2. Auflage

© 2008 Klaus-Dieter Sedlacek
Cover Komposition: Sedlacek; Basisbild: Wolfgang Beyer, GNU-Lizenz (siehe Anhang).
Rechtschreibprüfung mit Duden Korrektor 4.0
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt Originalausgabe
ISBN: 978-3-839-15954-5

Autor

Der Autor Klaus-Dieter Sedlacek, Jahrgang 1948, studierte Mathematik und Informatik. Er beendete 1975 seine Studien mit dem Diplom in Mathematik. Nach einigen Jahren Berufspraxis gründete er eine eigene Firma, die sich mit der Entwicklung von Anwendungssoftware beschäftigte. Diese führte er mehr als fünfundzwanzig Jahre lang. Als Mathematiker ist er dafür prädestiniert komplexe Zusammenhänge unserer Welt aufzudecken und logisch zu erklären. Neben Sachbüchern schreibt er auch spannende Romane.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Glaubwürdigkeit von Aussagen über die Wirklichkeit

Was nach der Physik kommt

Eine physikalische Theorie vom Jenseits

Außerhalb von Raum und Zeit

Das primäre Bewusstsein des Vakuums

Das wahre Gesicht der Wirklichkeit

Antworten auf Grundfragen unseres Seins

Der freie Wille

Der Demiurg (Welterbauer) und die Antwort auf die Frage nach dem Sinn

Unsterblichkeit

Glossar

Literaturhinweise

Abbildungsverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Anhang

GNU Free Documentation License

Vorwort

In diesem Buch geht es weder um Glauben noch um Esoterik, sondern um Beweise. Glaubwürdige, wissenschaftliche Beweise, die in eine Form gepackt sind, dass sie für jeden Interessierten verständlich, bzw. nachvollziehbar sind. Als Form der Darstellung dient eine Rahmenhandlung, in welcher der fiktive Professor Allman eine Lehrgangsveranstaltung für seine Kollegen abhält. Nach und nach entwickelt Professor Allman eine belastungsfähige wissenschaftliche Theorie.

Es ist ungewöhnlich, wenn eine wissenschaftliche Arbeit aufgebaut ist wie ein Sachbuch und eine Rahmenhandlung benützt. Aber diese Arbeit hat auch einen ungewöhnlichen, uns alle betreffenden Inhalt. Der soll und darf nicht in den Büchereien der Fachwelt verstauben, sondern drängt nach dem Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit. Wohl zum ersten Mal gelingt der Beweis, dass Bewusstsein außerhalb des Gehirns existiert. Das hat kaum absehbare Folgen für unser Weltbild. Einige dieser Folgen werden dargestellt.

Die Rahmenhandlung und die Namen der Lehrgangsteilnehmer sind fiktiv, aber der zur Diskussion gestellte Inhalt ist real. Die vorgestellten unerklärlichen Phänomene, die einer Erklärung zugeführt werden, sind der Fachwelt meist schon seit Jahrzehnten bekannt. Weil die Phänomene sich aber bisher jedweder tieferen Erklärung widersetzten, gelang es den Wissenschaftlern nicht, sie einem breiteren Publikum verständlich zu präsentieren. Die Wissenschaft nahm sie als unerklärlich hin, ging mit ihnen um und gewöhnte sich an sie, bis sie ganz gewöhnlich und selbstverständlich schienen. Der größere hinter den Phänomenen liegende Zusammenhang blieb verborgen.

Seit ich mich in meiner Studienzeit damit zu beschäftigten begann, ließen mir die Phänomene keine Ruhe. Immer wieder dachte ich, dass es dafür doch eine Erklärung geben müsste. Leider hatte ich während meines Berufslebens als Mathematiker und Informatiker nicht die Zeit, nach einer Lösung zu suchen. Jetzt erst in meinem Ruhestand bekam ich diese.

Um von einer tieferen Erkenntnis des Inhalts zu profitieren, sollte dieser nicht einfach konsumiert werden. Vielmehr ist Mitdenken gefragt, um die Beweise zu verstehen. Ich möchte an dieser Stelle einen Satz von Immanuel Kant zitieren, der einer der bedeutendsten Philosophen der Neuzeit ist: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Berlinische Monatsschrift, 1784,2, S. 481–494). Als Lohn der Mühe winkt eine unglaubliche, für viele sogar beglückende Erkenntnis, von der ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten möchte. Ich glaube und hoffe, dass es mir gelungen ist, die Phänomene so zu erklären und den größeren Zusammenhang so zu präsentieren, dass Schulkenntnisse ausreichen, um die fantastischen und doch realen Folgen für die Welt und für einen persönlich zu erfassen.

Klaus-Dieter Sedlacek

Glaubwürdigkeit von Aussagen über die Wirklichkeit

Hier fass ich Fuß!
Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
Das Doppelreich, das große,
sich bereiten.

Johann Wolfgang von Goethe, Faust II

Montag, der 2. Juni

„Worin besteht die Realität? – Was ist das Wesen von Geist und Materie? – Verfügt der Mensch über einen freien Willen? – Was ist der Sinn des Lebens? – Überlebt unser individuelles Bewusstsein den persönlichen Tod? – Das sind nur einige Themen, die wir in den nächsten Tagen behandeln werden!“

Mit seiner kräftigen, tiefen Stimme eröffnet Professor Allman als Moderator die gut besuchte Lehrgangsveranstaltung mit dem Titel: „Von der Unsterblichkeit des Bewusstseins – ein neues metaphysisches Weltbild“.

Zuvor hat der bekannte Physiker aus Quantum City seine interessierten Kollegen aller Fachbereiche willkommen geheißen.

Die Sonne flutet durch die großen Fenster des abgeschiedenen Seminarraums in der Außenstelle der Albert-Einstein-Universität. Das Lehrgangsgebäude thront einsam auf einer Düne mit Blick über die Weite des atlantischen Ozeans und wird gern benutzt, wenn es darum geht mit einer kleinen Gruppe hochqualifizierter Spezialisten wissenschaftliches Neuland zu betreten und die Wunder der Naturwissenschaft zu einer Gesamtschau zu vereinen.

Doch die Gruppe die an diesem Montag den Weg in die Abgeschiedenheit, gut 150 km von Quantum City entfernt, gefunden hat, ist keineswegs klein zu nennen. Trotz der Begrenzung auf maximal 25 Teilnehmer sind aus nicht speziell angesprochenen Fachbereichen noch weitere zehn Kollegen des extravaganten Physikprofessors gekommen. Es sind Kollegen, die sich das interessante Thema auf keinen Fall entgehen lassen wollten. Professor Allman brachte es nicht übers Herz sie zurückweisen und so ist der Lehrgangsraum brechend voll.

Die Lehrgangsreihe soll die ganze Woche dauern. Wer am Abend eines Lehrgangstages nicht nach Hause fahren will, kann in dem angeschlossenen Hotel übernachten und die Wissensaufnahme mit ein paar Stunden Urlaubsgefühl verbinden.

Der 43-jährige und 1,80 m große Professor Allman streicht mit der Linken über seinen auf wenige Millimeter Länge gestutzten Vollbart und schaut erwartungsvoll in die Runde, ob nicht schon eine Reaktion auf seine ersten Sätze kommt. Er sieht sympathisch aus mit seinem gerundeten Gesicht und den lebhaften, freundlich durch die Brille blitzenden Augen. Sein braun kariertes Jackett und ein blauer Seidenschal verleihen ihm eher das extravagante Aussehen eines Künstlers, denn eines trockenen Naturwissenschaftlers.

Lehrgänge für gleichrangige Wissenschaftler zeichnen sich durch eine hohe Interaktivität zwischen Moderator und Lehrgangsteilnehmern aus. So bleibt die erste Zwischenfrage nicht aus. Dr. Helena Anaximenes, eine trotz ihrer roten Haare hoch qualifizierte Mathematikerin aus der vorderen Reihe, wirft spitzbübisch lächelnd ein: „Professor Allman, wildern Sie mit Ihrem Thema nicht bei den Philosophen? Was hat das Thema mit Ihrem Fachbereich der Physik zu tun?“

Professor Allman schmunzelt: „Sicher reklamieren die Philosophen die Metaphysik als ihr alleiniges Fachgebiet. Trotzdem kommt die moderne Physik nicht ohne das aus, was angeblich zur Metaphysik gehört. – Wissen Sie was das Ziel der Metaphysik ist?“

Dr. Albert Maupertius, der in Ehren ergraute Philosoph unter den Teilnehmern, fühlt sich angesprochen: „Es geht um Erkenntnis der Grundstruktur und Prinzipien der Wirklichkeit! – Aber eigentlich ist das mein Fachgebiet, Herr Kollege, und nicht Ihres.“

„Ich darf Ihre Worte aufschreiben:

Erkenntnis der Grundstruktur und Prinzipien der Wirklichkeit!

Professor Allman drückt ein paar Tasten auf einer Computertastatur und projiziert den Satz mithilfe eines 3DBeamers gleißend hell, mitten in den Lehrgangsraum. Gleichzeitig verfärben sich die Fensterscheiben und verdunkeln sich wie die Gläser einer Sonnenbrille, um das Sonnenlicht abzudämpfen. Die zweite Aussage seines Kollegen, die einer Rüge gleicht, beachtet er nicht.

„Außerdem hat der griechische Philosoph Platon gesagt, Metaphysik sei das, was nach der Physik kommt!“ ergänzt Dr. Krates, der bärtige Assistent von Dr. Maupertius.

„Auch das ist richtig!“ kommentiert Professor Allman. „Die klassische Metaphysik beschäftigt sich mit Fragen wie ‘warum überhaupt etwas existiert‘ oder ‘was die Wirklichkeit als solche ausmacht‘. Mit diesen Fragen werden wir uns auch beschäftigen.

In dieser Lehrgangswoche wollen wir Themenbereiche behandeln, die jenseits der klassischen Naturwissenschaft liegen, aber dennoch eine Bedeutung für die wissenschaftliche Forschung haben.“

Hartnäckig wendet die Mathematikerin Dr. Anaximenes ein: „Trotzdem möchte ich in Erinnerung rufen, was der Philosoph Kant hat gesagt und was mir auch als Mathematikerin geläufig ist. Er meinte, dass jeder Versuch Theorien über die Wirklichkeit aufzustellen, die hinter den Dingen der Erfahrung liegen, zum Scheitern verurteilt ist.“

„Kant hatte in seinem damaligen Umfeld recht“, stellt Professor Allman fest und schaute erst Dr. Anaximenes fest an und dann in die Runde. „Ob seine Aussage heute immer noch gültig ist, kann ich an dieser Stelle nicht glaubwürdig beantworten.“

Betretene Gesichter blicken zurück. Wenn alle Einwände gegen den Lehrgang erst einmal richtig sein sollen, warum sitzen sie dann hier?

„Aber …“, fährt Professor Allman fort. „Ich glaube Sie sind nicht in diesen Lehrgang gekommen, um schon nach wenigen Minuten wieder nach Hause zu gehen. Sie sind brennend an den Grundfragen Ihres Seins interessiert. Sie wollen Antworten und nicht nur irgendwelche Antworten, sondern plausible Antworten. Antworten, die Sie zufrieden stellen. Antworten jenseits von Religion, Pseudowissenschaft und Esoterik. Antworten auf wissenschaftlichem Niveau. Kurz glaubwürdige Antworten, die auf der wissenschaftlichen Methode basieren.“

Der grauhaarige Dr. Maupertius antwortet: „Genauso ist es Herr Kollege! Nicht philosophisches Fachwissen interessiert mich, denn das gehört zu meinem Beruf, sondern glaubwürdige Antworten auf die Grundfragen unseres Seins. Ich glaube ich spreche auch für die übrigen Anwesenden, wenn ich sage, dass der Begriff Metaphysik in der Seminarankündigung durch einen Physiker uns sehr verwirrte.“

„Dann lassen Sie mich das Ergebnis meiner nachfolgenden Erläuterungen kurz vorwegnehmen: Ohne Metaphysik gibt es keine Theorien und keine wissenschaftliche Methode. Darüber hinaus will ich Ihnen einen Weg zeigen, wie Sie zu glaubwürdigen Antworten auf die Grundfragen des Seins kommen.“

„Das erscheint mir ein Widerspruch zu sein, Professor Allman. Für viele Menschen ist schon glaubwürdig, was ihnen ihre Religionsführer erzählen. Logik und empirische Beweise zählen für diese Menschen nicht, denn sie trauen sich nicht selbst zu denken, sondern übernehmen alles was man Ihnen vorbetet. Andere Menschen geben sich mit esoterischen Beschreibungen zufrieden. Für diese ist bereits das glaubwürdig, was sich tröstlich anhört. Ich gehöre schon aus beruflichen Gründen weder zur ersten noch zur zweiten Menschengruppe. Gerade weil ich Geisteswissenschaftler bin, möchte ich, dass mein kritischer Verstand zufrieden gestellt wird. Dazu benötige ich empirische Beweise für die Aussagen über die Grundfragen des Seins, also etwas was die Philosophie nicht zu liefern imstande ist. So bin ich gespannt, wie Sie das Problem der Glaubwürdigkeit lösen wollen.“

„Ich bin sicher, dieser Lehrgang wird Sie zufrieden stellen, Dr. Maupertius. – Nun zum Thema: Zu den Zeiten, als wir Menschen noch mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gingen, beschränkte sich die Kenntnis der Physik auf das Alltagsleben. Das Wissen, warum etwas funktionierte, entsprang allenfalls magischem Denken. Für alles gab es irgendeinen Gott oder einen Geist, der die Welt zum Laufen brachte. Eine theoretische Grundlage fehlte. Heute dagegen ist das Wissen und das Verständnis der Welt viel umfassender. Wenn wir den atemberaubenden technischen Fortschritt seit der Zeit unserer fellbekleideten Vorfahren und insbesondere den Fortschritt in den letzten drei Jahrhunderten bestaunen, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, dass wir das fast vollständig der ‘wissenschaftlichen Methode‘ verdanken, also dem Experiment, der Beobachtung, dem logischen Denken, der Hypothesenbildung und der Widerlegung. Was ich gerade in wenigen Begriffen zusammenfasste gehört zu dem, was wir als wissenschaftliche Theorie bezeichnen.“

Professor Allman kommt langsam in Fahrt und setzt seine Einführung fort:

„Ich weiß wohl, dass Sie alle sich sehr gut in der Bedeutung wissenschaftlicher Theorien auskennen. Lassen Sie mich dennoch anhand der folgenden Folie einige Grundfragen diskutieren.“

Der gleißend hell leuchtende Beamer wirft die Folie auf einen rauchig-transparenten Vorhang mitten in den Raum. Der Vorhang besteht aus einem neu entwickelten Material. Das darauf projizierte Bild lässt die Teilnehmer glauben, es würde frei im Raum schweben.

Sieben Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit es sich um eine wissenschaftliche Theorie handelt. Es muss …

1.   … eine Wirklichkeit logisch widerspruchsfrei beschrieben werden, einschließlich den Voraussetzungen dieser Wirklichkeit

2.   … diese Wirklichkeit logisch erklärt werden und ggf. müssen weitere Schlussfolgerungen abgeleitet werden (=Hypothesen)

3.   … eine unnötig komplizierte Erklärung vermieden werden, wenn es auch einfacher geht (Ockhams Rasiermesser!)

4.   … Die Hypothesen müssen prinzipiell falsifizierbar sein (=Überprüfung auf Falschheit)

5.   … empirisch entschieden werden, ob die Wirklichkeit zu den Hypothesen passt (falsifizieren oder verifizieren)

6.   … Es müssen Ableitungen solcher Vorhersagen gemacht werden, die praktische Bedeutung haben

7. … Es muss empirisch entschieden werden können, ob die Vorhersagen richtig sind (falsifizieren oder verifizieren)

Professor Allman blickt in die Runde: „Kann mir jemand ein Beispiel für eine wissenschaftliche Theorie nennen?“

„Ja, ich!“, meldete sich Johanna Balthasar, eine streng gekleidete Frau in grauem Kleid und aus der letzten Reihe. Das Schild vor Ihrem Platz weist sie als Mitglied der theologischen Fakultät aus. „Die Welt ist in sechs Tagen von unserem Schöpfer erschaffen worden!“

Durch das Auditorium geht ein missfälliges Geraune.

„Wieso glauben Sie, dass es sich dabei um eine wissenschaftliche Theorie handeln könnte?“, Professor Allman runzelt seine Stirn.

„Weil es die absolute Wahrheit ist, schließlich wurde alles wortwörtlich so aufgeschrieben, wie es vom Schöpfer kommt!“

„Na gut, dann wollen wir mal anhand der sieben Kriterien, die eine wissenschaftliche Theorie ausmachen, überprüfen, ob es sich bei Ihrer Aussage tatsächlich, um eine wissenschaftliche Theorie handelt. Fangen wir mit dem ersten Kriterium an. Ist die Aussage der jungen Dame die logisch widerspruchsfreie Beschreibung einer Wirklichkeit?“

Der rechte Nachbar von Johanna Balthasar, ein großgewachsener junger Mann, dessen Namensschild ihn als Dr. Benedikt von Aniane ausweist, wirft kurz einen Blick auf seine Nachbarin und antwortet dann: „Zur Ehrenrettung der theologischen Fakultät möchte ich sagen, dass auch wir uns dem wissenschaftlichen Denken verpflichtet fühlen. Soweit es sich um unbeweisbare Glaubensinhalte handelt, wollen wir keineswegs unsere Religion mit der Naturwissenschaft in einen Topf werfen! Soviel ich weiß, unterscheidet sich der Schöpfungsmythos in Genesis 1,1 – 2,4a von dem gleich danach stehenden Text in Genesis 2,4b – 25. Während im ersten Text zuerst die ganze Welt erschaffen wird und der Mensch erst am sechsten Tag folgt, folgen im zweiten Text die einzelnen Schöpfungstaten in anderer Anordnung. Hier ist die Erde zunächst trocken, eine unfruchtbare Steppe. Der Mensch wird dann erschaffen als Einzelperson, danach die Pflanzen und Tiere des Gartens, damit der Mensch nicht allein ist. Wenn man also den Text als Ganzes nimmt, handelt es sich meiner Meinung nach nicht um eine logisch widerspruchsfreie Beschreibung einer Wirklichkeit. Schon das erste Kriterium von dem, was eine wissenschaftliche Theorie ausmacht, ist nicht erfüllt!“

„Nicht nur das“, ereifert sich Dr. Anaximenes, die Mathematikerin aus der ersten Reihe, die anscheinend auch theologische Kenntnisse besitzt. „Der erste Schöpfungsmythos, nach dem das All mit Wasser gefüllt und der Himmel eine feste Wasserscheide ist, widerspricht offensichtlich nachweisbaren Tatsachen. Schließlich schwimmen unsere Raumschiffe nicht im Wasser, sondern durchqueren das im Weltall herrschende Vakuum. Kriterium ‘fünf‘ ist nicht erfüllt. Die Hypothese, das All sei mit Wasser gefüllt, passt nicht auf die Wirklichkeit.“

„Sehr gut analysiert!“, freute sich Professor Allman. „Wenn es nur die Beschreibung einer Wirklichkeit gibt, die vielleicht noch nicht einmal logisch widerspruchsfrei ist, dann handelt es sich um Religion, Pseudowissenschaft oder Esoterik. Das ist nicht wertend gemeint, Dr. Benedikt von Aniane, sondern nur einordnend. – Jetzt möchte ich aber wirklich das Beispiel einer wissenschaftlichen Theorie von Ihnen hören!“

Der groß gewachsene Dr. Aniane antwortet: „Wenn auf einer Weide sechs Schafe grasen und sieben kommen hinzu, dann sind anschließend dreizehn Schafe auf der Weide.“

Seine Nachbarin Johanna Balthasar läuft vor Ärger rot an: „Das soll besser sein, als das was ich vorher gesagt hab?“

Im übrigen Auditorium sind verhaltene Lacher zu hören.

Mit den Worten: „Es sind alle ernsthaften Diskussionsbeiträge erlaubt! Wir wollen keine Denkverbote und keine Unterdrückung von Meinungen“, beendet Professor Allman die Lacher. „Es handelt sich bei beiden Teilnehmern der theologischen Fakultät durchaus um ernst zu nehmende Beiträge. – Dr. Aniane, wollen Sie bitte Ihre Aussage begründen?“

„Kriterium 1: Die dreizehn Schafe auf der Weide sind die Beschreibung einer Wirklichkeit. Eine der Voraussetzungen dieser Beschreibung der Wirklichkeit ist, dass Schafe existieren und auf der Weide grasen und nicht nur Einbildung sind. Kriterium 2: Die Hypothese lautet: man kann mit Hilfe der Arithmetik die Zahl der Tiere addieren und so auf ein Ergebnis kommen. Kriterium 3: Es gibt keine unnötig verkomplizierenden Erklärungen. Ich brauche beispielsweise keine Götter um auf die Zahl dreizehn zu kommen. Das bedeutet Ockhams Rasiermesser ist genüge getan. Kriterium 4: Die Hypothese, dass man mit einfacher Arithmetik die Menge der Schafe bestimmen kann, ist überprüfbar. Kriterium 5: Ich hab hinter den Dünen eine Schafweide gesehen, wir können also empirisch entscheiden, ob die Wirklichkeit zur Theorie passt. Lassen Sie uns die Theorie selbst nachprüfen und nach draußen gehen!“ Mit den letzten Worten steht Dr. Aniane auf.

„Danke, Dr. Aniane, setzen Sie sich ruhig wieder. Wir brauchen nicht nach draußen zu gehen. Die Lebenserfahrung spricht für sich“, wirft Professor Allman ein. „Aber bitte fahren Sie mit Ihrer Begründung fort.“

„Kriterium 6: Ich kann Vorhersagen aus der Hypothese ableiten. Eine dieser Vorhersagen ist: Wenn auf der Weide dreizehn Schafe stehen und drei kommen in den Stall, dann müssen immerhin noch zehn Schafe auf der Weide sein. Kriterium 7: Auch die Vorhersagen lassen sich empirisch prüfen. Wie mir der Schäfer auf der Weide vor Lehrgangsbeginn versicherte, sind die Vorhersagen über die Zahl der Schafe bisher immer eingetroffen!“

Die Anwesenden sind kurz verblüfft, dann fangen sie an begeistert auf ihre Bänke zu klopfen.

„Besser hätte es ein Physiker auch nicht ausdrücken können, Dr. Aniane!“, lobte Professor Allman, als das Klopfen abebbt. „Damit haben Sie tatsächlich das Beispiel einer physikalischen Theorie genannt und sauber begründet. Und Sie haben noch mehr gezeigt. In der Metaphysik fragt man in allgemeinster Weise danach, was existiert. Die drei großen Physiker Einstein, Podelski, Rosen haben dagegen der Physik und damit auch der Metaphysik ein konkretes Kriterium in die Hand gegeben, um zu entscheiden, wann ein Element der physikalischen Wirklichkeit existiert. Salopp gesprochen sagten sie, wenn die Vorhersagen die Wahrscheinlichkeit eins haben, das heißt also mit Sicherheit eintreffen, dann existiert ein Element der physikalischen Wirklichkeit, das den Vorhersagen entspricht. Um das Ergebnis metaphysisch auszudrücken: Schafe existieren! – Wir hatten zuerst ein Beispiel für eine Aussage über die Wirklichkeit, die nur das Kriterium ‘eins‘ einer wissenschaftlichen Theorie befriedigt und haben jetzt ein Beispiel, das alle sieben Kriterien abdeckt und damit die höchste Stufe der Glaubwürdigkeit erreicht. Gibt es noch etwas dazwischen?“

Dr. August Dessoir, ein wohlbeleibter Parapsychologe mit Nickelbrille meldet sich: „Ich denke an vorwissenschaftliche Theorien, die zwar das Potential besitzen, sich zu anerkannten wissenschaftlichen Theorien zu entwickeln, bei denen aber noch Wichtiges fehlt, wie die empirische Entscheidung der Hypothesen. Die Kriterien ‘eins‘ bis ‘vier‘ von wissenschaftlichen Theorien wären dann zwar erfüllt, aber mit dem Kriterium ‘fünf‘ hapert es.“

„Dr. Dessoir, denken Sie an Ihr eigenes Fachgebiet, die Parapsychologie?“, fragt Professor Allman nach.

Abbildung 1: Wegeners Verschiebungstheorie

Dessoir rückt seine Brille zurecht: „Ich hab zuerst Geologie studiert, bevor ich Parapsychologe wurde. Deshalb möchte ich als Beispiel Wegeners Kontinentaldrifthypothese nennen, die lange Zeit als reine Spekulation betrachtet wurde und schließlich nach ihrer Bestätigung in der Geologie, also in einer anerkannten Wissenschaft aufging.“

„Danke, Dr. Dessoir. Da nicht jeder Wegeners Theorien kennt, möchte ich zunächst einen kurzen Film aus dem Digitalarchiv abspielen.“