Ich danke allen, die mich zu diesem Buch inspiriert haben – besonders denen, die Bergedorf genauso lieben wie ich!
Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet…
Paul Cézanne (1839 - 1906), französischer Maler
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über:
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©2014 Autor: Ronald Hartmann
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7357-7485-9
Du willst doch nicht etwa jedes Jahr ein neues Buch schreiben –hast du nichts anderes und Besseres zu tun?
Ein Abenteuerbuch?
So oder so ähnlich wurde ich immer wieder in den letzten Monaten von Freunden und Bekannten gefragt. Einige amüsiert lächelnd, andere mitleidig schauend, viele aber auch überrascht, dass gerade ich unter die „Schreiberlinge“ gegangen bin!
Sie halten jetzt meinen Versuch in der Hand, ein Abenteuer mitzuerleben, das 1842 mit dem großen Brand in Hamburg beginnt. Es wird die Geschichte vieler kleiner und großen Helden, Spitzbuben, Räuber und vieler weiterer Charaktere erzählt, die alle auf der Suche nach einem Schatz sind.
Gehen Sie mit mir auf eine Zeitreise. Mit meinen Bergedorfer, Hamburger und Fränkischen Zeitgenossen und den jeweiligen zeitgemäßen Besonderheiten dieser beschriebenen Epochen.
Der Umfang der Geschichte wurde allerdings so groß, dass ich zwei Bände daraus machen musste.
Der zweite Teil wird spätestens in einem Jahr erscheinen.
Freuen Sie sich auf den zweiten Band.
Für Georg war es ein beschwerlicher Weg, von seinem Geburtsort in Franken auf seine jahrelange Wanderschaft zu gehen und schließlich – um zahlreiche Erlebnisse und Abenteuer reicher –Norddeutschland zu erreichen. Seine Barschaft war auf ein kleines Säckchen mit einigen Talern – 1/3- und 1/8-Talern, Hellern und Kreuzern – zusammengeschrumpft. Georg hatte nach seiner Sattler-Lehre – wie viele Handwerksburschen – das Fernweh gepackt und sich auf Wanderschaft begeben. In seinem kleinen Geburtsort Marktzeuln in der Nähe von Coburg war keine Arbeit zu bekommen, und die Familie, mit seinen Eltern, Brüdern und Schwestern, hatte selbst für sich kaum genug zu essen, da sein Vater als Flößer sich verdingte und selten zu Hause war. Sein größerer Bruder, der in Abwesenheit das Sagen in der Familie hatte, war mit der Entscheidung einverstanden, und so war Georg seit Jahren unterwegs, ohne von seiner Familie wieder etwas zu hören oder sich zu melden.
Auf seiner abenteuerreichen Reise quer durch Deutschland hatte er zahlreiche Arbeiten als Tagelöhner, Handwerker, Forsthelfer und als Sattler ausgeübt, und dabei viel gelernt. Lernen war allerdings das eine – Geld zu verdienen das andere!
Viele Tätigkeiten wurden mit freier Kost und Logis vergütet, wobei Georg dabei oft nur die Reste des Essens vom Bauern bekam, und zum Schlafen wurde ihm eine Ecke im Stall zugewiesen, bestenfalls eine schäbige flohverseuchte Kammer mit Strohsack. Aber alles war besser, als bei Wind, Regen und Schnee im Freien zu nächtigen
Auf seiner Wanderschaft war Georg größtenteils auf Schusters Rappen unterwegs, und selten hatte man die Möglichkeit und das Glück, auf einem Pferdeanhänger mitzufahren. Dies war meist damit verbunden, dass man dem Fahrer bei den oftmaligen Raubüberfällen Schutz geben musste. Hierbei hatte er sich einige Verletzungen und Narben geholt, aber er hatte auch gelernt, sich und die Ladung zu verteidigen.
Auf seiner letzten Fahrt mit einem Fuhrwerk kam es wieder zu einem Überfall in der Nähe von Hamburg, bei dem der Klaus, der Fuhrmann, durch einen Messerstich in den Arm verletzt wurde. Sie konnten mit Axtschlägen und der Peitsche die Räuber abwehren und in einer halsbrecherischen Flucht entkommen. Da Klaus verletzt war, fuhr Georg den Wagen und sie hatten endlich Zeit, sich zu unterhalten. Klaus war mit seiner Ladung auf dem Weg Richtung Lübeck und war natürlich froh, dass Georg den Wagen fuhr.
„Georg, wenn du nach Hamburg willst, pass auf dich auf. Ich wäre froh, wenn du weiterhin bei mir bleiben würdest und wir zusammen nach Lübeck fahren könnten, aber ich kann dich verstehen!“, sagte Klaus.“
„Vielleicht werden wir uns ja auch noch mal wiedersehen“, entgegnete Georg,
„Wir haben so viel zusammen erlebt und du bist mir ein wahrer Freund geworden, aber ich möchte mein Glück in Hamburg suchen. Du hast mir so viel von Hamburg und dem Hafen erzählt. Von anderen Trinkgesellen in den Spelunken hörte ich, dass der Hafen riesengroß ist und dass dort seit einigen Jahren auch Dampfschiffe fahren sollen. Mein Vater ist Flößer und ich habe den Bezug zum Wasser und zur Schifffahrt. Das will ich sehen und – wenn möglich –dort auch arbeiten.“
„Schade, Georg, ich drück dir aber die Daumen. Lass mal was von dir hören. Ich lebe in Glückstadt. Du bist immer willkommen bei mir und Maria.“
„Mach ich, vergelts Gott, und alles Gute für dich“, sagte Georg und sprang vom Bock. Er holte seine Bündel vom Anhänger, winkte Klaus, der ihm ein treuer Freund und Reisebegleiter gewesen war, noch wehmütig zu, und machte sich auf den Weg in die Hamburger Innenstadt, denn er wollte wegen der Hitze bis Mittag ankommen.
Nachdem er die Außenbezirke erreicht hatte und der Verkehr dichter wurde, wusste er, dass es bis in die Innenstadt nicht mehr weit sein konnte.
Sonne, Hitze, Gestank und jede Menge Menschen unterschiedlichster Herkunft waren die ersten Eindrücke, die Georg von Hamburg hatte. So extrem hatte er sich Hamburg nicht vorgestellt. Breite Straßen, Pferdedroschken und viele Vierspänner fuhren, nein: rasten über die zwar breiten, aber mit Schlaglöchern übersäten Straßen. Bauern und Handwerker zogen mit mürrischem, schweißnassem Gesicht ihren Handwagen. Alle hatten es eilig, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Jeder Schritt musste genau überlegt sein, um nicht umgefahren zu werden, und über allem hing dieser widerliche Geruch nach vergammeltem Fisch, Unrat und Exkrementen.
Der Gestank stieg bei den herrschenden Temperaturen – für Anfang Mai war es viel zu warm – aus den Fleeten und Twieten, in die Abfälle und Unrat jeglicher Art von den Einwohnern entsorgt wurden, unangenehm hoch. Überall wimmelte es von Ratten auf der Suche nach etwas Essbaren.
„Das soll die vielgerühmte Hansestadt Hamburg sein?“, dachte sich Georg, und es erschauerte ihn. Vielleicht hätte er doch mit Klaus weiterfahren sollen. Aber dafür war es jetzt zu spät.
Da es langsam auf 15 Uhr zuging und er noch keine Unterkunft hatte, machte er sich erst einmal auf die Suche. Er hörte von Weitem schon das Tuten der Sirenen aus dem Hafen und begab sich in diese Richtung.
Vom Elbhang aus bot sich ihm ein grandioses Schauspiel, als er den Hafen entdeckte. Es wimmelte von Dampfschiffen, Segelschiffen, Lastenseglern und Schuten. Er staunte mit offenem Mund, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. Den größten Hafen hatte er bisher in Köln und Bremen gesehen, aber das war doch schon etwas anderes.
„Aua“, schrie Georg in diesem Moment auf und fand sich auf dem Boden wieder. Er schüttelte sich benommen und sah sich um.
Ihn grinste ein Riese von Mann an und hielt ihm seine Hand – besser gesagt: seine Pranke – hin, denn sie hatte die Größe einer Bratpfanne.
„Los, min Jung, steih op und halt keine Maulaffen feil“, grölte es ihm laut entgegen.
„Nun steh schon auf, du halbe Portion, oder willst du hier übernachten?“
Georg ergriff die Pranke und wurde mit dem Ruck hochgerissen, dass er fast wieder sein Gleichgewicht verlor. Schwer atmend kam er zum Stehen und blickte den Mann an, der ihm so herzig aufgeholfen hatte.
„Besten Dank, der Herr“, bedankte sich Georg.
Der Riese wollte sich ausschütten vor Lachen und blinzelte ihn fröhlich an.
„Brich dir mal nicht die Zunge, junger Herr“, grinste er und deutete eine Verbeugung an. „Bist wohl neu hier?“
Georg war verblüfft über die offene Art und antwortete: „Ja, ich bin auf Wanderschaft und gerade in Hamburg angekommen!“
„Angekommen ja, allerdings eher auf dem Boden“, lachte der grobschlächtige, aber doch freundliche Kerl ihn an und haute ihm freundlich auf die Schulter.
„Und, wat willste hier? Also mein Name ist Carl!“, sagte er und hielt Georg erneut seine Pranke entgegen
Wieder zu Luft kommend, antwortete Georg ihm japsend – der freundliche Schlag auf die Schulter hatte ihm erst einmal sämtliche Luft aus den Lungen getrieben –:
„Ich heiß Georg und bin seit Jahren auf Wanderschaft. Ich bin nach Hamburg gekommen und such Arbeit und eine Schlafstelle.“
„Soso, Arbeit suchste und ein Bett? Wenn du willst, kannste mitkommen, auch ich such Arbeit, habe aber schon eine Unterkunft in der Silbersackstraße in der Nähe vom Pinnasberg gefunden, die wir uns teilen könnten. Du hast doch Geld?“, fragte Carl.
Georg, vorsichtig durch seine Erfahrungen auf der Wanderschaft geworden, antwortete:
„Für einen kurzen Zeitraum könnte ich mich bestimmt beteiligen, aber ich brauche dringend Arbeit, denn meine Barschaft ist doch arg zusammengeschrumpft.“
„Das Zimmer ist nicht groß und eher eine Absteige mit einem Bett, aber sauber!“
Georg war schon ganz andere Sachen gewöhnt gewesen, als mit einem Mann das Bett zu teilen. Von daher antwortete er:
„Toll Carl, dann bin ich dabei!“
Und sie schüttelten sich die Hand.
„Georg, brauchst auch keine Angst zu haben“, grinste Carl, „ich steh nicht auf Kerle. Wenn ich ein Bedürfnis habe, gibt es in der näheren Umgebung genügend Buhlschwestern und Gassennymphen.“1
Georg war froh, so schnell Kontakt und jemanden gefunden zu haben, mit dem man gemeinsam die anstehenden Hürden meistern kann.
„Carl, hast du nichts von einer Arbeitsmöglichkeit gehört? Ich habe von den Landungsbrücken gehört, wo wohl Schiffsanleger2 gebaut werden sollen. Weißt du etwas darüber?“
„Ich hörte heute in einer Hafenkneipe, dass ein großer Holzsteg gebaut werden soll, die Landungsbrücken, an dem die Dampfer anlegen sollen. Dafür werden einige Arbeiter benötigt. Da wollte ich gerade hin. Loop to, damit wir nicht die Letzten sind.“
Wir eilten dem Hafenbezirk entgegen und näherten uns einer größeren Menschenmenge, die um ein großes Holzpult herumstand. Wir stellten uns dazu und warteten auf den Vorarbeiter:
„Wir brauchen 60 kräftige Handwerksburschen, die für fünf Wochen bei uns arbeiten wollen.“
Mitten im Satz setzte sich Carl mit seiner massigen Figur in Bewegung, zischte mir noch zu, ich solle hinter ihm bleiben und ihm folgen. Carl war einen Kopf größer als alle anderen und knuffte und rempelte links und rechts und stand auf einmal direkt vor dem Pult, Georg direkt hinter ihm.
„Hier, zwei gute Arbeiter – wir arbeiten für drei, Carl Harder und Georg Hartmann!“, brüllte Carl dem Vorarbeiter zu!
Hinter uns hörte ich einige „Au-, Aua- und Mistkerl“-Flüche und sah mich um. Einige von den unsanft von Carl beiseite- „geschobenen“ Tagelöhnern rappelten sich gerade wieder auf.
Der Vorarbeiter sah die beeindruckende Erscheinung von Carl und Georgs drahtige Figur und rief:
„Allns kloor, ihr zwei, ab ins Bureau!“
Nachdem wir unsere Verträge unterschrieben hatten und mit dem Verdienst einigermaßen zufrieden waren, kamen wir nach draußen und standen drei Tagelöhnern gegenüber, die Carl vor Kurzem noch zu Boden befördert hatte.
„Du Hurensohn, du Hornochse. Was sollte das eben?“ Carl ging auf den Wortführer freundlich zu, legte seine Hand an sein Ohr und rief:
„Wat hett du seggt?“
Als der Angesprochene gerade erneut anfangen wollte, hatte Carl ihn erreicht, schlug ihm mit der flachen Hand gegen die Stirn und beförderte ihn mit Schwung gegen seine beiden Kollegen. Alle drei stürzten zu Boden. Einer wollte gerade ein Messer aus seinem Wamst ziehen, als Georg ihm mit einem gezielten Tritt das Messer aus der Hand trat.
„Versucht es nicht einmal!“, zischte Georg, der mittlerweile ja kampferprobt war.
Carl blickte sich grinsend um, haute mir auf die Schulter und rief:
„Georg, du hast was gut bei mir, die erste Runde geht nachher auf mich!“
„Na, ich weiß nicht, ob es bei einer Runde bleibt“, antwortete Georg lachend. „Ich hätte nicht gedacht, so einfach und schnell eine Arbeit zu bekommen. Jetzt lass uns unsere Unterkunft beziehen und das Beste draus machen.“
„Die heutige Nacht ist zum Feiern da und gehört uns und zwei süßen Gassennymphen“, rief Carl.
„Dann müssen wir ja nur noch eine für dich finden“, frotzelte Georg, und so machten sie sich auf den Weg zu ihrem Zimmer in der Silbersackstraße.
Das Zimmer war ganz in Ordnung. Klein, aber einigermaßen sauber und für ihre Zwecke ausreichend.
Auf dem Weg zu ihrer Unterkunft lernten sie sich näher kennen, da der Weg noch in einigen Schankstuben unterbrochen wurde.
Carl kam aus dem Kölner Raum und es hatte ihn vor einem Jahr nach Hamburg verschlagen. Er hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Aufgrund seiner Statur hatte er selten Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden, und vor allem: Er kannte Gott und die Welt, was natürlich unbezahlbar war. Kontakte sind alles!
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug: kurze Nacht, frühes Aufstehen und 14 Stunden harte Arbeit, die Georg alles abforderte. Zentnerschwere Lasten, die den ganzen Tag bewegt wer den mussten, dazu sein Vorschlaghammer, die Spaltaxt und Säge, die fast durchgängig in Gebrauch waren, und es gab nur kurze Pausen. Carl machte den Eindruck, als ob ihm das alles nichts ausmachte. Aber auch ihm merkte man die Anstrengung in ruhigen Minuten an, als er immer wieder kurz einnickte. Ein sanfter Knuff in die Seite holte ihn aus seiner Traumwelt zurück in die harte Wirklichkeit. Die Abende wurden gemeinsam in einer der zahlreichen Hafenkneipen verbracht, oder wir besorgten uns auf dem Weg zur Silbersackstraße noch Billigfusel oder Selbstgebrannten. So vergingen die nächsten Tage wie im Flug, und es kam der 4. Mai 1842. Der Tag, der Georgs und Carls Leben nachhaltig änderte und Auswirkungen bis in das Jahr 2012 hatte.
Doch davon später mehr.
Die vergangenen Tage waren tagsüber ausgesprochen warm gewesen – viel zu warm für die Jahreszeit –, und auch der Morgen des 4. Mai begann mit den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch den schmutzigen Vorhang schoben und schon einen Vorgeschmack auf den warmen Tag geben sollten.
Morgen wäre für die meisten Hamburger ein freier Tag, nicht aber für Carl und Georg. Der Vorarbeiter fragte gestern noch, ob sie auch Himmelfahrt arbeiten können.
„Logisch – das kriegen wir hin! Hauptsache, die „Marie“stimmt!“
Das Aufwachen war mit einem durchdringenden Kopfschmerz vom gestrigen Abend verbunden. Die beiden verteufelten sich für die Zusage, an den Landungsbrücken zu schuften, aber sie hatten ihr Wort gegeben und das zählte.
Ohne Frühstück begaben sie sich zu ihrem Arbeitsplatz an den Landungsbrücken.
Die Arbeit war wie immer richtig anstrengend gewesen und kein Zuckerschlecken. Es wurden vom Vorarbeiter zackig Anweisungen gegeben und ein höllisches Tempo vorgelegt, da die Arbeit in einem bestimmten Zeitraum fertiggestellt werden musste.
In der Regel gab es zum Mittag Milchsuppe, die in den damaligen Arbeitergegenden und Elendsvierteln weit verbreitet gewesen war und vom Arbeitgeber gestellt wurde. Sie machte kurzfristig satt, aber langfristig reichte es nicht, den Hunger zu bekämpfen und vor allem: bei Kräften zu bleiben. Gerade in der Zeit um 1842 waren Krankheiten an der Tagesordnung, und nur mit einer gesunden Konstitution hatte man die Möglichkeit zu überleben.
Heute gab es aber anlässlich des anstehenden Himmelfahrtfestes etwas Besonderes, was eine besondere Abwechslung zum sonst vorherrschenden Allerlei aus Milchsuppe und gepökeltem Fleisch war: