Hedwig Dohm: Die wissenschaftliche Emancipation der Frau
Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Fotografie um 1870
ISBN 978-3-8430-8277-8
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-4799-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-4802-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Berlin (Wedekind & Schwieger) 1874.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Hedwig Dohm: Die wissenschaftliche Emancipation der Frau, Berlin: Wedekind & Schwieger, 1874.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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In Deutschland für die politischen Rechte der Frauen zu kämpfen, mag vorläufig eine Thorheit, eine radikale Anticipation der Zukunft sein. Neue Gedankensaaten, in einen Boden gestreut, der nicht vorbereitet ist, sie zu empfangen, tragen keine Frucht, und wer die Früchte seines Strebens und Kämpfens erndten will, der befolge den Grundsatz praktischer Leute: nur das Erreichbare zu wünschen.
Für die Anhänger des Frauen-Stimmrechts mag die Erkenntniß ein Trost sein, daß diejenigen Reformen, diejenigen socialen Umgestaltungen, welche die eine Generation mit Widerwillen von sich stößt, oft schon die nächste mit Begeisterung willkommen heißt.
Weil wir nun gern zu den praktischen Leuten zählen[1] möchten, wollen wir heute nicht an die Pforten der Parlamente klopfen, sondern an ein anderes Thor: an das Thor des Tempels der Wissenschaft, der Universität.
In welchem Maße Deutschlands Männer der Vorstellung eines mit politischen Rechten bekleideten Volkes (die Frauen eingeschlossen) abgeneigt sind, mag folgendes Beispiel beweisen:
Kaum hatte meine letzte Schrift, die unter Anderem vom Stimmrecht der Frauen handelt, den Druck verlassen, so erschien in einer gelesenen Leipziger Zeitung, »Leipziger Tageblatt«, eine kurze Besprechung derselben von einem Herrn Wistling, in der folgender Passus vorkommt: »Im Anhange tritt die Schrift ein für das Stimmrecht der Frauen. Seit den Tagen, wo ein volksthümlich drastisches Räuberstück über Deutschlands Bühnen ging, das eine Hedwig zur Heldin hatte, dürfte keine Trägerin dieses Namens mit solchem Eclat in die Oeffentlichkeit getreten sein, wie unsere Berliner Pamphletistin.«
Aus dem Buch, das Herr Wistling bespricht, weiß er, daß im englischen Parlament, dem Aufenthalt ernster Staatsmänner, die Forderung des weiblichen Stimmrechtes von Jahr zu Jahr an Boden gewinnt und zwar vorzugsweise unter der conservativen Partei; er weiß,[2] daß der Premierminister Gladstone dieser großen Reform zugeneigt ist; er weiß, daß in einigen Staaten Nord-Amerika's die Frauen bereits Stimmrecht erlangt haben und daß in anderen Staaten, wie in Massachusets, z.B. die großen republikanischen Parteien das Stimmrecht der Frauen in ihr Programm aufgenommen haben. Ferner: sollte man nicht glauben, daß ein deutscher Journalist schon irgendwo einmal den Namen Stuart Mill's gehört haben müßte? Und hat er diesen Namen gehört, so weiß er auch von einem Werke Mill's, das rückhaltlos die politischen Rechte der Frauen vertritt.
Alle Kundgebungen englischer Zeitungen, welche nach Mill's Tode, der ganz England erschütterte, erschienen sind, haben anerkannt, daß unter den englischen Zeitgenossen sich nicht Einer befunden habe, der auf die lebende Generation einen größeren Einfluß geübt habe, als er.
»Wenn ein Geschwornengericht«, sagt Buckle in einem seiner Essay's, »der größten europäischen Denker ernannt und angewiesen würde, durch seinen Wahrspruch zu erklären, wer unter unsern lebenden Schriftstellern am meisten für den Fortschritt der Wissenschaft geleistet hat, so könnten sie kaum beanstanden, den Namen Stuart Mill auszusprechen.«[3]
Eine ganze Nation, Mill's politische Gegner nicht ausgeschlossen, errichtet in Ehrfurcht dem Todten ein Monument zum Gedächtniß aller Zeiten.
Indem ich mir die Größe Mill's vergegenwärtige, bin ich weit entfernt, Herrn Wistling gegenüber etwa der Vorstellung Raum zu geben, daß der höhere Denker eher Recht habe als der kleine Literat; denn daraus, daß Herr Wistling bis jetzt der Nation unbekannt ist, folgt nicht, daß er von Natur zur Verborgenheit bestimmt sei. Nicht jeder gewaltigen Denkkraft ist es vergönnt, an der Oberfläche zu erscheinen. Doch, däucht mir, sollte die Denkweise eines Mannes wie Stuart Mill von Niemandem, auch nicht von einem deutschen Journalisten ignorirt werden, ja, ich möchte behaupten, daß, wo es sich um die reifen Anschauungen eines solchen Denkers handelt, diese Anschauungen von demjenigen, der sie zu bekämpfen unternimmt, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden müßten.
Indessen mag Herr Wistling wohl die Meinung derer theilen, die den Philosophen oder Stubengelehrten von vorn herein einen unpraktischen Kopf schelten, und Mill, in seiner Auffassung von der Hälfte des menschlichen Geschlechts, mag ihm und seinen Gesinnungsgenossen[4] (und dazu gehören mit wenigen Ausnahmen alle Männer, die über die deutsche Männererde wandeln) als ein philosophischer Grillenfänger erscheinen, ein methaphysischer Robinson Crusoe oder als ein enfant terrible in der schönen stationären Weltordnung.
Nun schließt sich aber unglücklicherweise für Herrn Wistling diesem Philosophen ein Mann an, der schwerlich bei irgend Jemandem den Verdacht, ein unpraktischer Philosoph zu sein, erregen kann. Ich meine den conservativen Premierminister Disraeli.
Dieser praktische Staatsmann hat stets die Bill Jacob Brigth's unterstützt. Im Jahre 1866 sprach er im Hause der Gemeinen zu Gunsten des Frauenstimmrechts. Im vergangenen Jahre wurde ihm von Georg Langton eine von 11,000 Frauen unterzeichnete Denkschrift überreicht. Seine Antwort darauf lautet wörtlich: »Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, aus Ihren Händen eine von 11,000 Frauen (berühmte Namen finde ich darunter) unterzeichnete Denkschrift zu empfangen, in der mir der Dank ausgesprochen wird für die Dienste, die ich bei dem Versuch geleistet habe, die Ungesetzmäßigkeit auszutilgen, welche die Ausübung des Stimmrechtes, welches an Eigenthum und Haushalt gebunden ist, den Frauen, die diese Qualifikation besitzen, vorenthält, obwohl[5] wohl ihnen bei gleicher Qualifikation in allen Angelegenheiten lokalen Gouvernements die Ausübung dieses Rechtes gestattet ist. Da ich dafür halte, daß diese Ungesetzmäßigkeit die höchsten Interessen des Landes verletzt, so hoffe und erwarte ich, daß die Weisheit des Parlaments dieselbe entfernen werde.«
Aber noch mehr. Selbst ein conservativer deutscher Professor, ein in Bezug auf die Frauenfrage altgläubiger Herr, der Professor Sybel, giebt zu, daß, wer überhaupt das »suffrage universel« auf sein Programm schreibt, keinen vernünftigen Grund habe, die Frauen auszuschließen.
Und trotz aller dieser Zeichen der Zeit erscheint dem deutschen Literaten die Erörterung des Frauenstimmrechts von so frappanter Lächerlichkeit, daß er sich dabei melodramatischer Schauergefühle und eines ästhetisch-moralischen Gruselns nicht erwehren kann.
Es fiel mir bei der Lecture des »Tageblattes« eine Stelle aus einer englischen Zeitung ein, die, wenn auch in herber Uebertreibung, ein Körnchen Wahrheit enthält: die Wahrheit, daß unter den Frauen aller civilisirten Nationen die deutschen Frauen die ungünstigste Stellung einnehmen. Die Stelle, die ich zur Schonung patriotischer Gemüther nicht übersetzen will, lautet: »Germany [6] in spite of its military successes, and the splendour of its triumphs in the realms of science, stands lower in the scale of civilization than any other European country, exept Turkey; for in no other country does woman occupy so ignoble and servile a position. In England women are treated with respect. In France and America, so lang as they are young and pretty, they are worshiped. In Germany they are simply utilized.«
Die Frage, ob Weiber zum Studiren berechtigt seien, ist nicht neuen Datums. Nicht nur viele Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert discutiren diese Frage, sie findet noch öfter eine Illustration durch Thatsachen. In allen Zeiten, bis an die Schwelle unseres Jahrhunderts haben Frauen Lehrstühle der Wissenschaft inne gehabt, vornehmlich in Italien. Wer diese Angaben bezweifeln sollte, blättere in der »Geschichte der Frauen von Klemm« nach, eines absoluten Gegners der Frauenemancipation, und er wird erstaunt sein über die große Zahl weiblicher Individuen, die in allen Ländern und in jedem Zweige der Wissenschaft Anerkennung und Ruhm unter ihren Zeitgenossen erworben haben.[7]
In Bezug auf das Studiren der Frauen werde ich mir und meinen Lesern zur Beantwortung folgende drei Fragen vorlegen:
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte Jemand fragen: darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen? u.s.w. Da aber vorläufig die Majorität meiner deutschen Zeitgenossen das Recht der Frau an wissenschaftlichem Beruf leugnet, so dürfen wir kleine Minorität nicht müde werden, für unsere Ueberzeugung zu kämpfen, wenn es auch absolute Gewißheit für uns ist, daß dasjenige, was heut sonderbar und paradox erscheint, in Kurzem für eine der trivialsten Wahrheiten gelten wird.
Um mir nicht den Vorwurf der Willkür zuzuziehen, oder mich dem Verdacht auszusetzen, als unterschlüge ich kräftige und Hauptgründe gegen das wissenschaftliche Wirken der Frau und begnügte mich mit der Widerlegung leichten, oberflächlichen Geschwätzes, will ich die Meinungen geschätzter und bekannter Professoren[8] gegen mich aufrufen, die Meinungen von Männern der Wissenschaft, von denen man annehmen muß, daß ihre Gründe wohl durchdacht und tiefsinnig seien. Sind dennoch ihre Argumente leicht zu widerlegen, so wird es nicht an der Schwäche der Deduktionskraft der Professoren liegen, sondern an der Stärke der Sache, gegen die sie ankämpfen.
Wenn ich in dieser Schrift dem Frauenstudium im Allgemeinen das Wort rede, so werde ich doch meine specielle Aufmerksamkeit dem medicinischen Studium zuwenden. Vielseitige Erfahrungen haben mir die Ueberzeugung aufgedrängt, daß die Gesundheit der Frau und somit des Menschengeschlechtes wesentlich von der Einführung der Frau in die ärztliche Praxis abhängt. Ich habe mir deshalb zu meinem Hauptgegner einen geschätzten Physiologen und Anatomen, den Professor Bischof von der Universität in München, ausersehn, und ich werde mich wiederholentlich auf seine kleine Schrift: »Das Studium und die Ausübung der Medicin durch Frauen« beziehen.
Ein namhafter Professor der Philosophie aus Bonn, ein milder und wohlwollender Mann, der für ein bekanntes Journal eine Reihe von Artikeln über Frauenbildung[9] geliefert hat, wird Herrn von Bischof secundiren.
Einige einleitende Worte über Frauenarbeit im Allgemeinen gestatte man mir vorauszuschicken.
Die genannten Professoren, wie überhaupt alle Gegner der Frauenfreiheit, pflegen stets in aller Bestimmtheit und Schärfe männliche und weibliche Arbeit zu unterscheiden, gewissermaßen einen Sanitätscordon zwischen Mann und Frau auf dem Gebiete der Arbeit zu ziehen.
Herr v. Bischof sagt an einer Stelle: Jedes Geschlecht habe seine besonderen Funktionen, Frauen könnten nicht leisten, was Männer leisten, und umgekehrt, Männer nicht, was Frauen. – Ist das wahr? Nein!
Wer nennt mir eine einzige Hantierung (die an den Körper gebundenen Funktionen selbstverständlich ausgenommen), eine einzige Form der Arbeit, die sich auf Frauen beschränkt, und an denen zu participiren den Männern durch Sitte oder Gesetz verboten wäre?
Es giebt keine!
Männer nähen, kochen, waschen, bügeln, führen Wirthschaften u.s.w. In vornehmen Häusern findet man anstatt Köchin und Wirthschafterin Köche und Wirthschafter. Das sind unbestreitbare Thatsachen, die[10] wegzuleugnen unmöglich ist. Es muß also heißen: Nur den Frauen sind bestimmte Beschäftigungen zugewiesen; die Männer aber leisten Alles, was Menschen überhaupt zu leisten im Stande sind und wozu sie Lust und Neigung haben.
Ich hoffe im Laufe meiner Abhandlung beweisen zu können, daß die Frauen zu Arbeiten gezwungen werden, für die sie nicht geeignet sind, und ausgeschlossen von solchen, die ihrer Natur zusagen.
Ich hoffe beweisen zu können, daß zwei Grundprincipien bei der Arbeitstheilung zwischen Mann und Frau klar und scharf hervortreten: die geistige Arbeit und die einträgliche für die Männer, die mechanische und die schlecht bezahlte Arbeit für die Frauen; ich glaube beweisen zu können, daß der maßgebende Gesichtspunkt für die Theilung der Arbeit nicht das Recht der Frau, sondern der Vortheil der Männer ist, und daß der Kampf gegen die Berufsarbeit der Frau erst beginnt, wo ihr Tagelohn aufhört nach Groschen zu zählen.
Zuverlässige Schriften über deutsche Frauenarbeit aufzutreiben, ist mir nicht gelungen. Entweder fehlt es an solchen Schriften, oder sie herbeizuschaffen ist für eine Frau, die öffentliche Bibliotheken nur mit einem[11] unverhältnißmäßigen Aufwand von Energie und Unbescheidenheit benutzen kann, allzu schwierig. Ich mußte mich mit französischen und vornehmlich englischen Schriften begnügen, die glücklicherweise ein ausreichendes und zuverlässiges Material liefern.
Die ökonomischen Verhältnisse, die Anschauungen über Frauenwesen und Frauennatur sind im civilisirten Europa ziemlich überall dieselben; so werden auch die daraus resultirenden Thatsachen keine wesentlichen Abweichungen zeigen, und was in England und Frankreich an der Tagesordnung ist, wird auch in Deutschland üblich sein.
Alle mir über diesen Gegenstand (die Frauenarbeit) vorliegenden Schriften lassen darüber keinen Zweifel: Nie und nirgend hat man die Frau von den mühsamsten und widerwärtigsten Beschäftigungen fern gehalten, etwa auf Grund ihrer zarten Constitution oder ihrer Schamhaftigkeit – Schranken, die aufzuführen man niemals versäumt, wo es sich um höhere und einträglichere Arbeitsgebiete handelt. Im Gegentheil, für die unteren Stände scheint der Grundsatz zu gelten: je gröber, je anstrengender die Arbeit, desto besser für die Frauen. Einige Stellen aus zuverlässigen Berichten[12] bewährter englischer Schriftsteller über Frauenarbeit in England mögen das Gesagte bestätigen.
In einigen Distrikten in England finden wir die Frauen mit Bereitung der Ziegelsteine beschäftigt. Sie legen die gekneteten Steine zum Behuf des Trocknens auf dem Boden in Reihen aus, sie helfen bei dem Prozeß des Feststampfens und gehen mit nackten Füßen über den nassen Thon und zuweilen auch über heiße Röhren. Tausende von Frauen sind bei Fabrikarbeiten an der Tyne in chemischen und Schnurfabriken, in Glashütten, Papiermühlen, Leimsiedereien, in Geschirr- und Tabaksfabriken beschäftigt; sie arbeiten in Baumschulen und als Feldarbeiterinnen, und stets fallen ihnen die niedrigsten, schwierigsten und schmutzigsten Arbeiten zu.
Im Distrikt um Vigan ist das Verfertigen der Nägel eine den Frauen sehr geläufige Beschäftigung. In jener Gegend sieht man auch Frauen an den Canalbooten bauen, die Schleusen öffnen, die Pferde treiben, ja man sieht sie mit den Schiffstauen über der Schulter.
In den glühenden Räumen der Baumwollenmühlen werden Frauen beschäftigt. Um die heiße Luft ertragen zu können, müssen sie halb entkleidet arbeiten. Das Schwingen der Mühlräder wirbelt eine so dichte[13] Wolke von Staub und Schmutz auf, daß diese Frauen, um einer langsamen, aber sicheren Erstickung zu entgehen, sich gezwungen sehen, Mund und Nase mit Lumpen und Baumwolle zu verstopfen. Wenn sie ihre Arbeit verlassen, sind sie mit einer Lage fettigen Staubes und Schmutzes bedeckt.
In Liverpool und Dublin verdienen Frauen täglich 6 d dadurch, daß sie ungeheure Lasten von Sand durch die Straßen karren, bis sie dieselben verkauft haben. Ungefähr 50,000 Frauen hökern mit Fischen, Früchten und Eisenwaren durch die Straßen, ohne daß man ihre Lust am Handel zu erschüttern versuchte durch jenen bekannten Schrei sittlicher Entrüstung gegen das öffentliche Auftreten der Frau. Niemand findet sich, der ihr zuruft: Hebe dich weg von deinen Fischen und Radieschen, gehe heim und thue Buße, lege dich auf's Stroh und verhungre! Eine große Zahl Frauen graben und hacken Kartoffeln, jäten das Unkraut, stechen Steine aus dem Boden, breiten den Dünger über das Land, schneiden Getreide während der Erndte und beladen die Wagen in jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Nach dem letzten Census waren in jener Gegend 43.964 Frauen als Feldarbeiterinnen angemeldet.[14]
Ehe die Bill für die Regulation der Bergwerke und Kohlengruben in Kraft trat, waren Tausende von Frauen und Mädchen an die Arbeiten in den Bergwerken dergestalt gewöhnt, daß sie diese Beschäftigung für den eigentlichen Zweck ihres Lebens hielten.
In den Flachsspinnereien sind die Verhältnisse von der traurigsten Art. Der Flachs wird bei einer sehr hohen Temperatur bereitet, und die Arbeit ist mit dem Verbrauch einer großen Quantität Wassers verbunden. Die Arbeiterinnen müssen den größten Theil ihrer Kleider ablegen und stehen oft bis zum Knöchel im Wasser. Die Unglücklichen, welche bei diesen Arbeiten beschäftigt werden, sterben größtentheils im Alter von 28–30 Jahren an langsamer Abzehrung oder auch wohl zwischen dem 18. und 20. Lebensjahre an der galoppirenden Schwindsucht, die sie oft in wenigen Tagen hinrafft. Viele kennen das Schicksal, das sie erwartet, und weihen sich dem Tode, um die fabelhafte Summe von 1 Fr. 50 Ct. pro Tag zu verdienen.
Es giebt Werkstätten und Fabriken, wo diejenigen Arbeiterinnen bevorzugt werden, welche Kinder zu versorgen haben. Der reiche Fabrikherr weiß, daß sie Brod schaffen müssen für ihre Kinder um jeden Preis, und darum vor keiner Arbeit zurückschrecken. Sie lassen[15] sich eine Verlängerung der Arbeitszeit gefallen, die in kurzer Zeit ihre Kraft und ihr Leben aufreibt.
Ein Einblick in französische statistische Berichte bestätigt lediglich die Resultate der englischen Untersuchungen.
Die Durchschnittsziffer des Arbeitslohnes in Paris beträgt für Männer 4 Fr. 41; für Frauen 2 Fr. 41. Der Hauptgrund ihrer Inferiorität liegt in ihrer mangelhaften professionellen Ausbildung.
Paris hat mehr als 14,000 Lehrjungen aufzuweisen und nur 5500 Mädchen, von denen der weitaus größte Theil sich mit einer Lehrzeit von kurzer Dauer begnügen muß. Mädchen, die eine dreijährige Lehrzeit durchmachen, gehören zu den Ausnahmen.
Weisen wir die Lohndifferenz aus der Statistik einzelner Gewerbe nach.
Beim Anfertigen der Kleider, eine Industrie, die mehr Männer als Frauen beschäftigt, beträgt der Arbeitslohn der Letzteren die Hälfte oder den dritten Theil desjenigen der Männer. Eine zu kurze Lehrzeit ist ein Hinderniß, ihre Geschicklichkeit zu entwickeln.
Nach der letzten Statistik der Posamentier-Industrie ist der tägliche Arbeitslohn für Männer auf 1 – 9[16] und 10 Fr. festgesetzt, der der Frauen in demselben Erwerbszweig auf 1–5 und 6.
Die Handschuhmacherei in Leder beschäftigt ungefähr ebenso viel Frauen wie Männer. Der Lohn der Arbeiter schwankt zwischen 3–10 Frs., der der Arbeiterinnen zwischen 1–4 Frs. Der Mangel professioneller Ausbildung macht sie unfähig für das Zuschneiden und Glätten der Handschuhe. Nur das Nähen, Steppen und Sticken bleibt ihnen überlassen. Seit 1845 ist der Lohn der guten Handschuhmacher um 35 Procent gestiegen, der der Handschuhmacherinnen ist stehen geblieben, so daß der Durchschnittslohn für sie sich nur auf 1 Fr. 90 Centimes beläuft.
Der Juwelenhandel und die Goldschmiedekunst in Paris, welche verschiedene Specialitäten umfassen, beschäftigen mehr als 4000 Arbeiterinnen; aber die höheren Lohnsätze der Former, Ciseleure, Graveure und Emaillirer sind für die Frauen nicht vorhanden, die sich fast ausschließlich mit dem Poliren und Glätten beschäftigen. Die Lehrlingsschaft dieser Industrie zählt 2000 Knaben und nur 100 und einige Mädchen.
Beim lithographischen Zeichnen kommt auf 36 männliche Lehrlinge 1 weiblicher. In den Buchbindereien[17] verdienen die Männer täglich 3 – 8 Frs., die Frauen 1 – 3.
Verschiedene typographische Gesellschaften erlauben ihren Prinzipalen nicht, eine Setzerin in Arbeit zu nehmen, selbst dann nicht, wenn er ihr denselben Lohn wie dem Arbeiter bewilligen wollte.
Im Jahre 1860 autorisirte der Kaiser selbst eine Gesellschaft, deren Statuten jedem strikenden Setzer pro Tag 2 Frs. Schadenersatz zuerkannten, einzig und allein um die Einführung der Frauen in die Werkstätten zu verhindern.
Die französischen Steinschneider beschäftigen eine große Zahl von Menschen beim Schneiden der Krystalle, der Brillen, beim Schleifen der Diamanten u.s.w. Auch hier sehen wir die mühsamsten und schlechtest bezahlten Arbeiten einigen Polirerinnen und Einfasserinnen aufgebürdet. Tag für Tag drehen sie mit dem Fuß das Rad, auf dem sie das einzusetzende Glas schleifen. Die Krystallschleiferinnen arbeiten, über das Schleifrad gebeugt, mit den Händen im Wasser.
In allen Gewerben, welche Kenntnisse und eine gründliche Lehrzeit erfordern, sind die Frauen untergeordnet, in den ungesunden Gewerben dagegen, welche kurze Lehrzeit beanspruchen, herrschen sie vor. In Wollkämmereien[18]