Oskar Panizza: Nero. Tragödie in fünf Aufzügen
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Henryk Siemiradzki, Dirce, 1897
ISBN 978-3-7437-0420-6
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-4364-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-4367-0 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Zürich (Züricher Diskußionen), 1898. Die Eigenwilligkeiten von Panizzas Orthographie wurden beibehalten.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Oskar Panizza: Nero. Zürich: Verlag Zürcher Diskußionen, 1898.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
ERNEST RENAN
deßen »ANTECHRIST« für den Verfaßer bei
Ausarbeitung seines Buches von tiefer
und nachhaltiger Anregung war
Ihm und seinem Andenken
sei das nachfolgende Werk mit dankbaren
Empfindungen gewidmet.[1]
Nero, Zäsar.
Lukanus, Dichter,
Vatinius, Dichter,
Montanus, Dichter,
Petronius, Dichter,
Terpnus, Harfenschläger,
Eukärus, Flötenspieler, Mitglieder des jungen literarischen Rom, deßen Haupt Nero.
Erstes,
Zweites,
Drittes, Mädchen.
Akte, Freigelassene, ehemalige Geliebte Nero's.
Seneka, Staatsminister.
Burrus, Oberbefehlshaber der Prätorjaner.
Tigellinus, Pferdehändler, Vertrauter des Kaisers, später Prätorjaner-Präfekt.
Nymphidius, zweiter Befehlshaber der Prätorjaner.
Subrius Flavus, Gardetribun.
Hasta, Unterbefehlshaber aus Spanien.
Kurio Maximus.
Epaphroditus, Geheimschreiber des Kaisers.
Charmis, Arzt.
Doryphoros, Anführer der Augustjani (Klakörs).
Phaon, italischer Bauer.
Sporus, Freigelaßener.
Kosroës, armenischer Gesanter.
Erster,
Zweiter, Begleiter des Kosroës.[3]
Euelpius, Christjanus.
Erster,
Zweiter, Christjanus.
Erste,
Zweite,
Dritte, Christjana.
Erster,
Zweiter,
Dritter, Leichenträger.
Erster,
Zweiter, Bote.
Ein Mädchen.
Erster,
Zweiter, Zenturjo.
Erster,
Zweiter,
Dritter, Römer.
Erster,
Zweiter, Jude.
Ein Prätor.
Ein Späher.
Eine Stimme.
Mädchen, Knaben, Christjani, Christjanä, Fakelträger, Bewafnete, Augustjani (Klakörs), Tiridates, der König von Armenien, römisches Volk.
Zeit: das Jahr 68 nach Christus.
(›Rechts‹ und ›Links‹ von der Bühne aus.)[4]
Nero, Lukanus, Batinius, Montanus, Petronius, Terpnus, Eukärus: Mädchen und Knaben bekränzt; später Akte; ein Zenturjo.
Prunkgemach im Palst Nero's. Die von Vorn nach Hinten oblonge Anlage im korintischen Stil trägt in den Seitenwänden Pilaster in Weiß mit vergoldetem (Akantus-) Kapitäl, zu deren Füßen apollinische Bildwerke auf hohen Sokeln vorgebaut sind. Die Zwischenfelder mit üppigen alfresco-Darstellungen, teils erotischen, teils bachischen Inhalts, auf rötlichem Grund. Der Hintergrund dieses Gemachs, dessen Ende durch eine seitlich ja rechts und links der Wand vorgebaute korintische markirt ist, ist frei und führt auf eine quer von rechts nach links verlaufende Säulenhalle von ebenfalls korintischem Charakter, deren Säulen auf hohen Basen stehen, und in deren Durchsichten griechische Bilderwerke auf hohen Sokeln sichtbar werden. Die rükwärtige Mitte dieser Säulenhalle, also der dem Proszenium direkt gegenüber befindliche Abschnitt der hintern Säulenreihe, wird von einem Triumfbogen gebildet, der auf die kaiserlichen Gärten führt und zu Beginn des Spiels mit einem schwerseidenen Purpur-Vorhang geschloßen ist. Die Decke des Prunksaales selbst bildet eine Kuppel, und ruht auf einem von den erwähnten Pilastern und Säulen gelieferten Architrav, dessen Uebergänge zur Kuppel mit skulpturellem Schmuck in weißem Marmor verkleidet sind. – Den Wänden entlang laufen niedere Purpur-Polster mit goldenen Füßchen. Auf ihnen in halbliegender Stellung Jünglinge und Mädchen in griechischen Kostümen, das lokige Haar mit Rosen oder Epheu bekränzt.
[5] In der Mitte der Szene, aber nach Vorn gerükt, eine längliche, von Rechts nach Links gestellte Prunktafel aus Zitrus-Holz mit Elsenbeinkanten und -Einlagen, deren hintere und Schmalseiten mit niederen Purpur-Polstern besetzt sind. – Es ist ein literarischer Abend. Nero mit seinen Freunden und Gästen nehmen die Tafel ein: er, lorbeerbekränzt, voll süßen Wolwollens, in der Mitte der hinteren Reihe präsidirend, in teils sizender, teils halbliegender Stellung ruhend. Alle in gräzisirendem Gewande, die Jünglinge mit Lorbeer, die Mädchen mit Rosen geschmükt. Nur Nero in ganz weißseidener Toga mit Gold verbrämt. Auf der Tafel goldene Becher und Schüßeln, Papierrollen. Stile, Basen, Blumen, Musikinstrumente. Das Ganze im Charakter eines heiteren Simposions.
NERO jung fett, als abgelebter Dandy, mit uppiger, rötlich blonder Lokenperüke, im leichtfertigsten griechischen Habit, den Hals offen, glatt rasiert, die Schläfe goldbegränzt. Na, bringst du's heraus?
LUKANUS am rechten Ende der Tafel, auf einer Rolle schreibend, skandirend.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
und mit fall'nden Gemändern tritt sie vor die Richter.
Und schweigsam, nur mit dem Schmuk, den Natur ...
NERO unwillig. Ach! – ich hab' dir doch gesagt, du kanst mit Hexametern hier nichts machen! ... Laß doch den alten Homer schlafen! ... Nimm das bukolische Maas ...
ERSTES MÄDCHEN erhebt sich am Tisch, mit schwärmerischer Begeisterung. Heil Kypris! Der Schaumgeborenen! Der dem Meer Entstiegenen ... Laßt sie umschlingen! ... Laßt sie die Welle umkosen! ... Sie blikt die Herumsizenden mit liebeserfülten Bliken an.
NERO. Nu fängt Die wieder an! ... Kind, ich sag' dir, wenn jetzt noch einmal den Mund auftust, übergebe ich dich, weiß' Juno! dem Gladjator zur Züchtigung! ...
Die Mädchen fahren alle, auch die auf den übrigen Polstern, mit großem Geschrei auf ihn los, streken ihm die Hände ins Gesicht, lachen ihn aus.[6]
ZWEITES MÄDCHEN lachend. Ach, sie ist ja noch so schmal! – der Bakulus hat ja noch keinen Plaz auf ihr! ... Gelächter.
ERSTES MÄDCHEN widervart leistend. Ueberhaupt! ...
NERO drohend. Mein leztes Wort! – Zu Lukanus. Wir können derartige feine Stoffe – wie soll ich sagen?: – nicht lüsterne, sondern in Lust getauchte, in Wonne und Heiterkeit lebende Stoffe, derartig heikle Materjen, sozusagen in durchsichtige Gewänder eingeschloßene Materjen, nicht mit diesem breiten, ermüdenden Versmaas mehr geben ... die Richter ermüden ja! ... ich hätte als Richter Phrynen auch nicht freigesprochen – wenn ich erst ellenlange, motivirende Hexameter hätte mitanhören müßen ...
ZWEITES MÄDCHEN. Ich auch nicht.
ANDERE MÄDCHEN. Ich auch nicht.
DRITTES MÄDCHEN steht auf. Ich auch nicht? Wer noch?
ALLE MÄDCHEN stürzen wieder mit schreiendem Ungestüm auf Nero zu, halten ihm die in nakten Arme in's Gesicht, zerren an ihm und verhöhnen ihn. Wir Alle nicht! Wir Alle nicht! ...
NERO erhebt sich, zornig. Wolt Ihr jetzt ruhig sein!! – Ich werf' euch dem Zerberus vor! ... Gelächter.
MONTANUS am andern Ende der Tafel, troken. Das muß mit ganz kurzen, knappen Ritmen gegeben werden.
NERO den Gedanken aufnehmend, zu Lukanus. Das muß mit ganz kurzen, knappen Ritmen gegeben werden.
ERSTES MÄDCHEN springt auf, schwärmerisch.
Luna, die silberne,
am violettnen Himmelszelt
hebt langsam den Schleier,
breitet die Arme aus,
umarmend, umarmend –
Ihr Sterne! Ihr Sterne! ...
NERO zu Lukanus, auf das Gehörte verweisend. Ja! ... Drohend gegen das erste Mädchen.[7]
LUKANUS während das erste Mädchen in ihren fantastisch-trunkenmachenden Gesten fortfährt, verzweifelnd. Ja, dann kann ich es nicht machen! ... ich kann nicht mit einem solch' komplizirten Stoff mich in ein neues Versmaas hineinarbeiten ...
NERO. Gib 'mal her! – Was hast du denn geschrieben? – Lukanus reicht ihm die Rolle – liest. – – wär' ganz gut! – die Gedankenfolge ist ganz gut – nur dieses Prügelversmaas von Hexameter! ... es erschlägt Einen förmlich ... Mit einem plözlichen Entschluß. Also! – Zu Terpnus. kanst du ein paar Akorde einlegen? ...
TERPNUS greift zur Harfe. Heil Zäsar!
NERO. Aber ich bemerke gleich: ich improvisire! – Wohlgemerkt! ich improvisire! –
ZWEITES MÄDCHEN. Er improvisirt!
DRITTES MÄDCHEN. Er improvisirt!
ALLE MÄDCHEN fahren wieder mit wildem Ungestüm auf ihn los, figeliren ihm mit ihren weißen Fingern im Gesicht und am Naken herum, und höhnen. Er improvisirt ... improvisirt! ...
NERO wütend. Wolt ihr jetzt ruhig sein? – Ich laß euch zu den Okeaniden in's Waßer schmeißen! ...
ERSTES MÄDCHEN schmachtend. Ach, die Okeaniden! ...
ZWEITES MÄDCHEN ebenso. Ach, die hübschen Okeaniden! ...
DRITTES MÄDCHEN ebenso. Ach, dann umklagen wir den schönen Prometeus ...
ALLE MÄDCHEN klagend. Den schönen Prometeus! ... Es will sich wieder ein Sturm erheben.
NERO wütend, aufspringend. Silentium! – –
TERPNUS schlägt ein paar Akorde an.
NERO der sich wieder gesezt, sich sammelnd. ... ich laße also den Eingang weg, und beginne, wo Hyperides seine Verteidigung geendet, und die Richter, wie es scheint, unbewegt, in düsterem Schweigen verharren ... nur um die Stimmung anzudeuten, die über dieser ganzen, fast keuschen Szene liegt ... Er gestikulirt mit der rechten Hand.[8] nur und mit einem schmeichelnden, anschmiegenden Versmaas dieser ganzen zauberhaften Situazjon gerecht zu werden: – Auf den hintern Polstern erheben sich Einige, Andere lauschen in halb-liegend-aufgereckter Stellung. –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
und unberührt, in eisigem Schweigen,
verharren die Richter.
Er gibt Terpnus ein Zeichen; Terpnus fält ein.
Doch plözlich, wie von Minervas Lanze
berührt, in schreklicher Angst Hyperides
löst ihr den Schleier, entknüpft ihr das Haar,
löst die Gewänder, entnestelt die Spangen;
des Busens quellende Fülle, die Arme,
blinken sich los, es blitzt und es schimmert,
niederrauschet das Flik- und das Tüll-Werk,
niederfallen Chiton und der Gürtel,
und entschleiert, ein lachender Frühling,
keusch, wie Selene, schamgegürtet,
steht sie – Phryne? steht die Geklagte? –
nein!: steht Aphrodite, die Göttin,
meerentstiegen, schaumumbrandet,
steht sie selbst, die Kypirische, leuchtend,
um zu zeugen vor strengem Gerichte,
daß im Leibe, im Schönheit erbauten,
– welchen die Götter den Menschen verliehen –
wohne das Arge nicht, wohne das Gute,
wohne die Lust und die Freude, die Schönheit
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Nachläßiger fortfahrend.
Und die Richter, erschroken, begeisert,
gleich, als hätte der Gott sie im Busen
selbst gerührt, verneinen die Frage
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Er war während des Vortrages aufgesprungen, und sezt sich jezt mit Behagen nieder. Ein Beifallssturm umtost ihn, nachdem Terpnus mit einigen kräftigen Akorden geendet. Man ergreift die Becher, wirft ihm die Kränze hin, stoßt mit ihm an, ruft.[9]
»Heil Zäsar! Heil! dem Sänger! Heil, dem Asklepiadeïschen! ...«, umringt und umschmeichelt ihn ...
ERSTES MÄDCHEN in trunkener Stimmung, schwärmerisch, springt auf, wiederholt einen Passus.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und entschleiert – ein lachender Frühling –
Keusch, wie Selene – schamgegürtet –
steht sie – Phryne? – steht die Geklagte? –
Nein! steht Aphrodite, die Göttin,
meerentstiegen – schaumumbrandet –
steht sie selbst, die Kyprische, leuchtend ...
Ein neuer Beisfallssturm erhebt sich, in den das erste Mädchen miteinbezogen wird. Alles umschlingt und umarmt sich, man trinkt sich zu, sezt sich die Kränze auf's Haupt und ruft.
»Heil! Heil dem Sänger! Heil dem Götlichen! Heil Apollo! ...«
NERO mit wolwollender Bescheidenheit zu Lukanus. So ungefähr – meine ich – könte man den Vorwurf behandeln – ohne irgend Etwas vorschreiben zu wollen – ohne mich auf ein bestimtes Versmaas kapriziren zu wollen – sei es nun das Bukolische, sei es das Asklepiadeïsche – nur den Hexameter – meine ich – könte man vielleicht – gerade in diesem Fall – umgehen – oder ihn doch nicht für die entscheidende, mit dem ganzen Entusiasmus einer himmelentstiegenen, Kraft-erfülten Szene in Anwendung bringen wollen ... Akte, ein junges Mädchen, lange, schlanke Figur, ganz in Weiß, mit schwarzen Haaren, ist während der letzten Rede im Hintergrund von Rechts aufgetreten, und lehnt traurig und verkümmert an der rechten Säule des Eingangs. – Man hat sie beobachtet, Alles schaut auf sie hin, und es wird plözlich ganz still. ... – Was ist? – Was gibt's? – Sich umwendend, Akte gewahrend. Akte! – mein Mäuschen, – komm! was fehlt Dir? – Akte kommt mit den Allüren einer der Furcht noch nicht ganz entratenen, ehemaligen Sklavin, die rechte Hand an die Wange gelegt, langsam näher, sezt sich von rückwärts auf das Polster links neben Nero, an den sie sich vertraulich anschmiegt. – Ja, das ist mit diesen Kindern! ...[10] hat die Liebe erst ihr Herz berührt, dann flattern sie freudig, wie Schmetterlinge, gegen die Sonne, – und hat sie die Liebe verlaßen, dann laßen sie die Flügel hängen, und der Flug wird matt und träg, wie in der Dämmerung ... Zu Akte. sei fröhlich, komm', wende dich, sieh her: bekränzte Knaben, bekränzte Gespielinnen ... Vertraulicher. – nicht immer bleiben Herzen beisammen, – man tauscht, man verändert sich ... du Närrchen! ...
AKTE besint sich einen Moment, dann fält sie plözlich Nero zu Füßen, mit warmer Hingebung. Zäsar, du hast mich mit Kleidern und Kostbarkeiten beschenkt, hast mir ein Landhaus und Sklaven zur Verfügung gestelt, hast mich, die Sklavin, zu dir erhoben, mich deiner Liebe gewürdigt ... du hast mir nie einen Wunsch abgeschlagen! ...
NERO gerührt. Nein, mein Herzchen! – sag', womit kann ich dir dienen? – womit kann ich dich erfreuen? ...
AKTE bestimter. Hemme die Strafen! – Laß der Qualen genug sein!: Plözlich mit aufschreiendem Schmerz hinausdeutend. – draußen brennen lebende Menschen auf hohen Standarten – das bläuliche Talg fließt von ihren Gliedern – und unten stehen ihre Brüder und Schwestern – um die verkohlten Teile zu sammeln – und deine Wächter jagen sie fort – wie man die Geier vom Aase jagt ... Sie bricht in wimmerndes Schluchzen aus.
NERO harmlos. Ja, sind denn Die noch nicht fertig? – Zu Akte. Aber, Kind, was geht denn das dich an? Bist du denn eine Christjana? – Akte verneint heftig kopfschüttelnd. – Zu den Tischgenossen. diese Sklavenart läßt halt nicht von ihresgleichen ... Er erhebt sich; Alle stehen auf; die Stimmung ist plözlich umgeschlagen; auch Akte hat sich erhoben und geht schluchzend zur Seite. – Ruft nach hinten. – He da! Zenturjo! – Zenturjo tritt ein. – Ist denn die Illuminazjon nicht zu Ende? –[11]
ZENTURJO. Die Fakeln solten unterhalten werden bis nach Schluß des kaiserlichen Banketts, – damit die Herrschaften nach Hause finden.
NERO. Ja, es wird aber doch schon bald Tag! – Zieh' 'mal auf!
Zenturjo geht nach hinten und zieht den zweiteiligen Vorhang vor dem Triumfbogen zur Seite; man gewint Aussicht auf die kaiserlichen Gärten und erblickt in der Ferne zwei perspektivisch sich nach hinten ziehende Reihen von Feuergarben, die auf hohen, dunklen Traggerüsten mit lautem Flakern, brennen, und zum Teil im Erlöschen begriffen sind. – Akte bricht in krampfhaftes, lautes Weinen aus und läuft nach hinten, wo sie an der Säule links angelehnt, nach hinten gewant, stehen bleibt. – Aller bemächtigt sich eine tief-niederggeschlagene Stimmung. – Man geht auseinander.
NERO zu Terpnus, beiseite. Bring' das Mädel nach Haus! ... sehr unangenehm! ... Zum Abgehenden. Sei nett mit ihr! ...
Terpnus geht nach hinten, spricht freundlich mit Akte und geleitet sie fort. Beide links ab. – Inzwischen hat Nero mit dem Zenturjo gesprochen, gibt ihm ein Zeichen. Zenturjo geht nach hinten, schließt den Vorhang vor dem Triumfbogen. Es herrscht eine peinliche Stimmung. Nero geht mit ärgerlicher Miene, die Hände auf dem Rüken, quer über der Szene, von Rechts nach Links, auf und ab, ohne sich um die Andern zu kümmern. Die Genossen des Gelages stehen mit gesenkten Köpfen herum, bliken sich zuweilen an: die Stimmung ist weg. Man wendet sich langsam, Eines nach dem Andern, verlegen nach hinten, und trent sich nachverschiedenen Seiten, kühl, in gedrükter Stimmung. Alle außer Nero ab.[12]
Nero; Seneka; später Burrus und Tigellinus.
Nero geht allein, tiefsinnig, die Hände auf dem Rücken, auf und ab. Aus seinen gelegentlichen Gestikulazjonen sieht man, daß er stark innerlich bewegt ist. Er scheint freudig[12] das Verlebte nachzuempfinden. Geht auch zum Tisch, liest, nachläßig hingelegt, eine der dortliegenden Rollen mit vielem Behangen nochmals durch und begleitet diesen stillen Genuß mit gelegentlichen Kopf-Niken, Kopf-Schütteln und gestikulatorischen Zeichen, die alle starkes künstlerisches Empfinden ausdrüken.
SENEKA alter, verwitterter Filosofenkopf, im grauen Vollbart, vom Zenturjo hereinbegleitet, tritt von Rechts ein, mürrisch besorgt. Heil, Zäsar!
NERO auffahrend, freundlich. Ah, du bist es, Seneka! – Schön! – Was bringst du Neues?
SENEKA langsam, mürrisch. Schweres, dumpfes Wetter liegt über ganz Rom.
NERO. Ueber ganz Rom? – Nun?
SENEKA sucht. ... Schwer, – bei diesem Wetter seine Gedanken zusammenzufaßen ...
NERO. Hast wieder einen Traktat? ... de clementia – oder sonst? –
SENEKA. ... Ach, – die Schriftstellerei! – undankbares Geschäft ...
NERO entschieden. Na, was hast du denn? – heraus! Auf den Tisch zeigend. ich habe hier Maßen zu korrigieren! – Du hast etwas! – Also los! –
SENEKA will nicht mit der Sprache heraus, trokst. Zäsar, ich werde alt – Fährt sich über den Kopf. die Gedanken wollen mir nicht mehr recht Stand halten – bin müd'! – du hast mich mit Gunstbezeugungen überhäuft – ich passe für das moderne Leben nicht mehr – die Verantwortung ...
NERO kek. Geht das wieder auf ein Demißjons-Gesuch hinaus? – dann mach' die Sache kurz! – Ärgerlich. beim Herkules! ich bin doch wahrhaftig nicht dazu da, um jeden Tag vor meinen Ministern auf den Knieen zu liegen und sie um der heiligen Roma willen zum Bleiben zu bewegen? – Seneka macht eine[13] feierlich-sich-verwahrende Bewegung. – Alles hab' ich dir bewilligt! Alles zugestanden! Die drükendsten Forderungen erfüllt, nur um deine kostbare Anwesenheit mir zu erhalten ... Seneka lehnt das Alles weit von sich ab. – und jetzt immer noch nicht genug? – komst jetzt mitten in der Nacht! – zu meiner besten Zeit! – und störst mich, – und ärgerst mich! ... Was soll ich noch tun? – Ärgerlich. ich kann den Staat nicht in eine stoïsche Gelehrtenrepublik verwandeln! ... Seneka erscheint schwer getroffen. – Meinst du denn, daß wir unser Leben in Aerger und Kummer verbringen wollen? – Das Volk will Freude, will Lustbarkeit! – – – Holt eine der Papierrollen vom Tisch. da lies! Das neue Gedicht von Vatinius – man singt es in allen Gassen! – es ist – es ist gar nicht von ihm! – es ist nach einem alten Gaßenhauer von Vatinius zurechtgezimmert – aber nach Strofen, die direkt im Volk umhergehen – wie das schnalzt! wie das schreitet! – 'n Bischen pöpelhaft, 'n Bischen lasziv, wie die Leute ohne das nicht auskommen – aber das Ganze voll Behangen, voller Lebenslust ... Schmunzelnd, sich entschuldigend. zum Beispiel: die Wendung, wo der Kaiser als Vater des Vaterlandes auch in dem höheren, erhabenen Sinne aufgefaßt wird, daß er der Vater der meisten unehelichen Kinder sei ... na ja, beim Zeus! es ist 'n Bischen kräftig – – und dann die zierliche Wendung: es möchten die künftigen Kinder Rom's sich beeilen, den Kaiser sich als Vater auszusuchen ... aber das Ganze! – die Stimmung, die über dem Ganzen liegt Gibt ihm die Rolle; Seneka prüft nur oberflächlich. – das ist der Ausdruk des Volkes! – das ist direkt der Ausdruk der Volksseele! – das Volk will genießen, es will sich freuen, – es versteht Nichts von eurer Selbstmord-Filosofie ... Seneka wendet sich finster ab. – Ärgerlich. es ist ja wirklich wahr! – – Plözlich zu einem andern Gedanken übergehend. das Volk liebt mich! –[14] das Volk hängt an mir, – ich weiß das! ich fühl' das ... das sieht man ja doch, wenn man durch die Straßen geht, was künstlicher Entusjasmus ist, was herzliche, aufrichtige Zustimmung ist ... erinnere dich an das rote Gesicht von dem Fleischer Galba gestern – das glühte ja wie Wassermelone – und wie der jauchzte und mit den Blutwursthänden aplaudirte! ... ja, das sieht man gleich, das ist herzliche Zustimmung – so 'was können unsere Klakörs nicht machen ... Zornig. Wolt ihr mir das Volk abspenstig machen? ... Seneka verwahrt sich hoch und heilig. – Na ja, – also um was handelt es sich? –
SENEKA zögernd, finster. Die Massenhinrichtungen der Christjani – im Zirkus – und in deinen Gärten – haben böses Blut allenthalben gemacht! –