Kurt Faber

Gesammelte Reiseberichte

Reisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Kurt Faber

Gesammelte Reiseberichte

Reisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962816-21-6

null-papier.de/654

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Inhaltsverzeichnis

Dem Glücke nach durch Süd­ame­ri­ka

Die See­len­ver­käu­fer

Mit dem Ruck­sack nach In­di­en

Rund um die Erde

Tage und Näch­te in Ur­wald und Sier­ra

Tau­send und ein Aben­teu­er

Un­ter Es­ki­mos und Wal­fisch­fän­gern

Welt­wan­de­rers letz­te Fahr­ten und Aben­teu­er

Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis

In­dex

Dan­ke

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Dem Glücke nach durch Südamerika

Vorwort

Die­ses Buch ist zu­erst und vor al­lem ge­schrie­ben für dich. Für dich, der du mit den Au­gen der Ju­gend über alle bö­sen Zei­ten hin­weg noch frisch und un­be­küm­mert in die Welt hin­ein schau­en kannst; für dich, der du die Fer­ne noch blau und ver­lo­ckend win­ken siehst; der du noch nie die Träu­me und Il­lu­sio­nen hast zer­rin­nen se­hen über dem grau­en Wirk­lich­keits­lan­de, und der du nicht weißt, was es heißt, durch lan­ge Jah­re mit em­si­ger Ge­duld, und oft auch mit ver­bis­se­ner Wut, ein Luft­schloss zu bau­en aus Hoff­nun­gen und Ent­wür­fen, um sie am Ende zu be­gra­ben; so tief, ach Gott, so tief!

Für dich vor al­lem habe ich die­ses Buch ge­schrie­ben.

Da­mit du dar­aus ler­nest?

Ach, ich glau­be nicht, dass man aus Bü­chern et­was ler­nen kann! Wenn ich mir jetzt, zum Schluss, die­se Ge­schich­ten noch ein­mal an­se­he, wenn ich be­den­ke, wie wirr und ver­wor­ren es da­bei zu­wei­len zu­geht, wie da die Men­schen auf­tau­chen und wie­der ver­schwin­den, wie al­les in flim­mern­der Be­we­gung ist und nichts sich gleich bleibt, als nur die auf­rei­ben­de Un­ru­he, die rast­los vor sich sel­ber da­von­läuft; und wenn ich mir die Men­schen be­trach­te, die leicht­sin­nig und ge­dan­ken­los in den Tag hin­ein le­ben in die­ser ge­fähr­li­chen Un­ter­welt der Ta­ge­die­be und da­bei ein leid­li­ches Le­ben ma­chen, und da­ne­ben die an­de­ren, die ihr Leb­tag nichts ge­kannt ha­ben als Mühe und Ar­beit und am Ende den­noch lie­gen ge­blie­ben sind am We­grand des Le­bens, so muss ich mich fra­gen: »Was kann man dar­aus ler­nen?«

Was sind wir denn – wir Men­schen? Ach, wir sind rast­los ge­schäf­tig mit tau­send Plä­nen und tau­meln den­noch durchs Le­ben, wie es dem Schick­sal ge­fällt!

Oder doch nicht?

Vor drei Jah­ren habe ich von mei­nen Fahr­ten und Aben­teu­ern »Un­ter Es­ki­mos und Wal­fisch­fän­gern« er­zählt. Nun sind es wie­der die­sel­ben Dumm­hei­ten un­ter an­de­ren Zo­nen. Sie sind in­zwi­schen nicht klei­ner ge­wor­den. Manch­mal, über dem Schrei­ben, wenn ich von ei­ner be­son­ders bocks­bei­ni­gen Be­ge­ben­heit be­rich­ten muss­te, da habe ich un­will­kür­lich die Fe­der an­ge­hal­ten: »Nein, so kannst du es nicht er­zäh­len …« Aber dann habe ich doch al­les so er­zählt, wie es sich zu­ge­tra­gen hat. Denn die Wahr­heit ist ein strup­pi­ger Ge­sel­le, der durch das Fri­sie­ren nicht schö­ner wird.

Und ge­ra­de über Süd­ame­ri­ka soll man heu­te mehr denn je der Wahr­heit auf die Spur hel­fen, zu­mal dann, wenn man von Ar­gen­ti­ni­en re­det.

Ar­gen­ti­ni­en ist heu­te die große Mode im deut­schen Va­ter­land. Die Zahl der Bü­cher über Ar­gen­ti­ni­en wird im­mer grö­ßer, und zahl­los ist die Schar der Agen­ten, die heu­te land­auf, land­ab durch Deutsch­land zie­hen und den vie­len, all­zu vie­len, für die heu­te der Tisch nicht mehr ge­deckt ist im deut­schen Va­ter­land, das neue Land der un­be­grenz­ten Mög­lich­kei­ten in den glü­hends­ten Far­ben schil­dern.

So kommt nun die­ses Buch ge­wis­ser­ma­ßen mit­ten hin­ein in die­se ar­gen­ti­ni­sche Hoch­sai­son. Es ist kei­ne Lan­des­be­schrei­bung und kei­ne wirt­schaft­li­che Ab­hand­lung. Es bringt kei­ne hoch­tra­ben­den Sta­tis­ti­ken, an de­nen sich nie­mand satt es­sen kann. Es er­zählt nur von den wech­sel­vol­len Schick­sa­len ei­nes ar­men Grin­go,1 der auf der Su­che nach dem täg­li­chen Brot – und wohl auch noch nach an­de­ren Din­gen – von Ort zu Ort, von Land zu Land ge­trie­ben wur­de. Von Hun­ger und Not ist hier die Rede, von end­los lan­gen Wan­de­run­gen auf der Jagd nach dem biss­chen Ar­beit und Ver­dienst in den hei­ßen Stra­ßen der frem­den Städ­te, von kal­ten Näch­ten am küm­mer­li­chen Camp­feu­er, von schlam­pi­gen Frau­ens­per­so­nen in schmut­zi­gen Ma­tro­sen­spe­lun­ken. Und doch – und doch –

Ah! Wenn ich noch ein­mal so jung wie da­mals wäre und wüss­te was ich heu­te weiß – ja, auch wenn ich wüss­te was ich heu­te weiß! – so wür­de ich noch ein­mal mein Sach auf Nichts stel­len; noch ein­mal wür­de ich mich auf die St­rümp­fe ma­chen, um es zu su­chen über Län­der und Mee­re: das Glück, das Glück!

Aber in ei­nem, ja in ei­nem wür­de ich ver­nünf­ti­ger sein: Nicht mehr wie da­mals wür­de ich mich an den We­grand set­zen und war­ten, bis es ge­flo­gen käme gleich den Tau­ben im Schla­raf­fen­lan­de. Ich wür­de mich auf das gute alte, haus­ba­cke­ne Sprich­wort be­sin­nen, dass ein je­der sei­nes Glückes Schmied ist, und ich wür­de auch ein we­nig da­nach han­deln. Ein­mal habe ich ir­gend­wo ein Sprüch­lein ge­le­sen, des­sen Wahr­heit ich oft schon be­stä­tigt ge­fun­den habe mit ver­brann­ten Fin­gern und zer­schun­de­ner Nase, und das ich doch so oft, so oft auch heu­te noch ver­ges­se:


»Das Glück im Sturm be­zwun­gen
Ist fei­ger To­ren Wahn,
Er­kämpft nur und er­run­gen
Ge­hör­t’s dir wirk­lich an.«

Lam­brecht i. d. Pfalz, Au­gust 1919.

Kurt Fa­ber.


  1. In Süd­ame­ri­ka ge­bräuch­li­che, et­was ge­ring­schät­zi­ge Be­zeich­nung für den ger­ma­ni­schen Ein­wan­de­rer.  <<<

Der Anfang in Buenos Aires

Ab­schied von der »Per­nam­bu­co«. – Mis­ter Chi­ca­go, der Kö­nig der Rei­se­kof­fer. – Eine Lek­ti­on in re­pu­bli­ka­ni­scher Frei­heit. – Kriegs­rat im Ho­tel Kaiser­hof. – Auf dem Pa­seo de Ju­lio. – Et­was von den Lei­den und Freu­den der Ar­beits­lo­sen. – An der Boca. – Ge­or­get­te, die Ver­füh­re­rin. – Doña El­vi­ra sucht einen Haus­leh­rer. – Ein Blick in die Welt, in der man sich lang­weilt. – Im­mer noch ar­beits­los. – Und nun?

Nein, nie­mals wer­de ich je­nen Tag ver­ges­sen! Es war ein hel­ler, von Son­nen­schein über­glänz­ter Tag aus je­ner Zeit kurz vor dem großen Krie­ge, die uns heu­te schon in sa­gen­haf­te Fer­nen ge­rückt scheint. Groß und breit lag die »Per­nam­bu­co« an der Dar­se­na Nor­te. Die Lauf­plan­ken führ­ten nach dem Pier hin­un­ter, und al­les mach­te sich fer­tig, umso schnell wie mög­lich in das Land der Ver­hei­ßung zu ge­lan­gen. Seit der Abrei­se von Ham­burg war es an Bord nicht mehr so leb­haft zu­ge­gan­gen. Oben auf der Kom­man­do­brücke hat­te sich der Ka­pi­tän schon ganz hei­ser ge­schri­en. Die Dampf­win­den ras­sel­ten über den of­fe­nen Lu­ken, und das Groß­deck füll­te sich mit Kis­ten und Kof­fern. Al­les schrie und rann­te durch­ein­an­der. Auf dem Pro­me­na­den­deck stand un­ter dem Schat­ten ei­ner rie­si­gen Sports­müt­ze ein äl­te­rer Herr mit ei­nem an­sehn­li­chen Bäuch­lein, auf dem eine di­cke gol­de­ne Uhr­ket­te glänz­te. Die Hän­de hat­te er tief in den Ta­schen sei­ner wei­ßen Lei­nen­ho­sen ver­gra­ben, wäh­rend die Au­gen die Schar der ge­schäf­ti­gen Ste­wards mus­ter­ten, die das Rei­se­ge­päck her­bei­schaff­ten. Zu im­mer grö­ße­ren Di­men­sio­nen wuchs der Berg vor ihm auf. Le­der­kof­fer, Rohr­plat­ten­kof­fer, Rei­se­kör­be, Rei­se­de­cken, und dann im­mer wie­der Kof­fer auf Kof­fer. Mis­ter Chi­ca­go war heu­te ganz Bu­si­neß­man. Sonst – wäh­rend der gan­zen Rei­se von Ham­burg her – war er stets die Lie­bens­wür­dig­keit selbst ge­we­sen. An je­dem Mor­gen wuss­te er ein neu­es schnur­ri­ges Ge­schicht­chen, und wenn er bei ganz gu­ter Lau­ne war, so pfleg­te er sich mit mir zu un­ter­hal­ten in ei­nem ur­ko­mi­schen Deutsch-Ame­ri­ka­nisch. Nie­mand wuss­te, wo­her er kam und was er war. Man wuss­te nur, dass er zu sei­nen Leb­zei­ten vie­le Dol­lars ge­macht hat­te und heu­te zum min­des­ten wohl eine Mil­li­on wert war. Und weil er in sei­nem Äu­ße­ren et­was an sich hat­te, das an die be­kann­ten Fäs­ser von Ar­mours Packing Hou­se er­in­ner­te, hat­te ihn bald je­der­mann Mis­ter Chi­ca­go ge­nannt.

Heu­te war er mir wi­der­wär­tig, die­ser Mis­ter Chi­ca­go. Sie wa­ren mir alle wi­der­wär­tig, die­se Men­schen, die ich in die­sem Mo­nat ken­nen ge­lernt hat­te, wie man nur an Bord Schiff die Men­schen ken­nen lernt, und die nun auf ein­mal alle in ih­rer Ge­schäf­tig­keit so gleich­gül­tig an mir vor­über­eil­ten. Das war ein Ge­tue mit die­sen Kis­ten und Kof­fern, das war ein Grü­ßen und Küs­sen und Umar­men, ein Win­ken und Schrei­en von dem Pier nach dem Schiff und wie­der zu­rück, dass ei­nem übel da­bei wer­den konn­te. Wo aber – so frag­te ich mich – wo ist ei­ner, der dir zu­win­ke? Ist ei­ner un­ter die­ser Men­ge von Schreihälsen, dem es nicht voll­stän­dig ei­ner­lei wäre, ob du hier bist oder nicht? Ist denn ei­ner in die­sem wei­ten Lan­de Ar­gen­ti­ni­en, der den Teu­fel nach dir frag­te? Miss­mu­tig schau­te ich hin­un­ter auf das wim­meln­de Le­ben an dem Pier und über die Ha­fen­schup­pen hin­weg auf das graue Häu­ser­meer, wo die flim­mern­de Hit­ze des hei­ßen Nach­mit­tags über den fla­chen Dä­chern tanz­te. Ent­setz­lich ein­sam und ver­las­sen kam ich mir vor in die­sem Lan­de Ar­gen­ti­ni­en.

Da kam auf ein­mal Mis­ter Chi­ca­go auf mich zu, um »s­ha­ke hands« zu ma­chen. Er klopf­te mir wohl­wol­lend auf die Schul­ter, wie das wäh­rend der gan­zen Rei­se so sei­ne Art ge­we­sen war. Eine ver­flucht ver­trau­lich-in­ti­me, über­le­ge­ne, her­ab­las­sen­de, vä­ter­lich-wohl­wol­len­de Art, die mich schon oft ge­är­gert hat­te. Heu­te aber hät­te ich ihn dar­um lie­ben mö­gen.

»Das hier,« sag­te Mis­ter Chi­ca­go mit ei­ner um­fas­sen­den Hand­be­we­gung, »das ist Ar­gen­ti­ni­en. Ein fei­nes Land; ein ver­dammt fei­nes Land – a very fine coun­try, in­de­ed! – Die Dol­lars lie­gen hier auf der Stra­ße für den, der es der Mühe wert hält, sie auf­zu­he­ben; aber man muss die Au­gen auf­ma­chen und die Ohren steif hal­ten. Man muss die El­len­bo­gen tüch­tig ge­brau­chen. Und wenn dir ei­ner et­was in den Weg le­gen will, so box’ ihn auf die Nase. Ich hab’s auch so ge­macht. – Ah, so jung möch­te ich auch noch ein­mal sein und al­les noch ein­mal von vor­ne an­fan­gen; das gan­ze när­ri­sche Le­ben mit sei­nem Auf und Ab und al­lem was drum und dran hängt. Aber das ist ja nun al­les vor­bei – man fängt an alt zu wer­den, wenn man in die Sech­zig kommt. – Good bye, my boy

»Auf Wie­der­se­hen, Mis­ter Chi­ca­go.«

Nicht ein­mal mehr schau­te er sich um. Schwer und wür­de­voll – je­der Zoll ein er­folg­rei­cher Bu­si­neß­man – schritt er in­mit­ten ei­nes Schwarms von trink­geld­hung­ri­gen Ge­päck­trä­gern das Gang­plank hin­un­ter.

Lan­ge schau­te ich ihm nach. Die­ser Mann im­po­nier­te mir. Nicht durch sei­ne Stel­lung und nicht durch sei­nen Reich­tum, aber um sei­ner Fes­tig­keit, um sei­ner Selbst­si­cher­heit wil­len be­nei­de­te ich ihn. Ein­mal wohl – so dach­te ich mir – in spä­ten, spä­ten Jah­ren, da könn­te auch so et­was wie Ruhe in den auf­ge­wühl­ten Vul­kan mei­ner un­ru­hi­gen, ab­wechs­lungs­durs­ti­gen See­le ein­tre­ten, und alle Un­ru­he und alle Rast­lo­sig­keit wür­de sich le­gen und glät­ten, wie die Wo­gen des wil­den Mee­res zu ei­nem plät­schern­den Wäs­ser­lein, das still und be­schau­lich dem Zie­le ent­ge­gen­läuft, wo al­les ein Ende hat. Ja, so ein Mis­ter Chi­ca­go woll­te ich auch ein­mal wer­den. –

Kaum war ich drun­ten auf dem Pier im Lan­de der Frei­heit an­ge­langt, als ein Schwarm von wild ges­ti­ku­lie­ren­den ita­lie­ni­schen Laz­zaro­ni über mich her­fiel. Rings um mich her wir­bel­te es von hun­dert brau­nen Hän­den und kohl­schwar­zen Au­gen. Schmut­zi­ge Fin­ger ho­ben sich be­schwö­rend vor mei­nen Au­gen und hun­dert Keh­len schri­en sich hei­ser in ei­ner Spra­che, von der ich kein Wort ver­stand. Plötz­lich pack­te ei­ner mei­nen Rohr­plat­ten­kof­fer und rann­te da­mit fort in ei­nem Tem­po, das ei­ner vom leib­haf­ti­gen Teu­fel ver­folg­ten ar­men See­le alle Ehre ge­macht hät­te. Er war noch kei­ne hun­dert Me­ter weit ge­kom­men, als ein vier­schrö­ti­ger Mann mit ei­ner mäch­ti­gen Schirm­müt­ze ihn am Na­cken pack­te und ohne vie­le Um­stän­de zu Bo­den warf.

»Da sind Sie noch ein­mal gut weg­ge­kom­men,« sag­te der Frem­de auf Deutsch, als ich mei­nen Kof­fer ein­ge­holt hat­te. »Der Kerl hät­te Sie mit­samt Ihren paar Hab­se­lig­kei­ten in eine von den ita­lie­ni­schen Spe­lun­ken am Pa­seo de Ju­lio ge­lotst, wo die brau­nen Ha­lun­ken Ih­nen das Geld schef­fel­wei­se ab­ge­nom­men hät­ten. Die Sor­te lun­gert im­mer hier her­um und war­tet auf einen Dum­men. Kom­men Sie lie­ber mit mir.«

Ich war da­mit ein­ver­stan­den, und wir fuh­ren in ei­ner Drosch­ke in ra­sen­dem Ga­lopp da­von. Ich brauch­te nicht erst zu fra­gen, wo­hin er mich führ­te. Es stand groß auf sei­ner Müt­ze in di­cken Gold­buch­sta­ben: »Ho­tel Kaiser­hof«.

Wir wa­ren noch nicht weit ge­kom­men, als das Pferd sich auf­bäum­te und mit ei­nem hef­ti­gen Ruck bei­sei­te sprang. Es hat­te Ur­sa­che dazu, denn mit­ten auf dem Wege lag – häss­lich an­zu­se­hen – ein to­ter Gaul. Schwar­ze Mücken­schwär­me um­summ­ten den auf­ge­trie­be­nen Kör­per. Die Au­gen starr­ten glä­sern in den blau­en Him­mel.

»Das liegt hier schon seit ges­tern Vor­mit­tag,« sag­te der Mann mit der Müt­ze.

»Wa­rum schafft man’s denn nicht weg?« frag­te ich ver­wun­dert.

»Wa­rum? – ja, das kann ich selbst nicht sa­gen. Man ist eben nicht in Deutsch­land. Das hier ist eine freie Re­pu­blik, wo je­der tun und las­sen kann, was er will. Wenn ich so et­was weg­schaf­fen will, so schaff’ ich es weg, und wenn ich kei­ne Lust dazu habe – nun, dann bleibt es eben lie­gen! Hier hat mir nie­mand et­was zu be­feh­len. Ein je­der ist frei, und alle Men­schen sind gleich hier­zu­lan­de. Wenn der Finanz­mi­nis­ter in sei­ner Staats­kut­sche hier vor­über fährt, so ste­cke ich die Hän­de nur noch tiefer in die Ho­sen­ta­schen, und gu­cke ihm frech ins Ge­sicht, und fällt mir gar nicht ein, dass ich ihn grü­ße! Se­hen Sie, so bin ich, und so darf ich sein, denn dies hier ist ein frei­es Land. – Und wenn gar Sei­ne Ex­zel­lenz, der Herr Prä­si­dent der Re­pu­blik sel­ber mit sei­nem Zy­lin­der­hut über die Stra­ße geht, so ma­che ich ex­tra noch einen Um­weg, um ihn auf die Lack­schu­he zu tre­ten. – Ja, da stau­nen Sie, Herr. So et­was soll­te sich ein­mal ei­ner un­ter­ste­hen bei euch in Ber­lin Un­ter den Lin­den, wenn der Kai­ser vor­über­geht!«

Nach die­sen ein­lei­ten­den pa­trio­ti­schen Be­mer­kun­gen kam er zwang­los auf die hohe Po­li­tik zu spre­chen. Es trei­be sich hier zur­zeit viel Ge­sin­del her­um, noch von der letz­ten Wel­taus­stel­lung her. Es wim­me­le von An­ar­chis­ten, Ter­ro­ris­ten und an­de­ren dunklen Ehren­män­nern. Die hät­ten noch vor kur­z­em einen Ge­ne­ral­streik in­sze­niert und man habe das Stand­recht ver­hän­gen müs­sen, um dem Un­fug ein Ende zu ma­chen. Der Bun­des­prä­si­dent – so mein­te er – sei ein ver­stock­ter Kle­ri­ka­ler und habe alle Li­be­ra­len und De­mo­kra­ten, bis hin­un­ter zum kleins­ten Po­li­zei­die­ner, um ihre Stel­len ge­bracht. »Das ist die Mode hier­zu­lan­de. Wer an der Krip­pe sitzt, der ver­teilt die Beu­te. Und so ist es auch gut. Wenn man schon ein­mal Prä­si­dent ist, dann auch gleich or­dent­lich, sage ich. Die an­de­ren wer­den sich schon schad­los hal­ten, wenn sie an die Rei­he kom­men. Denn die­ses ist ein frei­es Land.«

Wir wa­ren in­zwi­schen im Ho­tel an­ge­langt, wo ein ge­schnie­gel­ter und ge­bü­gel­ter, bis zur Sünd­haf­tig­keit höf­li­cher Se­kre­tär mir ein Hei­den­geld ab­nahm für acht Tage Kost und Woh­nung.

»Neh­men Sie sich in acht, jun­ger Mann,« sag­te der mit be­sorg­ter Mie­ne, »Sie sind hier nicht in Deutsch­land. Es gibt hier vie­le Spitz­bu­ben, de­nen man’s gar nicht an­sieht. Die han­deln mit falschen Pe­sos und un­ech­ten Lot­te­rie­lo­sen. Sie ge­ben sich als lie­be Lands­leu­te aus und lo­cken einen in die Ka­schem­men, wo man aus­ge­plün­dert wird bis aufs Hemd. Und wenn man so zum ers­ten Mal von Deutsch­land kommt –«

Doch schon war ich drau­ßen, und der Schluss der wohl­ge­mein­ten Rede ging un­ter im Lärm der Stra­ße. – Für was die Leu­te mich hier an­schau­ten! Wohl gar für ein kras­ses Grün­horn? – Zum ers­ten Mal von Deutsch­land! Wenn der wüss­te –

Stun­den­lang ließ ich mich ziel­los trei­ben durch das wim­meln­de Le­ben der frem­den Stadt; durch end­los lan­ge Stra­ßen, über wei­te schat­ten­lo­se Plät­ze un­ter der drücken­den De­zem­ber­hit­ze der süd­li­chen Halb­ku­gel und auf stau­bi­gen Bou­le­vards bis hin­auf zum Ri­go­let­to, dem be­rühm­ten Kirch­hof, wo die To­ten nicht wie sonst un­ter der Erde lie­gen, son­dern fein säu­ber­lich in den Schub­la­den der Mar­mor­so­ckel auf­ge­bahrt sind, und tau­send kost­ba­re Denk­mä­ler – ei­nes im­mer ge­schmack­lo­ser wie das an­de­re – mit ei­nem Wort: Kitsch – sich in der abend­li­chen Däm­me­rung zu ei­ner Ge­s­pens­ter­ga­le­rie zu­sam­men­fin­den. Un­ver­se­hens war die Nacht her­ein­ge­bro­chen, und ein Meer von Lich­tern leuch­te­te über den fla­chen Dä­chern der großen Stadt. Tan­zen­de, flim­mern­de, schrei­en­de Lich­ter hin­ter grel­len Re­kla­me­schil­dern. Ja, Sun­light­sei­fe und Sin­ger­näh­ma­schi­nen sind an den En­den der Erde im­mer noch die bes­ten.

Das also – so sag­te ich mir, – das ist Bue­nos Ai­res! Am Ende war es eine Stadt wie alle an­de­ren. Und doch – ich hät­te hun­dert Au­gen ha­ben mö­gen, um al­les zu se­hen.

Wenn ich heu­te da­sit­ze und mich be­mü­he, die Ein­drücke je­ner Stun­den zu ei­nem Bil­de zu­sam­men­zu­fas­sen – zu ei­nem Bil­de von Bue­nos Ai­res – so geht das al­les wild in mei­nem Kop­fe durch­ein­an­der, wie die Lich­ter vor den Schil­dern mit der Sun­light­sei­fe.

Was soll man von Bue­nos Ai­res er­zäh­len?

Enge, end­los lan­ge Stra­ßen, nied­ri­ge Häu­ser und drücken­de Son­nen­hit­ze über fla­chen Haus­dä­chern. Auf den Stra­ßen und Plät­zen ein in­ter­na­tio­na­les Le­ben und Trei­ben in al­len Zun­gen der Erde. Spa­nier, Ita­lie­ner, Eng­län­der, Fran­zo­sen, Deut­sche. Nur den Ar­gen­ti­ner fin­det man nicht. Bue­nos Ai­res ist die Stadt der Wi­der­sprü­che. Fast jede Na­ti­on die­ser Erde hat ir­gend­wo in die­sem He­xen­kes­sel ein Stück­chen ih­res ei­ge­nen Le­bens auf­ge­baut. Da zieht sich durch das Zen­trum der Stadt ein brei­ter, statt­li­cher Bou­le­vard; die Ave­ni­da de Mayo. Es ist ein Klein-Pa­ris. Die­sel­ben ho­hen Häu­ser wie am Bou­le­vard des Ita­li­ens oder in der Rue de Ri­vo­li. Die­sel­ben run­den Mar­mor­tisch­chen un­ter den Bäu­men, die­sel­ben be­frack­ten Kell­ner, die­sel­ben bil­li­gen Ka­va­lie­re hin­ter dem Sy­phon und dem ho­hen Gla­se mit dem gift­grü­nen Ab­sinth. Und es ist doch nicht Pa­ris.

Da gibt es ir­gend­wo in der Nähe des Ha­fens ein paar Häu­ser­blocks, in de­nen sich nach nord­ame­ri­ka­ni­scher Bau­wei­se un­end­lich vie­le Stock­wer­ke über­ein­an­der­tür­men. Rich­ti­ge Wol­ken­krat­zer; al­les »a­me­ri­can sty­le« und doch nur ein Mi­nia­tur-Chi­ca­go.

Wie­der kommt man in eine ver­träum­te Vor­stadt, die hun­dert Jah­re hin­ter der Zeit zu­rück ist. Kei­ne ja­gen­den Au­tos auf grau­en As­phalt­stra­ßen, kei­ne bim­meln­de Stra­ßen­bahn, nicht ein­mal schrei­en­de Zei­tungs­jun­gen. Still, still ist es hier; so still, dass man das Gras zwi­schen dem hol­pe­ri­gen Pflas­ter wach­sen hört. Klei­ne, fla­che, grell an­ge­stri­che­ne Häu­ser säu­men die en­gen Gas­sen. Sie keh­ren alle das Ge­sicht nach in­nen, und der Au­ßen­welt zei­gen sie bloß graue Mau­ern, ver­git­ter­te Fens­ter und ei­ser­ne Tore mit ka­sti­li­schen Lö­wen auf den schwe­ren Klöp­peln. Sol­ches Bild könn­te man un­schwer auch in ei­nem ab­ge­le­ge­nen Stadt­teil von Va­len­cia oder Ca­diz, oder in ir­gend­ei­nem an­de­ren grö­ße­ren Pue­blo1 von An­da­lu­si­en fin­den.

Ein an­der­mal sind wir in ei­ner fins­te­ren Ge­gend mit grau­en, düs­te­ren Häu­sern, wo die Ar­mut zu Hau­se ist und das Elend in vie­len Stock­wer­ken über­ein­an­der wohnt, wo flat­tern­de Wä­sche an lan­gen Lei­nen von Haus zu Haus ge­spannt ist, und das gan­ze In­nen­le­ben sich mit der Non­cha­lan­ce des Sü­dens weit in die Stra­ßen hin­aus baut. Kar­ten­spie­len­de Laz­zaro­ni mit kohl­schwar­zen Haar­schöp­fen und schar­fen Mes­sern in den lan­gen Hem­d­är­meln sit­zen auf den aus­ge­tre­te­nen Haustrep­pen, und klei­ne dunkle Bam­bi­nos hän­gen sich an die Rock­schö­ße des Vor­über­ge­hen­den: »Per­mes­so, si­gno­re, si­gno­re!« – ganz ein ame­ri­ka­ni­sches Nea­pel.

Und wenn man dann wie­der – doch nein, ich will kein Buch über Bue­nos Ai­res schrei­ben.

*

Es war spät in der Nacht, als ich end­lich wie­der nach dem Ho­tel zu­rück­fand. Ich war tod­mü­de, aber schla­fen konn­te ich nicht, denn tau­send Ge­dan­ken gin­gen mir durch den Kopf. – Wie es mir wohl er­ge­hen wür­de in die­ser kal­ten, bö­sen Welt? Ob ich mein Glück ma­chen wür­de auf die­sem hei­ßen Pflas­ter, und der­einst als ge­mach­ter Mann, wie die­ser Mis­ter Chi­ca­go, mit zahl­lo­sen Kof­fern und Kis­ten und ei­nem Dia­mant­ring an je­dem Fin­ger nach Deutsch­land zu­rück­keh­ren wür­de? Oder – ja, das war im­mer­hin auch mög­lich! – ob man nicht in Not und Elend ver­kom­men wür­de zwi­schen die­sen grau­en Häu­sern; ge­stor­ben, ver­dor­ben im frem­den Lan­de, wie man es zu­wei­len in den Bü­chern las, und wie es lei­der so oft, so oft auch in Wirk­lich­keit vor­kommt? Dann schäm­te ich mich mei­ner Zag­haf­tig­keit. – Oho! Was ist nur in dich ge­fah­ren? Wie ein ver­zo­ge­nes Mut­ter­söhn­chen be­nimmst du dich, und nicht wie ei­ner, der sich schon in al­len Ecken und Win­keln der Erde her­um­ge­trie­ben hat. Bist du dro­ben im Eis­meer nicht um­ge­kom­men, so wirst du auch hier nicht zu­grun­de ge­hen, wo so vie­le an­de­re ihr Aus­kom­men fin­den. Im Nu war der Leicht­sinn wie­der da, und kna­ben­haf­te Fan­ta­sie fing an zu träu­men von Räu­bern und Gauchos und al­ler­lei an­de­ren exo­ti­schen Ca­bal­le­ros, von wei­ten Rei­sen über ei­si­ge Cor­dil­le­ren und son­ni­ge Pam­pa­flä­chen, bis das Däm­mer­grau des her­ein­bre­chen­den Ta­ges in die kah­le Stu­be fiel.

Wenn ich mir bis­her ein­ge­bil­det hat­te, der ein­zi­ge aben­teu­ern­de Bru­der Leicht­fuß in Bue­nos Ai­res zu sein, so wur­de ich an dem Mor­gen bald ei­nes an­de­ren be­lehrt. Dr­un­ten im Vor­zim­mer des Ho­tels rä­kel­te sich ein gu­tes Dut­zend von der Sor­te in den Korb­ses­seln. Jun­ge Hand­lungs­ge­hil­fen, ver­bum­mel­te Stu­den­ten, aus­ge­koch­te Mus­ter­rei­ter und sonst noch ver­schie­de­ne an­de­re Exis­ten­zen, die ihr Sach’ auf Nichts ge­stellt hat­ten, und de­nen der Leicht­sinn aus den hel­len Au­gen her­aus­schau­te. Sie schimpf­ten alle ge­wal­tig auf das »Af­fen­land«. Ein mo­disch ge­klei­de­ter Jüng­ling mit tief­lie­gen­den Au­gen ver­such­te den al­ten Ar­gen­ti­ner her­aus­zu­bei­ßen. Mit der gan­zen selbst­si­che­ren Über­le­gen­heit sei­ner zwan­zig Jah­re warf er mir einen Blick aus den Au­gen­win­keln zu.

»Bist wohl noch nicht lan­ge von drü­ben?« frag­te er her­ab­las­send.

»Seit ges­tern.«

»So siehst du auch aus. – Mensch, dir kann man ja das Grün­horn auf die gan­ze Län­ge der 25 de Mayo an­se­hen! So wie du hier auf­ge­macht bist, wer­den sie dir über­all in den Ge­schäf­ten die dop­pel­ten Prei­se ab­neh­men. Du musst dir einen Pa­na­ma­hut an­schaf­fen mit ei­nem blau-weiß-blau­en Ban­de, und eine him­melblaue Schmet­ter­lings­kra­wat­te, wie sie die Hie­si­gen tra­gen. Du musst dir einen lan­gen Haar­schöpf ste­hen las­sen, und eine ar­gen­ti­ni­sche Flag­ge im Knopf­loch tra­gen, denn sonst kannst du hier kei­ne Stel­le be­kom­men, wenn du auch die al­ler­schöns­ten Zeug­nis­se hast. – Hast du über­haupt Zeug­nis­se?«

»Ge­wiss.«

»Und Emp­feh­lun­gen?«

»Auch das.«

»Nun, dann nimm den gan­zen Plun­der und steck’ ihn in den Ofen, oder wirf ihn in den La Pla­ta, wo er am tiefs­ten ist! Je eher, je bes­ser, denn mit so et­was lockt man hier kei­nen Hund hin­ter dem Ofen her­vor. Das kannst du mir glau­ben, denn ich ken­ne mich aus in die­sen Din­gen! Seit ei­nem Mo­nat habe ich hier so ziem­lich al­les ver­sucht, was es zwi­schen Him­mel und Erde gibt, um eine Stel­le zu be­kom­men. Gan­ze Tage und hal­be Näch­te lang habe ich hier ge­ses­sen und Brie­fe ge­schrie­ben an die ver­schie­de­nen Bon­zen in den deut­schen Ge­schäf­ten; einen im­mer schmal­zi­ger als den an­de­ren. Sie sind alle in den Pa­pier­korb ge­wan­dert. Scha­de für die schö­ne Tin­te! Wer hier eine Stel­le ha­ben will, der muss die Herr­schaf­ten per­sön­lich auf­su­chen in den Bü­ros. Da kannst du dann et­was er­le­ben, wenn du auf die Fahrt steigst! Wenn der Chef dich nicht hin­aus­wirft, so tut’s ge­wiss der Bü­ro­chef, und wenn sie bei­de nicht da sind, so flucht der Lehr­bu­be mit dir auf Spa­nisch. Was meinst du wohl, für was sie un­serei­nen hier an­schau­en – – ›Ge­bil­de­ter jun­ger Mann aus Deutsch­land!‹ das ist hier al­les nichts, und nicht viel mehr als eine Be­we­gung im Wege; gut ge­nug, um lang­sam in den Stra­ßen zu ver­kom­men, wie kaum ein Hund bei uns zu Hau­se. Ich für mein Teil habe ge­nug von dem Af­fen­lan­de. Vor zwei Mo­na­ten, wie ich zu­erst hier an­ge­kom­men bin, habe ich den Kopf ge­ra­de so voll großer Ro­si­nen ge­habt wie du, aber seit­her bin ich gründ­lich ku­riert wor­den. Mit dem nächs­ten Damp­fer fah­re ich wie­der zu­rück nach Deutsch­land, und wehe dem, der mir dann noch ein­mal von Ar­gen­ti­ni­en re­det!«

Er hat­te laut und zor­nig ge­spro­chen, mit ei­ner bei­ßen­den Stim­me, die die an­de­ren auf­hor­chen mach­te. Ein bei­fäl­li­ges Ge­mur­mel kam aus al­len Ecken des Rau­mes. – Ja, so sei es. Ar­gen­ti­ni­en sei das trau­rigs­te Land der Welt; ein Land der Die­be, ein Land der Spitz­bu­ben, ein Land der Hun­ger­lei­der, mit ei­nem Wort: ein Af­fen­land. Ein je­der be­leg­te das Ge­sag­te mit Bei­spie­len aus sei­ner ei­ge­nen trau­ri­gen Er­fah­rung, und alle ohne Aus­nah­me wa­ren der Mei­nung, dass eher ein Ka­mel durch ein Na­delöhr gin­ge, als dass ein jun­ger Deut­scher, der nicht über be­son­de­re Spe­zi­al­kennt­nis­se ver­füg­te, in Bue­nos Ai­res eine Stel­le fän­de.

Da war aber ei­ner – ein star­ker Mann mit wet­ter­ge­bräun­tem Ge­sicht und ei­nem schwar­zen Voll­bart – der aus­sah, als ob er eben erst ei­nem Ger­stäcker­schen Rei­se­ro­man ent­lau­fen wäre – der schlug mit der großen Faust auf den Tisch, dass die Glä­ser tanz­ten.

»Lasst mich in Frie­den mit eu­rem Snack!« fuhr er die Ge­sell­schaft an, »tä­tet bes­ser dar­an, euch ein biss­chen mehr um­zu­se­hen, statt hier zu schwat­zen über das Af­fen­land. Das Land ist schon gut ge­nug; es sind die Men­schen dar­in, die nichts tau­gen. Was wisst ihr denn ei­gent­lich von Ar­gen­ti­ni­en? Was habt ihr von dem Lan­de ge­se­hen? Nichts als das biss­chen Bue­nos Ai­res, und auch da­von nur eine klei­ne Ecke von der Dar­se­na Nor­te bis nach der Pla­za de Mayo. Lasst euch doch ein­mal erst den Pam­pa­wind um die Ohren bla­sen, wenn ihr da mit­re­den wollt! Dort drau­ßen sind sie jetzt mit­ten in der Ern­te, und froh um je­den, der ih­nen da­bei hilft. – Ar­beit! Ho, die gibt es ge­nug für den, der ihr nicht aus dem Wege geht! Aber dazu seid ihr wohl zu gut. Nicht an­stän­dig, nicht stan­des­ge­mäß. Als ob man da­von satt wer­den könn­te! Ich bin auch nicht auf der Stra­ße auf­ge­le­sen. Drü­ben in Deutsch­land – Ca­ram­ba! – bin ich Korps­stu­dent ge­we­sen, aber in Ar­gen­ti­ni­en habe ich ge­tan wie die Ar­gen­ti­ner tun. Ei­nen di­cken Strich habe ich un­ter mein Le­ben ge­zo­gen. Ich habe die Är­mel auf­ge­krem­pelt und mich ohne vie­le Um­stän­de an die Ar­beit ge­macht. Erd­ar­bei­ter, Ma­tro­se, Stra­ßen­händ­ler, Zucker­bä­cker und Stra­ßen­bahn­schaff­ner bin ich ge­we­sen. Ich habe ge­lernt, mit Kü­hen und Mauleseln um­zu­ge­hen, ich kann die Heu­ga­bel han­tie­ren wie nur ei­ner, und mit dem großen Schei­ben­pflug kann ich euch eine Fur­che zie­hen, dass man sie mit dem Li­ne­al nach­mes­sen kann. Und das ist auch eine Kunst. Ver­hun­gern tut man da­bei nicht, und wer Zeit und Lust dazu hat, kann da­mit ein schö­nes Stück Geld ver­die­nen. Im vo­ri­gen Som­mer habe ich oben in San­ta Fé bei der Wei­zenern­te zwei­hun­dert Pe­sos ge­macht und dar­auf beim Mais­pflücken in Cor­ri­en­tes mehr als fünf­hun­dert Pe­sos. Wenn ich dar­auf aus wäre, so könn­te ich heu­te schon eine gan­ze Estan­cia be­sit­zen.«

Die an­de­ren wi­der­spra­chen hef­tig.

»Von we­gen Estan­cia! Kannst froh sein, wenn du nicht auf der Stra­ße ver­reckst in die­sem ge­seg­ne­ten Lan­de. – Und mit den paar Bat­zen, die du dir hier als Sai­son­ar­bei­ter ver­dient hast, brauchst du dich auch nicht dick zu tun. Dazu braucht man nicht übers Was­ser zu ge­hen. Das kön­nen die Po­la­cken bei uns zu Hau­se auch.«

Ich hör­te nur halb auf das Ge­re­de. Das Ar­gen­ti­ni­en, das ich mir in mei­ner Fan­ta­sie aus­ge­dacht hat­te, sah doch wohl in der grau­en Wirk­lich­keit et­was an­ders aus. Die ge­bra­te­nen Tau­ben flo­gen ei­nem of­fen­bar auch hier nicht in den Mund, und wenn man sich nicht bei­zei­ten um­tat – hm ja, – so konn­te man am Ende al­ler­lei böse Er­fah­run­gen ma­chen. – Aber wie und wo soll­te man sich wohl um­tun, wenn man zu et­was kom­men woll­te? Zwei­felnd und zö­gernd, voll trüber Ge­dan­ken, ging ich über die son­ni­ge Stra­ße, ohne recht zu wis­sen wo­hin. Ehe ich mich ver­sah, stand ich mit­ten auf dem Pa­seo de Ju­lio, der sich drun­ten am Ha­fen ent­lang der Lan­dungs­brücken hin­zieht. Dort ist es im­mer le­ben­dig. Kei­ne Stun­de des Ta­ges sieht ein Ab­flau­en in dem Men­schen­strom, der sich dort un­ter den schat­ti­gen Ar­ka­den auf und ab wälzt. Denn hier ist der stän­di­ge Jahr­markt des Ärms­ten der Ar­men in Ar­gen­ti­ni­en, des Pe­ons. Hier ist es, wo er in den sel­te­nen frei­en Ta­gen sei­nes müh­se­li­gen Le­bens sei­ne be­schei­de­nen Ein­käu­fe be­sorgt und sei­nen an­spruchs­lo­sen Ver­gnü­gun­gen nach­geht und am Ende wie­der sei­ne ei­ge­ne Haut zu Mark­te trägt.

Es ist nicht sehr ge­heu­er am Pa­seo de Ju­lio. Es wim­melt von aben­teu­er­li­chen Ge­stal­ten, meis­tens Spa­ni­ern und Ita­li­e­nern, in al­len Sta­di­en der Zer­lumpt­heit; so wie sie eben der Heu­scho­ber ei­ner fer­nen Estan­cia oder das schmut­zi­ge Zwi­schen­deck ei­nes Über­see­damp­fers von sich ge­ge­ben ha­ben. Bar­fuß und bar­häup­tig, mit blau­en Ar­beits­klei­dern, an de­nen noch der Heu­sa­men hängt, oft auch mit ei­nem gro­ben Sack auf dem Rücken, in dem sie ihre Hab­se­lig­kei­ten mit­füh­ren. Vor ei­nem fins­te­ren, muf­fi­gen Alt­wa­ren­ge­schäft, über des­sen Tür al­ler­lei schmut­zi­ge, mot­ten­zer­fres­se­ne Klei­dungs­stücke her­un­ter­hän­gen, steht ein ener­gi­scher se­mi­ti­scher Herr, der die kauf­kräf­tig er­schei­nen­den Vor­über­ge­hen­den ohne wei­te­re Um­stän­de in sei­ne Höh­le her­ein­zieht. »Kom­me Sie her­ein, Herr Lands­mann, werd’ ich Ih­nen ver­kau­fen a na­gel­nei­er Iber­zie­her für drei Pe­sos!« Ne­ben­an han­delt ein un­heim­lich aus­se­hen­der Ara­ber mit Mes­sern, Re­vol­vern und glä­ser­nen Dia­man­ten. Er ver­dient ein Hei­den­geld. Aber am bes­ten geht das Ge­schäft in den bil­li­gen Kaf­fee­häu­sern, wo man un­ge­stört die gan­ze Nacht an den schmut­zi­gen Ti­schen sit­zen und bei ei­ner Tas­se Kaf­fee oder ei­ner Por­ti­on »Eis­creme« aus ge­fro­re­nem So­da­was­ser die end­lo­sen Films, de­ren In­halt selbst ein weit­her­zi­ges Ge­müt als »et­was sehr frei« be­zeich­nen müss­te, vor den schau­lus­ti­gen Au­gen vor­über­zie­hen lässt.

An ei­ner Stra­ßen­e­cke hat ein Ar­bei­ter­agent sein Ge­schäft er­rich­tet. Die säu­ber­li­che Hand­schrift auf der rie­si­gen Ta­fel ver­kün­det die schö­nen Stel­len, die hier zu ver­ge­ben sind. Sie schreit es ins Pub­li­kum: »A la co­secha, mucha­chos! – cin­co pe­sos! cin­co pe­sos!« Und zu­wei­len kommt der Agent sel­ber an die Tür und hilft noch et­was nach mit schal­len­der Stim­me und dröh­nen­den Stock­schlä­gen auf die Ta­fel: »Drei­tau­send Peo­ne für die Ern­te in Cor­do­ba! – Fünf Pe­sos pro Tag! Fünf Pe­sos, Ca­bal­le­ros!«

Nicht weit da­von ist ein großer Auf­lauf. Mit lüs­ter­nen Bli­cken schau­en die klei­nen ita­lie­ni­schen Schuh­put­zer und Eis­ver­käu­fer in das ver­git­ter­te Schau­fens­ter, hin­ter dem sich die Gold­stücke und die Bank­no­ten al­ler Her­ren Län­der zu Hau­fen tür­men. Es ist die Agen­tur der »Ve­lo­ce«.

»Nach Ita­li­en – drei­ßig Gold­pe­sos!« schreit das große Schild über der Tür.

Lan­ge ste­hen sie da­vor, die großen und klei­nen Kin­der, und über­bie­ten ein­an­der im Ges­ti­ku­lie­ren. Was? Für drei­ßig Pe­sos nach Ita­li­en? Hat man je so et­was ge­hört? War­ten wir noch bis mor­gen! Vi­el­leicht geht er noch wei­ter im Prei­se her­un­ter! O dol­ce Ita­lia mia!

Das sind so ei­ni­ge von den Din­gen, die man se­hen kann am Pa­seo de Ju­lio, Neuyork hat sei­ne »Bo­we­ry«, San Fran­zis­ko sei­ne Bar­ba­ren­küs­te, über »Whi­techa­pel« in Lon­don brü­tet das Elend. In Al­to­na und Sankt Pau­li gibt es zu­wei­len auch al­ler­lei zu se­hen, was nichts für emp­find­li­che Ge­mü­ter ist, aber auf dem Pa­seo de Ju­lio sieht man mehr Ar­mut und Elend, als auf all’ die­sen Plät­zen zu­sam­men­ge­nom­men. –

Lang­sam und nach­denk­lich, mit ei­nem Her­zen voll Zwei­fel und Be­denk­lich­keit, schlen­der­te ich durch die­sen Jahr­markt der Ärm­lich­keit. – To be or not to be! – Hier war Ar­beits­ge­le­gen­heit in Hül­le und Fül­le; man brauch­te sich nur da­nach zu bücken. Von al­len Wän­den, von al­len Ta­feln, von grel­len Re­kla­me­schil­dern, aus hun­dert hei­se­ren Keh­len schrie es ei­nem ent­ge­gen: Ar­beit, Ar­beit, Ar­beit! – Und doch – und doch – im­mer wie­der, wenn ich an ei­ner sol­chen Ta­fel vor­bei­kam und die Lö­wen­stim­me der Agen­ten mir in den Ohren gell­te: »A la co­secha! A la co­secha, mucha­chos! Cin­co pe­sos! Cin­co pe­sos!« muss­te ich einen Au­gen­blick ste­hen blei­ben. Fünf Pe­sos! Das war kei­ne schlech­te Be­zah­lung. Mehr­mals war ich drauf und dran, einen von den zun­gen­fer­ti­gen Men­schen an­zu­spre­chen, aber im­mer wie­der schrak ich zu­rück vor dem bar­fü­ßi­gen Ge­wim­mel, das sich in der Türe dräng­te. – Ja, wenn auch nur ei­ner von de­nen einen Kra­gen, eine Kra­wat­te oder we­nigs­tens doch ein Paar or­dent­li­cher Schu­he ge­habt hät­te! Aber das lief ja al­les in Lum­pen her­um, in ei­nem Zu­stand der Ver­wahr­lo­sung, der nur am Pa­seo de Ju­lio nicht po­li­zei­wid­rig war. Ich habe nie Ta­lent und Nei­gung zum Ka­va­lier ge­habt und es da­her auch nie sehr weit ge­bracht in die­sen Fer­tig­kei­ten, aber in­mit­ten die­ser grau­en Ärm­lich­keit kam ich mir vor wie ein pelz­ver­bräm­ter, dia­man­ten­sprü­hen­der Bör­sen­job­ber un­ter ei­ner Ge­sell­schaft von Wasch­wei­bern. – Nein, sag­te ich mir, da ge­hörst du nicht hin. Wenn du dich mit de­nen ab­gibst, so bist du auch nicht bes­ser wie die. Wer sich un­ter die Kleie mischt, den fres­sen die Schwei­ne. Du wirst Po­len­ta es­sen müs­sen und nachts in den Heu­scho­bern schla­fen. Sie wer­den dei­ne Ar­beits­kraft aus­pres­sen wie eine Zitro­ne, und ei­nes Ta­ges wirst du krank und müde auf der Stra­ße lie­gen; ge­nau so ein aus­ge­mer­gel­tes, tief­äu­gi­ges, bar­fü­ßi­ges Et­was mit ei­nem Kar­tof­fel­sack voll schmut­zi­ger Lum­pen auf dem Rücken wie alle die an­de­ren hier in der Ge­gend.

Schnell ging ich wie­der zu­rück nach dem Ho­tel und mal­te bis spät in die Nacht hin­ein hoch­ach­tungs­vol­le und er­ge­be­ne Brie­fe an deut­sche Fir­men, de­ren Na­men ich mir aus dem Adress­buch her­aus­ge­schrie­ben hat­te. Ach, es war wirk­lich scha­de um die schö­ne Tin­te.

Soll ich er­zäh­len von den Lei­den und Freu­den ei­nes stel­len­lo­sen Hand­lungs­ge­hil­fen? Es ist eine gar so ärm­li­che und all­täg­li­che Ge­schich­te. Sie ent­behrt so ganz der Ro­man­tik und al­les des­sen, was zu ei­ner span­nen­den Ge­schich­te ge­hört. Und den­noch –.

In man­chen Städ­ten habe ich mich schon nach Stel­lun­gen um­ge­schaut. In man­cher­lei Wet­ter. In der dump­fen Glut ei­nes Neuyor­ker Hoch­som­mer­ta­ges; im Re­gen von San Fran­cis­co; in der grel­len Son­ne von Sid­ney und Mel­bour­ne; in der Stein­wüs­te von Lon­don, wenn der di­cke Kanal­ne­bel die schmut­zi­gen Häu­ser­zei­len von Whi­techa­pel samt dem Turm der St. Pauls Ka­the­dra­le ver­schlang. Aber sol­cher Som­mer in Bue­nos Ai­res –.

Täg­lich ver­wand­te ich meh­re­re Stun­den an das Schrei­ben von Brie­fen, die ihn nicht er­reich­ten. Zum min­des­ten hat sich kei­ner je die Mühe ge­macht, den Empfang zu be­stä­ti­gen. Als das nichts fruch­te­te, folg­te ich dem Rat der an­de­ren und irr­te ta­ge­lang in der Stadt um­her, um »die Bon­zen« in ih­rem Al­ler­hei­ligs­ten auf­zu­su­chen. Kaum einen Win­kel von Bue­nos Ai­res gibt es, den ich in je­nen Ta­gen nicht be­sucht hät­te. Wenn ich zu­rück­den­ke an jene Wo­chen ver­geb­li­cher Wan­de­run­gen in der großen Stadt, so tan­zen die Erin­ne­run­gen wie die Ko­bol­de in mei­nem Kop­fe, und es ist, als ob ich das al­les erst ges­tern er­lebt hät­te. Wie­der sehe ich das damp­fen­de As­phalt­pflas­ter in der glü­hen­den Som­mer­hit­ze, das wim­meln­de Le­ben in den en­gen Ge­schäfts­s­tra­ßen, die ra­sen­den Au­tos auf den wei­ten Ave­ni­das und die wei­ßen Pa­läs­te am Park von Pa­ler­mo.

Soll ich da­von er­zäh­len? Ach, die Stra­ßen und Städ­te sind über­all grau für den ar­men Ar­beits­lo­sen! Ich weiß nur, dass in die­ser weit­ge­bau­ten Stadt die Stra­ßen lang und die Ent­fer­nun­gen end­los sind, und dass hin­ter die­sen end­lo­sen Ent­fer­nun­gen im­mer und im­mer wie­der eine neue Ent­täu­schung auf mich war­te­te. Wie ein Bett­ler kam ich mir vor auf mei­nen Wan­de­run­gen.

*

»Und ist das al­les?«

»Ja.«

Der hohe Herr schau­te auf die Pa­pie­re, die vor ihm auf dem Schreib­tisch la­gen. Ein­jäh­ri­gen­zeug­nis, Di­plom der Han­dels­hoch­schu­le – das al­les schi­en ihm nicht son­der­lich zu im­po­nie­ren. Es folg­te eine Pau­se er­war­tungs­vol­len Schwei­gens, wäh­rend des­sen die grau­en Au­gen­brau­en des Prin­zi­pals sich un­heil­dro­hend zu­sam­men­zo­gen. An der De­cke summ­te der Ven­ti­la­tor. Im Ne­ben­zim­mer tick­te die Schreib­ma­schi­ne und von drau­ßen kam durch das of­fe­ne Fens­ter das Ge­schrei der Zei­tungs­jun­gen: »Le Pren­sa! La Ar–­gen–ti­na!«

Lang­sam fal­te­te der Herr die Pa­pie­re zu­sam­men und über­reich­te sie mir wie­der mit ei­ner ganz klei­nen An­deu­tung ei­ner Ver­beu­gung. »Be­dau­re. Adieu.«

Da stand ich nun wie­der, wie schon so oft in die­sen Ta­gen, in dem großen Trep­pen­haus, vor ei­ner mit gol­de­nen Let­tern be­setz­ten Gla­stü­re, die hin­ter mir zu­ge­macht wor­den war. Vor zehn Mi­nu­ten war ich mit dem Fahr­stuhl hin­auf ge­fah­ren nach dem Büro; nun ging ich wie­der zu Fuß hin­un­ter über die vie­len Stu­fen der brei­ten Stein­trep­pe des ho­hen Ge­bäu­des. Ich hat­te ja so viel Zeit.

Drau­ßen brü­te­te noch im­mer die Hit­ze in den Stra­ßen, und der Staub lag fin­ger­dick auf den Mar­mor­plat­ten der klei­nen run­den Ti­sche un­ter den Baum­kro­nen der Pla­za de Mayo. Lang­sam bahn­te ich mir einen Weg durch das Ge­wühl der Men­schen, die sich vor dem Ge­bäu­de der »Pren­sa« dräng­ten. Ein Zei­tungs­jun­ge rann­te in vol­lem Lauf mit mir zu­sam­men. Ein di­cker Herr trat mir auf bei­de Füße und fluch­te da­bei et­was Spa­ni­sches. Aber ich ach­te­te es nicht. Ich war viel zu sehr ver­tieft in den Zet­tel, auf dem noch eine gan­ze An­zahl wei­te­rer Adres­sen auf­ge­zeich­net wa­ren. – Wo­hin ich mich wohl zu­nächst wen­den soll­te? Da war das Spe­di­ti­ons­ge­schäft von Cha­se & Co. in der »Bar­to­lo­me Mitre«. Oder die Agen­tur von Waiß & Frei­tag, drun­ten am Ha­fen. Vi­el­leicht wäre das noch am meis­ten zu emp­feh­len. – Ja, und dann wür­de ich wie­der ein klei­nes Ver­mö­gen an Stra­ßen­bahn­gel­dern ver­fah­ren. Ich wür­de mir die Füße wund und die Ab­sät­ze krumm lau­fen, und sie wür­den mich am Ende doch alle wie­der ab­fer­ti­gen nach der Wei­se, die ich schon all­zu gut kann­te: »Be­dau­re sehr.« – »Kom­men Sie nächs­te Wo­che mal wie­der.« – »Las­sen Sie mich ge­fäl­ligst in Ruhe!« Und das soll­te nun so wei­ter ge­hen?

Ach was! Lang­sam zer­riss ich den Zet­tel und streu­te im Fort­ge­hen die Fet­zen über die Stra­ße. Mecha­nisch tapp­te ich wei­ter, ohne recht zu wis­sen wo­hin. Es war ja auch so gleich­gül­tig. Ehe ich mich’s ver­sah, stand ich mit­ten in der Vor­stadt Bar­ra­cas.

Es war still hier in der Ge­gend. Nur ab und zu roll­te ein Frucht­kar­ren über das hol­pe­ri­ge Pflas­ter, oder ein grau­köp­fi­ger Ita­lie­ner ging vor­über mit ei­nem großen, glän­zen­den Fisch auf dem Rücken und brüll­te sein »pes­ca’o!«, dass es weit­hin hall­te in den en­gen Gas­sen. Hin­ter den di­cken, ge­wölb­ten Ei­sen­stä­ben, die die fla­chen, ein­stö­cki­gen Häu­ser ge­gen die Au­ßen­welt ab­schlos­sen, klim­per­te zu­wei­len ein ver­schla­fe­ner Ban­jo. Da und dort stand an ei­nem Haus das Tor weit of­fen, und man konn­te durch die Ein­fahrt hin­durch bis in den Pa­tio se­hen, wo zwi­schen ni­cken­den Pal­men und far­ben­fro­hen Ole­an­dern ein küh­len­der Spring­brun­nen plät­scher­te.

All­mäh­lich be­gann die duns­ti­ge Ha­fenat­mo­sphä­re auf­zu­stei­gen. Düs­te­re Holz­hö­fe um­säum­ten die schat­ten­lo­se Stra­ße. Salz­was­ser und Teer­ge­ruch la­gen in der Luft, und in der Fer­ne brüll­ten die miss­tö­nen­den Si­re­nen vor­über­glei­ten­der Damp­fer. Da lag die »Boca« mit ih­ren lan­gen, schwar­zen La­ger­schup­pen, mit den ge­wal­ti­gen Bret­ter­stö­ßen ent­lang der Werf­ten und den stol­zen Seg­lern, die mit ih­rem zier­li­chen Wald von Mas­ten und Raaen in den tief­blau­en Abend­him­mel hin­ein­rag­ten.

In ei­ner ärm­li­chen Schif­fer­knei­pe, dicht am Kai, wo ras­seln­de Dampf­win­den die lan­gen Bret­ter­bün­del aus dem Bauch ei­nes großen Tramp­damp­fers her­auf­be­för­der­ten, kehr­te ich ein, denn ich war tod­mü­de von dem Um­her­wan­dern. – Wa­rum ich das al­les er­zäh­le? Wohl nur des­halb, weil die Erin­ne­rung dar­an nach reich­lich fünf Jah­ren noch so fest in mei­nem Kop­fe haf­ten ge­blie­ben ist.

Es war eine von den Knei­pen, wie man sie auch an der Ditt­mar Ko­el­stra­ße in Ham­burg se­hen kann. Die Wän­de wa­ren be­deckt mit Bil­dern von Schif­fen und Ma­tro­sen. Von der rau­chi­gen De­cke hing das kunst­voll ge­ar­bei­te­te Mo­dell ei­ner Vier­mast­bark. Auf dem mäch­ti­gen Bier­fass ne­ben der Bar schnurr­te eine Kat­ze. Ir­gend­wo im düs­te­ren Hin­ter­grund zirp­te ein Ka­na­ri­en­vo­gel. Auf der Bar stand eine schmut­zi­ge Kä­seglo­cke, um die die Flie­gen summ­ten. Die nuss­brau­ne Dame, die mir ein Glas Wein brach­te, moch­te in mir eine ver­wand­te See­le se­hen. »Ah, po­bre­ci­to,« sag­te sie mit weh­lei­di­ger Mie­ne, »co­mo está fea la vida! Wie ist das Le­ben so häss­lich!«

Dann setz­te sie sich zu mir an den Tisch und er­zähl­te eine lan­ge und rühr­se­li­ge Ge­schich­te von ei­nem ih­rer Kun­den, ei­nem Schau­er­mann, der an dem Mor­gen bei der Ar­beit in den La­de­raum ge­fal­len war und sich da­bei das Ge­nick ge­bro­chen hat­te. Er hin­ter­las­se eine Frau und sie­ben Kin­der, und was das schlimms­te wäre, von den 5000 Pe­sos Le­bens­ver­si­che­rung habe er seit zwei Jah­ren kei­ne Po­li­cen mehr be­zahlt. – »Ah, que des­gra­cia! Was für ein Un­glück, Ca­bal­le­ro!«

Eine gan­ze Stun­de lang re­de­te sie wei­ter in ih­rem merk­wür­di­gen tut­ti frut­ti von Eng­lisch und Spa­nisch. Sie rauch­te Zi­ga­ret­ten, sie kau­te Ta­bak, sie spuck­te auf den Bo­den, sie fluch­te wie ein Schläch­ter von Bil­lings­ga­te. Sie war ge­schminkt und ge­pu­dert und hat­te ge­färb­te Au­gen­brau­en. Aber ich hör­te ihr den­noch zu, denn ich fühl­te mich so ein­sam und ver­las­sen in der großen Stadt, dass selbst eine nuss­brau­ne Dame an der schat­ti­gen Sei­te der Vier­zig mir lie­ber war als gar nie­mand auf der wei­ten Welt, der sich um mich küm­mer­te.

Als es dun­kel wur­de, be­gann es le­ben­di­ger zu wer­den in der Wirt­schaft. Ha­fen­ar­bei­ter ka­men her­ein­ge­stol­pert und stürz­ten eine Caña2 in die durs­ti­ge Keh­le. Und dann schnell noch eine. Dann setz­ten sie sich zu­sam­men an einen Tisch und pack­ten die schmie­ri­gen Kar­ten mit den krum­men, ab­ge­ar­bei­te­ten Hän­den. Eine Ge­sell­schaft von »land­fei­nen« Ma­tro­sen pflanz­te sich vor dem Schenk­tisch auf. Ihre Ge­sprä­che ro­chen nach Salz­was­ser und See­luft. Im­mer mehr Men­schen ka­men von drau­ßen her­ein. Sie hock­ten auf den Fäs­sern und span­nen lan­ge Gar­ne. Sie sa­ßen an den Ti­schen und spiel­ten mit den schmie­ri­gen Kar­ten. Die hei­ße Luft zit­ter­te an der De­cke und der graue Ta­baks­ne­bel ver­schlang alle For­men und Ge­stal­ten in dem Zim­mer.

Ach, es war lan­ge her, seit ich nichts mehr von Fal­len und Bras­sen, von Nocks und Gor­dings und vom Royal­raaen ge­hört hat­te! – War es denn nur der ver­damm­te men­do­ci­ni­sche Rot­wein, der eben in mei­nem Kop­fe Long­fel­low­sche Ver­se re­zi­tier­te?


Der düs­te­ren Werf­te ge­denk’ ich,
Die to­sen­de Bran­dung ich seh;
Wie der span’­sche Ma­tro­se den Bart sich strich,
Die herr­li­chen Schif­fe, sie grü­ßen mich
Und der Zau­ber der wo­gen­den See.

»Zu wel­chem Schiff ge­hörst denn du?« re­de­te mich ein lan­ger Nor­we­ger an.

»Zu gar kei­nem.«

»Dann wird’s Zeit, dass du dich nach ei­nem um­siehst.«

Noch im­mer mehr Gäs­te ka­men von drau­ßen her­ein. Ma­tro­sen, Strand­läu­fer, Schau­er­leu­te. Ein di­cker Däne hat­te sei­ne Quetsch­ma­schi­ne in Gang ge­setzt, und in ei­ner Ecke be­glei­te­te ihn ei­ner auf ei­nem ver­stimm­ten Kla­vier.


Once I went ro­aming on Rad­clif­froad
Pull boys, pull what you can –

Eine schlam­pi­ge, zi­geu­ner­haft auf­ge­mach­te Frau­ens­per­son tanz­te dazu einen lan­des­üb­li­chen Tan­go und sam­mel­te dann die Ni­ckel­mün­zen auf ei­nem ras­seln­den Tam­bou­rin. Sie moch­te mich in die­ser ärm­li­chen Ge­sell­schaft als be­son­ders zah­lungs­fä­hi­ges Ob­jekt er­späht ha­ben, denn das Ni­ckel­stück, das ich ihr spen­de­te, warf sie zor­nig wie­der auf den Tisch und über­schüt­te­te mich da­bei mit ei­ner Flut von fran­zö­si­schen – sa­gen wir ein­mal Lie­bens­wür­dig­kei­ten. Es war nicht eben die Spra­che Vol­tai­res, die sie ge­brauch­te, aber in­mit­ten die­ser frem­den Men­schen kam mir das al­les merk­wür­dig ver­traut und hei­mat­lich vor. Sie mach­te große Au­gen, als ich in der­sel­ben Spra­che ant­wor­te­te. »Eh bien, moi, c’est Ge­or­get­te!« sag­te sie, in­dem sie sich auf den nächs­ten Stuhl setz­te und einen Li­ter Rot­wein auf mei­ne Kos­ten be­stell­te. Dann fing sie an, rühr­se­lig zu wer­den und er­zähl­te von »la bel­le Fran­ce«. Sie rauch­te zahl­lo­se Zi­ga­ret­ten und trank Zucker­rohr­schnaps und be­stell­te noch einen Li­ter Rot­wein auf mein Kon­to. Die Dame Ge­or­get­te fing an, mir fürch­ter­lich zu wer­den. Beim drit­ten Li­ter Rot­wein ver­such­te ich die Sit­zung ge­walt­sam ab­zu­bre­chen, wo­ge­gen sich Ge­or­get­te ener­gisch zur Wehr setz­te.

»Was?« rief sie aus, »kein Geld hast du, und kei­ne Ar­beit kannst du fin­den? – Ja, nom de dieu, wo hast du dich denn da­nach um­ge­se­hen? Die gan­ze Boca ist doch voll da­von. War­te einen Au­gen­blick! Ich wer­de hin­über lau­fen zu Bo­ston-Bill. Der wird ein Plätz­chen für dich fin­den auf ei­nem fei­nen Se­gel­schiff, das mor­gen nach Ham­burg fährt. Die Vor­schuss­no­te von fünf Pfund kön­nen wir gleich heu­te Abend ver­ju­beln, denn das Geld brauchst du nach­her doch nicht.«

Wäh­rend sie da­vo­neil­te, such­te ich mei­ne et­was in Un­ord­nung ge­ra­te­nen Ge­dan­ken zu­sam­men. Eine große See­rei­se hat­te im­mer et­was Ver­lo­cken­des, und ich war ge­ra­de in der Stim­mung, in der man Din­ge tut, an die man sonst im Trau­me nicht den­ken wür­de. – Aber jetzt gleich wie­der zu­rück nach Ham­burg, weil hier im Lan­de Ar­gen­ti­ni­en vor­erst nicht al­les nach Wunsch ge­gan­gen war, weil man in ei­ner Spe­lun­ke an der Was­ser­kan­te et­was mehr Rot­wein ge­trun­ken hat­te, als sich mit dem Durst ver­tra­gen ließ, und weil so eine her­ge­lau­fe­ne Ge­or­get­te – – nein, das wäre doch zu ei­gen­tüm­lich!

Es klang auch nicht sehr er­mu­ti­gend, was die an­de­ren über die­se jun­ge Dame zu sa­gen wuss­ten.

»Ja, Ge­or­get­te,« mein­ten sie, »die wird dir im­mer eine Stel­le auf ei­nem Schif­fe fin­den, und wenn du ein Bi­schof wä­rest. Die ar­bei­tet zu­sam­men mit Schang­hai-Bill, der den neu­schott­län­di­schen Tot­seg­lern die Mann­schaft be­sorgt, weil sie sonst kei­ne fin­den kön­nen. Drei Stück da­von lie­gen jetzt im Ha­fen. Na­tür­lich ist die Mann­schaft voll­zäh­lig aus­ge­pickt und sie zah­len hun­dert Pe­sos Blut­geld für je­den, den sie an Bord be­kom­men.«

Wenn ich je noch im Zwei­fel ge­we­sen wäre, so hät­te die­se Be­leh­rung mich si­cher zur Ver­nunft ge­bracht. Wer ein­mal auf Se­gel­schif­fen ge­fah­ren hat, der weiß, was es mit den Neu­schott­län­dern auf sich hat. Viel Ar­beit und we­nig Brot, stein­har­te Bis­kuits, die von Ma­den wim­meln, ver­faul­tes Salz­fleisch, das selbst bei Kap Horn zehn Me­ter ge­gen den Wind zu stin­ken ver­mag, und grau­es Ha­fer­mehl, das in der Sup­pe zu Sand­kör­nern ver­kocht. Dazu ein blau­n­a­si­ger Yan­kee­ka­pi­tän, mehr Teu­fel als Mensch, der Sonn­tags das Ver­deck mit Sand und Stein schrup­pen lässt, und vor dem grim­migs­ten Wet­ter die Se­gel nicht streicht, bis mit don­nern­dem Knall die Mas­ten selbst her­un­ter­kom­men.

Ja, und nun wür­de wohl im Auf­trag ei­nes sol­chen blau­n­a­si­gen Un­menschen so ein di­cker Heu­er­baas hier her­ein­kom­men. Er wür­de mich eine Vor­schuss­no­te auf fünf oder noch mehr eng­li­sche Pfund un­ter­schrei­ben las­sen und den größ­ten Teil der Sum­me gleich sel­ber ein­ste­cken. Für den Rest der Sum­me wür­de Ge­or­get­te Whis­ky be­stel­len; den ab­scheu­li­chen schar­fen Was­ser­kant­whis­ky, der einen in ei­ner hal­b­en Stun­de toll ma­chen konn­te. Das gan­ze Haus, alle Va­ga­bun­den und Strand­läu­fer an der gan­zen Boca wür­den sich auf mei­ne Kos­ten einen gu­ten Tag ma­chen. Es wür­de eine tol­le Nacht ge­ben. Und am Mor­gen – ach, es wür­de al­les wie­der so sein wie da­mals, da­mals an der Bar­ba­ry­küs­te zu San Fran­cis­co. – Da­mals im Blau­en An­ker! Mich über­lief es mit ei­ner Gän­se­haut, wenn ich dar­an dach­te. Ganz still und un­auf­fäl­lig mach­te ich mich aus dem Stau­be. So­bald ich aber die Tür hin­ter mir hat­te, rann­te ich über die Stra­ße, so schnell mich die Bei­ne tru­gen.

Drau­ßen war es schon ganz dun­kel. Der Wi­der­schein der Schiffs­la­ter­nen zit­ter­te auf dem Was­ser. Das wei­ße Licht der elek­tri­schen Bo­gen­lam­pen lag kalt und still zwi­schen den schwar­zen Bret­ter­stö­ßen. Ein fri­scher See­wind summ­te lei­se in der laut­lo­sen Nacht. Je wei­ter die­se Ge­gend hin­ter mir lag, je woh­ler wur­de mir zu­mu­te.

*

Acht Tage spä­ter fand mich der Mo­nat De­zem­ber im­mer noch als ar­men Ar­beits­lo­sen in den stau­bi­gen Stra­ßen je­ner großen Stadt, die so sehr zu Un­recht den Na­men Bue­nos Ai­res (Gute Lüf­te) trägt. Die Hit­ze war in­zwi­schen noch un­er­träg­li­cher ge­wor­den, das graue As­phalt­pflas­ter fing an zu ko­chen, und der Staub lag in gel­ben Wol­ken über den Stra­ßen.

Ein deut­scher Strand­läu­fer, der sich aus­kann­te, hat­te mir die Adres­se des Schutz­ver­eins für ger­ma­ni­sche Aus­wan­de­rer ver­ra­ten. »Du musst um zehn Uhr mor­gens hin ge­hen,« hat­te er mir ge­sagt, »dann triffst du den Pas­tor sel­ber an. Der ist eine gute See­le und sehr leicht zu ver­koh­len. Wenn du ihm sagst, dass du in Val­pa­rai­so von ei­nem Seg­ler durch­ge­brannt bist und von dort zu Fuß über die An­den ge­macht hast, so wird er dir ohne wei­te­res fünf Pe­sos und eine An­wei­sung auf vier­zehn Tage Kost und Woh­nung im deut­schen See­manns­heim ge­ben. Nach acht Ta­gen kannst du ru­hig wie­der kom­men und ihm ein neu­es Mär­chen er­zäh­len, denn er ist sehr kurz­sich­tig und wird dich nicht wie­der er­ken­nen. Er ist ganz leicht, sage ich dir; man­chen Peso habe ich ihm schon ab­ge­luxt. Jetzt kann ich mein Ge­sicht dort nicht mehr zei­gen. – Mit­tags wirst du dort Don Guil­ler­mo an­tref­fen. Den kannst du auch noch mit­neh­men, wenn du ihm einen an­de­ren Na­men an­gibst. Er ist aber sehr schwie­rig; ein aus­ge­koch­ter, sehr ge­nau­er und sehr neu­gie­ri­ger Schiffs­ka­pi­tän, dem du eine gan­ze Ah­nen­ga­le­rie von Ar­beit­ge­bern vor­lü­gen musst, ehe er dir ein paar lum­pi­ge Gast­mar­ken für ein Nacht­lo­gis oder eine Was­ser­sup­pe in ei­ner Spe­lun­ke an der Boca hin­wirft.«

So ging ich denn vor­sich­ti­ger­wei­se um zehn Uhr nach dem Büro.

Der freund­li­che Herr in dem klei­nen Hau­se in der Cal­le Via­mon­te be­trach­te­te mich ver­wun­dert durch sei­ne gol­dum­rän­der­ten Bril­lenglä­ser; etwa so wie ein grü­beln­der Pro­fes­sor, der über sei­nen Bü­chern so­eben auf ein ganz großes Pro­blem ge­sto­ßen ist.

»Wie, Sie wol­len kein Geld? Und kei­ne Un­ter­stüt­zung? Nur Ar­beit? Das ist in­ter­essant. – Wirk­lich sehr in­ter­essant, sonst ha­ben’s die Leu­te in der Re­gel nur auf mei­ne Gast­mar­ken ab­ge­se­hen.« Noch ganz über­wäl­tigt von sol­cher Of­fen­ba­rung schrieb er mir die Adres­se ei­ner rei­chen Wit­we auf, die zur ers­ten Ge­sell­schaft von Bue­nos Ai­res ge­hör­te und einen Haus­leh­rer für ih­ren un­ge­zo­ge­nen Prin­zen such­te. »Sie kön­nen es ein­mal hier ver­su­chen,« sag­te der Pas­­­­­­­­­­­­­­­­­­