Johann Gottlieb Fichte

Der geschlossene Handelsstaat

 

 

 

Johann Gottlieb Fichte: Der geschlossene Handelsstaat

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

ISBN 978-3-8430-6813-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7780-4 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7781-1 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Tübingen (Cotta) 1800.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Herausgegeben von I. H. Fichte, Band 1-8, Berlin: Veit & Comp., 1845/1846.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

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Der geschlossene Handelsstaat

Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre
und
Probe einer künftig zu liefernden Politik

Vorläufige Erklärung des Titels

Den juridischen Staat bildet eine geschlossene Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter und für einander eingeschränkt, und jeder, der nicht unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Antheil an jenem Verkehr ausgeschlossen werden, sie würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßenen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschlossenen juridischen Staat bildet.[388]

 

Seiner Exzellenz

dem Königl. Preussischen wirklichen geheimen Staats-Minister und Ritter des rothen Adler-Ordens

 
Herrn von Struensee

 

Euer Excellenz

erlauben, dass ich, nach der Sitte besonders älterer Dedications-Schriftsteller, vor Ihnen meine Gedanken niederlege über den Zweck und den wahrscheinlichen Erfolg einer Schrift, die ich Ihnen hierdurch öffentlich, als ein Denkmal meiner freien Verehrung; zueigne. – Casaubonus unterredet an der Spitze seiner Ausgabe des Polybius mit Heinrich dem Vierten sich sehr unbefangen über das Studium der Alten und die gewöhnlichen Vorurtheile in Rücksicht dieses Studiums. Verstatten Euer Excellenz, dass ich ebenso unbefangen mit Ihnen, im Angesichte des Publicums, über das Verhältniss des speculativen Politikers zum ausübenden mich unterrede.

Die letzteren haben zu allen Zeiten den ersteren das Recht zugestanden, über Einrichtung und Verwaltung der Staaten ihre Gedanken vorzutragen, ohne dass sie übrigens an diese Gedanken sich sehr gekehrt, und von den Platonischen Republiken und utopischen Verfassungen derselben ernsthafte Kunde genommen hätten. Auch ist der Vorwurf der [389] unmittelbaren Unausführbarkeit, der den Vorschriften der speculativen Politiker von jeher gemacht worden, zuzugeben; und gereicht den Urhebern dieser Vorschläge gar nicht zur Unehre, wenn sie nur mit denselben in einer idealen Welt geblieben sind, und dieses ausdrücklich bekennen, oder es durch die That zeigen. Denn so gewiss in ihren Gedanken Ordnung, Consequenz und Bestimmtheit ist, so gewiss passen ihre Vorschriften aufgestelltermaassen nur auf den von ihnen vorausgesetzten und erdichteten Zustand der Dinge, an welchem die allgemeine Regel, wie an einem Exempel der Rechenkunst, dargestellt wird. Diesen vorausgesetzten Zustand findet der ausübende Politiker nicht vor sich, sondern einen ganz anderen. Es ist kein Wunder, dass auf diesen eine Vorschrift nicht passet, welche aufgestelltermaassen auf ihn nicht berechnet ist.

Doch wird der Philosoph, wenn er nur nicht seine Wissenschaft für ein blosses Spiel, sondern für etwas Ernsthaftes hält, die absolute Unausführbarkeit seiner Vorschläge nimmermehr zugeben oder voraussetzen; indem er in diesem Falle seine Zeit ohne Zweifel auf etwas Nützlicheres wenden würde, als auf ein von ihm selbst dafür erkanntes Begriffe-Spiel. Er wird behaupten, seine, wenn sie nur reintheoretisch aufgestellt worden, unmittelbar unausführbaren Vorschriften, indem sie in ihrer höchsten Allgemeinheit auf alles passen, und eben darum auf nichts Bestimmtes, müssten für einen gegebenen wirklichen Zustand nur weiter bestimmt werden: ebenso, wie man durch die Kenntniss des allgemeinen Verhältnisses der Seiten und Winkel zu einander im Triangel noch keine einzige wirkliche Seite oder Winkel im Felde erkennt, und noch immer an irgend ein Stück Maassstab und Winkelmesser wirklich anlegen und messen muss; aber durch die Kenntniss des allgemeinen Verhältnisses in den Stand gesetzt wird, das Übrige durch blosse Rechnung, ohne wirkliche Anlegung des Maassstabes zu finden.

Diese weitere Bestimmung der im reinen Staatsrechte aufzustellenden allgemeinen Regel geschieht nun meines Erachtens in der Wissenschaft, deren Begriff ich im folgenden bestimme,[390] und sie Politik nenne; und welche ich gleichfalls für das Geschäft des speculativen Philosophen als solchen halte (denn dass der ausübende Politiker zugleich auch ein speculativer Philosoph seyn könne, – vielleicht auch das umgekehrte Verhältniss stattfinde, ergiebt sich von selbst). Einer als politisch sich ankündigenden Schrift würde der Vorwurf und der Beweis der Unausführbarkeit ihrer Vorschläge zu grösserer Unehre gereichen, als einer staatsrechtlichen. Zwar geht meines Erachtens auch die Politik, so gewiss sie nur Wissenschaft, nicht aber die Praxis selbst ist, nicht von einem durchaus bestimmten wirklichen Staate aus, – indem es sodann keine allgemeine, sondern nur eine besondere Politik seyn würde für England, Frankreich, Preussen, und zwar für diese Staaten im Jahre 1800, und zwar im Herbste des Jahres 1800, u.s.w. – sondern von dem Zustande, der etwa allen Staaten der grossen europäischen Republik in dem Zeitalter, da sie aufgestellt wird, gemeinschaftlich ist. Noch immer hat der ausübende Politiker die in gewisser Rücksicht noch immer allgemeine Regel auf den besonderen Fall anzuwenden, und für jeden besonderen Fall ein wenig anders anzuwenden; aber diese allgemeine Regel liegt doch der Anwendung weit näher.

Wenn eine Politik nach dieser Idee nur sonst gründlich, mit richtiger Kenntniss der gegenwärtigen Lage, aus festen, staatsrechtlichen Principien, und mit richtiger Folgerung aus diesen, bearbeitet wäre, so könnte diese Politik meines Erachtens nur noch dem blossen Empiriker unnütz scheinen, welcher überhaupt keinem Begriffe und keinem Calcul, sondern nur der Bestätigung in unmittelbarer Erfahrung vertraut, und der sie verwerfen würde, weil sie doch nicht Thatsachen, sondern nur Begriffe und Berechnungen von Thatsachen enthielte, mit einem Worte, weil sie nicht Historie wäre. Ein solcher Politiker hat eine Anzahl von Fällen und von gelungenen Maassregeln, welche andere vor ihm in diesen Fällen genommen haben, in seinem Gedächtnisse vorräthig. Was ihm auch vorkomme, denkt er an einen jener Fälle, und verfährt wie einer jener Politiker vor ihm, deren einen nach dem anderen er aus dem Grabe erweckt, in seinem Zeitalter wieder[391] darstellt, und so seinen politischen Lebenslauf zusammensetzt aus sehr verschiedenen Stücken sehr verschiedener Männer, ohne aus sich selbst etwas hinzuzuthun. Ein solcher wäre bloss zu befragen, wem denn diejenigen, die die von ihm gebilligte und nachgeahmte Maassregel zuerst gebraucht, nachgeahmt hätten; und worauf sie denn bei Ergreifung derselben gerechnet, ob auf vorhergegangene Erfahrung oder auf Calcul? Er wäre zu erinnern, dass alles, was nun alt ist, irgend einmal neu gewesen; dass das Menschengeschlecht in diesen letzten Zeiten doch unmöglich so herabgekommen sein könne, dass ihm nur noch Gedächtniss und Nachahmungsvermögen übriggeblieben. Es wäre ihm zu zeigen, dass durch den ohne sein Zuthun geschehenen und durch ihn nicht aufzuhaltenden Fortgang des Menschengeschlechtes gar vieles sich verändert habe, wodurch ganz neue, in den vorigen Zeitaltern weder zu ersinnende, noch anzuwendende Maassregeln nöthig gemacht würden. – Es liesse sich ihm gegenüber eine vielleicht lehrreiche historische Untersuchung anstellen über die Frage, ob mehr Übel in der Welt durch gewagte Neuerungen entstanden sey, oder durch träges Beruhen bei den alten, nicht mehr anwendbaren oder nicht mehr hinlänglichen Maassregeln.

Ob die gegenwärtige Schrift die eben erwähnten Erfordernisse einer gründlichen Behandlung der Politik an sich habe, darüber maasst der Verfasser derselben sich keine Stimme an. In Absicht ihres eigentlichen Vorschlages, den Handelsstaat ebenso wie den juridischen zu schliessen, und des entscheidenden Mittels zu diesem Zwecke, der Abschaffung des Welt– und Einführung des Landes-Geldes, sieht er freilich voraus, dass kein Staat diesen Vorschlag annehmen wollen wird, der nicht müsste, und dass der letztere die versprochenen Vortheile von dieser Maassregel nicht haben werde; dass der Vorschlag sonach unbeschliessbar; und da eben nie ausgeführt wird, wozu man sich nicht entschliessen kann, eben darum auch unausführbar gefunden werden wird. Der deutlich oder nicht deutlich gedachte Grund dieses Nichtwollens wird der seyn, dass Europa über die übrigen Welttheile im Handel grossen Vortheil hat, und ihre Kräfte und Producte,[392] bei weitem ohne hinlängliches Aequivalent von seinen Kräften und Producten, an sich bringt, dass jeder einzelne europäische Staat, so ungünstig auch in Beziehung auf die übrigen europäischen Staaten die Handelsbilanz für ihn steht, dennoch von dieser gemeinsamen Ausbeute der übrigen Welt einigen Vortheil zieht, und die Hoffnung nie aufgiebt, die Handelsbilanz zu seinen Gunsten zu verbessern, und einen noch grösseren Vortheil zu ziehen; auf welches alles er durch seinen Austritt aus der grösseren europäischen Handelsgesellschaft freilich Verzicht thun müsste. Um diesen Grund des Nichtwollens zu heben, müsste gezeigt werden, dass ein Verhältniss, wie das Europens gegen die übrige Welt, welches sich nicht auf Recht und Billigkeit gründet, unmöglich fortdauern könne: ein Erweis, der ausserhalb der Grenzen meines gegenwärtigen Vorhabens lag. Aber auch nachdem dieser Erweis geführt wäre, könnte man mir noch immer sagen: »Bis jetzt wenigstens dauert dieses Verhältniss, – dauert die Unterwürfigkeit der Colonien gegen die Mutterländer, dauert der Sklavenhandel – noch fort, und wir werden es nicht erleben, dass alles dieses aufhöre. Lasst uns Vortheil davon ziehen, so lange es noch hält; die Zeitalter, da es brechen wird, mögen zusehen, wie sie zurecht kommen. Mögen allenfalls diese untersuchen, ob sie aus Deinen Gedanken sich etwas nehmen können; wir können sogar Deinen Zweck nicht wollen, bedürfen sonach gar keiner Anweisung über die Mittel ihn auszuführen.« – Ich bekenne, dass ich hierauf keine Antwort habe.

Der Verfasser bescheidet sich daher, dass auch dieser Entwurf eine blosse Übung der Schule ohne Erfolg in der wirklichen Welt bleiben möge; ein Glied aus der Kette seines allmählig aufzuführenden Systems: und begnügt sich, wenn er durch die Bekanntmachung desselben anderen auch nur die Veranlassung geben sollte, über diese Gegenstände tiefer nachzudenken, und vielleicht auf eine oder die andere in der Sphäre, aus der man nun einmal nicht herausgehen wollen wird, nützliche und anwendbare Erfindung zu gerathen; und er schränkt ausdrücklich und wohlbedacht auf diese Zwecke sich ein.

[393] Euer Excellenz aber geruhen die Versicherung der Verehrung, die ich Ihnen zolle, als einem der ersten Staatsbeamten der Monarchie, in welcher ich einen Zufluchtsort fand, als ich in den übrigen Theilen meines deutschen Vaterlandes mir keinen versprechen durfte, und als Demjenigen, dessen persönliche Eigenschaften zu bemerken und zu verehren mir vergönnt war, gütig aufzunehmen.

Berlin, den 31. October 1800.

Der Verfasser.[394]

 

Einleitung.

Vom Verhältnisse des Vernunftstaates zu dem wirklichen, und des reinen Staatsrechts zur Politik.

Das reine Staatsrecht lässt unter seinen Augen den Vernunftstaat nach Rechtsbegriffen entstehen; indem es die Menschen ohne alle vorherige den rechtlichen ähnliche Verhältnisse voraussetzt.

Aber in diesem Zustande findet man die Menschen nirgends. Allenthalben sind sie unter einer, grossentheils nicht nach Begriffen und durch Kunst, sondern durch das Ohngefähr oder die Fürsehung entstandenen Verfassung schon beisammen. In dem letzteren Zustande findet sie der wirkliche Staat; und er kann diese Verfassung nicht plötzlich zerstören, ohne die Menschen zu zerstreuen, zu verwildern, und so seinen wahren Zweck, einen Vernunftstaat aus ihnen aufzubauen, aufzuheben. Er kann nicht mehr thun, als sich dem Vernunftstaate allmählig annähern. Der wirkliche Staat lässt sich sonach vorstellen, als begriffen in der allmähligen Stiftung des Vernunftstaates.

Es ist bei ihm nicht bloss, wie beim Vernunftstaate die Frage, was Rechtens sey, sondern: wie viel von dem, was Rechtens ist, unter den gegebenen Bedingungen ausführbar sey? Nennt man die Regierungswissenschaft des wirklichen[397] Staats nach der eben angegebenen Maxime Politik, so läge diese Politik in der Mitte zwischen dem gegebenen Staate und dem Vernunftstaate: sie beschriebe die stete Linie, durch welche der erstere sich in den letzteren verwandelt, und endigte in das reine Staatsrecht.

Wer es unternimmt zu zeigen, unter welche Gesetze insbesondere der öffentliche Handelsverkehr im Staate zu bringen sey, hat daher zuvörderst zu untersuchen, was im Vernunftstaate über den Verkehr Rechtens sey; dann anzugeben, was in den bestehenden wirklichen Staaten hierüber Sitte sey; und endlich den Weg zu zeigen, wie ein Staat aus dem letzteren Zustande in den ersteren übergehen könne.

Ich vertheidige mich nicht darüber, dass ich von einer Wissenschaft und einer Kunst, den Vernunftstaat allmählig herbeizuführen, rede. Alles Gute, dessen der Mensch theilhaftig werden soll, muss durch seine eigene Kunst, zufolge der Wissenschaft, hervorgebracht werden: dies ist seine Bestimmung. Die Natur giebt ihm nichts voraus, als die Möglichkeit, Kunst anzuwenden. In der Regierung ebensowohl als anderwärts muss man alles unter Begriffe bringen, was sich darunter bringen lässt, und aufhören, irgend etwas zu Berechnendes dem blinden Zufalle zu überlassen, in Hoffnung, dass er es wohl machen werde.[398]

 

Erstes Buch. Philosophie.

Was in Ansehung des Handelsverkehrs im Vernunftstaate Rechtens sey.

Erstes Capitel.
Grundsätze zur Beantwortung dieser Frage.

Ein falscher Satz wird gewöhnlich durch einen ebenso falschen Gegensatz verdrängt; erst spät findet man die in der Mitte liegende Wahrheit. Dies ist das Schicksal der Wissenschaft.

Man hat in unseren Tagen die Meinung, dass der Staat unumschränkter Vormünder der Menschheit für alle ihre Angelegenheiten sey, dass er sie glücklich, reich, gesund, rechtgläubig, tugendhaft, und so Gott will, auch ewig selig machen solle, zur Genüge widerlegt; aber man hat, wie mir es scheint, von der anderen Seite die Pflichten und Rechte des Staats wiederum zu eng beschränkt. Es ist zwar nicht geradezu unrichtig, und lässt einen guten Sinn zu, wenn man sagt: der Staat habe nichts mehr zu thun, als nur jeden bei seinen persönlichen Rechten und seinem Eigenthume zu erhalten und zu schützen: wenn man nur nicht oft in der Stille vorauszusetzen schiene, dass unabhängig vom Staate ein Eigenthum stattfinde, dass dieser nur auf den Zustand des Besitzes, in welchem er seine Bürger antreffe, zu sehen, nach dem Rechtsgrunde der Erwerbung aber nicht zu fragen habe. Im Gegensatze gegen diese Meinung würde ich sagen: es sey die Bestimmung des Staats, jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigenthum erst einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen.

Ich mache mich deutlicher, indem ich auf erste Grundsätze [399]zurückgehe.

 
I.

Es lebt beisammen ein Haufen von Menschen in demselben Wirkungskreise. Jeder regt und bewegt sich in demselben, und geht frei seiner Nahrung und seinem Vergnügen nach. Einer kommt dem anderen in den Weg, reisst ein, was dieser baute, verdirbt oder braucht für sich selbst, worauf er rechnete; der andere macht es ihm von seiner Seite ebenso; und so jeder gegen jeden. Von Sittlichkeit, Billigkeit u. dgl. soll hier nicht geredet werden, denn wir stehen auf dem Gebiet der Rechtslehre. Der Begriff des Rechts aber lässt sich in dem beschriebenen Verhältnisse nicht anwenden. Ohne Zweifel wird der Boden, der da getreten, der Baum, der seiner Früchte beraubt wird, sich in keinen Rechtsstreit einlassen mit dem Menschen, der es that. Thäte es aber ein anderer Mensch, welchen Grund könnte dieser dafür anführen, dass nicht jeder andere denselben Boden ebensowohl betreten, oder desselben Baumes Früchte nicht ebensowohl nehmen dürfte, als Er selbst?

In diesem Zustande ist keiner frei, weil alle es unbeschränkt sind, keiner kann zweckmässig irgend etwas ausführen, und einen Augenblick auf die Fortdauer desselben rechnen. Diesem Widerstreite der freien Kräfte ist nur dadurch abzuhelfen, dass die Einzelnen sich unter einander vertragen; dass einer dem anderen sage: mir schadets, wenn du dies thust, und wenn der andere ihm antwortet, mir dagen schadets, wenn du dies thust, der erste sich erkläre: nun so will ich das dir Schädliche unterlassen, auf die Bedingung, dass du das mir Schädliche unterlassest; dass der zweite dieselbe Erklärung von seiner Seite thue; und von nun an beide ihr Wort halten. Nun erst hat jeder etwas Eigenes, ihm allein und dem anderen keinesweges zukommendes; ein Recht, und ein ausschliessendes Recht.

Lediglich aus dem beschriebenen Vertrage entsteht das Eigenthum, entstehen Rechte auf etwas Bestimmtes, Vorrechte, ausschliessende Rechte. Ursprünglich haben alle auf alles dasselbe Recht, das heisst, kein einziger hat gegen den anderen[400] das mindeste Recht voraus. Erst durch die Verzichtleistung aller übrigen auf etwas, zufolge meines Begehrens es für mich zu behalten, wird es mein Eigenthum. Jene Verzichtleistung aller, und sie allein, ist mein Rechtsgrund.

Der Staat allein ist's, der eine unbestimmte Menge Menschen zu einem geschlossenen Ganzen, zu einer Allheit vereinigt; er allein ist's, der bei allen, die er in seinen Bund aufnimmt, herumfragen kann; durch ihn allein sonach wird erst ein rechtsbeständiges Eigenthum begründet. Mit den übrigen Menschen auf der Oberfläche des Erdbodens, wenn sie ihm bekannt werden, verträgt er sich im Namen aller seiner Bürger als Staat. Ausser dem Staate erhalte ich allerdings durch meinen Vertrag mit meinem nächsten Nachbar ein Eigenthumsrecht gegen ihn, sowie er gegen mich. Aber einen dritten, der hinzukommt, verbinden unsere Verabredungen nicht; er behält auf alles, was wir zwischen uns beiden das Unsere nennen, ebensoviel Recht, als zuvor, d. i. ebensoviel Recht als wir.

Ich habe das Eigenthumsrecht beschrieben, als das ausschliessende Recht auf Handlungen, keinesweges auf Sachen. So ist es. So lange alle ruhig nebeneinander sind, gerathen sie nicht in Streit; erst wie sie sich regen und bewegen und schaffen, stossen sie aneinander. Die freie Thätigkeit ist der Sitz des Streits der Kräfte; sie ist sonach der wahre Gegenstand, über welchen die Streiter sich zu vertragen haben, keinesweges aber sind die Sachen dieser Gegenstand des Vertrags. Ein Eigenthum auf den Gegenstand der freien Handlung fliesst erst, und ist abgeleitet aus dem ausschliessenden Rechte auf die freie Handlung. Ich werde mich nicht ermüden, nachzusinnen, wie ich einen idealen Besitz dieses Baumes haben könne, wenn nur keiner, der in dessen Nähe kommt, ihn antastet, und wenn nur mir allein es zustehet, zu der mir gefälligen Zeit, seine Früchte abzunehmen. Ich werde dann ohne Zweifel, und kein anderer, diese Früchte abnehmen und geniessen; und dies ist doch das einzige, worum es mir zu thun ist.

Durch diese Behandlung der Aufgabe erspart man sich[401] eine Menge unnützer Spitzfindigkeiten, und ist sicher, alle Arten des Eigenthums in einem durchaus umfassenden Begriffe erschöpft zu haben.

 
II.

Die Sphäre der freien Handlungen sonach wird durch einen Vertrag aller mit allen unter die einzelnen vertheilt, und durch diese Theilung entsteht ein Eigenthum.

Aber wie muss die Eintheilung gemacht werden, wenn sie dem Rechtsgesetze gemäss seyn soll; oder ist es überhaupt nur genug, dass da getheilt werde, wie diese Theilung auch immer ausfalle? Wir werden sehen.

Der Zweck aller menschlichen Thätigkeit ist der, leben zu können; und auf diese Möglichkeit zu leben haben alle, die von der Natur in das Leben gestellt wurden, den gleichen Rechtsanspruch. Die Theilung muss daher zuvörderst so gemacht werden, dass alle dabei bestehen können. Leben und leben lassen!

Jeder will so angenehm leben, als möglich: und da jeder dies als Mensch fordert, und keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andere, so haben in dieser Forderung alle gleich Recht. Nach dieser Gleichheit ihres Rechts muss die Theilung gemacht werden, so, dass alle und jeder so angenehm leben können, als es möglich ist, wenn so viele Menschen, als ihrer vorhanden sind, in der vorhandenen Wirkungssphäre nebeneinander bestehen sollen; also, dass alle ohngefähr gleich angenehm leben können. Können, sage ich, keinesweges müssen. Es muss nur an ihm selbst liegen, wenn einer unangenehmer lebt, keinesweges an irgend einem anderen.

Setze man eine bestimmte Summe möglicher Thätigkeit in einer gewissen Wirkungssphäre, als die eine Grösse. Die aus dieser Thätigkeit erfolgende Annehmlichkeit des Lebens ist der Werth dieser Grösse. Setze man eine bestimmte Anzahl Individuen, als die zweite Grösse. Theilet den Werth der ersteren Grösse zu gleichen Theilen unter die Individuen; und ihr findet, was unter den gegebenen Umständen jeder bekommen solle. Wäre die erste Summe grösser, oder die zweite[402] kleiner, so bekäme freilich jeder einen grösseren Theil; aber hierin könnt ihr nichts ändern; eure Sache ist lediglich, dass das Vorhandene unter alle gleich vertheilt werde.

Der Theil, der auf jeden kommt, ist das Seinige von Rechtswegen; er soll es erhalten, wenn es ihm auch etwa noch nicht zugesprochen ist. Im Vernunftstaate erhält er es; in der Theilung, welche vor dem Erwachen und der Herrschaft der Vernunft durch Zufall und Gewalt gemacht ist, hat es wohl nicht jeder erhalten, indem andere mehr an sich zogen, als auf ihren Theil kam. Es muss die Absicht des durch Kunst der Vernunft sich annähernden wirklichen Staates seyn, jedem allmählig zu dem Seinigen, in dem soeben angezeigten Sinne des Worts, zu verhelfen. Dies hiess es, wenn ich oben sagte: es sey die Bestimmung des Staates, jedem das Seinige zu geben.[403]

 

Zweites Capitel.
Allgemeine Anwendung der aufgestellten Grundsätze auf den öffentlichen Verkehr.
I.

Die beiden Hauptzweige der Thätigkeit, durch welche der Mensch sein Leben erhält und angenehm macht, sind: die Gewinnung der Naturproducte, und die weitere Bearbeitung derselben für den letzten Zweck, den man sich mit ihnen setzt. Eine Hauptvertheilung der freien Thätigkeit wäre sonach die Vertheilung dieser beiden Geschäfte. Eine Anzahl Menschen, die nunmehr durch diese Absonderung zu einem Stande würden, erhielte das ausschliessende Recht, Producte zu gewinnen; ein anderer Stand das ausschliessende Recht, diese Producte für bekannte menschliche Zwecke weiter zu bearbeiten.

Der Vertrag dieser beiden Hauptstände wäre der folgende. Der zuletzt genannte Stand verspricht, keine Handlung, die auf die Gewinnung des rohen Products geht, und, was daraus[403] folgt, keine Handlung an irgend einem Gegenstande, der der Gewinnung der Producte ausschliessend gewidmet ist, vorzunehmen. Dagegen verspricht der erstere, sich aller weiteren Bearbeitung der Producte, von da an, wo die Natur ihre Arbeit geschlossen hat, gänzlich zu enthalten.

Aber in diesem Vertrage hat der Stand der Producenten offenbar den Vortheil über den der Künstler