Für Schäden, die durch falsches Herangehen an die Übungen an Körper, Seele und Geist entstehen könnten, übernehmen Verlag und Autor keine
Haftung.
Copyright © 2008 by Christof Uiberreiter Verlag
Castrop Rauxel • Germany
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-7386-8242-7
Alle Rechte, auch die fotomechanische Wiedergabe (einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf elektronischen Systemen, vorbehalten
All rights reserved
Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des Titelbildes.
Da Anion immer wieder gesagt hat, dass okkulte Geschichten am besten hermetischen Probleme beleuchten, haben wir uns entschlossen, eine wirklich gute Sammlung von okkulten Geschichten und wirklich interessanten Berichten herauszugeben. Vorab muss ich noch sagen, dass es leider nur sehr wenig okkulte Literatur gibt, die aussagekräftig ist. Unsere Romane, Kurzgeschichten und Tatsachenberichte würden leider untergehen, da sie großteils unbekannt sind. Sie wurden in den frühen 20ern in okkulten Zeitschriften wie „Psyche“, „Die magischen Blätter“, „Dido“, „ZfO“, „Prana“, „Lotusblühten“, „Weiße Fahne“, „Asgard“ und anderen veröffentlicht und wer kann heutzutage behaupten, alle gelesen zu haben. Wohl die Wenigsten.
Aus diesem Grund veröffentlichen wir all die Geschichten, die gut, sinnvoll und die wir gefunden haben. Ich hoffe, unsere Leser sind mit dem 2. Band dieser Reihe der hermetischen Literatur zufrieden.
Es ist die Geschichte eines verfehlten Lebens, die ich erzählen will, und eines Traumes, der mich warnte, nicht zum zweiten Male auf Erden denselben Irrtum zu begehen, und wie ich diese Warnung zur Zeit nicht verstand.
Wir saßen im traulichen, matt erleuchteten Zimmer beisammen auf dem türkischen Sofa; rings umher standen großblättrige Pflanzen, die unseren Augen die Tischlampe verdeckten und ihrem Lichte einen grünlichen Schimmer verliehen, schwere Vorhänge verdeckten die Fenster und eine wohltuende Wärme durchzog den Raum. Man hätte glauben können, es sei Frühling oder Sommer, wenn nicht das Klingen der Schlittenglocken, die draußen fortwährend vorbeieilten, die Illusion zerstört hätten. Doch wir beide, mein Vetter Arsenief und ich, achteten nicht auf das Geräusch der Straße, wir waren zu sehr mit dem beschäftigt, was wir uns sagten.
„Du weißt, Vera“, begann mein Vetter, „wie sehr ich Dir zugetan bin und wie sehr ich Dein Glück wünsche (vielleicht mehr als mein eigenes)“, setzte er leise hinzu, wie zu sich selbst redend. „Heute morgen sprach Ivan Pawlowitsch mit Deinem Vater, ihre Unterredung dauerte lange und es ist leicht zu erraten, was sie verhandelten. Aber Du bist doch die letzte Instanz bei dieser Sache und ich beschwöre Dich, nimm diesen Menschen nicht zum Manne“.
„Wie kannst Du ihn mit „diesen Menschen“ bezeichnen“, fuhr ich empört auf, „ihn, der in den höchsten Kreisen verkehrt, der Liebling der Gesellschaft, um dessen Huldigungen mich alle Mädchen beneiden? O Arsenief, aus Dir spricht der Neid, wenn nicht noch Schlimmeres.“
„Höre mich ruhig an, Vera, und vergiss einen Ausdruck, der mir entschlüpfte, weil ich Dein Wohl will und Iwan Pawlowitsch mir nie sympathisch war. Ich ahne, dass es Dein Unglück wäre, den Mann mit den grauen Augen, die scharf wie Dolche blicken können, zu ehelichen.“
„Was hast Du gegen ihn vorzubringen?“
„Wenig oder nichts, es ist vielmehr ein Ahnen, eine Intuition, die mich heißt, Dich vor ihm zu warnen. Er ist schön mit seiner hohen Stirn und seinem marmorbleichen Antlitz, aber seine Schönheit ist kalt und stößt mehr ab als dass sie anzieht.“
„Das finde ich nun gar nicht, für mich ist er einfach schön und dazu ritterlich, von feinen Manieren und von hochgeschultem Geiste. Was könnte ich mehr verlangen!“
„O Vera, Du vergisst das Herz und Du hast Recht, es nicht zu erwähnen, denn so wie ich denke, hat er kein Herz.“
„Das sind leere Beschuldigungen. Hast Du nichts besseres vorzubringen, so sind Deine Warnungen leere Worte.“
„Du zwingst mich zu sagen, was ich verschweigen wollte, weil es sich nur auf Gerüchte gründet. Man sagt, Iwan Pawlowisch sei ein unverbesserlicher Spieler und dem Ruine nahe und suche deshalb eine reiche Partie, um seinen Finanzen aufzuhelfen.“
„Und wenn dem so wäre? Was weiter? Er liebt mich, ich ihn, er braucht Geld, ich habe es und teile mit ihm.“
Mit diesen Worten erhob ich mich und ging auf mein Zimmer, denn das Gespräch hatte mich verstimmt und ich wollte mich sammeln, um am Abend unseres Empfangstages nicht mürrisch zu erscheinen. Es gelang mir, die Wolken, die aufsteigen wollten, zu verscheuchen und den Gästen ein freundliches Gesicht zu zeigen, obgleich die Person, die ich zu sehen erwartete, erst spät am Abend erschien, wo ich eben den Tee einschenkte. Als ich ihm seine Tasse reichte, hielt er meine Hand fest und flüsterte: „Fräulein Vera, ich muss mit Ihnen reden, vergönnen Sie mir einen Augenblick.“
„Nicht hier und nicht heute, ich darf meine Pflicht als Hausfrau nicht verletzen. Kommen Sie morgen Nachmittag, dann können wir ungestört reden.“
Er verbeugte sich tief als Antwort und setzte sich neben einen ergrauten Diplomaten, von dem er Protektion erwartete. Dort verblieb er den ganzen Abend eifrig redend. Das verstimmte mich. War er der Antwort, die ich geben würde, so sicher, dass sie ihn weiter nicht bekümmerte, oder war ihm diese Lebensfrage Nebensache? Wie durfte er so leicht darüber hinweggehen?
Endlich verließen uns die Gäste und ich blieb mit meinem Ärger allein, den ich mit zu Bette nahm. Nach tiefem, traumlosem Schlafe erwachte ich. Es war heller Morgen und die Sonne sandte ihre goldenen Strahlen auf mein Antlitz, um mich zu wecken. Das erstaunte mich. Die Sonne an einem Wintermorgen in Petersburg ist etwas Unerhörtes, sie geht daselbst um 10 Uhr auf und verschwindet um 2 Uhr. Sollte es schon so spät sein? Ich rieb mir die Augen und öffnete sie; doch wo war mein weiches Federbett im traulichen Zimmer, in dem ich entschlummert war? Ich lag auf einem Ziegenfelle in einem Karren ohne Federn, der von zwei weißen Ochsen langsam auf der staubigen Straße fortgezogen wurde; ich war in einen weiten Purpurmantel gehüllt und ein leichter Schleier bedeckte mein Haupt. Zu beiden Seiten der Zugochsen ritten Männer in braunen Mänteln mit breitrandigen Strohhüten auf den Köpfen, die Sonne erhob sich feurig am Horizonte und sandte ihre Strahlen weit auf die grüne Ebene hin. In der Ferne blinkte und glitzerte das Meer unter deren Strahlen. Ich rieb wieder meine Augen und dachte ich sähe nicht recht, da wandte sich der eine der Männer zu mir und sprach: „Bist Du erwacht, Domina? Siehe, es war gut, dass Du einen Teil des langweiligen Weges geschlafen hast; jetzt nähern wir uns dem Ziele, dort vor uns blinken die Kuppeln Romas.“
Ich schaute hin und es war, als würde ein Schleier vor meinem Denken fortgezogen. Ja, ja, ich weiß es ja, der Schlaf hatte mich nur so verwirrt, ich war auf dem Wege zum Herrn meines Schicksals, zu meinem Mann, dem Gebieter meines Herzens. Ach wie nun dieses Herz frohlockte. Ihn wieder sehen, welche Seligkeit! Doch die Ochsen gingen so langsamen Schrittes, ich konnte es gar nicht ertragen, so langsam vorwärts zu gelangen. Um nichts zu sehen, verhüllte ich mein Antlitz mit dem Mantel und lebte ganz der Erinnerung. Ich sah in Gedanken meine Heimat an der ligurischen Küste wieder, sah, wie ich mich mit meiner Schwester im Garten tummelte, wo unsere Sklaven das Feld bebauten, sah das Boot mit den Purpursegeln wieder, das uns aufs Meer hinaus trug. Die Mutter war jung gestorben und der Vater hatte seine ganze Liebe uns zugewendet, obgleich er tief bedauerte, keinen Sohn zu haben. Er unterrichtete uns in all dem, was er seinem Sohne gelehrt hätte, und eine griechische Sklavin zeigte uns die Kunst der Stickerei. Heiter und in inniger Liebe vereint wuchsen wir auf bis zu dem ewig denkwürdigen Tage, an dem die Truppen des Caesar vor unserer Villa vorüber nach Gallien zogen. Wir beide sahen hinab auf die Legionäre mit ihren schimmernden Waffen und ihren bärtigen Gesichtern. Die römischen Adler blinkten, die Waffen klirrten zum Takte des martialischen Trittes. Wir waren ganz Auge und Freude. Da plötzlich fühlte ich etwas wie einen Stich im Herzen, Gott Mars selbst schien vor mir zu erscheinen. Auf braunem Rosse, das ungeduldig unter ihm tänzelte, ritt ein junger Tribun. Nie hatte ich einen schöneren Mann erblickt, der Seewind spielte in seinen dunklen Locken, die unter dem goldschimmernden Helme herabfielen auf den goldschimmernden Panzer. Als er bei uns vorbeiritt, grüßte er nach oben mit seinem Schwerte. Ich fühlte mich wie verzaubert. Doch wie wuchs mein Erstaunen, als später am Abend der junge Held zu uns in den Garten trat. Er hatte seine Legionäre zum Nachtlager geführt und bat um ein solches für sich in unserem Hause; ein Brief seines Vaters an den meinigen sollte ihm die Türen öffnen. Als mein Vater den Brief gelesen, umarmte er den Gast als Sohn eines römischen Freundes. So kam es, dass Falvio Maximianus unser Haus betrat und den Frieden meiner Seele zerstörte.
Drei Tage blieb er als Gast und sie vergingen wie ein Traum. Wir drei, das heißt Maximianus, Schwester Julia und ich, waren vom Morgen bis Abend zusammen, wir streiften durch den Garten, pfückten Blumen, wanden Kränze, die wir uns gegenseitig schenkten, segelten aufs blaue Meer hinaus und horchten der weichen Stimme des Kriegers, der von fernen Landen erzählte, von Rom, vom Hofe des Cäsar, vom unwirtlichen Gallien, von Krieg und Strapazen. Drei Tage, waren es nicht drei Ewigkeiten? Darauf ritt er fort, um seine Legion einzuholen. Mein Vater begleitete ihn eine Strecke Weges mit einigen Sklaven, da die Wege unsicher waren und er des Gastes länger genießen wollte.
Als er nach einigen Tagen heimkehrte, strahlte sein Antlitz. „Endlich ist es mir vergönnt, einen Sohn zu haben, und welchen Sohn. Mädchen, freut Euch mit mir! Maximian freiet die Julia, bald kommt er, um sie als Gattin abzuholen.
„Julia!“, rief ich und war einer Ohnmacht nahe. Doch beherrschte ich mich und erklärte meinen Schmerz durch die Aussicht der Trennung von meiner Schwester. Man glaubte mir! O welche schrecklichen Tage kamen nun für mich. Ich schlich gesenkten Hauptes umher, fluchte dem Schicksale, den Göttern, meiner Schwester, allen. Die Liebe für Julia wandte sich in Hass, stundenlang lag ich im Tempel der Venus vor dem Altare und flehte: „Göttin, die Du Liebe sendest, Mutter des Eros, warum nahmst Du mir das Einzige, nach dem ich verlange? Gib mir den, der meine Liebe entzündet, ich muss sein Weib werden. Hörst Du, o Göttin. Ich muss!“
Solche und ähnliche Gebete stieß ich hervor, vor dem Kommen Maximians, und schlimmere, nachdem er erschienen war und die Mägde ihn mit Fackeln ins Brautgemach geführt hatten. Sie reisten ab, die Glücklichen, nach Gallien zum Standort der Legion und ich hörte lange nichts mehr von ihnen, aber mein Hass und meine Liebe ließen nicht nach, mich zu quälen. Ach nur zu bald kam die Strafe für meine bösen Wünsche. Es kam ein Bote, ein Krieger, der heimkehrte, und er brachte ein Schreiben.
Julia war im Wochenbette gestorben, und auch das Söhnchen, das sie geboren, hatte die Mutter nicht überlebt. Was ich da fühlte, kann ich nicht beschreiben. Ich wusste, ich war ihre Mörderin. Meine Wünsche, mein Neid ihres Glückes hatten sie getötet. Doch diese Reue dauerte nur einen Augenblick, es war zwar ein Augenblick der hellsten Verzweiflung, die aber zerrann bei dem Gedanken: Er ist nun frei, er kann dir gehören!
Ich gab dem Boten meine goldenen Armringe, um ihn zu bewegen, nach Gallien zurückzukehren und meinen Brief an Maximian zu überbringen. Er versprach es, durch die reiche Gabe bestochen, und ich schrieb: „An Fulvio Maximianus, Tribun der IX. Legion, sendet Clelia Gruß. Im Garten meines Vaters blühten zwei frische Rosen; Du pflücktest die eine und sie welkte in Deiner Hand. Die andere erblasst am heimischen Stamme, denn sie sehnt sich, von Dir gepflückt zu werden. Soll sie entblättert zur Erde fallen oder wird Dein Kommen sie noch blühend finden?“
Lange wartete ich auf Antwort. Ach wie unendlich lange! Doch hielt mich die Hoffnung aufrecht. Meine Liebe war ja so groß, dass sie nicht ungehört bleiben konnte. Endlich erhörte die Cyprische Göttin meine Wünsche. Maximian kehrte nach Rom zurück, besuchte uns wieder wie auf der Hinreise, doch nicht wie damals auf kurze Zeit. Er blieb an meiner Seite zwei herrliche Monde hindurch. Der Garten erblühte in neuer Pracht, als wäre ein Gott erschienen, das Meer erschien in leuchtenderer Bläue, die Vögel sangen Hymnen zu seinem Preise.
Er pries sich glücklich und von den Göttern begünstigt, meine Liebe erlangt zu haben. Ohne lange zu warten, sang man auch uns beiden die Hymenäen, wir wurden Mann und Weib. Er war mein! Die Seligkeit löschte alle Qualen der Eifersucht, der Verzweiflung und der Reue aus.
Doch leider, leider musste er nach Rom zu Hofe des Cäsars zurückkehren. Er versprach mich bald in die Wunderstadt zu führen, mich bald abzuholen, doch konnte ich ihn nicht sofort begleiten, denn mein Vater war leidend und brauchte meine Pflege. So reiste er ab und ich blieb zurück. Die Krankheit meines Vaters zog sich in die Länge, ich konnte ihn nicht verlassen; ein Jahr, ein unendlich langes Jahr dauerte unsere Trennung. Mein Vater starb, doch konnte ich noch nicht das Haus verlassen; es musste alles geordnet und gerichtet werden, damit kein Verlust durch die Abwesenheit der Herrin entstehe. Endlich war ich frei, und ohne den Vergötterten zu benachrichtigen, zog ich zu ihm, ich wollte ihn überraschen. Doch wie schrecklich langsam schritten die Zugochsen, es schien mir, wir kämen nicht von der Stelle, immer die weitgedehnte Campania und in der Ferne die glänzenden Kuppeln der ersehnten Stadt.
Endlich, endlich ein niedriger Torweg, eine steinerne Brücke. Ich schaute mit Andacht zum ersten Male auf die Wasser des heiligen Tibers, gelb und trübe rollten sie zum Meere, um sich dem blauen zu vermählen. Ein Bild meiner trüben, langwierigen Reise zu ihm, zu ihm, zu dem Ozean meiner Liebe. Der Karren fuhr nun durch enge Straßen, viele Leute kamen und gingen trotz der noch frühen Stunde, auch Karren fuhren hin und her mit Früchten und Produkten beladen. Meine Diener befragten einen Landmann nach der Wohnung meines Gemahls: „Nur immer gerade aus bis zum Tempel der Vesta, dann sieht man schon das Capitol; hinter demselben biegen Sie rechts ab und die nächste Straße bringt Sie vor die Türe des edlen Tribuns Fulvio Maximianus.“
Sein Name, aus fremdem Munde gehört, erschien mir so köstlich, dass ich freundlich dem Manne zuwinkte und er rief mir lachend zu: „Möge die Cyperische Göttin Dich immer so schön erhalten, o Domina.“
Wir folgten der Weisung des Mannes, ich sah und hörte nichts, nichts, weder Tempel noch Paläste, die Erwartung erfüllte mich ganz. Der Karren hält. Der Türsteher öffnet auf unseren Ruf. Ich steige vom Wagen und im Atrium erscheint er, mein Apollo, mein Angebeteter. Ich sinke in seine Arme und verliere die Besinnung. Als ich erwachte, lag ich auf einem Ruhebette, auf einem weichen Tigerfelle, köstliche syrische Vorhänge dämpften das hereinfallende Licht und neben mir, o Freude, saß mein Gemahl und schaute mich forschend an.
„Geliebte, gut, dass Du erwachst, ich wartete ängstlich darauf, denn ich muss fort und wollte Dich nicht in diesem Zustande verlassen. Der göttliche Augustus erwartet mich auf dem Palatin. Ich weiß nicht, welchen Auftrag er mir erteilen wird, es kann sein, dass ich erst zum abendlichen Festmahle heimkehre. Schmücke Dich und zeige meinen Gästen, welch ein herrliches Weib ich mein nenne.“
„Gäste gleich am ersten Tage des Wiedersehens. Wäre es nicht möglich allein mit Dir zu bleiben?“
„Liebe Clelia, der Tribun Maximian gehört sich nicht selber. Ich kann oft nicht tun, was ich gerade möchte. Des Cäsars Launen muss ich beachten und mich ihnen unterwerfen, die Gesellschaft hat Anrecht an mich; ich muss bewirten, wenn ich allein sein möchte, und fortgehen, wenn ich zu bleiben wünsche. Ja, Dein Gemahl gehört sich nicht selber, sein Herz aber gehört Dir, Geliebte.“
Bei diesen Worten strahlte mein Antlitz und ich legte meine Stirn an seine Brust, doch schob er sanft meinen Kopf zurück.
„So leid es mir tut, ich muss nun fort, den Cäsar darf ich nicht warten lassen.“
Einen Augenblick schwieg er und ich sah ihn forschend an. Eine tiefe Falte lag zwischen den Brauen und die dunklen Augen sahen nicht auf mich, sondern waren ernst, fast böse.
„Was hast Du, mein Fulvio? Was bedrückt Dich.“
„O Clelia, ein schwerer Gedanke, schwer auszusprechen, schwer zu denken. Liebst Du mich wirklich so sehr, dass ich ein großes Opfer von Dir fordern darf?“
„Wie kannst Du fragen? Gebiete, und ich gehorche, bist Du nicht mein Gott, mein Alles?“
„So höre! Ich habe nicht gewagt, dem göttlichen Cäsar meine Ehe mitzuteilen, weil er anderes mit mir im Sinne hatte. Erfährt er nun, dass ich ihm die Sache verheimlicht habe, so kann es mir mein Leben kosten. Du kannst mich retten, wenn Du Dich entschließest zu verschweigen, dass Du mein ehelich Gemahl bist. Hast Du die Kraft dazu, vor anderen nur als meine Geliebte zu gelten?“
„Wenn es sein muss, wenn Du es wünschest, will ich nichts anderes als deine Magd sein.“
Ich sagte es, doch heiße Tränen liefen über meine Wangen.
„Siehst Du, Geliebte, Du bist vielleicht etwas zu früh hergekommen; ich hatte nicht Zeit, die Sache gehörig vorzubereiten.“
„Zu früh!“, schrie ich auf, „ein Jahr sind wir getrennt, mehr als ein Jahr und Du nennst das zu früh?“
„Verstehe mich recht, nicht zu früh für mich, der ich Dich Nächte lang ersehnte, der ich nach deinen Küssen schmachtete, doch zu früh für die leidigen Verhältnisse, deren Herr ich noch nicht bin. Ich muss aufsteigen, zu den höchsten Ehren gelangen und deshalb darf der Gebieter Roms und der Welt nichts von meiner Ehe wissen.“
„Ja Du, mein Angebeteter, sollst alles erlangen, was Da wünschest! Sei es, wie Du es verlangst!“
Er schloss mich in seine Arme, dankte mir leidenschaftlich, bedeckte mein Haupt meine Haare, meine Augen mit seinen Küssen, dann riss er sich wie unwillig los und mit tausend Liebesversicherungen verschwand er im Atrium.
Ich blieb wie leblos liegen. Kaum wiedergesehen und schon wieder getrennt. Die Sonne hatte für mich ihren Glanz verloren. Doch zuletzt raffte ich mich auf, denn zwei Negerinnen kamen, um mich zum Bade zu führen. Vom Staube des Wegs gereinigt, gesalbt und mit reichen Kleidern versehen, verließ ich das Badezimmer. Ein goldener Reif hielt mein langes blondes Haar über der Stirne zusammen und ließ es lang über den Rücken hinabwallen, denn so liebte es mein Fulvio. Schneeweiße Gewänder aus feinen alexandrinischen Stoffen umhüllten meine schlanke Gestalt, schwere Goldreife umgaben die Arme und ein goldener mit Steinen verzierter Gürtel hielt das Gewand unter der Brust zusammen. So geschmückt saß ich nun da, allein in dem weiten Hause. Ich wollte meine zukünftige Wohnung in Augenschein nehmen und ging aus dem Schlafgemach zum Atrium, in dem der Springbrunnen plätscherte, von breitblättrigen Bananen umgeben. Ich besah das Triclinium, den Altar der Laren, die anderen Gemächer. Überall Reichtum und herrliches Geräte. Goldgestickte Vorhänge schlossen die Gemächer ab. Malereien schmückten die Wände, wie es schien von Meisterhand hervorgezaubert. Da, im Triclinium, war die Geschichte von Theseus und Ariadne dargestellt. Zum Bilde des Theseus hatte offenbar mein Abgott das Vorbild abgegeben. Warum gerade zum Theseus? Wer war Ariadne? Es war so traurig, das alles allein zu beschauen. Ich flüchtete mich in das hintere Gärtchen, dort arbeiteten zwei Gärtner und blinzelten lächelnd zu mir hinüber und flüsterten zusammen. Ich erhaschte nur das eine Wort: „Wieder eine Neue.“
Ich begriff, wofür sie mich hielten und flüchtete wieder ins Schlafgemach. Ein schöner silberner Handspiegel zeigte mir mein Antlitz und ich hatte Freude daran; ja ich war schön und konnte selbst einen verwöhnten Mann wie Fulvio fesseln.
Endlich kam der Abend heran und mit ihm mein Gemahl in Begleitung von 6 anderen Männern. Keiner von ihnen gefiel mir; sie sahen mich alle mit neugierigen Blicken an, schätzten mich so zu sagen ab. Nur einer, ein Jüngling von kaum 20 Jahren, sprach höflich und ehrerbietig mit mir und ich fühlte sofort Zuneigung für ihn. Man ging zum Abendmahle, die Gäste lagerten sich auf den Ruhebänken; doch ich, meiner Stellung als Hetäre gemäß und nicht als Hausfrau, setzte mich zu Füßen des Ruhebettes meines Gemahls. Mein Stolz empörte sich dagegen, doch ich hatte es ihm ja versprochen, meine Rechte an ihn geheim zu halten.
Das Festmahl begann, Speisen wurden aufgetragen, die ich nie gesehen, nie gekocht hatte; der Wein wurde fortwährend von neuem eingeschenkt und welch ein Wein, feurig und süß. Doch trank ich nur wenig, obgleich mein Gemahl mich zum Trinken nötigte. Als die Gäste immer heiterer wurden, traten griechische Sklavinnen ein, hochgeschürzt mit entblößten Armen. Einige hatten Zymbeln und Flöten in den Händen, die anderen stellten sich paarweise auf und begannen einen Tanz, während die ersteren dazu aufspielten. Nie hatte ich solchem Schauspiele beigewohnt, rhythmisch schön waren die Bewegungen und die Musik klang gedämpft und lieblich. Als der Tanz beendet, setzten sich die Tänzerinnen auf die Ruhebänke, eine jede zu Füßen eines Gastes, der sie herbeiwinkte. Die eine näherte sich dem oben erwähnten Jünglinge, der mir zur Rechten ruhte, doch er winkte unwillig ab. Da wandte sich mein Gemahl zu mir: „Clelia, sage doch dem Freunde, dass er schlecht tue, die Schönheit des Weibes zu verachten. Die Freuden der Tafel sind grob und materiell, doch die Freuden, die Eros austeilt, sind das Beste, was die Erde bietet! Nicht so, Clelia?“
Auf seinen Wunsch hin wandte ich mich zu meinem Nachbar:
„Wie kommt es, Arsenief?“
„Ich heiße Clodio“, unterbrach mich der Jüngling.
„Wie sonderbar, woher nahm ich nur diesen barbarischen Namen, wie kam mir solches in den Sinn? Wie sagte ich denn gleich? Ja wie kommt es, Clodio, dass Du Weiberschönheit verachtest?“
„Ich verachte nichts, was schön ist, aber ich will Geist mit Schönheit verbunden sehen; diese Mägde mit den biegsamen Körpern sagen mir nichts. Ein Weib, das mich verstände, mit dem ich über das reden könnte, was mich erfüllt, wäre mir die liebste Gesellschaft.“
„Ja, da spricht wieder der Poet aus Dir, Du Liebling der Musen,“ rief ein anderer der Gäste.
„Du bist Poet, Clodio?“, rief ich erfreut, „ich habe immer gewünscht, einen wahren Poeten kennen zu lernen.“
Bald waren wir beide in ein eifriges Gespräch verwickelt, doch Fulvio schien das nicht genehm; er klatschte in die Hände und ein junger Grieche erschien, die Leier in dem Arme.
„Poesie für den Poeten, der die Tänzerinnen verschmäht,“ rief mein Gemahl und der Grieche deklamierte. Etwas, was wohl sehr schön sein mochte, aber ich war des Griechischen nicht sehr mächtig und die Melope, halb gesungen und halb gesprochen, wirkte einschläfernd auf mich. Ich kämpfte mit dem Schlafe, doch zuletzt schlossen sich meine Lider und mein Haupt sank auf die Knie Maximians nieder. Ich weiß nicht, wie lange ich schlief, doch muss es eine ziemliche Zeit gedauert haben, denn als ich erwachte, waren die Gäste schon fort; ich lag auf dem Ruhebette im Schlafgemache und der Mond allein erhellte ein wenig das Gemach. Ich wollte mich erheben, doch eine sonderbare Macht hielt mich gefesselt. Kein Glied konnte ich rühren, die Zunge war wie von Holz, ich wollte rufen, doch die Lippen blieben geschlossen, ich lag da, aller meiner Sinne mächtig und doch unfähig, dem Körper zu gebieten. Dabei schien mein Gehör ungemein geschärft, denn ich hörte im Nebengemach flüstern und jedes Wort klang hell und deutlich in mein Ohr. Es wahr mein Gemahl, der sprach:
„Der Trank, den ich ihr in den Wein geschüttet, wird noch einige Zeit wirken, eile Dich deshalb, ein Vehikel herbei zu schaffen und meine Befehle auszuführen. Wenn sie erwacht, muss sie schon Rom weit hinter sich haben. Am besten wäre es, sie erwachte erst auf meiner Besitzung in den Abruzzen. Die Rauheit der Wege würden die Rückkehr erschweren und Du bleibst ihr zur Seite als Wächter.“
„Und wenn sie erwacht, was soll ich dann tun?“, fragte eine rauhe Stimme. „Du sollst ihr sagen, es sei mein Wunsch und ich bäte sie inständig, sich nicht zu widersetzen und mich ruhig daselbst zu erwarten.“
„Und wenn sie sich widersetzt, soll ich sie dann zur Ruhe bringen?“
Diese Worte wurden wohl durch eine entsprechende Bewegung begleitet, die mehr als die Worte sagte.
„Bewahre,“ fuhr Maximian auf. „Es wäre unnütz und dumm gehandelt, ihr Leben ist mir notwendig. Sie ist mein rechtmäßiges Weib und wenn sie ohne Kinder stirbt, gehe ich des ganzen Vermögens verlustig, das sie mir zugebracht hat. Du stehst mir für ihr Leben ein. Übrigens komme ich bald selbst in die Besitzung, dann bist Du von Deinem Aufseheramte befreit.“
„Wohl, doch verstehe ich nicht recht, warum Du, Herr, alles das anordnest.“ „Du sollst nur gehorchen, zu verstehen brauchst Du nicht,“ sagte er hochmütig, und ich hörte Schritte, die sich entfernten. Eine wahnsinnige Furcht befiel mich. Was hatte man mit mir vor? Ich wollte fliehen, strengte meine ganze Willenskraft an, um die Lethargie, die mich fesselte, abzustreifen und es gelang mir. Ich erwachte…
Tiefes Dunkel umgab mich und im Nebenzimmer schlug eine Uhr 8 mal. Im ersten Augenblicke waren meine Gedanken so verwirrt, dass ich mich nicht besinnen konnte, dass es Winter sei und ich in Petersburg erwacht war. Der Traum hatte mir einen tiefen Eindruck hinterlassen, doch hielt ich ihn damals nur für ein sonderbares Spiel meiner Phantasie; ich wusste nicht, dass es ein Aufrollen der Erinnerung eines vorhergehenden Lebens war, eine ernste Warnung, nicht wie damals blind zu lieben, wo Liebe vergeudet war. Sehr ernst gestimmt empfing ich Iwan und seine Bitte, sein Weib zu werden. Doch fiel es mir nicht ein „Nein“ zu sagen. Wir waren verlobt. O die glückliche Zeit! Ich empfand nur Freude, Heiterkeit und selige Hoffnung. Die Hochzeit erfolgte bald. Arsenief war einer meiner Brautführer und hielt die Krone über meinem Haupte nach dem Brauche des russischen Ehezeremonials, doch seine Hand zitterte und er musste die schwere Krone auf mein Haupt stützen. War es ein Zeichen, dass mich die Ehe niederdrücken würde? Nach der Hochzeit begaben wir uns auf einige Monate nach einer Besitzung Iwans im Gouvernement Ufa. Es war ein einsamer Ort; das Herrenhaus lag inmitten eines großen Tannenwaldes, der es von dem Dorfe schied und teilweise als Park hergerichtet war. Dieses Lesnoi, wie das Gut hieß, war in seiner Abgeschiedenheit wie gemacht für ein Liebespaar, das nur sich allein leben wollte, keine Nachbarn, vollständige Einsamkeit und dazu das Erwachen des Frühlings in Wald und Flur. Ja ich habe einige Monate volles ungeteiltes Glück genossen, und so sehr ich später dieses Lesnoi hasste, so schön erschien es mir damals. Leider erhielt mein Gemahl schon nach einigen Monaten die Berufung als Gesandtschaftssekretär nach Rom. Ich hätte ihn gern sofort begleitet, aber er beredete mich, ruhig in Lesnoi zu bleiben, bis er mir ein Heim in Rom hergerichtet hätte, um mir die Strapazen des Hotellebens, Wohnungssuchens und Einrichten derselben zu ersparen. Kaum in Rom eingerichtet, wollte er mich sofort abholen. Lieber wäre ich gleich mit ihm gereist, doch da er es wünschte, blieb ich und gab ihm einen Brief an meinen Vater, der ihn bevollmächtigte, einen Teil meiner Mitgift zum Zwecke der neuen Einrichtung zu erheben. Ich blieb allein und lebte nur in Erwartung der Briefe Iwans. Die Post ging sehr unregelmäßig in diesem verlorenen Erdenwinkel. Oft erhielt ich zwei, drei Briefe zusammen und dann vergingen Tage, ja ganze Wochen ohne Nachricht. Endlich ein kurzer Zettel, der meldete, er habe Urlaub erhalten, mich abzuholen und begebe sich sofort auf die Reise. Nun kamen die Tage der angstvollen Erwartung, jedes Geräusch von Fuhrwerken rief mich vor die Türe und immer vergeblich. Er kam nicht und die Post brachte keine Briefe mehr. Endlich, beim Beginn des Herbstes, erschien der Postbote. Iwan war gar nicht abgereist, denn bald nach Absenden der letzten Nachricht war er erkrankt und jetzt, wo er hätte reisen können, war der Urlaub abgelaufen; ich sollte mich gedulden, bis er wieder das Recht habe, einen neuen Urlaub zu verlangen.
Ich mich gedulden? Wenn er vielleicht noch schwach und krank war und es mir verheimlichen wollte, o nein, ich musste zu ihm. Der Entschluss stand fest, doch die Ausführung war nicht so leicht, wie ich es gewünscht hätte. Es war Geld nötig zur unendlich langen Reise und ich hatte keines. Ich wandte mich an unseren Verwalter um Vorschuss und erhielt zur Antwort, dass Geld nie vorhanden sei. Lesnoi gebe zwar reichlich alles, was Küche und Keller bedürften, doch sei es zu abgelegen, um Produkte zu verwerten. Ich schrieb also an meinen Vater und bat um den Rest meiner Mitgift, doch erhielt ich zur Antwort, auf meinen Brief hin habe mein Gatte alles bis auf den letzten Heller erhoben.
Die lange Spannung der Erwartung und diese letzte Nachricht hatten meinen Organismus so angegriffen, dass ich ernstlich erkrankte. Kaum genesen, bat ich meinen Vater um eine Anleihe oder ein Geldgeschenk zur Reise. Zwar erhielt ich sofort das Gewünschte, aber mittlerweile ging der Winter zu Ende und das Tauwetter machte alle ohnehin schlechten Wege, die nach Lesnoi führten, unfahrbar. Ich war gefangen, Lesnoi war von der übrigen Welt geschieden. O das ewige Warten! Endlich konnte ich reisen, nachdem nun ein volles Jahr der Trennung meine Nerven aufs höchste angespannt hatte.
Ohne Aufenthalt ging es fort, bis ich Rom erreichte, doch dort war ich so abgespannt und ermüdet, dass ich in ein Hotel ging, um mich einigermaßen zu erholen, um nicht, wie im Traume, beim Wiedersehen in Ohnmacht zu fallen. Doch konnte ich keine Ruhe finden. Ihm so nahe zu sein und ihn nicht zu sehen, war unmöglich. Ich brachte also mein Äußeres etwas in Ordnung und fuhr zu der Wohnung, die ich aus der Adresse der Briefe kannte. Der Portier aber antwortete auf meine Frage: „Der Herr ist seit der Heirat in eine andere Wohnung gezogen.“
Ich ließ mir die neue Adresse geben, ohne auf die sonderbare Form der Antwort viel zu achten. Es schien mir, Iwan habe für mich eine bessere Wohnung gesucht. Doch öffnete sich mir ein Abgrund, als ich in der neuen Wohnung den Bescheid erhielt: „Der Herr ist mit seiner Signora zum Forum gefahren, um die neuen Ausgrabungen in Augenschein zu nehmen.“ Dem Lohnkutscher gab ich die Weisung, mich nach dem Forum zu fahren, aber in meinem Gehirn wirbelte und drehte sich alles. „Mit seiner Signora“, wiederholte ich immer fort, aber dachte mir nichts Klares dabei. So gelangte ich bis zur Treppe, die zum Forum herabführt. Dort mit einem Male war es, als erwachte ich aus meiner Letargie. Ich stieg beinahe fröhlich die Stufen hinab, ich sollte ihn ja dort treffen. Und welch buntes Gewimmel auf der breiten Via Sacra, die Leute strömten durch den Triumphbogen an dem Tempel des Neptun vorbei zu dem großen Tempel, der sich zu meiner Rechten erhob und zu dem einige Stufen weißen Marmors hinaufführten. Hoch erhoben sich die Marmorsäulen und trugen auf ihren korintischen Kapitälen das mächtige Dach. Vor dem Tempel stand ein Rauchaltar, auf dem Weihrauch brannte, und Priester in langen weißen Gewändern umschritten langsam den Altar wie bei einer Weihehandlung. Landleute in kurzen Tuniken und edle Römer in ihre Togas gehüllt, standen umher. Doch wo war mein Fulvio, ich sollte ihn ja doch hier treffen? Da endlich erscheint eine Letiga von vier kräftigen Negersklaven getragen. Sie setzen dieselbe vor den Tempelstufen nieder und mein Maximian entsteigt derselben, doch er ist nicht allein, ein schönes Weib entsteigt derselben Letiga. O Schrecken, es ist Julia, die Totgeglaubte. Julia, die mein Hass getötet hatte, deren Mörderin ich zu sein glaubte.
In heller Verzweiflung warf ich mich ihr zu Füßen, umfasste ihre Kniee und flehte „O Julia! Gib mir meinen Gatten wieder, Du hast ihn nie geliebt, wie ich. Gib mir ihn wieder, er ist mein. Siehe, ich habe Dich gehasst, ich habe Deinen Tod gewünscht, doch gab es eine Zeit, wo wir uns innig liebten, um unserer Kindheit willen, nimm mir nicht meinen Abgott, meinen Maximian!“
Julia hatte sich bei meinem unerwarteten Kniefall heftig zurückgezogen, doch fasste sie sich bald und sprach, sich zum versteinert dastehenden Maximian wendend: „Iwan, befreie mich um Gotteswillen von dieser Wahnsinnigen, ich fürchte mich vor ihr.“
Ich wahnsinnig! Ich fasste meine Stirn, ich war es ja nicht; war es nicht mein Mann und meine Schwester? Ich schloss die Augen, um mich recht zu besinnen mit aller Macht meines Willens. Und als ich sie öffnete, konnte ich mich nicht mehr zurechtfinden. Wo war der Tempel, wo die Priester und der Weihrauch. Um mich nichts als Ruinen, zusammengestürzte Tempel, zusammengestürzt wie mein Lebensglück! Ich lag im Staube der Via Sacra, ein paar Schritte weiter flüsterte Iwan mit zwei Munizipalgardisten. Ich wollte mich erheben, doch als ich sah, wie er einer eleganten Dame den Arm bot und einen Fiaker herbeiwinkte, ohne sich nach mir umzusehen, wurde es trübe vor meinen Augen. Ich fühlte nur, wie die Munizipalgardisten mich aufhoben und verlor die Besinnung.
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einer Zelle des Irrenhauses der Lungara. Hier in dieser Zelle schrieb ich die Geschichte meiner traurigen Liebe nieder, um die Zeit rascher vergehen zu lassen, bis mein Vater kommen würde, mich abzuholen. Der Arzt hatte bald erkannt, dass ich nicht wahnsinnig sei und nur große Anspannung und Nervenerregung mich einen Blick in die Vergangenheit tun ließen, die mir als Gegenwart erschien. Er telegraphierte nach Petersburg an meinen Vater, den ich nun hier erwarte.
Drei Jahre später.
Das Manuskript, das ich im Irrenhause schrieb, fiel mir heute in die Hände und ich will das Ende der Tragödie hinzufügen. Mein Vater kam und verklagte Iwan Pawlowitsch wegen Bigamie, doch wurde er freigesprochen, da er die junge Erbin nach katholischem Ritus geehelicht hatte, was für Russland nicht eine gültige Ehe darstellte. Die junge Frau, deren Ehe somit für ungültig erklärt war, kehrte zu ihrer Familie zurück und ihr empörter Bruder forderte Iwan zum Duell, das traurig verlief. Mein Gatte erhielt eine Kugel in die rechte Lunge und siechte einige Zeit dahin. Seine Krankheit verhinderte Arsenief, ihm eine zweite Forderung zukommen zu lassen.
Zwei Monate nach dem Zweikampfe erhielt ich ein Schreiben aus Meran, welches mich zu meinem Gatten rief, der dem Tode nahe sei. Ich reiste hin, denn ich liebte ihn ja doch trotz allem; meine aufrichtige Vergebung sollte ihm die Todesstunde erleichtern und ich blieb bei ihm, vergebend, bis er geschieden.
Er bereute tief und erklärte mir, dass der ewige Geldmangel, der durch seine Spielwut hervorgerufen wurde, und die Leidenschaft, die er im Herzen einer reichen Erbin entzündet hatte, ihn zu dem Verbrechen verführten. Er hatte gehofft, mich in Russland festzuhalten und seine Liebe abwechselnd beiden Frauen zu widmen. Leider konnte er nicht so leicht und oft Urlaub erhalten, um diesen niedrigen Plan auszuführen das brachte die Entdeckung seiner leichtsinnigen Handlung herbei.
Arsenief, mein guter Vetter, liebt mich immer mit gleicher Zuneigung, aber mein Leben ist von der einen großen Liebe ausgefüllt worden. Ich kann ihm nichts als ein leeres Herz bieten und damit würde er doch nicht vorlieb nehmen wollen.
Ob ich ihn in der Gestalt des Clodio schon früher gekannt habe und Sympathie für ihn fühlte, kann ich natürlich nicht behaupten, doch glaube ich es, wie ich auch fest überzeugt bin, dass Maximian und Iwan dieselben Persönlichkeiten sind.
In der „Occult Review“ hat Wrigth eine sonderbare Begebenheit unter dem Titel „Ein lebender Vampyr“ veröffentlicht, die ihm von einem sehr bekannten Chirurgen des englischen Heeres mitgeteilt wurde, der aus den Tropen heimgekehrt war. Der Verfasser versichert, dass die von ihm erzählten Ereignisse sich genau so zugetragen haben, wie er sie schildert:
„Vor einigen Jahren waren einige englische Offiziere in einem Dorfe in den Tropen in Garnison und ihre Zelte standen eine halbe Meile von einander entfernt. Da erkrankte plötzlich einer von den Offizieren, ohne dass man die Ursache der Krankheit entdecken konnte, bis er endlich, da er seinen Dienst nicht mehr versehen konnte, anderswohin versetzt wurde; und sofort wurde er wieder gesund! Von derselben mysteriösen Krankheit wurde dann ein anderer Offizier befallen, der ebenfalls erst wieder seine Gesundheit erlangte, nachdem er die erbetene Versetzung durchgesetzt hatte. Kaum war er fort, so erkrankte unter denselben Symptomen die Frau des Chirurgen, von dem Wright das sonderbare Abenteuer erfuhr. Die arme Frau, die bis dahin heiter und mitteilsam gewesen war, wurde plötzlich düster und schweigsam. Eines Tages endlich vertraute sie ihrem Gatten an, dass sie von einem schwarzen Inder geträumt hätte, der von Beruf ein Ziegenhirt sei. Dieser Inder, der nachts heimlich in ihr Zelt eingedrungen war, habe sie mit großer Kraft umarmt und ihr mit seinen scharfen Zähnen am oberen Teil des Rückgrates nahe dem Halse einen Stich versetzt, ihr das Blut ausgesogen und sie dadurch in einen schrecklichen Zustand der Niedergeschlagenheit versetzt. Am Nachmittag desselben Tages, als die Gatten auf dem Felde spazierten, begegneten sie einem indischen Hirten.
„Das ist eben der Mann, den ich im Traume sah“, flüsterte die Frau ihrem Gatten zu. Der Regiments-Arzt wandte sich ohne weiteres an den Hirten und sagte ihm ganz unversehens: „Ich gebe Dir zwölf Stunden Zeit, diesen Ort zu verlassen; und merke Dir gut, wenn ich Dich nachher noch hier finde, so bringe ich Dich wie einen Hund um.“
Der Inder verschwand und man hörte nichts mehr von ihm. Trotz der eiligen Flucht ließ er weder sein Vieh, noch sein Geld, welches er in einer Bank hinterlegt hatte, zurück. Vom Augenblick seines Verschwindens an erlangte die Frau des Chirurgen ihre Gesundheit und ihren guten Humor wieder.
Seit einem Jahre steht ein Büchlein in meinem Regal, das ich von Zeit zu Zeit immer wieder einmal zur Hand nehme, und je mehr ich mich hinein versenke, um so weniger kann ich dem Drange widerstehen, ein paar Zeilen über das merkwürdige Buch zu schreiben, das verdient von vielen gelesen und studiert zu werden, weil es mit Meisterschaft in die Natur des nordischen Eilandes und seiner Bewohner einführt wie wenige. Es ist kein Reisebuch im herkömmlichen Sinne, es enthält eine Anzahl Novellen und novellistischer Skizzen, wird durch eine begeisterte, stilvolle Hymne auf das Land eingeleitet und schließt mit einer Reihe anmutender, sachlich schlichter Reisebriefe und heißt „Mystische Novellen aus Island“ von Thit Jensen.
Dieser Titel mag manche Leser stutzig machen, und wer zuerst die schwungvolle Einleitung liest und nicht die ruhigeren Reisebriefe, der kann leicht versucht sein, die Erzählungen auf Rechnung der überraschend lebhaften und gestaltenreichen Phantasie der Erzählerin zu setzen. Denn in diesen Erzählungen werden Dinge berichtet, die zwar nach der Versicherung der Erzählerin aus der mündlichen Überlieferung des Isländervolkes geschöpft sind, die aber zuweilen derart seltsam, grausig und wunderbar erscheinen, dass sie selten einer glauben mag.
Da hören wir von der gottvergessenen Svava in Skalholt, die zur Weihnacht auf dem Grabmale des gottesfürchtigen und strengen Bischofs Eirikus tanzte, ihn höhnte und mit ihrem Gespött die ganze vergnügungslüsterne Jugend um sie aufstachelte, dass der trunkene Schwarm in die Kirche stürmte, um zu tanzen. Wir hören, wie Svava in lästerlichem Taumel den Priester spielte, wie sie das heilige Abendmahl austeilte und wild am Altar tanzte; umjohlt von der sinnlos kreischenden, fluchenden und balgenden Menge. Plötzlich erbebt die berstende, winterharte Erde, das schwere, eichene Kirchtor schlägt dröhnend ins Schloss, durch die Kirche zieht ein dumpfer, eisig kalter Schauer wie Grabesluft und auf den Altar zu geht fest und würdig starren Blickes Bischof Eirikur. Entsetzen lähmt die lärmende Menge, die Frevlerin am Altare ist gebannt und ungehindert schreitet Bischof Eirikur zum Altare hin. Er hebt die knochige Hand und schlägt die wilde Svava auf ihr Lästermaul. Dann kehrt er schweigend um und krachend fällt das Kirchtor abermals ins Schloss und bebend schließt sich draußen die Erde. In der Kirche aber steht Svava und schreit im Wahnsinn mit gellendem Lachen dem Rächer dreister Kirchenschändung nach und lacht und schreit bis an ihr Ende.
Eine grauenhafte Geschichte! Noch grauenhafter ist wohl die folgende: Auf einem einsamen Pfarrhofe, mitten in versteinter Lava, geht es zu gewissen Zeiten um und hält die Bewohner, bis zum nächsten Vorfall, in lähmender Angst. Unheimlich ist der Pfarrhof, unheimlich sind seine Bewohner. Niemand lacht, weil jeder auf dem Pfarrhofe durch die Schrecken dämonischer Peinigung das Lachen verlernt. Die alte Groa kann in die Zukunft schauen und der alte Egil, der älteste Knecht, ist ein Wahrträumer. Er erzählt von der Tochter des Reykjaviker Arztes, die am Typhus starb, nachdem ihr Vater sie im Traume das Haus verlassen und mit Hilfe ihrer Verwandten im Nachthemd auf einem blassgelben Pferde wegreiten gesehen hatte. Blassgelbe Pferde sind aber im Traume Todesboten. Egil selber hat aber auch geträumt. Er hat die junge Nichte des Pfarrers, Valdis, auf dem alten Schimmel vom Hofe reiten sehen. Darum wird sie nicht lange auf dem Pfarrhofe bleiben. Doch da sie nicht auf Behur, der blassgelben Stute, ritt, kann es nicht Tod bedeuten, sondern nur ein Reisen, Wegzug. Die Pfarrfrau Gudridor ist eine Seherin. Sie hat einen seltsamen Blick wie einer, der eben aus tiefem Schlafe erwacht oder der bewusstlos gewesen ist und nun mit einmal die Lider aufschlägt. Ein seltsamer, kaum geborener Blick, der immerfort den Eindruck macht, als müsste er brechen oder aber sich sehend entfalten. So hatte sie gesehen, wie einst ihr Gatte, Sera John, viele Meilen weit entfernt vom Pferde stürzte und den Arm brach, sie hatte das gesehen und darum daheim alles zurecht machen können, bis er kam. So „sehend“ steht Gudridor wieder eines Tages vor dem Hause und zeigt nach Süden: Dem Zeigefinger entlang schien ein Sinn zu strahlen, vom Auge kommend, der Linie des Zeigefingers folgend. Ein Schwall mächtiger Kraft ging aus den Seheraugen hervor, ein Sinn, der gleich dem Gedanken sich höhnisch über den Raum wegsetzte. Sie sieht Reisende, beschreibt ihre Zahl, ihr Geschlecht, ihr Aussehen, ihre Pferde. Sie sieht das alles, obgleich meilenweit mit normalen Augen nichts zu bemerken ist als Lava und Himmel, so aber kann sie das Haus auf den seltenen Besuch vorbereiten, der in 3–4 Stunden kommen wird.
Valdis, ihre Nichte, hilft mit, sie freut sich, dass unter den verheißenen Ankömmlingen ein Weib ist. Valdis richtet die Badstube über dem Kuhstall vor. Währenddessen ergreift sie etwas von unterm Bette her am Bein überm Knie. Darüber aufgebracht, in der Meinung, ein alter, plötzlich verrückt gewordener Knecht versuche ihr etwas anzutun, beugt sie sich, reißt den Rock in die Höhe und sieht eben noch eine fremde Männerhand, widerlich groß, roh, rot, wetterhart und grobhäutig mit dicken, hervorstehenden blauen Adern und dicht behaart und einen groben, blaugestreiften Hemdärmel mit einer breiten auch blaugestreiften Manchette. Scheltend sucht sie unter dem Bette den Eindringling, aber das Bett wie das ganze Zimmer ist außer von ihr von keinem Wesen belebt. Diese Erkenntnis durchzuckt sie blitzartig und in dem Augenblick entringt sich ihr auch schon ein gellender Schrei, der weithin über das Gehöft und weiter schallt und ganz so klingt, wie wenn zu anderen Zeiten im Pfarrhofe jemand vom Spuk überrascht wurde und schrie.
Der alte Egil kannte das, und als er ins Haus kam, war schon die Pfarrersfamilie um die zu Tode erschrockene Valdis versammelt und ließ sich den Vorfall erzählen. Valdis aber verlangte auf der Stelle fort aus dem unheimlichen Hause. Als die Mägde das zitternde Mädchen auskleideten, sahen sie über dem Knie die bläulichen, blutunterlaufenen Fingermale. Das war gegen Mittag. Am Nachmittage kamen zwei Reiter, Bruder und Schwester, und beide sahen genau so aus, wie die Pfarrfrau sie beschrieben hatte. Die übrigen Männer waren bei den vielen Pferden zurückgeblieben. Dem weiblichen Gaste wurde ein entlegenes Schlafzimmer angewiesen. Nach 15 stündigem Ritt wollte Miss Mary auch ruhig schlafen. Kaum hatte sie sich aber mit dem bestimmten Gedankenbefehle, zu schlafen, niedergelegt, so zog etwas an ihrem Deckbett, langsam, aber sicher und andauernd. Nach lange dauernder Unfähigkeit zu einer anderen Bewegung als energischem Festhalten raffte sich Miss Mary dazu auf, dass sie ein Licht anzünden wollte. Sie langte nach den Streichhölzern und in demselben Augenblick wurde sie von einer behaarten Hand erfasst, sodass sie deutlich jeden Finger fühlte. Sie, die so unerschrocken war wie ein Mann, weshalb sie ihr Bruder auf die Reise mitgenommen hatte, wurde vor Entsetzen ohnmächtig und wurde so am Morgen von den Mägden gefunden.