Johann Nestroy: Der Unbedeutende. Posse mit Gesang in drei Akten
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Johann Christian Schoeller, Der Unbedeutende, 1849
ISBN 978-3-8430-8531-1
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7587-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7588-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Wien (Wallishausser), 1849. Uraufführung am 02.05.1846, Leopoldstädter Theater, Wien.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Wien: Verlag von Anton Schroll & Co., 1962.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Baron von Massengold.
Fräulein Ottilie, dessen Verwandte.
Hermine, Mündel des Barons.
Puffmann, Sekretär.
Von Gröning, ein junger Holländer.
Von Packendorf,
Von Lockerfeld,
Von Seewald,
Von Althof, Freunde des Barons.
Tupper, Kammerdiener.
Rumpf, Schloßwächter.
Franz,
Friedrich,
Heinrich, Bediente.
Ein Wirt.
Ein Kellner.
Peter Span, Zimmermann.
Klara, seine Schwester.
Thomas Pflökl, Zimmermann.
Frau Hußbergerin, Wäscherin.
Hänschen, ihr Sohn.
Klopf, Klempner.
Frau Klopfin, seine Frau.
Netti, beider Tochter.
Kübler, Bindermeister.
Frau Küblerin, seine Frau.
Susi, beider Tochter.
Schmalzer, Greisler.[514]
Frau Schmalzerin, seine Frau.
Flachs, Weber.
Frau Flachsin, seine Frau.
Spring,
Biegel,
Leicht, Schneidergesellen.
Mehrere Einwohner von Kobelstadt.
Wächter, Kellner, Musikanten.
Die Handlung spielt an drei aufeinanderfolgenden Tagen teils auf dem Schlosse des Barons von Massengold, teils in dem zu seiner Herrschaft gehörigen Städtchen Kobelstadt, teils am Ufer eines Flusses in der Nähe seines Schlößchens Eschenau.[515]
Die Bühne stellt eine Waldpartie am Ufer eines Flusses vor, nur zwei Kulissen tief, links am Ufer ist eine Rasenbank, weiter vorne links ein Gebüsch; es ist Abend mit Vollmondbeleuchtung.
Fräulein Ottilie, dann Puffmann.
OTTILIE rechts auftretend. Nun wird es Zeit sein – alle Vorkehrungen sind getroffen. – Sich nochmals vorsichtig umsehend. Ich gebe ihm das Zeichen. Klatscht dreimal in die Hände.
PUFFMANN kommt aus dem Gebüsche links. Da bin ich, darf mein Schützling –
OTTILIE mit Beklommenheit. Sogleich –
PUFFMANN hervoreilend. Ist Ihnen etwas, meine Gnädige?
OTTILIE. Ich fühle eine Bangigkeit –
PUFFMANN. Warum? Ihnen betrifft es ja nicht.
OTTILIE. Und doch klopft mir das Herz, als ob ich selbst entführt würde.
PUFFMANN. Das sind übertriebene Phantasiebilder, die man mit Brausepulver und Krebsaugen –
OTTILIE. Bringen Sie ihn! Geht Seite rechts ab.
Puffmann, dann von Gröning.
PUFFMANN der abgegangenen Ottilie nachrufend. Wird augenblicklich da sein. Ein Schnupftuch hervorziehend. Ein Schnupftüchelwinker, und alle Ersten-Mai-Läufer[517] sind beschämt! Er winkt mit dem Tuche links in die Kulisse. Die Flagge der Liebe mag wehen.
VON GRÖNING kommt eiligst aus links. Hermine, Geliebte! –
PUFFMANN. Aushalten! Nur einige Sekunden noch!
VON GRÖNING ihm ein Papier gebend. Hier, Freund, nehmen Sie eine Anweisung auf die doppelte Summe.
PUFFMANN entzückt. Also tausend Dukaten?? – Glänzender Belohner, jetzt freut's mich erst, daß ich das Dokumentwagstück unternommen hab'. Gibt ihm eine Schrift. Nehmen Sie!
VON GRÖNING. Was ist das?
PUFFMANN. Ein freier Paß ins Hymenäische, eine Geburtsscheinkopie mit improvisierter Majorennität der Fräulein Braut. – Rechts horchend. Still – ich glaub' –
VON GRÖNING. Es rauscht im Gebüsch –
PUFFMANN. Es schwebt über die Abendtauperlen –
VON GRÖNING. Sie ist's! – Hermine –[518]
Hermine; Vorige.
HERMINE von Seite rechts auftretend. Adolf! – Ach, ich zittre –
PUFFMANN beiseite. Das Zittern lass' ich mir gefallen, aber wenn die Alte zittert –
VON GRÖNING zu Hermine. Fasse Mut!
HERMINE. Mir bangt vor dem Schritte –
PUFFMANN zu Hermine. Wär' nicht übel! Der Mond scheint, das Heimchen zirpt, die Rosse stampfen, der Kutscher schnauft – wenn Ihnen das Ensemble nicht reizt –
VON GRÖNING drängend zu Hermine. Noch in dieser Stunde werden wir über der Grenze getraut – oh, zögere nicht – komm, Geliebte! Führt sie Seite links ab.[518]
PUFFMANN den Abgehenden nachblickend. Fahrt wohl, ihr glücklichen Konvenienzüberhupfer! – Ob denen der Moment jetzt feil wär' um ein paar Dutzend Paradies'? Glaub' nicht. – Wenn das mein Herr und Gebieter morgen erfährt, was heut' in Eschenau hier vorgegangen –[519]
Ottilie, Puffmann.
OTTILIE von rechts. Sind sie fort?
PUFFMANN nach links Vordergrund zeigend. Dort fahren sie hin.
OTTILIE. So hätte ich sie los, die Nebenbuhlerin!
PUFFMANN mit Staunen. Nebenbuhlerin? Die Gnädige entschuldigen einen leisen Starrkrampf der Verwund'rung.
OTTILIE. Glauben Sie denn, daß mich, indem ich die Schwachheit des Mädchens protegierte, alberne Herzensgüte leitete oder gar schnöder Eigennutz wie Sie –
PUFFMANN. Die Gnädige belieben in mir immer nur den habsüchtigen Schmutzian zu sehen. Mein Eigennutz hat etwas Respektables, seitdem er sich in den Salonfrack des Dominierens geknöpfelt.
OTTILIE. Sie durchkreuzten also die Heiratsidee des Barons –?
PUFFMANN. Weil ich ihn ledig haben will. Den verheirateten Baron würde die junge Frau beherrschen, den ledigen beherrsche ich.
OTTILIE. Recht so, er verdient es, der Sklave seines Sklaven zu sein, weil er die Rosenfesseln drückend fand, mit welchen damals ein liebend Mädchen ihn umschlingen wollte.
PUFFMANN. Ha! Aufklärung! Das is die Nebenbuhlerei! Sie selbst sind das damalige Mädchen mit den damaligen Rosenfesseln.
OTTILIE. Die Liebe, die er damals herzlos mir versagte, wendet er nun vernunftlos seiner Mündel zu. Es ist[519] eine Genugtuung, die ich mir selbst schuldig war, daß ich vereint mit Ihnen wirkte im Zerstörungsplan seiner Wünsche.
PUFFMANN. Wir feiern einen stillen, aber schönen Triumph. Es versteht sich von selbst: zweckmäßiges Benehmen beim Bekanntwerden der Flucht! Die gnädige Fräul'n schreien Zeter, ich schrei' Mordio!
OTTILIE. Wenn man nur ihrer Trauung keine Schwierigkeit macht!
PUFFMANN. Dafür hab' ich gesorgt. Ich habe im Geburtsschein der Fräulein Hermine, den der Baron in Verwahrung hat, eine kleine Korrektur in der Jahreszahl unternommen, die Fräulein um drei Jahr' älter gemacht, folglich majorennisiert und hab' eine vidimierte Abschrift fabriziert, die sich fürs Ausland gültig genug präsentiert.
OTTILIE erschrocken. Himmel, was sagen Sie –!? Und mich wollen Sie zur Mitwisserin machen, zur Mitschuldigen einer Tat, wo die Gerichte –
PUFFMANN sie unterbrechend. Aber, Gnädige –
OTTILIE. Still, kein Wort mehr! Ich habe nichts gehört ich weiß nichts – ich will nichts wissen – Gott, wenn die Gerichte – ich bin des Todes! Eilt nach rechts ab.[520]
Puffmann.
PUFFMANN allein. Schwache Geistin! – Und wer kann mir beweisen – wer kann mich nur anklagen? – Wenn ich aber jetzt den gewöhnlichen Weg nach der Stadt geh', wie leicht könnte da – am andern Ufer wär' es sicherer – da is ja sonst immer ein Fischerboot angehängt. Eilt zurück und sieht nach dem Ufer. Richtig – alles, wie ich's brauch' – ich spring' hinein. Will, als ob er einen Anlauf nähme, rechts in den Kahn, welcher jedoch nicht sichtbar ist, hinabspringen.
Thomas; Voriger.
THOMAS. Halt! Packt, indem er hinter dem Gebüsch am Ufer, wo er gelegen, sich erhebt, Puffmann am Rockschoß.
PUFFMANN erschrocken. Ha – wer da –!? Sich schnell sammelnd. Wer untersteht sich, da zu sein?
THOMAS freundlich, submiß und mit dummpfiffigem Lächeln. Ein Zimmermann, ein ordinärer Zimmermann is da im Gebüsch g'legen.
PUFFMANN. Geh' Er Seiner Weg'!
THOMAS. Wo geht denn da der Weg in die Stadt?
PUFFMANN nach links Hintergrund zeigend. Dort steht die Wegsäul'n an der Straßen.
THOMAS. Was nutzt mich so a steinerner Wegweiser, der da steht als wie ein Maulaff'; ich hätt' gern ein', der mit mir ging' – kommen S', bester Herr!
PUFFMANN. Kann Er nicht allein gehn, alberner Mensch?
THOMAS. Es ist immer besser, wenn zwei miteinander gehn.
PUFFMANN der Thomas jetzt erst mehr ins Auge faßt. Und was is denn das? Er kommt ja von der Arbeit? Indem er auf Thomas' Schurzfell und Axt deutet.
THOMAS. Freilich – hab'n S' mich etwa für ein' Kapitalisten ang'schaut?
PUFFMANN entrüstet. Er is also kein reisender Handwerksbursch?
THOMAS. Zu was reisen? Überall gut, zu Haus am besten!
PUFFMANN wie oben. Wie kann denn Er hernach um den Weg fragen?[521]
THOMAS. Lassen wir das! Puffmann freundlich, aber zudringlich am Arm nehmend. Sie gehn halt mit mir!
PUFFMANN erschrocken, für sich. Teufel! Der hat am End' gehört –! Zu Thomas. Liegt Er schon lang da?
THOMAS wichtig und mit Beziehung. Auf jeden Fall lang genug, um Abbrechend. – na, jetzt kommen S' nur mit, ich lass' Ihnen nit aus.
PUFFMANN mit steigendem Befremden, für sich. Er fangt mich solo!– Laut zu Thomas mit innerer Angst. Hat Er gehört, was dahier –
THOMAS. Ich bin grad zurecht aufg'wacht.
PUFFMANN für sich. Himmel, er weiß die Geburtsscheinverfälschung, er weiß alles!
THOMAS mit gutmütigem Ernst. Schaun S', bester Herr, so eine Tat, wie Sie –
PUFFMANN ihm mit ängstlicher Hast ins Wort fallend. Still, Freund, still! Da hat Er zehn Gulden Gibt ihm aus einer Brieftasche eine Banknote. und geh' Er!
THOMAS das Geld nehmend. Dank' vielmals, 's Geld nehm' ich, aber auslassen tu' ich Ihnen nicht.
PUFFMANN. Was wär' das?! Er Buschklepper, Räuber –
THOMAS immer freundlich und gelassen. Wenn S' glauben, so geben S' mich halt an bei der Torwacht, da werd' ich dann sagen –
PUFFMANN gute Saiten aufziehend. Herzensfreund, Zimmermann meiner Seele – bis in die Stadt gehn wir miteinander – aber dann –
THOMAS. Geht einer rechts, der andere links, denn ich hoff', bis dahin –
PUFFMANN. Aufrichtig, Freund, – kennt Er mich?
THOMAS. Nein.
PUFFMANN aufatmend. Na, da nehm' Er diese Erkenntlichkeit, Gibt ihm eine Banknote. und wenn wir auseinandergehn, kriegt Er nochmals zehn Gulden.[522]
THOMAS. Ah! – Herzlich. Jetzt g'freut's mich erst recht, daß ich so ein' guten Herrn –
PUFFMANN. Aber halt' Er Sein Mundwerk im Zaum, braver Handwerker!
THOMAS treuherzig. Na, das versteht sich – denn es machet Ihnen auf kein' Fall a Ehr' –
PUFFMANN. Gewiß nicht.
THOMAS. Also kommen S', Sie werden mir's noch danken.
PUFFMANN. Wenn Er gehn wird, aufs herzlichste.
THOMAS. Sie werden noch oft denken an mich!
PUFFMANN. Wird mir stets eine wertvolle Erinnerung bleiben. Indem er Arm in Arm mit Thomas sich zum Abgehen wendet. Deutschland, du hast durchaus nichts voraus vor Ägypten, auch hier lauern Krokodile am Uferstrand.
THOMAS. Von Ägypten woll'n S' reden? Das is das Land, welches nix als Nilpferde, Pyramiden und Traumbücheln erzeugt; gut, wir werden uns schön unterhalten unterwegs. Beide Seite links ab.
Verwandlung
Zimmer im Schlosse mit angezündetem Lüster, rückwärts führt ein Bogen rechts nach dem Speisesaal, rechts eine Seitentüre nach dem Appartement des Barons, links eine Seitentüre nach Puffmanns Zimmer.[523]
Franz, Friedrich, dann Heinrich.
FRIEDRICH. Das hab' ich in meinem Leben nicht g'sehn; es hat ihm gar kein Essen g'schmeckt.
FRANZ. Weil er am Sekretär so ein' Narr'n g'fressen hat.[523]
FRIEDRICH. Während der ganzen Tafel –
FRANZ. Kein anders Wort als. »Wo er denn bleibt?« – und: »Wo kann er denn sein?« – – Mich ennuyiert der Diskurs – soll s' bedienen wer will, ich geh' gar nicht mehr hinein.
HEINRICH aus dem Speisesaal kommend. Der gnädige Herr laßt fragen –
FRANZ im nachspottenden Ton. Ob der Herr Sekretär Puffmann noch nicht da is?
HEINRICH. Na freilich.
FRANZ. Eine Empfehlung, nein, aber wie er kommt, werden wir 'n auf ein' Teller stellen und hineintragen.
Heinrich geht lachend durch den Bogen rechts nach dem Speisesaal zurück.
FRIEDRICH. Was zu arg is, is z' arg![524]
Tupper; Vorige.
TUPPER aus dem Speisesaal kommend, zu beiden. Wenn der Herr Intendant und Sekretär Puffmann kommt, so sagt mir's zuerst – womöglich, noch eh' er zum Herrn hineingeht.
FRANZ. Können Ihnen verlassen.
FRIEDRICH leise zu Franz, mit einem Seitenblick auf Tupper. Das is auch einer.
FRANZ leise zu Friedrich. Na, der und der Sekretär – aber nur Geduld!
TUPPER welcher nach dem Speisesaal gesehen.