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Geschichte der Freimaurerei

von

Ferdinand Runkel

Doktor der Philosophie und Magister
der freien Künste

Dritter Band

Impressum

© 2013 Mathias Lempertz GmbH

Dritter Band | Inhalt

Erstes Buch: Kelle und Schwert im neuen Jahrhundert

I.

Das Ringen um die Idee

II.

Geheimbünde, die freimaurerische Formen vortäuschen

A.

Die Union der Zweiundzwanzig

B.

Der Bund der Evergeten

C.

Die sieben Verbündeten

III.

Der Tugendbund

Zweites Buch: Freimaurerei und Vaterland

I.

Feldlogen

II.

Feldlogen im achtzehnten Jahrhundert

III.

Feldlogen im neunzehnten Jahrhundert

IV.

Feldlogen im „Weltkrieg“

Drittes Buch: Der Ausbau des inneren Tempels

I.

Die Große National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln

A.

Johann Friedrich Zöllner

B.

Lux christiana

II.

Die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland

A.

Nettelbladt

B.

Der Freundschaftsvertrag mit Schweden

C.

Adolf Widmann und die Ordenslehre

D.

Die Wahrheit der Ordenslegende

III.

Die Große Loge von Preußen genannt zur Freundschaft

A.

Die Lehre

B.

Der Fall Settegast

C.

Vaterlandsdienst ist Menschheitsdienst

IV.

Der Großmeisterverein

V.

Königliche Freimaurer

Viertes Buch: Dauer im Wechsel

I.

Die Große Landesloge von Sachsen

II.

Freimaurerloge „Zur Eintracht“ in Darmstadt

III.

Der Deutsche Großlogenbund

IV.

Großloge Deutsche Bruderkette

V.

Wandlung und Handlung

Vorwort

Mit diesem dritten Band ist die Geschichte der Freimaurerei in Deutschland vorläufig abgeschlossen, und ich habe vor allem der Brüderschaft und ihren Führern für das Vertrauen zu danken, das sie mir in jeder Phase der fortschreitenden Arbeit bewiesen haben. Ich habe ferner zu danken für die einhellige Anerkennung dessen, was ich in den beiden ersten Bänden zur Darstellung gebracht habe. Aber nicht nur von seiten der freimaurerischen Gelehrten, sondern auch von der allgemeinen Wissenschaft habe ich uneingeschränkte Zustimmung erfahren.

Alle Geschichtschreibung hat eine Tendenz und muß eine haben, sonst ist sie nichts anderes als eine Tabelle von Ereignissen. Die Tendenz dieses Werkes ist, Aufklärung zu verbreiten über eine Kultur-Erscheinung, die in den weitesten Volks-Kreisen absichtlich und unabsichtlich mißverstanden wird. Vor der unbestechlichen Wahrhaftigkeit der Urkunden, die ich aus den Geheim-Archiven der Großlogen veröffentlichen durfte, kann die gefährliche, volksverhetzende Agitation keinen Glauben mehr finden. Die strenge Zuverlässigkeit meiner Quellen kann von jedem gelehrten Forscher nachgeprüft werden, wenn ich es auch mit Fleiß vermieden habe, die Signaturen der angezogenen Archivalien anzugeben, und nur die wichtigsten Urkunden diplomatisch treu reproduzierte.

Der dritte Band dieses Werkes führt in die bewegteste Zeit des neunzehnten Jahrhunderts. Das Aufkommen des vierten Standes, die Neugestaltung der Staatsidee in den Verfassungskämpfen des Nachmärz, die Einigung der deutschen Stämme im Deutschen Reich haben der Freimaurerei neue Wege zum alten Ideal gewiesen.

In jenen leidenschaftlich durchfluteten Jahren haben deutsche Menschen einander nicht verstanden und sich bis aufs Blut bekämpft, ja selbst in die stillen Tempel der Freimaurerei drang der Geist der politischen Zwietracht ein. Seitdem sind sich die beiden Richtungen, die christliche ältere und die humanitäre jüngere, immer fremder geworden. Es lief die humanitäre Minderheit Sturm gegen die christliche Mehrheit, bittere Worte fielen ganz im Stile der politischen Parteiung.

Freimaurerischer Geist aber verlangt Duldung einer jeden geschichtlich gewordenen Richtung, Gewissensfreiheit auf der einen wie auf der anderen Seite.

Keine Lehrart hat das Recht, die andere zu disqualifizieren; jede strebe ehrlich auf dem für richtig erkannten Weg ihrem Ideal zu. Das Innenleben einer jeden Großloge ist ihre allereigenste Angelegenheit, in die niemand etwas hineinzureden hat, um so mehr nicht, als die Vielgestaltigkeit ihre originäre Begründung in der Vielgestaltigkeit des Menschengeistes findet und mit diesem ihr Werden und Vergehen haben muß.

Nur dieser Geist der Duldung sichert der Freimaurerei eine Dauer im Wechsel der Menschheitsgeschichte.

Alle freimaurerischen Lehrarten äußern sich in einer symbolischen Sprache, die ihre sichtbaren Zeichen und Hieroglyphen aus den verschiedensten Zeiten und Ideenkreisen nimmt. Über diese freimaurerischen Symbole gibt es ungezählte Einzelschriften, aber keine zusammenfassende Arbeit. Diese Lücke auszufüllen wäre ein wünschenswertes Ziel der freimaurerischen Wissenschaft. Freilich müßte die freimaurerische Symbolik in Beziehungen gesetzt werden zur symbolischen Theologie, zur Symbolik der Sprache, zur Symbolik der Künste und zur Symbolik des praktischen Lebens. Denn nur so können die tiefen Zusammenhänge mit dem Menschen und seiner logischen Einstellung zum Weltganzen klargelegt werden.

Wenn der große Baumeister der Welt mir die Schaffenskraft erhält, möchte ich wohl ein solches Werk in Angriff nehmen, das sich als vierter Band diesem Werke organisch anschließen könnte.

Die letzte Entscheidung darüber liegt bei dem Verlage dieses Werkes, dem ich an dieser Stelle meinen alleraufrichtigsten Dank abzustatten mich verpflichtet fühle. Er hat keine Mühe und kein Opfer gescheut, auf jede meiner Ideen einzugehen und das Werk in einer Weise auszustatten, die über jedes Lob erhaben ist. Ein tiefes Verständnis für die hohe Aufgabe des deutschen Schrifttums erzeugte ein harmonisches Zusammenarbeiten, das in keiner Entwicklungsspanne der großen und oft schwierigen Arbeit auch nur die geringste Trübung erlitt.

Lichterfelde am Andreasfest 1932.

Ferdinand Runkel.

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Erstes Buch

Kelle und Schwert im neuen Jahrhundert

I. Das Ringen um die Idee

Die Freimaurerei wird ein Kind ihrer Zeit sein, oder sie wird nicht sein, denn wenn sie nicht die Ideen ihrer Zeit zu ihren eigenen machen kann, dann gerät sie in einen Zustand der Überalterung, überlebt sich und geht unter. Daß ein künstliches Beleben durch Ritualänderungen nie zum Ziele führt, haben die beiden letzten Jahrhunderte deutlich bewiesen. Entweder enthält das Ritual Botschaften aus der Ewigkeit, dann sind diese ewig, oder es ist Menschenwerk, spekulative Konstruktion, dann vergeht es, wie die unzähligen Gesellschaften, Bünde, Orden und Bruderschaften vergangen sind. Diese waren Zeitgebilde, Gegenwartsgedanken und trugen nicht den glühenden Prägestempel der Ewigkeit, der Offenbarung Gottes in der Natur, also auch in der Krone der Natur, im Menschen selbst.

Gott aber war vor der Ewigkeit und wird nach der Ewigkeit sein. Gott ist eigenschaftslos; er ist, der er ist, das erkannten schon die Frommen des alten Bundes. Aber auch dieses zieht ihn schon zu sehr in die Vermenschlichung herab.

So ist es auch ein Trugschluß der Endlichkeit, daß Gott seiend sein müsse, weil wir sein Wirken, seine Offenbarung empfinden. Sein ist eine endliche Eigenschaft, denn es kann sich zum Nichtsein wandeln, es kann aufhören. Sein hat einen Anfang, also auch ein Ende, wenigstens alles Sein, was im Bereich unseres Denkens und Erlebens liegt.

Gott hat aber keinen Anfang, denn sonst müßte er auch ein Ende haben. Dies ist ein unausdenkbarer Gedanke, weil uns, seit Menschen existieren, das Gottesbewußtsein unvergänglich eingepflanzt ist. Gott ist das Geheimnis des Weltganzen, nur sich selbst vergleichbar in seinen Erscheinungsformen als Vater, Sohn und heiliger Geist. Mehr von ihm zu sagen, wäre endlicher Dogmatismus.

Gott ist, und das Gottesbewußtsein ist. Weiteres von Gott zu denken oder gar wissen zu wollen, wäre eine lästernde Vermessenheit. Beugen wir uns andachtsvoll vor dem tiefen Geheimnis und seien wir dessen gewiß, daß nur in dem Beugen vor Gott die menschliche Glückseligkeit und Weltüberlegenheit gefunden werden können.

Suchen wir nicht das Geheimnis der Gottesgeburt in Jesus zu ergründen, nicht, erforschen zu wollen, wodurch er zum Christus wurde, sondern nehmen wir die Erlebensform des Gottesbewußtseins als des Sohnes in andachtsvollem Glauben auf, dann wird uns Christus eine Tatsache, und die Erlösung des Unendlichen in uns vom Endlichen zum Ziel. Dann wird die Ewigkeit des Gottesbewußtseins zur Ewigkeit des Christusbewußtseins, und wir erheben uns über die Welt des Endlichen in die Welt der Offenbarung des Unendlichen.

In der Welt des Endlichen und in der Welt des Unendlichen herrscht das Gesetz, die Weltordnung, eine höhere im Unendlichen, eine niedere im Endlichen. Das Agens dieser Weltordnung ist Gott, der Allgeist, wie Fichte es zutreffend ausdrückt, die absolute Intelligenz, die schaffende Majestät, die in einer geheimnisvollen, unergründlichen Innenspiegelung bewußt und zielgedanklich alle Wesenheiten des Kosmos werden läßt und lenkt, die sich offenbart in der Natur und in unserm innersten Leben, bald als Kraft, bald als Vernunft, bald als Empfindung, immer unerklärlich, aber nie verlöschend, selbst nicht im Tode. Wir nennen dies mit den unvollkommenen Mitteln unserer Sprache die Unsterblichkeit der Seele, an die ein echter Freimaurer unverbrüchlich glaubt.

Darum ist alles in dieser Welt des Endlichen und des Unendlichen der Ausfluß göttlichen Schaffens. Jedes Geschehen ist gottgewollte Erscheinung, und das ist eine Offenbarungserkenntnis, die so alt ist wie das Christentum. Kein Sperling fällt auf die Erde ohne den Willen Gottes, die Haare auf unsern Häuptern sind alle gezählt (Matth. 10, 30).

Jede Erscheinung ist ewig als Erscheinung an sich und in ihrer Wandlung. Die politische Erscheinung nennen wir den Staat, die geistige Erscheinung nennen wir Kultur, die gesellschaftliche Erscheinung nennen wir Wirtschaft und die übersinnliche Erscheinung nennen wir Religion.

Diese vier Erscheinungen machen die Gesamtheit des menschlichen Lebens aus, wenn sie sich logisch in das Weltganze einfügen. Und in der Freimaurerei spiegeln sich diese als Terminologie des Rituals und als Graphik des Teppichs wider, der, wie die Loge selbst, das Weltganze bedeutet. Aber weder Ritual noch Teppich sind starre Gebilde, sondern in dem Rhythmus von Wort und Bild bewegliche Kleinodien, die sich der Wandlung der vier Erscheinungen anpassen. Jedoch nicht immer geht dies Anpassen ohne Erschütterungen vor sich. Besonders dann nicht, wenn die Wandlung der Erscheinungen eruptiv und revolutionär weite Gebiete geistigen Erkennens überspringt, so daß die schwerfällige Erlebensmaschine des Alltags nicht mit dem Sprunge Schritt halten kann.

Nun ist der Übergang vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert für uns, die wir die große Synthese der geschichtlichen Ereignisse sehen, nicht sprunghaft, nicht eruptiv, sondern der wesentliche Inhalt dieses Übergangs, die Befreiung des Geistes, hatte sich schon in der fridericianischen Zeit, in dem Kopf des großen Königs selbst vorbereitet. Der politische Fortschritt vom Untertanen zum Staatsbürger, der in Frankreich revolutionär getan wurde, erfolgte in Deutschland, und zwar von Preußen ausgehend, im Gleis der Gesetzgebung.

Der Große von Sanssouci, der wahrhaft königliche Geist, hatte schon als Kronprinz 1739, ein Jahr, nachdem er Freimaurer geworden war, in seinem Anti-Macchiavell geschrieben, keine Empfindung sei so unzertrennlich vom menschlichen Wesen, wie die Freiheit von dem gebildeten Menschen bis zum Wilden, „alle sind gleichmäßig davon durchdrungen, denn wie wir ohne Ketten geboren sind, so wollen wir auch ohne Zwang leben. Der Geist der Unabhängigkeit und des edlen Stolzes, der so große Männer in dem Volke erweckt und Republiken hervorgerufen hat, die unter den Menschen eine Art von Gleichheit errichten und sie dem Naturzustand näherbringen. Der republikanische Geist, der auf seine Freiheit über alle Maßen eifersüchtig ist, schöpft Verdacht gegen alles, was ihn beschränken könnte, und empört sich über den bloßen Gedanken eines Herrn. Man kennt in Europa wohl Völker, die das Joch ihrer Tyrannen abgeworfen haben, um der Unabhängigkeit teilhaftig zu werden, aber man kennt keine, die sich als Freie einer freiwilligen Sklaverei unterworfen hätten. Niemals wird man wahrhaft freie Republikaner überreden können, sich einen Herrn zu wählen, und wenn es auch der beste wäre, sie werden uns immer entgegenhalten, es sei besser, von den Gesetzen, als von der Laune eines einzigen Menschen abzuhängen“.

Und der große König hat diese Grundsätze nie verleugnet. Das öffentliche Wohl blieb ihm immer das höchste, denn der Fürst, „weit entfernt, der absolute Herr der von ihm regierten Völker zu sein, ist er nichts anderes als ihr erster Diener (premier domestique)… Ein Fürst, der die Gabe hat, sich beliebt zu machen, wird über die Herzen gebieten, weil es seine Untertanen als ihren eigenen Wunsch empfinden, ihn als ihren Herrn zu haben, und in der Geschichte fehlt es nicht an edlen Taten, die durch Liebe und Treue veranlaßt wurden“. Nicht der Wille des Monarchen, sondern das Gesetz war ihm die Grundlage des Staates. Friedrich schrieb 1779 gelegentlich des Prozesses mit dem Müller Arnold an das Kammergericht: „Sie müssen wissen, daß der geringste Bauer, ja, was noch mehr ist, der Bettler ebensowohl ein Mensch ist, wie Seine Majestät sind, und dem alle Justiz gewährt werden muß, indem vor der Justiz alle Leute gleich sind, es mag sein ein Fürst, der gegen einen Bauern klagt, oder umgekehrt, so ist der Fürst vor der Justiz dem Bauer gleich, und bei solchen Gelegenheiten muß nach der Justiz verfahren werden ohne Ansehen der Person.“

Unablässig beschäftigte sich der König mit der Gesetzgebung, aber erst 1781 erschien der erste Teil seines Corpus juris fridericiani im Entwurf.

Sein Nachfolger förderte dann das Werk so kräftig, daß durch königliches Patent vom 20. März 1791 das allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten veröffentlicht werden konnte. Es sollte mit dem 1. Juni 1792 Gesetzeskraft erhalten. Darin heißt es: „Die allgemeinen Rechte der Menschen gründen sich auf die natürliche Freiheit, sein eigenes Wohl ohne Kränkung der Rechte des andern suchen und befördern zu können.... Das Wohl des Staates überhaupt und seiner Einwohner insbesondere ist der Zweck der bürgerlichen Vereinigung und das allgemeine Ziel der Gesetze. …Das Oberhaupt des Staates, dem die Pflichten der Beförderung des allgemeinen Wohles obliegen, ist, die äußeren Handlungen aller Einwohner diesem Zweck gemäß zu leiten und zu bestimmen berechtigt. …Die Gesetze und Verordnungen des Staates dürfen die natürlichen Rechte nicht weiter beschränken, als der gemeinschaftliche Endzweck erfordert. Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Oberhaupt des Staates und seinen Untertanen sollen bei den ordentlichen Gerichten nach den Vorschriften der Gesetze erörtert und entschieden werden. …Machtsprüche oder solche Verfügungen der oberen Gewalt, welche in streitigen Fällen ohne rechtliche Erkenntnis erteilt worden sind, bewirken weder Rechte noch Verbindlichkeiten.“

Mehr hatte die französische Revolution mit der Erklärung der Menschenrechte auch nicht verlangt, als dieses preußische Gesetzbuch. Aber die Zeit war doch noch nicht gekommen, es allgemein einzuführen. Unerwartet erschien am 18. April 1792, also sechs Wochen vor dem Zeitpunkt der Einführung, eine königliche Verfügung, die sie auf unbestimmte Zeit vertagte. Der König war unter dem rosenkreuzerischen Einfluß Wöllners und Bischoffwerders bedenklich geworden. Besonders störte ihn der Ausdruck Machtspruch, er sollte entfernt werden, desgleichen alle Sätze, die das Staatsrecht und die Regierungsform betrafen. Immerhin blieben noch die Elemente bestehen, auf denen der neue preußische Rechtsstaat aufgebaut werden sollte, der im Donner der Geschütze des Befreiungskrieges aus Steins und Hardenbergs Herz und Hirn hervorging.

Die Erklärung der Menschenrechte wirkte sich in Deutschland nicht revolutionär aus, wenigstens nicht nach der politischen Seite. Davon schreckten die Ereignisse in Frankreich ab, jedoch der geistigen Revolutionäre gab es viele. Selbst Kant sprach sich in seiner 1795 herausgekommenen Schrift „Zum ewigen Frieden“ in diesem Sinne aus: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll eine republikanische sein; sie ist die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf den alle rechtliche Gesetzgebung eines Volkes gerichtet sein muß. Außer dieser Lauterkeit des Ursprungs gewährt sie auch die Aussicht in die gewünschte Folge, den ewigen Frieden, weil die Bestimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, den Krieg zu beschließen, und nichts natürlicher ist, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten, sie sich sehr bedenken würden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“

Das war reiner Pazifismus, der in eine Periode, wie sie kriegerischer nicht gedacht werden konnte, in keiner Weise paßte. Die Geschichte ging daher auch, ohne den Königsberger Denker zu beachten, unaufhaltsam ihren Gang.

Die Befreiung der Geister hatte in Frankreich mit dem Abklingen der Revolution ein Nationalgefühl, eine Vaterlandsliebe erzeugt, die zu den größten Taten begeisterte. Sie hatte ihre letzte Ausdrucksform in dem leidenschaftlichen Kriegsfanatiker Bonaparte gefunden. Nachdem er sich aber zum Tyrannen entwickelt hatte, die ganze europäische Welt mit seinen Heeren drückte und die deutschen Fürsten in knechtische Abhängigkeit zwang, erhob sich die Befreiung der Geister im Schoße Preußens, und zwar wesentlich unter Führung von Freimaurern, zu beispiellosen Opfern der Liebe zu König und Vaterland.

Der König und die Königin gaben in der Reinheit ihres Lebens, Wollens und Handelns ein Beispiel vaterländischer Tugend, das seinen stürmischen Widerhall in ganz Preußen fand. Des Königs vaterländische Treue, die Liebe der Königin zum Volke, ihre unerschütterliche Frömmigkeit begeisterten das gesamte Preußenvolk zu den heldenhaftesten Opfern.

Die Königin Luise hat in ihrem Leben und Sterben das Idealbild der deutschen Frau, der preußischen Patriotin, unverlöschlich geschaffen. Überwunden waren die französische Hofetikette, der Modenzauber, die Abgeschlossenheit. Das königliche Paar lebte mitten unter seinem Volke. Der König führte „seine Frau“ und trug den Regenschirm, nahm wohl auch eins der Kleinen auf den Arm. Oft ließ sich die Königin im Garten ihrer Milchfrau für sich und die Kinder ein Glas frisch von der Kuh bringen. Das war der neue Geist in seiner Befreiung, der die Schranken zwischen König und Volk eingerissen hatte. Man muß die rührenden Briefe der Königin an ihren Vater lesen, um die unendliche Liebe jedes Preußen für diese hohe und reine Seele begreifen zu können.

Wer war dieser Vater, an dem die Königin mit so rührender kindlicher Liebe und herzinnigem Vertrauen hing? Die Geschichte sagt nüchtern und sachlich: Es war der Herzog Karl Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-Strelitz. Die Geschichte der Freimaurerei sagt mehr: Er war einer der begeistertsten, unentwegtesten und treuesten Führer der königlichen Kunst in Deutschland, dessen wir im ersten Bande dieses Werkes nur flüchtig und im Bilde gedacht haben. Nun aber müssen wir diesen Fürsten in seiner schlichten Männlichkeit, in seinem großdeutschen Idealismus, in seiner von hoher politischer Moral getragenen Tapferkeit näher kennenlernen, um die Quellen und Elemente aufzuzeigen, aus denen sich teils durch hereditäre Anlage, teils durch Erziehung Luise zu dem erhabenen Charakterbilde einer wahrhaft königlichen Frau entwickelte. Es sei den Gegnern der Freimaurerei, besonders denen aus dem Lager der deutschen Patrioten unserer Zeit, mit dem ganzen wissenschaftlichen Ernst gesagt, alles, was wir an der Königin Luise von Preußen, ja, schon an der „gnädigen Frau von Paretz“ mit liebevoller Verehrung in unserem Herzen tragen, ist echt freimaurerisches Geistes- und Charaktergut. Königin Luise war das Urbild einer „Schwester“, der jeder Freimaurer nach dem althergebrachten Gebrauchtum weiße Handschuhe an geweihter Stätte überreichen würde mit dem inneren Gebot und Bewußtsein, daß sie nie von unreinen Händen getragen werden.

Da sie schon früh ihre Mutter verloren hatte, wurde sie von ihrer Großmutter, der Landgräfin Marie Luise Albertine von Hessen-Darmstadt, erzogen. Am Hofe von Darmstadt herrschte ein wahrhaft freimaurerischer Geist, und Luisens Vater gehörte mit dem Erbprinzen Ludwig, den Prinzen Ludwig George Karl und Georg von Hessen-Darmstadt zu den sieben Verbündeten, oder dem Bund der Sieben, die eine mystische Freimaurerei betrieben, aber von ernster christlicher Gesinnung waren. Auszunehmen ist vielleicht Ludwig George Karl, der ein sehr abenteuerliches Leben geführt und sich ein eigenes, etwas heidnisch gefärbtes Christentum zurechtgemacht hatte.

Welche vaterländische Kraft in der freimaurerischen Idee liegt, zeigte Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz. Er war der einzige deutsche Fürst, der sich begeistert von Anfang an der Sache Preußens im Befreiungskampf gegen Bonaparte anschloß, während alle anderen deutschen Fürsten in schmachvoller Mantelträgerei sich dem französischen Eroberer beugten und ihre Volkskraft in seine Heere zur Unterdrückung des Deutschtums sandten.

Alle Schriften aus der Zeit sprechen von Herzog Karl als dem gerechten und edlen Fürsten, der den Beitritt zu Napoleons Rheinbund solange als möglich hinausgeschoben hatte und auch dann nicht, wie andere Fürsten, die von dem Franzosenkaiser dargebotene Souveränität annahm. Es gibt keine Urkunde oder Verordnung, die Karl als „souveräner Herzog von Mecklenburg“ unterfertigt hätte, er hat nie in die Verfassung seines Landes eingegriffen. Dadurch erhielt er das Vertrauen, das zwischen ihm und den Ständen und dem Volk von jeher bestanden hatte. Er litt unter der französischen Bedrückung mit seinem Lande, das vom November 1806 bis zum Jahre 1813 zwei Millionen Reichstaler für die französische Herrschaft hatte aufbringen müssen, die Plünderungen und unregelmäßigen Requirierungen nicht eingerechnet.

Am 17. März 1813 war Friedrich Wilhelms „Aufruf an mein Volk“ erschienen, am 30. März erfolgte die Erklärung des Herzogs, von der ein Zeitgenosse sagt, sie habe ausgesprochen, „was wir an Ihm verehren, Demut vor Gott, Vertrauen auf den Schützer allen Rechts, Fürstenwürde, deutschen Sinn und deutsche Redlichkeit“.

Dieser Aufruf verdient aus dem Staub der Akten der Vergessenheit entrissen zu werden, um zu zeigen, wie der große und begeisterte Freimaurer seinen Dienst an Volk und Vaterland erfaßte:

„Der Kaiser von Rußland und der König von Preußen haben sich zum Kampfe gegen den Kaiser der Franzosen vereinigt, zu einem Kampfe für die Unabhängigkeit Europas, insbesondere für Deutschlands Ehre und Freiheit. Mit freudiger Zuversicht und nach den besten Kräften meines Landes schließe ich mich ihnen an, allerdings nicht ohne die Mittel gewürdigt zu haben, welche den erhabenen Befreiern zur Erreichung ihres großen Zweckes zu Gebote stehen, aber vor allem doch im Vertrauen auf Gott, dem es wohlgefällt, wenn man das erwählet und tut, was Recht ist. Während der mächtigste Fürst Europas sich meinen Beschützer nannte, habe ich nur darauf sinnen – nur dafür sorgen können, wie die Leiden und Lasten meines Landes zu erleichtern, wie sie erträglich zu machen seien. Von dem vorgeblichen Beschützer selbst gingen diese Lasten und Leiden aus! Französische Truppen überschwemmten mein Land und zehrten von dessen Mark, während ich ein verhältnismäßig bedeutendes Militär für fremde Zwecke aufstellen und erhalten mußte! Der Seehandel – für Mecklenburgs Wohlstand unentbehrlich – wurde gesperrt! Französische Douanen besetzten das Land, erhoben Steuern für den Kaiser – verbrannten Waren nach Willkür, und wir mußten sie nähren! Es wurden für französische Armeen Stückknechte gefordert von den Deutschen, und wie die mächtigsten Fürsten des Rheinbundes sich zu dieser Stellung herabließen, blieb auch mir keine Wahl. Spione drängten sich ein, und die Namen der redlichsten Männer füllen ihre Listen, weil sie ein kräftig freies Wort gesprochen, wohl auch, weil sie den Spähern mißfällig gewesen! Französisches Militär holte mecklenburgische Männer aus unserer Mitte, um sie nach Willkür zu richten. Dies ist das treue Bild unseres Zustandes seit den letzten sechs Jahren! Unser Eigentum, unsere öffentliche und persönliche Freiheit, stand in den Händen der Fremden, und unser Blut mußten wir lassen für sie!

Mecklenburger, deutsche Männer! die Stunde der Befreiung ist gekommen, und es ist hoch an der Zeit! Laßt auch uns zeigen, daß wir wert sind besserer Tage, indem auch wir freudig und lebendig ans Werk gehen! Dann wird es allen gelingen, wenn jeder das Seine tut. In solcher Zeit sondern sich die herrlichen, kräftigen Naturen von denen ab, die in Selbstsucht und Schwäche verkümmert sind, in solcher Zeit erwirbt man sich Achtung oder verscherzt sie! Wir wollen uns Achtung erwerben bei den Deutschen, indem ein jeder von uns mit Hingebung tut, was an ihm ist! Mit Gott werde ich mich der Ehre wert zeigen, ein deutscher Fürst zu sein, und ihr, getreue Mecklenburger, werdet allen deutschen Brüdern ein Beispiel geben, auf daß man auch uns nenne in der Geschichte und unsere Kinder achtungswerter Väter sich rühmen!

Neustrelitz, den 30sten März 1813.

(L. S.)

Carl,

 

Herzog zu Mecklenburg.“

Wenige Tage darauf rief der Herzog die streitbare Mannschaft zu den Waffen: „In dem Augenblick, da auch uns es vergönnt ist, für die Sache des deutschen Vaterlandes nach unsern besten Kräften mitzuwirken, berufen wir, mit freudiger Zuversicht auf den deutschen Sinn, in unserm Lande die jungen Männer desselben zum Kampfe.

Nach dem Wunsche unserer mächtigen Alliierten werden wir ein Husarenregiment errichten, und wollen damit ein reitendes Jägerkorps in eben der Art verbinden, wie solches bei der Königlich Preußischen Armee der Fall ist.“

Und nun drängte sich die mecklenburgische Mannschaft zum Kriegsdienst. Was nicht im Kontingent des Landes Platz fand, ging zum Lützowschen und Reichschen Freikorps.

Die Kosten wurden durch freiwillige Spenden aufgebracht. Darüber berichtet Hofrat Friedrich Müller (aktenmäßige Darstellung der Teilnahme des Herzogtums Mecklenburg-Strelitz an dem Kriege gegen Frankreich, Neustrelitz 1814) das folgende:

„Der verehrte Landesherr selbst gab das ganze fürstliche Silberservice, 868 Pfund 11⅞ Lot schwer, zum Dienst der heiligen Sache des Vaterlandes, die großgesinnte Tochter eines solchen Vaters, Prinzessin von Solms, Königliche Hoheit, entkleidete sich ihres kostbaren Schmucks und weihte ihn demselben großen Zwecke. Hierdurch wurde gezeigt, was entbehrt werden kann; freudig brachte nun die Mehrzahl der Einwohner, wenn nicht alles, so doch das mehrste Silbergerät; die Zünfte und Schützengilden opferten ihre Becher und Schilde, so daß überhaupt dem Gewicht nach 1542 Pfund 24 Lot Silber dem Vaterlande dargebracht worden sind. Auch an barem Gelde und an sonstigen geldeswerten Sachen, Pretiosen usw. war der Zuschuß sehr bedeutend. Einzelne, eben nicht reiche Privatpersonen gaben 1000 Reichstaler; die größte Mehrzahl nach Kräften, so daß der Gesamtbetrag aller freiwilligen Gaben sich auf hundertfünfundzwanzigtausend und einige hundert Reichstaler beläuft, womit der zur Ausrüstung nicht allem des Husarenregiments, sondern auch mehrerer Ergänzungen desselben erforderliche Kostenaufwand bestritten worden ist.“

Mit den mecklenburgischen Truppen ging der jüngste Sohn des Herzogs, Prinz Karl, der Halbbruder der Königin Luise, ins Feld. Er führte die zweite Brigade im Korps Yorcks, der auch seine Landsleute unterstellt waren.

Wir haben diese Tatsache in ihrem ganzen Umfange schildern zu müssen geglaubt, um zu beweisen, daß die hohen Tugenden, die wir an der Königin Luise verehren, ein Ergebnis freimaurerischen Geistes waren, der, wie wir in der Folge noch klarer erkennen werden, nicht nur die Erhebung Preußens zum Befreiungskampf, sondern auch die Neuordnung des preußischen Staates maßgebend beeinflußt hat.

Und der König Friedrich Wilhelm III.? Es ist fast zur Tradition geworden, ihn ungünstig zu beurteilen, ihn schwankend, schwach, kleinlich und ängstlich zu nennen. Man warf ihm vor, daß er sich zu jeder Entscheidung im Sinne der Befreiung von Bonapartes Despotie habe zwingen lassen. Richtig, aber gewiß nicht, weil er ängstlich war, sondern weil er politisch weiter sah, als die geistigen Sturmgesellen seines Volkes. Eine Eigenschaft, die von den Römern dem großen Gegner Hannibals, dem Quintus Fabius Maximus, als höchste militärische Tugend ausgelegt wurde, so daß ihm der Beiname der Zauderer (Cunctator) gegeben wurde, diese Eigenschaft verdachte man dem König Friedrich Wilhelm III. Auch im Zweiten Punischen Krieg revoltierte das Volk gegen des Fabius zögernde Kriegführung und gab ihm einen temperamentvollen General bei, der Hannibal angriff, geschlagen wurde und fast vernichtet worden wäre, wenn der großherzige Zauderer ihm nicht zu Hilfe gekommen wäre. Die Folge dieser völkischen Maßnahmen waren Niederlagen auf Niederlagen und endlich Cannae. Friedrich Wilhelm kannte die große Gefahr in dem ungebrochenen Kriegswillen Napoleons auch nach der Niederlage von 1812, er war sich der Unzuverlässigkeit seines russischen Bundesgenossen aus der bitteren Notzeit des Tilsiter Friedens wohl bewußt und wagte daher nicht, dem Kaiser Alexander unbedingt zu vertrauen. Es mag den persönlich tapferen Mann schwere innere Kämpfe gekostet haben, das preußische Schwert in der Scheide zu halten. Er sprach sich nie darüber aus, denn er war eine verschlossene Natur und noch verschlossener geworden nach dem Tode der Königin Luise. Es ist ganz unhistorisch, zu behaupten, Napoleon wäre schon 1804 vernichtet worden, wenn der König vor Austerlitz mobil gemacht hatte. Der große Meister der inneren Operationslinie, der souveräne Beherrscher aller Kriegsmittel Frankreichs und halb Europas wäre damals auch mit Preußen fertiggeworden, um so mehr, als die Einheitlichkeit der Kriegführung bei den Verbündeten fehlte, ein Mißstand, der sich durch die ganze Zeit der Befreiungskriege zog.

Der König kannte seinen Gegner Napoleon, sein überlegenes Feldherrntalent und seine rücksichtslose Verbrechernatur, die keine Verträge und kein gegebenes Wort hielt. Am Ende ist schließlich der Erfolg maßgebend, und die Politik Friedrich Wilhelms zeitigte Leipzig, Waterloo und St. Helena, die Befreiung Deutschlands und seinen Aufstieg zur Weltmacht. Friedrich Wilhelms Zaudern war politisch richtig, und die großen Staatsmänner Hardenberg und Metternich haben dies nicht nur anerkannt, sondern dieselbe Politik durchgeführt. Nur nennt man es bei ihnen hohe Staatskunst und bei dem König Schwäche, Schwanken, Unsicherheit. Ungerechte Urteile werden darum nicht gerechter, weil sie länger als ein Jahrhundert behauptet werden.

Man muß sich etwas in die Seele Friedrich Wilhelms hineindenken. Die neuen Staatsmaximen, die seine großen Mitarbeiter Stein, Hardenberg, Schön in Preußen durchführten, waren ihm, dem Monarchen der absolutistischen Zeit, weltanschaulich so wesensfremd wie Feuer dem Wasser, aber er hat nie den Fortschritt sachlich gehindert. Er hat den Bauernsohn Scharnhorst zum General befördert und geadelt, er ließ sich von Yorck, der ihm persönlich höchst unsympathisch war, hanebüchene Grobheiten sagen und erhob ihn trotzdem in den Grafenstand und ernannte ihn zum Feldmarschall. Seine bescheidene, bürgerliche Natur stellte stets die eigene Leistung zurück, und so kam es, daß sein wesentlicher Anteil an der Befreiung Deutschlands übersehen wurde. Welch ein Unterschied zwischen ihm und den deutschen Fürsten, die Napoleon anhimmelten und sich von ihm Land, Fürsten- und Königskronen schenken ließen. Friedrich Wilhelm lehnte alles ab, er hätte ja auch nach dem Vorschlage Napoleons Kaiser werden können, aber er blieb, was er war, der König von Preußen, der erste Diener seines Volkes.

Wie eng er sich mit dem Volke verbunden fühlte, zeigte die Tauffestlichkeit der am 1. Februar 1808 geborenen Prinzessin Luise, zu der Friedrich Wilhelm die Vertreter des Volkes eingeladen hatte. Darüber schreibt ein Augenzeuge, H. von Bardeleben: „Mit wem mochte Er damals die Vatersorgen teilen als mit seinem Volke? Er berief die Stände Alt-Preußens, den Edelmann, den gewerbetreibenden Bürger und den Ackerbau, um sich. Sie mußten das Volk vertreten. Und mitten unter den Seinen standen sie und waren die Seinen und legten die Hände auf das Kind und beteten für ihn und sein Haus. Von Bundesgenossen vernachlässigt, von Freunden verabsäumt, von Dienern und Höflingen aufgegeben, von dem größten Teil seines Volkes getrennt, fragte der König: Ist es euch neu, daß der Unglückliche verlassen wird?“

Diese enge Berührung mit dem Volk war in der Geschichte der Könige von Preußen eine ganz neue Erscheinung, und sie wirkte sich für beide Teile wohltätig aus. Der König erfuhr, daß das Volk weit mehr war als bloßes Material zu Soldaten, Dienstboten und allenfalls Unterbeamten, und das Volk sah seinen König entkleidet von dem Prunk der Regalien, als Menschen, der lebte und litt, wie jedermann in dem unglücklichen Preußenland. Solche Erlebnisse hatten den König reif gemacht für die gewaltigen Reformen, die den neuen Staat und die neue Zeit heraufführten. Begeisterter Opferwille für die vaterländische Gemeinschaft, Anhänglichkeit und Treue für das angestammte Königshaus und Liebe zu dem regierenden Herrn, das waren die Elemente, aus denen die Volkserhebung gegen den französischen Tyrannen floß. Aber all dies war erst eine Folgeerscheinung, das Primäre war die Erneuung der Geister, die Verinnerlichung der Religion, die Kraft der evangelischen Befreiung und das Erwachen des Nationalbewußtseins.

Die Quellen dieser Bewegung lagen, wie wir gezeigt haben, schon im achtzehnten Jahrhundert. Lessing hatte die Wege gewiesen, aber keinen Abschluß erreicht. Ein anderer sollte die letzten Schlüsse ziehen, und es ist bedeutsam, daß auch er wie fast alle die charaktervollen Neugestalter um den König ein Freimaurer war.

Johann Gottfried Herder war der Prophet der neuen Zeit, der das deutsche Volk von der geistigen Fremdherrschaft befreite. Er lehrte die Deutschen, deutsch zu sein, deutsch zu fühlen und stolz auf ihr Deutschtum zu blicken. Was Lessing zuerst mit seinem durchdringenden Beistand erkannt hatte, das ergriff Herder mit dem Herzen. Er war nicht der große Dichter wie Lessing, der unsterbliche Meisterwerke schuf, aber er war der große Wegweiser, der offenbarende Geist, wie ihn Vilmar nennt.

Sein Meister, den er überflügelte, war Johann Georg Hamann, der Magus im Norden, dessen wir schon als Gegner Starcks zu gedenken hatten. Von ihm hatte er den Gedanken, daß der ganze Mensch mit seinem Verstand, seiner Empfindung und seiner Vernunft sich für eine Idee einsetzen müsse. Hamanns Bedeutung mag man ermessen an dem Einfluß, den er auf Herder und vor allem auf Goethe ausgeübt. Dieser gedenkt seiner in „Wahrheit und Dichtung“ als des „würdigen und einflußreichen Mannes, der uns damals ein ebenso großes Geheimnis war, als er es immer dem Vaterlande geblieben ist“.

„Seine sokratischen Denkwürdigkeiten“, fährt Goethe fort, „erregten Aufsehen und waren solchen Personen besonders lieb, die sich mit dem blendenden Zeitgeiste nicht vertragen konnten. Man ahnte hier einen tiefdenkenden, gründlichen Mann, der, mit der offenbaren Welt und Literatur genau bekannt, doch auch noch etwas Geheimes, Unerforschtes gelten ließ, und der sich darüber auf eine ganz eigene Weise aussprach. Von denen, die damals die Literatur des Tages beherrschten, ward er freilich für einen abstrusen Schwärmer gehalten, eine aufstrebende Jugend aber ließ sich wohl von ihm anziehen. Sogar die Stillen im Lande, wie sie halb im Scherz, halb im Ernst genannt wurden, jene frommen Seelen, welche, ohne sich zu irgendeiner Gesellschaft zu bekennen, eine unsichtbare Kirche bildeten, wendeten ihm ihre Aufmerksamkeit zu, und meiner Klettenberg, nicht weniger ihrem Freunde Moser, war der Magus aus Norden eine willkommene Erscheinung.... Unsere Aufmerksamkeit auf diesen Mann hielt Herder immer lebendig, der, mit seiner Braut und uns in Korrespondenz bleibend, alles, was von jenem merkwürdigen Geiste ausging, sogleich mitteilte.... Das Prinzip, auf welches die sämtlichen Äußerungen Hamanns sich zurückführen lassen, ist dieses: Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch Tat oder Wort oder sonst hervorgebracht, muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen, alles vereinzelte ist verwerflich. Eine herrliche Maxime! aber schwer zu befolgen. Von Leben und Kunst mag sie freilich gelten; bei jeder Überlieferung durchs Wort hingegen, die nicht gerade poetisch ist, findet sie eine große Schwierigkeit; denn das Wort muß sich ablösen, es muß sich vereinzeln, um etwas zu sagen, zu bedeuten. Der Mensch, indem er spricht, muß für den Augenblick einseitig werden; es gibt keine Mitteilung, keine Lehre ohne Sonderung. Da nun aber Hamann ein für allemal dieser Trennung widerstrebte und, wie er in einer Einheit empfand, imaginierte, dachte, so auch sprechen wollte und das gleiche von andern verlangte, so trat er mit seinem eigenen Stil und mit allem, was die andern hervorbringen konnten, in Widerstreit. Um das Unmögliche zu leisten, greift er daher nach allen Elementen; die tiefsten, geheimsten Anschauungen, wo sich Natur und Geist im Verborgenen begegnen, erleuchtende Verstandesblitze, die aus einem solchen Zusammentreffen hervorstrahlen, bedeutende Bilder, die in diesen Regionen schweben, andringende Sprüche der heiligen und Profanscribenten, und was sich sonst noch humoristisch hinzufügen mag, alles dies bildet die wunderbare Gesamtheit seines Stils, seiner Mitteilung.“

Dieser Mann war der befruchtende Regen für den gewaltigen Baum der Erkenntnis, den Herder im Herzen der Deutschen pflanzte. Er erkannte die lebendige Kraft im Volk, das ihm nicht mehr die rohe, stumpfe Masse war. Er bahnte die Achtung vor dem geistigen Leben des Volkes an und „vor den Rechten dieser geistigen Lebenselemente, und hierdurch wurde ein starker Damm gegen die zu gleicher Zeit hereinbrechende Aufklärerei errichtet, die dem Volke wohlzutun meinte, wenn sie ihm alle eigentümlichen Züge, alle ererbten geistigen Besitztümer entzöge und es mit den armseligen Brocken der Kulturweisheit fütterte“. (Vilmar.)

Herders Wesen war nicht gerade angenehm, und das machte ihm viele Feinde. So sagte einer dieser von ihm, Herder gehöre zu der neuen Rasse von Theologen, den galanten, witzigen Herren, denen Volkslieder, die auf Straßen und Fischmärkten ertönen, so interessant wie Dogmatiken seien.

Goethe schildert uns Herder in „Wahrheit und Dichtung“ mit treffender Plastik:

„Herder konnte allerliebst einnehmend und geistreich sein, aber ebenso leicht eine verdrießliche Seite hervorkehren. Dieses Anziehen und Abstoßen haben zwar alle Menschen ihrer Natur nach, einige mehr, einige weniger, einige in langsameren, andere in schnelleren Pulsen; wenige können ihre Eigenheit hierin wirklich bezwingen, viele zum Schein. Was Herdern betrifft, so schrieb sich das Übergewicht seines widersprechenden, bitteren, bissigen Humors gewiß von seinem Übel und den daraus entspringenden Leiden her. Dieser Fall kommt im Leben öfters vor, und man beachtet nicht genug die moralische Wirkung krankhafter Zustände und beurteilt daher manche Charaktere sehr ungerecht, weil man alle Menschen für gesund nimmt und von ihnen verlangt, daß sie sich auch in solchem Maße betragen sollen.

Die ganze Zeit dieser Kur (Herder hatte eine Augenoperation bestanden) besuchte ich Herdern morgens und abends; ich blieb wohl auch ganze Tage bei ihm und gewöhnte mich in kurzem um so mehr an sein Schelten und Tadeln, als ich seine schönen und großen Eigenschaften, seine ausgebreiteten Kenntnisse, seine tiefen Einsichten täglich mehr schätzen lernte. Die Einwirkung dieses gutmütigen Polterers war groß und bedeutend. Er hatte fünf Jahre mehr als ich, welches in jüngeren Tagen schon einen großen Unterschied macht; und da ich ihn für das anerkannte, was er war, da ich dasjenige zu schätzen suchte, was er schon geleistet hatte, so mußte er eine große Superiorität über mich gewinnen. Aber behaglich war der Zustand nicht: Denn ältere Personen, mit denen ich bisher umgegangen, hatten mich mit Schonung zu bilden gesucht, vielleicht auch durch Nachgiebigkeit verzogen; von Herdern aber konnte man niemals eine Billigung erwarten, man mochte sich anstellen, wie man wollte. Indem nun also auf der einen Seite meine große Neigung und Verehrung für ihn, und auf der andern das Mißbehagen, das er in mir erweckte, beständig miteinander in Streit lagen, so entstand ein Zwiespalt in mir, der erste in seiner Art, den ich in meinem Leben empfunden hatte. Da seine Gespräche jederzeit bedeutend waren, er mochte fragen, antworten oder sich sonst auf eine Weise mitteilen, so mußte er mich zu neuen Ansichten täglich, ja stündlich befördern. In Leipzig hatte ich mir eher ein enges und abgezirkeltes Wesen angewöhnt, und meine allgemeinen Kenntnisse der deutschen Literatur konnten durch meinen Frankfurter Zustand nicht erweitert werden; ja, mich hatten jene mystisch-religiösen chemischen Beschäftigungen in dunkle Regionen geführt, und was seit einigen Jahren in der weiten literarischen Welt vorgegangen, war mir meistens fremd geblieben. Nun wurde ich auf einmal durch Herder mit allem neuen Streben und mit allen den Richtungen bekannt, welche dasselbe zu nehmen schien. Er selbst hatte sich schon genugsam berühmt gemacht und durch seine Fragmente, die kritischen Wälder und anderes, unmittelbar an die Seite der vorzüglichsten Männer gesetzt, welche seit längerer Zeit die Augen des Vaterlandes auf sich zogen. Was in einem solchen Geiste für eine Bewegung, was in einer solchen Natur für eine Gärung müsse gewesen sein, läßt sich weder fassen noch darstellen. Groß aber war gewiß das eingehüllte Streben, wie man leicht eingestehen wird, wenn man bedenkt, wieviele Jahre nachher, und was er alles gewirkt und geleistet hat.“

Man erkennt aus dieser Schilderung das Aufrüttelnde und Neustrebige in Herders Natur, und man wird ermessen, wenn schon Goethe dieser machtvollen Persönlichkeit solchen Einfluß auf sich zugab, wieviel größer Herders Wirkung auf die gesamte gebildete Welt gewesen ist. Wir wissen, daß Goethe sich nicht leicht einer geistigen Autorität unterordnete, aber diese unbedingte Anerkennung Herders zeigt uns den Geist dieses Führers in seiner ganzen Größe. Dazu kam seine tiefe kindliche Frömmigkeit, die er mit Hamann teilte, seine echte Humanität und seine Begeisterung für alles wahrhaft Deutsche. Dies waren die Wurzeln, die dem Geist der vaterländischen Erhebung die Wege ebneten.

Als Freimaurer hat sich Herder praktisch sehr wenig betätigt, seine Stellung als Generalsuperintendent in Weimar, glaubte er, verbiete ihm, die Loge zu besuchen. Aber er trug freimaurerischen Geist in sein seelsorgerisches Amt, in seine Kanzelreden und in seine Schriften. Er stand in angeregtem Briefwechsel mit den führenden Freimaurern seiner Zeit und befruchtete ihre Tätigkeit. Man kann nicht sagen, daß es tiefe Weisheit gewesen wäre, was er der Freimaurerei gab, oder sonderlich neue und bahnbrechende Gedanken, aber er gab der königlichen Kunst, was ihr auch heute nottut, einen neuen gewissen Geist.

Wir besitzen in der Adrastea einen dem Lessingschen Gespräche Ernst und Falk nachgebildeten Dialog über Freimaurerei, worin er seine Gedanken niederlegt. Der Dialog trägt die Überschrift „Wer den Zweck der Freimäurerei, wie sie von außen erscheint“, und die Personen, die über diesen Gedanken meditieren, heißen Faust, Horst und Linda. Darin wird ausgesprochen, daß die Freimaurerei im wesentlichen, wenigstens nach dem Andersonschen Konstitutionenbuch, eine Geschichte der Baukunst, insonderheit der Baukunst in England, darstellt. Herder kritisiert die Art und Weise der Freimaurerei des achtzehnten Jahrhunderts, die ihren Anfang bis zu Adam und Nimrod zurückverlegt. Vor allem will ihm dieses Erhalten der Mitglieder im Dunkeln und das Betonen des Geheimnisses nicht behagen. Aber er verteidigt auch wieder diese Art und läßt Faust sagen: „Ist Verhehlen und Betrügen einerlei? Sage man, soviel man zu sagen gut findet, nur nichts Falsches. Wer kann und darf für seine Ahnen stehen? Sind wir die Ahnen? Die ganze bürgerliche, ja jede Geschichte geht aus barbarischen Zeiten hervor; wer kann, wer darf können für diese untergegangenen Zeiten? Wir freuen uns, daß sie untergegangen sind. Ehre macht es uns, wenn wir zu ihrem Untergange beitrugen und etwas Besseres wurden. Wären, wie die Sage geht, die Freimäurer denn auch zuerst wirkliche Männer gewesen, was schadete es ihnen?“

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Johann Gottfried Herder

Herder kommt dann auf den allgemeinen, in der Öffentlichkeit bekannten Grundsatz, daß die Mitglieder der Freimaurer-Gesellschaft sich untereinander förderten, und läßt wieder Faust die Verteidigung führen: „Und doch, Linda, wäre es ein großer Mangel der Gesellschaft, wenn sich ihre Glieder nur untereinander forthülfen. Sie würde damit eine Art Judentum, ein Staat im Staat. Vielmehr wünschte ich, daß diese Unsichtbaren, wie bedürfnislose Geister, sich selbstvergessend, nach außen wirkten. Diese Parteilosigkeit machte die Gesellschaft zu einem Areopag des Verdienstes, der Sitten und der Talente. Träte sie jedem Edelwollenden auch außer ihrem Viereck unsichtbar zur Seite, und unterstützte und belohnte ihn, weckte den Schlummernden, richtete den Gesunkenen auf; wie manches würde für die Zukunft still vorbereitet, was jetzt noch nicht getan werden kann, was aber gewiß geschehen wird und geschehen muß! Deshalb habe ich es gern, wenn ich höre, daß die Gesellschaft talentvolle, rüstige Jünglinge, durch Stand, Rang, Güter, vorzüglich aber durch tätige Klugheit und Erfahrenheit viel vermögende Männer wählet. Jene, hoffe ich, bildet sie aus: denn sie führet ja die sichersten Werkzeuge der Richtigkeit als Symbole; diese braucht sie mit der Macht einer Gesellschaft in vervielfachter Kraft.“

Im folgenden kommt dann Herder auf das Geheimnis und auf die weitere Geschichte der Baukunst zurück, ganz in dem Gedanken, daß die Brüderschaft der Freimaurer aus der Brüderschaft der Werkmaurer hervorgegangen sei. In einer Fortsetzung des Gespräches, das Herder „Salomos Siegelring“ überschreibt, spricht Horst aus, daß hinter dem Geheimnis der Freimaurerei noch etwas anderes zu suchen sei, und er bezeichnet es englisch a mystery, ein Kunstgeheimnis, und fährt dann fort:

„Lies diesen alten Katechismus der Freimäurer. Freilich wird über den Aufgenommenen gebetet, daß, wie er seine Hand ausstreckt zum heiligen Wort, er sie auch ausstrecken möge, dem Bruder zu helfen, merke Dir wohl, nur dem Bruder! Und zwar ohne seinen und seiner Familie Nachteil. Freilich wird ihm gewünscht, daß er in allen Tugenden von Stufe zu Stufe steige, und die Mäurerei auf der ganzen Erde gesegnet sei. Mithin soll und darf es keinen unmoralischen Freimäurer nach den Gesetzen der Stiftung geben. Das aber wirst und mußt Du mir einräumen, daß Namen, Grade, Symbole, Zeichen, Lieder und was man überhaupt vom Ritual der Gesellschaft weiß, die Sprache der Kunst führen.“