John Grisham wurde am 8. Februar 1955 in Jonesboro/Arkansas, geboren. Als junger Mann träumte er von einer Karriere als Profi-Baseballspieler, doch als sich diese Pläne zerschlugen, studierte er in Mississippi Rechnungswesen und Jura. 1981 schloss er sein Studium erfolgreich ab und heiratete im selben Jahr Renee Jones.
Er ließ sich in Southaven/Mississippi als Anwalt für Strafrecht nieder und engagierte sich außerdem in der Politik. 1983 und 1987 wurde er in das Abgeordnetenhaus von Mississippi gewählt.
Der schreckliche Fall einer vergewaltigten Minderjährigen brachte ihn zum Schreiben. In Früh- und Nachtschichten entstand sein erster Thriller, Die Jury, der 1988 in einem kleinen, unabhängigen Verlag erschien.
Sofort nach Fertigstellung von Die Jury begann John Grisham mit seinem nächsten Buch, Die Firma. Noch vor Erscheinen des Buches erwarb Paramount Pictures die Filmrechte, wodurch die großen Verlage aufmerksam wurden. Schließlich kaufte Doubleday die Buchrechte, und Die Firma wurde der Bestseller des Jahres 1991 und stand 47 Wochen in Folge auf der New York Times-Bestsellerliste.
Seither hat John Grisham jedes Jahr ein neues Buch veröffentlicht. Alle seine Bücher kamen auf die internationalen Bestsellerlisten; sie wurden in 38 Sprachen übersetzt. Weltweit sind über 275 Millionen Exemplare verkauft worden. Die meisten seiner Romane wurden auch verfilmt.
Heute lebt John Grisham mit seiner Frau Renee zurückgezogen in Charlottesville/Virginia und auf einer Farm in Oxford/Mississippi. Neben dem Schreiben fördert er die Baseball-Jugend und engagiert sich in karitativen Projekten. Er versucht dem Medienrummel zu entgehen und ein möglichst normales Familienleben zu führen.
»Grisham bürgt für Hochspannung und Qualität, er ist die oberste Instanz des Thrillers.« Neue Zürcher Zeitung
»Mit John Grishams Tempo kann keiner mithalten.«
The New York Times
»John Grisham ist so viel besser als alle anderen.«
Süddeutsche Zeitung
Die Jury
A Time to Kill
Ein zehnjähriges schwarzes Mädchen wird brutal misshandelt und vergewaltigt. Ihr Vater, Carl Lee Hailey, übt Selbstjustiz und tötet die geständigen Täter. Mord oder Hinrichtung? Gerechtigkeit oder Rache? Jetzt geht es um viel mehr: den Rassenkonflikt, die Machenschaften der Presse und nicht zuletzt die persönlichen Interessen von Staatsanwalt, Richter und Verteidiger.
Die Firma
The Firm
Etwas ist faul an der exklusiven Kanzlei, der Mitch McDeere sich verschrieben hat. Der hochbegabte junge Anwalt wird auf Schritt und Tritt beschattet, er ist umgeben von tödlichen Geheimnissen. Als er dann noch vom FBI unter Druck gesetzt wird, erweist sich der Traumjob endgültig als Albtraum.
Die Akte
The Pelican Brief
In einer Oktobernacht werden zwei Richter des obersten Bundesgerichts der USA ermordet. Die Jurastudentin Darby Shaw legt eine Akte über den schlimmsten politischen Skandal seit Watergate an – ein tödliches Dokument für alle, die sie kennen. Eine erbarmungslose Jagd beginnt.
Der Klient
The Client
Der elfjährige Mark beobachtet den Selbstmordversuch eines Mannes. Er will eingreifen, aber es ist zu spät. Der Mann, ein New Yorker Mafia-Anwalt, stirbt, nachdem er ein Geheimnis preisgegeben hat: Er nennt den Ort, an dem der ermordete Senator begraben liegt, dessen mutmaßlicher Mörder vor Gericht steht. Mark gerät in die Zwickmühle: FBI und Staatsanwaltschaft setzen ihn unter Druck, damit er auspackt. Die Mafia ihrerseits versucht mit allen Mitteln das zu verhindern.
Die Kammer
The Chamber
Im Hochsicherheitstrakt des Staatsgefängnisses von Mississippi wartet Sam Cayhall auf die Hinrichtung. Er ist wegen eines tödlichen Bombenanschlags verurteilt. Seine Lage ist hoffnungslos. Nur der Anwalt Adam Hall kann ihm noch eine Chance bieten. Es geht um Tage, Stunden, Minuten.
Der Regenmacher
The Rainmaker
Rudy Baylor, ein Jurastudent im letzten Semester, gewinnt seine ersten »Mandanten«, ein Ehepaar, dessen Sohn an Leukämie erkrankt ist. Die Krankenversicherung weigert sich, für die wahrscheinlich lebensrettende Therapie zu zahlen. Rudy erkennt bald, dass er es mit einem riesigen Versicherungsskandal zu tun hat. Er nimmt den Kampf gegen eines der mächtigsten, korruptesten und skrupellosesten Unternehmen Amerikas auf.
Das Urteil
The Runaway Jury
In Biloxi, einer verschlafenen Kleinstadt in Mississippi, findet ein Prozess statt, der weltweit Aufsehen erregt. Der Richter lässt die Geschworenen von der Außenwelt abschotten, weil er fürchtet, dass die Jury von außen kontrolliert wird. Für einen mächtigen Konzern geht es um Milliardengeschäfte.
Der Partner
The Partner
Bevor sie die Falle zuschnappen ließen, hatten sie Danilo Silva rund um die Uhr bewacht. Er führte ein ruhiges Leben in einem heruntergekommenen Viertel einer kleinen Stadt in Brasilien. Nichts deutete daraufhin, dass er neunzig Millionen Dollar beiseite geschafft hatte.
Der Verrat
The Street Lawyer
Michael Brock ist der aufsteigende Stern bei einer einflussreichen Anwaltskanzlei in Washington D.C. Er führt ein Leben auf der Überholspur, bis eine Geiselnahme alles verändert. Der Geiselnehmer, ein heruntergekommener Obdachloser, wird erschossen. Michael forscht nach den Hintergründen dieser Tat und spürt ein schmutziges Geheimnis auf.
Das Testament
The Testament
Ein milliardenschwerer, lebensmüder Geschäftsmann, eine gierig lauernde Erbengemeinschaft, die im brasilianischen Regenwald arbeitende Missionarin Rachel und ein ehemaliger Staranwalt, der es noch einmal wissen will – das sind die Akteure in diesem Drama. Es geht um Geld, Macht und Ehre, und es geht um Leben und Tod.
Die Bruderschaft
The Brethren
Drei verurteilte Richter brüten im Gefängnis über einem genialen Coup. Wenn alles klappt, haben sie für die Zeit nach dem Knast ausgesorgt. Sie sind gerissen und haben die richtigen Kontakte, aber ist ihre Strategie wirklich wasserdicht? Meisterhaft entwirft John Grisham ein raffiniertes Szenario, bei dem keiner seiner Helden ungeschoren davonkommt.
Die Farm
A Painted House
In der staubigen Hitze von Arkansas wird ein neugieriger Siebenjähriger plötzlich mit den harten Realitäten des Lebens konfrontiert. Während Luke noch von Baseball träumt und heimlich die Erwachsenen belauscht, gerät er unvermutet in ein Drama um Liebe und Tod, in dem er selbst eine entscheidende Rolle spielt.
Das Fest
Skipping Christmas
Als Luther und Nora zum ersten Mal seit zwanzig Jahren ein kinderloses Weihnachtsfest auf sich zukommen sehen, beschließen sie, mit den gesellschaftlichen Konventionen zu brechen und das Fest erstmals ausfallen zu lassen. Obwohl deshalb allerorts geächtet, halten sie eisern durch, bis am Morgen des 24. Dezember ein Anruf aus der Ferne alle Pläne durchkreuzt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. – Mit seiner urkomischen Weihnachtskomödie beweist John Grisham, dass er auch als Humorist unschlagbar ist.
Der Richter
The Summons
In diesem Bestseller kehrt John Grisham zurück nach Clanton, Mississippi, einer fiktiven Kleinstadt in einem Bezirk, wo der Autor einst selbst als Anwalt tätig war. Dort, im tiefen Süden der USA, muss Ray Atlee das finstere Erbe seines patriarchalischen Vaters, des alten Richters Atlee, antreten. Und schon bald merkt Ray, dass er nicht der Einzige ist, der dessen schreckliches Geheimnis kennt.
Die Schuld
The King of Torts
Clay Carter muss sich schon viel zu lange und mühsam seine Sporen im Büro des Pflichtverteidigers verdienen. Nur zögernd nimmt er einen Fall an, der für ihn schlicht ein weiterer Akt sinnloser Gewalt in Washington D.C. ist: Ein junger Mann hat mitten auf der Straße scheinbar wahllos einen Mord begangen. Clay stößt aber auf eine Verschwörung, die seine schlimmsten Befürchtungen weit übertrifft.
Der Coach
Bleachers
Grishams wohl persönlichstes Buch – ein bewegender Roman um eine väterliche Freundschaft, um Rückkehr und Abschied und um das Spiel des Lebens, das ganz eigenen Regeln gehorcht. Fünfzehn Jahre nach dem tragischen Ende seiner kurzen, glorreichen Profi-Karriere kehrt Neely heim, um sich von seinem damaligen Coach zu verabschieden, der im Sterben liegt.
Die Liste
The Last Juror
Ein junger Zeitungsreporter trägt mit exklusivem Material zur Aufklärung eines grausamen Mordes bei, woraufhin die Begeisterung groß ist. Doch als der mächtige Verurteilte in aller Öffentlichkeit das Leben der Geschworenen bedroht und Rache schwört, verstummen die Jubelrufe. Neun Jahre später kommt der Mörder frei und macht sich daran, seine Drohung in die Tat umzusetzen.
Die Begnadigung
The Broker
Die letzte Amtshandlung des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist die Begnadigung eines berüchtigten Wirtschaftskriminellen. Joel Backman war bis zu seiner Verurteilung einer der skrupellosesten Lobbyisten in Washington. Niemand weiß, dass die umstrittene Entscheidung des Präsidenten erst auf großen Druck des CIA zustande kam. Eine brisante Geschichte aus dem Zentrum der Macht, die nicht vom Weißen Haus, sondern von einem unkontrollierbaren Staat im Staate ausgeht.
Der Gefangene
The Innocent Man
Debbie Carter arbeitet als Bardame im Coachlight Club in Ada, Oklahoma. Eines Morgens wird die junge Frau vergewaltigt und erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden. Sechs Jahre später werden Ron Williamson, ein Stammgast von Debbie, und sein Freund Dennis Fritz aufgrund einer Falschaussage der Tat bezichtigt. Williamson wird zum Tode, Fritz zu lebenslanger Haft verurteilt. Beide beteuern ihre Unschuld.
Touchdown
Playing for Pizza
Als einst umjubelter Football-Star steht Rick Dockery plötzlich vor dem Aus. Ein Angebot aus dem fernen Italien kommt ihm da sehr gelegen: Die Parma Panthers suchen einen neuen Spielmacher. Rick zögert nicht, und aus der Reise ins Ungewisse wird der Aufbruch in ein neues Leben.
Berufung
The Appeal
Sie verlor ihre ganze Familie. Um ihren Tod zu sühnen, zieht Jeannette Baker gegen einen der größten Chemiekonzerne der USA vor Gericht. Als ihrer Klage stattgegeben und das Unternehmen zu 41 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt wird, ist die Sensation perfekt. Doch dann geht Krane Chemical Inc. in Berufung, und eine Intrige unglaublichen Ausmaßes nimmt ihren Lauf.
Der Anwalt
The Associate
Kyle Mc Avoy steht eine glänzende Karriere als Jurist bevor. Bis ihn die Vergangenheit einholt. Eine junge Frau behauptet, Jahre zuvor auf einer Party in Kyles Appartement vergewaltigt worden zu sein. Kyle weiß, dass diese Anklage seine Zukunft zerstören kann. Und er trifft eine Entscheidung, für die er mit allem brechen muss, was bisher sein Leben bestimmt hat.
Das Gesetz
Ford County
Inez Graney scheut keine Mühe, um ihren Sohn zu besuchen. Seit elf Jahren sitzt Raymond im Todestrakt. Seine Brüder, die ihre Mutter stets begleiten, halten Raymond für einen schrägen Vogel. Oft muss Inez zwischen ihren Söhnen vermitteln. So auch diesmal, an diesem besonderen Besuchstag, an dem Raymond Graney hingerichtet wird. John Grisham erzählt Stories, die den Leser ins Herz treffen, und schafft Figuren, die man nie mehr vergisst. Ein Meisterwerk!
Das Geständnis
The Confession
Ein Geständnis in letzter Sekunde steht am Anfang von John Grishams neuem großem Roman. Travis Boyette, ein rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter, der mehr als sein halbes Leben hinter Gittern verbracht hat, gesteht einen Mord, für den ein anderer verurteilt wurde: Donté Drumm. Dieser sitzt seit acht Jahren in der Todeszelle und soll in genau vier Tagen hingerichtet werden. Ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Verteidigung
The Litigators
Als Harvard-Absolvent David Zinc Partner bei einer der angesehensten Großkanzleien Chicagos wird, scheint seiner Karriere nichts mehr im Weg zu stehen. Doch der Job erweist sich als die Hölle. Fünf Jahre später zieht David die Reißleine und kündigt. Stattdessen heuert er bei Finley & Figg an, einer auf Verkehrsunfälle spezialisierten Vorstadt-Kanzlei, deren chaotische Partner zunächst nicht wissen, was sie mit ihm anfangen sollen. Bis die Kanzlei ihren ersten großen Fall an Land zieht. Der Prozess könnte Millionen einspielen – die Feuertaufe für David.
Home Run
Calico Joe
Joe Castle ist ein Ausnahmetalent. Bereits in seinen ersten Spielen für die Chicago Cubs schlägt er einen Home Run nach dem anderen. Die Fans sind begeistert, und es dauert nicht lange, bis das ganze Land den jungen Spieler frenetisch feiert. Joes Weg an die Spitze scheint vorgezeichnet zu sein, bis er eines Tages auf dem Spielfeld Warren Tracey gegen übersteht, einem mittelmäßigen Werfer der New Yorker Mets, der Joes Erfolg nicht vertragen kann.
Der Flugsteig war überfüllt mit müden, entnervten Reisenden. Die meisten lehnten an den Wänden, da die magere Anzahl von Plastikstühlen schon lange besetzt war. Obwohl jede der hier startenden und landenden Maschinen mindestens achtzig Passagiere beförderte, gab es im Wartebereich lediglich Sitzgelegenheiten für ein paar Dutzend.
Ungefähr tausend Menschen schienen den 19-Uhr-Flug nach Miami gebucht zu haben. Alle waren dick eingemummelt, schwer beladen und hatten sich gerade noch durch den Stadtverkehr, die Eincheckschalter und die Massen in der Abflughalle gekämpft. Nun strahlten sie kollektiv eine gedrückte Stimmung aus. Es war der Sonntag nach Thanksgiving, also einer jener Tage im Jahr, an denen es auf den Flughäfen besonders hektisch zuging. Und während die Menschen rempelnd und schubsend weiter auf den Flugsteig vordrangen, fragten sich viele von ihnen nicht zum ersten Mal, warum sie sich ausgerechnet diesen Tag für ihre Reise ausgesucht hatten.
Einige lächelten mit verkrampfter Miene. Andere versuchten zu lesen, was jedoch in all dem Gedrängel und Lärm so gut wie unmöglich war. Wieder andere starrten teilnahmslos zu Boden. In der Nähe läutete ein spindeldürrer schwarzer Weihnachtsmann penetrant seine Glocke und leierte monoton immer wieder »Fröhliche Weihnachten« herunter. Eine dreiköpfige Familie näherte sich, blieb jedoch beim Anblick der Menschenmassen am Eingang des Flugsteigs stehen. Die Tochter war jung und hübsch. Sie hieß Blair, und es war offenkundig, dass sie auf eine Reise gehen würde. Im Gegensatz zu ihren Eltern. Die drei betrachteten die Menschenmenge und fragten sich dann ebenfalls im Stillen, warum es unbedingt dieser Tag hatte sein müssen.
Die Abschiedstränen waren bereits geweint — wenigstens zum größten Teil. Blair war dreiundzwanzig, frisch gebackene Jungakademikerin mit einem ansehnlichen Diplom in der Tasche, aber noch nicht willens, sofort eine berufliche Laufbahn einzuschlagen. Eine ihrer Freundinnen befand sich gerade mit dem Friedenskorps in Afrika, was Blair dazu bewogen hatte, die nächsten zwei Jahre ihres Lebens ebenfalls in den Dienst der Nächstenliebe zu stellen. Ihre Aufgabe würde darin bestehen, den Kindern von Eingeborenen in Ostperu das Lesen beizubringen. Sie würde dort in einer Hütte ohne sanitäre Anlagen, ohne Strom und ohne Telefon wohnen. Blair konnte dies alles kaum erwarten.
Sie würde zuerst nach Miami fliegen und von dort aus nach Lima. Anschließend musste sie noch drei Tage lang mit dem Bus fahren, in die Berge, in ein vergangenes Jahrhundert. Zum ersten Mal in ihrem jungen, behüteten Leben würde Blair Weihnachten nicht zu Hause verbringen. Ihre Mutter klammerte sich fest an ihre Hand und bemühte sich um Fassung.
Sie hatten sich bereits mehrfach verabschiedet. Die Frage: »Bist du sicher, dass du das auch wirklich willst?« war zum hundertsten Mal gestellt worden.
Blairs Vater Luther betrachtete die Menschenhorden mit finsterem Blick. Was für ein Wahnsinn! Er hatte Frau und Tochter vor dem Eingang des Flughafens aussteigen lassen und den Wagen dann meilenweit entfernt auf einem Park-and-ride-Platz abgestellt. Dann war er in einem überfüllten Shuttlebus zurück zur Abflughalle gefahren und hatte sich zu diesem Flugsteig durchgeboxt. Er war traurig darüber, dass Blair fortging, und verabscheute all diese herumwimmelnden Leute. Luther hatte ausgesprochen miese Laune. Aber es sollte noch schlimmer kommen.
Einige gehetzt wirkende Mitglieder des Bodenpersonals erschienen, worauf die Passagiere sich langsam wieder in Bewegung setzten. Der erste Aufruf erklang. Behinderte, Gebrechliche und die Reisenden der ersten Klasse wurden gebeten, sich bereitzuhalten. Die Drängelei erreichte die nächsthöhere Stufe.
»Wir gehen jetzt wohl besser«, sagte Luther zu seiner Tochter, seinem einzigen Kind.
Sie umarmten sich noch einmal und unterdrückten die Tränen. Blair bemerkte lächelnd: »Das Jahr vergeht bestimmt wie im Flug. Und nächstes Weihnachten komme ich nach Hause.«
Nora, ihre Mutter, biss sich auf die Lippen, nickte und gab ihr einen Kuss. »Bitte sei vorsichtig«, sagte sie zum dutzendsten Mal.
»Macht euch keine Sorgen.«
Luther und Nora gaben ihre Tochter frei und sahen ihr nach. Sie reihte sich in die Warteschlange ein und entfernte sich Zentimeter für Zentimeter, fort von ihnen, fort von ihrem Heim und der Geborgenheit und allem, was sie bisher gekannt hatte. Als ihre Bordkarte überprüft wurde, drehte sie sich noch einmal um und lächelte ihren Eltern zum letzten Mal zu.
»Das war es dann wohl«, sagte Luther. »Und jetzt genug geheult. Ihr wird schon nichts geschehen.«
Schweigend beobachtete Nora, wie ihre Tochter verschwand. Dann wandten sich die beiden ab und schlossen sich der Menschenmenge an, die sich in Richtung Ausgang wälzte, vorbei an dem Weihnachtsmann mit der penetranten Glocke und den kleinen Läden, in denen sich die Leute gegenseitig auf den Füßen standen.
Nora und Luther verließen den Flughafen und gingen zur Haltestelle des Shuttlebusses. Es begann zu regnen. Der Bus kroch über das Flughafengelände und spuckte sie zweihundert Meter von ihrem Wagen entfernt wieder aus. Mittlerweile goss es in Strömen. Es kostete Luther sieben Dollar, sich und sein Auto aus dem geldgierigen Klammergriff des Parkplatzwächters zu befreien.
Während der Fahrt in die Stadt löste sich Nora schließlich wieder aus ihrer Erstarrung. »Ob wohl alles gut geht?«, fragte sie. Luther hatte diese Frage bereits so oft gehört, dass er ganz automatisch brummte: »Klar.«
»Glaubst du wirklich?«
»Klar.« Was machte es in diesem Moment schon aus, ob er das tatsächlich glaubte oder nicht? Blair war fort, sie beide konnten sie nicht aufhalten.
Luther krampfte die Hände um das Lenkrad und verfluchte im Stillen den Verkehr, der immer zähflüssiger wurde. Er wollte gar nicht wissen, ob seine Frau weinte. Er wollte einfach nur nach Hause, etwas Trockenes anziehen, sich vor den Kamin setzen und die Zeitung lesen.
Als es nur noch drei Kilometer bis zu ihrem Haus waren, verkündete Nora: »Ich brauche noch ein paar Sachen aus dem Supermarkt.«
»Es regnet«, erwiderte Luther.
»Ich brauche sie trotzdem.«
»Kann das nicht warten?«
»Du kannst ja im Auto bleiben. Es dauert nur eine Minute. Fahr zu Chip’s. Die haben noch geöffnet.«
Also machte Luther sich auf den Weg zu Chip’s, einem Laden, den er nicht nur wegen seiner unverschämten Preise und hochnäsigen Angestellten hasste, sondern auch wegen seiner unmöglichen Lage. Natürlich schüttete es immer noch wie aus Eimern. Und natürlich suchte sich Nora keinen Supermarkt wie Kroger aus, wo man problemlos parken und eben kurz hineinspringen konnte. Nein, sie wollte unbedingt zu Chip’s, wo man parkte und dann erst einmal auf Wanderschaft gehen musste.
Manchmal klappte allerdings noch nicht einmal das. Der Parkplatz war voll. Selbst in den Feuerwehrzufahrten wimmelte es von Autos. Nachdem Luther zehn Minuten lang umsonst gesucht hatte, sagte Nora frustriert: »Lass mich einfach am Bordstein raus.«
Er bog auf den Parkplatz eines Schnellrestaurants und brummte: »Was genau brauchst du?«
»Ich kann selbst gehen«, sagte sie mit gespieltem Protest in der Stimme. Dabei wussten beide ganz genau, dass es am Ende Luther sein würde, der durch den Regen marschierte.
»Was brauchst du?«
»Nur weiße Kuvertüre und ein Pfund Pistazien«, sagte sie erleichtert.
»Das ist alles?«
»Ja, aber nimm die Kuvertüre von Logan’s, in der Ein-Pfund-Packung, und die Pistazien von Lance Brothers.«
»Und das kann nicht noch einen Tag warten?«
»Nein, Luther, das kann nicht warten. Ich muss den Nachtisch für das Essen morgen zubereiten. Wenn du nicht gehen willst, dann halt doch einfach den Mund und lass mich den Einkauf erledigen.«
Er knallte die Wagentür zu. Sein dritter Schritt führte ihn geradewegs in ein Schlagloch. Kaltes Wasser umspülte seinen rechten Knöchel und sickerte schnell bis in den Schuh hinein. Eine Sekunde lang blieb Luther wie angewurzelt stehen und sog scharf die Luft ein, dann ging er auf Zehenspitzen davon. Verzweifelt versuchte er, weitere Pfützen rechtzeitig zu erkennen und sich gleichzeitig durch den Verkehr zu schlängeln.
Chip’s wurde ganz nach dem Motto »niedrige Pacht und hohe Preise« geführt. Der Laden befand sich in einer Seitenstraße, wo man ihn zudem noch ausgesprochen leicht übersehen konnte. Die Weinhandlung direkt nebenan wurde von einem Europäer geführt, der behauptete, Franzose zu sein, Gerüchten zufolge jedoch aus Ungarn stammte. Sein Englisch war grauenvoll, aber den Wortschatz der Preistreiberei beherrschte er perfekt. Er hatte ihn wahrscheinlich von Chip’s gelernt. Letzten Endes waren in diesem Stadtviertel alle Geschäfte für ihre Wucherpreise bekannt.
Nichtsdestotrotz wimmelte es auch hier vor Menschen. Vor dem Käselädchen schwang ein weiterer Weihnachtsmann seine Glocke. »Rudolph the Red-Nosed Reindeer« plärrte es aus einem versteckten Lautsprecher über dem Bürgersteig vor Mutter Erde, einem Laden, in dem die Körnerfresser zweifellos immer noch Jesuslatschen trugen. Luther verabscheute den Laden und weigerte sich, auch nur einen Fuß hineinzusetzen. Aus welchem Grund Nora dort regelmäßig biodynamische Kräuter kaufte, war ihm immer noch ein Rätsel.
Der alte Mexikaner vom Tabakgeschäft befestigte gerade fröhlich eine Lichterkette in seinem Schaufenster. Aus seinem Mundwinkel hing eine Pfeife, Rauch waberte um seinen Kopf, und hinter ihm stand ein mit künstlichem Schnee besprühter künstlicher Weihnachtsbaum.
Für den späteren Abend war echter Schneefall angesagt. Deshalb hasteten die Kauflustigen noch eiliger durch die Geschäfte. Luthers rechte Socke war mittlerweile an seinem Knöchel festgefroren.
In Chip’s gab es keine Einkaufskörbe mehr. Nicht, dass Luther einen benötigt hätte, aber das war auf jeden Fall ein schlechtes Zeichen. Es bedeutete, dass der Laden gerammelt voll war. Erschwerend hinzu kamen die schmalen Gänge und eine Warenanordnung, die absolut keinen Sinn machte. Ganz egal, was auf der Einkaufsliste stand — man musste den Laden ein halbes Dutzend Mal von vorn bis hinten durchkämmen, um alles zu finden.
Ein Angestellter mühte sich um die ansprechende Gestaltung einer Auslage mit Weihnachtsmännern aus Schokolade. Über der Fleischtheke forderte ein Schild alle »guten« Kunden auf, hier und jetzt sofort ihren Weihnachtstruthahn zu bestellen. Erlesene Weine zum Fest, frisch eingetroffen! Und Weihnachtsschinken!
Was für eine Verschwendung, dachte Luther. Warum essen und trinken wir so viel, um die Geburt Christi zu feiern? Er entdeckte die Pistazien neben dem Brot. Hier war wieder diese sonderbare Chip’s-Logik am Werk gewesen. Im Regal mit den Backzutaten war natürlich weit und breit keine weiße Kuvertüre zu entdecken, also fluchte Luther leise vor sich hin und trottete erneut suchend durch die Gänge. Jemand rammte ihm einen Einkaufswagen in die Hacken. Ohne sich zu entschuldigen, ohne es auch nur zu bemerken. »God Rest Ye Merry Gentlemen« erklang aus dem Lautsprecher in der Decke. Als ob Luther sich dadurch besser fühlen würde! Da hätten sie auch »Frosty der Schneemann« spielen können.
Zwei Gänge weiter stand neben den Reissorten aus aller Welt ein Regal mit Kuvertüre. Luther machte einen Schritt darauf zu und entdeckte die Ein-Pfund-Packung von Logan’s. Ein zweiter Schritt, und die Kuvertüre war urplötzlich verschwunden — im Einkaufskorb einer streng aussehenden Frau, die ihn überhaupt nicht beachtete. Der für Logan’s reservierte Platz im Regal war leer, und im nächsten schrecklichen Augenblick stellte Luther fest, dass kein Fitzelchen weiße Schokolade mehr zu sehen war. Jede Menge Zartbitter- und Vollmilchkuvertüre, aber keine weiße.
An der Expresskasse ging es natürlich langsamer voran als an den beiden anderen. Wegen der unverschämten Preise kauften die meisten Kunden nur das Nötigste, dies hatte jedoch keinerlei positiven Effekt auf die Schnelligkeit, mit der sie an der Kasse abgefertigt wurden. Eine unfreundliche Kassiererin ergriff jeden einzelnen Artikel, inspizierte ihn und gab dann von Hand den Barcode ein. Am anderen Ende des Fließbands wurden die Waren dann mehr oder weniger schlampig eingetütet. In der Vorweihnachtszeit wurden die Packer allerdings auf einmal sehr lebendig, waren mit Begeisterung und einem Dauerlächeln bei der Arbeit und bewiesen ein erstaunliches Gedächtnis für die Namen von Kunden. Die Jagd nach Trinkgeld hatte begonnen, eine weitere Nebenerscheinung von Weihnachten, die Luther verabscheute.
Über sechs Dollar für ein Pfund Pistazien! Er schubste den eifrigen Packer beiseite und fürchtete, womöglich noch mehr Gewalt anwenden zu müssen, um den jungen Mann daran zu hindern, die kostbaren Pistazien überflüssigerweise in eine Plastiktüte zu stecken. Luther stopfte den Beutel in seine Manteltasche und machte sich schnell davon.
Eine Traube von Menschen war vor dem Tabakgeschäft stehen geblieben, um dem alten Mexikaner beim Dekorieren seines Schaufensters zuzusehen. Er ließ gerade kleine Roboter durch den Kunstschnee stapfen, was die Menge maßlos entzückte. Luther war gezwungen, den Bürgersteig zu verlassen, und zwar mit dem falschen Fuß zuerst. Sein linker Schuh versank in zehn Zentimeter hohem, eiskaltem Schneematsch. Luther erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, atmete tief ein und verfluchte den alten Mexikaner, seine Roboter, seine Zuschauer und vor allem die verdammten Pistazien. Dann zog er abrupt den Fuß aus der Pfütze und schleuderte dabei Schmutzwasser auf sein Hosenbein. Und während Luther nun mit zwei Eisfüßen in der Gosse stand, penetrantes Glockengebimmel erschallte, »Santa Claus Is Coming to Town« aus dem Lautsprecher dröhnte und der Bürgersteig durch fröhliche Menschen blockiert war, fing er langsam aber sicher an, das gesamte Weihnachtsfest zu hassen.
Als er den Wagen erreicht hatte, war das Wasser bis zu seinen Zehen vorgedrungen. »Weiße Kuvertüre gab’s nicht mehr«, zischte er Nora zu, während er sich ans Steuer setzte.
Sie wischte sich die Augen.
»Was ist denn nun schon wieder?«, wollte er wissen.
»Ich habe gerade mit Blair gesprochen.«
»Was? Wie? Ist alles in Ordnung?«
»Sie hat aus dem Flugzeug angerufen. Es geht ihr gut.« Nora kaute auf ihrer Unterlippe herum und versuchte ihre Fassung wiederzuerlangen.
Was genau kostet es wohl, aus zehntausend Metern Höhe mit jemandem am Boden zu telefonieren?, fragte sich Luther. Er hatte solche Flugzeugtelefone schon einmal gesehen. Man benötigte dafür lediglich eine Kreditkarte. Blair hatte eine von ihm bekommen — eine von denen, bei der die Rechnungen an Mom und Dad geschickt wurden. Von einem Funktelefon da oben zu einem Handy hier unten … wahrscheinlich mindestens zehn Dollar.
Und wofür? Es geht mir gut, Mom. Hab dich schon fast eine Stunde lang nicht mehr gesehen. Wir lieben uns. Wir werden uns vermissen. Ich muss jetzt aufhören, Mom.
Der Motor lief, obwohl Luther sich nicht daran erinnern konnte, ihn gestartet zu haben.
»Du hast die weiße Kuvertüre vergessen?«, fragte Nora, die ihre Fassung inzwischen wiedererlangt hatte.
»Nein, ich habe sie nicht vergessen. Es gab keine mehr.«
»Hast du Rex danach gefragt?«
»Wer ist Rex?«
»Der Metzger.«
»Nein, Nora, aus unerfindlichen Gründen habe ich nicht daran gedacht, den Metzger zu fragen, ob er vielleicht zwischen seinen Koteletts und Würsten weiße Kuvertüre versteckt hat.«
Sie fummelte frustriert am Türgriff herum. »Ich brauche sie aber. Dich kann man wirklich nicht schicken.« Und fort war sie.
»Hoffentlich trittst du in eine Pfütze mit Eiswasser«, brummte Luther wütend und murmelte noch ein paar andere unschöne Bemerkungen hinterdrein. Er richtete die Heizventilatoren nach unten, damit seine Füße auftauten, und beobachtete dann das Kommen und Gehen fettleibiger Menschen vor dem Schnellrestaurant. Auf den Straßen ringsherum stand der Verkehr so gut wie still.
Luther dachte darüber nach, wie schön es wäre, Weihnachten einfach vergessen zu können. Einmal mit den Fingern schnippen, und es ist der zweite Januar. Kein Baum, kein Einkaufsstress, keine unnützen Geschenke, keine Trinkgelder, keine Berge von Einpackpapier, keine Staus und Menschenmengen, kein Stollen, kein Festschnaps und Festschinken, die ohnehin niemand haben will, kein »Rudolph« und kein »Frosty«, keine Büroparty, keine Geldverschwendung. Seine Liste wurde immer länger. Er kauerte auf dem Fahrersitz, wartete darauf, dass die Wärme seine Füße erreichte, und träumte lächelnd davon, alldem zu entkommen.
Nora kehrte zurück und warf ihm eine kleine braune Tüte in den Schoß — vorsichtig genug, dass die Schokolade nicht zerbrach, jedoch heftig genug, dass Luther klar wurde, dass sie erfolgreich gewesen war, wo er versagt hatte. »Jeder weiß, dass man bei Chip’s immer fragen muss«, stieß sie schroff hervor und legte mit ungeduldigem Rucken ihren Gurt an.
»Seltsame Art von Absatzförderung«, sann Luther und legte den Rückwärtsgang ein. »Verstecken wir die Ware doch beim Metzger, machen wir sie rar, dann werden die Leute schon danach schreien. Ich bin sicher, dass der Preis für versteckte Ware sogar noch höher ist.«
»Ach, sei doch still, Luther.«
»Hast du nasse Füße?«
»Nein. Du?«
»Nein.«
»Wieso fragst du dann?«
»Nur so.«
»Glaubst du, es geht alles gut?«
»Sie sitzt im Flugzeug. Du hast gerade noch mit ihr gesprochen«
»Ich meine da draußen, im Dschungel.«
»Hör auf, dir Sorgen zu machen, okay? Das Friedenskorps würde sie niemals irgendwohin schicken, wo es gefährlich ist.«
»Es wird nicht so sein wie sonst.«
»Was?«
»Weihnachten.«
Ganz gewiss nicht, hätte Luther beinahe erwidert. Und während er den Wagen durch den Verkehr lenkte, breitete sich ein seltsames Lächeln auf seinem Gesicht aus.