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RAINER W. DURING

LACHNUMMER BER

RAINER W. DURING

LACHNUMMER BER

DAS DEBAKEL UM DEN
HAUPTSTADTFLUGHAFEN

EINE CHRONIK

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eISBN 978-3-86789-575-0

1. Auflage

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

www.rotbuch.de

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Prolog – Die Ausgangslage

1. Die lange Suche nach dem schlechtesten Standort

2. Aus Konkurrenten werden Partner

3. Privatisierung gescheitert, Termin geplatzt

4. Die nächste Terminverschiebung

5. Gericht verfügt Nachtflugverbot

6. Die missglückte Ausschreibung

7. Der Chefplaner geht von Bord

8. Der BBI wird zum BER – und teurer

9. Die Eröffnung wird erneut verschoben

10. Wurde bei den Flugrouten gemogelt?

11. »Dienstreise« zur Gegendemo?

12. Bruchlandung 26 Tage vor dem Start

13. Neue Verschiebung – Schwarz muss gehen

14. Mehdorn soll es richten

Literaturverzeichnis

VORWORT

Bei »straffer Behördenarbeit« könnte der neue Flughafen der deutschen Hauptstadtregion im Jahr 2000 eröffnet werden, stellte der damalige Umweltminister und spätere Ministerpräsident Brandenburgs, Matthias Platzeck, 1991 in Aussicht. 22 Jahre nach dieser Ankündigung und 13 Jahre nach der geplanten Fertigstellung ist noch immer offen, wann der BBI, der inzwischen Flughafen Berlin Brandenburg (FBB) heißt und BER genannt wird, tatsächlich seinen vollen Betrieb aufnehmen kann.

2007, Herbst 2010, 30. Oktober 2011, 3. Juni 2012, August 2012, Oktober 2012, 17. März 2013, 27. Oktober 2013, 20?? – der Eröffnungstermin wurde nicht weniger als neunmal verschoben und der Hauptstadtflughafen vom europäischen Luftkreuz über den Groß- zum Single-Flughafen degradiert. Während Ostdeutschlands größtes Infrastrukturprojekt angesichts der Sparvorgaben der Politik immer mehr seine Zukunftsträchtigkeit verlor, ließ die nur allzu bereitwillige Übernahme immer neuer Änderungswünsche von Politikern und Airlines die Kosten explodieren, was die Steuerzahler heute teuer zu stehen kommt. Aus ursprünglich kalkulierten 1,7 Milliarden Euro werden wohl gut fünf Milliarden Euro werden. Und während in regelmäßigen Abständen darüber gestritten wurde, ob der neue Flughafen nun viel zu groß oder viel zu klein geplant werde, verloren die Führungsspitze der Flughafengesellschaft und ihr von den Landesherren geführtes Aufsichtsgremium immer mehr den Überblick und übersahen, dass auf der Großbaustelle mangels ausreichender Koordination längst das Chaos herrschte.

Der Einreisebeamte am Flughafen von Las Vegas blickt in den Reisepass des Besuchers aus Germany, dann hebt er den Kopf mit einem mitleidigen Lächeln und sagt mitfühlend in fließendem Deutsch: »Aus Berlin kommen Sie, der Stadt, die ihren Flughafen nicht fertig bekommt.« Dort in Nevada ist das neue Terminal gerade termin- und budgetgerecht fertiggestellt worden. Während man sich rund um den Globus über die Hauptstadtregion amüsiert und nach der legendären Präzision der deutschen Ingenieure fragt, endet der Kommentar von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu jeder neuen Pleite mit der Aussage, dass der seit Jahren dümpelnde Hauptstadtflughafen eine »Erfolgsgeschichte« sei und die ständig steigenden Mehrausgaben – jeder Monat kostet den Steuerzahler allein für den Unterhalt der Gebäude und Anlagen nach unterschiedlichen Angaben bis zu 40 Millionen Euro – »gut angelegt« wären. Während längst der abgewandelte Ulbricht-Spruch die Runde macht, dass niemand die Absicht habe, einen Flughafen zu bauen, gibt der Airport sogar den Hamburgern Auftrieb, die selbst mit dem Bau der Elbphilharmonie gebeutelt sind. In der Hansestadt ist längst die Rede davon, dass man es schaffen will, dort noch ein Benefizkonzert für den unfertigen BER zu geben.

Ein wirklich aktuelles Buch über das Drama um den neuen Berliner Flughafen zu schreiben, ist angesichts dieser »Neverending Story« ein unmögliches Unterfangen. So muss sich auch dieses Werk darauf beschränken, an einem Punkt zu enden, an dem die Geschichte noch lange nicht ihr Ende erreicht hat. Nach Redaktionsschluss soll ein neuer Zeitplan für die Fertigstellung und Inbetriebnahme des Airports verkündet werden, ob er diesmal eingehalten werden kann, wird die Zukunft zeigen.

Doch allein die bisherige Geschichte ist ebenso spannend wie unglaublich. Sie zeichnet das erschreckende Bild, wie in fast einem Vierteljahrhundert aus einer weitsichtigen Idee eines der größten Chaosprojekte in der Geschichte der Bundesrepublik wurde. Die Entwicklung des BER ist geprägt von Pleiten, Pech und Pannen und verdeutlicht, wie sich Politiker, statt im Interesse der Region an einem Strang zu ziehen, im parteipolitischen Geklüngel verlieren und letztendlich gemeinsam mit ebenso eitlen wie vom Alltagsgeschehen abgerückten Flughafenchefs den Überblick verlieren. Wann immer der BER auch in Betrieb geht, wird er bereits wieder an den Grenzen seiner Kapazität liegen, längst hätte mit der Planung der ersten Erweiterung begonnen werden müssen, für die noch nicht einmal die erforderlichen Vorkehrungen getroffen wurden.

Rainer W. During im September 2013

PROLOG –
DIE AUSGANGSLAGE

Berlin, 1988. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die im Herzen der Sowjetischen Besatzungszone liegende Hauptstadt Berlin von den Siegermächten in vier Sektoren geteilt. Ostberlin, der sowjetische Sektor, bildet die Hauptstadt der DDR, das seit 1961 eingemauerte Westberlin setzt sich aus dem amerikanischen, britischen und französischen Sektor zusammen. Im Westsektor haben noch immer die Stadtkommandanten der drei Westmächte die Oberhoheit, machen davon aber nur noch selten Gebrauch. Nur beim Luftverkehr, dem einzigen nicht von der DDR und der Sowjetunion kontrollierten Zugangsweg, gelten nach wie vor die Bedingungen, die von den Alliierten 1946 ausgehandelt wurden. Danach führen drei jeweils 32 Kilometer breite Luftkorridore, deren Nutzung nur Luftverkehrsgesellschaften aus Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten gestattet ist, von Hamburg, Bückeburg und Frankfurt am Main aus zur Berliner Kontrollzone, die sich um das alliierte Kontrollratsgebäude im Kleistpark erstreckt. In diesem befindet sich als letzte Viermächteeinrichtung noch das Berlin Air Safety Center (BASC), von dem alle Flüge freigegeben werden müssen.

In Westberlin gibt es in jedem der drei Sektoren einen Airport: den Zentralflughafen Tempelhof im amerikanischen, den reinen Militärflugplatz Gatow im britischen und den während der Berlin-Blockade für die Luftbrücke gebauten Flughafen Tegel im französischen Sektor. Alle drei Plätze dürfen nur von Luftverkehrsgesellschaften der drei Westmächte angesteuert werden. Für den Ostberliner Flughafen Schönefeld gelten diese Beschränkungen nicht, weil er außerhalb des Stadtgebietes liegt. Deshalb dürfen ihn alle Airlines einschließlich der DDR-Fluggesellschaft Interflug benutzen. Eine Tatsache, von der aber nur wenige westliche Luftverkehrsgesellschaften Gebrauch machen. Nach Schönefeld führt eine einzige Luftstraße, sie überquert die DDR in Nord-Süd-Richtung von der Ostsee bis zur tschechoslowakischen Grenze mit einem Abzweig nach Osten.

Seit einem Jahr nimmt der Flugverkehr von und nach Westberlin einen gewaltigen Aufschwung. Immer mehr alliierte Luftverkehrsgesellschaften wollen die Stadt anfliegen. Das Passagieraufkommen steigt um 14,7 Prozent auf 5,27 Millionen. Während in Tempelhof neben den Militärflügen der USA nur noch ein bescheidener Regionalverkehr stattfindet, nutzt das Gros der Reisenden das 1974 eröffnete Terminal in Tegel-Süd, dessen Kapazität bei 5,5 Millionen Fluggästen pro Jahr liegt.

Vor diesem Hintergrund beschließt der schwarz-gelbe Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) am 13. Januar 1988, den Flughafen Tegel in drei Stufen auszubauen. Binnen sieben Monaten entstehen durch den Umbau der nach einem Raketenforscher benannten Nebel-Halle neben der Haupthalle weitere Abfertigungspositionen. Bis 1989 soll der westlich der Zufahrt gelegene Parkplatz P 2 überbaut werden. Ferner sind die Aufstellung von Bürocontainern für die Airlines und zusätzliche Flugzeugabstellplätze geplant. Und bis zum Ende des Jahres 1991 soll für 230 Millionen D-Mark ein zweites Terminal entstehen, um die Kapazität auf acht Millionen Passagiere zu erhöhen. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt läuft es nicht wie geplant. In den folgenden Monaten lehnt das Bezirksamt Reinickendorf als zuständige Baugenehmigungsbehörde wiederholt die zweite Ausbauphase ab.

Im Januar 1989 finden in Westberlin Abgeordnetenhauswahlen statt. Überraschend ergibt sich eine Mehrheit für die SPD und die Alternative Liste. Obwohl die Passagierzahlen weiter steigen und in diesem Jahr allein in Tegel 5,89 Millionen Reisende gezählt werden, beschließt der neue rot-grüne Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD), den weiteren Ausbau von Tegel zu stoppen und das Volumen des Westberliner Luftverkehrs auf das Niveau von 1987 zurückzufahren. Das führt zu heftigen Kontroversen, nicht nur mit der Berliner Flughafen-Gesellschaft und deren Aufsichtsrat. Die Forderung des Senats nach einer Reduzierung von Flügen wird von den bei den jeweiligen Botschaften in Bonn angesiedelten alliierten Zivilluftfahrtattachés als Genehmigungsbehörde ignoriert und von der Bundesregierung als Vernachlässigung der Berliner Interessen bezeichnet. Auf Drängen des französischen Stadtkommandanten – für Flugsicherung und Flugbetriebsflächen in Tegel ist die Armée de l’Air verantwortlich – muss der Senator für Bau- und Wohnungswesen, Wolfgang Nagel (SPD), das Bezirksamt Reinickendorf im Rahmen der Dienstaufsicht anweisen, die Einrichtung von drei zusätzlichen Flugzeugabstellplätzen zu genehmigen.

Zwar hatte US-Präsident Ronald Reagan den Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Michail Gorbatschow, bereits 1987 in seiner legendären Rede vor dem Brandenburger Tor aufgefordert: »Reißen Sie diese Mauer nieder!«, doch trotz des von Gorbatschow mit der Perestroika eingeleiteten Endes des Kalten Krieges kommt noch niemand auf die Idee, dass die Mauer tatsächlich bald fallen könnte. Am 4. April 1989 meldet sich David Anderson mit einem aufsehenerregenden Gastkommentar in der Westberliner Tageszeitung Volksblatt zu Wort. Der ehemalige US-Diplomat, der 1971 zur amerikanischen Delegation bei der Ausarbeitung des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin gehörte, war von 1978 bis 1981 ziviler Gesandter der amerikanischen Militärregierung in Berlin und somit stellvertretender Stadtkommandant. Er hat gerade die Leitung der Berliner Dependance des Aspen Institute übernommen, einer internationalen, gemeinnützigen Organisation zur Förderung der wertebasierten Führungsqualitäten, zur Pflege zeitloser Ideen und beständiger Werte sowie für einen offenen Dialog über Fragen der Zeit. Er präsentiert weitsichtig den damals nur auf den ersten Blick noch unrealistisch wirkenden Vorschlag, einen neuen Großflughafen für beide Teile Berlins auf DDR-Gebiet zu bauen.

Er sei anlässlich des 40. Jahrestages der Luftbrücke, bei der die Westmächte Westberlin während der sowjetischen Blockade 1948/49 ausschließlich per Flugzeug versorgten, zu dem Schluss gekommen, dass die Rahmenbedingungen für die zivile Luftfahrt in Berlin nicht mehr den Anforderungen der Stadt gerecht werden: »Wenn die Stadt ihr Luftfahrtproblem nicht sehr bald löst, dann wird Berlin den Anschluss verlieren – und zwar nicht nur auf diesem speziellen Gebiet«, begründet Anderson (gestorben 1997) seine These. Dabei geht es ihm nicht nur um die Bewältigung des permanent steigenden Passagieraufkommens, er hat auch die Bedeutung des Standortes als ideales Drehkreuz für den Nord-Süd- ebenso wie für den Ost-West-Verkehr erkannt. Ost- und Westberlin, so seine Überzeugung, brauchten als Großstädte noch vor dem Jahr 2000 einen neuen Großflughafen.

Der neue Airport, so Andersons Vorschlag, solle am Rande der Stadt gebaut und durch ein Hochgeschwindigkeitseisenbahnsystem für Passagiere, Gepäck und Fracht mit dem östlichen ebenso wie mit dem westlichen Stadtzentrum verbunden werden. In der Diskussion ist ein unkontrollierter Korridor nach dem Beispiel des Flughafens Basel-Mülhausen, der auf französischem Gebiet liegt, von der Schweiz aus aber über eine zollfreie Straße erreichbar ist. Auch einen möglichen Standort kann der Ex-Diplomat, ein exzellenter Kenner der speziellen Situation Berlins, bereits nennen: den noch von den sowjetischen Militärs genutzten Flugplatz Oranienburg nördlich der Stadt.

Die Erweiterung der Anlagen sowohl in Tegel als auch in Schönefeld stellt für Anderson keine Alternative dar. Sinnvoller ist es aus seiner Sicht, angesichts der immensen Kosten, die Mittel gleich in den Bau eines Flughafens zu investieren, der auch den zukünftigen Anforderungen Berlins gerecht wird. Dieser soll parallel zum Fortbestand der alliierten Lufthoheit entstehen und – so wie Schönefeld – nicht unter deren Beschränkungen fallen. Die beiden alten Plätze sollen für Notfälle im kommerziellen Luftverkehr, Tegel zudem für Militärflüge der drei Westmächte, erhalten bleiben. Auch die Luftkorridore und deren Kontrolle durch die alliierte Luftsicherheitszentrale will Anderson nicht antasten, um den freien Zugang von und nach Westberlin auch weiterhin zu gewährleisten. Die Flugplätze Gatow und Tempelhof dagegen könnten dann geschlossen werden, hält er fest. Das würde viele Berliner vom Fluglärm entlasten, Sicherheitsrisiken ausschließen und Westberlin neue Areale für den Wohnungsbau liefern.

»Die Ost-West-Beziehungen ändern sich, und da sollte die Ausarbeitung von praktischen Lösungen und Vereinbarungen die Klugheit von intelligenten Diplomaten und von Luftfahrt- und Transport-Experten nicht überfordern«, so Anderson, der somit zu Recht als Urvater des Gedankens an den Flughafen Berlin Brandenburg betrachtet werden kann. Auch mit der Mentalität der Westberliner, die nach dem Mauerfall den Weg nach Schönefeld als zu weit ablehnen werden, setzt sich der Aspen-Direktor auseinander: »Ich höre meine Westberliner Freunde schon darüber klagen, dass die Anreise per Bahn aus der City zum neuen Flughafen zu lange dauern würde, dass der Weg zu unbequem wäre und zu sehr abhängig vom Einfluss der DDR und/oder Sowjetunion. Meine Antwort ist: Diese Stadt darf nicht statisch bleiben, sie muss vielmehr ständig modernisiert werden, sie muss die Zukunft mutig bewältigen und also zum Vorteil aller Berliner jene Vorteile nutzen, die sich aus dem veränderten politischen Klima ergeben.«

Interessant ist, dass bei den Reaktionen des rot-grünen Senats auf die Vorschläge Andersons die wirtschaftliche Bedeutung des Luftverkehrs für die Stadt keine Rolle spielt. Der damalige Wirtschaftssenator Horst Wagner (SPD, gestorben 2011) bezeichnet die Idee als »beachtenswert« und »sehr lobenswert« vor dem Hintergrund der Koalitionsvereinbarung, den Flugverkehr in Tegel zurückzuschrauben. Michael Cramer, Abgeordneter der Alternativen Liste und heute für die Grünen im Europäischen Parlament, spricht dagegen von einem »sinnlosen Großprojekt«.

Vier Tage später schießen DDR-Grenzsoldaten am innerstädtischen Grenzübergang Chausseestraße auf einen Flüchtling, Andersons Thesen scheinen ihrer Zeit weit voraus. Doch nur fünf Monate später beginnen in Leipzig die Montagsdemonstrationen für eine politische Neuordnung, die sich rasend schnell auf die gesamte DDR ausdehnen und zu einer friedlichen Revolution werden. Am 9. November führt die von Politbüromitglied Günter Schabowski verkündete Reisefreiheit zuerst zum Ansturm der DDR-Bürger auf die Grenzen und schließlich zum Fall der Mauer. Die schnelle Wiedervereinigung Deutschlands steht zwar noch in den Sternen, doch schon im Dezember vereinbaren Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow (SED) bei einem Treffen in Dresden die Aufnahme von Luftverkehrsverhandlungen, die den freien Zugang zum Westberliner Flughafen Tegel außerhalb der alliierten Luftkorridore für alle Airlines einschließen sollen.

Erneut gibt es weitsichtige Fachleute, die die Zeichen der Zeit für den Berliner Luftverkehr erkennen. Bereits am 19. Januar 1989 bitten sie zu einer Pressekonferenz am DDR-Flughafen Schönefeld: Heinz Ruhnau, der sich als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa vehement dafür einsetzt, dass die Lufthansa wieder nach Berlin fliegt, sowie Klaus Henkes, stellvertretender Verkehrsminister der DDR und Generaldirektor der Fluggesellschaft Interflug, die auch die Flughäfen und die zivile Flugsicherung der DDR betreibt. Auch sie gehen noch von einer Ausweitung des Gesamtberliner Flugverkehrs parallel zu den fortbestehenden Hoheitsrechten der Alliierten aus. Beides ist »durchaus nebeneinander machbar«, verkündet Henkes.

Was die schnelle Entwicklung des Luftverkehrs betrifft, haben die beiden Airline-Chefs unterschiedliche Auffassungen. Während Henkes bis zum Jahr 2005 mit 20 Millionen Berlin-Passagieren rechnet, geht Ruhnau bereits von 30 Millionen Reisenden aus (tatsächlich wurden 2005 dann 17,1 Millionen Fluggäste in Tegel, Schönefeld und Tempelhof gezählt, den Löwenanteil davon hatte mit 11,5 Millionen Tegel zu tragen). Eine neue Luftstraße soll südlich der alliierten Luftkorridore von Hof nach Fürstenwalde führen und von dort über Frankfurt/Oder an die Transsibirienroute nach Fernost anschließen. Gemeinsam, so kündigen Ruhnau und Henkes an, wolle man auch nach einem geeigneten Standort für einen neuen Flughafen suchen, für den sie bereits den Namen »Berlin International« prägen. Im Gegensatz zu David Anderson vertreten sie erstmals die Auffassung, dass dieser voraussichtlich südlich der Stadt liegen müsste, um dichter besiedelte Gebiete nicht mit Fluglärm zu belasten. Der privatwirtschaftlich finanzierte Bau soll 1995 beginnen.

1.DIE LANGE SUCHE NACH DEM
SCHLECHTESTEN STANDORT

Wenige Tage nach dem gemeinsamen Vorstoß von Ruhnau und Henkes wird die Politik aktiv – und damit beginnt der erste Teil des Flughafendramas. Am 23. Januar 1990 beschließt der Berliner Senat zu prüfen, »ob innerhalb der nächsten zehn bis zwölf Jahre« ein neuer Großflughafen außerhalb der Berliner Stadtgrenzen in der DDR gebaut werden soll. Sollte man sich dafür entscheiden, so heißt es, sollen die Flughäfen Tempelhof, Tegel und Schönefeld geschlossen werden. Doch zunächst einmal müssen die vorhandenen Plätze den neuen Andrang bewältigen, der nach dem Mauerfall eingesetzt hat.

Der rot-grüne Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) lehnt einen weiteren Ausbau des Flughafens Tegel kategorisch ab. Doch auf der Aufsichtsratssitzung der (West-)Berliner Flughafen-Gesellschaft (BFG) am 24. Januar kann sich das Land nicht durchsetzen. Mehrheitlich wird beschlossen, den Parkplatz P 2 – wie seit zwei Jahren geplant – mit einer Terminalerweiterung zu überbauen. Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) müsse das Bezirksamt Reinickendorf anweisen, den zuvor abgelehnten Bauantrag zu genehmigen, sagt BFG-Geschäftsführer Robert Grosch und droht andernfalls mit dem Gang zum Verwaltungsgericht. Gut zwei Monate lässt sich Nagel mit seiner Anweisung Zeit, im Juli erteilt dann Reinickendorf endlich die Genehmigung. Durch die fast zweieinhalbjährige Blockade verteuert sich das Projekt um rund fünf Millionen D-Mark.

Indessen beginnt am 12. Juli 1990 eine Arbeitsgruppe, welcher Vertreter der Verkehrsministerien der Bundesrepublik und der DDR, diverser Senatsverwaltungen, des Potsdamer Amtes für Territorialentwicklung, der BFG und der noch als Betreiber von Schönefeld fungierenden Interflug angehören, mit der Suche nach dem Standort für einen möglichen neuen Airport. Im Vorfeld soll aber erst einmal der Flughafen Schönefeld bis Ende 1991 erweitert werden. Geplant wird der Bau eines neuen Terminals, mit dem Ziel, die Kapazität auf sechs Millionen Passagiere zu verdoppeln. 200 bis 250 Millionen D-Mark sind für das Projekt veranschlagt, das dann wieder auf Eis gelegt wird. Stattdessen werden für rund 100 Millionen D-Mark das bestehende Terminal modernisiert sowie die Hauptstart- und Landebahn erneuert. Noch 1990 wird die Betriebsgesellschaft als Flughafen Berlin Schönefeld GmbH (FBS) aus der Interflug ausgegliedert.

Mit dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 und dem zweieinhalb Wochen später in Kraft tretenden Winterflugplan setzt ein neuer Luftverkehrs-Boom ein. Nicht nur die Lufthansa und andere bundesdeutsche Fluggesellschaften zieht es nach Berlin, Airlines aus ganz Europa nehmen Kurs auf die wiedervereinte Stadt. Die Mehrheit landet in Tegel, der Regionalverkehr wird in Tempelhof gebündelt. Am 2. Dezember 1990 finden die ersten Gesamtberliner Wahlen statt, bei denen die CDU wieder stärkste Partei wird. Es kommt zur großen Koalition unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.

Im Februar 1991 wird im sächsischen Schkeuditz ein in nur vier Monaten erstellter vierstufiger Masterplan zum Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle vorgestellt. In der Hauptstadtregion macht drei Monate später zumindest der damalige brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck (seinerzeit Bündnis 90) Druck. Angesichts der »dramatischen Entwicklung« im Luftverkehr sei ein neuer Großflughafen »unausweichlich« und könne bei »straffer Behördenarbeit« im ersten Bauabschnitt bis zum Jahr 2000 realisiert werden, so der Politiker. Am 10. Mai 1991 einigen sich die Länder Berlin und Brandenburg darauf, drei von ursprünglich 53 geprüften Standorten in die engere Wahl zu ziehen: Schönefeld-Süd, die Genshagener Heide bei Großbeeren sowie den noch von der russischen Luftwaffe genutzten Militärflugplatz in Sperenberg. Alle drei seien »zügig realisierbar« und könnten bis zur Olympiade 2000 (um die sich Berlin damals beworben hatte) betriebsbereit sein, erklärt Brandenburgs Verkehrsminister Jochen Wolf (SPD).

Der Deutschen Bundesbahn, der Lufthansa und Daimler Benz geht das alles zu langsam. Sie beklagen drei Wochen später »Kompetenzgerangel« sowie »Bürokratie« und fordern mit Hinweis auf den Schub, den der Luftverkehr für die Anziehungskraft der Region bedeutet, »überfällige Entscheidungen« ein. Der neue Flughafen müsse südlich von Berlin liegen und über drei Start- und Landebahnen verfügen, heißt es. Erstmals wird Kritik an Schönefeld-Süd laut. Begrenzte Flächenreserven, Fluglärmbelastung, die Beeinträchtigung bedeutender Naturschutzgebiete sowie die kritische Hindernissituation ließen den Standort als ungeeignet erscheinen, so Lufthansa Consulting.

Doch aufseiten der Politik werden erst einmal weitere potentielle Flughafengebiete diskutiert. Der in Mecklenburg-Vorpommern beheimatete Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU) bringt den Militärflughafen Parchim ins Gespräch, der mit Berlin durch eine Transrapidstrecke verbunden werden soll. Mit der Idee findet er auch Unterstützung bei Forschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU). Die Stadt Jüterbog bringt sich ebenfalls als möglichen Standort ins Gespräch.

Zunächst wird jedoch, wie gehabt, an einer Erweiterung des alten Flughafens Schönefeld geplant. Dafür hat der FBS-Aufsichtsrat bereits am 25. November 1991 den Kauf von Grundstücken östlich der vorhandenen Gebäude beschlossen. Am 18. Dezember kommen BFG und FBS unter das gemeinsame Dach der neugegründeten Berlin Brandenburg Flughafen Holding (BBF). Die Betreibergesellschaft der Pariser Flughäfen, Aéroport de Paris (AdP), erhält am 3. März 1992 den Auftrag, für fünf Millionen Mark einen Masterplan für Schönefeld anzufertigen und stellt ein Vierteljahr später ein Modell der geplanten Anlage vor. Doch schon im Dezember 1992 werden die Pläne auf Eis gelegt, und es ist nur noch von einem abgespeckten Ausbau die Rede. Im Westen des bestehenden Abfertigungsgebäudes soll jetzt das Terminal-West mit einer Jahreskapazität von 4,5 Millionen Passagieren entstehen. Die FBS-Geschäftsführung hat aber bereits von der Brandenburger Landesentwicklungsgesellschaft für teures Geld die Flächen des sogenannten »Baufeld Ost« kaufen lassen. Rund 500 Millionen D-Mark sind in den märkischen Sand gesetzt worden.

Im Mai 1991 kommt die kuriose Idee auf, wesentliche Teile des neuen Airports unterirdisch zu bauen. Nicht nur Autobahn und Bahntrasse sollen in einem Tunnel enden, auch das Terminal soll unter die Erde verlegt werden. Lediglich die Start- und Landebahnen müssten zwangsläufig oberirdisch angelegt sein und könnten sogar mit der Abwärme der unterirdischen Gebäude beheizt werden, so der Vorschlag. Damit ließen sich sowohl der Flächenbedarf als auch die ökologische Belastung durch den Flughafenbau minimieren. Fachleute geben zu bedenken, dass sich die Baukosten um rund 20 Prozent erhöhen würden.

Im Juni 1991 gibt Umweltminister Platzeck bekannt, dass fast alle betroffenen Minister, Landräte und Bürgermeister den Standort Sperenberg bevorzugen und sich auch 76 Prozent der Sperenberger selbst für den Bau des Großflughafens in der strukturschwachen Region ausgesprochen haben. Man verspricht sich wirtschaftlichen Aufschwung im Gebiet südlich von Zossen, das bisher von Investoren eher gemieden wurde. Als Vorteil gilt auch, dass das riesige Areal nach dem Abzug der russischen Luftwaffe ohnehin in den Bundesbesitz übergeht. Schönefeld-Süd und die Genshagener Heide würden dagegen im direkten Erweiterungsbereich Berlins liegen, heißt es. Und innerhalb des Berliner Autobahnringes boomt die Wirtschaft ohnehin. »Ich könnte auch mit Sperenberg leben«, sagt Platzeck und betont, dass der neue Flughafen bei einem Baubeginn »frühestens 1995« im Jahr 2000 in Betrieb gehen könnte. Berlins Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) habe bereits zugestimmt, dass Schönefeld, Tempelhof und Tegel dann geschlossen würden, so der Minister.

Verkehrsminister Wolf (SPD) geht davon aus, dass der Airport mit einem Shuttle-Verkehr aus dem Zentrum der Hauptstadt binnen 30 Minuten erreicht werden kann. Er kündigt an, dass Raumordnungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung für alle drei Standorte noch vor der Sommerpause des Landtages auf den Weg gebracht und »frühestens 1992« abgeschlossen werden.

Einen Monat später stellt Platzeck nach einer Ortsbesichtigung in Sperenberg den Standort angesichts der wertvollen Naturräume schon wieder in Frage. »Ich halte Sperenberg von der Umweltverträglichkeit her nicht für optimal«, sagt er bei der anschließenden Diskussion mit Einwohnern in der Gaststätte Zum Märkischen Landmann. Doch die Anwesenden wollen den Großflughafen.

Am 21. August stellt ein internationales Expertenteam unter Federführung der Planungsgruppe Lahmeyer in Potsdam ein Gutachten vor. Es empfiehlt, ein Raumordnungsverfahren für die Standorte Jüterbog-Ost und -West, den Truppenübungsplatz Lehnin bei Borkheide sowie ein Gelände bei Michendorf einzuleiten. Sperenberg wird ebenso wie das nördlich von Berlin gelegene Hennigsdorf aus Gründen des Naturschutzes abgelehnt. Hinsichtlich des alternativen Maximalausbaus von Schönefeld werden größte Bedenken im Hinblick auf Lärmschutz, Kapazität und Sicherheit geäußert. Brandenburgs Umwelt-Staatssekretär Paul Engstfeld (CDU) erklärt, dass die Landesregierung ihre Standortentscheidung nach Abschluss des Raumordnungsverfahrens im Sommer 1993 treffen werde und der Probebetrieb des neuen Flughafens im Dezember 1999 beginne.

Der Airport soll nach der aktuellen Planung über vier paarweise angeordnete Start- und Landebahnen mit dem dazwischen liegenden Terminal verfügen. Denn die Lahmeyer-Prognose sieht für das Jahr 2010 rund 35 Millionen Passagiere vor (tatsächlich werden es 22,3 Millionen sein). Aus Sicht von Brandenburgs Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) haben alle vier Standorte die gleichen Chancen. Bis zum September soll die BBF-Geschäftsführung entscheiden, ob sie das Gutachten akzeptiert und für welche Standorte sie ein Raumordnungsverfahren beantragt. »Es sollte bis Mitte 1993 beendet sein, damit dann eine rasche Entscheidung getroffen werden kann«, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD).

Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) betont prompt, dass er Schönefeld-Süd auch weiterhin für eine »prüfenswerte Alternative« halte. Schützenhilfe bekommt er von seinem Parteifreund Günther Krause, der seine Parchim-Initiative mittlerweile aufgegeben hat. Anlässlich der entscheidenden Aufsichtsratssitzung am 4. September fordert der Bundesverkehrsminister vehement den Ausbau von Schönefeld. Nur hier seien die für den Berliner Flugverkehr dringend benötigten Kapazitäten sowohl kurz- als auch langfristig zu realisieren, und es sei auch keine neue Straßen- oder Schienenanbindung nötig. Zu einer Entscheidung kommt es nicht, und Brandenburgs Finanzminister Klaus-Dieter Kühbacher (SPD) wirft der Berliner Seite vor, den Bau des Großflughafens bewusst zu verzögern. Anfang September beschließen Stolpe und Diepgen die Gründung einer interministeriellen Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Wirtschaftsminister Hirche, die alle offenen Fragen klären soll.

Damit ist die Zeitplanung zum ersten Mal hinfällig. Am 20. Januar 1993 muss Hirche einräumen, dass sich der Baubeginn um drei Jahre auf 1998 verschieben werde. Ein Eröffnungstermin kann nach seinen Worten nicht genannt werden, da die Inbetriebnahme auch vom Ausgang eventueller Gerichtsverfahren abhängig ist. Auch die »Atmosphäre zwischen den drei Gesellschaftern der Flughafenholding« spiele eine Rolle, so der Minister. Denn in diesem Punkt ist die Lage nach wie vor gespannt. Berlin setzt auf Schönefeld, Brandenburg auf einen weiter südlich gelegenen Standort. Und während sich beide Länder einig sind, die bestehenden Flughäfen dann zu schließen, befürwortet der Bund inzwischen ein System von mehreren Plätzen. Im Potsdamer Landtag ist die Rede davon, dass der neue Flughafen frühestens 2004 ans Netz gehen könne.

Eine Woche später beschließt der Aufsichtsrat der BBF, nun doch erst einmal den Flughafen Schönefeld auszubauen. 1994 soll mit der Errichtung des dreigeschossigen Terminals West begonnen werden. Es sind eine Ankunfts- und zwei Abflugebenen vorgesehen, sechs Fluggastbrücken und sieben Außenpositionen. Die Kosten werden auf 278 Millionen D-Mark beziffert, dazu kommen weitere 126 Millionen D-Mark für Außenanlagen. Der Neubau soll 1996 in Betrieb gehen und die Kapazität des Airports von 4 auf 8,5 Millionen Reisende pro Jahr erhöhen. Es ist geplant, ihn erst nach Eröffnung des neuen Flughafens einer alternativen Nachnutzung beispielsweise als Messehalle zuzuführen.

Gleichzeitig vergrault die Politik die erste Luftverkehrsgesellschaft, die sich neu in Berlin ansiedeln möchte. Aus dem innerdeutschen Verkehr von British Airways war nach der Vereinigung auf Basis der Friedrichshafener Regionalfluggesellschaft Delta Air die Deutsche BA entstanden, die 1992 den Flugbetrieb aufnahm. Ihre Zentrale will die neue Airline am Flughafen Tegel errichten. Da der Airport aber nach dem Willen des Berliner Senats nicht mehr ausgebaut werden soll, ist eine Unterbringung der Büros nur in Containern möglich. Sogar damit ist der damalige Deutsche-BA-Geschäftsführer Richard Heideker einverstanden. Nur Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) meldet Bedenken an und will prüfen, ob nicht auch das Aufstellen der Container einen Ausbau bedeutet, dem man eine Genehmigung versagen muss. Den folgenden Machtkampf mit dem Regierenden Bürgermeister gewinnt der Sozialdemokrat, indem er auf Anweisung Diepgens zwar die Aufstellung der Bürocontainer erlaubt, diese aber von einem Verzicht der Fluggesellschaft auf eine Ausweitung des Flugverkehrs in Tegel abhängig macht. Im November 1993 teilt die Deutsche BA mit, dass sie sich für den Standort München entschieden habe.

Mit rund einem Dreivierteljahr Verspätung kommt der unter dem Vorsitz von Minister Hirche stehende Aufsichtsrat der BBF am 28. Juni 1993 endlich zur Sache. Sieben Standorte stehen zur Diskussion, Borkheide, Jüterbog-West, Michendorf und Tietzow wurden aussortiert. Für die drei favorisierten Alternativen Jüterbog-Ost, Schönefeld-Süd und Sperenberg soll bis spätestens Februar 1994 das Raumordnungsverfahren (ROV) beantragt werden. Zuvor sind noch vertiefende Untersuchungen geplant, die man im August auf einer Konferenz der Potsdamer Raumordnungsbehörde erörtern will, um eventuell noch einen Standort auszuschließen. Der Zeitplan sieht jetzt vor, das ROV bis zum Oktober 1994 abzuschließen. Dann könnte sich von 1995 bis Herbst 1997 das Planfeststellungsverfahren anschließen.

BBF-Geschäftsführer Manfred Hölzel bezeichnet einen Baubeginn Ende des Jahres 1998 als »ein sehr ehrgeiziges Ziel«, das nur zu erreichen sei, wenn es keine Gerichtsprozesse gebe. Als Voraussetzung für einen attraktiven Airport nennt er die Schließung der Alt-Flughäfen und die Gewährleistung eines 24-Stunden-Betriebs. Sein Geschäftsführungs-Kollege Knut Henne sagt, die erste Baustufe mit zwei Start- und Landebahnen und einer Jahreskapazität von 30 Millionen Passagieren könnte 2004 in Betrieb gehen. In der zweiten Baustufe sind dann zwei weitere Runways sowie eine Verdoppelung der Kapazität vorgesehen. Denn die Lahmeyer-Erwartung von 30 Millionen Fluggästen im Jahr 2010 ist laut Henne eine »sehr vorsichtige Prognose«, da andere Schätzungen von bis zu 48 Millionen Passagieren ausgehen.

Längst wird die Standortsuche für den neuen Flughafen durch einen Nebenkriegsschauplatz aus den Schlagzeilen verdrängt. Hat doch der Kauf des inzwischen nutzlosen Baufeldes Ost die BBF an den Rand des Ruins gebracht. Folglich werden Schuldige gesucht. Wegen des umstrittenen Grundstückserwerbs wird der kaufmännische Geschäftsführer Knut Henne am 20. Dezember 1993 entlassen. Sein für den technischen Bereich zuständiger Kollege Robert Grosch wird zwar offiziell in den verdienten Ruhestand verabschiedet, doch verweigert man ihm einen zuvor zugesicherten anschließenden Beratervertrag. Sowohl das Berliner Abgeordnetenhaus als auch der Brandenburger Landtag setzen Untersuchungsausschüsse ein, die klären sollen, wie es zu dem für die BBF finanziell desaströsen Kaufs des Baufeld Ost kommen konnte.

Während Tegel mit sieben Millionen Passagieren weiter im Aufwind ist und Tempelhof mit 1,1 Millionen Reisenden seinen Rekordwert nach der Reaktivierung verbucht, stagniert die Entwicklung in Schönefeld, wo der Flughafen noch nicht einmal wieder die Zahl aus dem Vereinigungsjahr 1990 (1,9 Millionen) erreicht. So stellt die BBF im März 1994 zwar noch ein Modell des Terminal-West vor, beschließt aber wenige Tage später, den Baubeginn um ein Jahr auf 1995 zu verschieben.

Anfang März gibt die BBF im Potsdamer Umwelt- und Raumordnungsministerium die Unterlagen für das Raumordnungsverfahren ab, welche mehrfach ergänzt werden müssen. Am 16. Mai – in Leipzig/Halle wird der Grundstein für das neue Terminal B gelegt – kann das Verfahren dann endlich beginnen. Vier Monate später meldet der Berliner Rechnungshof in einem Prüfbericht erhebliche Zweifel am Zeitplan für den neuen Flughafen an. Angesichts mangelnder Konzepte und ausstehender Entscheidungen sei eine Fertigstellung im Jahr 2004 »nicht realistisch«. In der Politik diskutiert man stattdessen lieber über Personalien. Ein Nachfolger für Brandenburgs Ex-Wirtschaftsminister Hirche an der Spitze des Aufsichtsrates wird gesucht, weshalb es in der schwarzroten Berliner Senatskoalition zu einem heftigen Streit kommt. Eberhard Diepgen will mit dem ehemaligen Europa-Präsidenten von IBM, Hans-Olaf Henkel, einen Spitzenmanager aus der Wirtschaft zum Chef des Gremiums machen und damit für »kaufmännischen Sachverstand« sorgen, während Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) selbst scharf auf den Posten ist und damit droht, sein Aufsichtsratsmandat niederzulegen. Standortfrage und Entschuldung der BBF müssten von der Politik bewerkstelligt werden, so die Sozialdemokraten. Am 28. September stimmt die Mehrheit für Henkel, Sperenberg-Befürworter Meisner verlässt den Aufsichtsrat.

Die ausstehenden Entscheidungen für den neuen Großflughafen führen erneut zu kuriosen Entwicklungen. Im November 1994 verkünden Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Österreichs Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) nach einem Treffen, dass die Betreibergesellschaft des Flughafens Wien 300 Millionen D-Mark in den Ausbau des ehemaligen Militärflugplatzes Eberswalde-Finow investieren wolle. Zeitgleich tritt die private Airail AG für integrierte Verkehrsanlagen mit ihrem Vorschlag an die Öffentlichkeit, im rund 100 Kilometer westlich der Hauptstadt gelegenen Stendal (Sachsen-Anhalt) einen privat finanzierten Großflughafen Berlin International zu bauen, bei Schließung von Tegel und Schönefeld sowie Erhalt von Tempelhof als City- und Regierungsflughafen.

Am 17. November 1994 legt das Brandenburger Umwelt- und Raumordnungsministerium die 260 Seiten umfassende landesplanerische Stellungnahme als Ergebnis des Raumordnungsverfahrens vor und erteilt Schönefeld eine weitere Absage. 40 000 Stunden haben interne und externe Gutachter an der Bewertung gearbeitet und dabei mehr als 5000 Stellungnahmen und Einsprüche bewertet. Das Resultat ist ernüchternd für die Schönefeld-Fraktion und zeigt bereits zu diesem Zeitpunkt auf, dass der angestrebte 24-Stunden-Betrieb an diesem Standort wohl nicht realisierbar sein wird. Der Standort entspreche »nicht den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung«, heißt es unter Hinweis auf die Tatsache, dass bei einem Dauerbetrieb »unverhältnismäßig viele Einwohner« von Fluglärm und Luftverschmutzung betroffen wären. Die Orte Diepensee, Glasow, Karlshof, Rotberg und Selchow müssten ganz oder teilweise umgesiedelt werden.

Mit 6 der 15 geprüften Kriterien ist Schönefeld überhaupt nicht, mit 5 weiteren nur bedingt vereinbar. Gegen Jüterbog-Ost und Sperenberg gibt es dagegen keine Bedenken, doch geht man in der Stellungnahme davon aus, dass im Jahr 2004 lediglich mit 17 Millionen Fluggästen zu rechnen ist. Deshalb hält man drei Start- und Landebahnen für ausreichend, von denen zwei in der ersten Ausbaustufe realisiert werden sollen.

Aufseiten der Politik bleibt man stur. Übereinstimmend erklären Diepgen, Stolpe und Wilhelm Knittel (CSU), Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dass das Raumordnungsverfahren keine Rechtsverbindlichkeit für das kommende Planfeststellungsverfahren habe, keine Standortfestlegung bedeute und lediglich die letztendliche Entscheidung für den Flughafenstandort einvernehmlich fallen müsse. Aufsichtsratschef Henkel teilt mit, dass man noch einmal die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit aller drei Standorte untersuchen werde. Dass sich der neue Flughafen rechnet, ist von entscheidender Bedeutung. Schließlich soll der Airport, dessen Baukosten mit sechs bis acht Milliarden D-Mark veranschlagt sind, von privaten Investoren errichtet werden.

Am 7. Dezember sorgt der Aufsichtsrat für personelle Verstärkung und beruft Götz Herberg zum Sprecher der nunmehr dreiköpfigen Geschäftsführung der Flughafen-Holding. Wenn nichts mehr schiefgeht, so heißt es optimistisch, könnte mit dem Bau nach einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht 1999 oder 2000 begonnen und so das ehrgeizige Ziel einer Inbetriebnahme im Jahr 2004 eingehalten werden. Nur zwei Monate später treten Diepgen, Stolpe und Bundesverkehrsminister Wissmann auf die Bremse und verkünden, dass der Flughafen erst 2010 in Betrieb gehen solle. Der Bundesrechnungshof warnt davor, dass der Airport »deutlich zu groß« geplant wird und »Risiken für die öffentliche Hand in Milliardenhöhe« birgt.

Und wieder geht es ums Sparen: Minister Wissmann (CDU) befürwortet aus Kostengründen einen sukzessiven Ausbau von Schönefeld. Auch für Eberhard Diepgen hat diese Version ihren Reiz. Man könne die Kapazität in Schönefeld-Nord zunächst auf bis zu 15 Millionen Jahrespassagiere und den Flughafen erst danach in Richtung Süden erweitern, sagt der Regierende Bürgermeister im März 1995 in einem Interview mit der Berliner Zeitung. »Die neue Startbahn braucht man frühestens im Jahr 2030.« Innerhalb der nächsten zehn Jahre gilt es zu entscheiden, ob die anderen Berliner Flughäfen geschlossen werden.

Ministerpräsident Stolpe bietet an, dass das Land Brandenburg bei einer Entscheidung für Sperenberg eine halbe Milliarde D-Mark an Zusatzkosten beim Bau der notwendigen Straßenanbindung für den Bund vorfinanzieren könnte. Insgesamt wird mit Mehrkosten von rund 1,2 Milliarden Mark gerechnet, die letztendlich der Bund bezahlen müsste. Im Mai 1995 feiert man in Leipzig/Halle das Richtfest für Terminal B.