Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald et al.
WIE DIE ALCHEMIE ZUR CHEMIE WURDE
GESCHICHTE DER CHEMIE
TOPPBOOK ABENTEUER NATURWISSENSCHAFT. 1
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Über den Autor
FRIEDRICH WILHELM OSTWALD war ein deutsch-baltischer Chemiker, Philosoph, Soziologe, Wissenschaftsorganisator, -theoretiker und -historiker. Er gilt als einer der Begründer der Physikalischen Chemie und lehrte an der Universität Leipzig. Sein Laboratorium und das von ihm begründete Wilhelm-Ostwald-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität machte er zu einem Zentrum der neuen Wissenschaftsdisziplin.
Inhaltsverzeichnis
Titel
Über den Autor
1. Die wunderbare Wandlung des Steins der Weisen
1.1 Auf dem Weg zur chemischen Revolution
1.2 Die Umwälzung in der Medizin
2. Leitlinien der Chemie
2.1 Vom Element bis zur Transmutation
2.2 Wie die Atomhypothese zur Periodentafel der Elemente führte
2.3 Die Gasgesetze und der Einzug des Moleküls in die Wissenschaft
2.4 Wie sich Atome zusammenschließen
2.5 Der Zusammenhang zwischen chemischen und elektrischen Erscheinungen
2.6 Die Triebkraft chemischer Reaktionen (Affinität)
2.7 Dem Geheimnis der Katalyse auf der Spur
3. Die Biochemie des lebenden Organismus
4. Wie Transmutationen die Endlagerfrage lösen können
Buchtipps
Impressum
Abb. 1.1: Nachbildung des Labors von Andreas Libavius in Rothenburg ob der Tauber. CC0
Es ist nicht leicht, sich eine Vorstellung über den Umfang des chemischen Wissens in der gegenwärtigen Zeit zu machen, ohne den Blick rückwärts auf vergangene Jahrhunderte zu lenken. Die Geschichte einer Wissenschaft ist eine Seite in der Geschichte des menschlichen Geistes; in Beziehung auf ihre Entstehung und Entwicklung gibt es keine, welche merkwürdiger und lehrreicher wäre, als die Geschichte der Chemie. Der verbreitete Glaube an das jugendliche Alter der Chemie ist ein Irrtum, welcher zufälligen Umständen seine Entstehung verdankt; sie gehört zu den ältesten Wissenschaften.1
Derselbe Geist, welcher zu Ende des 18. Jahrhunderts in einem hochzivilisierten Volk das wahnsinnige Bestreben erweckte, die Denkmale seines Ruhmes und seiner Geschichte zu vernichten, der Göttin der Vernunft Altäre zu erbauen und einen neuen Kalender einzuführen, gab Veranlassung zu dem seltsamen Fest, in welchem Madame Lavoisier in dem Gewand einer Priesterin das phlogistische System auf einem Altar den Flammen übergab, während eine feierliche Musik ein Requiem dazu spielte. Damals vereinigten sich die französischen Chemiker zu einer Änderung aller bis dahin gebräuchlichen Namen und Bezeichnungsweisen von chemischen Vorgängen und chemischen Verbindungen, es wurde eine neue Nomenklatur eingeführt, welche im Gefolge eines in sich vollendeten neuen Systems sich in allen Ländern die Aufnahme erzwang.
Daher denn die scheinbare große Kluft zwischen der gegenwärtigen und früheren Chemie.
Der Ursprung einer jeden wichtigen Entdeckung, einer jeden gesonderten Beobachtung, welche bis zu Lavoisiers Zeit in irgendeinem andern Teil Europas gemacht worden war, war verwischt, die neuen Namen und geänderten Vorstellungen zerrissen allen Zusammenhang mit der Vergangenheit, unser gegenwärtiger Besitz scheint Vielen nur das Erbe der damaligen französischen Schule zu sein und die Geschichte nicht über diese hinaus zu reichen. Dies eben ist der Irrtum.
Wie es kein Ergebnis gibt in der Geschichte der Völker, dem nicht Zustände oder Ereignisse, deren Folge es ist, vorangegangen sind, ganz so verhält es sich mit dem Fortschritt in den Naturwissenschaften. Wie eine Erscheinung in der belebten oder unbelebten Natur die Bedingungen voraussetzt, durch welche sie entsteht, so wird der Fortschritt in den Naturwissenschaften angebahnt durch vorangegangene Erwerbung von Wahrheiten, welche Ausdrücke für Tatsachen, oder der gegenseitigen Abhängigkeit von Tatsachen sind. Ein neues System, eine neue Theorie ist immer die Folge von mehr oder weniger umfassenden, der herrschenden Lehre widersprechenden Beobachtungen; zu Lavoisiers Zeit waren alle Körper, alle Erscheinungen, mit deren Studium er sich beschäftigt hat, bekannt; er hat keinen neuen Körper, keine neue Naturerscheinung entdeckt, alle durch ihn festgestellten waren die notwendigen Folgen von Arbeiten, die den seinigen vorangegangen waren; sein unsterbliches Verdienst war es, den Körper der Wissenschaft mit einem neuen Sinn begabt zu haben, alle Glieder waren bereits vorhanden und in die richtige Verbindung gebracht.
Die Chemie umfasst die Wirkungen von Naturkräften der verborgensten Art, die sich nicht wie viele physikalische Kräfte, wie das Licht, die Schwere, durch Tätigkeiten kundgeben, welche täglich die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen; es sind Kräfte, welche nicht in Entfernungen wirken, deren Äußerungen nur bei der unmittelbaren Berührung verschiedenartiger Materien wahrnehmbar sind. Es gehörten Jahrtausende dazu, um die Welt von Erscheinungen zu schaffen, woraus die Chemie zu Lavoisiers Zeiten bestand. Unzählige Beobachtungen mussten gemacht sein, ehe man imstande war, die auffallendste chemische Erscheinung, das Brennen eines Lichtes, zu erklären, ehe man die verborgenen Fäden auffand, welche zum Bewusstsein führten, dass das Rosten des Eisens in der Luft, das Bleichen der Farben, der Atmungsprozess der Tiere abhängig von derselben Ursache ist.
Um zu den chemischen Kenntnissen zu gelangen, über die wir heute verfügen, war es nötig, dass Tausende von Männern, mit allem Wissen ihrer Zeit ausgerüstet, von einer unbezwinglichen, in ihrer Heftigkeit an Raserei grenzenden Leidenschaft erfüllt, ihr Leben und Vermögen und alle ihr Kräfte daransetzten, um die Erde nach allen Richtungen zu durchwühlen, dass sie, ohne müde zu werden und zu erlahmen, alle bekannten Körper und Materien, organische und unorganische, auf die verschiedenartigste und mannigfaltigste Weise miteinander in Berührung brachten; es war erforderlich, dass dies fünfzehn Jahrhunderte hindurch geschah.
Es war ein mächtiger unwiderstehlicher Reiz, der die Menschen antrieb, sich mit einer Geduld und Ausdauer, die ohne Beispiel in der Geschichte ist, mit Arbeiten zu beschäftigen, welche kein Bedürfnis der Zeit befriedigten. Es war das Streben nach irdischer Glückseligkeit.
Eine wunderbare Fügung pflanzte in die Gemüter der weisesten und erfahrensten Männer die Idee der Existenz eines in der Erde verborgenen Dinges, durch dessen Auffindung der Mensch in den Besitz dessen gelangen kann, was die höchsten Wünsche der höheren Sinnlichkeit umschließt: Gold, Gesundheit und langes Leben. Das Gold gibt die Macht, ohne Gesundheit gibt es kein Genießen, und das lange Leben tritt an die Stelle der Unsterblichkeit. (Goethe.)
Diese drei obersten Erfordernisse der irdischen Glückseligkeit glaubte man vereinigt in dem Stein der Weisen; die Aufsuchung der jungfräulichen Erde, des Mittels zur Darstellung der geheimnisvollen Substanz, welche in der Hand der Weisen oder Wissenden jedes unedle Metall in Gold verwandelt, das, wie man später glaubte, in seiner höchsten Vollkommenheit als Arzneimittel gebraucht, alle Krankheiten heilt, den Körper verjüngt und das Leben verlängert, war aber tausend Jahre lang der alleinige und Hauptzweck aller chemischen Arbeiten.
Um das Wesen der Alchemie richtig aufzufassen und zu beurteilen, muss man sich daran erinnern, dass man bis zum sechszehnten Jahrhundert die Erde für den Mittelpunkt des Weltalls hielt, das Leben und die Schicksale der Menschen wurden als in engster Verbindung stehend betrachtet mit der Bewegung der Gestirne. Die Welt war ein großes Ganzes, ein Organismus, dessen Glieder in ununterbrochener Wechselwirkung standen. „Nach der Erde hin strahlen von allen Enden des Himmels die schöpferischen Kräfte und bestimmen das Irdische.“ (Roger Baco.)
„Isst jemand ein Stück Brot, sagt Paracelsus, genießt er nicht in demselben Himmel und Erde und alle Gestirne, insofern der Himmel durch seinen befruchtenden Regen, die Erde durch das Feld und die Sonne durch ihre leuchtenden und erwärmenden Strahlen an der Hervorbringung desselben mitgewirkt haben und das Ganze im Einzelnen gegenwärtig ist.“
Was auf der Erde geschah, stand am Himmel in Sternenschrift, das am Himmel Geschriebene musste auf der Erde geschehen, Mars oder Venus, oder ein anderer Planet regierten von der Geburt an die Taten und Erlebnisse der einzelnen Menschen; die in ihrer Erscheinung regellosen Kometen galten als drohende Schriftzeichen der Bedrängnis und Not ganzer Völkerschaften.
Die Erkenntnis und Betrachtung der Natur und ihrer Kräfte umfasste die Wissenschaft der Magie; mit der Heilkunst verbunden galt sie für den Inbegriff geheimer Weisheit. In den Erscheinungen des organischen Lebens, in großartigen Naturwirkungen, im Donner und Blitz, im Sturm und Hagel erkannte man das Walten unsichtbarer Geister.
Was ein Denker sich durch Beobachtung erworben hatte, war ein Besitz, dessen Quelle der Menge nicht erkennbar war, er war ein Zeichen des Verkehrs mit übernatürlichen Wesen, sein Wissen galt als Macht, mit ihm beherrschte er die Geister. „Die Dämonen, sagt Cäsalpinus, erkennen durch den inneren Sinn, ohne eines Körpers zu bedürfen, aber ohne natürliche Mittel können sie auf Menschen und Tiere keinen Einfluss äußern. – Die von der argen Art erregen die Behexungen und allerlei Unfälle.“ Vier Jahrhunderte lang brachte die Jurisprudenz der Idee des Bestehens von Bündnissen der Menschen mit dem bösen Geiste Tausende von Menschenopfern; man war überzeugt von der Existenz von Verträgen der seltsamsten Art, insofern keine der Parteien irgendeinen Nutzen daraus zog, denn die Unglücklichen, welche ihre Seele dem Teufel verschrieben hatten, lebten größtenteils im Elend und tiefer Armut und tauschten dafür einmal weltliche Freuden ein, und ihr Anteil an himmlischer Seligkeit, welchen der Teufel erwarb, war für ihn ein wertloser Besitz. (Carriere.)
Mit diesem Zustand der Entwicklung des menschlichen Geistes verglichen, war die Alchemie in Beziehung auf Naturerkenntnis anderen Naturwissenschaften voraus; die Chemie stand damals und bis zum 15. Jahrhundert auf derselben Stufe, sie war in ihrer Ausbildung nicht weiter zurück als die Astronomie.
Die Idee des Steines der Weisen, als eines Mittels zur Verwandlung der unedlen Metalle in Gold, wurde vorzüglich durch die Araber von Ägypten aus verbreitet. Durch die Eroberung von Ägypten gelangten die Araber in den Besitz von naturwissenschaftlichen Kenntnissen, ursprünglich vielleicht der Erwerb einer eifersüchtigen Priesterkaste, welche als Mysterien in den Tempeln gelehrt, nur den Eingeweihten zugänglich waren. Schon Herodot und Plato hatten in diesem Lande Unterricht und Belehrung gefunden. Neunhundert Jahre vor der Eroberung war bereits in der alexandrinischen Akademie ein Mittelpunkt wissenschaftlicher Tätigkeit gebildet, und noch zur Zeit der Verbrennung der großen Büchersammlung durch die Araber war Alexandrien der Sitz und der wichtigste Zufluchtsort griechischer Wissenschaft. In diesem geistig frischen Volke, in welchem der Fatalismus Mohameds, im Widerspruch mit der Entwicklung der Heilkunde, so wie die Gebote ihres religiösen Gesetzbuches, welche das Grübeln ausdrücklich untersagten, die Pflege der Wissenschaften, der Medizin, der Astronomie, der Mathematik, nicht zu hindern vermochten, fanden die Vorstellungen der alexandrinischen Gelehrten über Metallverwandlung einen empfänglichen, vorbereiteten und fruchtbaren Boden.
Zur Zeit als Bagdad, Bassora und Damaskus Mittelpunkte des Welthandels waren, gab es kein Volk der Erde, welches geschickter und tätiger im Erwerb und begieriger nach Gewinn und Gold war, als die Araber. In ihren Märchen und Sagen sind uns die Lieblingswünsche der damaligen Zeit, die bewegenden Ursachen der Tätigkeit des Volkes aufbewahrt. Während die Elfen und Nixen, die Zwerge und Undinen der germanischen Sagen Spender von Schwertern waren, denen kein Feind widerstand, oder von Salben, welche alle Wunden heilten, von Bechern, die sich niemals leerten, oder Tischen, die immer gedeckt waren, sind die Geister der Tausend und einen Nacht stets die Bewahrer von unermesslichen Schätzen, die Hüter von Gärten mit Bäumen von Gold und Früchten von edlen Steinen. Die Wunderlampe der arabischen Erzähler, durch welche der Mensch in den Besitz dieser Herrlichkeiten gelangen konnte, war offenbar als etwas eben so Erreichbares und Wirkliches angesehen, als wie die Besen, auf welchen viele Jahrhunderte später die Hexen auf den Blocksberg ritten, um in rasenden Tänzen die Walpurgisnacht zu feiern; sie gestaltete sich in Ägypten in den Steinen der Weisen.
Durch die arabischen Hochschulen wurde das Streben nach der Auffindung des Steins der Weisen, und damit der Erwerb chemischer Kenntnisse und die ganze wissenschaftliche Richtung, dem nordwestlichen Europa mitgeteilt. Nach dem Muster der Hochschulen zu Córdoba, Sevilla, Toledo, welche seit dem 10. Jahrhundert von Wissbegierigen aus allen Ländern besucht wurden, entstanden zu Paris, Salamanca, Padua etc. Sitze der Wissenschaften, und dem Kulturzustand der damaligen Zeit gemäß wurden die christlichen Geistlichen die alleinigen Besitzer und Verbreiter der Forschungen der arabischen Gelehrten; noch viele Jahrhunderte später blieb die sprichwörtlich gewordene dunkle Erklärungsweise der ägyptischen Priester, ihr mystischer, bilderreicher, mit religiösen Ideen gemischter Stil der Alchemie eigentümlich.
Aus den Schriften Gebers, des Plinius des achten Jahrhunderts, ergibt sich ein Umfang von chemischen Erfahrungen, welcher für diese Zeit Bewunderung erweckt und die Theorien der großen Naturforscher des 13. Jahrhunderts, Roger Bacos und Alberts von Bollstadt (Albertus Magnus, Bischof in Regensburg), können an Ideenreichtum und umfassender Naturanschauung nur mit denen der neueren naturphilosophischen Schulen verglichen werden.
Wie wir noch heute die Körper nach ihrer Ähnlichkeit oder Gleichheit in gewissen Eigenschaften in Gruppen ordnen, ganz so geschah dies zu Gebers Zeit. Die Metalle haben gewisse Grundeigenschaften gemein, der Metallglanz gehört allen an, es gibt Metalle, welche im Feuer unveränderlich sind, es waren die sogenannten edlen Metalle; die Mehrzahl der andern verliert im Feuer den Glanz und die Dehnbarkeit; es waren dies die unedlen Metalle; außer diesen unterschied man noch die unvollkommenen oder sogenannten Halbmetalle.
Dem Metallglanz nach konnte damals der Bleiglanz, der Schwefelkies, nicht von den Metallen getrennt werden; der Bleiglanz stand dem Blei, der Schwefelkies dem Gold in der Farbe nahe. Aus dem Bleiglanz und dem Schwefelkies konnte Schwefel ausgetrieben werden, aus dem ersteren erhielt man ohne Änderung der Farbe und des Glanzes metallisches, dehnbares, schmelzbares Blei; was war natürlicher als zu glauben, dass der Schwefel ein Bestandteil der Metalle sei, durch dessen Verhältnis ihre Eigenschaften bedingt seien. Durch Austreiben von Schwefel wurde der Bleiglanz in Blei verwandelt, war es nicht wahrscheinlich, dass durch Entfernung von etwas mehr Schwefel eine noch größere Veredlung des Bleies bewirkt werden könnte?
In der Tat erhielt man aus dem Blei, indem man es einer weiteren Behandlung im Feuer aussetzte (durch das Abtreiben), eine gewisse Menge Silber, aus dem Silber schied man Gold. Die Alchemie betrachtete diese Scheidungen als Erzeugungen, das Blei, Silber und Gold als Produkte ihrer Prozesse. War es nicht wahrscheinlich, dass durch Vervollkommnung der Prozesse alles Blei im Bleiglanz in Silber, alles Silber in Gold umgewandelt werden könnte? Die Erfahrung hatte bewiesen, dass durch eine jede Verbesserung des Verfahrens mehr Blei, mehr Silber, mehr Gold aus derselben Menge Bleiglanz genommen werde.
Die Verdampfbarkeit des Quecksilbers war bekannt; was war natürlicher, als vorauszusetzen, dass der Verlust der metallischen Eigenschaften bei der Verkalkung der unvollkommenen Metalle durch das Feuer, dass das Rosten derselben auf einer Entweichung von einer Art Mercur (Quecksilber) beruhe?
Noch heute setzt die gewöhnliche Erfahrung in vielen Stoffen, welche eine Farbe besitzen, einen Farbstoff voraus; die rote Farbe des Rubins, die grüne des Smaragds, die blaue des Saphirs beruht auf ähnlichen Ursachen wie die Farbe der gefärbten Zeuge. Das weiche Eisen kann durch eine kleine Beimischung eines fremden Körpers hart, das harte Roheisen durch eine gewisse Behandlung weich und dehnbar gemacht werden; das rote Kupfer kann durch Behandlung mit Galmei eine dem Golde ähnliche Farbe erhalten, dasselbe Metall durch Arsenik silberweiß erhalten werden; das Gold erhält durch Erhitzen mit Salmiak eine rotgelbe Farbe, durch Borax wird es bleich; in gewöhnlicher Tinte (welche Kupfervitriol enthält) verwandelten die Kinder noch im 19. Jahrhundert das Eisen in Kupfer, indem jenes für die Wahrnehmung verschwindet; aus dem Sand gewisser Flüsse erhielt man Gold, aus rotem Lehm mit Öl geglüht bekam man Eisen.
Was war dem unerfahrenen Geist natürlicher, als zu glauben, dass die Eigenschaften der Metalle von Dingen, von gewissen Bestandteilen herrühren, dass durch Entziehung oder Hinzufügung von gewissen Stoffen das Blei oder Kupfer die Eigenschaften des Silbers oder Goldes erlangen könne? Die unvollkommene Tinktur gab die Farbe, eine vollkommenere konnte die fehlenden Eigenschaften geben!
Dass die alten Alchemisten Schwefelverbindungen der Metalle für Metalle selbst hielten, wird niemand in Verwunderung setzen, welcher weiß, dass die Chemiker des 19. Jahrhunderts 26 Jahre lang ein Oxid (Uranoxidul) und eine Stickstoffverbindung (Stickstofftitan) für einfache Metalle angesehen und gehalten haben.
Es gibt, sagt Geber, wie diese in seinem Sinne unzweifelhaften Tatsachen beweisen, Mittel der Erzeugung und Verwandlung der Metalle, und zwar bestehen sie aus dreierlei Medizinen. Die der ersten Ordnung sind die rohen Materialien, wie sie die Natur liefert (Erze.) Die der zweiten Ordnung sind die durch chemische Prozesse gereinigten der ersten Ordnung; durch weitere Veredelung und Fixierung entsteht die Medizin der dritten Ordnung, dies ist das große Magisterium, die rote Tinktur, das große Elixier, der Stein der Weisen.
In allen Metallen, so glaubte man, ist ein Prinzip enthalten, welches ihnen den Charakter der Metallität erteilt, es ist der Mercur der Weisen; Bereicherung eines unedlen Metalls an dem Prinzip ist Veredelung desselben. Zieht man aus irgendeinem Stoff oder Metall das metallische Prinzip aus, steigert man seine Kraft durch Läuterung und stellt so die Quintessenz der Metallität dar, so hat man den Stein, der, auf unreife Metalle gebracht, diese in edle verwandelt. Die Wirkung des Steins der Weisen wurde von Vielen ähnlich der eines Enzyms angesehen. „Verwandelt nicht die Hefe die Pflanzensäfte, das Zuckerwasser durch die Umsetzung der Bestandteile in das verjüngende und stärkende Wasser des Lebens (aqua vitae), bewirkt es nicht die Ausscheidung aller Unreinigkeiten! Verwandelt nicht der Sauerteig das Mehl in nährendes Brot!“ (Georg Rippel. 15. Jahrhundert.)
In seiner größten Vollkommenheit, als Universal, genügte nach Roger Baco ein Teil, um eine Million Teile, nach Raymund Lullus sogar tausend Billionen Teile unedles Metall in Gold zu verwandeln. Nach Basilius Valentinus erstreckt sich seine Kraft nur auf 70 Teile, nach John Price (dem letzten Goldmacher des 18. Jahrhunderts) nur auf 30 bis 60 Teile unedles Metall.
Zur Darstellung des Steins der Weisen gehörte vor allem die rohe erste Materie, die Adamserde, jungfräuliche Erde, sie ist zwar überall verbreitet, aber ihre Auffindung an gewisse Bedingungen, welche nur der Eingeweihte kennt, geknüpft. Hat man diese, sagt Isaac Hollandus, so ist die ganze Darstellung des Steins ein Werk der Weiber, ein Spiel für Kinder. Aus der materia prima cruda oder remota erhält der Philosoph den Mercur der Weisen, verschieden von dem gemeinen Quecksilber, die Quintessenz, die Bedingung der Erzeugung aller Metalle. Zu diesem wird philosophisches Gold gesetzt und die Mischung in einem Brütofen, welcher die Gestalt eines Eies haben muss, längere Zeit gelassen. Man erhält jetzt einen schwarzen Körper, das Rabenhaupt, Caput Corvi, welcher nach längerem Verweilen in der Wärme sich in einen weißen verwandelt, dies ist der weiße Schwan. Bei längerem und stärkerem Feuer wird die Materie gelb und endlich glänzend rot und mit dieser ist das große Werk vollbracht.
Andere Beschreibungen der Bereitungsmethode des Steins der Weisen sind durch Einmischung mystischer Anschauungsweisen noch dunkler und geheimnisvoller. Die Gewohnheit, Zeitlängen mittelst Gebeten zu bestimmen, ging im 10. und 12. Jahrhundert in die Laboratorien der Alchemisten über, und es ist leicht erklärlich, wie allmählich das Gelingen der Operationen wesentlich bedingt von der Wirksamkeit des Gebetes angesehen wurde, was ursprünglich nur die Dauer derselben bezeichnen sollte. Im 17. Jahrhundert war die Umkehrung alchemistischer Ideen in religiöse Begriffe so vollkommen, dass man für Letztere häufig die alchemistischen Ausdrücke gebrauchte. In den Schriften der mystischen Sekten (z. B. des Schwärmers Jacob Böhme, † 1624) bedeutet Stein der Weisen nicht mehr die Gold erzeugende Substanz, sondern „Bekehrung“, der irdene Ofen ist der irdische Leib, der grüne Löwe der Löwe Davids etc.
Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst war es leicht, das, was ein Alchemist erforscht hatte, geheim zu halten; er tauschte es nur gegen die Erfahrungen anderer Eingeweihten aus. Die chemischen Prozesse, welche sie bekannt machten, sind klar und verständlich, insoweit dieselben zu keinem Resultat in Hinsicht auf den Hauptzweck ihres Strebens führten; ihre Ansichten und Arbeiten über das große Magisterium drückten sie in Bildern und Symbolen aus: In einer unverständlichen Sprache sagten sie, was ihnen selbst nur dämmernde Vermutung war.
Worüber man am meisten sich wundern muss, ist offenbar der Umstand, dass die Existenz des Steins der Weisen so viele Jahrhunderte hindurch als eine über jeden Zweifel erhabene Wahrheit gelten konnte, obwohl ihn keiner besaß, und jeder behauptete, dass ihn ein anderer besitze.
Wer konnte in der Tat einen Zweifel hegen, nachdem van Helmont erzählt hatte (1618), dass ihm mehrmals von unbekannter Hand ¼ Gran des kostbaren Körpers zugestellt worden sei, womit er 8 Unzen Quecksilber in reines Gold verwandelt habe! Hatte nicht Helvetius, der ausgezeichnete Leibarzt des Prinzen von Oranien, der bittere Widersacher der Alchemie, selbst in seinem Vitulus aureus quem mundus adorat et orat (1667) erzählt, die bündigsten Beweise der Existenz des Steins der Weisen erhalten zu haben? Denn er, der Zweifler, hatte von einem Fremden ein Stückchen von der Größe eines halben Rübsamenkorns erhalten, und damit in Gegenwart seiner Frau und seines Sohnes 6 Drachmen Blei in Gold verwandelt, was die Prüfung der Münzwardeine im Haag bestand! Wurden nicht in Gegenwart des Kaisers Ferdinand III. zu Prag (1637 bis 1657) mit Hilfe von einem Gran eines roten Pulvers, welches er von einem gewissen Richthausen, und dieser von einem Unbekannten erhalten hatte, durch den Oberbergmeister Graf von Russ drittehalb Pfund Quecksilber in feines Gold verwandelt, woraus eine große Medaille geprägt wurde (Kopp. II. 171), worauf der Sonnengott (Gold) dargestellt war, Mercurs Schlangenstab haltend (um die Entstehung aus dem Quecksilber anzudeuten) mit der Umschrift Divina Metamorphosis exhibita Pragae XV. Jan., An MDCXLVIII in Praesentia Sac. Caes. Maj. Ferdinandi Tertii etc. (sie soll noch 1797, wie J. F. Gmelin berichtet, sich in der Schatzkammer zu Wien befunden haben). Auch der Landgraf von Hessen-Darmstadt, Ernst Ludwig, hatte, so erzählen die Alchemisten, von unbekannter Hand ein Päckchen mit roter und weißer Tinktur erhalten, nebst Anweisung sie zu gebrauchen. Von dem Gold, was er damit aus Blei darstellte, wurden Dukaten geprägt, und aus dem Silber die hessischen Speciestaler von 1717, auf welchen steht: Sic Deo placuit in tribulationibus. (Kopp. II. 271.)
Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass es den Liebhabern der Alchemie in den eben bezeichneten Fällen ergangen ist wie dem berühmten und hochverdienten Professor der Theologie Joh. Sal. Semler in Halle († 1791), der sich 1786 mit einer damals berühmten Universalarznei, welche ein gewisser Baron von Hirsch unter dem Namen Luftsalz feilbot, beschäftigte; er glaubte gefunden zu haben, dass in diesem Salz, angefeuchtet und warmgehalten, sich Gold erzeuge. Er schickte 1787 eine Portion dieses Salzes samt darin gewachsenem Gold an die Akademie zu Berlin. Klaproth, der es untersuchte, fand darin Glaubersalz, Bittersalz in ein Harnmagma eingehüllt und Blattgold in hübschen Dimensionen. Semler schickte auch an Klaproth Salz, in welchem noch kein Gold gewachsen sei, und einen Liquor, welcher „den Goldsamen enthalte und das Luftsalz in der Wärme befruchte,“ es zeigte sich indes, dass das Salz bereits mit Gold vermengt war. Semler glaubte fest an die Entstehung des Goldes, er schrieb 1788: „2 Gläser tragen Gold, alle 5 oder 6 Tage nehme ich es ab, 12 bis 15 Gran, 2 bis 3 andere sind auf dem Wege, und das Gold blüht unten durch.“ Eine neue Sendung an Klaproth in Blättern von 4 bis 6 Quadratzoll zeigte, dass die Pflanze sich verschlechtert hatte, sie trug jetzt unechtes Gold, Tomback. Die Sache klärte sich dahin auf, dass Semlers Diener, welcher des Treibhauses warten sollte, Gold in die Gläser gelegt hatte, um seinen Herrn zu vergnügen; bei einer Verhinderung des Dieners übernahm dessen Frau das Geschäft, welche indes der Meinung war, dass unechtes Gold preiswerter sei und denselben Zweck erfülle.
Im 14., 15. und 16. Jahrhundert war man aber mit den Mitteln echtes Gold und Silber von gold- und silberähnlichen Gemischen zu unterscheiden, nicht so vertraut als zu Semler’s Zeit. Die großartigen Betrügereien, welche von den Goldmachern verübt wurden, vermochten den Glauben an die Wirklichkeit der Metallverwandlung nicht zu schwächen; Heinrich VI. von England (1423) forderte in vier aufeinanderfolgenden Dekreten alle Edlen, Professoren und Geistlichen auf, sich dem Studium der Kunst nach Kräften zu widmen, damit man Mittel gewinne, die Staatsschulden zu bezahlen. Die Geistlichen namentlich, meinte der König, sollten sich um die Erfindung des Steins der Weisen bemühen, da sie ja Brod und Wein in Christi Leib und Blut verwandeln könnten, so werde es ihnen mit Gottes Hilfe auch gelingen, eine Verwandlung der unedlen Metalle in Gold zu bewirken. Welchen Erfolg diese Dekrete hatten, wird man daraus entnehmen können, dass das schottische Parlament in allen Häfen des Reichs, und namentlich an der Grenze zu wachen befahl, dass kein falsches Gold eingebracht werde, und es sollen die Nachkommen dieser Goldmacher noch jetzt in Birmingham existieren.
Im 16. Jahrhundert befanden sich Alchemisten an allen Höfen der Fürsten; Kaiser Rudolph II., Friedrich von der Pfalz war als Gönner der Alchemie berühmt. In allen Ständen beschäftigte man sich mit dem Goldmachen und strebte in den Besitz des großen Geheimnisses zu gelangen. Ganz ähnlich wie heutzutage von Großunternehmen, Privatpersonen und Gesellschaften große Summen für bergmännische Unternehmungen zur Aufsuchung von Erzen, Öl oder anderen Rohstofflagerstätten verwendet werden, so geschah es im 16. und 17. Jahrhundert für die zur Entdeckung des Steins der Weisen nötigen Arbeiten. Eine Menge Abenteurer tauchten auf, welche an den Höfen der Mächtigen das Glück versuchten als Adepten (Besitzer des Geheimnisses) zu gelten, aber es war ein gefährliches Spiel. Denn diejenigen, denen es an dem einen oder andern Hofe gelang, durch geschickt ausgeführte Metallverwandlungen sich als Adepten zu legitimieren, und welche Ehre und reichen Lohn davon trugen, scheiterten zuletzt an anderen, und ihr Ende war in der Regel in einem mit Flittergold beklebten Kleid an gleichfalls vergoldete Galgen aufgehängt zu werden. Die anderen, welche des Betrugs nicht überführt werden konnten, büßten in den Händen habsüchtiger Fürsten durch Gefangenschaft und Folterqualen die Ehre, Besitzer des Steins der Weisen zu sein. Das grausame Verfahren gegen diese galt als der stärkste Beweis für die Wahrheit ihrer Kunst. (Kopp.)
Baco von Verulam, Luther, Benedict Spinoza, Leibniz glaubten an den Stein der Weisen und an die Möglichkeit der Metallverwandlung, und es zeigen die Urteilssprüche juristischer Fakultäten, welche Tiefe und welchen Umfang die Ideen dieser Zeit gewonnen hatten. Die juristische Fakultät zu Leipzig erklärte (1580) in ihrem Urteil gegen David Beuther diesen für überwiesen der Kenntnis des Steines der Weisen, und im Jahre 1725 gab dieselbe Fakultät ein Gutachten ab in der Sache der Gräfin Anna Sophie von Erbach gegen ihren Gemahl Graf Friedrich Karl. Die Erstere hatte auf ihrem Schloss Frankenstein einem als Wilddieb verfolgten Flüchtling Schutz gewährt, und zum Dank dieser, der ein Adept war, der Gräfin das Silbergeschirr in Gold verwandelt. Der Graf nahm die Hälfte davon in Anspruch, weil der Zuwachs des Wertes auf seinem Gebiet und in der Ehe erworben sei. Die Rechtsfakultät entschied gegen ihn, weil das streitige Objekt vor der Verwandlung Eigentum der Gräfin gewesen sei, und sie durch Verwandlung das Besitzrecht nicht verlieren könne. (Kopp.)
Man ist in unserer Zeit nur zu sehr geneigt, die Ansichten der Schüler und Anhänger der arabischen Schule und der späteren Alchemisten über Metallverwandlung als eine Verirrung des menschlichen Geistes anzusehen und seltsamer Weise zu beklagen; aber der Begriff des Wandelbaren und Veränderlichen entspricht der allgemeinsten Erfahrung und geht dem des Unveränderlichen stets voraus.
Vor der Einführung der Waage und der Entwicklung der chemischen Analyse war kein wissenschaftlicher Grund vorhanden für die Meinung, dass das Eisen in einem roten, das Kupfer in einem blauen oder grünen Stein als solche vorhanden und nicht Erzeugnisse des Prozesses seien, der zu ihrer Gewinnung dient. Waren aber die Metalle erzeugte (Produkte) und nicht ausgeschiedene Stoffe (Edukte), so waren sie auch verwandelbar; alles hing dann vom Prozess ab.
Erst durch die Einführung der daltonschen Lehre wurde in der Annahme fester, nicht weiter teilbarer Teilchen (Atome) der Begriff von chemisch einfachen Körpern in der Wissenschaft festgestellt; aber die Vorstellung, die man damit verbindet, ist so wenig naturgemäß, dass kein Chemiker des 19. Jahrhunderts die Metalle für einfache unzerlegbare Körper, für Elemente hält. Aber der Vater der modernen Chemie Berzelius (1779 – 1848) glaubte anfangs noch fest an die Zusammengesetztheit des Stickstoffs, des Chlors, Broms und Jods. Andererseits galten im Jahre 1807 die Alkalien, alkalische Erden und Erden für einfache Körper, von denen wir durch H. Davy wissen, dass sie zusammengesetzt sind.
In dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts glaubten viele der ausgezeichnetsten Naturforscher an die Verwandelbarkeit des Wassers in Erde, und es war diese Meinung so verbreitet, dass es der größte Chemiker seiner Zeit, Lavoisier, für angemessen hielt, durch eine Reihe schöner Versuche die Gründe, worauf sie sich stützte, einer Untersuchung zu unterwerfen und den Irrtum darzutun. Die Erzeugung von Kalk während der Bebrütung der Hühnereier, die von Eisen und Metalloxiden in dem tierischen und vegetabilischen Lebensprozess, fand noch im 19. Jahrhundert warme und scharfsinnige Verteidiger.
Die Unkenntnis der Chemie und ihrer Geschichte ist der Grund der sehr lächerlichen Selbstüberschätzung, mit welcher Viele auf das Zeitalter der Alchemie zurückblicken, wie wenn es möglich oder überhaupt denkbar wäre, dass über tausend Jahre lang die kenntnisreichsten und scharfsinnigsten Männer, ein Baco von Verulam, Spinoza, Leibniz eine Ansicht für wahr hätten halten können, der aller Boden gefehlt und welche keine Wurzel gehabt hätte! Muss nicht im Gegenteil als ganz unzweifelhaft vorausgesetzt werden, dass die Idee der Metallverwandlung mit allen Beobachtungen dieser Zeit in vollkommenster Übereinstimmung und mit keiner im Widerspruch stand?
In der ersten Stufe der Entwicklung der Wissenschaft konnten die Alchemisten über die Natur der Metalle keine andere Vorstellung haben, als die, welche sie hatten, keine andere Vorstellung war zulässig oder möglich, sie war darum naturgesetzlich notwendig. Man sagt, dass die Vorstellung des Steins der Weisen ein Irrtum gewesen sei; aber alle unsere Ansichten sind aus Irrtümern hervorgegangen. Was wir heute für wahr halten, ist vielleicht morgen schon ein Irrtum.
Eine jede Ansicht, welche zum Arbeiten antreibt, den Scharfsinn weckt und die Beharrlichkeit erhält, ist für die Wissenschaft ein Gewinn; denn die Arbeit ist es, welche zu Entdeckungen führt. Die drei keplerschen Gesetze, welche als die Grundlage der heutigen Astronomie gelten, sind nicht aus richtigen Vorstellungen über die Natur der Kraft, welche die Planeten in ihren Bahnen und ihrer Bewegung erhält, hervorgegangen, sondern es sind einfache Resultate der Experimentierkunst.
Die lebhafteste Einbildungskraft, der schärfste Verstand ist nicht fähig, einen Gedanken zu ersinnen, welcher vermögend gewesen wäre, mächtiger und nachhaltiger auf den Geist und die Kräfte der Menschen einzuwirken, als wie die Idee des Steins der Weisen. Ohne diese Idee würde die Chemie in ihrer gegenwärtigen Vollendung nicht bestehen, und um sie ins Leben zu rufen und in 1500 oder 2000 Jahren auf den Standpunkt zu bringen, auf dem sie sich heute befindet, würde sie aufs Neue geschaffen werden müssen. Es war dieselbe Macht, welche mit und nach Kolumbus Tausende von Abenteurern ihr Vermögen und Leben wagen ließ, um eine neue Welt zu entdecken, welche in unsern Tagen Hunderttausende treibt, die Felsengebirge des Westens in Amerika zu übersteigen, um Kultur und Gesittung gleichmäßig auf diesem Teil des Erdballs zu verbreiten.
Um zu wissen, dass der Stein der Weisen nicht existierte, musste alles der Untersuchung und Beobachtung Zugängliche, entsprechend den Hilfsmitteln der Zeit, untersucht und beobachtet werden; darin liegt aber der ans Wunderbare grenzende Einfluss dieser Idee: Ihre Macht konnte erst gebrochen werden, wenn die Wissenschaft eine gewisse Stufe ihrer Vollendung erreicht hatte; Jahrhunderte hindurch, wenn Zweifel erwachten, und die Arbeitenden in ihren Bemühungen ermatteten, trat zu rechter Zeit ein rätselhafter Unbekannter auf, der einen hervorragenden glaubwürdigen Mann von der Wirklichkeit des großen Magisteriums überzeugte.
Ein der Wissenschaft Unkundiger, der sich die Mühe gibt, eine einzige Seite eines Handbuchs der Chemie durchzulesen, muss in Erstaunen versetzt werden von der Masse der einzelnen Tatsachen, welche darauf verzeichnet sind; ein jedes Wort beinahe in einem solchen Werk drückt eine Erfahrung, eine Erscheinung aus. Alle diese Erfahrungen boten sich dem Beobachter nicht von selbst dar, sie mussten mühsam aufgesucht und errungen werden. Auf welchem Standpunkt wäre die heutige Chemie ohne die Schwefelsäure, welche eine über tausend Jahre alte Entdeckung der Alchemisten ist, ohne die Salzsäure, die Salpetersäure, das Ammoniak, ohne die Alkalien, die zahllosen Metallverbindungen, den Weingeist, Äther, den Phosphor, das Berlinerblau! Es ist unmöglich, sich eine richtige Vorstellung von den Schwierigkeiten zu machen, welche die Alchemisten in ihren Arbeiten zu überwinden hatten; sie waren die Erfinder der Werkzeuge und der Prozesse, welche zur Gewinnung ihrer Präparate dienten, sie waren genötigt, alles, was sie brauchten, mit ihren eigenen Händen darzustellen.
Die Alchemie ist niemals etwas anderes als die Chemie gewesen; ihre beständige Verwechslung mit der Goldmacherei des 16. und 17. Jahrhunderts ist die größte Ungerechtigkeit. Unter den Alchemisten befand sich stets ein Kern echter Naturforscher, die sich in ihren theoretischen Ansichten häufig selbst täuschten, während die fahrenden Goldköche sich und Andere betrogen. Die Alchemie war die Wissenschaft, sie schloss alle technisch-chemischen Gewerbezweige in sich ein. Was Glauber, Böttger, Kunkel in dieser Richtung leisteten, kann kühn den größten Entdeckungen aller Jahrhunderte an die Seite gestellt werden.
Manche leitende Ideen der gegenwärtigen Zeit erscheinen dem, welcher nicht weiß, was die Wissenschaft bereits geleistet hat, so ausschweifend wie die der Alchemisten. Nicht die Verwandlung der Metalle, welche den Alten so wahrscheinlich schien, sondern viele seltsamere Dinge halten wir für erreichbar. Wir sind an Wunder so gewöhnt worden, dass wir uns über nichts mehr wundern. Wir befestigen die Sonnenstrahlen auf Papier (Fotografie) und senden unsere Gedanken in die größten Entfernungen mit der Schnelligkeit des Blitzes. Wir schmelzen Kupfer im Wasser und gießen daraus Bildsäulen in der Kälte. Wir lassen Wasser, sogar Quecksilber, in rotglühenden Tiegeln zu Eis, zu festem hämmerbaren Quecksilber gefrieren, und halten es für möglich, ganze Städte aufs Glänzendste zu beleuchten mit Lampen ohne Flamme, ohne Feuer, und zu denen die Luft keinen Zutritt hat. Wir stellen eine der kostbarsten Mineralsubstanzen, den Ultramarin, fabrikmäßig dar, und glauben, dass haben Verfahren entdeckt, aus einem Stück Holzkohle einen prächtigen Diamanten, aus Alaun Saphire oder Rubine, aus Steinkohlenteer den herrlichen Farbstoff des Krapps oder das wohltätige Chinin, oder das Morphin zu machen; es sind dies lauter Dinge, welche entweder eben so kostbar, oder weit nützlicher sind wie das Gold.
Mit der Entdeckung dieser Dinge beschäftigen sich alle, und doch kein Einzelner. Es beschäftigen sich alle Chemiker damit, insofern sie die Gesetze der Veränderungen und Umwandlungen der Körper erforschen, und es beschäftigt sich kein Einzelner damit, insofern keiner die Erzeugung des Diamants oder des Chinins zur Aufgabe seines Lebens wählt. Gäbe es einen solchen Mann, ausgerüstet mit den erforderlichen Kenntnissen und dem Mut und der Beharrlichkeit der alten Goldmacher und den finanziellen Mitteln, er würde diese Aufgabe lösen können. Nach den Entdeckungen über die organischen Basen ist es uns gestattet, an alles dieses zu glauben, ohne jemand das Recht einzuräumen, uns zu verlachen.
Die Wissenschaft hat uns bewiesen, dass der alle diese Wunder vollbringende Mensch aus verdichteter Luft besteht (d. h. aus Luft gewonnenem Kohlenstoff), dass er von unverdichteter und verdichteter Luft lebt, und sich in verdichtete Luft kleidet, dass er seine Nahrung mit Hilfe von verdichteter Luft zubereitet, und damit die größten Lasten mit der Schnelligkeit des Windes fortbewegt. Das Seltsamste hierbei ist, dass Tausende dieser auf zwei Beinen gehenden Gehäuse von verdichteter Luft sich zuweilen des Zuflusses und des Erwerbs von verdichteter Luft wegen, die sie zur Ernährung und Kleidung bedürfen, oder ihrer Ehre und Macht wegen, in großen Schlachten durch verdichtete Luft vernichten, und dass viele die Eigentümlichkeiten des unkörperlichen, selbstbewussten, denkenden und empfindenden Wesens, in diesem Gehäuse, als eine einfache Folge von dessen innerem Bau und Anordnung seiner kleinsten Teilchen ansehen, während die Chemie unzweifelhaften Beweis liefert, dass, was diese allerletzte feinste, nicht mehr von den Sinnen wahrnehmbare Zusammensetzung betrifft, der Mensch identisch mit dem niedrigsten Tier der Schöpfung ist.
Um aber auf die Alchemie zurückzukommen, so vergisst man in ihrer Beurteilung nur allzu sehr, dass eine Wissenschaft einen geistigen Organismus darstellt, in welchem, wie im Menschen, erst auf einer gewissen Stufe der Entwicklung das Selbstbewusstsein offenbar wird. Wir wissen jetzt, dass alle besonderen Zwecke der Alchemisten der Erreichung eines höheren Zieles dienten. Der Weg, der dazu führte, war offenbar der beste.
Um einen Palast zu bauen, sind viele Steine nötig, welche gebrochen, und viele Bäume, welche gefällt und gesägt werden müssen. Der Plan kommt von oben, nur der Baumeister kennt ihn.
Der Stein der Weisen, den die Alten im dunkeln unbestimmten Drang suchten, ist in seiner Vollkommenheit nichts anderes gewesen, als die Wissenschaft der Chemie.
Ist sie nicht der Stein der Weisen, der uns verspricht, die Fruchtbarkeit unserer Felder zu erhöhen und das Gedeihen vieler Millionen Menschen zu sichern; verspricht sie uns nicht, statt sieben Körner deren acht und mehr auf demselben Feld zu erzielen?
Ist nicht die Chemie der Stein der Weisen, welcher die Bestandteile des Erdkörpers in nützliche Produkte umformt, welche der Handel in Gold verwandelt; ist sie nicht der Stein der Weisen, der uns die Gesetze des Lebens zu erschließen verspricht, der uns die Mittel liefern muss, die Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern?
Eine jede Entdeckung schließt der Forschung immer ausgedehntere und reichere Gebiete auf, und in den Naturgesetzen suchen wir immer noch nach der jungfräulichen Erde; dieses Suchen wird kein Ende haben.
Der Mangel an Kenntnis der Geschichte ist der Grund, warum man häufig auch auf die zweite Periode der Chemie, auf die phlogistische, mit Geringschätzung, ja mit einer Art von Verachtung zurückblickt. Unser Dünkel findet es unbegreiflich, dass die Versuche von Jean Rey über die Gewichtszunahme der Metalle beim sogenannten Verkalken unbeachtet bleiben, dass neben diesen die Idee des Phlogistons2 sich entwickeln und Bestand gewinnen konnte. Aber alle Bemühungen in diesem Zeitalter waren auf das Ordnen des Erworbenen gerichtet, nachdem das zu Ordnende vorhanden war. Die Beobachtungen Jean Reys sind für diese Periode ohne allen Einfluss geblieben, weil sie nicht in Verbindung gebracht waren mit dem Verbrennungsprozess überhaupt; denn wie viele Körper gab es nicht, welche beim Verbrennen leichter wurden, oder welche ganz für die Wahrnehmung verschwanden! Das Ziel aller Arbeiten Bechers und Stahls und ihrer Nachfolger war eben die Aufsuchung der Erscheinungen, welche in einerlei Klasse gehörten und einerlei Ursache ihre Entstehung verdankten.
Dass die Verkalkung der Metalle und die Erzeugung der Schwefelsäure aus Schwefel, so wie die Wiederherstellung der Metalle aus den Metallkalken und die des Schwefels aus der Schwefelsäure analoge Vorgänge seien und miteinander im Zusammenhang stehen, diese große unvergleichliche Entdeckung bedingte den Fortschritt bis zu uns; in ihr liegt eine Wahrheit, welche heute noch als solche gilt und unabhängig ist von der Kenntnis des Gewichtes; ehe man anfangen konnte zu wägen, musste man wissen, was gewogen werden solle; ehe man misst, muss man eine Beziehung zwischen zwei Dingen kennen, welche festgestellt werden soll. Diese Beziehungen für den wichtigsten aller Prozesse, den Verbrennungsprozess, entdeckt und dargetan zu haben, ist Stahls unsterbliches Verdienst.
Wir schätzen die Tatsachen ihrer Unvergänglichkeit wegen, und weil sie den Boden für die Ideen abgeben; den eigentlichen Wert empfängt aber die Tatsache erst durch die Idee, die daraus entwickelt wird. Es fehlten Stahl die Tatsachen, aber die Idee ist sein Eigentum.
Cavendish und Watt waren beide die Entdecker der Zusammensetzung des Wassers; Cavendish stellte die Tatsachen fest, Watt die Idee. Cavendish sagt: Aus brennbarer Luft und dephlogistisierter Luft entsteht Wasser; Watt sagt: Wasser besteht aus brennbarer Luft und dephlogistisierter Luft. In diesen Ausdrücken liegt ein großer Unterschied.
Eine allzu große Schätzung der bloßen Tatsachen ist übrigens häufig ein Merkzeichen eines Mangels an richtigen Ideen. Nicht der Reichtum, sondern die Ideen-Armut umgibt sich mit einem Schwulst von Lappen, oder trägt alte, zerrissene, fadenscheinige oder unpassende Kleider.
Es gibt Ideen von einer Größe und Weite, dass sie, auch völlig durchlöchert, immer noch so viel Stoff übrig lassen, um die Denkkraft einer ganzen Generation ein Jahrhundert lang zu beschäftigen. Eine solche Idee war das Phlogiston.
Das Phlogiston war ursprünglich ein Begriff und die Frage nach seiner materiellen Existenz so lange ohne alle Bedeutung, als die Idee desselben noch Früchte bringend für das Ordnen, und befruchtend für neue Verallgemeinerungen war. Indem man die Eigenschaft des Gewichtes in die Erklärung mit aufnahm, entdeckte man die Abhängigkeit des Vorganges von einem besonderen Bestandteil der Luft, die Erscheinung an sich war aber damit nicht besser wie früher erklärt. Das Verhältnis, um wie viel die Luft oder ein Körper beim Verbrennen schwerer wird, war Stahl nicht bekannt, und in welcher Beziehung der Zersetzungsprozess, in dessen Folge Licht- und Wärmeentwicklung statt haben, zu dem Verbindungsprozess oder zu dem leichter oder schwerer werden steht, dies ist ein Problem, das im 19. Jahrhundert noch zu lösen war. Was Stahl für die Hauptsache hielt, lassen wir zur Seite liegen; dies ist der Unterschied.
Was naturgesetzlich sich entwickelt, kann nicht schneller gehen, als es geht. Erst nach der Bekanntschaft mit dem Verhalten der tastbaren Dinge konnte eine Chemie der unsichtbaren Körper sich gestalten. Der heutige Begriff einer chemischen Verbindung ist aus der pneumatischen Chemie hervorgegangen; zu Stahls Zeit war der Begriff von dem chemischen Charakter eines Gases oder der Luft noch nicht entwickelt. In der Volumenabnahme, in dem Verschwinden eines Gases, da sah und erkannte man erst die chemische Anziehung.
Hales sah (1727) aus einer Menge von Körpern, durch Einwirkung des Feuers, Luft sich entwickeln; alles, was Luftform und Elastizität besaß, war für ihn Luft, der auffallende Unterschied des kohlensauren Gases, der brennbaren Gase und der gemeinen Luft fiel ihm gar nicht auf. Die Volumenabnahme eines Gases bei Berührung mit Wasser, oder in der Verbrennung, erklärte er, nicht durch eine Auflösung oder durch Verbindung, sondern durch den Verlust des Ausdehnungs-Vermögens.
Blacks meisterhafte Untersuchungen legten den ersten Grund zur antiphlogistischen Chemie. Der Fundamentalversuch Lavoisiers, die Verkalkung und Wiederherstellung des roten Quecksilberoxids, und die Aufsaugung und Entwicklung eines Bestandteils der Luft während dieser Prozesse, ist nur eine Nachahmung der Versuche Blacks über den Kalk und die Alkalien. Als Black nachwies, dass der ätzende Kalk, wenn er an der Luft liegt, in milden Kalk übergeht, indem er an Gewicht zunimmt; als er zeigte, dass diese Gewichtszunahme von der Aufnahme eines Gases (der Kohlensäure) aus der Luft herrührte, welches durch Hitze wieder ausgetrieben werden konnte; als er zeigte, dass die Gewichtsvermehrung dem Gewicht des aufgenommenen Gases entsprach, da begann die Epoche der quantitativen Untersuchung. Das Phlogiston verlor seine Bedeutung, an die Stelle der Idee trat ein festgegliedertes Band von Tatsachen.
Noch heute können viele Chemiker Kollektivnamen, ähnlich dem Worte Phlogiston, für Vorgänge, von denen man vermutet, dass sie in einerlei Klasse gehören oder von derselben Ursache bedingt werden, nicht entbehren; aber anstatt hierzu Worte zu wählen, welche Dinge bezeichnen, wie dies bis Ende des 18. Jahrhunderts gewöhnlich war, bedienen wir uns seit Berthollet eigens für diesen Zweck erfundener „Kräfte.“ So gibt es kaum etwas, was gegen die Regeln echter Naturforschung mehr streitet, als die Erfindung und der Gebrauch des Wortes Katalyse oder katalytische Kraft; wir alle wissen, dass in diesem Wort keine Wahrheit liegt; aber die Mehrzahl der Menschen kann, aus Mangel an richtigen Begriffen, des Wortes nicht entbehren, und das Bedürfnis des Ordnens und Zusammenbindens wird demselben auch bei anderen solange Bestand verleihen, bis die Tatsachen, auf die es sich bezieht, in die ihnen zukommenden richtigen Fächer eingereiht sind.
Man hat gesagt, dass eine jede Wissenschaft sich in drei Perioden entwickle, die erste sei die der Ahnung oder des Glaubens, die zweite die der Sophistik, die dritte endlich die der nüchternen Forschung. Die Alchemie hält man für die religiöse Periode der Wissenschaft, welche später Chemie hieß. Diese Ansicht ist entschieden falsch für die Chemie, so wie für alle induktiven Wissenschaften. Um das Wesen einer Naturerscheinung zu erforschen, sind dreierlei Bedingungen zu erfüllen. Man muss zuerst die Erscheinungen an sich, nach allen Seiten hin kennenlernen, sodann ermitteln, in welchem Zusammenhang die Erscheinung mit anderen Naturerscheinungen steht; und wenn alle diese Beziehungen entdeckt sind, so besteht die letzte Aufgabe darin, diesen Zusammenhang oder das Abhängigkeitsverhältnis zu messen, d. h. durch Zahlen festzustellen.3 Die Wissenschaft der Chemie umfasst alle Erscheinungen der Körperwelt, welche durch eine gewisse Anzahl derselben Ursachen bedingt werden, und ihre geschichtliche Entwicklung zerfällt in drei Perioden, entsprechend den drei Bedingungen, welche die Erkenntnis einer einzelnen Naturerscheinung voraussetzt.