Carlsen CLIPS – Thomas Feibel: Ich weiß alles über dich

Nina ist verzweifelt. Nach einer Party bekommt sie ständig SMS von einer fremden Nummer. Der Paketdienst liefert Sachen, die sie nicht bestellt hat. Jemand hackt sich in ihrem Namen in den Schulcomputer ein. Dann steht sogar die Polizei vor der Tür! Will sich ihr Exfreund rächen? Zum Glück hat sie Ben kennengelernt. Er hört ihr zu und versucht zu helfen. Doch kann sie ihm wirklich vertrauen?

Außerdem in der Reihe Clips im Carlsen Verlag erschienen:

Alles auf eine Karte

Auf dich abgesehen

Aufs Ganze gehen

Dann kauf’s dir doch!

Egal, was morgen ist

Herz über Klick

Ich will das nicht!

Immer on

Killyou!

Kopf runter, durchhalten

Likes sind dein Leben

Mehr als ein Spiel (ab Januar 2021 erhältlich)

Totalabsturz

Weil ich so bin

Wir sehen uns im Westen

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Vita

1

STALKER IM KOPF

Jetzt habe ich schon seit drei Wochen keine Anrufe und Nachrichten mehr von Limo erhalten. Ein halbes Jahr nach unserer Trennung lauert er mir auch nicht mehr überall auf.

Vergessen kann ich ihn trotzdem nicht: Geht einem der Stalker nicht mehr aus dem Kopf, dann hat er eigentlich schon gewonnen.

Um mich abzulenken, schleppt mich meine Freundin Paula am Wochenende erst zum Friseur und dann auf eine Party. Sie findet, dass es höchste Zeit für mich wird, wieder mehr Spaß in mein Leben zu lassen.

Im riesigen Hof mit den Gartenfackeln läuft laute Musik. Überall stehen Gruppen von Menschen, die ich nicht kenne. Trotzdem fürchte ich, irgendwo Limo zu entdecken: am Grill, auf der Tanzfläche oder vielleicht bei den Shisha-Rauchern. Unsicher spiele ich mit meinem Fahrradschlüssel herum.

„Zieh doch nicht so ein Gesicht, Nina!“ Paula drückt mir ein Glas mit einer knallbunten Flüssigkeit in die Hand. „Trink das, dann geht’s dir gleich besser.“

Misstrauisch betrachte ich das türkisfarbene Zeug. Eine Kirsche schwimmt kurz an der Oberfläche und versinkt wieder. „Ist da Alkohol drin?“

Achtlos lässt Paula ihren Strohhalm auf den Rasen fallen. „Frag nicht. Mach es wie ich: einfach runter damit.“ Damit kippt sie den ganzen Inhalt auf einmal, spuckt die Kirsche im hohen Bogen in die Büsche und grinst mich an. „Komm schon, Süße, sei keine Spaßbremse! Wir müssen doch feiern!“

Ich versuche ein Lächeln aufzusetzen, aber es klemmt. „Was denn feiern?“

Sie zupft an ihrem weinroten Top. „Na, deine Einladung, für Kickers Kreuzberg zu spielen.“

„Es ist nur ein Probetraining“, sage ich lahm.

„Aber bei einer der besten deutschen Frauenfußballmannschaften. Ich weiß doch, wie viel dir das bedeutet.“ Mit ihren grünen Katzenaugen schaut sie mich begeistert an. „Eine Torfrau wie dich haben sie bestimmt noch nie gesehen. Und außerdem bist du endlich diesen Volldeppen Limo los. Seitdem die Polizei bei ihm war, hält er jedenfalls still.“

Missmutig sauge ich an meinem Strohhalm. „Fragt sich nur, wie lange.“

„Sei nicht so negativ!“, ruft Paula und wirft ihre langen braunen Haare zurück. „Sondern wie ich: angeschickert!“ Sie streckt mir ihre Hand mit den rot lackierten Fingernägeln entgegen. „Komm, trink aus! Dann organisiere ich uns Nachschub.“

Ich bin Alkohol nicht gewohnt, aber durch ihn lässt meine Anspannung ein wenig nach. Während ich auf Paula warte, zupfe ich an meiner neuen Frisur herum. Ohne den dunkelblonden Zopf komme ich mir fremd vor. Außerdem hat Paula mir verboten meine Brille aufzusetzen. Stattdessen habe ich mir Kontaktlinsen auf die Augen gefummelt.

Im Vorbeigehen nickt mir die rothaarige Gastgeberin zu. Paula und sie müssen gute Freunde sein. Jedenfalls sind sie sich bei unserer Ankunft kreischend um den Hals gefallen.

„Woher kennst du eigentlich diese Mandy, Sandy, Candy oder wie sie heißt?“, will ich von Paula wissen, die mir jetzt ein knallrotes Getränk reicht.

„Na gar nicht“, gesteht sie kichernd. „Den Party-Tipp hat mir jemand an meine Frienderline-Pinnwand gepostet. Das Ganze läuft unter Duo-Abend: Jeder soll seinen Liebsten oder einen guten Freund mitbringen.“ Sie leert ihr Glas wieder in einem Zug und breitet die Arme aus. „Außer dir kenne ich hier kein Schwein.“

Ich muss lachen. Zum ersten Mal seit langem bricht es einfach so aus mir heraus.

Paula war schon immer die Frechere, Sorglosere von uns beiden: Mit ihrer guten Laune steckt sie einfach jeden an. Sie kann sich rasend schnell verlieben und manchmal noch schneller wieder entlieben.

Vor allem aber besitzt Paula ein wahnsinnig großes Herz.

2

MISTER SOLO

„Ich sterbe vor Hunger!“ Paula steuert auf einen Tisch mit Essen zu. Sie schnappt sich einen Pappteller und stapelt munter drauflos: Pizzabrötchen, Erdbeeren, Fleischbällchen, Schaumküsse, Peperoni – einfach alles durcheinander.

„Wäre der nicht was für dich?“, flüstert sie mir plötzlich ins Ohr. Mit einer Hühnerkeule deutet sie auf einen blonden Typen in der Nähe.

Ich kann es nicht fassen. „Willst du mich etwa verkuppeln?!“

„Hey, auf seinem T-Shirt steht doch, dass er solo ist.“ Paula grinst. „Kapierst du nicht? Das ist eine Ein-la-dung!“

Überrascht starre ich das pinkfarbene Oberteil mit der weißen Eins und dem Wort SOLO an. Ich erkenne es sofort.

„Das ist kein T-Shirt“, kläre ich Paula auf, „sondern das Fußball-Trikot von Hope Solo.“

In ihrer Heimat Amerika gehört die Torhüterin Hope Solo zu den ganz großen Stars der Sportszene.

„Na dann!“ Sie zwinkert mir zu. „Sprich ihn an!“

Noch bevor ich protestieren kann, tippt sie dem Kerl auf die Schulter und macht sich vergnügt aus dem Staub. Natürlich dreht sich der Typ prompt zu mir um.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Für eine lässige Bemerkung ist es zu spät.

„Du siehst ein wenig … sprachlos aus“, meint er freundlich. „Ich bin Ben.“

Ben ist einen Kopf größer als ich und schätzungsweise Anfang zwanzig.

„Nina“, antworte ich und gewinne allmählich meine Fassung zurück. „Na ja. Männer, die auf Frauenfußball stehen, sind eher selten.“

„Echt?“ Fragend sieht er mich mit seinen blauen Augen an.

„Die meisten haben nur einen blöden Spruch dafür übrig“, erkläre ich. „Jedenfalls bei uns in Deutschland. In den USA wird Frauenfußball viel ernster genommen.“

Ben nickt. „Ich muss zugeben, dass ich mich auch nie dafür interessiert habe. Aber dann hat eine Bekannte so davon geschwärmt, dass ich mir ein Spiel anschauen musste. Seitdem bin ich Fan. Vor allem von Hope Solo.“

„Ist nicht zu übersehen.“ Ich deute auf sein pinkfarbenes Trikot.

Er grinst. Dann fragt er: „Und wieso kennst du Hope?“

Verlegen schaue ich zu Boden. „Ich spiele selbst Fußball.“

„Echt jetzt? Welche Position?“

„Torfrau.“

„Das ist ja ’n Ding!“ Ben stellt seinen vollen Pappteller ab. „Und wo?“

„Bisher in einem kleinen deutsch-türkischen Verein.“

„Bisher?“, hakt er interessiert nach.

Es ist schön, endlich mal wieder ein ganz normales Gespräch zu führen. Ben ist mir auf Anhieb so sympathisch, dass ich ihm die große Neuigkeit verrate: „Ich wechsle vielleicht zu Kickers Kreuzberg.“

„Wow! Das ist ja super!“ Ben freut sich aufrichtig. „Wie haben die dich entdeckt? Gibt’s da einen Talent-Scout? Entschuldige, wenn ich dich so löchere. Aber ich lerne nicht alle Tage eine richtige Fußballerin kennen.“

Doch ich höre ihm gar nicht mehr zu. Mein Lächeln erstirbt und für einen Moment vergesse ich sogar zu atmen. In einiger Entfernung sehe ich blonde Rastalocken. Limos Rastalocken.

Also doch: Er verfolgt mich wieder.

„Was ist denn los?“, wundert sich Ben, weil ich nicht antworte. „Habe ich was Falsches gesagt?“

„Ich muss gehen“, sage ich und stürze davon. Im Gedränge der Leute packt mich eine solche Angst, dass ich nicht einmal mehr nach Paula suche. Ich will nur noch weg …

Draußen sperre ich hektisch mein Fahrrad auf. Doch als ich es von der Laterne wegziehen will, bleibt es mit einem unerwarteten Ruck hängen.

Jemand hat mein Rad mit einer dicken Kette festgemacht. Und ich weiß auch genau, wer.

Schon höre ich hinter mir Schritte. Mein Herz klopft und klopft und klopft. Meine Knie zittern. Ich wage es kaum, mich umzudrehen.

Doch zum Glück ist es nur Ben.

„Hey“, keucht er. „Du bist einfach so weggelaufen. Ich hab mir Sorgen gemacht.“

Ich zeige ihm den Schlamassel mit dem Schloss.

„Welcher Idiot baut denn so einen Scheiß?“ Ungläubig schüttelt er den Kopf. „Ohne Bolzenschneider bekommst du das nie auf.“

Also sitze ich hier erst mal fest. Paula tanzt sich bestimmt gerade die Seele aus dem Leib oder flirtet wild herum. Auf sie warten will ich auf keinen Fall.

Zu meiner Erleichterung bietet Ben mir an, mich mit dem Auto nach Hause zu bringen. Ich schicke Paula eine kurze Nachricht, dass ich schon gegangen bin. Dann steige ich in den blauen Golf.

Auf der Fahrt lehne ich den Kopf müde gegen die kühle Scheibe. Ben ist klug genug, keine Fragen zu stellen.

3

LIMO + NINA

Am nächsten Morgen steht mein Fahrrad vor unserem Haus. Einfach so. Ohne fremde Kette. Dafür baumelt ein Fußball-Anhänger mit Reißverschluss am Lenker.

Ich öffne ihn und hole einen zusammengefalteten Zettel heraus.

 

Liebe Nina,

ich würde mich freuen, wenn wir unser Gespräch fortsetzen könnten. Hast Du Lust auf einen Kaffee? Ich bin heute gegen 14 Uhr im Café Fritzi. Ich will nicht aufdringlich sein, kein Zwang.

Ben

Ich kenne das Fritzi. Es liegt ganz in der Nähe vom Muttiblock. So heißt das Café, in dem die Fußballmädels und ich nach dem Training meistens sitzen, weil es da nicht so teuer ist.

Ben hat mir nun schon zweimal aus der Klemme geholfen. Und wenn ich an das pinkfarbene Trikot denke, muss ich trotz aller Sorgen lächeln. Außerdem gefällt mir sein ruhiges, rücksichtsvolles Wesen. Gerade im Vergleich zu Limo.

Darum nehme ich seine Einladung an.

Und so sitze ich nachmittags im Fritzi und erzähle Ben die ganze Geschichte von Limo und mir:

Limo habe ich im Stadtpark kennengelernt und ihn am Anfang echt cool gefunden. Ich mochte vor allem seine lockere Art. Er spielte Gitarre, machte witzige Sprüche und konnte gut küssen. Und in Sachen Computer und Internet hatte er richtig was drauf. Kaum waren wir zusammen, hat er als Erstes mein altes Smartphone gehackt, um versteckte Funktionen in Gang zu setzen.

Aber es gab eben noch eine andere Seite an ihm: Limo war absolut unzuverlässig und kam häufig zu spät zu unseren Verabredungen. Ich musste oft für ihn mitbezahlen, weil er angeblich gerade kein Geld dabeihatte. Wenn ich ihn nicht treffen konnte, weil ich lernen musste, wurde er immer supersauer.