Für meine Eltern, Long Renqing () und Ye Guihua (), die mich lehrten, das Leben in all seinen Formen zu lieben. Für meinen Onkel, Dr. Ye Chengxu (), der mir die Tür zu den Geheimnissen der Traditionellen Chinesischen Medizin öffnete. Und natürlich nicht zuletzt für meinen Mann, ohne den dieses Buch nicht entstanden wäre.
Im Rhythmus
der
Jahreszeiten
Gesund durchs Jahr mit dem traditionellen Wissen
der chinesischen Heilkunst
Vorwort
Kleine Geheimnisse zur Vorbereitung
Das Wesen der TCM für den Alltag
Zu diesem Buch
Die fünf Elemente
Die fünf Zang- und die fünf Fu-Organe
Das Qi und die Meridiane
Die fünf Jahreszeiten
Die Kraft des Frühlings
Corinnas Frühling
Der Frühling und die Leber
Ein tieferer Blick auf Corinnas Probleme
Die gegenteilige Störung: wenn das Holz verbrennt
Überprüfen Sie sich selbst!
So bleiben Sie gesund!
Die Kraft des Sommers
Andreas’ Sommer
Der Sommer und das Herz
Ein tieferer Blick auf Andreas’ Probleme
Die gegenteilige Störung: wenn das Yang-Qi überfließt
Überprüfen Sie sich selbst!
So bleiben Sie gesund!
Die Kraft des Spätsommers
Julias Spätsommer
Der Spätsommer und die Milz
Ein tieferer Blick auf Julias Probleme
Die gegenteilige Störung: warme Feuchtigkeit in der Milz
Überprüfen Sie sich selbst!
So bleiben Sie gesund!
Die Kraft des Herbstes
Hermines Herbst
Der Herbst und die Lunge
Ein tieferer Blick auf Hermines Probleme
Die gegenteilige Störung: Das Lungen-Qi übertreibt
Überprüfen Sie sich selbst!
So bleiben Sie gesund!
Die Kraft des Winters
Roberts Winter
Der Winter und die Niere
Ein tieferer Blick auf Roberts Probleme
Die gegenteilige Störung: Yin-Mangel in der Niere
Überprüfen Sie sich selbst!
So bleiben Sie gesund!
Zum Abschluss:
harmonisch durch die Jahreszeiten
Literaturhinweise
Glossar
Rezeptregister
Sachregister
Impressum
Als ich sieben Jahre alt war, kam ich zum ersten Mal mit den Vorstellungen der Traditionellen Chinesischen Medizin, kurz TCM, in Kontakt. Onkel Wang, der Mann meiner jüngsten Tante, war gestorben – mit gerade einmal 45 Jahren! Meine Verwandten betrauerten ihn sehr, denn er war immer ein freundlicher und hilfsbereiter Mensch gewesen. Meine Mutter trocknete ihre Tränen, seufzte und sagte leise: »Wut schadet der Leber, und Trauer schadet den Lungen. Onkel Wang ist an Trauer gestorben.«
Ihre Worte verwirrten mich. Denn so klein ich war, so wusste ich doch, dass Onkel Wang an Lungenkrebs gestorben war. Was hatte Trauer damit zu tun? Nun, es stimmte jedenfalls, dass er trotz seiner Freundlichkeit ein sehr trauriger Mensch gewesen war. Seine Ehe mit meiner Tante war ein Alptraum gewesen. Außerdem war sein größter Wunsch, Vater zu sein, nicht erfüllt worden. Das Ehepaar hatte keine Kinder bekommen ... Doch wie konnte Trauer einen Menschen umbringen? Es ist doch nur ein Gefühl! Diese Gedanken ließen mich nicht mehr los, und ich begann, mich für die Geheimnisse der TCM zu interessieren.
Das Wissen der Traditionellen Chinesischen Medizin kann alle Lebensbereiche positiv beeinflussen.
Damals arbeitete ein anderer Onkel, der älteste Bruder meiner Mutter, als Chefarzt im Hauptkrankenhaus unseres Bezirks. Er wohnte praktisch neben uns, nur etwa 200 Meter entfernt. Die Leute in unserem Dorf sprachen gern mit ihm über ihre gesundheitlichen Probleme und Sorgen. Sie gingen einfach am Abend oder am Wochenende zu seinem Haus. Mein Onkel war immer bereit, anderen zu helfen. Deswegen war sein Zuhause ein beliebter Treffpunkt. Auch ich ging gern zu ihm, um zuzuhören und zuzuschauen, wenn er die Leute behandelte. Für ein Kind war sein Gerede über »Qi«, »fünf Elemente« und dergleichen sehr geheimnisvoll und unverständlich. Aber es interessierte mich zugleich sehr.
Als ich älter wurde, begann ich ihn allmählich besser zu verstehen. Er hatte stets all meine Fragen geduldig beantwortet und mir eine Vorstellung von den Prinzipien der alten chinesischen Medizin gegeben. »Qi« und »Elemente« waren keine geheimnisvollen Worte mehr für mich. Ich verstand mittlerweile das Konzept, nach dem der Mensch ein Teil des Universums ist und daher in enger Verbindung mit seiner Umwelt steht. Ich begriff, dass alles, Innerliches wie Äußerliches, im menschlichen Körper zusammenwirkt: Organe, Emotionen, Temperament, Ernährung, Bewegung, Jahreszeiten und so fort. All dies muss miteinander in Harmonie stehen, um ein körperliches und seelisches Wohlbefinden zu erreichen oder zu erhalten.
In einem natürlichen Rhythmus zu leben, hält uns gesund. Die Jahreszeiten geben ihn optimal vor.
Von genau diesen Zusammenhängen möchte ich Ihnen in diesem Buch erzählen und Sie einladen, Ihr Leben nach dem uralten Rhythmus der Jahreszeiten im Sinne der TCM auszurichten. Lassen Sie mich dazu zuerst ein wenig von mir selbst und meinem Weg auf diesem Gebiet erzählen.
2003 zog ich nach Kanton, einer großen Stadt in Südchina, um meine erste Arbeitsstelle anzutreten. In den folgenden sechs Jahren lernte ich die Kultur und den Lebensstil in Kanton kennen und lieben. In dieser subtropischen Provinz ist vieles einzigartig. Essen und Unterhaltung spielen im Alltag eine große Rolle.
Zwei Jahre lang wohnte ich bei einer alten Frau, die allein in einer kleinen Wohnung lebte, nachdem ihr Mann verstorben war. Sie kochte sehr gern und lud mich häufig zum Essen ein. Ihre Kochkunst faszinierte mich: Jeden Tag kochte sie eine andere Suppe als Vorspeise. Ich weiß nicht genau, wie viele Rezepte sie kannte, aber sie erklärte mir immer die Zutaten und die Wirkung der Speisen.
Beides war nicht beliebig. Für jede Jahreszeit hatte sie einen Satz von Rezepten. Sie erklärte mir: »Unser Körper braucht verschiedene Nahrung in den verschiedenen Zeiten, da das Qi der Natur sich unentwegt wandelt. Die Funktion unserer Organe hängt mit den wechselnden Jahreszeiten zusammen, und das Qi des menschlichen Körpers sollte im Einklang mit dem Qi der Natur stehen. Wenn wir darauf achten, können wir einen harmonischen Zustand erreichen.«
Sehr viele Menschen, auch in China, wissen nur sehr wenig von den komplexen Zusammenhängen des Lebens.
Ich zweifelte nie an dem, was sie sagte. Denn ganz sicher hatte sie die Harmonie in ihrem Leben erreicht. Eine solch ruhige, gutmütige und gesunde alte Frau sieht man nur selten. Sie war weder reich noch in einer Karriere erfolgreich, aber sie war vollkommen zufrieden. Mit ihren Freunden sang sie im Park Kanton-Oper oder sie übte Tai Chi und Qi Gong. Ihr Leben war bunt und erfüllt. Sie ist heute über 90 und noch genauso weise und lebendig wie vor zehn Jahren.
Inzwischen habe ich viele Bücher über die alte chinesische Medizin gelesen, und vor einigen Jahren konnte ich endlich die Guangzhou Medical School besuchen. Dort habe ich die Grundkenntnisse systematisch studiert und danach in einer Klinik für TCM, der Jianqiang Medical Clinic, gearbeitet.
Dabei bin ich vielen Patienten begegnet. Ich war erstaunt, dass so viele Leute so wenig von der Verbindung zwischen Mensch und Natur verstehen – obwohl das ein wichtiger Teil der chinesischen Kultur ist. Manche suchten die Klinik auf, weil westliche Medikamente nicht gewirkt hatten und sie nun auf eine »Wunderkur« hofften. Die gab es natürlich auch dort nicht. Doch die meisten Patienten waren sehr überrascht, dass wir aus ihren Symptomen so viel über ihre Gewohnheiten, ihre Beziehung, ihre Arbeit, ihre Ernährung und ihre Gefühle ableiten konnten. All diese Dinge wurden dann bei der Behandlung berücksichtigt, und ab und zu gab es tatsächlich ein Wunder. Auf jeden Fall konnte den meisten Patienten besser geholfen werden als mit Methoden, die die Zusammenhänge nicht berücksichtigen, sondern die Menschen wie eine Maschine reparieren wollen.
Das moderne Leben ist auch in China sehr stressig. Die Menschen arbeiten zu viel und erholen sich zu wenig. Die Menschen, die in den Parks Tai Chi und Qi Gong üben, sind meistens alt. Die Jüngeren wollen lieber um jeden Preis Karriere machen und meinen, dass sie für so etwas keine Zeit haben. Der Chef akzeptiert keine Entschuldigungen, und sie sind ja jung – deshalb ignorieren sie kleine Beschwerden einfach. Langsam werden dann aus kleinen Beschwerden größere Probleme. Dann ist es manchmal schon so weit, dass nur noch drastische Maßnahmen, starke Medikamente oder Operationen helfen können. Wenn die Harmonie aus dem Leben verbannt wird, wird man nicht nur körperlich, sondern auch seelisch krank. Und all das, was ich eben beschrieb, gilt für Europa natürlich genauso.
Es lohnt sehr, sich mit den ganzheitlichen Sichtweisen auf die eigene Gesundheit zu befassen, so wie es Ihnen dieses Buch nahebringen will.
Wenn man darauf achtet, im Einklang mit der Umwelt zu leben, kann man viele Probleme vermeiden. Das ist es auch, was Ihnen dieses Buch vermitteln will: wie Sie Probleme vermeiden und ihnen vorbeugen können. Ich möchte Ihnen dabei helfen, mehr Harmonie in Ihr Leben zu bringen, damit Sie Ihre Gesundheit erhalten oder schneller gesund werden, damit Sie lange und zufrieden leben.
Der Wechsel zwischen Yin und Yang durch die vier Jahreszeiten
ist die Grundlage des Wachstums und Wohlergehens aller Lebewesen.
Daher stärkt der Weise sein Yang-Qi im Frühling und Sommer,
sein Yin-Qi im Herbst und Winter, um im Einklang mit
den grundlegenden Gesetzen der Natur zu leben.
So entwickelt er sich in Harmonie, wie die Natur.
Aus »Die Medizin des Gelben Kaisers« von Huang Di
Allein über die Grundkenntnisse der Traditionellen Chinesischen Medizin kann man ein dickes Buch schreiben. Und es gibt ja auch schon viele gute, dicke Bücher. Doch sogar ein gelernter und geübter Praktiker wird nicht behaupten, alles zu wissen und zu verstehen. Das System ist – wie unser menschlicher Körper und allgemein die Natur – sehr komplex. Deswegen möchte ich in diesem Buch gar nicht erst versuchen, Ihnen die komplette Theorie zu vermitteln. Uns soll es eher um die gelebte Praxis und den gesunden Alltag gehen. Ein paar Konzepte muss und möchte ich Ihnen dabei natürlich vorstellen, damit Sie eine Idee davon bekommen, wie die TCM das »große Bild«, nämlich die Prinzipien der Natur, und das »kleine Bild«, nämlich den menschlichen Körper, betrachtet.
Man neigt dazu, Schulmedizin und alternative Heilkunde, zu der man in Europa auch die TCM zählt, als Gegensätze zu betrachten. Aber in Wirklichkeit widersprechen sie sich in der Regel überhaupt nicht. Es wird sehr viel Negatives über radikale Behandlungsmethoden wie Operationen oder Antibiotika gesagt und von der Unmenschlichkeit der Apparatemedizin gesprochen. Auf der anderen Seite stehen manche Wissenschaftler auf dem Standpunkt, dass die Effekte der Naturheilkunde nicht zu beweisen und deshalb nur Scharlatanerie wären. Es kommt aber immer auf die an, die die Methoden anwenden.
Meiner Meinung nach gibt es keine schlechte Heilkunde, sondern nur neben den guten auch einige schlechte Ärzte und Praktiker.
TCM hat in China vielen Menschen das Leben gerettet und in schweren Zeiten große Teile des Volkes versorgt, die keinen Zugang zu modernen Kliniken hatten. Aber wie jedes medizinische System hat auch sie ihre Beschränkungen. Wenn man beispielsweise unter einem akuten Herzinfarkt leidet, muss man so schnell wie möglich ins Krankenhaus und mit moderner westlicher Medizin behandelt werden – alles andere wäre verantwortungslos.
TCM hingegen leitet Sie an, mit mehr Aufmerksamkeit zu leben, sodass Sie erst gar keinen Herzinfarkt erleiden. Oder sie hilft Ihnen nach einem Herzinfarkt, Ihre Gesundheit wieder vernünftig aufzubauen. Es gibt viel Anlässe, wo der Schulmediziner sagt: »Es tut mir leid, aber Sie müssen mit Ihren Beschwerden leben.« Oder: »Die Nebenwirkungen sind zwar stark, anders geht es aber leider nicht.« Ein TCM-Praktiker kann Ihnen aber oftmals auch in solchen Fällen helfen, Ihre Probleme zu lösen.
Misstrauen und Vorurteile der sogenannten alternativen oder der Schulmedizin gegenüber sagen nichts über die Vorteile beider.
Dieser Schluss scheint mir angebracht: Schulmedizin und TCM ergänzen sich gegenseitig. Heutzutage haben die meisten TCM-Praktiker (zumindest in China, aber häufig ebenso im Westen) auch eine Ausbildung in westlicher Schulmedizin. So können sie sehr gut entscheiden, was für eine Therapie ein Patient braucht. Wir fokussieren uns hier in diesem Buch auf die enormen Vorteile, die uns die TCM in ihrer alltagspraktischen Anwendung schenken kann.
Es geht in diesem Buch um »den Rhythmus der Jahreszeiten«. Laut der TCM wird der Sommer in zwei Jahreszeiten, Sommer und Spätsommer, unterteilt. Daher haben wir fünf Jahreszeiten. Jede davon wird hier, nach einer Einführung in die TCM in diesem ersten Kapitel, separat präsentiert. Jedes der fünf umfassenden Jahreszeitenkapitel ist in der gleichen Weise aufgebaut und besteht aus folgenden Teilen: Fallbeispiel, Analyse der Beschwerden und praktischer Teil zur Auflösung der Beschwerden und der optimalen Unterstützung des Körpers in dieser Jahreszeit.
Dieses Buch lädt Sie ein, sich lesend und probierend auf die tieferen Geheimnisse der TCM einzulassen.
Sie können natürlich direkt den Teil aufschlagen, in dem die aktuelle Jahreszeit behandelt wird. Wenn Sie aber ein besseres Verständnis haben wollen, sollten Sie das Buch komplett lesen. Mein Ziel ist nicht, dass Sie nur ein paar Übungen oder Rezepte lernen, sondern dass Sie ein neues Gefühl, eine neue Perspektive und eine neuartige Achtsamkeit für Ihren Körper entwickeln. Dazu brauchen Sie zwar keine professionellen Kenntnisse der überlieferten chinesischen Medizin und Philosophie, aber ein Grundwissen ist sehr hilfreich.
Es macht gar nichts, wenn Sie am Anfang nicht gleich alles verstehen. Das System der TCM ist sehr komplex, und die Denkweise unterscheidet sich stark von der westlichen. Wenn Sie einfach weiterlesen, kommt das Verständnis bald wie von selbst. Chinesische Medizin geht nicht so »ohne Umschweife« vor wie die Schulmedizin. Wir Menschen werden darin nicht nur als sichtbares Material, das aus Zellen besteht, gesehen. Was eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden spielt, sind nach der chinesischen Betrachtung eben nicht die sichtbaren Teile, sondern das Qi, die Lebensenergie, die nicht nur in unserem Körper, sondern im ganzen Universum fließt. Auf diese Weise sind wir mit der Natur und ihren Rhythmen eng verbunden.
Gesunde Bescheidenheit
Wer traut sich schon zu sagen, dass er alles über das Universum, die Natur und den Menschen weiß? Niemand! Auch ein erfahrener Praktiker der TCM muss immer weiter lernen. Andererseits sagt man bei uns in China: »Kleines Verständnis bewirkt große Wunder.« Sie müssen ja keine Diagnosen stellen, keine Laboruntersuchungen machen oder Operationen durchführen. Sie pflegen einfach Ihren Körper, gleichen Ihre Schwächen aus, passen sich den Erfordernissen der Jahreszeiten an und beugen Erkrankungen vor. Wenn Sie schon sehr krank sind, müssen Sie natürlich einen Arzt aufsuchen.
Jahreszeiten, Elemente, Organe und so weiter gehören nach der Sichtweise der TCM funktionell zusammen.
Im diesem Buch finden Sie viele Fallbeispiele, durch die Sie die Wesensart unterschiedlicher Menschen und ihre Beschwerden kennenlernen. Wenn ich nur theoretisch über »Nieren-Qi«, »Yin-Störung« und Ähnliches sprechen würde, könnte das zunächst nicht nur ungewohnt für das westliche Denken sein, sondern auch schwer zuzuorden. Aber wenn Sie eine Geschichte lesen, können Sie einfach vergleichen, ob Sie ähnliche Situationen, Emotionen und körperliche Reaktionen in Ihrem Leben kennen und ob sie Ihnen ähnliche Beschwerden brachten.
Es ist sehr wichtig, dass Sie vor allem sich selbst kennenlernen: Was für ein Typ sind Sie? Was für eine Persönlichkeit haben Sie? Tun Sie gerade etwas, das Ihrer Gesundheit schadet – und das mehr, als Sie glauben? Anhand von Beispielen konkreter Menschen und Anlässe können Sie auch einen tieferen Blick auf sich selbst werfen. Die Beispiele kommen aus dem deutschsprachigen Raum und aus China, sie beschreiben Männer ebenso wie Frauen.
Wichtig zu wissen ist dabei, dass alle beschriebenen Störungsbilder sowohl im Osten als auch im Westen vorkommen können, ebenso wie sie bei Frauen und Männer auftauchen können. Wenn eine Beschwerde an einer Frau erklärt wird, kann auch ein Mann betroffen sein – und umgekehrt. Geschlechtsspezifische Probleme, wie Impotenz oder Unregelmäßigkeiten der Menstruation, betreffen naturgemäß nur eines der Geschlechter, die ursächliche Störung aber liegt wieder bei beiden gleichermaßen vor.
Fallbeispiele helfen Ihnen, sich selbst leichter im Geschilderten zu erkennen und damit Ihre Lebensart in Harmonie zu bringen.
Nach den erzählten Fallbeispielen werden die dort auftauchenden Beschwerden erklärt. Ich gehe dabei sehr detailliert, aber schrittweise vor. Ab und zu wiederhole ich einen Zusammenhang aus unterschiedlichen Blickwinkeln, damit Sie die Hintergründe besser verstehen können. Wenn Sie bislang noch nie etwas von chinesischer Medizin gehört haben sollten, könnte die Theorie für Sie vielleicht wie eine Fremdsprache klingen. Wenn Sie sich nicht so sehr dafür interessieren, können Sie diesen Teil auch jeweils überspringen und gleich zum praktischen Teil übergehen, insbesondere zu den Bewegungsübungen. Dennoch ist es empfehlenswert, wenn Sie sich später doch noch einmal in Ruhe dem Theorieteil widmen. Denn auch die richtigen Übungen, Lebensmittel oder zu massierenden Meridianpunkte finden Sie dann am besten, wenn Sie genau wissen, gegen welche Störung Sie vorgehen wollen.
Sobald die ersten Aha-Erlebnisse da waren, wird das Verstehen gleich sehr viel leichter und rascher gehen.
Keine Sorge: Die Erklärungen sind insgesamt überhaupt nicht kompliziert. Es kann nur eben sein, dass Sie einen Anlauf mehr brauchen, um das System zu verstehen.
Bevor ernsthafte Störungen auftauchen, können Sie ihnen mit ein wenig Aufmerksamkeit auf Ihren Körper und die Qualität der aktuellen Jahreszeit vorbeugen. Und auch wenn es Störungen gibt, die noch nicht so weit fortgeschritten sind, dass sie wirkliche Krankheiten geworden sind, können Sie Ihren Körper wieder in Ordnung bringen. In jedem Kapitel gibt es dafür einen ausführlichen Praxisteil mit vielfältigen Anregungen, wie Sie sich im Alltag pflegen, bewegen und nähren können. Mit vernünftigen Essgewohnheiten, moderatem Sport und gegebenenfalls einer emotionalen Umstellung behalten Sie die Balance oder stellen sie neu her.
Was aber machen Sie, wenn Sie keine Zeit haben, um alle vorgeschlagenen Rezepte, Übungen und Meridianmassagen anzuwenden? Machen Sie sich jedenfalls keine Sorgen. Sie können sich einfach ein oder zwei Dinge aussuchen, die mit Ihrem Lebensplan gut vereinbar sind. Wichtig ist, dass Sie Willenskraft und Geduld aufbringen, die Übungen, die Sie auswählen, dann auch wirklich durchzuführen. Es schadet nicht, wenn Sie mehrere Aktivitäten in Ihr Leben aufnehmen – aber übertreiben Sie nicht. In China sagen wir: »Kleines Bächlein fließt lang.« Und genau so sollten wir auch mit unseren Kräften umgehen: Wenn wir gut mit ihnen haushalten, dann halten sie lange vor und bringen uns weit. Seien sie anfangs auch noch so klein.
Abwechslung auf dem Speiseplan
Ganz wichtig ist, dass eine gesunde Ernährung im Alltag vielfältig ist. Sie sollte durch die Jahreszeiten hindurch immer wieder umgestellt werden, aber das heißt nicht, dass Sie in einer bestimmten Jahreszeit ausschließlich dies oder jenes essen sollten. Unser Körper braucht das ganze Jahr über Vitamine, Spurenelemente und so weiter für seine Funktion. So empfiehlt es sich zum Beispiel, im Frühling viel grünes Gemüse, aber gleichzeitig auch Fleisch, Fisch, Milch und vieles andere zu essen. Nur mit ausgewogener Abwechslung können wir unsere Gesundheit bewahren. Die Vorschläge, die Sie in den einzelnen Kapiteln finden, dienen daher der Orientierung, was jetzt besonders gut ist und den Speiseplan ergänzen sollte.
Ernährung ist ein ganz wesentlicher Faktor eines harmonischen und gesunden Lebens.
Dieses Buch leitet Sie ganz praktisch an, sich in Ihrem Alltag den sich verändernden Gegebenheiten in der Natur anzupassen. Denn auch Ihr Körper ist ein Stück Natur und möchte in der Hitze des Sommers andere Dinge als mitten im kalten, dunklen Winter: andere Verhaltensweisen, andere Schlafgewohnheiten, Aktivitäten und Lebensmittel. An all den Anregungen in den Praxisteilen können und sollten Sie sich daher nicht nur orientieren, wenn Sie die beschriebenen Beschwerden haben. Sie sind ebenso hilfreich, wenn Sie sich rundum gesund und ausgeglichen fühlen. Sie helfen Ihnen dann sicherlich, besser zu verstehen, warum es Ihnen so gut geht – und unterstützen Sie, dass das auch so bleibt.
Das uralte Wissen der TCM können Sie nicht nur nutzen, wenn Sie bereits Beschwerden haben, sondern auch vorbeugend.
Die Beschwerden, die anhand der Fallbeispiele untersucht werden, sind für die jeweilige Jahreszeit besonders typisch. Nun kann es aber natürlich sein, dass Sie sich in den Störungsbildern wiedererkennen, aber die Probleme zu einer ganz anderen Jahreszeit aktuell sind. Die Organe können zu jeder Zeit unter ungünstigen Bedingungen angegriffen werden. Die Leber kann auch im Winter und das Herz im Frühling Probleme verursachen. Die Beschwerden müssen dann natürlich unmittelbar behandelt werden. Die Lebensmittel, Meridianpunkte und Übungen gegen bestimmte Beschwerden sind in jeder Jahreszeit wirksam. Nutzen Sie sie also, wann immer Störungen spürbar werden, und sorgen Sie zudem dafür, mithilfe der Anregungen dieses Buches in der Harmonie der Jahreszeiten zu leben. Nur wenn Sie sich in jeder Jahreszeit um das Organ, das aktuell »dran« ist, kümmern, können Sie Disharmonien, die Problemen zugrunde liegen, wirklich ausgleichen und weitere Erkrankungen vermeiden. Vorbeugung ist nicht von ungefähr der Hauptzweck der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Beginnen wir mit den Grundlagen des Denkens in der chinesischen Medizin. Dazu möchte ich Ihnen eine Familie vorstellen: die Maiers. Herrn Maier, Frau Maier, Frau Maiers Mutter, den Sohn von Herrn Maier – und Tim, den Hund. Herr Maier hatte wieder geheiratet, nachdem seine erste Frau vor zehn Jahren starb. Er, seine neue Frau und sein Sohn Fabian aus der ersten Ehe wohnen in dem kleinen Haus, das Frau Maier geerbt hat. Auch Frau Maiers Mutter, die alle Großmutter nennen, obwohl sie gar keine Großmutter ist, und der ebenfalls ein Teil des Hauses gehört, wohnt dort. Die Familie hat ein Haustier, einen Golden Retriever namens Tim.
Großmutter ist die Mutter von Frau Maier. Sie hat sie geboren und großgezogen. Sie liebt ihre Tochter sehr und ist ihr eine gute Zuhörerin, vor allem wenn sie Sorgen hat. Sie hat eine »nährende Verbindung« zu ihrer Tochter.
Frau Maier hat das Leben von Herrn Maier dramatisch verändert. Er war nach dem Tod seiner ersten Frau sehr traurig und depressiv. Frau Maier hat ihm neue Hoffnung gegeben und sich um ihn gekümmert. Sie hat eine »nährende Verbindung« zu ihrem Mann.
Herr Maier liebt seinen Sohn Fabian sehr. Er war für lange Zeit die einzige Bezugsperson für das Kind, und Herr Maier arbeitet sehr hart, um ihm alles bieten zu können. Er hat eine »nährende Verbindung« zu seinem Sohn.
Menschen in einem Familienverband unterstützen sich meistens auf eine differenzierte Weise gegenseitig.
Fabian liebt Tiere. Vor allem aber seinen Hund Tim. Seit vier Jahren kümmert er sich liebevoll um ihn. Er führt Tim aus und spielt sehr gern mit ihm. Tim ist für ihn der beste Hund der Welt. Er hat eine »nährende Verbindung« zu seinem Hund.
Tim nun wieder ist Großmutter eine große Hilfe, weil sie an starken Schmerzen in ihren Hüftgelenken leidet. Tim holt ihr Dinge, macht die Tür auf für Besucher und ist immer da für sie, wenn sonst niemand im Haus ist. Ohne Tim wäre das Leben für Großmutter nur halb so schön. Tim hat eine »nährende Verbindung« zu Großmutter. So unterstützen sich die Mitglieder der Familie gegenseitig.
Aber das ist nicht alles. Fabian wird von Großmutter sehr verwöhnt. Sie tanzt nach seiner Pfeife. In gewisser Weise »kontrolliert« Fabian Großmutter. Er hat eine »kontrollierende Verbindung« zu ihr.
Nicht nur nährende, sondern auch kontrollierende Beziehungen machen ein Familiensystem aus.
Frau Maier ist das gar nicht recht. Sie ist ziemlich streng mit Fabian. Sie glaubt, dass ihre Mutter und ihr Mann zu nachsichtig mit dem Jungen sind. Sie hat eine »kontrollierende Verbindung« zu ihrem Stiefsohn.
Sie hat auch schon immer Angst vor Hunden gehabt. Als sie ein Mädchen war, wurde sie von einem Hund gebissen. Tim hat sie immer ein bisschen beunruhigt. Das heißt, dass Tim eine gewisse Macht über sie hat. Er hat eine »kontrollierende Verbindung« zu Frau Maier.
Tim weiß, wer der Chef der Familie ist. Er hat besonderen Respekt vor Herrn Maier und benimmt sich vor ihm immer besonders gut. Herr Maier hat eine »kontrollierende Verbindung« zu Tim.
Herr Maier wiederum fühlt sich von Großmutter ein wenig in die Enge getrieben. Er kann es spüren, dass er ihre Ansprüche an einen Schwiegersohn nicht ganz erfüllt. Er achtet sehr vorsichtig darauf, die alte Frau nicht zu beunruhigen. Großmutter hat eine »kontrollierende Verbindung« zu Herrn Maier.
Schon um die Harmonie in einer kleinen Familie zu bewahren, wird viel von jedem Einzelnen verlangt: Sie müssen ihre Aufgabe erfüllen, um die anderen zu unterstützen. Wenn einer scheitert, kommt das Ganze aus dem Gleichgewicht.
Systeme sind sehr sensibel, wie wir auch aus der Ökologie wissen.
Wenn zum Beispiel Frau Maier sehr krank würde, könnte sie sich nicht mehr um ihren Mann und den Haushalt kümmern. Herr Maier würde sich viele Sorgen machen und könnte sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Das Kind würde von seinem Vater vernachlässigt, weil er einfach nicht genug Zeit für ihn hätte. Wenn Fabian vernachlässigt würde, wäre er traurig und besorgt. Er hätte keine Lust mehr, mit Tim zu spielen. Tim würde die Stimmung spüren und auch depressiv werden. Er wäre nicht mehr so aktiv und hätte nicht mehr so viel Energie, um Großmutter zu Diensten zu sein. Ohne die Unterstützung von Tim würde aber das Leben von Großmutter sehr unbequem. Sie würde langsam ungeduldig und beunruhigt, und ihr Benehmen gegenüber ihrer Tochter würde sich verändern. Das wiederum würde Frau Maier so sehr belasten, dass sie sich nicht richtig erholen könnte.
Alle in einem Verband müssen sich auch etwas zurückhalten, um die anderen nicht in ihrer Entfaltung zu unterdrücken.
Schauen wir jetzt auf ein größeres Bild: das Universum. Es besteht nach Ansicht der TCM aus fünf Elementen: Wasser, Feuer, Holz, Erde und Metall. Diese Elemente sind natürlich nicht Elemente im chemischen Sinn, sondern Prinzipien, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise in allen Lebensbereichen ausdrücken. Die Bewegungen dieser Elemente und ihre Wechselwirkungen verursachen alle Entwicklungen und Wandlungen im Universum.
Die fünf Elemente, genau wie die Mitglieder der Familie Maier, unterstützen und fördern sich gegenseitig. Holz erzeugt Feuer, wenn es verbrannt wird. Feuer erzeugt aus dem Verbrannten Erde. Erde liefert Metall. Metall fängt das Wasser auf, das zu Boden fällt. (Dazu muss man wissen, dass Gestein in der chinesischen Antike dasselbe war wie Metall.) Wasser nährt das Wachstum des Holzes.
Andererseits kontrollieren die fünf Elemente sich gegenseitig. Feuer schmilzt Metall. Metall schneidet Holz. Holz laugt die Erde aus. Erde blockiert den Fluss des Wassers. Wasser löscht Feuer aus. Der Balance zwischen den fünf Elementen entspricht die Harmonie.
Jedes Element besitzt verschiedene Eigenschaften, die sowohl mit der Umwelt als auch dem menschlichem Körper verbunden sind. Jeder Geschmack, jede Farbe, jede Jahreszeit, jedes Gefühl, jedes Organ und so weiter teilen ihre Eigenschaften mit einem Element. Auch all diese Dinge beeinflussen einander.
Wenn eines der Elemente zu schwach oder zu stark ist, verschiebt sich die Balance, und alle anderen Elemente sind betroffen.