Christoph Martin Wieland

Gedichte

 

 

 

Christoph Martin Wieland: Gedichte

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

John William Waterhouse, Hausgötter, 1805

 

ISBN 978-3-8430-8670-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7485-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7486-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Wieland veröffentlichte seine Gedichte, wie die meisten anderen Werke, zuerst in der von ihm selbst 1773-1789 in 68 Bänden herausgegebenen Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Einige frühe Gedichte wurden erstmals gedruckt in: Fragmente in der erzählenden Dichtart; mit einigen anderen Gedichten, hg. von Joh. J. Bodmer, Zürich (Orell) 1755; und in: Gedichte, Zürich (Füeßli) 1766.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Christoph Martin Wieland: Werke. Herausgegeben von Fritz Martini und Hans Werner Seiffert, München: Hanser, 1964 ff.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Jugendgedichte

Ode

Tugend! o wie reizend schön bist du!

Himmelskind! ach kennten dich die Seelen

Die vor dich ein glänzend Nichts sich wählen

Und erkaufen Schmerz um Seelen-Ruh!

O wie würden sie die Stimme hassen,

Die sie jetzt zu süßem Elend ruft;

O, wie flöhen sie aus Circens Zaubergruft,

Zu dir auf die Königliche Straßen!

 

Ach daß doch ein schimmernd Nichts uns blendt!

Daß der Weise selbst, der Freund der Wahrheit,

Oft, mit einem Geist voll heitrer Klarheit,

Wie bezaubert sich zum Scheingut wendt!

O wie glühen jetzt die ernsten Wangen

Da zu spät ihn die Erfahrung lehrt

Daß Sein Arm, indem er dich begehrt,

Wie Ixion, einen Dunst umfangen!

 

Englische Sophie, mein Herz, mein Licht

Du bist selbst, ja Du bist selbst die Tugend,

Aus der Anmut aufgeblühter Jugend,

Reizt sie selbst in Dir ein klug Gesicht.

O wie strahlt aus Deinen schönen Blicken,

Wo mit weisem Ernst sich Anmut paart,

Eine Seele von Seraphscher Art,

Fähig mehr als Weise zu entzücken!

 

Doch Dein Mund, Dein liebenswerter Mund,

Nicht nur schön, wenn ihn die Küsse schließen,

Auch wenn kluge Worte von Ihm fließen,

Macht noch mehr als Deine Augen kund.

Und Dein Brief, in dem Dein Herz sich malet

O wie sanft erquickt er meine Brust![9]

O wie schwimmt Sie in ätherscher Lust!

Die mir reichlich Schmerz und Leid bezahlet.

 

Dich, Sophie, Dich gab der Himmel mir

Mich der Tugend liebreich zuzuführen;

Ja, ich war bereit mich zu verlieren,

Gott! Du sähest es, und gabst sie mir!

Jetzo dring ich sicher durch verwachsne Hecken,

Denn ihr redlich Herz verläßt mich nie;

Gott und Weisheit Tugend und Sophie

Sind bei mir, welch Unfall kann mich schrecken!

 

O Mein Engel, wenn wird einst ein Tag

Mich, Dir, liebstes Herz auf ewig anvertrauen

Und mein Glück auf solche Felsen bauen,

Die kein Orkan nicht zertrümmern mag?

Denn bin ich beglückt der Not entgangen,

Die des Weisen Auge oft benetzt;

Denn wird nie ein Dunst von mir geschätzt,

Denn die Tugend selbst hält mich in Dir umfangen![10]

 

Ode. An seine Freundin

Doris, fühle dies Lied, fühl in der Ferne selbst

Wie dein Thyrsis itzt fühlt, hohe Empfindungen,

Gleich dem Gefühl des Dämons

Wenn er die himmlische Nymphe küßt.

 

Sanft, mit stiller Gewalt, fasse die zarte Brust

Die Bewegung die itzt, Göttliche, mich ergreift,

Von sympathetischen Freuden

Bebe dein Herz und empfind wie ich.

 

Welche Ruhe, die sich über mein Herz ergießt?

Welche Himmel von Lust wo sich mein Blick verläuft?

Doris, dich denkt mein Geist nur!

Dich und die himmlische Liebe nur.[10]

 

Tod ist ihm itzt die Welt, kein Geschöpf ist ihm mehr,

Du, du winkest ihm itzt, lächelnder Himmel, nicht,

Kein einladender Abend

Nimmt mich in tauende Schatten ein.

 

Dein Olympisches Lied tönt nicht mehr in mein Ohr

Du, bei dem ich so oft meinen Virgil vergaß,

Der du in Harfen der Engel

Den erhabnen Messias singst!

 

Doris bleibt mir allein aus der Unendlichkeit

Deiner Bildungen, Gott, ist Sie allein mir noch,

Füllt die Schönste der Seelen

Ganz dies ihr nur geschaffne Herz.

 

O wie wallt es so sanft! o wie befriediget

Schlummern tief in der Brust alle Begierden ein,

Und die schauende Seele

Göttliche Schöne, hängt ganz an dir!

 

Wie Dein himmlischer Geist jeglichen Blick belebt!

Wie im redenden Aug, ach! im so schönen Aug!

Sich sie Seele enthüllet

Die So zärtlich und edel denkt?

 

Wie den blühenden Leib Anmut und Huld umfließt?

War nicht Eva so schön, da ihr entstehend Bild

Zur begeisterten Seele

Göttlicher Milton! herunter stieg?

 

O! wie liebt dich dein Freund? o wie beglückst du ihn!

Wenn dein Hyblischer Mund sich seinen Küssen beut,

Und die Sanftzitternde Lippe

Gleich der Rose in Knospen schwellt.

 

Wenn mein freudiger Blick an deinen Blicken hängt

Und die Seligkeit sieht, die itzt dein Herz umfaßt,

Freuden erhabnerer Sphären

Die kein Sklave der Erden kennt.[11]

 

O! wie ist er entzückt? o wie begeisternd glänzt

Ihm dein himmlisches Aug und das zufriedne Rot

Das die Wangen umfließet

Und im Munde noch frischer blüht.

 

Doch wenn einst dieser Glanz in deinen Augen lischt,

Wenn der ernstliche Tod Schönheit und Grazien,

Von dem geliebten Leibe,

Den Sie lange bewohnten, treibt,

 

Doris, ja wenn du einst in meinen Armen stirbst

Wenn dein Auge nun bricht, wenn diese Lippen mir

Nun zum letztenmal lächeln,

Und mein gleichfalls erblaßter Leib

 

Hinsinkt, wenn wir alsdann freudig, dem Leben zu

Dieser Erden entfliehn, wenn dann mein reiner Geist

Mehr dem deinigen gleichet

Und nun bald so seraphisch wird.

 

Wenn ein himmlischer Leib uns itzt umfließt, und wir,

Aufgelöst in der Lust neuer Umarmungen,

Kein Elysium sehen,

O wie werden wir selig sein![12]

 

Ode. Auf seine Freundin

Komm aus den Armen der Nacht, o Traumgott, vom scherzenden Schwarme

Holder Gesichte umringt,

Komm, die schlummernde Seele, zu deiner Begeistrung geöffnet,

Liegt und erwartet dich hier.

Trüge dies liebende Herz, zeig ihm die himmlische Freundin,

Zeig ihm das zärtlichste Kind,

Mit den Geistvollen Augen, voll sanfter liebender Blicke,

Mit dem lächelnden Mund;

So wie Sie war, so schön, so voll unbesiegbarer Anmut,

Und Unsterblicher Pracht,[12]

Wie die Göttliche war, wenn unter zephyrischen Schatten

Uns der Abend umfing;

Wenn die Natur in Schlummer schon sank, und die einsame Dämmrung

Uns zu Betrachtungen lud;

Wenn wir, voll neuer Gedanken, uns in die Zukunft entfernten,

Und die Lieb um uns her

Paradiese von Freuden erschuf, und in reizender Aussicht

Unser Blick sich verlor.

Ihres Glückes versichert und deiner Liebe, o Schöpfer!

Flossen die Seelen zu dir,

Aufgelöst in Wünsche, sanft wie den Augen der Doris

Zitternde Tränen, vermischt

Mit den meinen, entflossen, die Kinder der edelsten Freuden,

Traumgott, so zeige Sie mir!

Doris, so komm mit umfassenden Armen, mit küssenden Lippen,

Mit entzückendem Blick.

Aber wenn ich Sie seh, wenn Sie mich liebreich umhalset,

Traumgott, denn eil auch zu ihr,

Dort wo in den Armen der Tugend, die himmlische schlummert,

Oft vom Seraph geküßt,

Gleich dem Frühling, wenn er in Abendwolken gehüllet

Auf der dämmernden Flur

Schlummert; denn eile zu ihr und zeig ihr in gleichen Gesichten

Ihren liebenden Freund,

Mit den Mienen voll Ruh, voll hoher wallender Wonne

Die ihr Anblick erschafft;

Mit dem Auge das dankend hinauf zum Ewigen siehet

Und denn wieder auf Sie,

Mit der zärtlichsten Seele, die ihrer Begeistrung zu enge,

Voll wehmütiger Lust

Kaum noch sich fühlt und in deinen Küssen, o Doris, gesättigt,

Sich und die Schöpfung vergißt.[13]

 

Ode an Herrn Bodmer

Der die Seelen einst schuf, weich zu Empfindungen

Und unendlicher Triebe voll,[13]

Gab schon damals ins Herz jeder Erhabneren

Ihrer Freundinnen dunkles Bild.

 

Damals schuf er den Trieb, welchen ein edles Herz

Staunend vor den Geliebten fühlt,

Den ein trennendes Land oder Jahrhunderte

Seinem zärtlichen Arm entziehn.

 

In den Schlummern der Nacht, wenn sich die Zukunft oft

Im weissagenden Geist enthüllt,

Stieg vom goldnen Olymp oft das geliebte Bild

Meiner Freundin vor meinen Blick.

 

Lang noch eh ich sie sah, und mich ihr göttlich Herz

Fremd und himmlisch empfinden ließ;

Als die Muse mich noch, Elbe, an deinem Schilf,

Oder irrend in Hainen fand.

 

Wenn der kommende Lenz in mein sanft wallend Herz

Neue dichtrische Freuden goß;

Fühlt ich klopfend in mir einen geheimen Wunsch,

Unbefriedigt und still beweint.

 

Oft am silbernen Fluß oder vom Weidenwald

Sanft vom Zephyr herbeigeführt,

Hört ich dann einen Laut, der mich zu rufen schien,

Oder Seufzer der Zärtlichkeit.

 

Die ihr, Freunde, mit mir groß und harmonisch denkt,

Du, o göttlicher Sokrates!

Du, geliebter Horaz, und du mein Plinius,

O wie oft schlug mein Herz für euch?

 

Bodmer, der Du vom Pind lächelnd herunter siehst,

Mit homerischem Laub bekränzt,

Wenn, vom Satyr verfolgt, sich an des Berges Fuß

[14]