten, immer den gleichen Weg, ein treuer Wächter, der niemals schläft.

Auch die Mutter schlief nicht: an dem Abhang ihres Leibes, alle Glieder gelöst, ruhte ihre Brut. Ruhig war sie selbst, nur ihr Schweif schlug nervig die Steine des Gebärlagers, die von dem dunstigen Hauch der vereinigten Tiere sanft erwärmt waren. Er erschütterte die letzten Ausläufer der Zweige des schützenden Heimatbaumes: bebend erschüttert, weinte der Baum warme Tränen nieder auf die paradiesischen Tiere.

 

IV.

Noch sah es nicht, das kindheitsblinde Tier: wie mit der blauen Flügeldecke eines in der Sonne ruhenden Insektes war das matte Rund seines Auges verdeckt, mit Dämmerung war es sanft ummantelt. Mit unsicherem Schritt tappte Nahar weiter den Weg der ersten Wanderung: auf dem Körper der Mutter schweifte sie wie in die Ferne. Unter ihren tastenden Füßen spannten sich zu ragenden Blöcken die Glieder der Mutter. Mit tiefem Seufzer des Erschreckens versank Nahar im Tal, zwischen den heißen Bergen der starrenden Brüste wand sie sich mühsam hindurch, in den auseinandergewälzten Falten des Halses verstrickte sie sich spielend. Die Sonne stieg.

Süßer, brennender Duft. Sommerwind.

Blau alle Welt, für das halbblinde Tier verzaubert in die Dämmerung eines halb erwachten Tages. Als wäre Nahar verfolgt, so flüchtete sie in das meerrauschende Ohr der Mutter. Als wäre sie gejagt, gehetzt, so schmiegte sie sich auf den gewölbten Bug der mütterlichen Stirn.

In blauer Dämmerung schimmerte ein kleines Tier ihr gegenüber, so wie sie war es geschmiegt an ein Ohr der schlafenden Mutter, mit seinen Krallen umschlang es die ihren, seine Brust pochte nahe an der ihren; es spielte mit dem Schweif in Ringeln wie sie selbst: das vertraute Wesen, ihresgleichen, ein Spiegelbild, der zweite Tiger, der Bruder.

Der silbern klingende Ruf, der rauh summende Ton, war er ihrer eigenen Kehle entsponnen oder der anderen?

Am Grunde der hohen Mutterbrüste lagen die jungen Tiere, Kopf an Kopf, Zunge in Zunge verspielt, so hauchten sie einander an im ersten Erkennen. Geschwistertiere. Milch quoll ihnen beiden.

Landschaft um sie: der blau umschattete Berg. Schwarz war versunken das Tal, von breiten Streifen wallend getigert.

Tiermutter, schweigend ruhende, die mit großen Augen niederfunkelt auf ihre Kinder. Golden gesänftigt. Summen raunte aus allen, schwebender Dreiklang.

Von den ungeheuren Pranken der Mutter waren die Kinder wie mit Mauern umschlossen. In guter Heimat, am atmenden Herd, wie ein einziger Hauch wiegten sich beide auf der weiten Ebene, sie rührten sich nicht.

Ruhe und Nacht, Blut und Luft, Nahrung und Schlaf, Summen und Schweigen.

Der neue Morgen entbrannte. Viele Stimmen tönten im Chor. Draußen, jenseits des rauschenden Heimatbaumes. Die große Sonne. In weißen Säulen strömender Glanz dröhnte durch den erwachenden Tag.

Das Vatertier, in friedlichem Kehllaut, lagerte sich wieder zu den anderen.

Im aufdampfenden Hitzewind lehnte sich das Gebüsch zurück, die Zweige rollten auf. Matt rinnendes Licht. Ferner, weiß glückseliger Schimmer über die blaue Dämmerung der kindheitsblinden Tiere.

Regengrüne Mangobäume, schillernd in der blassen Glut des hochragenden Gestirnes in der Stunde der glückseligen Jugend. Alle Tiere atmeten in Ruhe. Keine Wanderung. Kein Leiden. Sättigung. Sein. Hoher Berg mit Nahrung. Paradies der Speisung, Garten der unerschöpflichen Sättigung. Ruhe im Flimmern der Sonne. Schlaf im Abendrauschen des Regens. Paradies der Tiere.

 

V.

Noch sah es nicht deutlich, das kindheitsblinde Tier. Noch war es getaucht in blauen Morgentraum. Dem feuchten Hauch der mütterlich entgegengebrachten Brüste entglitt es, über die lau gewärmten Blätter des Lagers lief es dahin, geleitet vom Schimmer, herangelockt von einem fernen Strahl. Die Sonne stieg. Aber unsichtbar, unerreichbar, nicht zu fassen verrann vor ihren Augen das Licht. Scharfe Halme rissen mit Stacheln an Nahars Hals. Die Glieder hielt sie geklammert um hin- und widerschwingende Äste.

Kalter Sturm brach plötzlich von oben, brausender Morgenwind schaukelte die Zweige und das gewichtlose Tier. Donner dröhnte dumpf. Es gurgelte der nahe, gewaltige Strom. Vögel kreischten wild. Des Spiegeltieres silbern klingender Laut hauchte kaum noch zu ihr aus der Ferne. In kalte Flut versank Nahar, tauchte in eisiges Wasser, mit Not rettete sie sich, sie zitterte in Angst. Hilflos klebte sie in einer Höhlung der Erde, um sich selbst geringelt, damit sie sich labe an der kärglichen Wärme des eigenen Körpers, an den Blättern züngelte sie, um sich wäßrige Nahrung zu saugen. Nun schrie sie kläglich zurück nach der Mutter.

Vögel flatterten auf in rieselndem Rauschen, schwerer Regen prasselte nieder, über den mageren Hals goß es, schnell erkaltete alles auf der Haut. Je weiter sie wanderte, desto fremder die Welt. Schnellende Zweige, Schläge und Peitschen, Niederkrachen durch tückisch schwankendes Unterholz. Luftwurzeln über sumpfigem Gelände, Lianen und stachliges Gezweig. Rettungslos die Welt, von allen Seiten versperrt.

Das Tier allein. Langhin wimmerte die Stimme in Verzweiflung. Aber jetzt sauste ein Ungeheures durch die Luft, schon warf es sich nieder, krachte im splitternden, regensprühenden Gezweig. Und jetzt, im gesegneten Augenblick, erglühte es vor Nahar im blitzenden Licht, hoch rauschte auf der Vorhang der matt gespannten Lider, zum erstenmal sah Nahar: über sich den großen, rettenden Gott, den ungeheuren Pfeil des Leibes noch federnd vom Sprung.

Es kreiste der Mutter ruhiges Haupt mächtig über ihr, ein Himmel, schwarz und fahl gestreift, ein Funkeln, goldiggrün aus Urgrundtiefe: die Tieraugen, runde Sterne, wandelten über ihr.

Wie ein weithin gelagerter Berg kniete die Mutter vor dem Kind. Schon raffte sie es auf, bettete es in ihrem Munde. Zwischen die weißen Lefzen mit den starren Schnurrhaaren war es gepreßt, die breite Zunge der Mutter rollte sich als ein wärmendes Lager unter ihr, ihr Atem strich Zug um Zug über sie hin. Jetzt wurde sie durch Nässe und Fremde zurückgetragen. In sausendem Fluge schwebte sie in der Luft, in gleitender Senkung landete sie unter dem regentriefenden Baum in einem trockenen Winkel. In herrlichster Wiederbegegnung sah sie das Spiegeltier, in ruhender Besänftigung hörte sie es sich entgegensingen.

Morgen war es, in der Ferne noch stürmender Regen in donnerndem Guß, am Ende des Himmels das fliehende Gewitter. Das violette Gewölk zog dahin, die Sonne kam wieder, das wärmende Licht.

Nahar aber, die von der Mutter gerettet, von der Mutter doppelt besonnt dalag, sie, die dem Bruder zugesellt, mit den anderen sich vereinte, sie war zur Freude als Tier unter Tiere gebreitet, versöhnt war sie im Zuhause des fest gegründeten Lagers.

Die Sonne brach jetzt strahlend mitten durch weißkochende Luft.

Wipfelbäume ragten in fast schwarzem Grün, zart geteilte Blätter, tausendfach verzweigt, breite Flächen, geglättet im Glänze. Licht spannte sich aus, überschwenglich hingeschüttet, kaum zu fassen, blendende Glut, gierig getrunken, grün siedendes Metall um Himmel, Pflanzen, Tiere, Stein.