Heinrich Zschokke: Abellino. Schauspiel in 5 Aufzügen
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Francesco Hayez, Der Doge von Venedig, um 1850
ISBN 978-3-8430-8806-0
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7469-8 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7470-4 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck des Romans unter dem Titel »Abaellino der große Bandit«: Frankfurt und Leipzig, 1794. Erstdruck der ersten dramatisierten Fassung unter dem Titel »Abällino, der große Bandit«: Leipzig und Franfurt/Oder, 1795. Erstdruck der hier vorliegenden Neubearbeitung des Dramas: Aarau (Sauerländer), 1828. Uraufführung der ersten Fassung am 19.05.1795, Leipzig.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Zweite vermehrte Ausgabe, Aarau: H.R. Sauerländer, 1865.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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In einem Kreise junger Freunde, die sich auf der ehemaligen Hochschule zu Frankfurt an der Oder den Wissenschaften widmeten, gehörte zu den geselligen Ergötzlichkeiten, daß jeder aus dem Stegreif eine Geschichte erzählen mußte, deren Ende und Ausgang Keiner von den Zuhörern errathen konnte. Einem dieser Erzähler, als ihn die Reihe traf, kam zufällig eine Anekdote zu Hülfe, die er in einem alten deutschen Büchlein, schon im Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts gedruckt, gelesen hatte, und zwar von einem klugen venedischen Edelmann, der, um eine Verschwörung gegen den Staat zu entdecken, sich mit großer Kunst verstellt, unter die Banditen begeben und mit ihnen gemeine Sache gemacht habe. Der junge Erzähler benutzte diesen Stoff so gut, daß die übrigen Nebenbuhler reichlichen Beifall zollten, ihn mahnten, das Geschichtchen schriftlich aufzusetzen, und als dies geschehen war, sogar ein Theaterstück daraus zu versuchen.
So entstand das Schauspiel Abellino, dessen Verfasser sich damals schwerlich träumen ließ, daß das flüchtige Werk eines geselligen Muthwillens bald auf allen deutschen Bühnen lärmen, und sogar zu Engländern, Franzosen und Spaniern übergehen würde. Er selbst sah das Stück in seinem Leben nur dreimal aufführen. Späterhin, da das zusammenhangslose, grobgeschnitzte Marionettenbild auch nach zehn und zwanzig Jahren sich noch auf Thaliens Bretterwelt behauptete, ging er, mit einer Art schamhaften Verdrusses, an neue Bearbeitung desselben, um, wo möglich, das alte Unwerk zu verdrängen, dessen beharrliches Leben weder ihm, noch dem guten Geschmack der deutschen Bühnenvorsteher schmeichelhaft[39] sein konnte. – Er warf jedoch verdrossen auch die spätere Bearbeitung wieder zurück, in der Hoffnung, daß endlich das Vergessenswerthe nothwendig vergessen werden würde. Er irrte sich. Der Bandit trat auch nach dreißig Jahren, selbst auf einigen größern Bühnen, frischerdings hervor. Dies bewog den Verfasser, die spätere Bearbeitung erscheinen zu lassen, um wenigstens seinerseits zu beweisen, daß er dem guten Geschmack eine Sünde abzubitten, mit voller Reue geneigt sei.
Ob die Abbitte keine neue Sünde sei, mögen Andere entscheiden. Er glaubte zum mindesten den alten, verzeichneten Holzschnittfiguren menschlichere Gestaltung und reinere Haltung gegeben zu haben. Das Beste zur Sache würden, hoffte er, die Künstler auf der Bühne hinzufügen müssen.
Nebenbei aber wäre zu wünschen, daß dann diese auch nicht den venedischen Adel in altdeutschen Hüten, spanischen Wämsern und ungarischen Hosen zur Schau bringen möchten; zumal die gesetzliche Tracht der Nobili von Venedig, so lange die Republik bestand, allerdings etwas Würdereiches, wenn auch Einförmiges, hatte. Die in Aristokratien heimische Eifersucht, welche Alles leichter, als Auszeichnung eines ihrer Glieder erträgt, verbot den Edeln der Lagunenstadt, anders, als im langen, schwarzen, talarartigen Rock, der bis auf die Füße niederfiel, vorn herab mit Pelzwerk verbrämt, um den Leib einen breiten, mit silbernen Schildchen verzierten, Gürtel, und die lange venetianische Mütze unterm Arm, zu erscheinen. Nur die Rathsglieder höhern Ranges, wie auch die Prokuratoren von St. Marco, mußten, als Zeichen ihrer Staatswürde, die langen Röcke von karmesin- oder purpurfarbenem Sammt oder anderm Stoff tragen. Selbst der Doge entfernte sich nicht vom üblichen Schnitt der Adelstracht, obwohl sein Talar von königlicher Pracht war, besonders wenn der Fürst im vollen Glanz seiner Würde erschien, das Haupt mit dem herzoglichen[40] Baret oder Corno bedeckt, den vorn ein Rubin, ringsum ein Gewinde von großen, orientalischen Perlen schmückte.
Den zum jungen Abbate degradirten Kardinal des alten Stücks kann man sogar, wenn es sein muß, mit leichter Mühe in einen weltlichen Rock kleiden. Er wird nichts dagegen einwenden. Wenn die lastervollsten Fürsten, wenn die grausamsten Kriegshelden, wenn Neronen und Alba's auf die Bühne gebracht werden, fällt gewiß Keinem ein, daß damit die Ehrfurcht gegen den erhabenen Stand der Fürsten und Feldherren verletzt sei. Aber es läßt sich nachkommenden Geschlechtern erzählen, daß in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hin und wieder für den Klerus höhere Ansprüche, als für den Rang der Könige, Helden und Staatsmänner gemacht worden sind; und daß es Verachtung der Religion, Entweihung des an sich ehrwürdigen Standes der Geistlichkeit geheißen worden ist, wenn etwa ein entartetes Mitglied desselben vom Dichter oder Schauspieler dargestellt wurde, und das in einer Zeit, wo das apostolische Spanien die Urbilder solcher Abbaten zahllos in schauerlicher Wirklichkeit aufwies.
Die Vorrede ist für das nachfolgende Spiel fast zu ernst und zu lang geworden; möchte sie, bei Andern, doch keine Nachrede veranlassen.[41]
Andreas Gritti, Doge zu Venedig.
Rosamunde, dessen Nichte.
Iduella, ihre Erzieherin.
Dandolo, einer der Prokuratoren von St. Marco.
Canari, einer der Groß-Staatsinquisitoren.
Flodoardo, ein venedischer Edler.
Abbate Tolomeo.
Parozzi,
Falieri,
Contarino,
Memmo, venedische Edle und Verschworne.
Matteo,
Abellino, Banditen.
Ein Senator.
Ein Diener.
Mehrere Banditen, Senatoren, venedische Edelfrauen, dalmatisches Kriegsvolk.
Die Geschichte fällt in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.[42]
Ein halbdunkles, enges und ärmliches Gemach.
ABELLINO im finstern Nachsinnen an einem Tischlein. Nach einer Weile sich ermannend, springt er auf.
Wer den Himmel will erobern,
Darf die Höllenfahrt nicht scheu'n. –
Fort, die Grillenfängerei'n!
Will, nach sechs und sieben Tagen,
Schon die Ungeduld dich plagen,
Und das Heldenwerk gereu'n?
Heldenwerk? – Verdammter Spott!
Lieber Landsknecht in der Feldschlacht;
Da blitzt Degen gegen Degen,
Und die Spieler steh'n sich gleich.
Aber hier, in blut'ger Kneipe,
Mordknecht eines Mördermeisters; –
Meuchlings um ein paar Zechinen,
Einem Wicht das Leben stehlen; –
Wie die feige Tigerkatze,
Mit den gierig schlauen Augen,[43]
Hinter Büschen, hinter Mauern
Auf das sichre Opfer lauern: –
Schlechter bleibt's, als Henkerswerk.
Heiligt je ein Zweck das Mittel?
Ist die Ehre feil um Schmach? ...
Neues Nachsinnen.
Was denn, Bursch? Wo will's hinaus?
Sprangst du denn nur für den Goldschaum
Eiteln Ruhms ins Abenteuer? –
Vorwärts, vorwärts, Abellino,
Blick' aufs Ziel und auf den Preis!
Deine Würfel sind geworfen! –
Sind geworfen! ... nun so sei's!
Er setzt sich.[44]
Matteo und einige andere Banditen treten hinein.
ABELLINO für sich hinsprechend.
Und zuletzt, was liegt am Leben,
Wenn's der Geist nicht adeln kann?
Nimmer wird ein rechter Mann
Seinen Pfifferling drum geben,
Bleibt's, vom Anfang bis zum Ende,
Nur ein kahler Bettlertraum.
MATTEO leise zu den Andern.
Still da! unser Sadrach-Medech,
Glaub' ich, treibt Philosophie.
ABELLINO der sie seitwärts bemerkt, ohne es wahrnehmen zu lassen.
Länger mag ich's nicht erleiden,[44]
Hier auf fauler Bärenhaut.
Der Matteo ist ein Gimpel,
Daß er meiner Faust nicht traut.
Freitag ... Montag ... alle Teufel!
Eine lange Woche schon
Schleppt der Schurke mich voll Argwohn!
Mit sich um am Narrenseil.
Eine Woche – unerhört! –
Sah ich am Stilet kein Tröpfchen
Rothen, warmen Menschenblutes.
Bei St. Paul und bei St. Peter,
Ich muß wieder Farbe schauen!
Will der Mucker mir nicht trauen,
Flieg' ich selber aus auf Fang.
MATTEO zu Abellino.
Hab' es dir der Teufel Dank,
Wenn du solches Stückchen wagtest!
ABELLINO aufspringend.
Heda! Horcher! ... Ha, seid Ihr's? –
Nun was bringt Ihr heim vom Markte?
Nichts zu ritzen? Nichts zu kitzeln?
Viel Bestellung? ...
MATTEO.
Bluthund du!
Unser eins treibt sein Gewerbe
Ehrlich, um gerechten Lohn.
Aber dich ergötzt es, spaßend
Armen Teufeln vor den Nasen
Ihre Lampe auszublasen.
ABELLINO.
Nicht den Lohn verschmäh' ich; aber[45]
Der dünkt mich ein lump'ger Waidmann,
Welcher, wie ein Wolf der Wälder,
Nur den Magen anzufüllen,
Nach dem flieh'nden Wilde streicht.
He, was sind wir? Menschenjäger,
Gleich dem Kriegersknecht im Felde,
Gleich dem Arzt am Krankenbett.
Gold ist nicht das Ziel der Kunst;
Jede lohnt sich in Vollendung
Edler Frucht, die sie sich selbst zeugt.
MATTEO.
Bei St. Marcus, schwatzen kann er,
Wie des Teufels Advokat!
He, wer hat dich das gelehrt?
Bist du ein entsprungner Pfaff?
Ein verdorbner Studiosus?
Ein verfuschter ...
ABELLINO.
Schweig, du Schlucker!
Wahrlich, glaub' es, mir ward nicht
An der Wiege schon gesungen,
Daß ich dermaleinst bei Euch
Medizinisch fuschern sollte.
MATTEO.
Nun, ich glaub' es dir aufs Wort.
Dir sind andre Herrlichkeiten
In den Windeln prophezeit:
Ordensbänder um den – Hals,
Hohe Stellen in der Luft! ...
Abellino, nichts für ungut,
Aber Wunder bleibt's, und Wunder,[46]
Daß du nicht schon tausendmal
In des Henkers Schlinge hingst.
Kain nicht, der Brudermörder,
War vom Herrgott so gezeichnet,
Daß ihn tödte, wer ihn finde,
Brüderchen, wie du.
ABELLINO grinsend.
Hi, hi!
MATTEO.
Wer sah zwischen Erd' und Himmel
Je ein Belials-Gesichtchen,
Ganz erkoren und geboren
Für den Galgenarm, wie dies?
Diese Stirn, ein Mauerbrecher,
Ist der Freiheit Eisenschild.
Aus den häm'schen, scharfen Winkeln,
Hier um das verzogne Maul,
Spottet schnöde Gotteslästrung!
Aus dem einz'gen, finstern Auge
Glüht der ew'gen Hölle Inbrunst.
ABELLINO.
Narr, das beste Büchlein trägt
Oft ein falsches Titelblatt.
Magst du mich darum beneiden?
Sieh, das ist des Himmels Gabe.
Tröste dich, du bleibst ja dennoch
Futter für die jungen Raben. – –
Nun, Matteo, Scherz bei Seite!
Kurz zur Sache, sprich, wie steht's?
Gibt es etwas anzuzapfen?[47]
Oder magst du mir nicht trau'n?
Rede offen!
MATTEO.
Höre, Bursche,
Du gefällst mir, aber ...
ABELLINO.
Rede!
MATTEO.
Ich bemerke: dir fehlt Eins nur.
Unsere Profession,
Stets im Angesicht des Todes,
Fordert Eins: – Religion!
ABELLINO.
Bist du närrisch, oder trunken?
MATTEO.
Du besuchst ja nie die Kirchen,
Nie die Messe, nie die Beichte,
Rufst auch keinen Heil'gen an!
Sieh, der zorn'ge Himmel kann dich
In die Hand der Sbirren liefern,
Auf die Folter spannen lassen ...
Und du könntest uns verrathen, ...
Hei! da wär' uns schlecht gedient.
ABELLINO.
Puh! es hat mir nicht geträumt,
Daß man mit des Himmels Hilfe
Auch dem Teufel opfern könne.
MATTEO.
Lästermaul, wie lästerst du?
Wir sind nur des Schicksals Werkzeug,
Sind die Ruthen seines Grimmes;[48]
Sind nicht besser, sind nicht schlimmer,
Als, in seiner Hand, der Krieg,
Oder Pest und Hungersnoth.
Aber fehlt Religion:
Sind wir selbst strafwürd'ge Sünder!
ABELLINO.
Nun denn, bei St. Paul und Peter,
Ich will heute mich bekehren,
Beichte sagen, Messe hören,
Wenn du mir zu schaffen gibst.
MATTEO.
Gut, du kannst, da dich's gelüstet,
Bald ein Probestückchen machen;
Arbeit gibt's bei uns vollauf.
Geht, ihr Andern, macht euch lustig,
Zieht auf frische Kundschaft aus.
Struzza, reiche du zuvor
Aus dem Mauerschrank im Winkel
Unser Arsenal hervor.
Die Banditen entfernen sich.
ABELLINO.
Hei, was Arsenal? sieh hier,
Alles trag' ich schon bei mir.
Er entblößt einen Dolch.
Schau, die Scheere keiner Parze
Schneidet dir, so glatt und sicher,
Jeden Lebensfaden ab,
Wär' er auch von Stahl gesponnen ...
MATTEO.
Nichts da! hast ja nur bisher
Eitel Fuscherei getrieben.[49]
Heut erst sollst du, in Venedig,
Beim Gewerbe zünftig werden.
Sieh, man hält hier stark auf Ordnung.
Du bist Fremdling; fremde Fuscher
Duldet meine Innung nicht.
Mancher hat es zwar versucht,
Unsre Kunst für eigne Rechnung
Und auf eigne Faust zu treiben;
Aber ungesegnet kam er,
Hui und Pfui! zur Welt hinaus.
Struzza bringt ein Kästchen, setzt es auf den Tisch und entfernt sich.
ABELLINO.
Also, Handwerksneid auch hier!
Sticht der zünft'ge Dolch denn besser,
Als des Fuschers gutes Messer?
MATTEO indem er das Kästchen öffnet und einige Stilete hervorzieht.
Bursche, wie du albern fragst!
Fleisch ist Fleisch und Stahl ist Stahl.
Aber wer der Kunst sich weiht,
Soll sie kunstgerecht behandeln.
Junge, tritt heran und schau:
Dieser Dolch, – die schöne Klinge –
Strich um Strich muß dir daran,
Wer Bestellung gibt, bezahlen.
Gilt es eines Zolles Tiefe, ...
Nicht zum Tode, nur zum Schrecken,
Forderst keck du zehn Zechinen.
Zwei Zoll, in des Menschen Leib,
Kosten zwanzig; drei Zoll dreißig.[50]
Geht's auf's Leben, dann begehre
Was du willst, nach Stand und Würden.
ABELLINO.
Mäß'ge Apothekertaxe.
MATTEO.
Hier ein Dolch, schau an, von Glas!
Gut, in's dicke Fleisch zu stoßen;
Brichst du in der Wund' ihn ab,
Bleibt er sicher drin verschlossen
Bis zum Auferstehungstag. –
Sieh, zum Beispiel, mancher möchte
Gern vom reichen Vetter erben,
Aber will nicht jähen Tod,
Sondern, vor des Vetters Sterben,
Dies und das noch mit ihm handeln;
Oder, nur aus Frömmigkeit,
Ihn nicht in die Ewigkeit,
Ohne letzte Oelung, senden.
Dazu dient dies edle Glas!
ABELLINO.
Nun, das heiß ich zunftgerecht;
Zunftgerecht, nicht kunstgerecht! –
Kunstgerecht geht die Natur,
Drum geht Kunst naturgerecht.
Also, Meister unsrer Zunft,
Laß mich frei und eigen schalten ...
MATTEO.
Still, das Beste kommt zuletzt!
Dieser Dolch mit seiner Spitze,
Feiner, als der Sonnenstrahl,
Gleicht dem mörderischen Blitze;[51]
Denn er tilget schnell das Leben,
Hinterläßt kein blut'ges Maal.
Nur ein Schrämmchen in die Haut,
Nur ein Punkt, wie Mückenstich,
Liefert auf die Todtenbahre;
Denn die kaum sichtbare Spitze
Ist ins schärfste Gift getaucht.
Nimm hin, denn schon heut bedarfst du
Heut des edeln Kleinods schon.
ABELLINO.
Schön, das gibt ein Meisterstück.
Aber sprich, an wem? und wo?
MATTEO.
Kennst du, Bursche, in Venedig
Endlich alle Weg' und Stege;
Alle Mauern, alle Gassen;
Jedes Loch, um aufzupassen;
Jede Gondel, jedes Boot?
ABELLINO.
Ho! in meinem eignen Wamse
Weiß ich besser nicht Bescheid.
MATTEO.
Und dann unsere edeln Kunden,
Die ich alle dir schon mehrmals
Nannte und mit Fingern zeigte,
Wenn sie zum Senate gingen,
Oder in die Freudenhäuser;
In die Kirchen; und am Spieltisch;
Bei Gelagen, Saufereien,
Tänzen und Prozessionen?[52]
ABELLINO.
Besser kenn' ich sie, als dich.
MATTEO.
Jener prächtige Parozzi ...
ABELLINO.
Prächtig, bei St. Paul und Peter,
Wie ein Silbersarg voll Aas;
Reizend wie ein Sodomsapfel!
MATTEO.
Und der kluge Falieri ...
ABELLINO.
Der, mit seiner Vipernzunge,
Freund und Feind und sich vergiftet.
MATTEO.
Und der kecke Contarino ...
ABELLINO.
Keck aus Stolz, und stolz aus Dummheit.
MATTEO.
Dann der umsichtsvolle Memmo ...
ABELLINO.
Umsichtsvoller, als ein Hase!
MATTEO.
Lästermaul, so wirst du doch
Pater Tolomeo ehren.
ABELLINO.
Ehre dem ehrwürd'gen Fuchs,
In dem Hühnerstall Venedig!
Alle kenn' ich sie,
Diese lust'gen Springinsfelde,
Diese Lebemänner, diese
Lockern Zeisige von Haus' aus,[53]
Die den Juden und den Wuchrern
Längst ihr väterliches Erbe,
Und dem Teufel in der Hölle
Leib' und Seel' verpfändet haben.
MATTEO.
Sie sind unsre besten Kunden,
Und wir zählen deren mehr.
ABELLINO.
O ich weiß, der Schurken Menge
Wird Venedig bald zu enge;
Drum ist's Billigkeit und Noth,
Daß man unsre Hilfe fordert,
Bloß ein wenig Raum zu schaffen.
Also frisch, ich bin bereit;
Fordre, Meister, und gebeut!
Welchem reichen Geizhals soll ich,
Welchem läst'gen Nebenbuhler,
Welchem Oberen im Amte,
Seine Himmelspforte öffnen?
MATTEO.
Höre mich! Vor allen Dingen
Wirst du deine Andacht halten,
In der Kirche von San Marco
Zehn Ave Maria beten;
Deinem Heil'gen dich empfehlen,
Daß er seinen Schutz gewähre.
Beide gehn wir dann verkleidet,
Schwarz, im pelzverbrämten Leibrock,
Zierlich, wie die Nobili,
In den Garten Dolabella.
Dort wird heut des Dogen Nichte,[54]
Im Begleite anderer Frauen,
Sich des Frühlingsabends freun.
ABELLINO stutzend.
Wie? die schöne Rosamunde?
MATTEO.
Unter irgend einem Vorwand
Trittst du hin zur zarten Rose
Und – brichst sie vom Lebensbaum.
ABELLINO.
Bist du rasend?
MATTEO.
Nur ein Ritzchen
In den weißen, zarten Arm
Mit dem gift'gen Messerspitzchen,
Und des Todes schöne Braut
Fällt dir ohne Klagelaut.
ABELLINO.
Geh zur Hölle!
MATTEO.
Was? erschrickst du
Vor dem leichten Probestück?
ABELLINO grinsend.
Ich erschrecken? Ich? Hi, hi!
Wenn's die heiligen zehntausend
Jungfrau'n sammt und sonders wären!
Aber, Meister, das verdrießt mich,
Daß du meiner starken Faust
Nur ein schwaches Mägdlein bietest.
Warum nicht den Sbirren-Hauptmann,
Mitten unter seiner Schaar?[55]
MATTEO.
Alles, Freund, hat seine Zeit.
ABELLINO.
Und, zum Teufel, welcher Teufel
Hat dies Opfer sich erkoren?
MATTEO.
Still davon, ich plaudere nicht.
Kein Besteller wird verrathen.
Alles, was man uns vertraut,
Bleibt verschwiegen und begraben,
Wie Geheimniß einer Beicht'.
Also vorwärts, ich begleite
Dich zur Kirche, dann zum Garten.
ABELLINO.
Du? wozu denn mich begleiten?
Traust du meinem Muth so wenig?
MATTEO.
Das ist unsre alte Satzung!
Tritt der Neuling in die Zunft,
Muß der Meister, auf der Stelle,
Zeuge sein der ersten That.
Der Erfahrene hat Rath;
Und es giebt oft schwier'ge Fälle!
Wie, zum Beispiel, wird die Donna
Vom Gefolge stets umschwärmt;
Ist sie nimmer dir recht nah;
Weißt du es nicht anzugreifen:
Nur ganz leise darfst du pfeifen,
Und ich bin zur Hilfe da.[56]
ABELLINO.
Alte Satzung soll man ehren!
Nun wohlan, so laß uns hin!
Und mein Dolch soll dich belehren,
Bursche, daß ich Meister bin.
MATTEO.
Folge mir zur Kleiderkammer,
Länger dürfen wir nicht zaudern.
Trage mir die Dolche nach.
Geht ab.[57]
ABELLINO allein, halblaut, in tiefer Bewegung.
O allwaltendes Verhängniß!
Muß der Frevel, wider Willen,
Mir den Abgrund deiner Weisheit
Selbstverrätherisch enthüllen!
Ja, du hast mich, du erwählt;
Und ich fühl', am tiefsten Innern,
Deine furchtbarstrenge Führung.
Er geht schweigend durchs Zimmer, bleibt in Gedanken verloren stehen. Dann mit Fassung.
Nun so mag das Spiel beginnen!
Ob verlieren, ob gewinnen,
Ist nicht heut die Frage mehr.
Meine Stunde hat geschlagen;
Und das Schicksal rief mich her.[57]
Freie Faust will ich mir machen,
Abellino muß allein
Meister in Venedig sein;
Die elenden Spießgesellen
Sind zum Rabenfutter reif.
Einzig werd' ich, einzig stehn,
Einzig soll um meinen Willen,
Wie die Welt um ihre Achse,
Die Lagunenstadt sich drehn!
Alle, die Verwirrung brüten,
Und mit Trümmern der Gesetze
Ihre Schulden decken wollen,
Dolche miethen, Kuppler zahlen,
Lotterbuben aller Enden
Sollen künftig sich zu mir,
Als der einz'gen Sonne wenden.
Und ist Alles fest umsponnen,
Und die Stadt von mir umgarnt: