Kladruber und
Lipizzaner

Die Kaiserpferde des Wiener Hofes

von

Martin Haller

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Teil 1: Aufstieg und Fall des iberischen Pferdes

Etwas Geschichte; Die Mauren kommen; Was waren Gineten?;

Schnelle Vollblüter; Die Pferde Neapels; Die verbeulte Perle;

Von Spanien nach Österreich

Teil 2: Die Kaiserpferde des Wiener Hofes

Missing Links; Genetische Fixsterne

Teil 3: Die Alt-Kladruber Pferde

Exil und Neubeginn; Etwas genauer; Kirchliche Rappen; Olmütz;

Klassisch und nicht klassisch; Niedergang der Rappen; Die Wiedergeburt;

Der Stand der Zucht; Gala-Karossiers; Kladruber im Sport;

Endlich wieder Hofzug-Pferde

Teil 4: Die Lipizzaner Pferde

Die Stammväter; Die Stutenfamilien; Dramatische Fluchten; Der Erste und Zweite Weltkrieg; Flucht der Hengste: Glückliches Ende; Heimkehr;

Die Zucht der Gegenwart; Die Zuchtgebiete; Das Thema Inzucht

Teil 5: Die berühmteste Reitschule der Welt

Der Lehrauftrag; Remonten und Schulhengste; Weide und Piaffe;

Eleven und Oberbereiter; Schulsattel und Schabracke; Die Zäumungen

Teil 6: Die Arbeitsstätten der Kaiserpferde

Der Oberststallmeister; Wie Namen entstehen; Die Hofreitschule;

Lustbarkeiten; Baumaßnahmen; Die Stallburg; Die Hofstallungen;

Pomp und Glanz; Straff organisiert; Das Ende einer Ära; Die Wagenburg; Die Wagenbauer

Teil 7: Die Zuchtstätten der kaiserlichen Pferde

Gestüte gestern und heute; Djakovo; Hochwald; Kladrub; Koptschan;

Lipik; Lipizza; Mönchhof-Halbturn; Piber; Rif; Simbata de Jos; Slatiňany;

Szilvásvárad, Topol’čianky

Kontaktadressen

Literaturnachweise

Bildnachweise und Danksagung

Vorwort

Niemand muss sich dafür rechtfertigen, von den wunderbaren „Kaiserpferden“ des Wiener Hofes, den Kladrubern und Lipizzanern, begeistert zu sein. Trotzdem will ich den Werdegang meiner eigenen Faszination kurz beschreiben, denn ein Autor sollte untermauern können, warum gerade er zum Verfassen seines Werks berufen ist. Ich war als kleiner Bub schon in den Bann der Hofreitschule geschlagen; bastelte mir aus schwarzem und gelbem Naturpapier einen Zweispitz und ritt auf meinem braunen (!) Schaukelpferd alle Gänge und Touren; springen konnte das erdverhaftete Ding ja nicht, es war mit seinen Kufen fest verbunden. Kapriolen und Courbetten machten wir, das heißt meine ebenfalls „pferdigen“ Cousinen und ich, also selbst als „Lipizzaner“ auf allen Vieren am riesigen Teppich des Salons der Großmutter – stundenlang. Die breite Randbordüre war der Hufschlag, das dunkelrote Medaillon in der Mitte die Pilarenwir kannten jede Figur der Quadrille, jede Piaffe war makellos … und die Sprünge waren schmerzhaft für unsere knochigen Kinderknie, trotz des Teppichs. Beschlagen war jedoch unmöglich ….

Meine Oma gab mir – ich war wohl um die acht Jahre alt – die Bücher „Hengst Maestoso Austria“ und „Stute Deflorata“ zu lesen – was ihre jüngere Schwester Else, die strenge Generalswitwe, furchtbar erboste – das waren doch keine Kinderbücher! „Blödsinn, die darf er schon lesen, es ist ja über Pferde …“ – und die Sache war vom Tisch. So wurde ich immer Lipizzaner-affiner und erhielt etwas später sogar Reitunterricht von einem blutjungen Bereiteranwärter, der es mit den Jahren zum hoch angesehenen Oberbereiter brachte. Es folgte zwingend, dass ich mich als Eleve bewerben wollte – und damit eine Familienkrise ungeahnten Ausmaßes verursachte. Mein standesbewusster Vater schrie mich immer wieder an: „MEIN Sohn wird KEIN Stallknecht!“. Die Möglichkeit, an der Spanischen im Sattel Karriere zu machen, begriff er nicht als solche, obwohl er von seinen beruflichen Besuchen in der Winterreitschule stets schwärmte. Ich musste nachgeben und ging auch später nicht mehr dahin, was in der Rückschau wohl eine Gnade des Schicksals war; den harten Drill hätte ich wohl nicht lange ausgehalten. Dafür verbrachte ich mein halbes Studium in der Morgenarbeit, später auch viel Zeit in Kladrub, und besaß je einen Lipizzaner und einen Kladruber. Ich schrieb viel über die hippologische Welt der Habsburger – und lernte dadurch zahlreiche faszinierende Pferde und Menschen kennen. Ich blieb den Pferden des Wiener Hofes gewissermaßen mein Leben lang treu; und das muss als Erklärung für dieses Buch schließlich genügen … .

Martin Haller, 2020

Einleitung

Wer sich mit der Geschichte der habsburgischen Hofgestüte und der dort gezüchteten Pferde befasst, muss zuvor sein Augenmerk auch auf Spanien, oder besser ganz Iberien, richten. Allein der berühmte Name „Spanische Reitschule“ weist schon darauf hin, dass es früher starke hippologische Verbindungen zur iberischen Halbinsel gab. Wenn man diese historische Achse zwischen Spanien und dem Heiligen Römischen Reich (und später Österreich-Ungarn) versteht, eröffnet sich einem auch das Wesen der höfischen Pferdezucht ganz Europas. Zugleich sei festgehalten, dass damals wie heute der Adel, besonders der hohe und höchste, über ein umfassendes Netzwerk verfügte. Diese Verbindung auf genetischer, politischer, wirtschaftlicher und vor allem kultureller Ebene bewirkte im Mittelalter und der früheren Neuzeit einen ständigen Kulturtransfer ersten Ranges. Besaß ein Fürst eine hervorragende Pferdezucht oder verfügte über einen herausragenden Bereiter, so folgte beinahe logisch, dass seine – oft verwandten – Standesgenossen selbst an fernen Höfen davon erfuhren und es ihm gleichtun wollten. Produzierte sich ein Potentat besonders wirkungsvoll im Sattel oder Wagen, so musste sich sein Konkurrent am Nachbarhofe in ähnlicher oder noch aufwändigerer Weise präsentieren – man durfte ja nicht nachstehen.

So kam es, dass die maurisch-iberischen und später spanisch geprägten (süd-) italienischen Zuchtgebiete ihr hippologisches und reiterliches Know-how vor allem und zuerst in die mitteleuropäischen Gebiete des habsburgischen Herrschaftsbereiches entsenden und dort nachhaltig verankern konnten. Aufgrund des Erfolges, den sowohl ihre Reiterei als auch Zucht dort einheimsten, verbreitete sich die hippologische Kultur des ehemals maurischiberischen Südeuropas auch nördlich der Alpen. Weltlieher und klerikaler Adel bediente sich vor allem etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts mit freudigem Eifer der ungeheuren Erfahrungsschätze südlicher Experten – und der genetischen Potenz ihrer wunderschönen Zuchthengste … . So gelangten die Berber, Andalusier und Neapolitaner in die Hofgestüte der Fürsten und Adeligen zwischen Hampton Court, Versailles, Halbturn, Kladrub, Triest, Frederiksborg und vielen anderen. Dort gediehen sie prächtig und prägten die gesamteuropäische Pferdezucht, Kriegsführung und Repräsentation auf einzigartige und nachhaltige Weise, ehe ihnen das Englische Vollblut während der Napoleonischen Kriege den Rang ablief.

Das spanische Pferd war ein Symbol des Adels und regierender Häupter.

Iberische Pferde zeichnen sich durch Noblesse und guten Charakter aus und waren seit jeher ein beliebtes Motiv vieler Künstler.

Ich möchte im vorliegenden Band die höfische Pferdezucht, die hippologische Kultur und die Verwendung der herrlichen Pferde des habsburgischen Hofes damals wie heute darstellen. Es geht in erster Linie um die beiden bekannten Rassen Kladruber und Lipizzaner und deren Stammgestüte. Auch die weniger bekannten Zuchtstätten sowie die wechselvolle Geschichte dieser Pferderassen und bedeutender Protagonisten auf zwei und vier Beinen sollen beleuchtet werden. Das Haus Habsburg war über Jahrhunderte dem Pferd in vielfältiger und besonderer Weise verbunden – auch das ein häufig negiertes Kuriosum der Geschichte. Diese kleine „Spurensuche“ führt uns in alle Ecken der alten, riesigen Monarchie, zu Orten von seltener Magie und Faszination … .

Teil 1: Aufstieg und Fall des iberischen Pferdes

Sire, es ist nur Recht für Eure Majestät,

als der Christenheit größtem König,

auf dem besten Pferd Europas reiten zu lernen!

(Antoine de Pluvinel, zu Louis XIII. bei
der Übergabe des spanischen Hengstes Bonito.)

Barocke Darstellung eines maurischen Reiters auf einem Berberpferd.

Vereinfacht kann man sagen, dass die von Altiberern und Mauren geschaffene equestrische und hippologische Kultur das mittelalterliche „Rittertum“ nördlich der Alpen ablöste und in einer einzigartigen Verschmelzung und Durchdringung zu einer neuen Blüte des Pferdewesens führte. Daraus ergaben sich vor allem neue strategische, aber auch wirtschaftliche und politische Möglichkeiten. Das Kriegswesen, die Landwirtschaft, Kunst und Philosophie und nicht zuletzt die politische (Selbst-)Darstellung erfuhren wichtige Impulse, die eine Art von „sekundärer Kulturrevolution“ auslösten und das Antlitz Europas auf diesen und anderen Gebieten nachhaltig prägten. Erstaunlicherweise steckt die Forschung auf diesem Gebiet noch in den Kinderschuhen. Die unglaubliche politische Bedeutung des Pferdes als Machtbeweis, Staatsgeschenk oder Statussymbol blieb bisher meist völlig unbeachtet. Dabei hingen das Marschtempo ganzer Heere, der Ausgang epochaler Schlachten, die Ernährung von Völkern, der Transport von Schriftstücken und Waren aller Art und der Erfolg oder Misserfolg politischer Konferenzen insbesondere vom Pferd ab.

Etwas Geschichte

Die frühe Geschichte der iberischen Pferde ist trotz intensiver Bemühungen diverser Forscher (Archäologen, Historiker, Zoologen, Hippologen etc.) noch immer nicht völlig klar darstellbar. Man darf mit einiger Sicherheit annehmen, dass es bereits sehr früh auf der iberischen Halbinsel eine Art von Polarisierung der dort vorhandenen Pferdetypen gab; dies wird durch steinzeitliche Malereien und Plastiken plausibel. Zum einen die im Norden und Nordwesten des Landes vorkommenden ponyartigen Typen, die ideal an ein relativ kühles, feuchtes Klima mit ausreichender Vegetation und ein bergiges Habitat angepasst waren. Zum anderen der im Süden verbreitete Typ des Ramskopfpferdes, der an trockenes, im Sommer heißes und dabei eventuell winterfeuchtes Klima und an karge Steppenvegetation angepasst war. In den Übergangszonen der Verbreitungsgebiete vermutet man eine Durchmischung der Bestände, entweder durch menschliches Zutun, natürliche Wildverkreuzung oder beides. Jedenfalls entstand schon lange vor dem Beginn unserer Zeitrechnung ein eigenständiger Typ des südiberischen Pferdes. Dieses sollte, wenn auch nicht ausschließlich, zur Grundlage des begehrtesten Kriegs- und Paradepferdes Europas werden. Das südiberische Pferd leichten Typs war als Ginete bekannt, wobei es unterschiedliche Schreibweisen gab und gibt (Deutsch: Ginete, Englisch: Jennet, Jenet, Französisch: Genette, Spanisch: Jineta).

Sylvia Loch erklärt in ihrem Standardwerk „The Royal Horse of Europe“ die Herkunft und Verwendung des Wortes genauer:

„Das iberische Reitpferd wird in der Literatur oft Jineta (span.) oder Jenett (engl.) genannt. Das umgangssprachliche Wort stammt vom Substantiv Gineta für eine Reitweise, welche jene Lektionen umfasst, für die solche Pferde berühmt waren. Reiten à la Gineta umfasst somit jenen iberischen Reitstil, der auf dem Schlachtfeld und bei der Arbeit mit Rinderherden am Lande verwendet wurde.“ Dabei wurde, anders als im europäischen Raum, nicht mit durchgestreckten Beinen geritten, sondern auf die Beweglichkeit der Reiter und die Schnelligkeit und Wendigkeit der Pferde gesetzt. Loch erklärt weiter: „In England, Frankreich, Deutschland und Portugal wurde er (der Begriff Ginete) Synonym für das Pferd, in Spanien bezeichnet er den Reiter. Viele Historiker meinen, dass dieser Reitstil mit den Mauren im 8. Jahrhundert nach Iberien kam; dies ist nicht korrekt, denn wir kennen frühere Darstellungen aus dem vierten Jahrhundert, welche ein abgebogenes Bein des Reiters zeigen und somit auf Steigbügel hinweisen.“

Ein Orientale mit Berber und gesatteltem arabischem Pferd.

Die Mauren kommen!

Der Prophet Mohammed starb im Jahre 632 n. Chr. in Medina und hinterließ nach seinem wechselvollen Leben eine weltumspannende Glaubensidee. Zu seiner Zeit lebten auf der arabischen Halbinsel nomadisierende Beduinenstämme, welche sich fast ausschließlich des einhöckrigen, afrikanischen Kamels als Transportmittel bedienten.

Berber Rapphengst aus österreichischem Besitz, der alle Merkmale seiner Rasse zeigt.

Die Gründung des Islams durch Mohammed ging mit unzähligen Kämpfen einher, die vielfach zu Kriegszügen ausarteten und in der Eroberung Mekkas im Jahr 630 gipfelten. Als Prophet, Staatsmann und Gesetzgeber erreichte Mohammed die Einigung der arabischen Stämme und hinterließ den Auftrag, seine Religion weiter zu verbreiten. Zu diesem Zweck proklamierte er schon zu Lebzeiten in den Suren des Korans die Forderung nach einer umfassenden Pferdezucht. Offenbar hatte er erkannt, dass sich neben den Dromedaren, die sich als hitze- und durstresistente Langstreckenläufer bestens bewährten, auch die schnelleren, wendigeren Pferde bestens als Kriegsmaschinen eigneten. Der Zucht von edlen Pferden sollte von nun an vermehrte Aufmerksamkeit gelten, was auch in einigen poetischen Geschichten um die Stuten des Propheten zum Ausdruck kommt. Der Religionsstifter selbst soll allerdings Kamele oder Esel als Reittiere bevorzugt haben; aber auf seine fünf Lieblingsstuten geht der Legende nach das arabische Vollblutpferd zurück!

Nach dem Tod Mohammeds weiteten sich die Kampfhandlungen zwischen Islamiten und Andersgläubigen rasch weiter aus. Bis 638 wurden Syrien und Palästina eingenommen, 642 fiel Ägypten, danach Tripolis und rund 50 Jahre später Karthago. Als 710 mit Ceuta die letzte römische Stadt in ihre Hände gelangte, waren die Gebiete der inzwischen islamisierten Stämme und Völker enorm gewachsen und man warf begehrliche Blicke nach Spanien. 711 erfolgte unter dem maurischen General Tarik der Einfall über den nach ihm benannten Felsen Gibraltar und damit einhergehend die Niederwerfung des Gotenkönigs Witiza. Die Sieger behandelten die Unterlegenen tolerant, es folgte eine gegenseitige Befruchtung auf vielerlei Gebieten – besonders auf jenen der Medizin, Astronomie, Kunst, Architektur und Agrartechnik. Ein weiteres Vordringen der Muselmanen nach Zentraleuropa scheiterte im Jahre 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers, als die schwere Reiterei des Franken Karl Martell siegreich blieb.

Infolge anhaltender und weitreichender Zwistigkeiten unter den verschiedenen islamischen Völkern, politischen Gruppierungen und Herrscherhäusern ergab sich eine Schwächung. Sie führte zu einem allmählichen Rückzug aus Nordspanien, und somit verblieb nur der Süden in islamischen Händen, wo das Emirat von Cordoba zu seiner wunderbaren Blüte gelangte. Infolge der fortschreitenden Rückeroberung durch die Christen (der Reconquista) und der immer drückenderen Herrschaft der arabischen Omaijaden kam es zu heftigem innerem Widerstand. Diverse Berber-Dynastien, zuerst die Almoraviden, dann die Almohaden und schließlich die Benimeri gelangten an die Macht, doch behielten stets die zum Islam konvertierten Spanier und Goten auch ihre Ländereien und hervorragenden Gestüte. Sie setzten den Reitstil à la gineta fort, für den sie ja auch die geeigneten Pferde besaßen, während die aus dem Norden eindringenden christlichen Ritter noch auf massigeren Pferden mit langen Steigbügeln, also „à la brida“ ritten.

Die orientalische Architektur ist in Spanien noch überall zu finden.

Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts fielen zahlreiche muslimische Festungen und Kleinreiche an die christlichen Heere, sodass einzig das Königreich Granada noch rund 200 Jahre lang völlig eingeschlossen bestand. Während der Reconquista traten die Christen des Nordens mit den südlichen Muselmanen in eine enge Wechselwirkung. Zum einen brachten sie ihre schweren Rösser mit und veredelten sie mit iberischen Pferden zu den sogenannten Villanos, kräftigen Kriegspferden. Zum anderen verfeinerten sie ihre eigene Reitweise und nahmen manches der Gineta-Reiterei an. Im maurischen al-Andalus erhielt sich aber das südiberische Pferd noch eine ganze Weile in fast reiner Form; einige Berberhengste brachten das ohnehin verwandte Erbgut Nordafrikas wieder zurück. Als 1492 Granada schließlich fiel und das christliche Spanien sich anschickte, zur Weltmacht zu werden, blieb die Buntheit und Besonderheit der islamischen Kultur in manchem Detail erhalten. Die Pferde waren maßgeblich daran beteiligt, ein unermessliches Weltreich zu schaffen, in dem die Sonne nicht unterging.

Die berühmte Stierkampfarena von Ronda ist die älteste des Landes.

Kaiser Maximilian II. bei einem Turnier unter der Reichsflagge mit Doppeladler.

Was waren Gineten?

Der Ginete war ein nach unseren Begriffen eher kleines Pferd von ca. 135 bis 150 cm Stockmaß, dabei recht leicht, aber athletisch und ausdauernd. Seine Körperformen müssen denen des heute noch vorhandenen Sorraias geglichen haben, also mit Ramskopf, geschwungenem Hals und kompaktem Rumpf, immer mit etwas abfallender Kruppe und tiefem Schweifansatz. Das Fundament war fein und trocken, bei runder Aktion und guter Versammlungsfähigkeit durch eine weit untersetzende Hinterhand. Die Falbfarbe war vorherrschend oder doch sehr häufig, und sicherlich wurden auch Braune, Isabellen, Füchse sowie Schimmel angetroffen.

Wie gesucht die Gineten (oder ihre Kreuzungsprodukte mit nordafrikanischen oder iberischen Berbern) außerhalb ihrer Heimat waren, kann man an ihrer ersten Erwähnung außerhalb Iberiens erkennen. Die Vita Sancti Corbiniani wurde vor 769 verfasst und schildert, wie der Mönch Korbinian auf seinem Hengst Iberus (Der Spanier) durch die Lombardei reitet. Das Tier war von derartiger Schönheit, dass sogar der König sein gieriges Auge darauf warf. Da er es anders nicht bekommen konnte, ließ er es stehlen und verwendete es zur Zucht. Doch Gott rächte die Schandtat, indem er alle 43 Zuchtstuten des Königs durch eine tödliche Krankheit dahinraffte. Der schuldbewusste Lombarden-Fürst leistete schließlich Kompensation, indem er den Hengst zurückerstattete, nebst einer Buße von 200 Silberschillingen und zwei guten spanischen Pferden, ein Beweis für den Stellenwert solcher Pferde. Im Jahre 876 schrieb niemand geringerer als Papst Johannes VIII. an den König von Galizien und bat ihn wörtlich „um einige der exzellenten maurischen Pferde, welche die Spanier alfaraces nennen“ (von faras, Arabisch für Pferd). Und als der Heilige Notker, der stammelnde Dichtermönch, zwischen 883 und 887 seine weitgehend legendenhafte Lebensgeschichte Karls des Großen (die Gesta Carolini Magni) verfasste, schilderte er glaubhaft, dass dieser ein Geschenk spanischer Pferde an den Kalifen gesandt hatte. Notker könnte durchaus Recht gehabt haben, denn Karl wusste offenbar tatsächlich um die Qualitäten jener Pferde, wie aus einem Originaldokument von 795 hervorgeht. Darin hält er fest, einen Brief seines Sohnes, Ludwigs des Frommen, erhalten zu haben, in welchem jener von einem Sieg über die Sarazenen berichtet, und dass er als Beute „ein schönes Pferd, eine gute Rüstung, ein indisches Schwert und einen Silberkorb“ erhalten habe. Etwa von dieser Zeit an häufen sich die dokumentarischen Erwähnungen von Geschenken kostbarer iberischer Pferde unter dem europäischen Adel.

Ein sogenannter Ginete, ein iberischer Reiterkrieger.

Die berühmten Rappen der Insel Menorca werden traditionell bei Reiterfesten eingesetzt.

Im England Elisabeths I. schrieb Thomas Blundeville in seinem berühmten Traktat „The Fowre Cheifest Offyces Belonging to an Horseman“ aus dem Jahr 1565: „Der Jennet von Spanien ist fein gemacht an Kopf, Körper und Beinen, jedoch von schlanken Keulen, und die Nobelleute lieben ihn wegen seiner Feinheit, Leichtigkeit und Schnelligkeit. Sie sind flinker als die Pferde der Parther und alle übrigen, so wie der Adler alle anderen Vögel der Luft übertrifft. Man sagt von ihnen, sie seien eine kleine, schwache und feige Rasse, doch nur die beiden ersten Punkte treffen zu und stimmen mit den hierher nach England gebrachten Tieren überein, der letzte nicht.

Die klassische Reitkunst der iberischen Halbinsel verewigt sich sogar in den Azulejos.

Sie tragen ihre Reiter aus dem Schlachtfeld, auch wenn sie schon viele Meilen zuvor Harkebusengeschosse durch den Leib bekommen haben, wie mir etliche Spanier berichtet haben. Auch unsere Soldaten haben mir dies öfter erzählt, und falls es wahr ist, so gleicht das ihre Kleinheit und Schwäche wohl aus. Vom Fohlen bis zum vollen Alter sind sie sehr fromm und auch danach sehr fröhlich. Ihr Gang ist weder Pass noch Trab, sondern eine bequeme Bewegung, wie die der Türkenpferde.“

Als bequeme Reisepferde waren iberische Passgänger und Tölter seit dem Imperium Romanum geschätzt, ebenso wie ihre noch für lange Zeit gangveranlagten Cousins, die irischen Hobbys. Deren Nachfahren werden heute als Connemara-Ponys bezeichnet und haben durch planlose Verkreuzungen diese wertvolle Eigenschaft verloren. Heute finden wir den Typ des Gineten vereinzelt im selten gewordenen Sorraia-Pferd, z. T. im Camargue-Pferd, in lateinamerikanischen Edelpferden der Paso-Gruppe sowie in einigen primitiv anmutenden Exemplaren der Hochzuchtrassen Lusitano und Andalusier, während sich die Mehrzahl dieser Pferde jedoch unter verbesserten Haltungsbedingungen und jahrhundertelanger Selektion fortentwickelt hat. Auch im reinblütigen Berber, in manchen Rassen Nord- und Mittelamerikas (z. B. Mustangs, Kariben, Indianerponys.) und in leichten Exemplaren des Welsh Cobs lebt der Typ des Gineten fort.

Schnelle Vollblüter

Gineten waren wegen ihres frommen Feuers, ihrer Gelehrsamkeit und der hohen Rittigkeit in der gesamten Welt begehrt und stellten einen wichtigen südiberischen Exportartikel dar. Die züchterische Entwicklung in Südspanien wurde durch die maurische Invasion nur teilweise unterbrochen, denn die neuen Herrscher Spaniens waren ebenso wie die alten an einer hochstehenden Pferdezucht interessiert. Wenn nun erneut und vermehrt Berberpferde ins Land kamen, so war das sicherlich der iberischen Zucht zuträglich.

Die hervorragenden Produkte der iberischen Gestüte gingen über den Atlantik in die Neue Welt und verhalfen den Konquistadoren zu spektakulären Siegen über die zahlenmäßig weit überlegenen Indianer. Sie gelangten nach Süditalien sowie auf die britischen Inseln und beeinflussten sowohl die erblühenden Zuchten der neapolitanischen Kriegspferde als auch die der englischen Vollblutrenner. Es ist ein vernachlässigtes Faktum, dass sich das Ausgangsmaterial der Rasse Englisches Vollblut (Thoroughbred, Pur Sang) aus Berbern, Turkmenen, Arabern, Galloways, Iberern und italienischen Jagdpferden zusammensetzte, also eine starke iberische Komponente enthielt.

Kaum eine Pferderasse konnte sich jemals einer linearen, optimalen Entwicklung erfreuen, und die iberischen Rassen waren da keine Ausnahmen. Als der Glanz des Barocks kategorisch nach Pferden iberischer Prägung verlangte, waren diese zum großen Teil bereits Kreuzungsprodukte und verdienten die Bezeichnung Ginete eigentlich kaum noch. Dennoch hatten sie genug Charme, Grazie und Kraft, um ganz Europa in ihren Bann zu schlagen und sich positiv in anderen Züchtungen zu verankern.

Nach den Napoleonischen Kriegen, die auch die iberische Halbinsel erfassten und ihrer besten Pferde beraubten, begann der kometenhafte Aufstieg des englischen Vollbluts, das dem Andalusier den Rang ablief – im wahrsten Wortsinn.

Der berühmte Berberhengst Godolphin Barb begründete einen Stamm in der Vollblutzucht.

Die traditionelle portugiesische Zucht, lange mit der spanischen vereint, löste sich schließlich von jener und erlangte ihre Eigenständigkeit wieder. Sie war immer von besonderer Güte gewesen, und geprägt durch die praktische Verwendung der Pferde in der Rinderarbeit sowie im Stierkampf zu Pferd, der in Spanien lange Zeit nicht ausgeübt wurde – und bis heute hinter jenem zu Fuß deutlich zurücksteht. Seit einigen Jahrzehnten sind reine Spanier (heute: Pura Raza Espanol, PRE) und Lusitanos sowie deren qualitätvolle Hybride begehrte Freizeit-, Show- und Dressurpferde für alle jene Reiter, welche sich der klassischen Reitkunst und equestrischen Tradition oder der relativ jungen Disziplin Working Equitation verpflichtet fühlen.

Die Pferde Neapels

Die Fachliteratur erwähnt häufig eine Rasse von überwiegend iberischem Ursprung, den sogenannten Neapolitano. Leider scheint sich trotz der offensichtlich weiten Verbreitung dieser Pferde zwischen ungefähr 1500 und 1800 nur relativ wenig Konkretes erhalten zu haben. Es ist nicht einfach, dieser beinahe ausgestorbenen Population auf die Spur zu kommen; wir wollen es dennoch versuchen. Diese Rasse, eigentlich ein Komposit aus Gestütstypen und regionalen Schlägen, wird deshalb im Rahmen dieses Buches besprochen, weil sie eine bedeutende Nachzuchtpopulation des spanischen Pferdes darstellte, gewissermaßen ein Ersatz für jenes sein sollte und wesentliche genetische Beiträge zu unseren gegenständlichen Rassen Kladruber und Lipizzaner lieferte. Grundlage der besten süditalienischen Pferde mögen zuerst afrikanische oder orientalische Importe gewesen sein, die aus dem gesamten Mittelmeerraum in den südlichen Teil des italienischen „Stiefels“ gelangten. Als die Normannen 1072 die Seerepublik Amalfi unterwarfen, begann eine Zeit der militärischen Hochzucht, die unter dem Staufer-Kaiser Friedrich II. (1194-1250) durch schwarze Berber aus der Cyrenaika, dem heutigen Libyen, verbessert wurde. Der Kaiser war an Pferdezucht und Reitkunst persönlich stark interessiert und gründete schon 1224 in Neapel eine Akademie für Hippologie und Pferdemedizin sowie drei Hofgestüte in der Provinz Bari.

Frühe Andalusier ähnelten ihren Verwandten in Neapel.

Darstellung in Baron Eisenbergs berühmtem Buch; der Hengst war das Krönungspferd Kaiser Karls VI.

Eine der berühmten Stauffer-Festungen in Apulien.

Zur Geschichte Neapels

Die Geschichte Neapels verlief in Stichworten etwa so: Die Stadt wurde ca. 600 v. Chr. von griechischen Siedlern aus dem nahegelegenen Kyme gegründet. Die Athener vergrößerten die Kolonie, welche sich um 326 v. Chr. dem Römischen Bund anschloss. Als die Goten 408 n. Chr. Italien zu erobern begannen, kam auch Neapel unter ihre Herrschaft. 536 wurde die Stadt durch Belisar den Goten entrissen und ein selbstständiger Militärbezirk. 1130 durch die Normannen erobert, stieg sie zur Hauptstadt beider Sizilien (Neapel und Sizilien) auf und erlangte große Bedeutung in Handel und Kultur; die erste Universität wurde 1224 durch Friedrich II. gegründet.

Auch die Araber (Sarazenen) fielen wiederholt ein und hinterließen ihre Spuren. Franzosen und Spanier eroberten im 13. Jahrhundert erstmals Teile Süditaliens. Ab 1494 wurde Italien Schauplatz des Konfliktes zwischen den beiden Machtblöcken Frankreich und Habsburg-Spanien. 1502 wurde Süditalien von Spanien annektiert und erhielt wesentliche kulturelle Impulse von dort. Als Gonzalo von Cordoba die französischen Besatzer gegen Ende des 15. Jahrhunderts aus Italien vertrieben hatte und Neapel für Spanien beanspruchte, spielte die iberische Kavallerie eine bedeutende Rolle. Die spanische Herrschaft bestand bis 1707 – und somit lange genug, um den iberischen Einfluss auf hippologischem Gebiet auch dort zu etablieren. Neapel und Sizilien fielen 1735 letztlich an das Haus der spanischen Bourbonen und verblieben ihm auch nach dem Wiener Kongress von 1815.

Graf Carl Gustav Wrangel schrieb in „Die Rassen des Pferdes“ von 1908 folgendes: „Nach den Angaben verschiedener Historiker scheint es Zeiten gegeben zu haben, in welchen Italien nicht nur reich an Pferden gewesen, sondern auch bezüglich der Qualität ganz Vorzügliches geleistet hat. Unter der Regierung von Dyonisius I. (406 v. Chr.) soll Syracus die besten Pferde des Altertums besessen haben. Das römische Pferd alten Schlags soll das Produkt einer in frühester Zeit vorgenommenen Kreuzung zwischen hochedlem afrikanischem Zuchtmaterial und Pferden des normannischen Typs gewesen sein. Die italienischen Rosse älterer Zeit müssen der Beschreibung nach groß und kräftig gewesen sein. Erst zur Zeit des Feldherrn Gonsalvo di Cordova (1503) wurden leichtere, beweglichere Tiere für die Reiterei gesucht und dazu schöne, etwas leichtere Tiere aus Andalusien nach Neapel überführt. Unter Karl I. (als Deutscher Kaiser Karl V., 1500-1558) erlangten die Italiener eine solche Virtuosität in der Kunst, Pferde zu dressieren, dass sie nicht nur die gesuchtesten Lehrer für praktische Reitkunst, sondern auch die berühmtesten Schriftsteller für die Literatur zu dieser Kunst wurden. Die Namen Federico Grisone, Claudio Conte di Pavia, Pasquale Caracciolo und andere legen Zeugnis davon ab. Letzterer gibt dem neapolitanischen Pferd den Vorzug vor allen anderen italienischen Rassen.

Ein typisch neapolitanisches Pferd der barocken Ära.

Eine scharfe Kandare aus der Renaissancezeit.

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts bestanden schon 282 Gestüte, die alle ihre besonderen Brandzeichen hatten. Nach (Marcus; Marx) Fugger unterschied man damals drei Rassen, nämlich:

„1. Die Corsieri (von corso = Lauf; currere = laufen); diese sind große Pferde. Sie kommen zumeist aus dem Gestüt des Königs und werden derzeit meist in den Karossen gebraucht, die man in Rom und im übrigen Land oft sieht. Früher, bevor die Handfeuerwaffen gebräuchlich wurden, haben sie gewaltige Taten vollbracht.

2. Die Genetten stammen aus Spanien und sind den spanischen Pferden sehr ähnlich und kaum von ihnen zu unterscheiden. Sie sind wirklich vorzügliche Pferde, ausdauernder und stärker als die spanischen und werden auf dem Land höher geachtet als alle anderen Pferde.

3. Die dritten aber, die man „da due selle“ nennt (zu beiden Sätteln), sind starke, mittelrahmige Pferde, die außer in den königlichen Gestüten auch oft von Fürsten in den Abruzzen gezüchtet werden. Diese neapolitanischen Pferde sind gute Kriegsrosse, doch man muss ihnen Zeit lassen, denn sie sind von Natur aus spätreif. Auch erfordert ihre Ausbildung Vorsicht, denn es sind manchmal „stürmische Köpfe“ darunter.

Die heute brutal wirkenden Sporen waren im Kampf notwendig.

Schon Anfangs des 18. Jahrhunderts hatte die Rasse spürbar an Qualität und Zuchtwert verloren, und weitere Rückschritte vernichteten sie in kurzer Zeit fast vollständig. Der Herzog von Newcastle erklärte bereits im 17. Jahrhundert, dass die neapolitanischen Pferde seinen Erwartungen nicht entsprochen hätten. Die Glanzperiode dieser Rasse war somit von relativ kurzer Dauer – heute würde man in der Region vergeblich Ausschau nach Sprösslingen der berühmten Genetten halten.“ (Ende Zitat Wrangel; gekürzt.)

Neapel wurde zum europäischen Zentrum der Reitkunst, teilweise aufbauend auf den antiken Autoren Simon von Athen und Xenophon sowie der iberischen Reitweise a la jineta. Als bei den Kämpfen um Neapel im Zuge von Erbstreitigkeiten um 1503 der spanische Reiterführer Gonsalvo de Cordova den Reiterkampf mit Degen und Pistole nach Jineta-Art hier einführte, wurde dieser rasch übernommen und in Neapel perfektioniert, zu einer Zeit als man nördlich der Alpen noch ritterliche Turniere mit eingelegter Lanze bestritt. Neapel wurde schnell der Mittelpunkt der europäischen Reiterwelt, mit Größen wie Cesare Fiaschi, Federico Griso, Claudio Conte Pavia, Giovanni Pignatelli, Pasquale Caracciola und anderen. Als quasi italienische Variante des begehrten andalusischen Pferdes entstand durch Einkreuzung der heimischen, bereits maurisch oder iberisch angehauchten Pferde mit Andalusiern oder Villanos der Neapolitano, das herausragende Pferd Süditaliens.

Die Kunst der Barockzeit verherrlichte das edle Pferd in jeder Form.

Wenn den italienischen Meistern in der zeitgenössischen Literatur häufig große Brutalität in der Ausbildung ihrer Pferde vorgeworfen wird, so muss man bedenken: Kein Soldat kann es sich leisten, in der Wahl seiner Mittel zimperlich zu sein, denn sein Überleben hängt davon ab. Auch die in der Perfektion so fein erscheinende iberische Reitweise beruht auf einer ziemlich harten Grundausbildung. Generell zeigt sich bei südländischen Völkern vielfach die Tendenz zu einer eher pragmatischen Einstellung zum Tier. Dieses wird teils bewundert und mag Symbolwert besitzen, auch Statussymbol sein; in erster Linie ist es aber ein Mittel zum Zweck. Das war in früheren Zeiten sicher noch ausgeprägter der Fall als heute. Das neapolitanische Pferd war eine Verschmelzung berberischer, orientalischer, italienischer und iberischer Elemente und als solche im Temperament sicher schwieriger als das reine iberische Pferd. Größe und Masse, gepaart mit einer manchmal etwas hartmäuligen Sturheit verlangten im damaligen Zeitgeist nach schärferen Mitteln. Diese aber bringen in charakterstarken Pferden unweigerlich einen gewissen Widerstand hervor, der in Kombination mit der iberischen Sensibilität zu jenem Vorurteil geführt haben könnte, das seither von Autor zu Autor weitergereicht wurde. Seine Kraft war bekannt, denn schon Fugger berichtet, dass manche bis zu zwölf Sprünge (gemeint muss eine Art Courbette oder Croupade sein) absolvieren konnten. Das stellt nach heutigen Maßstäben eine gewaltige Leistung dar, die nur von iberischen Pferden erreicht wird. Der Kopf wurde einhellig als geramst beschrieben, manchmal als stark konvex, die Ohren und Augen als groß und etwas unruhig. Der mächtige Hals war hoch aufgesetzt, das Fundament gegenüber dem Rumpf wohl etwas fein. Die Gänge waren durch eine hohe Knieaktion elegant und ausdrucksvoll; auch an ihrer Schnelligkeit kann es nicht gemangelt haben, denn sonst wären diese Pferde nicht als Kriegs-, Jagd- und Wagenpferde beliebt gewesen. Es ist übrigens verbürgt, dass sie meist Rappen oder Braune waren. Ich vermute, dass die Rasse deshalb so rasch an Qualität verlor, weil sich gerade zu jener Zeit solche Pferde höchster Wertschätzung erfreuten und die ständigen Exporte der besten Exemplare einen tödlichen Aderlass für die privaten Zuchtbetriebe des Hoch- und Landadels darstellten.

Zu allen Zeiten seiner Existenz war ein guter Neapolitaner ein gesuchtes Zuchttier, das eifrig in allen Gestüten eingesetzt wurde. Der Einfluss der neapolitanischen Hengste war in allen europäischen Hofgestüten deutlich zu spüren, denn es bestand ein reger Austausch von Zuchtmaterial; so gründeten Hengste der Rasse eigene Linien beim Lipizzaner. Der Kladruber wird allgemein und ganz überwiegend als Nachfahre italienischer Pferde spanischer Prägung aufgefasst. Auch zahlreiche deutsche Rassen entstanden unter Zuhilfenahme des damals so begehrten Blutes aus Neapel (z. B. Holsteiner, Hannoveraner, Oldenburger …). In zahlreichen lokalen Varianten und Gestütstypen gezüchtet, wurde dieser Pferdeschlag bald in ganz Europa bekannt und strahlte von Neapel in das gesamte italienische Gebiet und darüber hinaus bis Nordeuropa aus. Das 16. und 17. Jahrhundert wurden seine Glanzzeit; sämtliche Fürstenhöfe kauften ihre Prunkrosse, Kriegspferde und Beschäler entweder in Spanien (nicht immer, wo die Verfügbarkeit guter Pferde aber zunehmend schwieriger und teuer wurde, oder eben in Italien. Frankreich, Österreich, deutsche Fürsten und dänische Adlige, ja sogar Spanier selbst – sie alle holten sich die imposanten Pferde in ihre Marställe.

Mit dem Niedergang der Schulreiterei, der Hinwendung der ganzen Welt zum Englischen Vollblut und letztlich der Ablöse der Kutschenkultur durch das Automobil trat die Zucht in den Hintergrund und kam schließlich völlig zum Erliegen. Ende des 19. Jahrhunderts waren die vormals berühmten Chigi-Rappen – ein eigener Schlag, der vom Klerus bevorzugt wurde – verschwunden; in Rom kamen die kräftigen Karossiers aus der Mode und die adeligen und militärischen Gestüte stellten überall auf Vollblut oder Halbblut um, da man solche Tiere im Sport und beim Militär besser brauchen konnte. Einzig in der Region Murge in Apulien blieb eine kleine Population derartiger Tiere erhalten. Lange Zeit vergessen, wanderten sie meist in die Fleischverarbeitung, bis man vor einigen Jahren erneut auf diese prachtvollen „Neapolitaner“ aufmerksam wurde und begann, sie erneut als Reit- und Wagenpferde zu vermarkten. Heute haben sie eine kleine Anhängerschaft in Italien, und neuerdings gibt es einen kleinen Bestand in Deutschland; auch in Österreich steht ein Hengst der Rasse im Rahmen eines Zuchtversuchs mit Norikern – mit denen sie übrigens eng verwandt sind.

Der Krönungswagen der Wiener Wagenburg ist reich verziert.

Die verbeulte Perle

Häufig wird im nostalgischen Überschwang jeder etwas zu rundlich geratene Gaul hochtrabend zum klassischen Barockpferd gestempelt, obwohl er besser vor einen Pflug passen würde. Auch die Rassenzugehörigkeit ist noch kein Garant, denn alle sogenannten Barockrassen wurden auch später züchterisch bearbeitet und zum Teil deutlich verändert. So hat z. B. der Kladruber als historisch barocke Rasse einige äußere Merkmale, die nicht unbedingt in die Formensprache eines Rubens passen und nur ganz entfernt an die Ridinger-Stiche erinnern, die wir als – wenn auch überzeichnete – Blaupausen des idealen Barockpferdes empfinden. Der Begriff „Barock“ bezeichnet eine kulturelle Epoche, die, im 16. Jahrhundert in Italien beginnend, bis um circa 1750 andauerte und danach noch für einige Jahrzehnte im Rokoko ausklang. Joachim Fernau, der ehemals populäre Satiriker, beschreibt diesen Stil so: „Beim Barock geraten wir in ein fürchterliches Dilemma. Die Epoche ist nur in unserer Vorstellung einheitlich, in Wahrheit sehr zerrissen und von allen möglichen Stilerbschaften überdeckt. Barock ist ein Schimpfwort und gehörte zum Vokabular der spanischen und portugiesischen Juweliere, die mit dem Wort barroco jene Perlen belegten, die verbeult waren.“

Die über und über dekorierten Geschirre der Pferde muten heute seltsam an.

Am Wiener Hof erhielt sich das spanische Protokoll und Zeremoniell auch im Marstall.

Von Spanien nach Österreich

Wie nun gelangten die begehrten spanischen Gineten vom fernen Spanien, von den dortigen adeligen yeguadas (Gestüten) in die Hände der österreichischen Aristokratie und an die Höfe der Casa d‘ Austria? Der erste große Importeur war wohl der in Spanien aufgewachsene Infant und Erzherzog Ferdinand (1503-1564), der 1521 nach Österreich kam, um sich mit Anna von Böhmen und Ungarn zu vermählen und eine glänzende Laufbahn einzuschlagen. Er wurde 1526 böhmischer und ungarischer König, 1531 deutscher König und 1556 als Nachfolger seines Bruders Karl V. auch Kaiser. Von spanischer Kultur und Lebensart geprägt, brachte er größere Gruppen guter Pferde nebst Fachpersonal von dort mit und ließ auch späterhin einige Importe durchführen. Er verlegte den Regierungssitz von Prag 1533 nach Wien und beförderte dort das Pferdewesen im Sinne und Stil der spanischen Hofhaltung. Das deutsche (österreichische) Erbe Habsburgs wurde von Ferdinand unter seinen drei Söhnen Ferdinand, Karl und Maximilian aufgeteilt, die in Innsbruck, Graz und Wien bzw. Prag residierten – wo ein jeder von ihnen eine höfische Pferdehaltung und Zucht von hohem Ansehen betrieb und sich nachweislich mit edlen vierbeinigen Spaniern und Italienern versorgte. Letzterer heiratete 1548 seine spanische Cousine Maria und verband damit die beiden habsburgischen Linien umso enger; in den folgenden 120 Jahren sollten dieser ersten spanisch-österreichischen Familienhochzeit noch sechs weitere folgen! Wir werden in den folgenden Kapiteln noch viele Querverbindungen zwischen Spanien, Österreich und dem „spanischen Italien“ entdecken… die drei Länder waren dynastisch, kulturell und ökonomisch über lange Zeiten eng miteinander verwoben.

Mit Maximilian sind wir bei jenem weltoffenen Habsburger angelangt, der in Wien und etwas später in Kladrub seine spanisch-italienische Zuchtherde unterbrachte, die Wiener Stallburg erbauen ließ und zahlreiche edle Pferde aus Spanien und Italien importierte. Er gründete in Mönchhof das wenig bekannte Hofgestüt östlich Wiens, das später im nahen Halbturn fortgesetzt wurde und einige Zeit lang große züchterische Bedeutung genoss. In seinem grandiosen Landschloss Neugebäude am Südrand von Wien richtete er noble Stallungen und daneben eine „Sporthalle“ ein, in der man reiten und Ball spielen u. a. konnte. Die Ställe und das sogenannte Ballhaus der heute in ruinösem Zustand stehenden Anlage, die aber noch immer den alten Glanz der prunkvollen Residenz atmet, sind im Rahmen von Führungen zu besichtigen. Auch dort befanden sich also kostbare Pferde – wie an so vielen Orten, wo die Habsburger lebten, repräsentierten oder sich dem hingaben, was wir heute als Pferdesport bezeichnen würden. Für diese Pferde wurden etwa ab dem frühen 16. Jahrhundert andere, neue Bedingungen geschaffen als sie im Mittelalter herrschten – man begann, Reiten als Kunst zu verstehen, die Pferdezucht als Passion noble zu betreiben und sich allem, was dazu gehörte, mit Akribie und Hingabe zu widmen. Diese Anfänge waren noch holprig, entbehrten der heute selbstverständlichen wissenschaftlichen Grundlagen und gebrachen am mangelnden Verständnis für das Wesen „Pferd“. Aber immerhin, es waren Anfänge und brachten uns nach und nach – binnen rund 150 Jahren – in die lichten Höhen der hippischen Kultur des Barocks. Die schönsten Zeugnisse dieser Entwicklung sind in den großen kulturellen Zentren Europas zu dieser Zeit zu finden, in Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland – und Österreich!

Kaiser Ferdinand I., in der Mitte Kaiser Maximilian II., rechts Erzherzog Karl II. von Innerösterreich; alle in historischen Darstellungen.

Die habsburgischen Hofgestüte, die Rassen Kladruber und Lipizzaner, die Spanische Hofreitschule und die Reitkunst ihrer Bereiter sind neben anderen die wunderbaren Resultate einer Epoche und Entwicklung, die das Pferd als integralen Bestandteil ihrer kulturellen Blüte empfanden.

„Das Dressurreiten wird Mittel zum Zweck, um Sieg oder Preisgeld zu erringen. Der individuelle, künstlerische Selbstzweck geht verloren. Strenge Bewertung nach Punkten und vorgeschriebene Lektionen zwängen Reiter und Pferd in ein Korsett. Kommerziell orientierter Wettbewerb vernichtet die Poesie des Reitens, überzogener wettbewerblicher Ehrgeiz degradiert das Pferd zum Sportgerät. Reiten allein um des Reitens Willen, das die Sorge um das Wohlergehen des Pferdes einschließt und keiner Vorgabe verpflichtet ist, kann zur Kunstform gedeihen.“

(Aus G. Kapitzke, Barocke Pferde, Kosmos 1997)

Prachtvolle Kladruber Rapphengste vor einem barocken Galawagen in originalen Geschirren.