Table of Contents

Titel

Impressum

Vorwort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

Nachwort

Mehr Spannung von Raimund Karrie bei Debehr

·


Raimund Karrie

Die letzten Tage der

Apokalypse

Endzeit-Roman

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Raimund Karrie

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2019

ISBN: 9783957536662

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by Giordano Aita

 

 

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie hätten das Buch lieber doch nicht kaufen sollen. Denn es will Ihnen nur Angst machen oder Ihre Ängste bestätigen. Sie werden mit nicht nur einem Desaster konfrontiert. Keine unnötige Angst! Aliens oder Meteoriteneinschlägen werden Sie in diesem Buch nicht begegnen. Stattdessen Katastrophen, die es in sich haben. Welche? Lassen Sie sich überraschen. Übrigens habe ich diesen Roman so konzipiert, dass bei all den Horrorszenarien immer noch genügend Raum für Späße bleibt. Das Buch soll Sie ja auch nett unterhalten. Und vielleicht kommt ja auch alles gar nicht so schlimm, wie der Autor Ihnen das weismachen will. Es bleibt immer noch die Hoffnung. Sie wissen ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Und Hoffen und Harren hielt schon manchen zum Narren.

Der Autor

1

Ein riesiger Demonstrationszug wälzt sich langsam wie ein Lavastrom durch Roms Straßen und kommt zum Stillstand auf dem Marktplatz Nuovo Mercato Trionfale, auch Andrea Doria genannt. Bislang wusste dieser Platz mit friedlichen Menschen aufzuwarten – Kunden, Touristen, Marktfrauen. Doch nun ist er ein Platz voller Wutbürger, eins geworden mit einer gewaltigen geballten Faust. Verschwunden sind die Marktstände, überbordend mit Früchten und Gemüsesorten aller Arten, verschwunden das fröhliche Markttreiben, verstummt auch das Grunzen der Schweine, das Gackern der Hühner, das Schnattern der Gänse und Enten in froher Erwartung auf den Kochtopf.

  Seit geraumer Zeit weiß man all diese Tiere nicht mehr zu füttern. Man selbst wird kaum noch satt. Im alten Rom gab es noch Brot und Zirkusspiele, Brot für die Menschen, Futter für die Zirkustiere. Zwei Jahrtausende später ist dieses Vergnügen bereits Geschichte. Und so skandieren die Menschen und schreien nach Brot und Fleisch und Pflanzenkost. Und so ist einmal mehr die Politik gefragt.

  Eigentlich wendet sich der Zorn dieser Bürger gegen die fehlgelaufene Klimapolitik. Die Unterlassungssünden der Vergangenheit zeitigen ihre Früchte, unbarmherzig und gnadenlos. In 2003 hätte man das Menetekel bereits verstehen müssen. 2018 beließ man es lediglich bei Diskussionen. So zerbrach man sich unter anderem die Köpfe darüber, ob nun dem Sommer des Jahres 2003 oder eher dem von 2018 der Hitze- und Dürrerekord zuzuschreiben sei. Und natürlich, ob das ganze Szenario dem Klimawandel geschuldet sei. Wie schon immer in solch prekären Situationen warnten die Wissenschaftler und die Politik wiegelte ab. Verständlich genug, hatte die Wissenschaft das Wohl der Menschen im Auge, während die Politik eher um ihr Überleben kämpfte. Hingegen ihrer Schwüre hatten die Volksvertreter einmal mehr nicht das Unheil vom Volke abgewendet.      

  Umweltschutzverbände, hellgrüne und dunkelgrüne Parteien, Greenpeace, Friedensgruppen aller Couleur hatten zu dieser Demonstration aufgerufen. Übrigens in vielen anderen Städten Italiens auch. Doch eine Demonstration, nämlich die in Neapel, mutete ziemlich grotesk an und deshalb soll sie an dieser Stelle dann auch besonders gewürdigt werden. Zugegeben, monatelange Trockenheit, unsägliche permanente Hitze mit vierzig und mehr Grad hatten auch Neapel heimgesucht, doch der wahre „Hotspot“ lauerte unweit ihrer Stadt und fand nicht die Beachtung, die ihm gebührte.   

  Und so konnten die Menschen nicht wissen, dass es all dieser Demonstrationen nicht bedurft hätte, dass sie sich alle in nicht so ferner Zukunft eines jeglichen nur möglichen Sonnenstrahls erfreuen würden. In der Tat würde auch weiterhin der Klimawandel zahlreichen Gesprächsstoff liefern, aber gänzlich anders, als sie es je gedacht hätten. Doch fangen wir dort an, wo man stets anfangen sollte, am Anfang.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. In sechs Tagen übrigens!! Danach war der große Gott so erschöpft, dass Er erst einmal ausruhen musste. Später dann schuf Er das Leben. Und dass das erhalten bliebe, erfand er den Zeugungsakt. Und mit ihm den Auftrag des Wachsens und Mehrens. Kein Gebot Gottes wird von uns Menschen freudiger befolgt. Ob gläubig oder ungläubig, wir Menschen wissen, was wir zu tun haben, damit wir nicht aussterben. Die einen sprechen in diesem Zusammenhang von praktizierter Liebe, andere wiederum sind zu sich ehrlich und nennen es lediglich Lust. Den meisten macht der Akt Freude, manchen allerdings weniger, zumal wenn sie auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.

  Am Anfang der Geschichte, die hier erzählt werden soll, steht auch der Zeugungsakt. Swen und Gundula sind die beiden Hauptakteure, zunächst jedenfalls, zwei junge Menschen, die sich an der Uni kennengelernt haben. Gundula ist bei Weitem jünger, hochbegabt und sehr attraktiv. Swen, ihr Kommilitone und Geliebter, verdankt weniger seinem Aussehen als eher seiner Begabung diese Liaison. Bei Gundula ist der Sachverhalt hingegen eindeutig. Sie ist in jeder Hinsicht makellos.

  Im Leben der jungen Frau gibt es noch einen anderen Mann, von Beruf Manager. Jedenfalls hat er das angegeben. Seine Großzügigkeit bei Restaurantbesuchen wie auch seine luxuriösen Geschenke lassen zudem auf einen gutverdienenden Manager schließen. Dagegen nimmt sich der Studienfreund geradezu knickrig aus. Bescheidenheit ist seine herausragende Tugend. Erschwerend kommt noch hinzu, dass dieser Manager auch noch einem Filmstar gleicht, den Gundula sehr verehrt.

  Eines Abends, bei einem Restaurantbesuch mit Kerzenschein und zarter Musik, teilte Gundula  ihrem Swen mit, dass dies nun ihr Abschiedsabend sei. Das war aber noch nicht alles. Sie ließ ihn überdies wissen, dass sie schwanger und das Kind nicht von ihm sei. Und als hätte dies noch nicht genügt, musste er auch noch erfahren, dass sie fest entschlossen sei, das Kind abtreiben zu lassen.   

  Erstaunlich schnell hatte Swen sich von seinem Schreck erholt. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft gab es eine Metzgerei und eine Bäckerei. In beiden wurde er freundlich und zuvorkommend bedient. Und beide Verkäuferinnen waren sehr hübsch. Gelegentlich wurde ein Gratisstück beigefügt, ein Stück Mohnkuchen oder ein Kringel Fleischwurst, sein Lieblingsgebäck oder seine Lieblingswurst, je nachdem. Diese freundlichen Geschenke glaubte er, persönlich verstehen zu können, zumal besagte Verkäuferinnen sie mit eindeutigen Blicken überreichten. Ihm gefielen beide sehr, doch für welche sollte er sich entscheiden? Er hatte die Qual der Wahl. Da er ein ausgeprägtes Süßmaul war, war die Entscheidung eigentlich schon gefallen. Die Nette aus der Bäckerei sollte es sein. Damit entfielen alle zukünftigen Fleischwürste.      

  Was Swen bis dato nicht wusste, war die Tatsache, dass Petra aus dem Bäckerladen die Tochter des Bäckermeisters war. Was diese wiederum nicht wusste, war die Tatsache, dass es sich bei Swen um einen Studenten handelte. So gab sie sich der naiven Illusion hin, einen Nachfolger für ihre bereits in die Jahre gekommene Bäckerei gefunden zu haben. Mit dieser guten Nachricht hielt sie sich aber noch dezent zurück, sodass Swen erst wenige Monate später, genau an Weihnachten jenes Jahres, von seinem Glück erfuhr. Petras Eltern strahlten, fast noch heller als die Kerzen am Weihnachtsbaum und der Betroffene strahlte mit. Zunächst noch. Dann, als man die Gläser erhob, erhob Swen zudem seine Stimme und erklärte Petra und ihren Eltern, dass ein Student der Geologie vor ihnen stünde. Auch erklärte er ihnen ein wenig scherzhaft, denn die Situation war leicht angespannt, dass Geologie und das werte Bäckerhandwerk sich einander nicht ausschlössen. Hierzu bediente er sich eines Bildes, einer Technik, die er vom Hörsaal her kannte.

  „Den Brot- beziehungsweise den Kuchenteich stellt euch mal als unsere Erde vor. Er verlässt den Ofen glühend heiß. Dann kühlt er sich ab, so wie unsere Erde vor vielen Millionen von Jahren. In seinem Inneren bleibt er noch lange heiß. Es hat sich inzwischen eine Kruste gebildet. Nicht von ungefähr spricht man ja auch im Falle unserer Erde von der Erdkruste. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied. Die Erde kommt nicht zur Ruhe. Das Brot hingegen kennt keine Beben und Vulkanausbrüche. Apropos Vulkanausbrüche, da steht uns ein gewaltiger ins Haus. Schon in wenigen Jahren oder noch viel früher …“ Swen wurde unterbrochen.

  „Herr Geologe, es langt. Genug der Hiobsbotschaften!“, wetterte der Vater. Die Mutter meinte nur: „Armes Kind! Was soll nun werden?“ Doch Petra nahm ihren verstörten Swen in ihre Arme und erklärte forsch: „Ich nehme auch einen armen Studenten. Und ich will noch ganz viel von Erdkrusten und Vulkanausbrüchen wissen. Ihr könnt euch schon mal nach einer neuen Verkäuferin umsehen.“ Dabei beließ sie es erst einmal. Der Heilige Abend erschien ihr schon genug versaut. Nun meldete sich noch mal der akademische Störenfried zu Wort: „Ich liebe Brot und Kuchen. Ich würde gerne mal in eurer Bäckerei helfen. Um es genau zu sagen, ich wollte als Kind schon immer Bäcker werden. Doch meine Eltern waren dagegen, schickten mich aufs Gymnasium. Selbst nach dem Abitur war ich noch fest entschlossen, eine Bäckerlehre zu machen. Das Bäckerhandwerk habe ich schon immer sehr verehrt. Und wenn mich die Uni eines Tages nicht mehr haben will oder ich die Uni nicht, dann würde ich gerne in eurer Backstube stehen oder oben im Laden.“ Und so wurde es für alle Beteiligten doch noch ein schönes Weihnachtsfest.

  Mit Petra verstand Swen sich bestens. Bedingt auch mit ihren Eltern, da er tatsächlich des Öfteren in der Bäckerei zur Hand ging. Er durfte sogar im Hause der Bäckersleute übernachten. Was ihm besonders gefiel, war der erfreuliche Umstand, dass er sich in keiner Weise in Acht nehmen musste. Das sei bei ihr in besten Händen, ließ sie ihn wissen. Und als er endlich mal Näheres über ihre ausgeklügelten Empfängnisverhütungen wissen wollte, da druckste sie herum, wurde nach mehreren Nachfragen leicht gereizt, bis sie ihm schließlich offenbarte, dass sie keine Kinder bekommen könne. Sie sei auch schon bei zig Ärzten gewesen. Keiner von ihnen habe ihr auch nur ein Fünkchen Hoffnung machen können. Dabei sei sie doch so kinderlieb.

  Ihre Kinderliebe zeigte sich schon recht bald. Schlimm erging es ihr jedes Mal, wenn ihre Zeitung gelegentlich die vielen Neugeborenen abbildete, alles süße Wonneproppen. Beim Einkaufen musste sie die vielen jungen Mütter ertragen, die, mit Babys oder Kleinkindern gesegnet, durch den Supermarkt marschierten. Erst scherzhaft, dann letztendlich ernst gemeint, sagte sie doch einmal tatsächlich: „Swen, wir klauen uns das Baby! Das süße Bobbelchen muss ich unbedingt haben.“ Dass es ihr so ernst damit war, musste er eines Tages mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen. Eine junge Mutter – sie wollte mal kurz auf die Toilette gehen – hatte Petra gefragt, ob sie mal einen Augenblick auf das Baby aufpassen könne. Während Swen sich eher für das Muttertier interessierte, hatte Petra nur Augen für das Junge. Und schon hatte es das kleine Tierchen aus dem Wagen geholt. Swen ahnte nichts Gutes. „Wehe!!“, sagte er nur. Doch sie wollte es nicht mehr hergeben. Als die Mutter zurückkam, gerade noch rechtzeitig, meinte Swen nur: „Das Kleine hat so geschrien. Meine Freundin hat es daraufhin auf den Arm genommen, konnte es schnell beruhigen.“ Die Mutter bedankte sich, nahm ihr Kind und zog von dannen. Noch lange hatte ihr Petra nachgeschaut. Dann hatte sie bitterlich geweint.

  Swens Freundin hatte noch einen weiteren Grund, ihre Kinderlosigkeit zu beklagen. Das erfuhr er an dem Tag, als sie ihren Großvater besuchten. Opa Ewald lag krank danieder, sehr krank, wie Swen erfuhr. Er hatte Krebs und seine Tage schienen gezählt. Er hatte nur einen Wunsch in seiner ihm noch verbliebenen Zeit. Er wünschte sich so sehr ein Urenkelchen. Als er Swen erblickte und hörte, dass sie bald schon zu heiraten gedächten, da strahlten seine Augen und er ergriff die Hand seiner Enkelin. „Bitte versprich mir, meinen letzten Wunsch zu erfüllen, bitte, Petra, bitte!“ Diesen Wunsch konnte und wollte sie ihm nicht abschlagen. Um diesen ihren Vorsatz zu bekräftigen, meinte sie noch, hinzufügen zu müssen: „Opa, ich bin bereits schwanger. Halte noch ein Weilchen durch. Dann lege ich dir das Kind in deinen Arm.“

  Swen war außer sich. Schon auf dem Weg nach Hause fuhr er sie an: „Wie kannst du so etwas machen! Deinen Großvater so schändlich belügen! Kannst du mir mal sagen, wie du aus dieser Nummer wieder raus willst?“

  „Swen, reg dich ab! Ich weiß zwar noch keine Lösung, aber ich werde eine finden. Jedenfalls werde ich meinen Großvater nicht enttäuschen.“

  „Ich gebe ja zu, das hier war eine lebensverlängernde Maßnahme. Wenn du das schaffst, dann bist du für mich die Größte.“

  Swen hatte es kaum ausgesprochen, als er auch schon eine Idee hatte. Ihm fiel seine Kommilitonin Gundula ein. Sie hatte er erst kürzlich noch gesehen, von Weitem, aber nicht weit genug, sodass er glaubte, gerade noch rechtzeitig etwas Sensationelles entdeckt zu haben. Sie suchte er nun auf. Sie freute sich, ihren alten Geliebten wiederzusehen. Und nun gab es keinen Zweifel mehr. Gundula war eindeutig schwanger. In zwei Monaten würde es so weit sein. Das Geschlecht wusste sie auch schon: ein Junge.

  „Hast du doch nicht abgetrieben! Und warum dieses? Hast du den Eingriff gescheut oder verdankt das Kind dem Sinneswandel der Mutter sein Leben?“

  „Nenne es, wie du willst. Ich werde es austragen. Kannst es haben, wenn du willst. Ich verkaufe es dir.“

  „Und warum dieses nun wieder? Was sagt denn der Vater dazu?“

  „Der hat sich davongemacht. Lässt mich mit dem Kind sitzen. Und nun kann ich sehen, wie ich als alleinstehende Mutter und Studentin klarkommen soll.“

  „Und warum hat er dich sitzen lassen, wenn ich mal fragen darf?“

  „Er wollte das Kind nicht. Passte nicht in seine Lebensplanung. Und um es gleich zu sagen, als er mir das sagte, war das Zeitfenster für eine Abtreibung bereits geschlossen.“

  „O. k. Ich nehme das Kind.“

  „Und auf welchen Namen soll ich es eintragen lassen?“

  „Oliver.“

Oliver kam als gesundes Kind auf die Welt. Seine Mutter hatte keine Skrupel, ihr Kind wegzugeben. Kaum hatte sie das Krankenhaus verlassen, stand schon der Ersatzvater bereit, drückte ihr eine bescheidene Summe in die Hand, nahm Kind und Papiere in Empfang und beide verschwanden aus Gundulas Leben. Zunächst erst mal.

  „Liebling schau! Ich komme gerade vom Einkaufen und habe dir etwas mitgebracht. Ich hoffe, es gefällt dir. Ein nachträgliches Geschenk zum Geburtstag.“

  Kaum hatte Petra das kleine Würmchen entdeckt, als sie in Weinkrämpfe ausbrach. Schluchzend gab sie kaum verständliche Worte von sich.

  „Damit macht man keine Scherze. Schäm dich, Swen! Das hast du dir doch irgendwo ausgeliehen!“     

  Swen legte das Baby vorsichtig ab und kramte die Papiere hervor. Voller Freude triumphierte er:

„Nix ausgeliehen! Habe ich ehrlich erstanden. Nicht geklaut, nicht entwendet und schon gar nicht gestohlen. Eine Frau, die ich von der Uni her kenne, wollte das Baby nicht. Zufällig kam ich des Wegs und hatte das Glück, als Erster vor Ort zu sein. Voilà.“

  Petra wischte eine letzte Träne weg, legte das verweinte Taschentuch zur Seite und ergriff zum ersten Mal ihr Kind, ihren Oliver. Langsam begriff sie, dass da ein Wunder geschehen war. Die Freude war so riesig, dass sich erst Stunden später die ersten Fragen auftaten.

  „Und jetzt? Ich kann doch nicht stillen, Swen. Oder reicht da Milch von Landliebe oder Südmilch? Vielleicht tut es auch die vom Aldi. Was meinst du?“

  „Ich könnte den Oliver doch seiner leiblichen Mutter an die Brust legen. Ich weiß ja, wo ich die finden kann. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass sie sich an das Kind gewöhnt, es liebgewinnt und dann zurückhaben will. Wen könnte man denn da mal fragen? Vielleicht googelst du mal.“   

  „Noch ist der Kleine ganz still und schläft. Aber bald wird er Hunger haben, Swen.“

  „Bekannterweise schreien die dann. Da stehen uns noch heitere Nächte ins Haus.“

  Die neuen Eltern sahen jetzt gar nicht mehr so froh aus. Guter Rat war teuer. Und es war Samstagabend und die Läden würden bald schließen. Die nächste Frage stand auch schon vor der Tür.

  „Diese meine Studentenbude hier reicht gerade mal so für mich. Bei drei Personen müsste der Vermieter anbauen. Ach, was sage ich? Der setzt mich gleich auf die Straße, samt Kind und Kegel. Zu deinen Eltern können wir auch nicht. Seitdem ich nicht mehr in der Backstube aufgetaucht bin, wollen die ja nichts mehr von mir wissen. Und meine Eltern fallen auch weg. Meine Mutter ist schon lange tot, wie du ja weißt, und mein Vater lebt irgendwo in Amerika, wenn er da überhaupt noch lebt. An all das habe ich nicht gedacht. Wollte dir halt deinen großen Wunsch erfüllen. Tut mir leid. Jetzt müssen wir da durch. Einmal mehr ist eine Jungfrau zum Kind gekommen.“

  „Du machst dich jetzt auf und zapfst der Mutter Milch ab. Das machst du ab jetzt jeden Tag. Und wenn die das nicht macht, kriegt die es mit mir zu tun. Worauf du dich verlassen kannst.“

  „Dann geh du doch gleich dahin, Petra, freundest dich ein wenig an und grüßt sie nett von mir. Wenn ich da hingehe, dann will die mich am Ende noch und das Kind gleich mit.“

  „Das könnte dir so passen. Und eingebildet bist du auch nicht.“

  „Ach was! Der fehlt doch nur ein Vater für das Kind. In solcher Situation nehmen die Weiber doch jeden.“

  Da sie sich nicht einigen konnten und der Kleine langsam schon unruhig wurde, machte er sich auf und holte Nahrung für sein Kind. Mutter Gundula war nicht schlecht erstaunt, ihren Ersatzvater wiederzusehen. Swen hatte sich unmittelbar vor Ladenschluss eine Milchpumpe besorgt, die er jetzt eigenhändig an die Mutterbrust legen durfte. Dabei musste man es belassen, da die junge Mutter noch an den Folgen der Entbindung litt. Gundula hätte nur zu gerne die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Und Swen war schließlich mit Petra nicht verheiratet. Außerdem wollte er seine Milchquelle nicht versiegen lassen, dieses ein an sich recht selbstloser Akt.

  Jetzt galt es noch, das leidige Wohnungsproblem zu lösen. Jedes Mal wenn das Baby schrie, wie das Babys halt so tun, hielten seine Eltern die Luft an. Die teilweise aufgebrachten Nachbarn vertrösteten sie mit einem baldigen Umzug in ihr zukünftiges Heim. Der Vermieter wohnte selbst nicht in ihrem Haus, sodass ihnen noch eine Galgenfrist blieb.

  Tag für Tag zerbrachen sie sich den Kopf, doch eine Lösung schien noch in weiter Ferne. Wie schon erwähnt, würden sich Petras Eltern ihrer nicht erbarmen, nicht nur, weil sie den zukünftigen Schwiegersohn ablehnten. Petra selbst war das eigentliche Problem. Kurz vor dem Geburtsdatum des kleinen Olivers hatten sie noch ihre Tochter erlebt, vollkommen schlank und unschwanger. Sie würden niemals einen solchen Bankert akzeptieren. Überdies wussten sie ja von Petras Unfruchtbarkeit, hatten aber einer etwaigen Adoption stets eine Absage erteilt. Petras Großvater war der Einzige in der Familie, der von dem Schicksal seiner Enkelin nichts wusste und somit auch weiterhin geduldig hoffen durfte. Und diese Geduld zahlte sich aus, als er das erste Mal seinen Urenkel in den Armen hielt. Es musste wohl der schönste Tag in seinem Leben gewesen sein.

  „Und was sagen die Eltern dazu? Die müssen doch überglücklich sein über dieses Geschenk des Himmels.“

  „Die wissen davon noch nichts. Und werden auch weiterhin nichts davon wissen. Ich habe mich mit ihnen entzweit. Bitte sag du ihnen auch nichts!“

  „Ja, warum seid ihr denn auseinander?“

  „Sie lehnen meinen Freund ab. Der ist Student. Sie wollten ja unbedingt, dass ich einen Bäcker heirate.“

  „Ja so was! Dass es so etwas heute noch gibt!“

  Auf dem Heimweg sprachen sie noch lange über den glücklichen Urgroßvater.

  „Du hättest ihm ruhig die Wahrheit sagen können.“

  „Du meinst, weil Oliver gar nicht mein Kind ist und somit nicht sein Urenkel? So hat er sich doch riesig gefreut. Manchmal im Leben sind Notlügen erlaubt, zumal wenn man jemanden damit glücklich machen kann.“

  „Aber Lüge bleibt Lüge. Und du hast heute deinen Großvater belogen.“

  Petra ging darauf schon nicht mehr ein, war sie doch in Gedanken ein Stück weiter.

  „Ein Jammer, dass mein Opa so krank ist. Der hätte unser Kind bestimmt gerne aufgenommen. Aber was soll’s. Er ist nun mal krank und es ist ja nicht sein, sondern unser Problem.“

  „Ein richtiges Problem. Wer vermietet schon an mittellose Eltern? Wovon wollen wir leben, wenn du zu Hause bei dem Kind bist und ich an der Uni? Für Kita ist Oliver noch zu klein. Wenn wir jemanden hätten für das Kind, dann könntest du ja arbeiten und ich in Ruhe studieren. Aber woher nehmen und nicht stehlen?“

 

2

Auf einem ihrer Spaziergänge mit Oliver – sie befanden sich gerade in der Kleingartenkolonie ihres Stadtteils – geschah es. Ein älterer Mann lehnte am Zaun seines Gartens und sah das junge Paar. Sein Augenmerk fiel sogleich auf die attraktive junge Mutter, dann jedoch fast ebenso schnell auf das kleine Bündel, das da kräftig schrie, daher aus dem Kinderwagen genommen wurde und auf den Armen seiner Mutter landete, die es hin und her schaukelte. Das Kleine beruhigte sich und man schickte sich an, den Spaziergang fortzusetzen, als der alte Mann die Eltern ansprach.

  „Das ist aber ein süßes Kind. Ein Junge? Und wie heißt er?“

  Ehe die Mutter antworten konnte, hatte der kleine Oliver seine Schreinummer fortgesetzt und es sah so aus, dass er sich sobald auch nicht mehr beruhigen würde. Da half kein Schaukeln, kein Zureden, kein Rasselchen. Auch das Fläschchen mit der guten Gundulamilch konnte hier nichts bewirken. Schließlich bat der alte Mann, es auch mal versuchen zu dürfen. Und siehe da! Das Kind beruhigte sich sofort und es zeigte so etwas wie ein Lächeln. Der Mann sprach Oliver nun gut zu und dieser zeigte sich sehr aufmerksam. Oliver gab sogar Antwort, indem er fröhliche Plapperlaute von sich gab. Alle drei waren hocherfreut und der Alte bat in seinen Garten, wo ein hübsch gedeckter Tisch die Gäste bereits mit Kaffee und Kuchen erwartete.

  „Sie bekommen noch Besuch, wie ich sehe“, meinte Petra.

  „Sie sind mein Besuch. Wissen Sie, ich bin allein und jedes Mal an einem Sonntag wie heute decke ich den Tisch in der Hoffnung, an diesem Tag mal nicht alleine sein zu müssen. Oft unterhalte ich mich mit meiner Frau, die zu früh von mir gegangen ist. Den Kuchen habe ich übrigens selber gemacht. Greifen Sie zu. Lassen Sie sich’s schmecken. Und der Kaffee ist auch noch heiß.

  „Aber Sie haben doch Ihre Gartennachbarn. Kommen die nicht mal zu Ihnen rüber?“

  „Gelegentlich an Werktagen kommen wir mal ins Gespräch. So übern Zaun. An Sonntagen haben die meistens Besuch. Und da will ich ja nicht stören.“

  Da Oliver inzwischen eingeschlafen war, konnten sie sich in Ruhe unterhalten. Sie sprachen über alles Mögliche, doch was die beiden jungen Leute wirklich bewegte, das kam nicht zur Sprache. Noch nicht. Bei einem der folgenden Besuche zeigte Ernst-Ludwig, so hieß der Alte, Petra und Swen, welche Überraschung er da hinter seiner Gartenhütte bereithielt.

  „Das ist mein Hobby.“ Er zeigte auf einen alten heruntergekommenen Eisenbahnwagen, den er zu renovieren vorhatte. Er erklärte ihnen, dass er schon immer ein Eisenbahnfan gewesen sei. „Den Wagen da“, so fuhr er fort, „hat die Bahn wohl vergessen. Er kann einem richtig leidtun, wie er da so einsam und verlassen auf dem Gleis des ehemaligen Güterbahnhofs steht. Ihm geht es ähnlich wie mir. Und so tun wir uns zusammen. Eines Tages werde ich dort wohnen. Schon sehr bald, hoffe ich. Bin ein schneller Arbeiter.“

  „Und was machen Sie dann mit ihrer Hütte. Wohnen Sie dann an einem Tag im Eisenbahnwagen und am anderen Tag in der Hütte?“ Petra hatte es gedacht und Swen es ausgesprochen.

  Ernst-Ludwig fand den Gedanken offensichtlich lustig, denn er musste mal kräftig lachen. „Ich kann mich auch zweiteilen“, scherzte er nun. „Vielleicht mache ich die Hütte auch zu meinem Hühnerstall. Wer weiß?“

  „Sie könnten doch auch vermieten. Haben Sie da schon mal dran gedacht? Würde ihre Rente aufbessern.“

  „Mit dem Geld, das ich zur Verfügung habe, kann ich gut hier leben. Wissen Sie, Mieter bringen nur Unruhe und Probleme.“

  „Aber Sie wären nicht mehr so allein. Und wenn es nette Mieter wären – die soll es ja auch geben – dann hätten Sie diese Probleme nicht.“

  „So nette Leute als Mieter, wie wir es sind“, fügte Petra noch hinzu.

  „Ja, das würde ich mir schon überlegen.“

  „Überlegen Sie nicht zu lange! Sie müssen wissen, wir sind auf Wohnungssuche. Und wir glauben auch schon, etwas Passendes gefunden zu haben.“

  „Also wenn das so ist, dann kriegt ihr diese Hütte. Ich schätze, in drei bis vier Wochen bin ich mit meinem neuen Zuhause bei der Bahn fertig und dann könntet ihr einziehen.“ Er hielt kurz inne, dann meinte er noch. „Unter einer Bedingung.“

  „Und die wäre?“ Beide waren nun ganz Ohr.

  „Petra müsste mir den Haushalt machen. Dafür bräuchtet ihr auch keine Miete zu bezahlen. Win-win-Situation, so nennt man das heute wohl. Na, was meint ihr?“

  „Hört sich richtig gut an, Ernst-Ludwig. Aber ich bin Student und verdiene demzufolge noch kein Geld. Wir müssen ja schließlich von etwas leben. Und da Petra dann den Haushalt und das Kind zu versorgen hätte, könnte sie ja auch nicht arbeiten gehen.“

  „Ach ja, das hatte ich noch vergessen: Ihr habt natürlich hier freie Kost und Logis bei mir. Gelegentlich, also wenn Petra sich um den Einkauf kümmert, könnte ich das Kind doch übernehmen. Na, wäre das etwas? Wollen wir diese neue Zeit feiern? Ich hätte da noch ein gutes Tröpfchen kaltgestellt?“

  „Klar doch. Her mit dem Tröpfchen! Das Ding hier muss gefeiert werden.“

  Bald schon war man bei bester Laune. Zunächst trank man auf das Du – das „Ihr“ hatte es seitens Ernst-Ludwigs ja bereits gegeben. Auch wurden Lieder angestimmt. Selbst das Baby gesellte sich dazu, gluckerte die herrlichsten Babylaute. Einige Gartennachbarn, von dem lustigen Treiben angelockt, lugten verschämt über den Gartenzaun. Mancher Vogel piepste fröhlich mit. Selbst die Sonne gab sich freundlich, indem sie mal für kurze Zeit hinter dem dicken Apfelbaum verschwand und angenehmen Schatten bot an einem an sich sehr heißen Tag.

  Ernst-Ludwig war in der Tat der große Glücksbringer, die gewaltige Lösung all ihrer Probleme. Petra hatte bereits den Haushalt übernommen und Swen konnte in seinen Semesterferien dem Alten kräftig zur Hand gehen. Abends verschwanden sie wieder in ihrem winzigen Zimmerchen. Sie konnten den Umzug in ihr neues Heim kaum mehr abwarten. Und immer wieder schauten beide bei Petras Großvater im Krankenhaus vorbei, legten ihm den Kleinen in seine Arme. Doch eines Tages – sie waren gerade eingetroffen, der Kleine kuschelte sich wohlig in Uropas Ärmchen – ging die Tür auf und die Krankenschwester ließ zwei Besucher hinein, die sie alle nicht erwartet hätten. Daran hatte man dummerweise nicht gedacht. Hineintraten Petras Eltern.

  „Was ist das denn?“, rief die Mutter sichtlich empört. „Ich dachte immer, du könntest keine Kinder bekommen.“

  „Das ist auch nicht mein Kind“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

  „Das Kind ist aus meiner ersten Ehe“, konterte Swen jetzt geschickt, womit auch er nahe an der Wahrheit blieb.

  „Somit ist das auch nicht euer Enkelkind“, raunzte nun der Großvater. „Jedenfalls habe ich jetzt einen Urenkel. Eins ist auch klar, der Junge wird mal nicht in eurem Laden stehen. Dafür werden wir drei schon sorgen, nicht wahr?“, womit er zu den beiden jungen Leuten herüberschaute. Der unerfreuliche Besuch blieb dann auch nicht mehr lange und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

  „Das ist ja gerade noch mal gutgegangen“, meinte der Großvater, wobei er mehr zu seinem Urenkel als zu den jungen Leuten sprach. „Und deine Eltern haben ganz toll reagiert.“

Endlich konnten die beiden in die alte Hütte ihres Wohltäters ziehen. Die neue Behausung wusste mit drei kleinen Zimmern, Küche und Bad zu erfreuen. So eine Dreizimmerwohnung mit ca. siebzig Quadratmetern hätte in ihrer Stadt annähernd tausend Euro gekostet, kalt, versteht sich. Allerdings hätte es da auch nicht gewisse Probleme gegeben, mit denen Petra sich nun herumschlagen musste. Wäre sie nur ein bisschen naturfreundlicher eingestellt gewesen, hätte sie das Ganze viel mehr genießen können. Die Gartenanlage und das angrenzende Brachgebiet eines ehemaligen Bahngeländes boten ein ideales Biotop für allerlei Getier. Mäuse, Ratten, Schlangen und Spinnen waren dort anzutreffen und hatten anscheinend nur einen Wunsch, sich Petras Hütte auch mal von innen anzusehen. Spinnen zählten am wenigsten zu Petras Lieblingstieren. Und gerade die führten die Prozession an, der die übrigen Tierchen sich freudig anschlossen. Und die Achtbeiner waren es auch, die Petras Baby am meisten mochten, denn nicht selten krabbelte ein solcher über das Babygesicht oder begann gleich schon, ein kunstvolles Gespinst über dem Wagen aufzubauen.

  Da gab es noch ein anderes Problem, aber das erst sechs Jahre später: der Alte.

  „Aber wieso denn? Der ist doch so freundlich und immer zur Stelle, wenn Not am Mann. Und sein Pfeifchen? Ich kenne ihn nur als rücksichtsvoll und hilfsbereit. Allein wie er inzwischen Oliver bei den Schulaufgaben hilft. Was der so alles weiß!“

  „Mit meinem Wissen über Brot und Kuchen bin ich unserem Sohn wahrlich keine Hilfe. Das weiß ich auch. Habe ja gerade so mal den Hauptschulabschluss geschafft. Und mit einem angehenden Doktor der Geologie weiß ich auch nicht mitzuhalten. Ich frage mich überhaupt, warum ein Wissenschaftler wie du es mit einer solchen wie mir aushalten kann.“

  „Da mach dir mal keine Gedanken. Bis jetzt habe ich es mit dir sehr gut aushalten können. Und wer kann schon eine so ansehnliche Frau wie dich sein Eigen nennen. Und gut kochen kannst du auch. Und du bist die beste Mutter auf Erden.“

  „Swen, Swen, du hast mal wieder die rosarote Brille auf.“

  „Ach was! Komm her und lass dich drücken!“

  Und Swen drückte sie. Wie in den ersten Tagen ihrer Liebe. Und wäre sie nur ein wenig fruchtbarer gewesen, sie wären schon sehr bald mit einem weiteren Kind gesegnet gewesen. Überhaupt hätten sie sich inzwischen zu einer Großfamilie mausern können. Noch zu gerne hätten sie sich ein Brüderchen oder Schwesterchen, oder gleich beides für ihren Sohn gewünscht, doch freilaufende Babys gibt es nun mal nicht wie Hühner auf einer Farm. Und im Supermarkt sind sie auch nicht so leicht zu haben. Swen hatte schon mal darüber nachgedacht, ob er mal eine Annonce aufgeben sollte, so ähnlich wie: Suche attraktive, intelligente junge Frau zwecks Zeugung von Nachwuchs. Nehme auch bereits vorhandenes Material. Garantiert kein Weiterverkauf. Absolute Diskretion. Neugierig geworden? Dann melden Sie sich unter der folgenden Chiffrenummer … 

  „Ich liebe dich so sehr.“ Das sagte er oft und immer dann, wenn er sie mal wieder so richtig glücklich gemacht hatte. „Wenn dir irgendein Mann zu nahe käme, ich wüsste nicht, was ich mit dem machen würde“, sagte er meistens im gleichen Atemzug. Er wurde bereits nervös, wenn jemand seine Liebste nur ansah oder ihr hinterherguckte. Gut, dass er nicht zugegen war, wenn Ernst-Ludwig sich eindeutig, zweideutig seiner Petra näherte. Und wann immer er ihr zu nahe trat und seine Absicht nicht länger verhehlte, da wusste sie sich vehement zu wehren. Sie hatte dies alles bisher mit keinem Wort erwähnt. Doch an diesem Tag hielt sie nicht länger damit hinterm Berg.

  „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich dir jetzt mal was erzähle.“ Und so erzählte sie ihm etwas, erzählte ihm, was der Alte seit geraumer Zeit so alles versucht hatte und dass sie inzwischen große Angst habe.

  „Ach, Petra, der Alte ist doch jenseits von Gut und Böse. Der will dir doch nur zeigen, dass er dich mag. Brauchst keine Angst zu haben. Der ist doch inzwischen ein zahnloser Tiger. Oder wie sehe ich das?“

  „Das siehst du vollkommen falsch. Musst du denn immer an die Uni? Du könntest doch auch hier an deiner Doktorarbeit schreiben. Der Mann ist gefährlich, glaub mir doch! Letztlich hat er gemeint, dass, wenn wir schon keine Miete zahlten, ich mich doch auf meine Weise dankbar erweisen könnte.“

  „Und du meinst, der will was von dir? Miete in Form von Naturalien? Ich sag dir jetzt mal was: Lass ihn mal ruhig kommen. Führe ihn einfach vor. Lass ihn auflaufen. Der kriegt garantiert keinen mehr hoch. Und dann lachst du ihn aus.“

  „Und wenn er doch einen hochkriegt? Was dann? Soll ich zocken? Das ist ja wie beim Zocker-Special. Jauch lässt grüßen. Nur mein einziger Joker ist nicht greifbar. Der sitzt in der Uni und ahnt von nichts. Und abends kann ich ihm dann berichten, was für ein Bock im Schafsfell mich da geritten hat. Willst du das?“   

  Nun wurde Swen doch ein wenig nachdenklich. „Das wäre natürlich nicht so schön“, meinte er kleinlaut. Er dachte noch kurz nach und hatte die Lösung. „Gut, machen wir es so: Ab nächster Woche bleibe ich hier bei dir. Werde in dieser Woche noch ein Wort mit meinem Prof reden und mich mit Material versorgen. Meinen Job als wissenschaftlicher Assistent wäre ich dann allerdings los. Die von mir gehaltenen Proseminare haben uns gutes Geld eingebracht. Das würde uns dann gewaltig fehlen. Bis dahin versuchst du weiterhin, dir den Kerl vom Leib zu halten. Kannst dich ja bewaffnen. Ich meine, so für den Ernstfall: Küchenmesser bereitlegen, Nudelholz auch und Oliver als Reserve bereithalten.“