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Inhaltsverzeichnis
 
 
 

Vorwort
Das Weiche siegt über das Harte.
Das Schwache siegt über das Starke.
Laotse: Tao te king
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und wo Menschen miteinander reden, da vergreifen sie sich auch manchmal im Ton. Es passiert schnell und oft ohne jede Vorwarnung: Aus dem Mund unseres Gegenübers kommt ein blöder Spruch, ein ätzender Kommentar oder eine harsche Bemerkung. Und jetzt stehen wir da. Wie sollen wir damit umgehen? Zurückschlagen nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir? Oder erstarren und nichts sagen, aber dafür stundenlang über eine Retourkutsche nachdenken?
Ich arbeite schon sehr lange als Kommunikationstrainerin. In meinen Workshops und Trainings können die Teilnehmer ihre Lieblingsprobleme mit einbringen. Auf Platz eins der Hitliste stand immer wieder die Frage: Wie kann ich mit unsachlichen, blöden Bemerkungen umgehen? Oft mit dem Zusatz: Ohne mich dabei aufzuregen und ohne einen Streit vom Zaun zu brechen. Gute Frage.
Ich habe über zehn Jahre lang zu diesem Thema Antworten gesammelt. Meine Antworten mussten dabei nicht nur theoretisch gut klingen. Nein, sie mussten vor allem im Alltag meiner Teilnehmer tatsächlich funktionieren. Ich suchte also nach praktischen Methoden, wie man mit einer verbalen Attacke möglichst elegant und stressfrei fertig wird.
Bei meiner Suche habe ich mich vor allem von den asiatischen Kampfsportarten inspirieren lassen. Eine wichtige Erfahrung war ein Aikido-Training – eine japanische Selbstverteidigungstechnik -, das ich einmal beobachtet habe. Ich saß am Rand und sah, wie eine kleine, etwas ältere Frau einen viel größeren Angreifer auf die Matte legte. Sie tat das mit wirbelnden Bewegungen, die mehr nach einem Tanz als nach einem Kampf aussahen. Anschließend hielt sie ihren Angreifer so fest, dass er unten blieb und nicht weiter kämpfen konnte.
Diese Szene hat mich nicht wieder losgelassen. Mich bewegte ein Gedanke: Lässt sich das, was in der körperlichen Selbstverteidigung passiert, auch auf unsere Gespräche übertragen? Können wir uns ebenso geschickt gegen verbale Angriffe verteidigen?
Das Kernprinzip von Judo und Aikido lautet: Das Sanfte kann das Harte bezwingen. Wer diese Kampfsportarten erlernt, trainiert auch immer eine geistige Haltung, die sich aus der Philosophie des Taoismus, des Buddhismus und des Zen ableitet.
Beim Judo und Aikido werden raffinierte Hebel-, Wurf- und Festhaltegriffe eingesetzt, mit denen auch ein starker Angreifer überwältigt werden kann. Und so habe ich nach mündlichen Strategien gesucht, mit denen wir einen verbalen Angriff unschädlich machen können. Und ich habe sie gefunden.
Die besten Strategien, mit denen Sie sich verteidigen können, finden Sie in diesem Buch.
Dabei habe ich sämtliche Kontra-Strategien nach strengen Qualitätskriterien entwickelt:
• Alle Strategien dienen nur Ihrer Selbstverteidigung. Mit ihnen lassen sich keine Angriffe durchführen.
• Sie sind einfach, leicht zu merken und funktionieren ohne komplizierte Formulierungen.
• Jede Strategie ist generell einsetzbar und eine universale Antwort auf fast alle verbale Angriffe.
• Alle Kontra-Strategien sind frei von herabsetzenden, beleidigenden oder verletzenden Worten.
• Die Beziehungsebene wird nicht vergiftet. Nach jeder Strategie können Sie, wenn Sie wollen, mit Ihrem Gegenüber ein ganz normales Gespräch führen.
Der vielleicht größte Nutzen meiner Kontra-Strategien liegt auf einer ganz anderen Ebene. Alle haben die Kraft, Gefühle zu verändern. Und zwar Ihre Gefühle. Mit diesen Kontra-Antworten kommen Sie raus aus dem Beleidigt- und Getroffensein. Stattdessen üben Sie sich in der Kunst des Drüberstehens.
Mit dieser verbalen Selbstverteidigung verwickeln Sie sich nicht in das niedrige Niveau der dummen Bemerkungen. Damit ersparen Sie sich eine unfruchtbare Schlammschlacht mit Ihrem Angreifer.
Wenn Sie immer schon mal souverän Kontra geben und dabei lächeln wollten – hier sind Sie richtig. Und beim Lesen wünsche ich Ihnen vor allem eines: viel Spaß!

Die Kunst des Nichtkämpfens
Jenseits von Hauen und Abhauen:
Hundert Siege in hundert Schlachten zu erringen
ist nicht die höchste Kunst.
Den Feind kampflos zu unterwerfen,
das ist die höchste Kunst.
Sun Tsu
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Kämpfen oder sich streiten ist nicht das Schlaueste, was Sie tun können. Denn jeder Kampf, auf den Sie sich einlassen, hat Nebenwirkungen – vor allem für Sie. Da ist beispielsweise der Stress, der in Ihrem Körper entsteht, wenn Sie sich streiten. Dieser Stress geht einher mit einer wiederholten Cortisol-Ausschüttung.
Das Stresshormon Cortisol macht Ihren Körper an allen Ecken und Enden krank. Es greift Herz und Kreislauf an, stört die Verdauung und die Libido, macht schlapp, alt und unglücklich. Stress mitsamt dem dazugehörigen Cortisol ist laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) der größte Killer in den Industrienationen.
Kämpfen verursacht Stress. Und dieser Stress schädigt Sie. Egal, wie erfolgreich Sie sich streiten, Ihr Körper und Ihre Seele werden dabei leiden.

Wie wir uns beim Kämpfen selbst verletzen

Wenn Sie anfangen, mit einem anderen Menschen zu kämpfen, dann ist das so, als würden Sie in einen Haufen Glasscherben greifen. Sie können Ihr Gegenüber mit den Glasscherben bewerfen und vielleicht auch verletzen. Aber Sie schädigen sich selbst sehr viel mehr. Schauen Sie nach. Sie haben sich tiefe Schnittwunden an den Händen zugefügt. Nein, das hat Ihnen nicht Ihr Gegner angetan. Das waren Sie selbst.
Eigentlich muss Ihr Widersacher überhaupt nichts tun, damit Sie verletzt werden. Er braucht nur ruhig dazustehen und abzuwarten, was Sie alles gegen ihn unternehmen. Er kann Ihnen dabei zuschauen, wie Sie sich auf ihn fixieren, wie Sie sich aufregen und dabei alle möglichen belastenden Gefühle erleben. Er kann darauf vertrauen, dass Sie sich bei anderen Menschen über ihn beklagen. Und was passiert, während Sie sich beklagen? Sie erzählen davon, wie unmöglich sich Ihr Widersacher benimmt. Und während Sie darüber reden, entsteht in Ihnen eine Menge Ärger plus Muskelverspannung plus ein Überschuss an Magensäure. Schlicht und einfach: Es geht Ihnen nicht gut.
Ihr Widersacher kann darauf vertrauen, dass Sie herumgrübeln und sich in Ihrem Gedankenkarussell schlecht fühlen. Solange Sie sich innerlich mit dem Streit beschäftigen, schüttet Ihr Körper das Stresshormon Cortisol aus. Wieder und wieder. Damit schädigen Sie sich sehr viel mehr und dauerhafter, als es Ihr Gegner je könnte.

Das Opfer, der Kämpfer und die Weisheit

Ich will nicht behaupten, dass das Kämpfen generell schlecht oder verkehrt wäre. Für jemanden, der bisher immer nur das Opfer war und sich nie gewehrt hat, mag das Kämpfen ein Fortschritt sein. Vorher war der Betreffende immer nur der Dumme, der sich nie gewehrt hat. Jetzt zeigt er, dass er die Courage hat, für sich einzustehen. Das ist ein wichtiger Entwicklungsschritt für alle, die bisher immer auf der Verliererseite standen. Aufstehen, Rückgrat zeigen und dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen. So weit, so gut.
Leider bleiben manche Menschen bei diesem Entwicklungsschritt stehen. Sie glauben, sie müssten immer kämpfen, um sich durchzusetzen. »Das lass ich mir nicht gefallen!« und »Ich muss mich wehren!« lautet ihr Schlachtruf. Für jemanden, der so denkt, gibt es scheinbar nur zwei Möglichkeiten: Entweder kämpfen und vielleicht gewinnen. Oder nicht kämpfen, aber dann garantiert verlieren.
Zum Glück gibt es mehr als nur diese zwei Möglichkeiten.
Der Kampf ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es ist nicht die höchste Entwicklungsstufe und es ist auch nicht das Beste, was wir für uns tun können. Nicht zu kämpfen und dennoch gewinnen, ist eine weitere Möglichkeit, die wir haben.
Das Nichtkämpfen liegt auf einer höheren Ebene, jenseits von Hauen oder Abhauen. In den nächsten Kapiteln möchte ich Ihnen diese andere Möglichkeit ans Herz legen. Das Gute dabei ist, dass Sie nichts von Ihrem bisherigen Verhalten wegwerfen oder ausschließen müssen. Sie können sich weiterhin mit anderen Menschen streiten, sich ärgern und all den fiesen Stress erleben, den das bringt. Aber nehmen Sie zusätzlich auch die Möglichkeit, nicht zu kämpfen, mit an Bord. In den Strategien des Nichtkämpfens liegt eine enorme Erleichterung. Das ist wichtig für alle, die in ihrem Leben auch so schon genug Stress haben.

Die Kunst des Nichtkämpfens in Vollendung

In dem Buch Aikido und der neue Krieger erzählt Terry Dobson von heiklen Situationen, die er in einem Vorortzug in Tokio erlebt hat. Ich erzähle Ihnen die Geschichte hier in einer Kurzfassung. Sie zeigt sehr schön, wie durch das Nichtkämpfen ein Kampf gewonnen wird.
Terry Dobson saß in Tokio in einem dieser vollen Züge. Ihm fiel ein japanischer Arbeiter auf, der ziemlich betrunken war und herumpöbelte. Dieser betrunkene Mann war voller Wut und Hass, als er eine Frau angriff, die ein Baby auf dem Arm hatte. Kurz darauf beschimpfte er eine alte Frau. Terry Dobson, über 1,80 m groß, hatte jahrelang Aikido trainiert. Er sah, wie der Betrunkene diese unschuldigen Menschen drangsalierte, und das war für ihn ein guter Grund, um einzuschreiten. Er wollte diesen betrunkenen, aggressiven Kerl in seine Schranken verweisen. Zugleich bekam er damit endlich eine Chance, seine Aikido-Kampfkunst moralisch sinnvoll einzusetzen.
Er stand auf, der Betrunkene sah ihn und schimpfte sofort los. Terry Dobson, der Aikido-Kämpfer, warf dem betrunkenen Mann mit gespitzten Lippen einen Kuss zu. Der Betrunkene wurde jetzt richtig wütend. Er stürmte los.
Da rief jemand sehr laut und kraftvoll »He!«. Der Betrunkene stoppte seinen Angriff und torkelte in die Richtung, aus der der Ruf kam. Auch Terry Dobson, der sich schon auf die Attacke vorbereitet hatte, schaute in diese Richtung.
Ein kleiner, alter Mann sagte zu dem Betrunkenen in einem jovialen Tonfall: »Komm mal her.«
Der Betrunkene, bereit zuzuschlagen, baute sich vor dem kleinen, alten Mann auf und fragte ihn aggressiv: »Was willst du, du alter Scheißer?«
Der alte Mann fragte den Betrunkenen freundlich: »Was hast du getrunken?«
Der Betrunkene sagte, immer noch sehr aggressiv, dass er Sake getrunken hätte.
Der Alte fing an, freudig zu erzählen, dass er auch gern Sake mit seiner Frau zusammen trank, draußen im Garten auf der Bank. Und dabei strahlte er den Betrunkenen an. Der beruhigte sich etwas. Der Alte fragte ihn nach seiner Frau.
Da wurde der betrunkene Mann traurig. Er hatte keine Frau, auch kein Geld und keinen Platz zum Schlafen. Er schämte sich dafür.
Der Alte blieb freundlich. »Warum setzt du dich nicht hierher und erzählst mir alles.«
Der Betrunkene setzte sich und beide fingen an zu reden.
Terry Dobson erkannte, dass er gerade Aikido in Vollendung gesehen hatte.
Er, der durchtrainierte Aikido-Kämpfer, wollte den Betrunkenen mit purer Muskelkraft bekämpfen. Der alte Mann hingegen brauchte nur ein paar freundliche Worte, um zu gewinnen.
Das ist die Geisteshaltung des Nichtkämpfens.

Kommunikation statt Konfrontation
Das Ziel ist nicht, den Angreifer durch Widerstand gegen seine Maßnahmen und durch einen Gegenangriff zu besiegen, was ja auf sein Spiel eingehen hieße, sondern seine Handlungen in Güte, durch eine Folge kreisförmiger Bewegungen umzulenken, so dass sein Angriff nicht gelingen und nicht wiederholt werden kann.
André Protin
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wie können wir mit den Gemeinheiten anderer Menschen fertig werden, ohne zu kämpfen? Schauen wir mal näher hin und betrachten die Gemeinheit, die uns im Alltag am häufigsten passiert: die verbale Attacke, der Angriff mit Worten. Das sind der gewöhnliche blöde Spruch, die dumme Bemerkung, die boshafte Stichelei. Wie kommt es dazu? Steckt dahinter immer Gehässigkeit?
Hier ein Beispiel aus einer ganz normalen Partnerschaft.

War das jetzt eine harmlose Wortentgleisung oder eine hinterhältige Bosheit?

Peter war bereits seit einer Stunde fix und fertig angezogen. Er saß im Wohnzimmer und klapperte mit dem Autoschlüssel. Seine Frau Marita war immer noch im Badezimmer und machte sich hübsch. Beide wollten groß ausgehen, ins Theater. Peter verlor allmählich die Geduld. Er rief zum vierten Mal: »Jetzt beeil dich! Wir müssen los.« Endlich kam Marita aus dem Badezimmer.
Sie stellte sich vor Peter hin und fragte unsicher: »Sag mal, steht mir das blaue Kleid eigentlich noch? Ist das nicht zu eng?«
Peter war ein wenig genervt. Er befürchtete, dass sich Marita gleich neu einkleiden würde. Ohne lange zu überlegen antwortete er: »Das Kleid passt dir sehr gut. Du siehst aus wie’ne Wurst in strammer Pelle.«
Marita starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und atmete empört aus.
Peter erkannte an ihrer Reaktion sofort: Das ging daneben. Dabei meinte er es gar nicht böse. Er mag es stramm. Und er mag Würste. Er wollte nur, dass sie endlich fertig wird. Deshalb bekamen seine Worte eine leichte Schräglage.
Für Marita war seine Antwort eine glatte Gemeinheit. Wie kann er ihr das nur an den Kopf werfen? Wurst in strammer Pelle – und das soll sie jetzt kampflos hinnehmen? Nein, für sie war das eine Beleidigung.
Marita stürmte zurück ins Badezimmer und knallte die Tür zu. Kurz darauf erschien sie wieder und schimpfte los: »Ich bin zu fett?! Das ist so unfair von dir! Du weißt genau, wie mich das verletzt, wenn du so etwas sagst. Aber es geht dir anscheinend nur darum, mir weh zu tun. Du willst mich demütigen – mit voller Absicht!«
»Ich habe nicht gesagt, du bist dick. Ich finde, das Kleid steht dir gut. Wirklich... du...«
Peter stotterte herum, aber es gab nichts mehr zu retten. Marita verschwand jetzt im Schlafzimmer. Der Abend war gelaufen.
Betrachten wir diesen Streit und fragen uns:
Musste die Sache so ausgehen? Hätte es eine Möglichkeit gegeben, diesen Streit abzuwenden?
Antwort: Ja.

In der Umlaufbahn des Gekränktseins

Schauen wir uns den Mechanismus des Streitens einmal aus der Nähe an.
Da sagt jemand etwas, was auf den ersten Horcher herabsetzend klingt. Etwas, das nach fieser Bemerkung oder dummer Anmache riecht. Und ohne, dass wir lange überlegen müssen, taucht sie sofort auf: die Rakete in unserem Kopf, die auf der Stelle hochgeht.
Wir hören die Worte und schwups! sind wir gekränkt. Das geht noch schneller als ein Raketenstart, weil es keinen Countdown gibt. In unserem Kopf wird nicht erst von zehn runtergezählt, bevor wir hochgehen. Nein, augenblicklich zünden die Triebwerke und blitzschnell kreisen wir in der Umlaufbahn des Gekränkt- und Empörtseins.
Jetzt kommt meine Frage an Sie: Können Sie bei der nächsten Seltsamkeit, die Ihnen jemand an den Kopf wirft, einfach mal innehalten und nicht sofort hochgehen? Also nicht gleich lospoltern oder beleidigt sein oder wutentbrannt abhauen?
Könnten Sie bei der nächsten verbalen Attacke für einen Moment innehalten, um zu verstehen, was da überhaupt los ist?
Ja, das hörte sich wie eine Attacke an. Aber war es das wirklich? Was hat den anderen dazu getrieben, ausgerechnet das zu sagen? Warum macht er oder sie so eine Bemerkung?
Es gibt eine Strategie, die Ihnen dabei hilft. Sie kommt direkt aus dem Alltag. Ich habe sie dort gefunden, wo Leute gute Beziehungen pflegen. Diese Strategie habe ich die entgiftende Gegenfrage genannt.

Eine zweite Chance für den Sprücheklopfer

Die entgiftende Gegenfrage ist eine Kontra-Strategie, mit der Sie auf eine verletzende Bemerkung antworten können, ohne in eine Kampfhaltung zu verfallen.
Sie funktioniert so: Sie nehmen aus der Bemerkung des anderen die Worte heraus, von denen Sie sich getroffen fühlen. Und dann fragen Sie nach, was diese Worte bedeuten. Oder Sie nehmen die ganze Bemerkung und fragen nach, wie Ihr Gegenüber das gemeint hat. Das ist zunächst alles. Nachfragen statt lospoltern oder abhauen.
Wie könnte diese entgiftende Gegenfrage bei Marita und Peter funktionieren?
Marita fühlte sich getroffen von den Worten »Du siehst aus wie eine Wurst in strammer Pelle«. Genau diese Formulierung hinterfragt sie jetzt: »Was meinst du mit Wurst in strammer Pelle?« Das wäre eine echte Chance für Peter gewesen, jetzt ein paar eindeutig freundliche Worte zu finden. Er hätte antworten können: »Das Kleid sitzt einfach perfekt. Du siehst großartig aus.« Maritas Anfangsverdacht hätte sich wahrscheinlich verflüchtigt. Die Sache wäre nicht eskaliert. Oder er hätte auf ihre entgiftende Gegenfrage antworten können: »Schatz, du sieht einfach lecker aus. Zum Reinbeißen.« Auch diese Antwort hätte die Situation entschärft.
Es könnte aber auch sein, dass Peter nach einer entgiftenden Gegenfrage darüber spricht, wie sehr es ihn nervt, dass er so lange warten muss. Damit hätte er seinen Unmut direkt in Worte gefasst. Und das ist allemal konstruktiver, als ein langes Gesicht zu machen und schräge Kommentare von sich zu geben.

Klären Sie die Sache auf, indem Sie nachfragen

Indem wir fragen, was die Bemerkung zu bedeuten hat, geben wir unserem Gegenüber die Gelegenheit, präzise zu werden. Vielleicht bekommen wir eine vernünftige Kritik zu hören, mit der wir etwas anfangen können. Oder wir erfahren, warum der andere ausgerechnet eine solche Bemerkung gemacht hat. Durch die entgiftende Gegenfrage geben wir unserem Gegenüber eine zweite Chance. Wir fordern ihn auf, seine missverständlichen Worte zu erklären.
Übrigens: Es ist keine entgiftende Gegenfrage, wenn Sie sich vor Ihrem Gesprächspartner aufbauen, die Hände in die Hüften stemmen und ihn anraunzen: »Sag mal, was denkst du dir bei solchen Sprüchen bloß? Hast du sie nicht mehr alle oder willst du mich nur ärgern?« Das ist lediglich eine aufgebrachte Retourkutsche.
Um eine entgiftende Gegenfrage zu stellen, brauchen Sie ein wenig Selbstbeherrschung. Stellen Sie Ihr Betroffen- und Beleidigtsein einen Moment zurück.
Fragen Sie nach, statt sich gleich zu wehren oder schmollend dicht zu machen.
Hier die Strategie in der übersichtlichen Kurzfassung:
002
Kontra-Strategie: Die entgiftende Gegenfrage
➣ Wiederholen Sie kurz die Worte des anderen, durch die Sie sich verletzt fühlen, und fragen Sie Ihr Gegenüber, was er/sie damit gemeint hat.
Beispielsweise so:
Die Bemerkung: »Ihr Bericht war ein wenig schlampig formuliert.«
Entgiftende Gegenfrage: »Was meinen Sie mit schlampig?«
Die Bemerkung: »Da haben Sie aber einen schönen Blödsinn verzapft!«
Entgiftende Gegenfrage: »Ich verstehe nicht-was meinen Sie mit Blödsinn verzapft?«
Die Bemerkung: »Du bist mir was schuldig!«
Entgiftende Gegenfrage: »Was meinst du mit ich bin dir was schuldig?
➣ Sie können die Gegenfrage auch etwas anders formulieren. Hier einige Vorschläge:
»Wie definieren Sie...(hier die verletzenden oder
unklaren Worte des anderen einsetzen)?«
»Was verstehen Sie unter...?«
»Was genau bedeutet für dich...?«
➣ Hören Sie zu, was Ihr Gesprächspartner Ihnen antwortet.
➣ Falls der Betreffende weiterhin verletzende Worte benutzt, können Sie darauf auch wieder mit der entgiftenden Gegenfrage reagieren. Oder Sie bitten ihn, sich sachlich auszudrücken.
Der beste Einsatzbereich für die entgiftende Gegenfrage sind gute berufliche oder private Beziehungen. Beziehungen, von denen Sie sich wünschen, dass sie weiterhin funktionieren. Mit dieser Strategie können Sie verunglückte Kritik und schräge Formulierungen auffangen und klären.

Was tun, wenn der andere weiterhin stichelt?

Genau an dieser Stelle taucht bei meinen Vorträgen immer eine wichtige Zwischenfrage auf. Irgendjemand im Publikum meldet sich zu Wort und fragt das, was alle Zuhörer im Moment gerne wissen wollen. Die Frage lautet:
Was mache ich, wenn der andere nicht mit mir reden will, sondern noch so einen blöden Spruch ablässt?
Ich mag diese Frage, weil sie sich darum dreht, wie das Gespräch weitergehen könnte. Meine Zuhörer sind dabei so nett und gehen immer gleich vom Schlimmsten aus.
Eigentlich lautet die Frage überspitzt formuliert: »Also, Frau Berckhan, was mache ich, wenn ich eine entgiftende Gegenfrage stelle, während der andere aber weiterhin böse ist? Soll ich mich etwa andauernd beleidigen lassen?«
Nein, natürlich nicht. Falls Ihr Gegenüber jetzt nicht sofort zur Vernunft kommt, machen Sie Schluss. Schluss mit der Entgiftung. Schluss mit dem Verständnis und dem Darüber-reden-Wollen. Schluss mit dieser zahnlosen Krankenhauskost für Gutmenschen.
Wenn der andere nicht vernünftig wird, schlagen Sie zurück. Werfen Sie Ihrem Gegenüber unflätige Bemerkungen an den Kopf. Dann merkt er endlich mal, wie das ist. Besser noch: Schmeißen Sie ihn aus dem Haus oder kündigen Sie. Beginnen Sie eine lebenslange Hassbeziehung mit ihm. Ihr Gegenüber hat es nicht besser verdient. Schließlich waren Sie so friedfertig und haben eine entgiftende Gegenfrage gestellt. Wer darauf nicht eingeht, muss büßen. Für immer und ewig.
Ich hoffe, Sie haben es gemerkt. Das war nur Spaß.
Natürlich kann es sein, dass Ihr Gegenüber nicht so psychologisch-korrekt reagiert, wie Sie sich das wünschen. Seien Sie trotzdem gnädig und bleiben Sie in Ihrer offenen Haltung. Sagen Sie deutlich, was Sie wollen. Etwa so: »Deine Bemerkung eben hat mich getroffen. Ich möchte gern wissen, was dich dazu gebracht hat, so etwas zu sagen.« Gut möglich, dass Ihr Gegenüber Ihnen jetzt sagt, was hinter der Stichelei steckt. Vielleicht ist der Betreffende über irgendetwas sauer. Geben Sie ihm noch einmal etwas Zeit, um zu sagen, wo ihn der Schuh drückt.

Nicht zu schnell aufgeben: Bitten Sie beharrlich um eine Aussprache

Auf eines möchte ich Sie noch hinweisen: Manche Menschen sind es nicht gewohnt, offen und sachlich darüber zu reden, was sie stört und worüber sie sich ärgern. Statt einer konstruktiven Kritik kriegen Sie von diesem Menschen zunächst nur Vorwürfe oder sarkastische Bemerkungen zu hören. Dennoch: Bleiben sie am Ball und bitten Sie beharrlich darum, dass der andere Ihnen sagt, was er möchte und was ihn stört. Eine Aussprache ist jetzt wichtig, denn sie nimmt den Druck aus der Situation heraus.
Umgekehrt: Nicht ausgesprochene Kritik und aufgestauter Unmut sind die häufigsten Gründe für verbale Attacken. Wer so stichelt, sagt indirekt »Ich ärgere mich über dich.«
Die entgiftende Gegenfrage ist eine friedliche Einladung von Ihrer Seite, um die Sache zu bereinigen. Es ist ein Angebot. Mehr nicht. Letztlich können Sie vom anderen nicht verlangen, dass er Ihr Angebot annehmen muss.
Falls Ihnen Ihr Gegenüber tatsächlich immer nur die Spruchebene anbietet, wissen Sie, was die Stunde geschlagen hat. Im Moment können Sie mit dieser Person nicht vernünftig reden. Und was dann?
Nun, das wäre eine gute Gelegenheit, eine der anderen Strategien aus diesem Buch auszuprobieren. Letztlich ist alles nur ein großer Trainingsplatz.
Die entgiftende Gegenfrage setzt auf Kommunikation statt auf Konfrontation. Sie ist zugleich eine Unabhängigkeitserklärung. Sie reagieren nicht automatisch wie ein aufgezogener Roboter mit Ihrem üblichen Abwehr- oder Angriffsprogramm. Nein, Sie zeigen, dass Sie frei sind. So frei, dass Sie Ihrem Gegenüber ein echtes Angebot zum Reden machen, obwohl Sie vielleicht allen Grund hätten, die Wände hochzugehen. Von Ihrer Seite aus findet kein Kampf statt.
Das ist gelebte Souveränität.

Sind Sie auch so leicht verletzbar?
Alles, was wir sind, ist das Resultat unseres Denkens,
es beruht auf unseren Gedanken
und ist aus unseren Gedanken entstanden.
Mit unseren Gedanken schaffen wir die Welt.
Dhammapada
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Es gibt Menschen, die sind sehr schnell gekränkt. Schon eine etwas ungenaue Wortwahl oder ein kleiner verbaler Ausrutscher führt dazu, dass sie sich innerlich getroffen fühlen. Falls Ihnen das von Zeit zu Zeit auch so geht, ist dieses Kapitel wichtig für Sie. Ich zeige Ihnen, wie Sie künftig etwas robuster werden können. Denn eine seltsame Bemerkung muss Sie nicht zwangsläufig verletzen.
Lassen Sie mich mit dem anfangen, mit dem ich immer gern beginne: mit mehr Bewusstheit. Schauen wir uns den Vorgang des Verletztwerdens einmal genauer an.
Was ist eigentlich ein verbaler Angriff? Woraus besteht ein dummer Spruch oder eine blöde Bemerkung? Zunächst sind es einfach nur Worte. Gesprochene Worte, die im Grunde nichts weiter sind als Töne. Klänge. Kaum gesagt, sind sie auch schon verflogen. Worte sind sehr, sehr kurzlebig. Wie Schall und Rauch – nur ohne den Rauch.

Was unser Kopf sich so alles ausdenkt

Erst unser Gehirn macht aus den Tönen, die aus dem Mund eines anderen Menschen kommen, eine sinnvolle Aussage. Jede unserer Wahrnehmungen wird von unserem Denken gedeutet und beurteilt. Wir hören, riechen, schmecken, fühlen oder sehen etwas, aber erst unser Verstand erzählt uns, was das für uns bedeutet. Ob es interessant ist, ob es gut oder schlecht ist, ob es erfreulich oder deprimierend ist.
Die Welt da draußen ist im Grunde neutral. Unsere Gedanken sagen uns erst, was das da draußen zu bedeuten hat. Wir filtern alles, was wir bemerken, durch unseren Verstand. Und der greift bei seinen Beurteilungen immer auch auf alte Erfahrungen zurück.
Sie kennen das sicherlich. Wenn Sie sich mit jemand streiten, neigen Sie dazu, alles, was der Betreffende sagt, eher negativ zu beurteilen. Sie legen die Worte Ihres Widersachers auf die Goldwaagschale. Auch wenn der Betreffende nur »Hallo!« zu Ihnen sagt, können Sie das schon negativ deuten: »Der mit seinem blöden Hallo. Bin ich es nicht wert, dass er ordentlich ›Guten Morgen‹ zu mir sagt?« Negative, aber auch positive Vorerfahrungen fließen ständig in unser aktuelles Denken mit ein.
Wir hören eine Bemerkung und unsere Gedanken interpretieren blitzschnell, wie wir diese Worte zu verstehen haben. Das passiert so schnell, dass wir es kaum bemerken. Das eigentliche Problem dabei ist unsere Gläubigkeit. Wir glauben an das, was unsere Gedanken uns sagen. Wir tun so, als sei das, was wir uns ausdenken, eine Tatsache. Wenn wir denken »das war eine dumme Anmache« dann war das für uns eine dumme Anmache. Punkt. Genau dieser feste Glaube an unsere Gedanken bringt uns in Schwierigkeiten.

Harmlose Worte und ihre unheilvolle Deutung

Der junge Mitarbeiter beschwerte sich bei mir: »Mein älterer Kollege will mich kleinkriegen.« Ich fragte nach: »Woher wissen Sie das?« »Er hat zu mir gesagt, ich wäre noch unerfahren und müsste hier noch viel lernen. Das hat er nur gesagt, um mich kleinzukriegen.«