Für meine Bestseller Marie-Jeanne und Raoul.
Und natürlich Valentin, der der Welt noch gefehlt hat.
Ich stand vor dem Spiegel und konnte den Anblick nicht wirklich fassen. Weiß. Alles weiß. Ich in Weiß.
Fünf Jahre waren seit den Ereignissen auf Avalon vergangen. Fünf Jahre, in denen Lee Eamon geholfen hatte das Feenreich wieder aufzubauen. Auf Avalon hatten dieses Jahr alle Apfelbäume zum ersten Mal wieder geblüht und die Schule war vor ein paar Monaten wieder in Betrieb genommen worden. Mit Liam als Merlin und Fynn an seiner Seite.
Fünf Jahre. Ich hatte die A-levels geschafft – wenn auch durch meine ganzen Zeitsprünge an Lees Seite mit Müh und Not – und die Schule damit abgeschlossen. Sogar mein Lehramtstudium lag jetzt hinter mir und am ersten September – nach unseren Flitterwochen – würde ich an einer Grundschule in Camden-Town zu arbeiten anfangen.
Jayden hatte während seines Informatik-Studiums eine Software für Sportstudios entwickelt, die einschlug wie eine Bombe. Nicole hatte Betriebswirtschaft studiert und war letztes Jahr bei ihm eingestiegen. Jetzt jettete sie um die ganze Welt und verkaufte die Software an alle großen Fitnessketten.
Ruby war seit der Wiedereröffnung auf Avalon glücklich. Sie wollte sich nach ihrer Druiden-Ausbildung für Hilfsorganisationen einsetzen. Eamon unterstützte das. Es sei ein Bereich, in dem er noch keinen Kontaktmann habe. Seit Ruby auf Avalon studierte, war Eamon auch des Öfteren dort anzutreffen. Nicht immer geschäftlich.
Corey hatte, zum Erstaunen aller, Theologie zu studieren begonnen und trat in die Fußstapfen seines Vaters, des Reverends. Vor einem halben Jahr hatte er endlich erkannt, dass er für seine Stiefschwester mehr empfand als nur geschwisterliche Fürsorge. Seither waren Cheryl und er ein Paar. Zum Entsetzen ihrer Eltern – und unserem. Zumindest am Anfang. Cheryl hat seitdem viel von ihrer Biestigkeit verloren. Sie würde trotzdem nie meine beste Freundin werden.
Jetzt warteten alle unten. Alle meine langjährigen Freunde waren heute hier, am Berkeley Square. Bis auf eine. Und von der sprach nie jemand. In den letzten fünf Jahren war sie nur noch einmal erwähnt worden.
Ich war nach diesen Ereignissen nie mehr dieselbe. Es dauerte Monate, bis ich wieder lachen konnte. Ciarans Tod und Phyllis' Verrat hatten mich lange aus der Bahn geworfen. Alle waren geschockt gewesen über Phyllis' Verhalten. Nach der Schlacht hatten wir erfahren, dass sie mir das Gift ins Essen gemischt hatte. Phyllis hatte versucht mich zu töten. Zwei Mal. Wir hatten den anderen erzählt, dass sie Ciaran getötet hatte und auch mich umbringen wollte. Ihr Tod war öffentlich als Unfall deklariert worden. Wie, spielte keine Rolle. Nur Ruby kannte die Wahrheit, aber sie war zum Stillschweigen verpflichtet.
Und jetzt waren alle am Berkeley Square versammelt, um Lees und meiner Hochzeit beizuwohnen. Sogar meine Familie – mit Ausnahme von Philip, der schon wieder im Knast saß.
»Feli, du siehst wunderschön aus.« Nicole zupfte vorsichtig eine Falte an meinem Kleid gerade.
»Finger weg!« Florence schlug ihr auf die Hand und drapierte nach.
»Warte ab, wenn sie erst das hier aufhat!« Ruby überreichte Florence die kleine filigrane Krone, die schon Eleonore von Aquitanien getragen hatte. Die texanische Französin setzte sie mir auf die hochgesteckten Haare und fixierte den Schleier am Hinterkopf.
»Meine Güte!«, hauchte Anna ehrfürchtig, die gerade mit ein paar Sektgläsern das Zimmer betrat. Mum war direkt hinter ihr und hielt eine geöffnete Flasche Champagner in den Händen.
»Prima«, sagte ich mit rauer Stimme. »Das brauche ich jetzt unbedingt.«
»Ich weiß nicht, ob das so klug ist«, meinte Ruby stirnrunzelnd. Ihr nach Avalon-Manier geschorener Kopf ließ sie noch zierlicher und fragiler aussehen. »Ich habe gehört, Alkohol hat ein paar seltsame Auswirkungen bei dir.«
Hoffentlich hatte sie nicht auch alles andere über mich erfahren, seit sie auf Avalon lebte …
»Papperlapapp«, widersprach Florence und reichte mir ein Glas. »Was soll schon passieren? Sie soll sich ja nicht die Kante geben. Wir sorgen nur für genug Stimme, damit gleich jeder das Ja hört.«
»Das hören wir gerne«, sagte Nicole und Mum goss den Champagner in die Gläser.
»Also«, verkündete Nicole, als jeder von uns ein Glas in der Hand hatte. »Auf dich, Feli. Auf dich und Lee, den schärfsten Typen, den London je gesehen hat.«
»Das habe ich überhört«, sagte eine Stimme hinter uns.
Eamon sah umwerfend aus. Er trug einen sehr eleganten Anzug – ich tippte auf John George.
»Bist du fertig?«, fragte er mich.
Ich kippte den Champagner in einem Zug hinunter, woraufhin sich Eamons Augen missbilligend verdüsterten.
»Mensch, bist du ein Miesepeter«, sagte Nicole in ihrer direkten Art. Ruby riss die Augen entsetzt auf. So getraute sich sonst niemand, mit dem König der Elfen zu sprechen. Aber das wusste Nicole ja nicht. Für sie war Eamon einfach nur Lees Cousin. Sie deutete mit beiden Händen auf mich. »Wie sieht sie aus?«
Ich fing Eamons Blick im Spiegel auf. Er musterte mich von oben bis unten, seine Augen verharrten kurz auf der Krone, dann lächelte er ein umwerfendes Lächeln, das ich nie zuvor an ihm gesehen hatte. Ich konnte Anna dahinschmelzen sehen.
»Du siehst großartig aus, Felicity. Du bist eine wunderschöne Braut.«
Ich lächelte im Spiegelbild strahlend zurück und freute mich, dass die dämliche Zahnspange ein solches Wunder vollbracht hatte. »Ich bin so weit. Falls man für so was so weit sein kann.«
Eamon nahm meine Hand – es zuckte leicht – und hakte mich unter. Ruby, Nicole, Anna und Mum stiegen in das Auto vor der Tür. Dann kam das Brautauto. Es hatte ein hübsches Blumenbouquet auf der Haube.
Die Fahrt zur Kirche war sehr kurz. Eamon und ich sprachen nicht. Ich war einfach zu nervös. Nicht allein wegen der Feier gleich, auch Eamon selbst schüchterte mich nach wie vor ein. Ich dachte an Ciaran. Mit ihm als Brautführer wäre mir wesentlich wohler gewesen. Ich vermisste ihn. Es tat weh, dass er nicht dabei war, nie wieder dabei sein würde.
Eamon half mir aus dem Auto. Wir standen ganz allein vor der Kirche. Leise Orgelmusik drang nach draußen.
Und plötzlich wurde mir ganz übel.
Was tat ich hier? Folgte ich tatsächlich den Erwartungen eines Buches? Einen kurzen Moment lang erwog ich, Eamon zu bitten, mich weit weg zu bringen. Am besten in die Anderwelt. Dorthin konnte mir niemand folgen. Nicht einmal Lee. Doch in diesem Moment öffneten sich die Flügeltüren.
Ich sah die Menschen im Innern, die mir mit strahlenden Gesichtern erwartungsvoll entgegenblickten. Und am Ende des Ganges, direkt vor dem Altar, stand Lee. Er trug fast den gleichen Anzug wie Eamon. Und er lächelte mich über all die Menschen hinweg wissend an. So, als erahnte er meine Gedanken.
Mit einem Mal hörte ich seine Stimme in meinem Kopf. Kalte Füße, Morgan? Willst du etwa kneifen?
Ich straffte mich und sah ihm in die Augen. Habe ich je gekniffen?
Die Orgelmusik setzte laut und fulminant ein. Eamon beschritt den Mittelgang und zog mich mit sich. Lee sah uns zufrieden entgegen. Hinter dem Altar konnte ich den Schatten König Arthurs ausmachen. Da alle mich anblickten, nahm ihn sonst niemand wahr. Ich lächelte. Er war ebenfalls hier. Er war immer in meiner Nähe geblieben.
Tapfer bis zum Schluss, hörte ich wieder Lees Stimme. Und übrigens: Du siehst umwerfend aus.
Von jemandem, der eigentlich Brünette favorisiert, fasse ich das als Kompliment auf, dachte ich.
Wir hatten den Altar erreicht. Eamon legte meine Hand in die von Lee. Der sah mir in die Augen und ich hörte ihn in meinem Kopf sagen: Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Seit ich dich kenne, bevorzuge ich Blondinen.
ENDE
Als ich Felicity und Lee erschuf, habe ich nicht damit gerechnet, dass die beiden eine so große Fan-Gemeinde erreichen würden. Ich hatte mir ein Konzept für drei aufeinanderfolgende Bücher ausgedacht (ja, die Cliffhanger sind auf meinem Mist gewachsen!) und überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet, wie schwierig es werden würde, all die Ideen irgendwann auch aufzuklären.
Mit Einfällen ist das so eine Sache: Sie fliegen einem zu. Sie sind großartig, spontan und fühlen sich richtig gut an. Bis man zur Umsetzung kommt. Die gestaltet sich dann doch oft schwierig. Aber ich glaube, deswegen mag ich Fantasy auch so gern. Die Lösung kann man erfinden. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Das ist herrlich. Und scheint bei euch Lesern auch gut anzukommen.
Vielleicht sollte ich eine Sache noch aufklären: Richard Löwenherz wurde auf dem Rückweg vom Kreuzzug in Österreich gefangen genommen und man verlangte ein horrendes Lösegeld. Prinz John weigerte sich es zu zahlen. Er, der jüngste von 5 Kindern und derjenige, der am wenigsten geerbt hatte, führte die englische Regentschaft. Sein Bruder würde somit noch viel länger fernbleiben, falls er je heimkommen sollte.
Eleonore von Aquitanien, die Mutter der beiden, trommelte das Lösegeld zusammen und ja, Prinz John versuchte das zu verhindern. Ob sein Schwiegervater, der Earl of Gloucester, tatsächlich dabei sehr hilfreich war und intrigierte, habe ich nicht wirklich nachgeforscht. Das entsprang meiner Phantasie.
Die Blutfürstin in Krummau hat es tatsächlich gegeben. Die arme Frau hatte wohl ein Krebsleiden, das ihr unerträgliche Schmerzen bereitete, und nahm alles zu sich, wovon sie sich Linderung versprach. Im 17. Jahrhundert gab es leider eine Menge Quacksalber. Sie muss wohl frisches Blut zum Trinken verordnet bekommen haben, konnte nachts nicht schlafen und wurde immer blasser. Der böhmischen Bevölkerung wurde dieses Gebaren sehr suspekt, und als sie starb, wurde sie auch gesondert begraben. Bram Stoker wurde angeblich von der Geschichte dieser armen Frau zu seinem Dracula inspiriert.
Wenn ich schon mal dabei bin ein paar historische Details zu erläutern, kann ich auch noch auf Marie-Antoinette von Frankreich eingehen. Die Recherche über sie war überraschend. Sie war keineswegs die doofe Kuh, als die sie immer dargestellt wird. (Den Spruch: »Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen«, hat sie anscheinend nie gesagt. Der wurde ihr nachträglich in den Mund gelegt.) Sie hatte einfach keine Erziehung gehabt. Ihre Mutter Maria-Theresia von Österreich war so mit Regieren beschäftigt, dass ihre 16 (!) Kinder mehr oder weniger sich selbst überlassen aufwuchsen. Sie waren allenfalls als Bündnispartner zum Verheiraten gut. So kam es, dass Marie-Antoinette kaum lesen und schreiben konnte, als sie nach Frankreich kam. Natürlich konnte sie auch kein Französisch. Sie war damals 14.
Es erübrigt sich zu sagen, dass sie am französischen Hof in einem Haifischbecken landete und von allen Seiten nur gehätschelt und getätschelt wurde. Die Bevölkerung war zu der Zeit schon arg sauer auf die Monarchie, aber davon bekam sie im abgeschotteten Versailles, das sie kaum verließ, nichts mit. Sie hatte ein großes Herz. Sie adoptierte mehrere Kinder. Nicht die von verstorbenen Hofdamen, sondern von Bauern aus der Umgebung. Diese Kinder überlebten die Revolution und konnten aufgrund der guten Schulausbildung, die sie von ihrer Adoptivmutter erhalten hatten, gute Ehen eingehen.
Im Gegensatz zu ihren eigenen Kindern. Marie-Antoinette hat zwei Kinder vor Ausbruch der Revolution begraben (eines davon zwei Wochen vor dem Sturm auf die Bastille), zwei Fehlgeburten erlitten, musste miterleben, wie ihre Tochter im Gefängnis misshandelt wurde, und ihr Sohn wurde ihr weggenommen und ebenfalls misshandelt, damit er vor Gericht gegen seine Eltern aussagen konnte. Er überlebte das Gefängnis nicht. Die letzten Bilder von Marie-Antoinette zeigen eine gebrochene Frau. Das lag mit Sicherheit nicht an dem Verlust ihres Königreichs oder Reichtums, sondern eher daran, zwei Kinder im Ungewissen zurücklassen zu müssen.
Ich möchte mich jetzt noch einmal ganz kurz bei ein paar Menschen bedanken, die mich bis zu diesem Ende (das doch ein Happy End geworden ist – außer für Ciaran) begleitet und unterstützt haben.
Allen voran bei meiner Familie. Das schließt nicht nur meinen Mann und die Kinder ein, sondern auch unsere Mütter, die alles Mögliche tun, um mir in der Endphase den Rücken freizuhalten. Sogar meine jüngere, große Schwester Tina, die kein Karate kann und dafür 22 bis 23 Möglichkeiten findet, um meinen Rücken wieder zu richten. Danke, Schwesterherz.
Dann bei den vielen »Buch-Bloggern«, die so begeistert über Pan geschrieben haben: Katja, Sandra, Hanne, Manja, Nicole, Ina, Melanie, Carola, Desiree, Nina, Nele (eigentlich Manuela) und noch viele mehr, ich hoffe, ihr verzeiht mir, wenn ich jetzt nicht alle namentlich nennen kann. Eure Rezensionen beinhalten so viele liebevolle Details und Beschreibungen, eigentlich müsste es dafür mal einen Award bei einer Abend-Gala geben: Und der Preis für die am besten verfasste Rezension in der Kategorie Fantasyroman geht an …
Was ich auch unglaublich hilfreich und motivierend finde ist die Facebook-Fan-Gemeinde, die unmittelbar nach der Veröffentlichung von »Die dunkle Prophezeiung des Pan« über 500 Stimmen erzielte. Mit all den vielen lieben Kommentaren und Ermunterungen oder auch Emails, die mich erreichen, habe ich nie gerechnet. Ich bin überwältigt und versuche jedem auch persönlich zu antworten.
Last but absolutely not least: Danke dem Carlsen-Impress–Team.
Zuallererst Pia Trzcinska, meiner Lektorin. Du hast immer ein offenes Ohr – egal, ob die Welt rundum zusammenbricht –, bist immer begeistert dabei, hast immer einen guten Ratschlag für den Verlauf der Geschichte und wir führen immer anregende Diskussionen und vor allem liebe ich die süßen Kommentare im lektorierten Manuskript. Danke, Pia.
Dann Andrea Luck, die meine Marketing-Ideen alle aufgreift, umsetzt und oft noch einen draufsetzt. Das ist nicht selbstverständlich und deswegen danke ich auch dir ganz herzlich.
Danke Evi Draxl, die meinen Dialekt aus dem Text wischt und ihn zu einem wunderschönen Schmuckstück formt.
Der Grafikerin Kerstin Schürmann und dem gesamten Formlabor-Team, die die wunderschönen Cover gefertigt haben.
Vielen herzlichen Dank an jeden Einzelnen von euch, auch an die, die ich jetzt nicht namentlich erwähnt habe und die zum Erfolg von Pan beigetragen haben!
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Im.press
Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH
© der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2013
Text © Sandra Regnier, 2013
Betreuendes Lektorat: Pia Trzcinska
Redaktion: Evi Draxl
Umschlagbild: shutterstock.com / © Melpomene (Mädchen)/ © Oleg Senkov (Schloss)/ © Madlen (Flügel)
Umschlaggestaltung: formlabor
Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck
Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral
Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund
ISBN 978-3-64660-010-0
www.carlsen.de
Sandra Regnier, Teresa Sporrer, Jennifer Wolf u. a.
Zehn Mal Fantastische Weihnachten. Zehn (nicht immer) festliche Extrageschichten zu den beliebtesten Impress-Serien
Nicht alle paranormalen Wesen feiern Weihnachten, aber so ganz geht die jährliche Festtagsstimmung auch an ihnen nicht vorbei. Sogar der sonst so unbesorgte Halbelf Lee wird in der Adventszeit sentimental und stattet seiner zukünftigen Verlobten einen allerersten Besuch ab. Die Vampire Elias und Ana feiern am Heiligabend Geburtstag und müssen sich mit ihrer rumänischen Familie herumschlagen. Die Shadowcaster Faith und Cole quälen sich Mitte Dezember durch einen ganz besonders anstrengenden Auftrag, der sie fast ihre Liebe kostet, und Victoria bekommt an der Seite ihres Schutzengels Nathaniel schon im Oktober ein Weihnachtsliedtrauma. Nur bei den Freundinnen der Rockstars geht es an den Adventstagen weniger fantastisch zu, hier stimmen aber wenigstens die Songs wieder.
Zehn (nicht immer) weihnachtliche Extrageschichten für alle, die von den Impress-Serien nicht genug bekommen können, aber auch für alle, die sie nicht kennen und Lesestoff zum Lebkuchen brauchen.
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Martina Fussel |
Laura Kneidl |
Yuna Stern |
Das Königsmädchen |
Light & Darkness |
Nr. 799 |
Blaue Seide in geflochtenem Haar, passend zu dem Kleid, das ich tragen sollte. Ein Duft von Lilien durchflutete den Raum und noch immer stieg Dampf aus dem Badewasser empor.
Meine Haut war ölig, sie fühlte sich so glitschig an wie ein frisch gefangener Fisch. Und mit Fisch wollte ich nun wirklich nicht in Verbindung gebracht werden. An diversen Körperstellen waren meine Haare mit Wachs entfernt worden und noch immer spürte ich dort Schmerz, wo sich die Haare dem klebrigen Zeug nicht beugen wollten.
Singend betrat meine Mutter das Zimmer und wich meinem grimmigen Blick gekonnt aus. Die Feuchtigkeit in der Luft ließ ihre Haare an den Enden schon jetzt kringeln. In langen dunklen Bahnen fielen ihr die Locken über die Schultern. Gut, dass meine Haare sich nicht so kräuselten; ich kam da nach meinem Vater. Genau wie er hatte ich überwiegend glattes Haar, nur die Spitzen wellten sich ein wenig.
Langsam fanden die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg zwischen den Bergen hindurch und schienen wärmend durchs Fenster.
»Du wirst die Schönste von allen sein, Liebes.«
»Mag sein«, sagte ich, doch sie hörte mich nicht. Sie war mit ihren Gedanken weit weg. Als sie in meinem Alter gewesen war, wurde auch sie von ihrer Mutter für den Obersten zurechtgemacht, heute machte sie mich hübsch. Schade, dass Oma das nicht mehr miterleben konnte. Sie wurde bereits vor Jahren der Erde übergeben. Wie gerne hätte ich sie jetzt bei mir. Sie hätte meine Mutter gezügelt, hätte ihr gesagt, dass es wichtigere Dinge gab als Aussehen, tadelloses Benehmen und schöne Kleider. Oma war immer daran gelegen, dass man sich verbal zur Wehr setzen konnte und sich nichts gefallen ließ. Sie war noch ins hohe Alter hinein zu Späßen aufgelegt gewesen. Ich vermisste sie und wünschte mir, meine Mutter wäre ihr ähnlicher. Sie wäre bestimmt nicht so versessen darauf, dass ich die neue Oberste würde. Meine Mutter war selbst einst Königsmädchen bei der großen Deligo gewesen. Ein Königsmädchen, so wie ich es jetzt war.
Die Deligo war eine der ältesten Traditionen unseres Landes, es gab sie schon zu Zeiten, als es noch Könige und Königreiche gab. Nur noch die Bezeichnung Königsmädchen erinnert heute an die alte Zeit.
Wenn der oberste Befehlshaber unseres Landes Jeer-Ee starb und die Weisen einen neuen erwählt hatten, fand die Deligo statt. Eine Auswahl der schönsten und talentiertesten jungen Frauen zwischen siebzehn und fünfundzwanzig wurden zu ihm in den Tempel gebracht. Anschließend gab man ihm genügend Zeit, sich für eine der Königsmädchen zu entscheiden.
Mit den Jahren fanden die Dorfbewohner Gefallen an dieser Prozedur, denn so hatte auch ein Mädchen aus einfachem Stand die Möglichkeit, es ganz nach oben zu schaffen.
Die Auserwählte durfte ihr Leben lang im Tempel wohnen. Wenn ihr Mann starb, gesellte sie sich einfach zu den Jungfern, die bereits dort lebten, und machte Platz für eine neue Oberste. Sie genoss damit bis zu ihrem Ableben alle Vorzüge des Plateaus und wurde von allen beneidet. Von allen, außer mir. Mir gefiel es zu Hause am besten. Außerdem wohnte ich ohnehin schon auf dem Plateau.
»Wo bleibt Hanna bloß?« Nervös lief meine Mutter auf und ab und blickte immer wieder aus dem Fenster Richtung Dorf. Plötzlich blieb sie stehen und schaute mich an.
»Wusstest du, dass sie auch für die Deligo auserwählt wurde?«
»Echt?«, fragte ich, dabei hatte mir meine beste Freundin längst davon berichtet. Hanna war so aufgeregt gewesen und hatte so schnell gesprochen, dass sie am Ende ihrer Ausführungen um Atem ringen musste. Sie hatte mich gebeten, meiner Mutter nichts davon zu sagen. Ihre Sorge, meine Mutter würde mein Deligokleid dann lieber selbst schneidern, statt es bei Hanna in Auftrag zu geben, war berechtigt.
»Sie wird bestimmt noch nicht mal in den Tempel eingeladen. Sie ist so, wie soll man das beschreiben …?«
»Ach Mama, sag nichts gegen Hanna. Sie ist meine Freundin und ich mag sie wirklich gerne.«
»Ja, sie ist ja ganz nett – aber so hibbelig und bunt, irgendwie schrill.«
»Wenn du meinst.« Ich kaute an meinen Fingernägeln. »Ich finde sie eher blumig. Hast du sie schon mal singen gehört? Einmalig und dabei so liebenswürdig. Überleg nur, sie schneidert mir ein Kleid, obwohl ich doch, deiner Meinung nach, die besten Chancen auf den Obersten habe. Ich bin ihre größte Konkurrentin!«
»Ja, abwarten. Wer weiß, wie das Kleid aussieht … Da ist sie ja endlich!«, rief sie freudig und lief los.
An der Tür drehte sie sich noch mal zu mir um und sagte:. »Sie hat es garantiert zu eng genäht, damit sie besser aussieht als du, Liebes.«
Ich verdrehte die Augen. Zweimal musste Hanna sich die Hände waschen, bevor sie meiner Mutter helfen durfte, mir das Kleid anzuziehen.
»Ein Traum, Lilia. Ist das nicht ein Traum? Es steht dir hervorragend! Genauso hatte ich es mir vorgestellt!«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Das Kleid war wirklich wunderschön, aber ich fühlte mich unwohl. Obwohl ich Lagen von Stoff an mir trug, kam ich mir halb nackt vor. Am Oberkörper lag es eng an und betonte Körperstellen, die ich lieber im Verborgenen gehalten hätte. Erst weiter abwärts fielen die Bahnen so um die Beine, dass keine Haut zum Vorschein kam.
Meine Mutter zerrte an den Schnüren am Rücken, obwohl ich bereits scharf die Luft einzog. Ich bemühte mich, in dieser Position zu verharren, bis alle Knoten gemacht waren. Ein Traum in Blau. Man konnte nur hoffen, dass kein Windstoß den Rock hochwehte.
Hanna knotete die Bahnen rechts und links vom Hals und an den Ellbogen zusammen, sodass die Schultern frei waren. »Du siehst traumhaft aus, Lilia.«
»Braucht ihr noch meine Hilfe?«
»Nein, danke Hanna. Den Rest schaffen Lilia und ich allein. Du musst dich sicher auch noch fertigmachen.« Hanna nickte, verabschiedete sich mit einer Verbeugung und verschwand.
»Du hättest ruhig netter sein können, Mutter. Das Kleid ist wunderschön.«
»Ja, da hast du recht. Aber sie muss nicht wissen, welche Frisur du hast, sonst kommt sie noch auf die Idee, es dir gleich zu tun.«
Ich verdrehte die Augen.
»Bist du soweit?«, hörte ich meine Mutter ein paar Stunden später fragen. Sie hatte sich schön gemacht. Na ja, schöner als sonst. Ihre Haare fielen ihr wallend um die Schultern und sie hatte sich eine Blume hineingesteckt, passend zu ihrem violetten Kleid, das meinem Vater so an ihr gefiel.
Sie drehte mich Richtung Fenster, um genügend Licht für meine Haare zu haben. Draußen herrschte bereits reges Treiben. Menschenscharen kamen den steilen Weg vom Dorf hinauf aufs Plateau, um sich die Deligo anzuschauen. Jede Woche machten sie sich auf, um unserem Heiligtum, dem Stein der Erde, ihre Dankbarkeit zu zeigen und Geschenke darzubieten oder zu beten. Doch heute kamen sie, um die Königsmädchen zu sehen. Sie trugen ihre feinsten Kleider und auf ihren Gesichtern breitete sich bereits Vorfreude aus. Heute würden sie die erste Runde der Deligo sehen. Heute würde sich herausstellen, welche jungen Mädchen in den Tempel zogen.
Freiwillig war die Deligo für keine von uns, schließlich wusste noch niemand, wer der neue Oberste war. Noch nicht, denn auch das würde sich heute offenbaren. Meine Mutter nannte es Glück, zur richtigen Zeit im richtigen Alter zu sein. Sie meinte, dass es viele hübsche Mädchen gab, die nicht die Möglichkeit bekamen, in den Tempel zu ziehen, weil der jeweils herrschende Oberste so alt wurde. Ich hatte also Glück. Vor wenigen Tagen war unser bisheriger Oberster Thymus zusammen mit seinen Männern tot im Wald aufgefunden worden. Einzelheiten wollte mein Vater uns nicht erzählen, als er die furchtbare Botschaft brachte. Man hatte ihm angesehen, dass es eine schreckliche Tat gewesen war. Ich hatte Thymus nicht ausstehen können, aber den Tod hatte ich ihm nicht gewünscht. Nur vier Jahre war er an der Macht gewesen, nicht gerade lang für eine Zeit, in der Frieden unter den Völkern herrschte.
Und so stand ich nun da, zur richtigen Zeit, im richtigen Alter, mit blauen Bändern im Haar.
»Und?«, fragte meine Mutter mit einem strahlenden Lächeln und schaute mich im Spiegel an.
»Wundervoll«, entgegnete ich kühl. Ich war nervös. Am liebsten hätte ich an meinen Fingernägeln gekaut, doch ich wusste, dass sie das nur wütend machen würde. Sie legte mir Reifen um den Oberarm und die Handgelenke und kniff mir hart in die Wangen, damit sich diese röteten. »Aua!«
»Das muss sein, stell dich nicht an. Bevor der Oberste dich sieht, machst du das noch mal. Verstanden?«
Ich nickte. Sie warf einen raschen Blick in den Spiegel und kniff sich dann ebenfalls in die Wangen. Abschließend suchte sie die passende Schminke für sich selbst. Sie ist so schön. Ich wickelte eine ihrer Strähnen um meinen Finger, während sie violettes Puder auf ihre Augenlider auftrug.
»Mama, warst du damals sehr traurig, als dich der Oberste nicht gewählt hat?«, fragte ich vorsichtig.
Sie lächelte. »Nein, das war ich nicht.«, ihr Gesicht zuckte kurz. »Urticas war ein hartherziger Mensch. Als ich gesehen habe, wie schlecht er seine Auserwählte behandelte, war ich froh, dass es nicht mich getroffen hatte.«
Noch heute wollte es sich mir nicht erschließen, warum sie bei ihrer Schönheit und ihrem makellosen Benehmen nicht zur Obersten gewählt worden war.
»Das einzig Gute, was der Oberste damals getan hat, war, mich mit deinem Vater zu verheiraten.«
Sie drehte sich lächelnd um und legte mir beruhigend eine Hand auf die Wange. »Du musst dich nicht sorgen, sie haben eine gute Wahl getroffen. Sei nur nicht so vorlaut. Nur ein paar Tage, ja?«
Ich nahm eine ihrer dunklen Strähnen und roch daran. Wie sie duftet. Sie packte mich an den Schultern und schaute mich mit zusammengepressten Lippen an. »Hörst du, was ich sage? Du sollst höflich sein!«
Ich nickte. Ein Blick aus dem Fenster ließ sie die Stirn runzeln. »Es haben sich schon viele um den Baum des Lebens versammelt. Komm, wir wollen nicht die Letzten sein.«
Sie griff nach meiner Hand, um mich hinauszuführen. Schon Weitem konnte ich den Baum des Lebens sehen. An seinen langen Ästen blühten bereits die ersten Blüten in einem zarten Rosa.
Heute, an diesem aufregenden Tag, scharten sich die Menschenmassen um ihn. Sie alle waren extra aus dem Dorf gekommen, um die Königsmädchen sehen.
Da mein Vater der Hauptmann aller Krieger Jeer-Ees war, lag unsere Hütte nahe dem Tempelplatz. Nur wichtige Menschen durften auf dem Plateau wohnen, doch das waren nicht viele. Manchmal fühlte ich mich unwohl, so abgesondert von dem Rest unseres Volkes zu leben. Egal, wo man hinging, verneigten sich die Leute vor einem. Doch ich war mir sicher, dass sie hinter meinem Rücken über mich tuschelten.
Im Tempel lebte der Oberste mit seiner Frau und den Jungfern, die alles daran setzten, dass der Anführer unseres Volkes die richtigen Entscheidungen traf. Die Deligo und die Ausbildung der Auserwählten gehörte ebenfalls zu ihren Aufgaben, genauso die Lehre des magischen Steins und der Legenden unserer Ahnen. Ich war nicht gerne in der Nähe einer Jungfer, denn dann überkam mich stets das Gefühl, von oben bis unten kritisch gemustert zu werden. Es schien, als analysierten sie jedes Wort, das mir über die Lippen kam.
Als wir uns dem großen Platz näherten, auf dem sich sowohl das komplette Dorf als auch die Bewohner des Plateaus versammelt hatten, kamen gerade die Jungfern mit unserem Landessymbol, dem heiligen Stein der Erde, aus der Kapelle. Atira, die älteste Jungfer, führte sie an. Sofort fielen mir ihre Haare auf, denn ich hatte exakt die gleiche komplizierte Flechtfrisur wie sie. Hatte meine Mutter das gewusst?
Atira trug ihren weißhaarigen Kopf erhoben und blickte sehr stolz drein. Es wirkte, als schaue sie abfällig auf alle anderen hinab. Hinter ihr schritten die anderen Witwen der verstorbenen Obersten, zu denen sich nun auch Anthea, die Frau des verstorbenen Thymus, gesellen würde. Ihnen folgten die Jungfern, die sich für ein Leben in der Kapelle und im Tempel verschrieben hatten. Sie bewegten sich alle so anmutig, dass man es nur als schweben bezeichnen konnte. Es schien, als würden ihre Füße den Boden kaum berühren. Die Frauen trugen weiße Gewänder, durch die der Wind fegte, und auch die Bänder an ihren Haaren und Armen flogen hinter ihnen her, als würden sie ihnen huldigen. Langsam schritten sie über den steinigen Weg von der Kapelle bis zum Baum des Lebens, während über dem Plateau eine angespannte Stille lag.
Am Baum angekommen legten sie den heiligen Stein der Erde in eine dafür vorgesehene Kuhle im Baumstamm, verteilten sich um ihn herum und nahmen ihre Gebete auf. Ein paar der Dorfbewohner, vorwiegend ältere Damen, taten es ihnen gleich und fingen leise an zu beten.
Meine Mutter und ich gesellten uns zu einer Gruppe hübscher Frauen und Mädchen, deren Haare fein frisiert waren und deren Wangen rosig glühten. Ihre Münder schimmerten purpurn. Die Mütter achteten peinlich genau darauf, dass ihre Töchter nicht auf die langen Kleider traten, den Kopf hochhielten und die Frisuren nicht durcheinanderbrachten. Mit einigen der Frauen hatte meine Mutter damals um die Gunst des Obersten gekämpft. Nun wollten sie sich anhand ihrer Töchter abermals beweisen.
Unaufrichtige Komplimente über mein Gesicht, meine Haut und meine Haare vermischten sich mit Schmeicheleien bezüglich des Kleides.
»Ihr seht euch so ähnlich«, sagte Nepeta, eine ehemalige Konkurrentin meiner Mutter, süßlich lächelnd. Ihr rosafarbenes Kleid saß viel zu eng und da, wo ihr Fleisch die Möglichkeit bekam, quoll es sichtlich hervor. Auch ihre Tochter stand gut im Futter. Ich lächelte sie an, obwohl mir das Mädchen leidtat. Sie war dick, obendrein unheimlich schüchtern und versteckte sich hinter ihrer Mutter. »Gegen deine Lilia hat meine kleine Rosalia ja kaum eine Chance!«, sagte Nepeta und merkte nicht, wie sich das Gesicht ihrer Tochter schmerzlich verzog.
»Dafür hat deine Tochter ein besseres Gemüt, meine ist oft vorlaut, unverschämt und setzt ihren Kopf durch, wo sie kann. Das wird ihr zum Verhängnis werden.«
Nepetas Mundwinkel bogen sich nach oben. Ich mochte diese hinterhältige Art der Unterhaltungen nicht und suchte mit den Augen die Menge ab. Viele der Dorfmenschen waren mir fremd, doch ich freute mich, als ich Hanna inmitten einer Gruppe herausgeputzter Mädchen sah.
Alle klebten förmlich an ihren Lippen. Sie erzählte bestimmt gerade eine witzige Geschichte, darin war sie immer gut. Vorsichtig schlängelte ich mich an den Zuschauern vorbei und stieß zu ihnen. Von den meisten bekam ich böse Blicke zugeworfen. Purer Neid sprach aus ihren Augen, doch als Hanna mich erspähte, sprang sie mir vor Freude um den Hals.
»Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Die Farbe ist fantastisch!«, stieß ich sofort hervor. Ein breites Lächeln zog sich über ihr zartes Gesicht, welches ich noch nie so sauber gesehen hatte.
»Mit Rotkraut eingerieben«, sagte sie und lachte. Das sonst blonde Haar hatte einen rosafarbenen Schimmer. Eine gelbe Blüte betonte die Farbe noch zusätzlich und passte perfekt zu ihrem gelben Kleid.
»Dein Kleid ist wunderschön, Hanna!«
»Deins aber auch!« Sie kicherte.
»Das habe ich ja wohl dir zu verdanken«, sagte ich lachend. Die anderen Mädchen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Hanna griff mir in die Taille. »Ist doch toll, dass ich hier noch zusätzliche Abnäher gesetzt habe, oder?«
Anerkennend musterte sie ihr eigenes Werk.
»Ja, du hast dich selbst übertroffen Hanna.«
»Das macht einen schlanker, auch wenn du es nicht nötig hast, Lilia.« Sie grinste. »Aber so wirkst du zierlicher und nicht so stark, wie sonst immer.« Hanna wusste, dass es mir nicht gefiel zierlich auszusehen. Das war genau das, was ich nicht wollte, doch meine Mutter wäre sicher begeistert davon. Sie nahm meine Hand und drehte erst mich und danach sich selber.
»Ich habe mich für Gelb entschieden, damit hat die letzte Jungfer auch gewonnen«, sagte sie lachend. Ich konnte mich an das Kleid von damals noch gut erinnern. Die Wahl fiel schon nach wenigen Tagen auf Anthea, eine schwarzhaarige Schönheit, die direkt neben unserem Haus gewohnt hatte. Sie trug zur Deligo ein gelbes Kleid, das die längste Schleppe hatte, die ich je gesehen habe. Aber ich vermutete, dass nicht die Schleppe, sondern eher ihr Ausschnitt geholfen hatte.
»Hast du Anthea schon gesehen?«, fragte ich Hanna, die daraufhin mit dem Kopf zum Baum des Lebens wies.
»Sie steht da vorne. Sieht mitgenommen aus. Man sagt, dass sie Thymus wirklich geliebt hat.« Das hatte ich auch gehört. Es kam vor, dass man sich in seinen Obersten verliebte.
»Und weißt du was?« Hanna zog mich am Ärmel zu sich runter, denn sie war ein bisschen kleiner als ich. Ich sah, dass jemand ihr ein paar Blumenranken auf den Hals gemalt hatte. Es sah wunderschön aus und würde sicher einige Blicke auf sich ziehen. »Rosika, deren Großvater ja einer der Weisen ist, meinte, sie hätten dieses Mal eine wirklich gute Wahl mit dem neuen Obersten getroffen. Er soll Atira gesagt haben, dass er nur aus Liebe heiraten wolle.«
»Nur aus Liebe? Bist du dir sicher?«
»Wenn ich es doch sage! Er möchte nicht irgendeine Frau, die gut aussieht, sondern die Richtige. Mit reinem Charakter und so. Er will sich Zeit lassen.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Das darfst du aber keinem weitersagen, Rosika hat es mir im Geheimen anvertraut.«
Ich lächelte. »Mach dir keine Sorgen. Ich schweige wie ein Grab.« Rosika war eine Dienerin im Tempel und obendrein hatte sie eine lose Zunge. Nie wusste man genau, wann sie die Wahrheit sprach oder etwas hinzugedichtet hatte.
»Weißt du, was das Beste daran wäre, wenn er sich viel Zeit ließe? Dann könnte ich länger im Tempel bleiben.« Hanna lächelte selig. Hinter mir erschien Jole und lachte laut. Sie war älter als wir anderen und mit ihren dreiundzwanzig Jahren war es wohl ihre letzte Chance, die neue Oberste zu werden. Wie ich wohnte sie mit ihrer Familie auf dem Plateau. Wieso, wusste ich nicht, denn weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten mit dem Tempel zu tun, was oft für Gesprächsstoff sorgte. Vielleicht hatte ihr Großvater als einer der Weisen etwas damit zu tun.
»Schön seht ihr zwei aus«, flötete sie.
»Wen interessiert das schon?«, gab ich zurück.
»Pah, stundenlang parat gemacht und jetzt fragt sie, wen das interessieren soll.«
»Ach Jole, hör doch auf zu zanken«, sagte Hanna. »Lass Lilia einfach in Ruhe.«
»Ich weiß nicht, was du an ihr findest, Hanna, sie ist die größte Konkurrenz für uns! Erstens kennen sich der neue Oberste und sie schon und zweitens wird sie von den Jungfern bevorzugt werden, nur weil sie Nanas Tochter ist.«
»Das stimmt doch gar nicht!« Am liebsten hätte ich ihr die Frisur ruiniert.
»Sie kennt ihn?«, fragte Hanna überrascht.
»Klar, weißt du noch nicht, wen sie zum Obersten gewählt haben?«
Hanna schaute mich an, weil sie dachte, ich wüsste, wer gewählt wurde. Doch ich war genauso ahnungslos und überrascht, dass Jole es schon wusste.
»Wer ist es denn?«, fragte Hanna schnell, doch in dem Moment erklang schon die große Glocke, die nur bei den größten Ereignissen des Landes läutete: bei der Deligo, wenn unsere Krieger in den Krieg zogen oder wenn wir bedroht wurden. Im letzteren Fall läutete sie, bis die Gefahr gebannt war. Aber soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte uns keines der drei anderen Völker in den letzten Jahren angegriffen. Es herrschte schon so lange Frieden, wir waren keinen Krieg mehr gewohnt.
Alle schauten zum Tempel. Der Klang hallte über den langen Weg bis zum Baum des Lebens und zu allen Zuschauern auf dem großen Platz. Das Gerede wurde eingestellt und ich spürte, wie sich eine Hand auf meinen Arm legte. Ich drehte mich um und blickte in die hellbraunen Augen meiner Mutter, die mich ermahnten, meine Position einzunehmen. Trotzdem zog sie mich schnell zu sich, umarmte mich vorsichtig und ich hörte, dass sie schwer atmete. Sie kniff mir noch mal in die Wangen und sagte erneut, dass ich höflich sein solle. Ich verdrehte im Gehen die Augen. Die Jungfern räumten ihren Platz am Baum und verschwanden im Tempel, sodass sich die Königsmädchen dort einfinden konnten.
Eine nach der anderen stellten wir uns nun mit dem Rücken zum Baum und mit Blick über das Plateau auf. Die Menge vor uns begann leise zu tuscheln. Vorsichtig beugte ich mich vor und schaute mir die anderen Mädchen genauer an. Leider kannte ich nicht alle von ihnen. Neben mir stand Hanna, die nervös auf und ab wippte. Von dem langen Weg hinter dem Tempel bis zum großen Platz vor uns bildete sich nun eine Gasse in der Menge. Das schwere Tor öffnete sich langsam und die Krieger kamen einer nach dem anderen heraus. Als mein Vater erschien, musste ich lächeln. Die Gruppe schritt an den Menschenmassen vorbei und wurde zurückhaltend beklatscht. Es war wie jedes Mal ein imposanter Auftritt, wenn die Kämpfer ihre Rüstungen trugen. Im Gleichmarsch kamen sie die Stufen herunter und setzten dann ihren Weg fort, angeführt von meinem Vater. Weil der Weg sehr lang war, dauerte es, bis sie uns erreichten. Sie verneigten sich vor uns und ein paar der Mädchen taten es ihnen gleich, weil sie es so gewohnt waren und nicht wussten, wie man sich korrekt verhielt. Denn gestern noch standen die Krieger in der Rangfolge über uns. Heute jedoch gehörten wir zu den Königsmädchen und solange das so war, standen wir über den Kriegern – sie hatten sich also vor uns zu verneigen. Aber das alles würden die Jungfern die Königsmädchen in den kommenden Wochen im Tempel noch lehren. Sofern sie auserwählt wurden. Da ich bereits wusste, wie man sich benahm, und schon auf dem Plateau wohnte, brauchte man mir kein Zimmer im Tempel einzuräumen. Ich würde also nicht unter der ständigen Aufsicht der Jungfern stehen, was ich als Segen empfand. Hanna jedoch lebte im Dorf und würde für die Zeit der Wahl in den Tempel ziehen. Man wollte es den Mädchen nicht zumuten, jeden Tag den langen Weg bis hoch zum Plateau zu bestreiten.
Meine beste Freundin wurde jetzt immer nervöser und richtete ihr Kleid andauernd neu. Erst zog sie es gerade, dann ließ sie es wieder locker fallen und allmählich bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn.
Die Krieger waren nun fast alle beim Baum angekommen und begutachteten uns unverhohlen. Heute Abend würden sie sicher in der Taverne sitzen und darüber reden, wen sie wählen würden, wenn sie der Oberste wären.
Ich wünschte mir inständig, die Zeremonie wäre endlich vorbei, denn ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Ganz anders das Mädchen zu meiner Linken, die hochnäsig zur Menge schaute und ein starres Lächeln auf ihren Lippen hielt. Immer wieder strich sie durch ihr langes Haar und ließ ihre schwarze Mähne im Wind wehen. Sie ging mir gründlich auf die Nerven.
Dann endlich kamen die alten Jungfern aus dem Tempel zurück, Atira führte sie natürlich an.
»Ich bin so aufgeregt, Lilia, mir bleibt die Luft weg«, sagte Hanna und ich trat näher an sie ran, um ihr die Hand zu drücken.
»Schließ die Augen und atme langsam ein und aus.« Sie tat, was ich ihr sagte, und nach ein paar Atemzügen lächelte sie mich wieder entspannter an.
In diesem Moment kam die Sonne hinter einer dichten Wolke hervor und musste unweigerlich hinsehen. Ich blinzelte. Im selben Moment trat der Oberste ins Freie und ein Raunen ging durch die Menge. Endlich konnten ihn alle erkennen, nur ich nicht! Geblendet wie ich war, sah ich kaum etwas. Doch sein Name, von vielen gerufen, flog wie ein Windzug zu mir und ich atmete erleichtert aus.
Kinthos.
Wir kannten uns schon lange, denn auch er lebte mit seiner Familie auf dem Plateau. Sein Vater war einst der Oberste gewesen. Eigentlich war es so offensichtlich, dass man ihn wählen würde, dass ich selbst darauf hätte kommen können.
Er war nicht viel älter als ich und wir hatten uns immer schon gut verstanden. Auch wenn es ein ungewohnter Gedanke war, ihn mir als Ehemann vorzustellen, war ich plötzlich sicher, dass ich mit ihm an meiner Seite glücklich sein könnte.
Niemals würde er lügen oder seine Hand erheben. Das Volk jubelte, klatschte und die Zuschauer riefen seinen Namen, während er langsam auf uns zukam, bis ich ihn richtig erkennen konnte. In seinem zarten Gesicht spiegelten sich Scham und Unsicherheit.
Auch wenn es vielleicht keinem so auffiel wie mir, sah ich, dass die Zeremonie ihm unangenehm war. In diesem Punkt glichen wir einander, denn wir beide wollten weder im Mittelpunkt stehen noch Aufmerksamkeit erregen.
Sein Blick erhellte sich, als er mein Gesicht unter den Mädchen entdeckte. Er zog kurz den Mundwinkel schief und ich verstand, dass er sich nicht wohlfühlte. Wer sucht sich schon gerne eine Frau aus, wenn Hunderte einem dabei zusehen! Er begann auf der linken Seite und ging langsam an den ersten Mädchen vorbei. Nun musste er die Vorauswahl treffen. Wahrscheinlich kannte er die meisten Mädchen genauso wenig wie ich. Auch wenn wir uns manchmal ins Dorf schlichen, so fühlten wir uns dort beide unwohl. Man beobachtete uns und Bekanntschaften hatten wir in all der Zeit kaum gemacht.
Wie vielen Mädchen wurde bereits heute die Chance verwehrt, ihn näher kennenzulernen? Je weniger Abstand er zwischen uns brachte, desto schneller hörte ich Hanna tief ein- und ausatmen. Ich drückte ihre Hand und spürte, dass sie zitterte. Kinthos kam direkt auf uns zu. Wie er sich in der letzten Zeit verändert hatte! Von heute auf morgen hatte ich ihn auf dem Plateau nicht mehr gesehen, aber ich war zu feige gewesen, zu ihm nach Hause zu laufen und nach ihm zu fragen. Nun war mir klar, dass man ihn im Tempel auf seine Aufgaben vorbereitet hatte.
Ich sah ihn zum ersten Mal in Rüstung. Sie stand ihm gut, ließ ihn größer und breiter erscheinen. Auch die Brust wirkte massiv, voller Muskeln, doch ich wusste es besser. Wir waren vor nicht allzu langer Zeit zusammen am Fluss gewesen und sein Oberkörper war normal gebaut – nun jedoch ließ ihn sein Brustpanzer unheimlich stark wirken. Schade, dass man ihm die blonden Locken abgeschnitten hatte, sein Haar stand nun nicht mehr so wild ab. Man hatte seine Haare aus der Stirn gekämmt und sie in leichte Wellen gelegt. Den leichten Bart hatte man ihm sicher stehen lassen, damit er reifer wirkte.
Er verbeugte sich höflich vor der hochnäsigen Ziege links neben mir und sie nickte ihm leicht zu. Zwei Mädchen weiter rechts fingen sofort an zu kichern, als er in ihre Richtung schaute. Langsam ging er zu ihnen, an Hanna und mir vorbei, blieb dann aber doch abrupt vor uns stehen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er mit seiner samtweichen Stimme und blickte von Hanna zu mir und zurück zu Hanna. Als sein Blick zu ihren Malereien am Hals ging, entlockte ihm das ein schüchternes Lächeln.
»Ja klar, was soll schon sein?«, presste ich hervor.
»Ihr haltet euch an den Händen, das sieht man selten bei der Deligo, wo sich jede selbst die Nächste ist.« Er lächelte, doch ich wusste, dass er genau darauf achtete, was wir antworteten. Ich konnte den feurigen Blick meiner Mutter im Rücken spüren. Sie tobte wahrscheinlich, weil ich hier durch Händchenhalten auffiel. Hanna drückte meine Hand und ich wusste, dass sie einer Ohnmacht nahe war.
»Wir sind halt Freundinnen und gönnen der Anderen nur das Beste!«, sagte ich. Er hob eine Augenbraue.
»So ist das … Freundinnen?«
Ich nickte.
»Aber sie kommt aus dem Dorf und du bist von hier.« Er sagte es vorwurfsvoll, doch ich wusste, dass er mich auf freundschaftliche Art necken wollte.
»Nur weil ich hier wohne, heißt das nicht, dass mir die Vorzüge des Dorfes verborgen geblieben wären.«
»Ach so. Dann kennst du das Dorf also gut?« Wir lächelten uns an, nur Hanna schaute betreten zu Boden und ich spürte, wie ihr Puls am Handgelenk pochte.
»So gut nun auch wieder nicht.«
Er überlegte kurz. »Was würdest du tun, wenn ich deine Freundin zur Frau wähle?« In dem Moment, da er es ausgesprochen hatte, drückte Hanna meine Hand so fest, dass es fast schon schmerzte.
»Ich würde Euch beglückwünschen, Oberster.«
»Mich?«, sagte er laut und lachte bellend. »Wieso denn mich?«
Ich stellte mich kerzengerade hin und atmete tief ein.
»Weil Ihr dann ein bezauberndes Wesen zur Frau nehmen würdet. Hanna würde Euch stets treu umsorgen und kein böses Wort käme ihr über die Lippen. Jeder Morgen, an dem Ihr die Augen aufschlügt, wäre voller Sonnenschein durch Hannas freudiges Gemüt.« Ich machte einen Knicks. »Ja, ich würde Euch wahrlich beglückwünschen.« Ich merkte, wie mich alle anstarrten und errötete. Um uns herum war es so still, als traute sich keiner, zu atmen. Hanna ergriff als Erste das Wort.
»Dankeschön, Lilia.«
»Na, dann wird mir die Wahl ja leicht gemacht!«, sagte Kinthos, zwinkerte mir zu und ging lächelnd weiter. Nach einer schier endlosen Zeit und weiteren Gesprächen mit den anderen Königsmädchen war die Zeremonie vorbei und der Oberste verschwand mit den Kriegern und den Jungfern im Tempel. Hanna fiel mir um den Hals.
»Oh Lilia, du bist die beste Freundin, die es gibt!« Eine Träne der Freude kullerte über ihre Wange.
»Tja, aber nicht mehr lange. Meine Mutter wird mich dafür sicher töten.« Ich zwinkerte Hanna zu und schon hörte ich die tobende Stimme meiner Mutter hinter mir.
»Fräulein! Was war das für eine Vorstellung? Komm sofort mit.«
»Jetzt reg dich bitte nicht so auf.« Ich warf Hanna einen hilflosen Blick zu.
»Er hatte nur Augen für Lilia und mit keiner hat er sich so lange unterhalten wie mit ihr, Nana«, sagte Hanna und verneigte sich tief vor meiner Mutter.
»Wir werden ja gleich erfahren, für welche Mädchen er sich entscheidet.« Kopfschüttelnd gesellte sie sich zu den anderen wartenden Müttern, die vor Schadenfreude bald platzten.
Nun liefen alle durcheinander. Die Mädchen, mit denen Kinthos ein paar Sätze gewechselt hatte, horchte man aus und jedes Wort wurde auf die Goldwaage gelegt. Viele kamen zu Hanna und vergewisserten sich, dass sie richtig verstanden hatten, was ich zu Kinthos gesagt hatte, weil sie zu feige waren, mich direkt anzusprechen.
Nach einiger Zeit kam Atira mit einem Tablett aus dem Tempel, auf dem sich verschiedenfarbige Stoffbahnen befanden. Die Mädchen, die ein solches Band erhielten, würden bereits morgen für die Zeit der Deligo in den Tempel ziehen. Sie alle bekamen einen Abend lang Zeit, um sich von ihren Familien zu verabschieden.
Nervös versammelten wir zehn uns erneut am Baum des Lebens und hofften auf ein Band. Atira begann von links mit dem Verteilen und knotete zwei hübschen blonden Mädchen, die sich sehr ähnelten, den Stoff um den Arm. Ab sofort waren diese Mädchen dem Obersten versprochen und kein anderer Mann durfte sich mit ihnen einlassen. Sie wurden durch die Bänder an ihn gebunden, für alle Welt sichtbar.
Atira ging weiter und an Rosalia vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Arme.
Leider bekam das hochnäsige Mädchen zu meiner Linken eines der Bänder. Dann kam die alte Frau zu mir.
»Hier, dieses Band ist für dich. Die Entscheidung stand als Erste fest«, sagte sie und knotete mir grüne Seide an den Arm. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte und schaute mir in Gedanken versunken den Stoff an. Doch dann stieß Hanna einen Freudenschrei aus – ein gelbes Band schlängelte sich um ihren Arm. Atira ging kopfschüttelnd weiter.