Das Buch
Nach zehn Jahren im All kehrt Hal Bregg von den Sternen zurück auf die Erde. Zehn Bordjahre aber entsprechen 123 Erdenjahren. Die Kinder von Breggs Altersgenossen sind Greise, er ist ein Fremder, der sich in der neuen Gesellschaft zunächst nur schwer zurecht findet. Aber es sind nicht nur die technischen Entwicklungen, die die Welt verändert haben: Der Astronaut sieht sich einer Gesellschaft ohne jegliche Aggressivität gegenüber. Schlüssel zu dieser Veränderung ist eine Droge, die alle Menschen von Jugend an einnehmen und die Gewalt nicht nur verhindert, sondern überhaupt undenkbar macht. Alle aggressiven Instinkte sind unterdrückt, mit ihnen aber auch die an sie gekoppelten Verhaltensmuster wie Konkurrenz, Leistungsdenken, Initiative, sogar Neugier. Darauf will Hal Bregg sich nicht einlassen und wehrt sich heftig gegen diese neue Lebensart – bis er sich in eines dieser sanften Wesen verliebt …
Rückkehr von den Sternen ist neben Solaris Lems wohl berühmtester Roman, Unterhaltung ersten Ranges, deren Tiefen sich fast beiläufig erschließen.
Der Autor
Stanislaw Lern wurde 1921 in Lwow, Polen, geboren. Neben zahlreichen belletristischen Werken verfaßte er theoretische Schriften über Science-fiction, angewandte Philosophie sowie Kybernetik. Lem ist einer der meistgelesenen polnischen Schriftsteller und gilt als einer der brillantesten und vielfältigsten Autoren des Science-fiction-Genres. Sein Schaffen umfaßt mehr als 30 Werke, die in 36 Sprachen übersetzt wurden und deren Gesamtauflagen über 27 Millionen Exemplare erreichte.
In unserem Hause ist von Stanislaw Lem außerdem erschienen:
Solaris
Roman
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ISBN 978-3-8437-0793-0
Ungekürzte Ausgabe im List Taschenbuch
1. Auflage Dezember 2001
5. Auflage 2013
© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006
© 2002 für die deutsche Ausgabe
by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München
© 1981 für die deutsche Ausgabe by Claassen Verlag, Düsseldorf
Das Buch erschien im Claassen Verlag unter dem Titel Transfer.
© 1961 by Stanislaw Lem
Titel der polnischen Originalausgabe: Powrot z Gwiazd
(Wydawnictwo Literackie, Krakau)
Umschlagkonzept: HildenDesign, München – Stefan Hilden
Umschlaggestaltung: HildenDesign, München – Andrea Barth
Titelabbildung: Photonica Bildagentur, Hamburg
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eBook: CPI – Clausen & Bosse, Leck
I
Ich hatte nichts mit, nicht mal einen Mantel. Sie sagten, das sei nicht nötig. Meinen schwarzen Pulli erlaubten sie mir zu behalten: das ginge noch. Und mein Oberhemd habe ich erkämpft. Ich meinte, daß ich es mir nur langsam abgewöhnen würde. Direkt im Durchgang, unter dem Schiffsbauch, wo wir, herumgeschubst, standen, reichte mir Abs seine Hand mit einem verschwörerischen Lächeln: »Bloß vorsichtig …«
Daran hatte ich schon gedacht. Ich zerquetschte ihm nicht die Finger. Ich war vollkommen ruhig. Er wollte noch etwas sagen. Ich ersparte es ihm, indem ich mich umwandte, als hätte ich nichts gemerkt, und die Stufen hinauf ins Innere ging. Die Stewardeß führte mich zwischen den Sesselreihen ganz nach vorne. Ich wollte kein Sonderabteil. Ich überlegte, ob man sie davon bereits unterrichtet hätte. Der Sessel öffnete sich geräuschlos. Sie richtete die Lehne, lächelte mich an und ging. Ich setzte mich. Abgrundtiefweiche Kissen, wie überall. Die Lehnen so hoch, daß ich kaum die anderen Passagiere sah. Die Buntheit der Frauenkleider akzeptierte ich bereits widerstandslos. Unsinnigerweise aber verdächtigte ich immer noch die Männer einer Karnevalsverkleidung und hatte im stillen gehofft, einige würden jetzt doch in normalen Anzügen erscheinen – alberner Reflex. Alle setzten sich schnell. Gepäck hatte keiner. Nicht mal eine Aktentasche oder ein Bündel. Die Frauen ebensowenig. Von ihnen schienen auf einmal mehr da zu sein. Vor mir zwei Mulattinnen in papageifarbenen Pelzmäntelchen, federartig aufgeplustert, wahrscheinlich herrschte gerade eine Vogelmode. Weiter ein Ehepaar mit Kind. Nach den blendenden Selenophoren des Bahnsteigs und der Tunnel, nach den unerträglich kraß selbstleuchtenden Straßenpflanzen schien das Licht der konvexen Decke wie ein sanftes Glühen. Ich legte die Hände auf die Knie, da sie irgendwie störten. Alle saßen bereits. Acht Reihen grauer Sessel, ein Hauch Tannenduft, die Stille absterbender Gespräche. Ich erwartete die Startansage, irgendwelche Signale, die Aufforderung zum Anlegen der Schutzgürtel. Nichts geschah. Über die matte Decke begannen undeutliche Schatten zu huschen, etwa wie Papiersilhouetten von Vögeln. ›Was, zum Teufel, sollen diese Vögel‹, dachte ich ratlos. ›Ob das was bedeutet?‹ Ich war wie versteinert in meiner angespannten Aufmerksamkeit, ja nichts Unpassendes zu tun. Das ging bereits seit vier Tagen so. Vom ersten Augenblick an. Stets blieb ich hinter allem, was geschah, zurück, und der ständige Versuch, irgendein Gespräch oder eine Situation zu verstehen, verwandelte meine Spannung allmählich in ein Gefühl, das der Verzweiflung verdammt nahe kam. Ich war fest überzeugt, daß die anderen dasselbe fühlten. Aber wir sprachen nicht darüber, auch nicht, wenn wir allein waren. Es wurde nur über unseren Kraftüberschuß gewitzelt, übrigens mußte man sich wirklich in acht nehmen: wenn ich anfangs aufstehen wollte, sprang ich bis zur Decke, und jedes Ding, das ich in die Hand nahm, kam mir leicht wie Papier vor. Ich lernte dann ziemlich schnell den eigenen Körper zu kontrollieren. Bei der Begrüßung zerquetschte ich keinem mehr die Hand. Das war einfach. Leider aber am unwichtigsten.
Mein Nachbar zur Linken, korpulent, braungebrannt, mit etwas allzu leuchtenden Augen – vielleicht hatte er Kontaktlinsen –, verschwand urplötzlich, weil sich sein Sessel an den Seiten erweiterte: die Lehnen gingen hoch und vereinigten sich dann, indem sie eine Art eierförmiger Kokon bildeten. Noch ein paar Leute verschwanden in derartigen Kabinen. Sie erinnerten an aufgequollene Sarkophage. Was machten sie nun da drin? Auf derartige Erscheinungen stieß ich immerzu und versuchte – wenn sie nicht unmittelbar mit mir zu tun hatten sie nicht anzustarren. Interessant: Menschen, die uns – als sie erfahren hatten, was wir eigentlich waren – anglotzten, behandelte ich eher gleichmütig. Ihr Staunen ging mich wenig an, obwohl mir sofort klar wurde, daß kein Funke Bewunderung dahintersteckte. Unangenehm wirkten viel eher die, die uns umsorgten – Mitarbeiter des ADAPT. Den stärksten Widerwillen erweckte Doktor Abs, da er mich behandelte wie der Arzt einen anomalen Patienten, indem er – übrigens recht glaubhaft – vorgab, es mit einem völlig Normalen zu tun zu haben. Wenn dies nicht mehr möglich war, machte er Witze. Ich hatte von seinem jovialen Gehabe genug. Jeder Passant – bildete ich mir ein –, der darüber befragt werden würde, hätte mich oder Olaf als seinesgleichen angesehen – nicht wir selbst waren ihm unheimlich, sondern unsere Vergangenheit: das war das Ungewöhnliche. Doktor Abs aber, wie jeder ADAPT-Mitarbeiter, wußte es besser – er wußte, daß wir tatsächlich anders waren. Dieses Anderssein war keine Auszeichnung, sondern ein Hindernis bei der Verständigung, beim einfachsten Wortwechsel, ach was – beim Öffnen einer Tür, da doch die Türklinken vor – ich weiß nicht mehr genau – fünfzig oder sechzig Jahren zu existieren aufgehört hatten.
Der Start erfolgte unerwartet. Die Schwere änderte sich um keinen Deut, in das hermetisch abgeschlossene Innere drangen keinerlei Töne, über die Decke liefen rhythmisch die Schatten – vielleicht infolge der mehrjährigen Routine meines alten Instinkts wußte ich in einem gewissen Augenblick, daß wir im Raum schwebten; denn das war eine Gewißheit, keine Vermutung.
Noch etwas interessierte mich aber. Ich ruhte, halb liegend, die Beine ausgestreckt, reglos. Allzu leicht ließen sie mir das durchgehen. Sogar Oswamm hatte sich nicht besonders dagegen gesträubt. Die Gegenargumente, die ich von ihm und von Abs zu hören bekam, konnten nicht überzeugen – ich selbst würde da schon bessere finden. Sie beharrten nur darauf, daß jeder von uns einzeln fliegen müßte. Und nicht einmal die Tatsache, daß ich Olaf rebellisch stimmte – denn sonst wäre er wohl einverstanden gewesen, noch länger dort zu bleiben –, nahmen sie mir übel. Das gab mir zu denken. Ich erwartete Komplikationen, irgend etwas, was im letzten Moment meinen Plan zunichte machen würde. Aber nichts dergleichen geschah, und nun flog ich. Diese letzte Reise sollte in einer Viertelstunde zu Ende gehen.
Augenscheinlich hatte das, was ich mir ausgedacht hatte, wie auch die Haltung, die ich einnahm, um eine frühere Abfahrt zu erzwingen, sie kaum überrumpelt. Sie hatten wohl diesen Typ der Reaktion katalogisiert, es war eine Verhaltensstereotype, die solchen Draufgängern wie mir eigen war und die sie auf ihren psychotechnischen Tafeln mit einer entsprechenden Ordnungszahl versahen. Sie erlaubten mir zu fliegen – warum? Weil die Erfahrung ihnen sagte, daß ich damit nicht fertig werden würde? Wie konnte es aber dazu kommen, wenn diese ganze »selbständige« Eskapade nur aus dem Flug von einem Bahnhof zum anderen bestand, wo bereits jemand vom irdischen ADAPT warten sollte, und alles, was ich zu tun hatte, darauf hinauslief, jenen Menschen an der verabredeten Stelle zu finden?
Da geschah etwas. Ich hörte erhobene Stimmen. Ich lehnte mich hinaus aus meinem Sessel. Ein paar Reihen vor mir schubste eine Frau die Stewardeß weg, die mit einer verlangsamten, automatischen Bewegung, wie unter Einfluß dieser – gar nicht so starken – Abwehrbewegung zwischen den Sesseln rückwärts ging. Die Frau wiederholte: »Nein, das laß ich nicht zu! Dies soll mich nicht berühren!« Das Gesicht der Schreienden konnte ich nicht sehen. Ihr Reisegefährte faßte sie an der Schulter, redete beruhigend auf sie ein. Was bedeutete diese Szene? Die anderen Passagiere beachteten sie nicht. Wieder einmal überkam mich das Gefühl unwahrscheinlicher Fremdheit. Von unten sah ich die Stewardeß an, die bei mir stehengeblieben war und mich – wie schon vorher – anlächelte. Es war kein rein äußerliches Lächeln der pflichtschuldigen Höflichkeit, das die Aufregung über den Vorfall maskierte. Sie gab nicht vor, ruhig zu sein, sie war es wirklich.
»Möchten Sie etwas trinken? Prum, Extran, Morr, Cidre?« Eine melodische Stimme. Ich schüttelte verneinend den Kopf. Ich wollte ihr gerne etwas Nettes sagen, brachte es aber nur zu der abgedroschenen Frage: »Wann landen wir?«
»In sechs Minuten. Möchten Sie etwas essen? Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Man kann hier auch nach der Landung bleiben.«
»Danke, nein.«
Sie ging. In der Luft, dicht vor meinem Gesicht, auf dem Hintergrund der nächsten Sessellehne, leuchtete – wie mit dem Ende einer glühenden Zigarette geschrieben – die Aufschrift STRATO auf. Ich beugte mich vor, um zu sehen, wie diese Inschrift entstanden war, und zuckte zusammen. Die Sessellehne hinter meinem Rücken paßte sich an und umfaßte mich elastisch. Ich wußte bereits, daß die Möbel jeder veränderten Haltung entgegenkommen, nur vergaß ich es immer wieder. Es war nicht angenehm – ungefähr so, als ob jemand jede meiner Bewegungen verfolgen würde. Ich wollte zu meiner vorherigen Haltung zurückkehren, tat es aber wohl zu energisch. Der Sessel verstand es falsch und klappte fast auseinander, wie ein Bett. Ich fuhr hoch. So eine Dummheit! Mehr Beherrschung! Die rosa STRATO-Buchstaben zuckten und flössen schon in andere hinüber: TERMINAL. Keine Erschütterung, Warnung, kein Pfiff. Nichts. Nun erklang ein ferner Ton wie von einem Posthorn, vier ovale Türen am Ende der Gänge zwischen den Sitzplätzen öffneten sich, und in das Innere drang ein dumpfes, allumfassendes Rauschen: Meeresrauschen. Die Stimmen der sich von ihren Sitzen erhebenden Passagiere versanken in diesem Rauschen spurlos. Ich blieb sitzen, sie aber gingen hinaus, die Silhouettenreihen leuchteten auf dem Hintergrund der äußeren Lichter grün, lila, purpurn auf – ein Maskenball. Nun waren alle draußen. Ich stand auf. Mechanisch zog ich meinen Pullover herunter. Ein irgendwie dummes Gefühl, so mit leeren Händen dazustehen. Durch die offene Tür zog ein kühler Hauch. Ich drehte mich um. Die Stewardeß stand an der Trennwand, ohne sie mit dem Rücken zu berühren. Auf ihrem Gesicht blieb dasselbe heitere Lächeln, nun den leeren Sesselreihen zugewandt, die sich jetzt langsam zusammenzurollen und -zulegen begannen wie fleischige Blumen, die einen schneller, die anderen etwas langsamer – es war die einzige Bewegung in dem alles erfüllenden, durch die ovalen Öffnungen drängenden langgezogenen Rauschen, das an offenes Meer denken ließ. »Ich will nicht, daß dies mich berührt!« Plötzlich fand ich etwas Ungutes in ihrem Lächeln. Am Ausgang sagte ich: »Auf Wiedersehen …«
»Stets zu Diensten.«
Die Bedeutung dieser Worte, die im Munde einer hübschen, jungen Frau recht eigenartig klangen, wurde mir nicht sofort klar, während ich, ihr schon den Rücken kehrend, mich aus der Tür hinauslehnte. Ich wollte meinen Fuß auf die Treppenstufe setzen, aber es gab keine Stufe. Zwischen dem Metallkörper und dem Bahnsteigrand gähnte eine meterbreite Tiefe. Ich verlor das Gleichgewicht – auf eine derartige Falle unvorbereitet –, machte einen tolpatschigen Sprung und, bereits in der Luft, spürte ich den Zug einer unsichtbaren Kraft, die mich von unten auffing, so daß ich über die Leere hinwegschwebte und dann ganz weich auf eine weiße Oberfläche gestellt wurde, die mir elastisch nachgab. Bei diesem Flug mußte ich wohl kaum ein intelligentes Gesicht gemacht haben; ich fühlte belustigte Blicke – so schien es mir jedenfalls drehte mich dann schnell um und ging den Bahnsteig entlang. Das Geschoß, mit dem ich gekommen war, ruhte in einem tiefen Bett, von dem Rand der Bahnsteige durch eine absolut ungesicherte Leere getrennt. Wie von ungefähr näherte ich mich dieser Leere und fühlte zum zweiten Male den unsichtbaren Druck, der mich die weiße Fläche nicht überschreiten ließ. Ich wollte nun die Quelle jener sonderbaren Kraft suchen, doch urplötzlich war mir, als ob ich erwachte: ich befand mich auf der Erde.
Die Welle der Vorbeigehenden zog mich mit sich: geschubst, begab ich mich im Gedränge vorwärts. Es verging eine Weile, ehe ich die riesigen Ausmaße dieser Halle richtig erkannte. War es übrigens eine Halle? Keinerlei Wände; eine weiße, glitzernde, in der Höhe aufgehaltene Explosion von unwahrscheinlichen Flügeln, zwischen ihnen – Säulen, die nicht aus irgendeinem Material, sondern aus schwindelerregender Bewegung aufschossen. Hochstürmende, riesige Wasserfälle einer Flüssigkeit, die dichter als Wasser war, von innen her mit bunten Scheinwerfern erleuchtet? Nein; gläserne senkrechte Tunnel, durch die verwischte Unmengen von Fahrzeugen nach oben flitzten? Nun wußte ich nichts mehr. Immerfort geschubst und geschoben in der emsig eilenden Menge, versuchte ich auf einen leeren Platz zu gelangen, aber leere Plätze gab es hier keine. Um einen Kopf größer als die, welche mich umringten, sah ich, wie das nun leere Geschoß sich entfernte – nein, wir waren es, die mitsamt dem ganzen Bahnsteig vorwärts schwammen. Von der Höhe schossen Lichter herab, in denen die Menge funkelte und irisierte. Nun eine Fläche, auf der wir zusammengedrängt standen, die aber nach oben zu führen begann. Unten, weit schon, sah ich doppelte weiße Streifen, voller Menschen, mit schwarzen, gähnenden Hohlräumen, die reglosen Schiffskörper entlang – solche Schiffe wie das unsere gab es Dutzende –, der bewegliche Bahnsteig kurvte, beschleunigte sein Tempo, ging zu höheren Ebenen über. Schnelle längliche Schatten flatterten darüber – ihr Luftzug sträubte den Stehenden das Haar –, zitterten über unglaubliche, jeder Stütze entbehrende Viadukte mit länglichen Streifen von Signallichtern; dann teilte sich die uns tragende Ebene, sie trennte sich entlang unsichtbarer Striche, mein Teil glitt durch Innenräume voller stehender und sitzender Menschen, die von vielen kleinen Glitzerlichtern umgeben waren, als ob sie lauter buntes Feuerwerk wären.
Ich wußte nicht, wo ich hinsehen sollte. Vor mir stand ein Mann in etwas Flaumigem, das unter Lichteinwirkung wie Metall opalisierte. Er hatte sich bei einer scharlachrot gekleideten Frau untergehakt. Ihr Kleid hatte ein Muster aus großen Augen, fast wie Pfauenaugen, und diese Augen zwinkerten. Nein, es war keine Illusion: die Augen ihres Kleides öffneten und schlossen sich wirklich. Der Gehsteig, auf dem ich hinter den beiden anderen unter Dutzenden von Menschen stand, beschleunigte seine Fahrt noch mehr. Zwischen weiß-rauchigen Glasflächen öffneten sich bunt beleuchtete Passagen mit durchsichtigen Decken, die ohne Unterlaß durch Hunderte von Füßen auf dem höheren, nächsten Stock getreten wurden; das allumfassende Rauschen ergoß oder verdichtete sich wieder, wenn Tausende mir unverständliche, menschliche Stimmen und Töne – die aber für die anderen von Bedeutung waren – wieder von einem Tunnel auf dieser Reise mit unbekanntem Ziel verschluckt wurden. Tiefer, auf weiteren Ebenen, wurde die Umgebung ständig von vorbeifliegenden, mir unbekannten Fahrzeugen durchkreuzt – vielleicht Flugkörpern –, da sie manchmal schräg nach oben oder nach unten gingen, sich in den Raum hineinbohrten, derart, daß ich instinktiv einen fürchterlichen Zusammenprall erwartete, denn ich sah keine Führungsschiene, überhaupt keine Schienen –, falls es Luftbahnen sein sollten. Hörten diese verschwommenen Orkane der Eile auch nur für einen Augenblick auf, so tauchten hinter ihnen majestätisch langsame Riesenebenen voller Menschen auf, wie fliegende Landungsplätze, die in verschiedene Richtungen führten, sich kreuzten, schwebten, durch perspektivische Täuschung ineinander überzugehen schienen. Das Auge fand kaum einen Ruhepunkt, weil die gesamte Architektur der Umgebung einzig aus Bewegung zu bestehen schien, aus Veränderungen. Sogar das, was ich ursprünglich für eine fliegende Decke hielt, bestand aus übereinander hängenden Stockwerken. Plötzlich drang in alle Biegungen der Ebene, ins Innere der Tunnel, durch die wir flogen, in die Gesichtszüge der Menschen, durch die Glasdecken und rätselhaften Säulen filtriert, von den silbernen Flächen reflektiert, ein schwerer, purpurner Glanz, als ob irgendwo in der Ferne, in der Mitte dieses Riesenbaues, ein Atomfeuer ausgebrochen wäre. Das Grün der immerfort hüpfenden Neonlichter wurde schmutzig, die Milch der parabelförmigen Stützpfeiler färbte sich rosig. Ich betrachtete diese plötzliche Sättigung der Luft mit einem roten Schein als Anzeichen einer Katastrophe. Aber niemand beachtete die Veränderung im geringsten, und ich selbst konnte nicht einmal sagen, wann sie aufhörte.
An den Rändern unseres Gehsteigs erschienen schnell rotierende grüne Kreise, wie in der Luft hängende Neonringe. Dann ging ein Teil der Menschen auf die heranrückende Abzweigung eines anderen Steigs oder einer schiefen Ebene; ich sah, daß man die grünen Linien gefahrlos überqueren konnte, als ob sie nicht materiell wären.
Ich ließ mich eine Zeitlang willenlos von dem weißen Gehsteig tragen, bis mir die Idee kam, daß ich vielleicht schon außerhalb des Bahnhofs sei und diese unglaubwürdige Landschaft aus verschiedenartig gebogenem Glas, das ständig fast wie zu einem Flug anhob, eben die Stadt war – die andere aber, die ich verließ, womöglich nur in meinem Gedächtnis existierte.
»Entschuldigung«, tippte ich die Schulter des pelzgeschmückten Mannes, »wo sind wir?«
Beide sahen sie mich an. Ihre Gesichter, die sie mir entgegenhoben, trugen den Ausdruck von Überraschung. Ich hegte die schwache Hoffnung, daß dies nur durch meine Größe verursacht würde.
»Auf dem Polydukt«, sagte der Mann. »Welchen Kontakt haben Sie?«
Ich verstand überhaupt nichts.
»Sind wir … sind wir noch auf dem Bahnhof?«
»Klar …«, erwiderte er, doch etwas zögernd.
»Und … wo befindet sich der Innere Kreis?«
»Den haben Sie bereits verpaßt. Sie müssen wiederholen.«
»Einen besseren Raster bekommen Sie vom Merid«, mischte sich da die Frau ein. Alle Augen ihres Kleides schienen mich mit mißtrauischem Staunen zu betrachten.
»Raster?« wiederholte ich ratlos.
»Ja, dort«, sie zeigte auf eine durch den heranschwimmenden grünen Kreis sichtbare leere Anhöhe mit schwarz-silbrigen, gestreiften Seiten, wie der Rumpf eines etwas komisch angemalten, auf der Seite liegenden Schiffs. Ich dankte und ging vom Gehsteig weg, wohl an der falschen Stelle, da mir die Geschwindigkeit fast die Beine lähmte. Ich fing mich wieder, erlangte das Gleichgewicht, drehte mich dabei aber derart, daß ich nicht wußte, nach welcher Seite ich jetzt gehen sollte. Ich überlegte, was da zu tun wäre. Inzwischen hatte sich der Ort meines Umsteigens ziemlich weit von der schwarz-silbrigen Anhöhe entfernt, die mir die Frau gezeigt hatte, ich konnte sie nicht mehr finden. Da die Mehrheit der neben mir Stehenden auf eine schiefe Ebene hinüberging, die nach oben führte, tat ich dasselbe. Bereits hier sah ich eine riesige, reglos in der Luft brennende Inschrift DUKT CENTR – die weiteren Buchstaben entgingen dem Auge, sie waren zu riesenhaft. Lautlos wurde ich auf einen kilometerlangen Bahnhof hinaufgetragen, von dem soeben ein spindelförmiges Schiff abfuhr, das beim Steigen seinen lichtdurchlöcherten Boden zeigte. Vielleicht war diese walartige Gestalt auch ein Bahnsteig, und ich befand mich auf dem »Raster«. Ringsum war Leere, so daß ich nicht einmal jemanden fragen konnte. Ich befand mich auf dem verkehrten Weg. Ein Teil meines »Bahnsteigs« bestand aus flachgedrückten Räumen ohne Vorderwände. Näher kommend sah ich eine Art von schwach beleuchteten, niedrigen Boxen, in denen reihenweise schwarze Maschinen parkten. Ich hielt sie für Autos. Aber als die zwei, die mir am nächsten waren, sich herausschoben und – ehe ich Zeit hatte zurückzutreten – vorbeifuhren, indem sie sofort eine große Schnelligkeit entwickelten, sah ich — ehe sie in der Perspektive parabolischer Queren verschwanden –, daß sie keinerlei Räder, Fenster oder Türen hatten, aerodynamisch wie riesige, schwarze Tropfen. ›Autos oder nichts dachte ich, jedenfalls ist es wohl ein Parkplatz?‹ Vielleicht der »Raster«? Ich meinte, das Beste wäre zu warten, bis jemand käme, dann könnte ich mit ihm fahren, oder zumindest würde er mir etwas sagen. Mein Bahnsteig, leicht angehoben wie der Flügel eines unmöglichen Flugzeugs, blieb aber leer. Nur die schwarzen Maschinen entglitten einzeln oder zu mehreren ihren Metallunterschlüpfen und entfernten sich immer in derselben Richtung. Ich ging bis an den Bahnsteigrand, bis sich wieder die unsichtbare elastische Kraft meldete, die Sicherheit verhieß. Der Bahnsteig hing wirklich in der Luft, durch nichts gestützt. Als ich den Kopf hob, sah ich andere, die ihm ähnlich waren, reglos im Raum schweben, mit gelöschten Lichtern; an anderen wieder, wo die Schiffe ankamen, brannten die Lichter. Es waren keine Raketen, nicht einmal Geschosse wie das erste, das mich von der Luna brachte.
Ich stand so lange, bis ich auf dem Hintergrund irgendwelcher Hallen – übrigens wußte ich nicht, ob sie eine Widerspiegelung dieser hier oder Realität waren – feurige rhythmisch durch die Luft segelnde Buchstaben sah: SOAMO SOAMO SOAMO – Pause, ein blaues Leuchten und dann NEONAX NEONAX NEONAX. Vielleicht Namen von Stationen, vielleicht Reklame von Produkten. Sie sagten mir gar nichts.
Höchste Zeit, diesen Mann aufzufinden, dachte ich, drehte mich um, fand einen in der umgekehrten Richtung fließenden Gehsteig und fuhr auf ihm herunter. Es erwies sich, daß es nicht dieselbe Ebene und nicht einmal die Halle war, von der ich nach oben gelangte: ich erkannte es am Fehlen der großen Säulen. Vielleicht aber waren die Säulen irgendwohin verzogen; möglich schien mir alles.
Ich befand mich in einem ganzen Wald von Springbrunnen; weiter fand ich einen weißen und rosa Saal voller Frauen. Im Vorbeigehen schob ich wie von ungefähr meine Hand in den Strom des beleuchteten Springbrunnens, vielleicht weil es angenehm war, irgend etwas auch bloß ein bißchen Bekanntes anzutreffen. Ich spürte aber nichts dabei; denn dieser Springbrunnen hatte kein Wasser. Nach einer Weile schien mir, daß ich Blumenduft spürte. Ich legte meine Hand an die Nase. Die Hand roch wie tausend Toilettenseifen. Unwillkürlich trocknete ich sie an meiner Hose. Ich stand bereits vor dem Saal, der voller Frauen, nichts als Frauen war. Es sah nicht nach einem Vorraum von Damentoiletten aus, aber das war am Ende nicht sicher. Ich wollte nicht fragen, kehrte also um. Ein junger Mann, kostümiert, als wäre etwas wie zerfließendes Quecksilber an seinen Schultern zu Puffärmeln verarbeitet und um die Hüften hauteng zusammengezogen, unterhielt sich mit einem blonden Mädchen, das den Rücken gegen den Springbrunnen lehnte. Das Mädchen trug ein ganz gewöhnliches helles Kleid, das mir etwas Mut gab. Es hielt einen Strauß blaßrosa Blumen, steckte das Gesicht hinein und lachte mit den Augen den Jungen an. Im letzten Moment, als ich bei ihnen stand und bereits den Mund aufmachte, erkannte ich, daß die junge Dame diese Blumen aß. Für einen Augenblick verschlug es mir die Sprache. Sie kaute ruhig an den zarten Blättern. Sie hob die Augen und sah mich an. Ihr Blick wurde reglos. Daran war ich schon gewöhnt. Ich fragte, wo sich der Innere Kreis befände.
Der Junge schien unangenehm überrascht, sogar böse, daß jemand sich erkühnte, ihr Zusammensein zu stören. Da hatte ich offenbar etwas Ungehöriges getan. Seine Blicke wanderten an mir hinauf und herab: vielleicht suchte er nach Stelzen. Er sagte kein einziges Wort.
»Da, dort!« rief das Mädchen. »Rast auf Wuka, Ihr Raster, Sie schaffen es noch, schnell!«
Ich rannte in die gezeigte Richtung, ohne zu wissen wohin; immer noch hatte ich keine Ahnung, wie dieser verfluchte »Raster« aussah. Nach zehn Schritten bemerkte ich einen silbrigen Trichter, der von der Höhe herabsank, es konnte der Sockel einer dieser Riesensäulen sein, die mich vorher so sehr erstaunt hatten – waren es etwa fliegende Säulen?
Menschen eilten aus allen Richtungen dorthin. Und plötzlich stieß ich mit einem zusammen. Ich schwankte nicht mal, stand bloß wie angewurzelt: der andere, ein behäbiger Mann in leuchtendem Orange, fiel hin. Da geschah mit ihm etwas Unglaubliches: sein Pelz oder Anzug schien welk zu werden, er fiel in sich zusammen wie ein durchlöcherter Luftballon. Ich stand verdutzt über ihm, so perplex, daß ich nicht imstande war, eine Entschuldigung zu murmeln. Er stand auf, sah mich schief an, sagte aber nichts. Er drehte sich um und ging mit großen Schritten weiter. Dabei fummelte er ein bißchen vorn an der Brust herum –, und sein Anzug füllte sich wieder und strahlte orange auf …
Der Platz, den mir das Mädchen gezeigt hatte, war leer. Es gab weder Trichter noch »Raster«. Nach diesem Abenteuer verzichtete ich auf die Suche nach dem Inneren Kreis und nach irgendeinem weiteren Kontakt. Ich beschloß, aus diesem merkwürdigen Bahnhof hinauszugelangen. Also fuhr ich auf gut Glück in Richtung eines schrägen blauen Pfeils nach oben. Ohne große Aufregung durchdrang ich mit meinem Körper zwei aufeinander folgende leuchtende Inschriften: LOKALE BEZIRKE. Ich geriet auf eine ziemlich bevölkerte Rolltreppe. Das nächste Stockwerk war im Ton dunkler Bronze gehalten, getigert mit goldenen Ausrufungszeichen. Fließende Deckenübergänge und versenkbare Wände. Gänge ohne Bedachung, die oben in etwas wie leuchtende Daunen getaucht waren. Es machte den Eindruck, als näherte man sich nun irgendwelchen bewohnten Räumen: das Milieu hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem System gigantischer Hotelhallen. Kleine Fenster, Nickelrohre entlang der Wände, Nischen mit Leuten, die darin amtierten – vielleicht waren es Wechselstuben, vielleicht die Post. Ich ging weiter.
Beinahe war ich schon überzeugt, daß ich auf diese Art nie zu einem Ausgang gelangen würde. Wenn ich die ungefähre Fahrtdauer nach oben berechnete, mußte ich mich noch in dem freischwebenden Bahnhofsteil befinden: ich hielt auf alle Fälle weiter dieselbe Richtung ein.
Plötzlich war Leere um mich. Himbeerfarbene Platten mit funkelnden Sternchen, Reihen von Türen. Die nächste war nur angelehnt. Ich sah hinein: irgendein großer breitschultriger Mann tat im selben Moment dasselbe, bloß von der entgegengesetzten Seite aus, ich war es selbst – im Spiegel. Ich öffnete die Tür etwas weiter: Porzellan, silbrige Rohre, Nickel – Toiletten.
Fast hätte ich gelacht, aber im Grunde war ich eher benommen. Ich drehte mich schnell um: ein anderer Gang, milchweiße vertikal fließende Streifen. Die Lehne der Rolltreppe war weich und warm, ich zählte die abwärts gleitenden Stockwerke nicht. Immer mehr Menschen fuhren mit mir aufwärts. Sie hielten bei emaillierten Kästen an, die bei jedem Schritt aus der Wand wuchsen: ein Druck mit dem Finger, irgend etwas fiel in die Hand, sie steckten es in die Taschen und gingen weiter. Ich weiß selbst nicht, warum ich genau dasselbe tat wie der Mann im weiten lila Anzug vor mir: eine Taste mit einer kleinen Vertiefung für die Fingerkuppe, ein Druck, und direkt in die vorgehaltene Hand fiel mir ein farbiges, halb durchsichtiges Röhrchen, das angewärmt schien. Ich schüttelte es, brachte es mir vor die Augen – irgendwelche Pillen? Nein. Ein Korken? Es hatte keinen Korken, überhaupt keinen Verschluß. Wozu diente es? Was machten die anderen damit? Sie steckten es in ihre Taschen. Die Aufschrift auf dem Automaten: LARGAN. Ich stand, wurde geschubst. Urplötzlich kam ich mir vor wie ein Affe, dem man eine Füllfeder oder ein Feuerzeug gibt; für eine Zehntelsekunde überkam mich blinde Wut, ich biß die Zähne zusammen. Blinzelnd und leicht gebeugt schloß ich mich dem Strom der Gehenden an. Der Gang erweiterte sich, war jetzt schon ein Saal. Feurige Lettern: REAL AMMO REAL AMMO.
Zwischen den Weitereilenden, über ihren Köpfen, erblickte ich ganz fern ein Fenster. Das erste Fenster. Panoramisch, riesig. Wie ein flachgelegtes Nachtfirmament. Bis zum Horizont von einem glühenden Nebel erfüllt – farbige Galaxien, dichtgedrängte spiralige Lichter, Feuerscheine zitternd über Wolkenkratzern, Straßen: eine wurmartige Bewegung der Leuchtperlen und darüber, senkrecht, das Wimmeln der Neone, Federbüsche und Blitze, Räder, Flugzeuge und Flaschen aus Feuer, rote Pusteblumen der Signallichter auf Türmen, Augenblicks-Sonnen und Blutstürze von Reklamen, mechanisch, gewaltig.
Ich stand und schaute, hörte hinter mir die rhythmische Bewegung Hunderter von Füßen. Plötzlich verschwand die Stadt, und ein riesiges, drei Meter großes Gesicht erschien.
»Wir brachten die Zusammenfassung der Chroniken aus den siebziger Jahren in dem Zyklus ›Visionen alter Hauptstädten Der Transtel überträgt jetzt seinen Bereich auf die Studien der Kosmolythen …«
Ich wollte hier weg. Das war ja gar kein Fenster. Irgendein Fernsehschirm. Ich beschleunigte den Schritt. Ich fing an zu schwitzen. Runter! Schneller! Goldene Lichtvierecke. Drinnen Menschenmengen, Schaum auf den Gläsern, eine fast schwarze Flüssigkeit, kein Bier, es hatte einen giftigen, grünlichen Schimmer. Und die Jugend, Jungen und Mädchen, umarmt, zu sechst, zu acht, über die ganze Breite der Passagen, kam mir entgegen. Sie mußten ihre Hände lösen, um mich durchzulassen. Ich zuckte zusammen. Ohne es zu merken, betrat ich den beweglichen Steig. Ganz nah sah ich erstaunte Augen – ein herrliches, dunkles Mädchen, angetan mit etwas, das wie phosphoreszierendes Metall an ihr leuchtete. Der Stoff lag hauteng an: sie war wie nackt. Gesichter – weiße, gelbe; einige große Schwarze, doch ich war immer noch der Größte. Man gab mir den Weg frei.
Oben, hinter gewölbten Scheiben, flogen flatternde Schatten, spielten unsichtbare Orchester. Und hier dauerte die eigenartige Promenade an, in dunklen Passagen – Frauengestalten ohne Kopf: Daunen, die ihre Schultern bedeckten, leuchteten so, daß nur der herausragende Hals sich darin – wie ein weißer Stiel – heller ausnahm, und ein Schein über ihrem Haar flimmerte – selbstleuchtender Puder? Der enge Durchgang führte mich zu einer Reihe grotesker, weil beweglicher, ja sogar recht bewegter Standbilder; etwas in der Art einer breiten, an den Seiten erhöhter Straße dröhnte vor Lachen. Man amüsierte sich; was amüsierte sie wohl so sehr – diese Skulpturen?
Riesige Figuren im konischen Scheinwerferlicht; ein rubinrotes, honigfarbenes Licht zäh wie Sirup, floß aus ihnen. Ich ging willenlos, hielt die Augen fest geschlossen, verlor mich. Eine steile grüne Passage, groteske Pavillons, Pagoden, die man über kleine Brücken betrat, lauter kleine Lokale, der Duft von Gebratenem, scharf, aufdringlich, hinter Glasscheiben ganze Reihen von Gasflämmchen: ein Geklirr von Glas, metallische, sich wiederholende, unverständliche Laute. Die Menge, die mich hier hineinschwemmte, stieß mit einer anderen zusammen; dann lockerte sie sich, alle stiegen in einen von beiden Seiten offenen Waggon ein. Nein, er war nur durchsichtig, wie aus Glas gegossen, sogar die Sitze – obwohl weich – schienen wie aus Glas. Ich wußte gar nicht, wie ich da hineinkam – wir fuhren schon. Der Wagen raste, die Menschen schrien lauter als der Lautsprecher, der immer wiederholte: »Ebene Meridional, Ebene Meridional, Kontakte zu Spiro, Atale, Blekk, Frosom!«
Der ganze Wagen schien, von Lichtgarben durchstochen, zu schmelzen, die Wände flogen mit Flammen- und Farbstreifen vorbei, parabolische Bogen, weiße Bahnsteige. »Forteran, Forteran, Kontakte zu Galee, Kontakte der Außenraster, Makra«, verkündete der Lautsprecher. Der Wagen hielt, sauste dann weiter – ich entdeckte etwas Staunenswertes: man spürte weder das Bremsen, noch die Beschleunigung, als ob die Trägheit abgeschafft worden wäre. Wie war das möglich? Ich überprüfte es, indem ich an drei aufeinanderfolgenden Haltestellen leicht die Knie beugte. In den Kurven ebenfalls nichts. Menschen stiegen ein und aus, auf der vorderen Plattform stand eine Frau mit einem Hund, noch nie hatte ich so einen Hund gesehen: riesig, mit einem Kugelkopf, sehr häßlich, in seinen nußbraunen, ruhigen Augen spiegelten sich die nach hinten laufenden, verkleinerten Lichtgirlanden wider.
RAMBRENT, RAMBRENT. Es schwirrten weiße und bläuliche Neonröhren. Treppen aus Kristallicht, schwarze Fronten, das Licht versteinerte allmählich, der Wagen stand. Ich stieg aus und war verblüfft.
Über dem amphitheatral vertieften Schild der Haltestelle reckte sich, in verschiedene Ebenen geteilt, die wohlbekannte Konstruktion, ich befand mich immer noch auf dem Bahnhof, nur an einer anderen Stelle derselben gigantischen Halle. Ich ging bis zum Rand der geometrisch genauen Vertiefung – der Waggon war bereits abgefahren – und war wieder erstaunt: nicht unten befand ich mich, wie mir schien, sondern vielmehr oben, etwa vierzig Stockwerke hoch über den Bändern jener aus der Tiefe gesehenen Gehsteige, über den silbernen Decken der stets gleichmäßig vorbeieilenden Bahnsteige: lange, schweigende Körper fuhren dazwischen ein. Die Menschen kamen durch zahlreiche Klappen heraus, als ob diese Ungeheuer, diese chromglitzernden Fische in regelmäßigen Zeitabschnitten schwarze und bunte Roggenhaufen absonderten. Über all diesen Dingen sah ich weit hinten, durch einen Nebel der Entfernung, bewegt wie auf einem unsichtbaren Seil, goldene Buchstaben: GLENIANA ROON DIE HEUTE DURCH DIE AUFNAHME EINES MIMORPHISCHEN REALS WIEDERKOMMT EHRT IN EINEM ORATORIUM DAS ANDENKEN VON RAPPER KERX POLITER. TERMINAL TAGESZEITUNG GIBT BEKANNT: PETIF ARGUE BRACHTE HEUTE IN AMMONLEE DAS ERSTE ENSOM ZUR SYSTOLYSIERUNG. DIE STIMME DES GROSSEN GRAVISTIKERS BRINGEN WIR UM SIEBENUNDZWANZIG UHR. SIEG ARRAKERS. ARRAKER WIEDERHOLTE SEINEN ERFOLG ALS ERSTER OBLITAERITER DER SAISON IM TRANSVALL STADION. Ich ging weiter. Also hat sich sogar die Zeitrechnung verändert. Metallische Stoffe der Frauenkleider, vom Licht der Riesenlettern getroffen, die wie ganze Reihen brennender Seiltänzer über dem Meer von Menschköpfen liefen, erzitterten plötzlich mit kleinen Flammen. Ich ging, ohne es zu wissen, und irgend etwas wiederholte in mir immer wieder: »Also hat sich sogar die Zeit geändert.« Das gab mir fast den Rest. Mit offenen Augen sah ich nichts. Ich wollte nur eins: heraus hier, aus diesem verflixten Bahnhof, unter den freien Himmel, in einen freien Raum, wo man die Sterne sehen und den Wind fühlen konnte.
Eine Allee langgezogener Lichter zog mich an; im durchsichtigen Stein der Decke schrieb wieder etwas – die Buchstaben zog eine scharfe, in Alabaster eingeschlossene Flamme TELETRANS TELEPORT TELETHON. Durch eine Bogentür – nur war es ein schier unmöglicher, aus den Fugen geratener Bogen, wie das Negativ eines Raketenschnabels – gelangte ich in einen Saal, der mit vereistem, goldenem Feuer bedeckt war. In den Wandnischen – Hunderte von Kabinen. Menschen liefen da hinein, eilten wieder hinaus, warfen zerrissene Streifen auf den Boden, nein, keine Telegrammstreifen, es war etwas anderes, mit ausgestanzten Knöpfchen, andere traten auf diese Fetzen. Ich wollte hinaus, trat irrtümlich in einen dunklen Raum, etwas surrte dort, dann leuchtete es wie eine Fotolampe auf, und aus einer mit Metall eingefaßten Ritze glitt ein zusammengelegter Bogen glitzernden Papiers. Ich nahm ihn, öffnete, und ein menschlicher Kopf mit nicht ganz geschlossenen, leicht verzerrten, dünnen Lippen sah mich mit blinzelnden Augen an: ich selbst war es! Ich legte das Papier wieder zusammen, und der Plastikspuk verschwand. Langsam öffnete ich die Bogenränder – nichts – etwas weiter – da kam er wieder, wie aus dem Nichts, ein Kopf, wie vom Rumpf abgeschnitten, mit einem nicht gerade intelligenten Ausdruck, über dem Papier schwebend. Einen Augenblick lang sah ich mein eigenes Gesicht an – was war es wohl, ein dreidimensionales Foto? Ich steckte den Bogen in die Tasche und ging. Die goldene Hölle schien auf die Köpfe der Menschen herabzufallen, eine Decke aus Feuermagma, unwirklich, aber wie ein wirkliches Feuer wütend. Niemand sah hin. Die Leute liefen emsig von einer Kabine zur anderen, grüne Buchstaben hüpften im Hintergrund, Zahlenkolonnen flössen auf schmalen Scheiben hinunter, noch andere Kabinen, Rollos statt Türen, die blitzartig beim Herannahen hochschnellten – endlich fand ich den Ausgang.
Ein Korridor mit abschüssigem Boden wie manchmal im Theater. Aus den Wänden schossen stilisierte Muscheln, oben liefen endlos die Worte: INFOR INFOR INFOR.
Einen Infor sah ich zum ersten Male auf der Luna und meinte, daß es eine künstliche Blume wäre.
Ich brachte mein Gesicht dicht an den hellgrünen Kelch, der sofort, noch ehe ich die Lippen öffnete, in Erwartung erstarrte.
»Wo kann ich hier raus?« fragte ich nicht sehr geistreich.
»Wohin?« erwiderte sofort eine warme Altstimme.
»In die Stadt.«
»In welches Viertel?«
»Egal.«
»Auf welche Ebene?«
»Egal. Ich will aus dem Bahnhof heraus!«
»Meridional, Raster: einhundertsechs, einhundertsiebzehn, null acht, null zwei. Tridukt, Ebene AF, AG, AC, Mythenebene Rundweg, zwölf und sechzehn, Nadir-Ebene führt in jede südliche Richtung. Zentral-Ebene, Glider, lokal – rot, fern – weiß A, B, und W. Ulder-Ebene, unmittelbar, sämtliche Eskale vom dritten an nach oben …«, rezitierte singend eine Frauenstimme.
Ich hatte Lust, das Mikrofon aus der Wand zu reißen, das sich da so besorgt meinem Gesicht zuwandte. Ich ging. »Idiot! Du Idiot!« wiederholte ich mir bei jedem Schritt. EX, EX, EX, wiederholte eine oben vorbeigleitende, mit zitronengelbem Nebel eingefaßte Inschrift. Ist es vielleicht Exit? Der Ausgang?
Eine Riesenaufschrift: EXOTAL. Ich gelangte plötzlich in einen starken Luftstrom voller Wärme, so daß meine Hosenbeine flatterten. Ich befand mich unter freiem Himmel. Aber die Nachtdunkelheit, durch die Menge der Lichter entrückt, hing weit entfernt im Raum. Ein Riesenrestaurant – Tischchen, deren Oberflächen in verschiedensten Farben leuchteten, daher etwas unheimlich von unten beleuchtete Gesichter darüber, voll tiefer Schatten. Niedrige Sessel, Gläser mit einer schwarzen grünschäumenden Flüssigkeit, Lampions, die kleine Funken sprühten, nein, eher Glühwürmchen, Mengen von brennenden Nachtfaltern. Ein Lichterchaos löschte die Sterne. Als ich den Kopf hob, sah ich nur eine schwarze Leere. Trotzdem erstaunlich genug: ihre blinde Existenz gab mir irgendwie Mut. Ich stand und schaute.
Jemand berührte mich im Vorüberstreifen, ich spürte Parfümduft, scharf und leicht zugleich, ein Paar ging vorbei, das Mädchen wandte sich dem Mann zu, ihre Schultern und Brüste verschwanden in einer flaumigen Wolke, er nahm sie in seine Arme, sie tanzten. ›Tanzen tun sie noch‹, dachte ich. ›Auch gut.‹ Das Paar tat ein paar Schritte, ein blasses Quecksilberparkett hob es mit anderen Paaren hoch, ihre dunkelroten Schatten bewegten sich unter seiner riesigen und sich langsam drehenden Platte; das Parkett war nicht gestützt, hatte nicht einmal eine Achse. Es drehte sich, in der Luft hängend, zu den Klängen der Musik. Ich ging zwischen den Tischchen durch. Die weiche Plastikmasse, auf der ich ging, hörte nun auf, sie grenzte an einen rauhen Felsen. Durch einen Lichtvorhang ging ich weiter und fand mich in einer Felshöhle. Es sah aus wie zehn oder fünfzig gotische Kirchenschiffe aus Stalaktiten zusammen. Adern förmige Infiltrationen perlenartiger Minerale umschlossen die Höhlenausgänge, Menschen saßen da, ihre Beine hingen in die Leere, zwischen ihren Knien brannten flackernde Flämmchen, unten aber weitete sich ungetrübt der schwarze Spiegel eines unterirdischen Sees aus, in dem sich die Felsen widerspiegelten. Dort, auf nachlässig zusammengebastelten kleinen Flößen, ruhten ebenfalls Menschen, die alle nach einer Seite schauten.
Ich ging bis an den Rand des Wassers und sah auf der anderen Seite, auf dem Sand, eine Tänzerin. Sie schien mir nackt zu sein, aber das Weiß ihres Körpers war unnatürlich. Mit kleinen, schwankenden Schritten lief sie auf das Wasser zu, und als sie sich darin widerspiegelte, öffnete sie plötzlich die Arme und neigte den Kopf – es war der Schluß, doch niemand applaudierte. Die Tänzerin verharrte einige Sekunden regungslos, ging dann langsam am Ufer entlang, an dessen ungeraden Linien herum. Sie war wohl dreißig Schritte von mir entfernt, als etwas mit ihr geschah. Eben noch sah ich ihr lächelndes, erschöpftes Gesicht, und plötzlich wurde es irgendwie verdunkelt, ihre Silhouette erzitterte und verschwand.
»Eine Piave für den Herrn?« hörte ich hinter mir eine höfliche Stimme. Ich drehte mich um, niemand, nur ein ovales Tischchen, das sich auf komisch gebogenen Beinchen bewegte: es ging, die Gläser mit einer schäumenden Flüssigkeit, die reihenweise seitlich auf Tabletts standen, erzitterten dabei – ein Arm reichte mir höflich das Getränk, der andere griff schon nach dem Teller mit einer Öffnung für den Finger – der Teller sah einer kleinen, konkaven Palette ähnlich. Es war ein Automat, ich sah hinter dem Hauptglas die aufleuchtende Glut seines Transistorherzens.
Ich ging vorbei an den untertänig herausgestreckten Käferarmen, mit Leckerbissen belastet, die ich verschmähte. Ich verließ die künstliche Grotte, die Zähne zusammenbeißend, als ob mir eine unverständliche Demütigung angetan worden wäre. Ich ging über die ganze Terrassenbreite, zwischen den S-förmigen Tischchen durch, unter den Lampion-Alleen, überschüttet vom leichten Staub der zerfallenden, schon sterbenden, schwarzen, goldenen Glühwürmchen.
Dicht am Ufer, das mit altem, vom gelblichen Pflanzenbelag wie umnebeltem Stein eingefaßt war, fühlte ich endlich den wirklichen, reinen und kühlen Windhauch. Daneben stand ein freies Tischchen. Ich setzte mich, unbequem, den Rücken den anderen Menschen zugekehrt. Ich sah in die Nacht. Unten erweiterte sich das Dunkel, gestaltlos und unerwartet. Erst in der Ferne, weit in der Ferne, glühten an seinen Rändern dünne, schwankende, unsichere Lichter auf, als ob es gar kein elektrisches Licht wäre. Und noch weiter schossen in den Himmel kalte, dünne Lichtdegen, ich wußte nicht, waren es Häuser oder irgendwelche Masten. Ich hätte sie für Scheinwerfergarben gehalten, wären sie nicht mit einem feinen Netz bedeckt gewesen – so könnte wohl ein mit seinem Oberteil in den Boden gerammter Glaszylinder aussehen, voller abwechselnd konkaver und konvexer Linsen. Unwahrscheinlich hoch mußten sie sein, um sie herum rieselten pulsierende Lichter, von einem Kranz orangenfarbenen, dann wieder fast weißen Schimmers eingefaßt. Das war alles, so sah die Stadt aus; ich versuchte Straßen zu finden, sie zu erraten, aber die dunkle tote Fläche da unten zog sich nach allen Seiten hin, von keinem Funken erhellt.
»Kol?…« hörte ich, wohl nicht zum ersten Mal ausgesprochen, obwohl ich es am Anfang nicht auf mich bezog. Ehe ich mich noch richtig umgedreht hatte, tat es der Sessel für mich. Vor mir stand ein vielleicht zwanzigjähriges Mädchen in dicht anliegendem Hellblau. Schultern und Busen waren in dunkelblauen Daunen verloren, die nach unten zu immer durchsichtiger wurden. Ihr schöner, schlanker Bauch war wie eine Skulptur in atmendem Metall. In den Ohren hatte sie etwas Leuchtendes, das so groß war, daß man die Ohrmuscheln nicht sehen konnte. Ihre kleinen, unsicher lächelnden Lippen waren geschminkt, die Nasenlöcher innen auch rot – ich hatte bemerkt, daß die Mehrheit der Frauen sich so zurechtmachte.
Sie faßte mit beiden Händen die Lehne des mir gegenüberstehenden Sessels und fragte: »Was gibt’s bei dir, Kol?«
Sie setzte sich.
Ich hatte den Eindruck, daß sie etwas betrunken war.
»Langweilig hier«, meinte sie wieder nach einer Weile. »Nicht? Nehmen wir uns mal, Kol?«
»Ich bin nicht Kol…«, antwortete ich.
Sie stützte die Ellbogen auf das Tischchen und bewegte die Hand mit einem halbgefüllten Glas. Das Ende eines Goldkettchens, das sie um die Finger trug, tauchte dabei in die Flüssigkeit. Sie bog sich immer mehr vor. Ich spürte ihren Atem. Wenn sie betrunken war, so nicht von Alkohol.
»Wieso?« sagte sie. »Du bist es. Mußt es sein. Jeder ist ein Kol. Willst du? Nehmen wir uns?«
Wenn ich bloß wüßte, was das bedeuten sollte.
»Gut«, sagte ich.
Sie stand auf. Auch ich stand von dem schrecklich niedrigen Sessel auf.
»Wie machst du das?« fragte sie.
»Was?«
Sie sah auf meine Füße.
»Ich dachte, du würdest auf den Zehenspitzen stehen…«
Ich lächelte schweigend. Sie kam auf mich zu, nahm meinen Arm und staunte wieder.
»Was hast du denn da?«
»Wo, hier? Nichts.«
»Du singst ja«, sagte sie und zog mich leicht mit sich. Wir gingen zwischen den Tischchen durch, und ich überlegte dabei, was wohl dieses »du singst« bedeuten konnte – vielleicht meinte sie »du mogelst«?
Sie brachte mich an eine dunkelgoldene Wand, wo ein violinschlüsselähnliches Zeichen leuchtete. Als wir dicht davor waren, öffnete sich die Wand. Ich spürte einen Hauch heißer Luft. Der schmale, silberne Eskalator schwamm hinunter. Wir hielten. Sie reichte mir nicht bis an die Schulter. Sie hatte einen Katzenschädel, schwarzes, blau leuchtendes Haar, ein vielleicht allzu scharfes Profil, doch sie war hübsch. Nur diese scharlachroten Nasenflügel… Sie hielt mich fest mit schlanker Hand, ihre grünen Fingernägel gruben sich in den dicken Stoff meiner Wolljacke ein. Unwillkürlich lächelte ich nur mit den Winkeln meiner Lippen, als ich daran dachte, wo diese Jacke bisher schon überall gewesen war und wie wenig sie mit Frauenfingern zu tun hatte.
Unter einem Gewölbe, das Lichter atmete – von Rosa bis Karminrot und von Karminrot bis Rosa gelangten wir auf die Straße. Das heißt, ich dachte, es wäre die Straße, doch jeden Augenblick erhellte sich die Dunkelheit über uns wie bei plötzlichem Morgengrauen. In der Ferne flössen lange, niedrige Silhouetten vorbei, wie Autos. Indessen wußte ich bereits, daß es keine Autos mehr gab. Es mußte etwas anderes sein. Wäre ich allein gewesen, hätte ich durch diese Straße zu einer weiteren Abzweigung gehen können: weiter leuchteten nämlich die Buchstaben: ZUM ZENTRUM. Wahrscheinlich aber bedeutete das gar nicht Stadtzentrum. Im übrigen ließ ich mich führen. Wie dieses Abenteuer auch enden sollte, ich hatte endlich eine Führerin gefunden und dachte an den unglückseligen Kerl, der jetzt, drei Stunden nach meiner Ankunft, mich wohl mit sämtlichen Infors dieser Bahnhofsstadt suchte.