Friedrich Heinrich Synold
SEEFAHRT 1966 –
PUR UND OHNE SCHNÖRKEL
Erzählung
Books on Demand
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Informationen sind im Internet über ›http://dnb.ddb.de‹ abrufbar.
© 2006 Friedrich Heinrich Synold
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 3-8482-9680-4
Seefahrt 1966 – pur und ohne Schnörkel ist ein kleiner Teil der Lebensgeschichte des Autors. Dieses Buch wurde geschrieben nach den Erinnerungen des Autors. Alle im Buch vorkommenden Personen sind oder waren Personen des wirklichen Lebens. Um ihre Privatsphäre zu schützen, sind die Namen geändert worden, nur der des Autors nicht.
Vielen Dank für die Unterstützung. Ohne die Hilfe der hier aufgeführten Institutionen und der Menschen hätte ich dieses Buch nicht schreiben können.
Seemannsamt Hamburg, Herr Manfred Peters
Reederei Essberger, Herr Dormitzlaff
Der Schellfisch-Posten, die Wirtsleute Pohl
Das Seemannsheim, Große Bergstraße in Hamburg
Das maritime Lexikon, Herr Wesselhoeft
Der Fotograf Herr Hauke Gilbert, Jesteburg
Seemannsschule Travemünde-Priwall, Herr Hartke
Zu guter Letzt möchte ich nicht meine Familie vergessen, die mir immer sehr geholfen hat und mir großes Verständnis entgegenbrachte, wenn ich mich mal wieder, stundenlang, dem Schreiben am Computer hingab.
Einen besonderen herzlichen Dank an Nadine.
Um in der Gegenwart zu leben,
muss man sich seiner Vergangenheit bewusst sein.
F. H. S.
Seefahrt, weite Welt, Meere, Ozeane, fremde Städte und Menschen. Fast erahnte Freiheit, beinahe greifbar, frei sein wie ein Vogel im Wind.
So hatte Fiete sich das immer vorgestellt; nun war er 14 Jahre alt, hatte die Hauptschule abgeschlossen und wollte ab nach See.
Wohnte er doch gleich neben Hamburg, dem Inbegriff der wirklichen, weiten Welt. Der Hafen, die großen Pötte, die Sehnsucht hinauszufahren und all diese unbekannten, fremden Häfen und Städte zu sehen.
Hamburg, insbesondere der Hafen, roch so ganz anders. Nicht so altbekannte Gerüche wie bei ihm zu Haus, nein, wirklich anders. Für ihn enthielt dieser Geruch die große Sehnsucht, die große Freiheit, die weite Welt. Und dann waren da außerdem auch immer noch die großen Dampfer, welche Hamburg verließen und wohl alle Häfen dieser Welt anliefen.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, so war es dann ja auch.
Als Fiete sein Vorhaben seinem Vater unterbreitete, da lächelte er ihn an und meinte: »Nee, mien Lütten, lehr du man erstmol ’n Beruf, un dann wullt wie mol sein, wo dat so geiht mit di.«
So … damit war diese Angelegenheit erst einmal vom Tisch. Der Traum war nicht ausgeträumt. Nein, er begann ja erst. Aber vorerst doch aufgeschoben.
Fiete ging nun zu einem Malermeister in die Lehre und nach drei Jahren Lehrzeit hatte er seinen Gesellenbrief in der Tasche: Maler, Lackierer und Tapezierer. Damit hatte er seine Malerlehre erfolgreich beendet.
Von nun an steht ihm die ganze Welt wieder offen.
Der Traum war nur aufgeschoben, bis jetzt.
Es ist Ende Mai 1966 und Fiete ist jung, er fühlt sich kernig und könnte Bäume ausreißen.
So, nun soll’s losgehen.
Gegenüber von den Landungsbrücken, am Hamburger Hafen, Richtung Norden, die steilenTreppen hinauf. Hier oben liegt das ›Weiße Haus am Meen‹, der Heuerstall, ein riesiger weißer Kasten. Das weiße Haus, wie die Seeleute es nennen. Und es ist ja eine ihrer kleinen Heimaten, denn es hat auch ein Seemannsheim, welches man von der Seewartenstraße aus betreten kann.
Als er nun oben angekommen ist, auf das Gebäude zugeht, es über drei Stufen und durch einen Eckeingang betritt, da staunt er nicht schlecht. Ein sehr großer, sehr alter Raum empfängt ihn.
Durch die Jahre gealterte, dunkelbraune Holzdielen knarren bei jedem seiner Schritte, die er vorsichtig durch den Raum macht.
Dieser Raum scheint so eine Art Wartesaal zu sein. In der einen Ecke stehen ein paar Stühle, Bänke und Tische, auf und an ihnen lümmeln sich ein paar, aus Fietes Blickwinkel betrachtet, wilde Gestalten herum. Nicht jeder sieht so recht Vertrauen erweckend aus.
Seine Augen wandern durch den Raum, alles in diesem Wartesaal ist alt und fast nur aus Holz. Dieses ist im Laufe der Zeit sehr stark nachgedunkelt. Der ganze Raum riecht, oder besser gesagt mieft, nach kaltem Rauch und irgendwelchen anderen, undefinierbaren, merkwürdigen Sachen. Das letzte Drittel des Raumes ist durch einen den Raum trennenden langen Tresen abgeteilt. Die einzigen Öffnungen auf dem Tresen sind drei Milchglasschiebefenster, die im Moment leider verschlossen sind. Jede Klappe beherbergt eine eigene Kategorie an zu vermittelndem Personal: Deckpersonal, Maschinenpersonal und Stewards.
Nach einiger Zeit öffnet sich eine der Klappen und zu sehen ist Max (Max Timm), der Heuerbaas zu Hamburg, zuständig für das Deckspersonal. Sein Bass dröhnt aus dem Lautsprecher: »En Moses för’n Frachter no Japon?«
Von den Bänken und Stühlen kommt nur ablehnendes Gemurmel. Fiete macht einen kleinen gedanklichen Abstecher: ›Japan, das hätte noch was‹, als ihn die Stimme von Max wieder in die Gegenwart zurückholt.
»Na mien Jung, wat iss los med di? As Moses no Japon to all de scheunen Prinzessinnen?«
»Nein danke«, antwortet Fiete prompt auf die Frage, »aber ich möchte lieber richtig zur See fahren, an Deck. Bei Regen, Sturm und Wind der See die Stirn bieten und dabei meinen Mann stehen.«
»So, so«, Max wirkt jetzt sehr nachdenklich, »richtig to See förn wull de junge Herr.«
Die Lümmel auf der Bank grinsen Fiete nur mies und abfällig an, nach dem Motto: Schon wieder ein Decksbauer mehr.
Max meint nun mit einer etwas abfälligen Handbewegung in ihre Richtung, man solle die Jungs links liegen lassen. Die warten nur auf einen guten Dampfer in einem guten Fahrtgebiet und selbstverständlich mit guter Heuer. Man ist ja nicht gezwungen mit ihnen anzubändeln.
(Wie Fiete später einmal feststellte, war Max einer der fairsten Leute, die er während seiner langen Zeit auf den verschiedensten Schiffen auf See kennen lernen durfte. Er hatte immer einen kernigen Schnack am Leib, kannte alle seine Pappenheimer genau und vermittelte jedem die Schiffe, die ihm zukamen.
Fiete hatte nie einen Grund zu meckern, wenn er von Max vermittelt wurde. Die Schlagwörter von Max waren immer auf Platt: »Min Jung, wat wust Du häm?«, oder:» Ick häv ’n goden Damper för di.«
Max entscheidet in dem Augenblick, wo er jemanden vermittelt, natürlich auch für eine gewisse Zeit über sein Schicksal, denn der Einsteiger weiß nichts über den Dampfer, den er vermittelt bekommt, und Max kann ihm natürlich viel erzählen. Nur stimmen muss es ja nicht immer so ganz genau.
Fiete hörte irgendwann einmal in einer Kneipe, ein paar Jan-Maaten unterhielten sich über den Heuerstall, dass Max sich auch schon mal ein oder zwei Dinger eingefangen hat. Lief dann tagelang mit einem blauen Auge im Heuerstall herum, weil er wohl einem alten, erfahrenen Matrosen einen richtigen Rattendampfer angedreht hat.
Max erklärte Fiete also, was er alles zu tun hatte, um überhaupt zur See fahren zu können, und das war gar nicht so wenig.
Passbilder machen, zum Seemannsamt, ein Seefahrtsbuch beantragen, danach zur Seeberufsgenossenschaft, Untersuchung für die Gesundheitskarte. Diese Komplett-Untersuchung dauert den ganzen Tag und muss alle zwei Jahre wiederholt werden – ohne Gesundheitskarte kein Dampfer.
Nachdem er nun alles erledigt hat, ist er frohen Mutes, nun geht es endlich los!
Pustekuchen!!! Jetzt macht Max Fiete erst einmal klar, dass er für 14 Tage ins Christliche Seemannsheim Hamburg-Altona einziehen muss, um auf der Seemannsschule Finkenwerder an einem Sicherheitslehrgang für angehende Decksleute teilnehmen zu können.
Einzug ins Seemannsheim, Große Bergstraße, Hamburg- Altona.
Hier fängt 1966 der große Traum an: Seemannsheim Altona
Decksmannslehrgang (Sicherheitslehrgang) auf der Finkenwerder Seemannsschule; durch seine abgeschlossene Malerlehre kann Fiete als ungelernter Seemann zur See fahren, praktisch wie ein einfacher Arbeiter an Land. Er nennt sich nun Decksmann, außerdem sagt Max, dass es als Decksmann etwas mehr Kies gibt, und wer braucht den nicht?
Wenn du nämlich als Moses oder Kajütjunge anfängst, bist du der letzte Arsch an Bord. Fiete glaubt ihm das zwar nicht, aber egal, er will als Decksmann zur See fahren und damit basta.
Sie sind 14 Teilnehmer zum Sicherheitslehrgang auf Finkenwerder. Alle 14 sind jung, agil und voller Tatendrang. Haben nur einen Gedanken im Kopf, weg von Muttern. Ab in die große, weite Welt.
Die Seemannsschule ist natürlich für alle mächtig interessant. Allen ist alles fremd und neu. So ganz anders als das bisher Altbekannte von daheim. Überall in der Seemannsschule hängt der Geruch von Fett und Teer, Persenning, Tauwerk und altem, gammligen Talg in der Luft.
Die Empfangshalle im Seemannsheim Altona
Für Fiete und die 13 anderen angehenden Decksleute geht es in den nächsten 14 Tagen ziemlich flott zur Sache. Mit folgenden Unterrichtsfächern: Seemännische Arbeiten, Sicherheitsdienst (Rettungsbootsdienst, Feuerschutzdienst), Schiffskunde, Brücken- und Wachdienst. Die seemännischen Arbeiten gehen ihm recht flott von der Hand. Und das sind auch die Arbeiten, die ihn wirklich interessieren.
Alle 14 Decksleute bekommen einen sehr guten Einblick, zum Beispiel beim Spleißen mit Tauwerk und Draht. Selbstverständlich wird ihnen auch der Umgang mit Tauwerk (laufendes Gut, stehendes Gut) und das Knotenknüpfen beigebracht.
Dieses Wissen, welches Fieteund denanderen angehenden Decksmännern hier auf der Seemannsschule vermittelt wird, ist nur ein Bruchteil von der Seemannschaft, die sie in Zukunft benötigen werden, aber die Basis. Wie sagt der Ausbilder immer wieder: «Eine Basis muss sein, sonst geht nichts!«
Eines der schönstenUnterrichtsfächer ist Rettungsbootsdienst, hinein in das Rettungsboot und klar bei Riemen. Bei Befehl ruder an legt sich alles in die Riemen und ab geht die Post. Natürlich sind die Jungs mit dem Rettungsboot nicht so schnell wieein Postdampfer, aber sie kommen doch schon recht zügig voran. Fast wie nebenbei lernen sie das Inventar des Rettungsbootes kennen.
Alles in allem können Fiete und auch die anderen Decksleute all diese neuen Gegebenheiten gut verarbeiten. Nur bei Schiffskunde, Brückenund Wachdienst, da hapert es etwas. Da tut sich mancher Neuling etwas schwer. Das ist so ein trockener Stoff.
Manchmal kommen die Ausbilder den angehenden Decksleuten auch etwas lustlos vor.
Darum freuen sich auch alle, wenn man am frühen Nachmittag mit der Fähre wieder nach Altona übersetzen kann.
Wie gesagt, jeden Morgen setzen sie mit der Fähre über, nach Finkenwerder. Am frühen Nachmittag geht es dann wieder zurück.
Ab und zu, nicht sehr oft, spazieren Fiete, Harald, Werner und Franz auch mal abends so in Richtung Fischmarkt oder Landungsbrücken.
»Man muss doch auch mal irgendetwas anderes sehen als immer nur das Seemannsheim!«
Harald hat ja Recht, aber große Sprünge können die vier mit ihrem Geld nicht machen, denn in den Geldbörsen der Jungs ist nicht so richtig viel drin. Noch keine Ebbe, aber kurz davor. Deswegen bleiben sie auch meistens beim Seemannsheim.
Der ›Schellfisch – Posten‹ eine Tresenansicht
Neben dem Seemannsheim, in dem alle Mann logieren, gleich um die Ecke herum, ist eine alte Hafenkneipe, der »Schellfisch-Posten«.
Der Wirt, Schorsch Pohl, ist eine echte, alte Socke, mit ihm kann man schnacken wie mit jemandem, den man schon lange Jahre kennt. Der ist voll in Ordnung, nur Alarm in seiner Kneipe, das gibt es nicht, da geht er sofort dazwischen.
Hier haben Werner, Franz, Harald und Fiete abends schon so manches Bier gekippt. Die vier wohnen im Seemannsheim auf einer Bude. Und sie besuchen alle zusammen den gleichen Sicherheitslehrgang auf Finkenwerder, wo sie sich auch so richtig kennen gelernt haben.
In dieser Ecke fühlten sie sich sofort wie echte Seeleute.
Der Schellfisch-Posten ist eine bärenstarke Hafenkneipe, hier hast du das Gefühl, als befindest du dich in einer ganz anderenWelt. Die Wände sind gesteckt voll mit Bildern von Seeleuten, Schiffen, Häfen, Knotenbildern, und von der Decke hängen in Fischernetzen Kugelfische, Haifischflossen, kleine ausgestopfte Alligatoren, fliegende Fische und was die hier gelandeten (oder gestrandeten) Seebären sonst noch so aus Übersee mitgebracht hatten und für ein paar Bier dem Wirt überließen. Die vier fühlen sich hier richtig heimisch und träumen bei Freddy’s »Junge, komm bald wieder«.
Ein paar junge Mädel schleichen hier auch immer rum, keine leichten Mädel, eben junge, hübsche, flotte Mädel.
Sie freunden sich ein klein wenig mit ihnen an. Sitzen dann abends auf den Stufen der Köhlbrand-Treppe und trinken mit ihnen zusammen Bier und Limo, in die Kneipe dürfen sie ja nicht, zu jung. Für die Jungs sind sie natürlich nicht zu jung, gerade richtig!
So sitzen sie hier fast jeden Abend, sehen auf der Elbe die ein- und auslaufenden Schiffe vorbeiziehen und träumen von ihrer glorreichen Zukunft auf den sieben Weltmeeren. Alles sieht rosarot aus.
Natürlich versucht Fiete, von den anderen dreien weiß er es nicht so genau, mit der kleinen Gerti anzubändeln. Merkwürdigerweise hockt sie immer in seiner Nähe. Er scheint für sie nicht uninteressant zu sein. Ein klein wenig flirten macht ja nichts. So ein kleiner Flirt bewirkt so manches Mal richtige Wunder. Warum auch nicht, wenn die Chance sich bietet. Immer ran an den Speck.
Und da Fiete ja ein zärtlicher, junger Mann ist, hat er dann auch gleich ein klein wenig vorgefühlt. Sie ganz leicht und sanft in den Arm genommen, natürlich ganz zärtlich, etwas mehr als freundschaftlich gedrückt. Den ersten Kuss hat er ihr ganz einfach geraubt. Aber das war ein Zungenkuss, der sich wirklich gewaschen hat. Fiete blieb fast die Luft weg, und er denkt noch so bei sich: Donnerwetter, das kann ja noch heiter werden, dranbleiben. Gesagt getan, und ganz langsam, gefühlvoll lässt er seine Hand über ihren Oberschenkel gleiten in Richtung …?
Gerti hält auf einmal seine Hand fest und sieht ihn mit ganz treuen Augen an. »Wir wollen doch Freunde sein, oder nicht?«
»Ja«, antwortet Fiete und denkt bei sich: Hat leider nicht geklappt.
Aber wie es nun mal so ist, jeder weitere Angriff wird von ihr mit Bravour abgewehrt, vielleicht glaubt sie auch, er würde für sie an Land bleiben, aber das wollte Fiete unter keinen Umständen. Etwas Geknutsche und Gefummel. Zu mehr bringen es beide nicht.
Sie schwören sich zwar ewige Freundschaft, aber er glaubt nicht, dass es sehr ernst gemeint ist.
Die Tage hier in Altona und auf Finkenwerder neigen sich allmählich dem Ende entgegen. Mit Riesenschritten holt sie die Gegenwart wieder ein. Die vier sind klamm. Sie brauchen Geld!
Fiete konnte in seiner Lehrzeit so gut wie nichts auf die Kante legen. Kommt er doch aus einer Arbeiterfamilie, die nicht gerade gut betucht war. Die Markstücke sind für seine Familie nicht gerade vom Himmel gefallen und jeder Pfennig musste umgedreht werden.
Also was tun? Die vier hin zum Leiter des Seemannsheims und fragen ihn, ob er nicht irgendwo einen Job für sie hat oder einen weiß. Mit barer Kohle für die vier. Der Leiter des Seemannsheims, mit dem Brustton der Überzeugung: »Natürlich Jungs. Für kräftige junge Kerls haben wir hier immer irgendwas. Eine Nacht ›inne Fisch‹ .«
Sie sehen sich an. »Was heißt denn eine Nacht ›inne Fisch?‹ .« »Mensch Jungs, einen oder mehrere Fischermänner im Fischereihafen entladen natürlich, und hinterher gibt ’s die Kohle, netto für brutto auf die Kralle!«
Also immer ran, genau das Richtige für die Jungs. Ist ja auch nicht weit vom Seemannsheim entfernt. Knapp zehn Minuten zu Fuß, in Richtung Kühlhaus Altona, liegen die Kaianlagen, an denen der gefangene Fisch angelandet wird. In den Lagerhäusern werden die gelöschten Fischkisten sauber aufgestellt, für die frühmorgens folgende Fischauktion. Der Leiter des Seemannsheims hat ihnen noch einen heißen Tipp gegeben.
»Zieht die ältesten Klamotten an, die ihr habt, ihr werdet es mir danken.«
Na, in Ordnung.
Sie ziehen gehorsam ihre ältesten Plünnen an und melden sich abends, gegen cirka zehn Uhr, zum Entladen der Fischermänner.
Beim Betreten der Halle stinkt es schon bestialisch, nichts für sensible Nasen. Aber nach der ersten Stunde sind die Geruchsnerven so abgetötet. Sie riechen überhaupt nichts mehr. Bis morgens kurz vor fünf hat Fiete Holzkisten mit einem langen Eisenhaken vom Laufband gezogen und diese mit einer Sackkarre zum Vereisen gebracht, hier schaufelt Werner Eis in die Fischkisten damit der Fisch frisch bleibt. Franz und Harald haben den besten Job. Sie verteilen danach die diversen Holzkisten in der großen Halle, sauber und adrett. Alles wird ordentlich und übersichtlich aufgereiht für die später zur Auktion erwarteten Käufer.
Als die vier, und natürlich die anderen Helfer auch, mit dem Entladen der Fischkutter fertig sind, haben alle das Gefühl total geschafft zu sein, von der ungewohnten Arbeit. Die Rücken schmerzen, die Hände sind übersät mit Blasen und alle stinken so erbärmlich, als hätten sie im Fisch gebadet.
Es muss, schätzt Fiete, schon so gegen fünf Uhr morgens sein. Der Vorarbeiter gibt den Jungs ihr sauer verdientes Geld in die nun doch schon, wie bereits erwähnt, arg geschundenen und Blasen aufweisenden Hände. Der Vorarbeiter bedankt sich noch einmal bei ihnen und weiß natürlich, dass sie zur See fahren wollen, wünscht ihnen in dieser Hinsicht alles Gute für ihre Zukunft.
So eine Nacht ›inne Fisch‹ schweißt zusammen.
Die vier tapern, jetzt natürlich kaputt wie nichts Gutes, aber glücklich, wieder etwas Geld ihr Eigen nennen zu können, die große Elbstraße entlang in Richtung Seemannsheim. Als sie es erreicht haben, gibt es eine große Überraschung für sie, denn der Heimleiter ist, obwohl es erst kurz vor sechs Uhr ist, schon auf den Beinen und sagt mit einem viel sagenden Gesichtsausdruck: »Na jung Lüüd, alles klar?«. Sie gucken etwas verdattert aus der Wäsche und antworten nur etwas mürrisch: »Ja, warum nicht, wir sind nur etwas kaputt und möchten in unsere Kojen, ein Glück, dass heute Sonnabend ist und keine Schule.«
»Alles in Ordnung?« Fragend sieht der Heimleiter die vier noch einmal genau an und dann fast im Befehlston: »Jetzt geht ihr alle nach achtern, da sind die Mülltonnen und dort zieht ihr euch bis auf die Unterwäsche aus, schmeißt eure stinkenden Plünnen in den Müll und dann könnt ihr duschen und zur Koje. Habt ihr mich verstanden?«
Sie hauchen ein kaum vernehmbares: »Machen wir.«
Daraufhin verschwinden allesamt hinterm Haus, leeren ihre Taschen und vernichten die alten stinkenden Klamotten in den Mülleimern, die hier herumstehen.
Nach einer heißen Dusche und einem wirklich guten Frühstück fallen die Jungs in ihre Kojen in einen wohlverdienten, wohligen, traumlosen Schlaf.
Nach dieser kleinen Einlage, mangels Masse (inne Fisch), geht die Zeit im Seemannsheim hier in Hamburg-Altona und die häufigen Besuche bei Schorsch in seiner alten Hafenkneipe »Schellfisch-Posten« allmählich dem Ende entgegen.
Heute hat Max im Seemannsheim angerufen und Fiete aufgefordert, doch mal im Heuerstall vorbei zu sehen.
So, wie Fiete Max verstanden hat, soll wohl ein »Goden Damper fast-moken«, und den, meint er, soll Fiete sich dann wohl entern, ganz regulär mit Seefahrtsbuch, wie es sich gehört.
Mittlerweile sind Harald, Franz, Werner und Fiete schon eine geraume Zeit beisammen und sie verstehen sich alle vier recht gut. Sie haben ja auch schon ein paar Kleinigkeiten zusammen erlebt. Nichts wahnsinnig Aufregendes, aber immerhin.
Fiete hat so eine Angewohnheit, die Menschen in seiner näheren Umgebung, bei etwas Muße, zu beobachten und sich so seine Gedanken zu machen. So hat er es auch bei den dreien gemacht. Natürlich, ohne dass sie es mitbekommen haben. Da sind ihm ein paar merkwürdige oder auch nicht ganz so merkwürdige Dinge aufgefallen:
Werner ist ein schlauer Fuchs, will immer alles und jedes wissen, packt sofort mit an, wenn mal irgendwo eine Hand gebraucht wird, und ist auch sonst schwer in Ordnung und er ist sehr verständnisvoll, hört auch mal zu, wenn irgendjemand was auf dem Herzen hat, und er kann schweigen. Das ist manchmal sehr wichtig! Er ist so ein Typ, bei dem man sich unter vier Augen so richtig ausquatschen kann.
Franz wiederum ist eher der witzige, junge Kerl, macht über jeden seine kleinen Späße und hat ein total loses Maul, ansonsten ein guter Kerl. Er lässt sich nicht so schnell einschüchtern, von keinem. Er ist so ’n kleiner Schnacker, aber wenn es von Nöten und die Sache todernst ist, begreift er sehr schnell.
Dann wäre da noch Harald. Er ist vom Typ her ein eher nachgiebiger Mensch und lässt sich am liebsten anleiten. Harald ist nun mal nicht die hellste Leuchte, die brennt. Vor allen Dingen ist er nur am Stöhnen, egal, was er macht, er stöhnt. Wie ein alter Mann, es kommt allen schon sehr seltsam vor. Vielleicht werden sie ja alle zusammen auf einen Dampfer vermittelt. Das wäre sehr schön, bei der gerade frischen Freundschaft. Da könnte Fiete vielleicht in aller Ruhe diese Geschichte mit seinem Gestöhne verfolgen und vielleicht auflösen.
Oder aber, wenn die Gelegenheit sich ergibt, ihn mal fragen, im Flachs, ob er immer starke Schmerzen hat, die ihn quälen.
Aber nun ist es endlich so weit.
Werner, Franz, Harald und Fiete, allesamt Decksleute mit absolviertem Sicherheitslehrgang, inklusive etwas Seemannschaft, stehen erwartungsvoll im Heuerstall, dem ›weißen Haus‹, und Fiete sagt noch so aus Jux zu Werner: »Mensch Werner, was der uns wohl für einen Eimer andreht. Ob wir so viel Glück haben und alle auf einen Dampfer kommen?«
»Ach«, murmelt Werner, nun doch sichtlich aufgeregt, wie die anderen auch, »mach dir man keine Sorgen, das geht schon klar. Wenn nicht, dann setzen wir uns nachher alle zusammen in eine Kneipe, trinken noch ein, zwei Bier und tauschen auf alle Fälle unsere Adressen aus.«
In diesem Augenblick öffnet sich eine der Klappen, Max sieht heraus und ruft: »He, jüh veer door sin jüh all tohop Deckshand?«
Fiete ruft sofort, etwas übereifrig und sehr aufgeregt: »Ja, das sind wir.« Max sieht sie prüfend an und fährt fort: »Ick häv n goden Damper för jüch. No de Westindischen Inseln shall dat gon, oppn Tanker, is dat okay for jüch? Veer Mann opp ’n dudd. Nich so öbel, oder?”
Sie nesteln an ihren Taschen und befördern die Seefahrtsbücher so schnell wie möglich zu Tage, um sie fast gleichzeitig auf den Tresen zu legen. Die Sache ist geritzt. Fiete grübelt noch.
›Wo sind denn nur die Westindischen Inseln? Aber das werde ich schon noch spitzkriegen.‹
Auch heute sitzen, oder besser, lümmeln sich natürlich wieder so ein paar halbwilde Gestalten im Heuerstall herum und einer meint:
»Na Jungs, auf ein Wort. Glück gehabt. Wirklich gutes Fahrtgebiet. Aber auf’ n Tanker? Schlecht, ganz schlecht mit Landgang.«
Fiete und seine drei Freunde lassen sich durch sein abwertendes Gerede aber gar nicht erst erschüttern. Sie bekommen ihre Heuerscheine ausgehändigt, und jetzt nichts wie ab zum Seemannsamt, mustern, dann noch zügig zum Arzt, impfen gegen Tropenkrankheiten. Jetzt man nur die Ruhe bewahren, keine Hast aufkommen lassen, sonst geht am Ende noch irgendetwas in die Hose.
So, nun alle Mann zum Seemannsheim und die Klamotten gepackt. Nach dem Mittagessen sollen sie an Bord gehen.
Sie verabschieden sich im Seemannsheim von denen, die noch keinen Dampfer haben und bedanken sich zum Schluss noch beim Seemannspastor für seine große Hilfe und Unterstützung.
Mit der Fähre zur anderen Elbseite, Fähranleger Petroleumhafen. Vom Fähranleger bis zum Liegeplatz ihres Dampfers ist es dann nicht mehr so weit, nur ein Katzensprung. Zu Fuß machen sie sich auf den Weg.
Und ehe sie sich versehen, stehen sie mit ihren Klamotten und ihrer Ausrüstung auf der Kaimauer, vor dem Dampfer, und bekommen vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
Welch ein gigantischer Anblick, so groß hat sich keiner von ihnen den Dampfer vorgestellt. Nicht mal in ihren kühnsten Träumen hätten sie solch, für sie im Augenblick, riesiges Schiff erwartet.
Auf der Gangway ist ein Betrieb wie auf dem Hamburger Hauptbahnhof zur besten Feierabendzeit. Ein Kommen und Gehen. Vielleicht Glück für sie, dass sie sich vom Seemannsheim und der Seemannsschule her schon kennen und nun zusammen hier auf diesem Tanker anmustern dürfen.
Hier liegt sie nun vor ihnen, die»ELSA ESSBERGER«, ihr Dampfer.
Essberger ist eine gute Kompanie. Hat Fiete so nebenbei im Heuerstall gehört, wie sich ein paar Jan-Maaten unterhalten haben.
Ihre zukünftige Besatzung besteht aus sechsundvierzig Mannschaftsmitgliedern. Aber so viele, wie dort die Gangway herunterkommen, müsste man glauben, hier findet ein kompletter Austausch statt. Wie sie später erfahren, hat heute fast die komplette Decks- und Maschinenmannschaft gewechselt.
Die ›Elsa Essberger‹, erster Dampfer, erste Reise.
Als letzter kommt einer, Fiete schätzt, könnte ein Matrose sein, die Gangway herunter, Nietenhosen, bordeauxfarbenes Netzhemd, braungebrannt und muskulös.
Donnerwetter, schießt es Fiete durch den Kopf, das ist es, das muss es sein. So sieht man also aus, wenn man aus den Tropen kommt und abgemustert hat.
Insgeheim betrachtet er sich selbst: blond, schmal, blass und im wahrsten Sinne des Wortes ein Landei vor der ersten großen Fahrt.
So, nun aber los, jetzt ist Chance, die Gangway ist frei. Die Jungs schnappen sich ihr Gepäck und hangeln sich die Gangway rauf. Nicht ganz einfach, denn die Elsa ist schon so gut wie leer und liegt sehr weit aus dem Wasser.
Oben erwartet sie ein sehr großer, kräftiger, etwas vierschrötiger Kerl mit einem sehr strengen Blick, der Bootsmann. Der strenge Blick wird noch durch den Ernst des Menschen unterstrichen.
»Hallo Jungs, willkommen an Bord, bei der deutschen Handelsmarine.«
Eine raue Stimme, als hätte er eine ganze Woche durchgesoffen. Der Bootsmann kommt Fiete sofort etwas merkwürdig vor.
Er wirkt auf ihn hart und verschlossen, macht wohl seinem Vornamen Ernst alle Ehre. Er erscheint etwas ruppig, aber hat auch Züge eines fairen Kerls an sich. Das so auf den ersten Blick. Dieser erste Eindruck sollte sich später auch bestätigen.
Der Empfang ist ja nicht schlecht. Leider vorbei gedacht.
»Wenn ihr Dussel glaubt, das hier ist die Abenteuer-Tour, von der ihr bisher geträumt habt, dann seid ihr schief gewickelt. Der Zug mit den Abenteurern oder auch den anderen kleinen Arschlöchern ist schon vor über vierzig Jahren abgefahren. Auch die letzten Romantiker dieser Welt sind hier nicht richtig. Glotzt mich nicht so blöd an mit euren Glubschaugen, oder seid ihr vielleicht alle schwul? Hier wird malocht und Wache gegangen, bis die Schwarte kracht. Wenn einer von euch Frischlingen hier nicht pariert, dann werde ich ihm persönlich die Hammelbeine lang ziehen! Ich trete euch in den Arsch, dass euch Hören und Sehen vergeht! Habt ihr mich verstanden?«
Alle sehen sich an, nicken etwas bedröppelt und sind ohne Worte einer Meinung, auf diese kleine Rede erwartet der Bootsmann bestimmt keine Antwort.
Der Bootsmann fährt nun in einem sehr kollegial-versöhnlichen Ton fort: »Es gibt keinen Grund, um traurig zu schauen. Ich zeig euch erst einmal eure Kammern und danach geht ihr zum Funker und gebt eure Seefahrtsbücher ab. Nachdem ihr euren Krempel eingeräumt habt, erscheint ihr in Arbeitszeug an Deck und meldet euch bei mir.
Außerdem duzen wir uns hier alle, nur nicht den Kaptein, seine Offiziere oder den Chief und seine Ing’s, okay?«
Die vier Jungs und die anderen Neuen murmeln nur ein kleinlautes: »Alles klar Bootsmann«, und lassen sich den Weg zu ihren Kammern erklären.
Fiete muss von der Messe aus eine Treppe runter, in den Backbord-Betriebsgang. Der Gang ist wie ein langer Schlauch, an seinem Ende sind die Gemeinschaftsduschen, Waschräume und WC.
Linker Hand befinden sich die Kammern, zur Innenseite des Schiffes gibt es nur eine Wand, dahinter befindet sich der Maschinenraum. An dieser Wand befinden sich in großen Abständen Feuerlöscher, Feueraxt und ein Hydrant mit angeschlossenem Wasserschlauch mit C-Rohr.
Die Kammer sieht ganz gut aus, aber etwas spartanisch.
Eine Deckenleuchte, Tisch, Bank, Stuhl und Schrank, zusätzlich so eine Art Kommode. Über der Bank ein Regal für Bücher und Kleinkram.
Die Decke und Wände sind sehr hell, fast weiß. Alles sieht aus wie lackiert.
Die Koje mit Vorhang und Kojenlampe, sauberes Bettzeug liegt auch schon bereit. Fiete greift sich das Bettzeug und bezieht als Erstes seine Koje. Danach räumt er seine persönlichen Sachen ein und empfindet es schon etwas wohnlicher in seiner Kammer. Daraufhin begibt er sich durch den bereits erwähnten langen schmucklosen Betriebsgang, jetzt schon mit Arbeitszeug bekleidet, wieder aufs Achterdeck. Hier stößt er auf Harald, Werner und Franz.
»He Fiete, komm mit, wir gehen eben kurz nach mittschiffs zum Funker und geben unsere Seefahrtsbücher ab.«
Werner hatte schon eine Weile mit Harald auf Fiete gewartet.
Die Funkbude befindet sich auf dem Brückendeck, gleich hinter dem Kartenhaus.
Der Funker empfängt die vier Neuen sehr freundlich.
»Hallo Jungs, dann gebt mir mal eure Seefahrtsbücher, damit hier alles seine Ordnung hat. Hört mir bitte einen Moment zu. Ich möchte euch noch kurz ein paar Informationen mit auf den Weg geben.
Wenn wir im Hafen sind, zahle ich euch Vorschuss auf eure Heuer aus, sofern ihr Guthaben habt. Ohne Guthaben wird auch keine Kohle ausgezahlt, klar?
Solltet ihr euer sauer verdientes Geld nur für die Kantinenkäufe ausgeben, gibt es leider auch nichts mehr für den Landgang. Das mit der Kantine erklärt euch noch der Bootsmann. Außerdem liegen jeden Tag bei euch in der Mannschaftsmesse ganz frische Nachrichten aus aller Welt und natürlich auch aus Deutschland für euch bereit.
So, das wäre fürs Erste alles von meiner Seite. Habt ihr noch irgendwelche Fragen? Nicht? In Ordnung, dann begebt euch man wieder nach achtern. Alles weitere erzählt euch dann schon noch der Bootsmann.«
Fiete, Harald, und Werner erreichen das Achterdeck, ihre Heimat für die nächsten Monate. Hier werden sie schon sehnsüchtig vom Bootsmann erwartet.
»So«, sagt der Bootsmann, »jetzt bewegt euch mal mit offenen Augen über den Dampfer und macht euch mit allem etwas vertraut, vor allem mit dem Sicherheitssystem, und, meine Herren: NICHT RAUCHEN!, das Rauchen an Deck ist streng verboten und nur in der Mannschaftsmesse gestattet, bei geschlossenen Bullaugen. Eure Zigaretten und Feuer legt ihr am besten in einem Schapp in der Messe ab, so kommt ihr nicht in Versuchung. Keine, Panik es sind genügend vorhanden.«
Also los, sie gehen in die Messe und legen ihre Zigaretten in ein freies Schapp, hierbei stoßen sie auf Franz, niemand hat ihn bisher vermisst.
»Du, Franz, wir machen jetzt einen Rundgang über den Dampfer, um uns mit allem etwas vertraut zu machen, um es kennen zu lernen, okay?«
»Wisst ihr«, antwortet Franz, »ich glaube, ich weiß jetzt auch schon, wo der Ausdruck Dampfer herkommt!«
»Jetzt bin ich aber mal sehr gespannt«, der Einwurf von Harald ist gar nicht so schlecht.
»Hier an Deck sind nur Dampfwinchen, ob vorne auf der Back die Ankerwinch oder am Heck die Winch zum Durch- oder Einholen der Leinen und auch hier zwischen mittschiffs und dem Achterschiff für die beiden Ladebäume, überall Dampfwinchen«, versucht Franz zu erklären.
»Wisst ihr was«, nun muss Fiete aber auch noch seinen Senf dazugeben, »der Dampfer heißt nicht Dampfer, weil überall Dampfwinchen sind und auch noch die Atlas-Pumpen für den Lade- und Löschbetrieb, die selbstverständlich auch mit Dampf betrieben werden, ›gut aufgepasst beim Sicherheitslehrgang!‹, nein, das mit dem Dampfer ist doch nur eine Redensart für die Schiffe, auf denen wir fahren, genauso gut könnt ihr doch sagen: der olle Pott. Mit dem Dampf hat das aber, glaube ich, eine andere Bewandtnis. Wir sind hier auf einem Tanker und wir dürfen nur unter Deck oder in der Messe rauchen, verstehst ihr mich, Dampfwinchen können beim Anfahren der Winde keine gefährlichen Funken abgeben wie Elektro-Winchen. Für uns alle würde es doch bitter enden, wenn wir keine Dampfwinchen hätten. Denn mit E-Winchen und der falschen Absicherung bekämen wir alle sehr, sehr heiße Socken!«
Hier ein Seitenaufriss der ›Elsa Essberger‹ mit allen Daten
»Jo«, entgegnen die drei wie aus einem Mund, »aus diesem Blickwinkel betrachtet wirst du wohl Recht haben.«
Sie erkunden weiter das Schiff und machen sich erst einmal mit allen, die sie treffen, bekannt.
Ihr Tanker hat seine Aufbauten mittschiffs und achtern.
Die Mittschiffsaufbauten: der obere beinhaltet das Brückedeck mit Kartenhaus und Funkbude.
Ein Deck tiefer befindet sich das Logier für den Kapitän und den Chief.
Die Decks darunter bewohnen die Offiziere und Ingenieure und zuletzt noch die Nautischen Assis und die Ing. -Assis.
Alle diese Herren logieren mittschiffs, außerdem ist dort noch der Salon, dort speisen nur der Alte (der Klabautermann?) und der Chief.
Die Offiziersmesse, auf der Höhe der Gurkenallee, hier speisen alle Offiziersränge. Es serviert der Zweite Steward die Mahlzeiten, die Sache hat nur einen kleinen Haken und das ist die Kombüse, denn die ist achtern, bei der Mannschaft. Auf dem Achterschiff. Also müssen die Stewards immer das ganze Essen nach mittschiffs über die Gurkenallee schleppen, bei jedem Wetter! ›Dann scheuchen sie den Kajütjungen durch die Gegend‹.
Fiete wusste schon, warum er kein Steward werden wollte. Stewards sind doch sowieso nur Kellner auf See. Der Dampfer ist aber wirklich beachtlich groß, (der Dampfer ist ein Motorschiff, nur um das hier noch einmal zu betonen):
166 Meter lang, 20 Meter breit und hat 11.382 Bruttoregistertonnen. Da passt schon allerhand Saft in die Tanks.
Vollbeladen läuft der Dampfer noch 14 Knoten. Und das bei normalem Wetter, das ist nicht schlecht.
Die vier Neulinge begehen jetzt die Gurkenallee auf ihrem Weg vom Achterschiff nach mittschiffs. Sie befinden sich nun auf einer kleinen Entdeckungsreise.
»Mann, oh Mann«, stöhnt Harald, ›der mit seinem blöden Gestöhne, ich muss den Grund hierfür noch unbedingt herausfinden‹, »was ist das denn hier?«
»Das ist die Pumpenstation«, sagt Werner und Fiete nickt beifällig, dafür, dass sie erst ganz jung an Bord sind, wissen sie schon allerhand.
»He, seht mal, die Schläuche werden ja schon von den Flanschen abgeschraubt.«
Der Pumpmann sieht aus wie eine Drecksau.
»Wir sollten uns jetzt lieber etwas bewegen, bevor das hier alles richtig in Bewegung gerät«, ruft Fiete den dreien zu und sie sputen sich um nach mittschiffs zu kommen. Das Vorschiff haben sie auch noch nicht in Augenschein genommen.
Fietes Schritte führen ihn als Erstes auf der Back zum Ankerspill. Teufel, was für ein Gerät. Er kommt sich vor wie ein Zwerg, diese Ankerkette, Wahnsinn, es ist kaum zu fassen.
»Menschenskinder, habt ihr die Spillköpfe gesehen?«, stöhnt Harald schon wieder. ›Verflucht, warum stöhnt er eigentlich immer? Na egal, hier ist jedenfalls alles überdimensional.‹ Das Ankergeschirr fasziniert Fiete ungemein.
Die Festmacherleinen oder der Rest, der aufgeschossen auf den Grätings liegt, sind so dick, Fiete kann die Manilas knapp mit beiden Händen umfassen.
Die Manilas heißen richtig »Manilahanftauwerk« und eignen sich besonders gut für Schlepp- und Verholleinen. Wenn die Leinen dünner sind, normale Tauwerksdicke, dann kann man sie auch als laufendes Gut (für Geien usw.) verwenden.
Neue Manilas knarren beim Gebrauch und haben eine gelbe Farbe, ältere Manilas sehen eher silbergrau aus. Wenn man bei den neuen Manilas nicht aufpasst und keine Arbeitshandschuhe trägt, ist es möglich, sich ganz schnell die Flossen aufzureißen. Das neue Manilagut ist sehr rau. Aber wenn es erstmal im Wasser war und zwei-, dreimal über den Spillkopf gelaufen ist, dann ist es vorbei.
Manilas sind eine gewisse Zeit lang schwimmfähig, ihr Reck beträgt 20 bis 25 Prozent. Aus diesem Grund werden sie auch bevorzugt als Schleppleinen benutzt.
Die vier neuen Decksleute wollen auf ihrer Entdeckungstour gerade ein Deck tiefer, zum Hauptdeck, hier befindet sich Kabelgatt und Farbenlast.
Just in diesem Augenblick erscheint der Matrose Uwe, marschiert direkt auf sie zu.
»Ihr sollt eure Besichtigungstour abbrechen und mit nach achtern kommen, hat der Bootsmann gesagt, wir wollen den Proviant übernehmen.«
Das mit dem Anmustern ging ja ziemlich schnell, sind jetzt Fietes Gedanken, aber das Schiff haben wir doch noch nicht richtig kennen gelernt. Das war hoffentlich nicht schon alles?
Na gut, wenn es denn sein muss. Los, ab nach achtern.
»In zwei Stunden ist es so weit, dann schmeißen wir los, so sind die Schlepper bestellt«, erzählt Uwe Fiete noch beim Zurückgehen über die Gurkenallee.
Uwe ist für Fiete wie ein guter Kamerad, aber er gerät sehr schnell inne Brass, beruhigt sich aber genauso schnell wieder, außerdem ist er ziemlich kühn. So der erste Eindruck. ›Vielleicht täusch ich mich auch, na wir werden sehen.‹ Das Bunkern des Trinkwassers ist schon abgeschlossen. Achtern werden sie gleich eingeteilt und in die bereits bestehende Reihe eingegliedert. Alles läuft wie am Schnürchen. Wenn so eine Menschenkette funktioniert, ist es schon gut.
Da werden Bierkisten auf Paletten an Bord gehievt und sofort weitergereicht. Es kommen Kisten mit Salatköpfen oder auch noch Rinderviertel, tief gefroren, an Deck. Der Koch steht in der Mitte dieses Whoolings wie ein Dirigent und zeigt nur noch an, wo alles hingehört. Es werden alle nur denkbaren Nahrungsmittel übernommen und sofort ordentlich verstaut, damit der Koch nicht alles noch einmal sortieren muss.
Alles, was der Mensch so zu seinem normalen Dasein, zum guten Essen und Überleben, benötigt, sowie noch ein klein wenig mehr.
Nachdem nun der gesamte Proviant in den Stores, Trockenprovianträumen und Kühlräumen eingelagert ist und alle Mann gerade einen lütten Smoke in der Messe machen, schiebt die Deckswache ihren Kopf um die Ecke, in die Messe hinein, und ruft: »Klar vorn und achtern, alle Mann auf die Stationen!«
Uwe sieht Fiete an und sagt: »Fiete, komm du man mit mir, du bist bei uns auf der Back eingeteilt, bei der Vorgang.«
»Alles klar«, er greift sich seine Arbeitshandschuhe und los.
Im Mittschiffsbereich wird soeben, als Fiete und Uwe vorbeikommen, die Gangway aufgeholt.
»Die laschen wir, wenn wir nachher auf der Elbe sind, wir haben ja noch so, übern Daumen, sechs Stunden Revierfahrt, die Elbe runter bis Feuerschiff Elbe Eins«, ist die einzige Bemerkung von Uwe.
So, nun beginnt das Abenteuer Seefahrt für Fiete privat, ob der Bootsmann dröhnt oder nicht. Im Ballastschiff nach Aruba, Holländische Antillen, es liegt beinahe über dem nördlichsten Punkt Südamerikas, unser Ladehafen ist San Niclas, an der Südküste Arubas.
›Irgendwie muss ich mich unbedingt über die Westindischen Inseln schlau machen.‹
So nehmen sie Abschied von Hamburg. Später Nachmittag, herrlicher Sonnenschein.
Das muss in Hamburg ja auch immer groß geschrieben werden, bei dem ewigen Schmuddelwetter.
Aber heute haben sie Glück und strahlenden Sonnenschein. Hamburg zeigt sich wirklich von seiner besten Seite.
Der Elblotse ist an Bord und all hands auf Manöverstation.
Uwe sieht Fiete an und meint todernst: »Was ich dir jetzt erzähle, musst du dir unbedingt und für immer einprägen, es geht um deine und um unsere Sicherheit, okay? Und grins mich nicht so blöd an, sonst scheuer ich dir gleich eine, hast du das kapiert?«
»Ja, okay.«
»Also, niemals in die Bucht oder Kinken einer Leine oder eines Drahtes treten. Immer darauf achten, dass du dich beim Steifkommen einer Schlepptrosse nicht in ihrer unmittelbaren Nähe befindest.
Wenn du die Lose einer Leine bedienst, lege die Lose nie hinter dich, sondern immer seitlich von dir, beim Festmachen nicht zwischen Reling und Poller gehen!«, Uwes Lautstärke wird noch etwas intensiver, »hörst du mir überhaupt zu?«
Etwas anderes wie ein kräftiges Nicken gelingt Fiete im Moment nicht, Uwe fährt fort.
»Du musst immer alles im Auge haben und gute Übersicht bewahren. Also, immer die Augen auf und gut aufgepasst. Du musst nur so viel aufpassen, dass dir und uns nichts passiert.
Ich hoffe, du beherzigst das, was ich dir hier und jetzt erzählt habe.
Solltest du nicht, trete ich dir persönlich, ganz kräftig und voller Inbrunst, in deinen kleinen Arsch, so dass dir Hören und Sehen vergeht, und sollte doch irgendetwas durch deine Schuld passieren, dann regeln wir das hinterher auf meine Weise. Hast du jetzt alles begriffen?«
Fiete sieht ihn mit großen, ungläubigen Augen an und kann nur ein klägliches: »Alles klar, Uwe«, von sich geben.
›Mein lieber Herr, mein Vater, das ist aber ein deftiger Ton, der hier herrscht, das kann ja heiter werden.‹
Jetzt ertönt der Ruf: »Schlepper fest vorn?«
»Ja, Schlepper fest!«
»Vorleinen los«, sie lösen die Vorleinen, so dass der Festmacher an Land das Auge der Leine vom Poller frei schmeißen kann.
Sofort ertönt an Bord die Aufforderung: »Hol ein die Leine!«
Leine ist gut, das Ding ist so dick wie Fietes Unterschenkel, nur vier Törns auf dem Spillkopf und hol ein die Lose, dabei immer Uwes Worte als Warnung im Hinterkopf.
»Also Fiete, sei auf der Hut und achte gut auf alles, was läuft und lose ist.«
Sofort wird die Lose von einem zweiten Decksmann in Buchten sauber an Deck aufgeschossen, damit sie später beim Seeklar Machen alles ordentlich im Kabelgatt (Leinenlast) verstauen können.
Die Spring ist auch schon los geworfen und eingeholt, sofort die Vollzugsmeldung für die Brücke: »Alle Leinen vorn los und ein.«
Die Achtergang hat wohl fast zeitgleich mit der Vorgang Vollzug gemeldet: »Alle Leinen achtern los und ein.«
Sie sehen, wie die Schlepper anziehen und den Dampfer aus dem Hafenbecken schleppen, Fiete bemerkt ein leichtes Vibrieren unter seinen Füßen, der zweite Offizier guckt ihn an und hat seinen skeptischen Blick bemerkt: »Das hat nichts zu sagen, die Hauptmaschine läuft jetzt mit, auf langsam voraus, um den Schleppern ein klein wenig zu helfen, aber passen Sie auf, wir sind gleich im Fahrwasser, da draußen wird der Lotse gewechselt. Der Hafenlotse geht und der Elblotse kommt. Und wenn Sie heute Nacht schlafen, dann geht bei Brunsbüttel der Elblotse von Bord und der Seelotse kommt.
Da können Sie später einmal sagen: Das haben wir im Schlaf erledigt. So, nun schmeißt mal den Schlepper los!«
Sie sehen über die Kante, ob genug Lose in der Schlepptrosse ist, dann erst nehmen sie den Beiholer, der am Auge der Schlepptrosse befestigt ist, holen ein wenig die Lose durch, Auge frei vom Poller. Ein Ruf aus mehreren Mündern: Ausschauen!, und schon rauscht das Ende der Schlepptrosse durch die Klüse und ab dafür.
So begrüßt und verabschiedet der Michel alle Fahrensleute.
Der Zweite gibt ein: »Schlepper los vorn«, zur Brücke.
Bis auf Klaus, den Zimmermann, sind im Augenblick alle fertig auf der Back.
Nur Klaus bleibt allein zurück, als Ankerwache, wird aber sehr schnell vom regulären Wachgänger für die Revierfahrt abgelöst.
»So, geschafft«, sagt Uwe, während alle nach achtern gehen, »erst mal eine schmöken«, und mit einem Augenzwinkern zu Fiete, »lief doch schon ganz gut, oder nicht?«
Seine Aussage beruhigt Fiete erst einmal und macht ihn auch ein klein wenig stolz. Aber ihm ist im Moment nicht nach schmöken.
»Na dann setz dich man einen Augenblick hin und genieße in aller Ruhe deinen ersten Abschied von Hamburg.«
Das macht er dann auch, er setzt sich auf einen der dicken, schwarzen Poller und betrachtet das entschwindende Hamburg.
›Ich kann es gar nicht glauben, wie schön doch der Michel aussieht, so in der Sonne.‹
Welch ein Anblick, zum ersten Mal in seinem Leben sieht Fiete Hamburg von der Elbe aus und es ist ein herrlicher Anblick.
Welch ein merkwürdiges Gefühl, allein in einer Mannschaft, oder mit einer Mannschaft, hinauszufahren. Wie wird sich das Zusammensein auf See entwickeln? Aber Fiete hat ja immer noch Werner, Franz und Harald. Wenn die vier richtig zusammenhalten und einer auf den anderen achtet, kann ihnen gar nichts passieren.
Nun geht es in eine weite, ihm total neue und gänzlich unbekannte, fremde Welt.
Ihm wird schon etwas flau im Magen und sein Blick beginnt sich zu verschleiern. Nun muss er sich aber wirklich zusammennehmen.