Roy Rockwood

Bomba – im Wirbelsturm gestrandet

Band 14

 

 

 

2 Dem Tode nahe

Der Stoß war so gewaltig, dass die meisten Zuschauer wie von einer Riesenfaust zu Boden geschleudert wurden. Anderen gelang es, ihr Gleichgewicht zu behaupten, indem sie sich verzweifelt an festen Stützen anhielten.

Niemand konnte genau sagen, was geschehen war. Die heiseren Schreie und die Rufe, die vom Deck her erklangen, ließen sie alle aber erkennen, dass es sich um eine Gefahr handelte — eine Gefahr, die sie alle bedrohte.

Während des Krachens spannte Bomba seine Muskeln an und zerrte den schmerzenden Zahn aus dem Maul des Elefanten. Bei seiner Anspannung hatte er so verkrümmt gestanden, dass der Stoß ihn einen vollkommenen Salto nach rückwärts schlagen ließ. Mit der Behendigkeit einer Katze landete er wieder auf seinen Füßen. Wenn er auf die Knie gestürzt wäre, wäre sein Schicksal besiegelt gewesen, denn der Schmerz beim Zahnziehen hatte den hypnotischen Bann gebrochen, der den Elefanten bisher ruhiggehalten hatte. Das toll gewordene Tier fuhr herum und suchte seinen ‚Feind’ zu finden und zu zerstampfen. Blitzschnell war Bomba aber schon durch die offene Tür gehuscht und hatte sie hinter sich zugeschlagen.

„Schnell!“ befahl er Tobo, als er weitereilte, um seinen Vater vom Boden aufzuheben. Andrew Bartow war durch den Stoß mit solcher Wucht zu Boden geschleudert worden, dass er kurze Zeit betäubt war.

„Schieb den Riegel vor und folge Bomba dann auf Deck.“

Der Schwarze sprang vor, um den Befehl auszuführen. Dann hob Bomba seinen Vater hoch und eilte, ihn auf seinen Armen tragend, den Laufgang hinauf.

Das Deck des Dampfers bot ein Bild wilder Verwirrung. Die Matrosen liefen auf die Befehle des Kapitäns hin und her. Einige Passagiere versuchten, den Matrosen auszuweichen, während andere in wilder Panik Zuflucht in ihren Kabinen gesucht hatten.

Im ersten Augenblick dachte Bomba an einen Zusammenstoß. Ein schneller Blick über die Meeresfläche zeigte ihm aber, dass kein anderes Schiff in Sichtweite war. Vorsichtig legte er seinen Vater auf einen Deckstuhl und massierte ihm Stirn und Handgelenke, bis Mr. Bartow die Augen aufschlug.

„Was ist geschehen?“, fragte Bartow, als er die Verwirrung ringsum bemerkte und aufstehen wollte.

„Du bist gefallen“, antwortete Bomba ruhig und schob seinen Vater sanft und vorsichtig wieder in den Liegestuhl zurück.

„O ja, ich erinnere mich, der Elefant“, sagte Andrew Bartow, „aber da war noch etwas anderes. Was sollen dieser Wirrwarr und die Aufregung bedeuten?“

„Das weiß ich noch nicht, aber ich werde es herausfinden“, antwortete Bomba. „Zuerst muss ich dich aber an einen sicheren Platz bringen.“

Behutsam geleitete er seinen Vater in ihre Kabine, gab Gibo, der besorgt herumstand, Weisungen, für den Kranken zu sorgen, und eilte dann hastig auf das Deck zurück.

Dort erfuhr er, dass das Schiff auf einer Untiefe festsaß, die in den Seekarten nicht eingezeichnet war. Die Mannschaft arbeitete verzweifelt, um das Schiff aus seiner gefährlichen Lage zu befreien. Bei dem Aufprall hatten sich einige Nieten gelockert. Mehrere Matrosen versuchten unter der Leitung des Schiffszimmermanns das Leck abzudichten, während andere die Pumpen besetzten, um das Wasser, das durch die Risse strömte, wieder aus dem Schiff zu entfernen. Andere Matrosen hatten Boote ins Wasser gelassen und Taue an dem Heck des Dampfers befestigt. Sie ruderten verzweifelt, um mit ihrer Muskelkraft die Arbeit der Maschinen zu unterstützen und das festsitzende Schiff flott zu bekommen.

Bomba sah sich schnell um, wo er am besten helfend eingreifen konnte. Da kam Peabody mit geisterbleichem Gesicht zu ihm gelaufen. „Der Elefant ist los!“, schrie er.

„Was?“, rief Bomba. „Ich habe Tobo doch befohlen, die Tür zu schließen.“

„Dann war er wohl aufgeregt, dass er sie nicht fest genug schloss“, japste Peabody. „Jedenfalls ist der Elefant los und tobt und wütet da drunten. Wenn er nicht aufgehalten wird, wird er die Käfige zerschmettern, so dass die Löwen und Leoparden entkommen können. Du weißt genau, was das bedeutet.“

Ja, das wusste Bomba nur zu gut.

Schon eilte er in langen Sätzen in seine Kabine und kehrte gleich darauf mit seinem Gewehr zurück, um notfalls die furchtbare Gefahr im Keim zu ersticken, die unter Deck auszubrechen drohte.

Wafi, der Zulu-Riese, hielt ihn auf, als er gerade den Laufgang erreichte.

„Lass Wafi mit Bomba gehen“, bat er. „Wafi hat seinen Speer.“

„Nein, Wafi“, antwortete Bomba, „ich weiß, Wafis Herz ist tapfer, aber was würde sein Speer gegen die zähe Haut eines Elefanten nützen? Bomba geht allein.“

Im nächsten Augenblick eilte er schon die Treppe hinunter und in den Laderaum. Rasch sah er, dass die Verwirrung weit größer war, als er vermutete. Der Laderaum sah aus, als ob ein Wirbelsturm gewütet habe. Ballen und Kisten war zerbrochen beiseite geschleudert worden. Alle Tiere in ihren Käfigen brüllten, schrien und kreischten in wilder Erregung. Der Elefant rannte auf und ab; mit dem schwingenden Rüssel fegte er jedes Hindernis aus seinem Pfad und stampfte in wildem Zorn alles zusammen, was er vorfand. Gleichzeitig trompetete er seinen Trotz und seinen Hass gegen alles hinaus. Zwar waren die Käfige mit den Löwen und den anderen Elefanten noch unbeschädigt — jeden Augenblick konnten sie aber bei einem der wilden Angriffe des Dickhäuters zerbrochen werden und ihre Gefangenen freigeben. Bomba wagte nicht, sich auszumalen, was dann geschehen würde.

Aber schon hatte ihn das verrückt gewordene Tier gesehen. Ohne zu zögern, griff es an. Mit einer erstaunlichen Gewandtheit sprang Bomba hinter einen nahen großen Ballen. Nur wenige Zoll verfehlten ihn der peitschende Rüssel und die wilden Stoßzähne. Als der Dickhäuter an ihm vorbeirannte, bot seine Riesengestalt ein leichtes Ziel. Bombas Zeigefinger blieb aber ruhig am Abzug. Eine Kugel hätte gegen die dicke Lederhaut nicht mehr erreicht, als eine Erbse aus einem Blasrohr in der Hand eines Kindes.

Unvermittelt bremste der Elefant seinen stürmischen Angriff und drehte sich, um ihn zu erneuern. Die kurze Pause vor dem neuen Anlaufen besiegelte sein Schicksal. Als sich der gewaltige Kopf wandte, hatte Bomba das Ziel, das er wollte: das rechte Auge. Im gleichen Augenblick schoss er. Langsam sank der Elefant auf seine Knie, dann rollte er zur Seite. Einige Sekunden zitterte die Riesengestalt noch, dann lag sie still. Mit schussbereitem Gewehr näherte sich Bomba dem gefallenen Urwaldriesen. Er war bereit, ihm, wenn nötig, den Gnadenschuss zu geben. Aber ein zweiter Blick sagte ihm, dass er keine neue Kugel brauchte.

Peabody, der den Kampf aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

„Bewundernswert!“, rief er. „Aber wie konntest du nur die Nerven so im Zaum halten und so sicher schießen? Das begreife ich einfach nicht. Ich habe schon gehört, dass du ein gewaltiger Jäger und ein gefürchteter Kämpfer bist, aber ich muss gestehen, dass ich diese Geschichten nie recht geglaubt habe. Jetzt weiß ich, dass sie wahr sind.“

„Mir tut der Elefant leid“, sagte Bomba, „aber es musste geschehen.“

„Du sagst, dass es geschehen musste“, erklärte Peabody, „aber trotzdem ist kein Mann an Bord, der versucht hätte, ihm entgegenzutreten. Wenn der Elefant die Käfige zerschmettert hätte — und das war jeden Augenblick zu erwarten — dann hätte es viele Menschenleben gekostet. Natürlich habe ich den Elefanten nicht gern verloren, aber mein Verlust ist nicht so groß, denn meine ganze Ladung ist versichert. Die Passagiere und die Besatzung schulden dir Dank, so viel Dank, dass sie es dir nie vergelten können.“

Bomba, der wie immer keine Lobreden hören wollte, lächelte nur und eilte an Deck. Sofort erkannte er, dass sich die Lage während seines Aufenthaltes unter Deck verändert hatte. An der Backbord-Reling drängten sich erregte, schreiende Passagiere und Matrosen. Sie beobachteten etwas, was unter ihnen im Meer vorging.

„Was ist denn los?“, fragte er Gibo, der auf die Bitte Mr. Bartows den Patienten verlassen hatte.

„Mann über Bord“, rief Gibo. „Er hat den Elefanten gehört und geglaubt, die wilden Tiere seien alle ausgebrochen. Er bekam Angst und sprang in seinem Schreck ins Wasser.“

Bomba brach sich schnell eine Bahn zu der Reling. Drunten sah er einen Mann, der ihm als Lester Groop bekannt war, in den Wellen wild um sich schlagen. Matrosen hatten bereits Taue ausgeworfen; eben wurde ein neues Boot in das Wasser gelassen. Aber keines der Taue war auch nur in die Nähe des unsicheren Schwimmers gelangt.

„Der Mann ertrinkt“, schrie Gibo und sprang auf die Reling. „Gibo springt.“

Wafi zog ihn wieder zurück.

„Das Boot wird ihn holen“, grollte er.

Plötzlich aber tauchte etwas anderes auf, das den Unglücklichen zu „holen“ drohte. Bomba erkannte sofort, was dieses „Etwas“ war und riss blitzschnell sein Gewehr an die Schulter.

1 Eine wagemutige Tat

„Hörst du die zornige Stimme des Löwen?“ rief Wafi, ein riesiger Angehöriger des Zulu-Stammes, dessen kriegerische Scharen jahrhundertelang in Südafrika Schrecken verbreitet hatten. Seine Worte wurden ergänzt von einem furchtbaren Brüllen aus dem Innern des Schiffes, das sich auf einer Fahrt über den Indischen Ozean befand.

„Er hat auch allen Grund für seinen Zorn“, antwortete Tobo, ein Mann, der etwas zierlicher gebaut war und dessen Hautfarbe heller war als die Wafis. „Ihm fehlt der Dschungel. Das wilde Schaukeln der Wellen aber muss ihm missfallen.“

„Dennoch würde er seine Stimme nicht so laut erschallen lassen, wenn er wüsste, dass Bomba, der Herr des Dschungels, sich auch auf diesem Schiff befindet“, sagte ein dritter, der sich stark von seinen zwei Gefährten unterschied. Seine Züge waren die eines südamerikanischen Indianers. „Dann würde er nämlich fürchten, Bombas Ärger zu erregen.“

Der Ausdruck, der auf Tobos Gesicht erschien, drückte leise Zweifel aus.

„Bomba ist fürwahr ein gewaltiger Krieger“, gab er zu, „aber Gibo spricht ja, als ob Bomba einer der Götter sei."

„Nein“, widersprach Gibo sofort, „keiner der Götter, aber doch einer der Stärksten unter den Männern. Wer ist schon fähig, sich ihm zu stellen? Wenn er angreift, werden die Herzen seiner Feinde vor Furcht weich wie Wachs in der Sonne. Nie verfehlt sein Pfeil das Ziel. Kein Auge ist so scharf, kein Fuß so behende, kein Arm so stark, kein Herz so tapfer. Im Dschungel ist er —“

In seiner Begeisterung hatte Gibo immer lauter gesprochen. Jetzt aber brach er verwirrt ab, als die zwei Gestalten, die an der Reling des Schiffes gestanden hatten, sich ihm zuwandten und ihn belustigt, aber auch liebevoll betrachteten.

„Natürlich singst du wie üblich sein Loblied“, sagte Andrew Bartow, der ältere der beiden, lächelnd.

„Gibo macht immer zu viel Worte um Bombas Taten“, ergänzte der jüngere, kein anderer als Bomba selbst, seinen Vater. „Ich glaube, hier spricht Gibos Herz, und es spricht zu laut.“

„Aber keineswegs, mein Sohn“, antwortete sein Vater. „Du darfst nicht vergessen, ich habe dich selbst im Kampf gesehen, und ich muss feststellen, dass Gibo nicht übertreibt.“

Sein Anblick war ungewöhnlich. Obwohl an Jahren wenig älter als ein Junge, war er doch größer als ein durchschnittlicher Mann. Sein Körper war kräftig und wirkte doch geschmeidig wie der eines Panthers; die Muskeln, die unter der Haut seiner gebräunten Arme und Schultern spielten, verrieten ungewöhnliche Körperkräfte. Seine Gesichtszüge waren fein gemeißelt, seine Stirn war breit. Seine Augen blickten kühn und furchtlos. So war er tatsächlich die Idealgestalt eines jungen Mannes, jemand, den man schon seinem Äußeren nach lieber zu seinen Freunden als zu seinen Feinden zählen wollte. Der Eindruck von Kraft wurde noch durch seine Kleidung unterstrichen, die in starkem Gegensatz zu der Kleidung seines Vaters stand. Bomba behielt immer noch die Kleidung bei, die er im Dschungel getragen hatte. Es war ihm bewusst, dass er sie ablegen musste, wenn er England, das Ziel des Dampfers, erreichte. Aber er wollte sie so lange wie möglich tragen. Diese Tracht war sehr einfach. Sie bestand aus einem enganliegenden Hemd, geflochtenen Sandalen und einem Raubtierfell, das über seine Brust geschlungen war und von seinen Schultern herabhing. Es war das Fell Geluks, des Pumas, den er vor langer Zeit einmal erlegt hatte. In seinem Gürtel steckte ein zweischneidiges Messer, das äußerst scharf geschliffen und fast einen Fuß lang war — es war eine schreckliche Waffe, die er genauso gut auch als Wurfgeschoss benutzen konnte und die ihm schon manchmal das Leben gerettet hatte. Bogen und Pfeile, die Waffen, mit denen er am vertrautesten war, hatte er im Augenblick abgelegt. Sonst aber war seine Ausrüstung die gleiche, in der er den Dschungel von Südamerika und Afrika durchstreift und sich wilden Bestien und noch wilderen Menschen gestellt hatte.

„Hast du dich schon etwas erholt?“, fragte er seinen Vater.

„Ja“, antwortete Andrew Bartow, dessen Gesicht noch deutlich die Spuren einer schweren Erkrankung zeigte, die er eben überstanden hatte, „ich glaube, ich erhole mich schnell. Die Seeluft würde mir noch mehr guttun, wenn mir die erbärmliche Hitze nicht so sehr zusetzte. Selbst im Dschungel war es nicht so heiß, wie hier im Indischen Ozean. Manche Nacht finde ich überhaupt keinen Schlaf. Es wird aber bestimmt besser, wenn wir wieder die kühle Brise des Atlantiks fühlen.“

Wieder schwoll das Gebrüll des Löwen drohend an. Die beiden achteten aber nicht allzu viel darauf; sie waren zu sehr an das Gebrüll gewöhnt, das weniger furchtlose Männer eilig Deckung suchen lässt, wenn es im Dschungel erklingt.

Die Matrosen freilich zeigten diese Gleichgültigkeit nicht. Sie zuckten bei dem Brüllen zusammen und sahen einander unruhig an.

„Bill, das gefällt mir nicht“, sagte ein Matrose zu einem anderen, der eben einige Taue zusammenspleißte.

„Mir auch nicht, Jade“, antwortete sein Kamerad und schob den Kautabak in die andere Backe; „es ist einfach nicht natürlich, dass die Bestien, die auf dem Land bleiben sollten, hier über den Ozean fahren. Ja, wenn es Haie wären oder Teufelsfische, das wäre schon etwas Vernünftiges, und man könnte es verstehen, aber diese Dschungelbestien gehören nicht auf ein Schiff, und ich werde das bis zu meinem letzten Atemzug behaupten.“

„Du kannst mein Wort darauf nehmen, es wird uns umbringen“, erklärte Bill mit ernster Miene. „Man kann den Gesetzen der Natur nicht einfach trotzen und damit durchkommen. Mich sollte es nicht wundern, wenn wir dadurch noch in einen Sturm geraten, der uns alle in das tiefste Loch des Meeres jagt.“

„Uff, da haben wir noch gar nicht erwähnt, dass die Bestien jederzeit aus ihren Käfigen ausbrechen und einige von uns verschlingen können“, ergänzte Jack düster. „Ich kann einfach nicht verstehen, was der Kapitän dachte, dass er die ganze ausgemachte Menagerie an Bord kommen ließ.“

„Ach, der würde doch für Geld alles tun“, sagte Bill in einem widerwilligen Ton, der am besten zeigte, wie der Kapitän von seinen Matrosen eingeschätzt wurde.

Was macht es ihm denn schon aus, wenn einige Matrosen von Löwen zerrissen oder von Schlangen verschlungen werden?“

„Oder von Elefanten zertrampelt“, warf Jack ein. „Hör doch einmal! Was ist das jetzt wieder?“

In diesem Augenblick erklang ein wildes Trompeten unter Deck, das Trompeten eines Elefanten, der in Wut geraten war oder Schmerzen hatte.

„Ich frage mich, was mit ihm los ist“, überlegte Bill.

„Da musst du schon eine leichtere Frage stellen“, antwortete Jack. „Ich sage nur das eine: Ich möchte jetzt nicht in Reichweite seines Rüssels sein.“

In diesem Augenblick kam auf einer Treppe ein Mann mit besorgter Miene aus dem Schiffsinneren heraus und wandte sich an Bomba, der immer noch bei seinem Vater an der Reling stand.

„Gerade der, nach dem ich suche!“ rief er.

Bomba erkannte in ihm Peabody, den Besitzer der Raubtiere, die nach London befördert werden sollten.

„Ja?“, sagte Bomba freundlich und wartete.

„Weißt du, es handelt sich um den Elefanten“, fuhr der Mann fort; „hast du ihn gehört?“

Bombas Vater musste lachen.

„Man könnte ihn meilenweit hören", sagte er. „Was ist denn mit ihm los?“

„Er hat Zahnschmerzen“, antwortete Peabody.

„Dann kann man ihm auch das Gebrüll nicht übelnehmen“, sagte Mr. Bartow. „Können Sie denn für den armen Kerl gar nichts tun?“

„Das ist ja gerade der Kummer“, klagte Peabody. „Wenn ich in seine Nähe könnte, würde ich ihm vielleicht den Zahn ziehen können. Ich weiß genau, welcher es ist; ich habe schon einige Tage, ehe die Schmerzen einsetzten, bemerkt, dass er ziemlich schadhaft war. Ich habe auch die Zangen, um den Zahn zu ziehen“, fuhr er fort und zeigte ein gewaltiges Instrument, das er mit sich führte, „aber er ist vor Schmerzen so gereizt, dass ich es einfach nicht wage, in seine Nähe zu kommen.“

„Das ist aber sehr schlimm“, murmelte Mr. Bartow teilnehmend.

„Und deshalb habe ich gedacht“, fuhr Peabody etwas verlegen fort und wandte sich an Bomba, „dass du vielleicht die Güte hast, hier einen Versuch zu machen.“

„Dem tollen Elefanten den Zahn zu ziehen?“, warf Bombas Vater erstaunt ein. „Aber Mann, das ist doch lächerlich, ja das ist ungeheuerlich! Es könnte Bomba das Leben kosten.“

Bomba hatte im Augenblick noch nicht geantwortet.

„Das weiß ich ja“, fuhr Peabody etwas verwirrt fort, „es ist auch außerordentlich dreist von mir, überhaupt den Vorschlag zu machen, aber Bomba versteht es wundervoll, mit Tieren umzugehen. Ich habe es bemerkt —“ jetzt wandte er sich direkt an den Jungen, „als du die Tiere ansahst. Soll man es Hypnose nennen oder Magnetismus, jedenfalls besitzt du es. Du hast den Tieren irgendwie gefallen, denn du kannst bei ihnen Dinge tun, die einem anderen unmöglich wären. Ich dachte daher, deine Gabe könnte auch bei dem Elefanten helfen.“

„Ich will es versuchen“, erklärte Bomba. Er nahm dem Tierhändler die Zange ab und schickte sich an, ihm zu folgen.

„Aber Bomba —“ sagte Mr. Bartow, der sichtlich verwirrt war.

„Nur keine Angst, Vater, mir wird nichts geschehen“, erwiderte Bomba.

Dann winkte er Peabody, der begonnen hatte, wortreich zu danken.

Bei jedem Schritt den sie zurücklegten, wurde der Lärm lauter. In das Brüllen des Löwen und das Trompeten des Elefanten mischte sich das Fauchen von Leoparden, das Kreischen von Hyänen, das Zischen von Schlangen und das Schnattern der Affen; diese Laute verschmolzen zu einem großen Lärm.

Andrew Bartow war kurz entschlossen seinem Sohn gefolgt. Gleich darauf tauchten auch die drei getreuen dunkelhäutigen Freunde Bombas auf — Wafi, Tobo und Gibo. Sie hatten nahe genug gestanden, um das Gespräch zwischen den Bartows und Peabody mit anzuhören.

Das gequälte Geschöpf, ein riesiger Elefant mit gewaltigen Stoßzähnen, beobachtete mit einem bösartigen Glanz in den wilden Augen, wie sie herankamen. Dann schob er seinen Rüssel durch eine Öffnung zwischen den schweren Balken, die den Käfig bildeten, und schlug damit wütend nach Peabody, als dieser näher herantrat. Peabody wich erschrocken zurück. Bomba nahm sofort seinen Platz außerhalb der Reichweite des hin und her peitschenden Rüssel ein. Dann begann er leise und ruhig auf das vor Schmerz rasende Tier einzusprechen. Seine Worte wirkten wie ein Zauber; sofort, wenn auch ganz langsam, sank der Rüssel herab. Die wilden Augen verloren ihren Glanz. Immer noch sprach Bomba monoton und beruhigend, bis das Tier fast in einen hypnotischen Bann zu geraten schien. Der furchtlose Junge nutzte das sofort aus. Blitzschnell öffnete er die Tür des Elefantenkäfigs und trat ein. Er murmelte pausenlos weiter, ergriff den Rüssel und zog vorsichtig das gewaltige Maul auf. Peabody hatte ihm schon beschrieben, wo der schadhafte Zahn war. Jetzt sah er es selbst, setzte die Zange an und spannte seine Muskeln zu einem mächtigen Ruck.

Aber im gleichen Augenblick ertönte ein furchtbares Krachen, und das Schiff erbebte vom Bug bis zum Heck.

3 Die tödliche Kugel

Was Bombas scharfes Auge entdeckt hatte, war eine schwarze, dreieckige Flosse, die kaum über der Meeresoberfläche auftauchte, sich aber doch mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges näherte.

Ein Hai! Einer der furchtbaren Räuber des Meeres hatte eine Beute gewittert und kam herangeschossen. Unter der drohenden dreieckigen Flosse konnte Bomba den langgestreckten Fischkörper erkennen, der pfeilschnell durch die grünen Wogen des Ozeans heranjagte. Jetzt hatten auch andere Männer die Flosse entdeckt. Und wilde Schreie erklangen:

„Ein Hai! Ein Hai!“

Der Schwimmer hatte die Warnung gehört. Man sah, wie er den Kopf verzweifelt herumriss. Das Boot war in der Zwischenzeit im Wasser. Weit beugten sich die Männer vor, verzweifelt schlugen ihre Ruder taktmäßig ins Wasser. Aber jeder konnte sehen, dass sie den Mann nicht rechtzeitig erreichen würden.

Peng! Wieder erklang der peitschenartige Knall von Bombas Gewehr, und eine Kugel schlug in das lange, schlanke Seeungeheuer. Ein zweiter Schuss folgte so schnell, dass sich das Krachen der Schüsse fast zu einem vermischte. Wild wirbelte das gerötete Wasser auf, als sich nun der getroffene Hai in Todeszuckungen herumwarf.

Als der Schrecken der Meere langsam in den Tiefen versank, jubelten die Zuschauer vor Freude auf. Sie drängten sich um Bomba, schlugen ihm begeistert auf die Schulter und schüttelten ihm die Hand. Bomba waren die Lobesbezeugungen peinlich. Daher suchte er nach einer Möglichkeit, wieder in die Kabine zu entkommen. Aber seine Begleiter wollten das nicht zulassen. Eine Weile war er geradezu ihr Gefangener. Seine getreuen Diener waren vor Begeisterung fast verrückt geworden; besonders Gibo brach immer wieder in einen Jubelgesang aus.

„Groß ist Bomba“, rief er, „gewaltig ist er im Dschungel, gewaltig ist er auf dem Meere. Der mächtige Elefant bricht vor ihm in die Knie, der Haifisch schließt im Tod seine Augen, niemand zu Lande oder zu Wasser kommt Bomba gleich.“

„Bist du wohl ruhig, Gibo“, befahl Bomba, der vor Unbehagen errötete.

„Beim Jupiter, der Indianer hat aber kein Wort zu viel gesagt“, erklärte Peabody, der ebenfalls ein begeisterter Zuschauer gewesen war. „Dieser Mut, diese eiskalten Nerven und die Schnelligkeit, mit der er so sicher geschossen hat! Wenn ich je das Pech habe, in einen Kampf zu geraten — so habe ich nur den einen Wunsch, dass Bomba an meiner Seite steht.“

In der Zwischenzeit hatten die Matrosen in ihrem Boot den gefährdeten Schwimmer erreicht und zurückgebracht. Eben wurde er an Deck gehoben. Jetzt wandten sich alle Augen ihm zu, und das ermöglichte es Bomba, eilig davonzuhuschen. Er lief sofort in die Kabine, die er mit seinem Vater teilte. Dort fand er Wafi, Gibo und Tobo, der sehr verlegen war, weil durch seine Achtlosigkeit der Elefant aus dem Käfig entkommen war.

„Wie ich höre, bist du wieder bei deinen alten Streichen“, sagte Mr. Bartow, liebevoll und stolz lächelnd.

„Ach“, murmelte Bomba und nahm an der Seite seines Vaters Platz, „einer musste schnell handeln. Und so blieb mir nichts anderes übrig, wenn es nicht zu spät sein sollte. Das ist alles.“

„Ja das ist alles“, bemerkte sein Vater sarkastisch; „wenn du es so schnell sagst, dann scheint es nichts von Bedeutung zu sein. Ein Menschenleben hast du durch die Erlegung des Haies bestimmt gerettet — wahrscheinlich noch viele andere vor dem Tod durch die wilden Tiere. Das hat schon Mut und Geschick erfordert.“

„Und wie fühlst du dich, Vater?“, fragte Bomba.

„Ganz in Ordnung, bis auf ein kleines Schwindelgefühl“, lautete die Antwort. „Ich bin mit dem Kopf beim Sturz aufgeschlagen und habe eine Beule. Wie steht es denn mit dem Schiff? Können sie es von der Untiefe wieder flottmachen?"

„Das geht nicht so schnell“, antwortete Bomba, „aber jedenfalls arbeitet die Mannschaft mit allen Kräften.“

Andrew Bartow runzelte die Stirn.

„Ich glaube doch, dass wir einen Fehler gemacht haben, als wir in Mombasa nicht auf den regulären Dampfer gewartet haben und uns stattdessen auf diesem Tramp-Dampfer einschiffen. (Tramp-Dampfer sind Dampfer, die keine feste Linie mit bestimmten Fahrplänen befahren, sondern Fracht nehmen, wo und mit welchem Ziel sie diese bekommen.) Ich muss ehrlich sagen, mir gefällt weder die ‚Pamela‘ noch ihr Kapitän, noch ein Teil der Mannschaft. Die Fracht von wilden Tieren ist auch nicht gerade das, was ich wünsche. Doch was hat es für einen Sinn, dass ich jetzt damit anfange? Wir sind mitten im Indischen Ozean und müssen eben das Beste aus der Sache herausholen.“

Die farbigen Diener zogen sich aufs Oberdeck zurück, wo sie sich sofort wieder in dem Ruhm ihres Herrn und Meisters sonnten. Stolz aufgerichtet stolzierten sie herum. Gibo neigte dazu, einen Teil der Ehre für sich selbst zu beanspruchen.

„Ich habe zu meinen Göttern gebetet, als Bomba in den Bauch des Schiffes hinabstieg“, sagte er, „und sie haben ihn vor der Wut des Elefanten bewahrt.“

„Gibo hat gebetet“, erwiderte Wafi spöttisch, „aber Wafi hat dem Herrn seinen Speer angeboten.“

Das erschien als eine praktische Handlung, und Gibo war für den Augenblick verblüfft. Er fasste sich aber schnell wieder.

„Das war ein billiges Angebot. Wafis Speer hätte gegen den Elefanten nichts ausrichten können.“

„Vielleicht nicht“, antwortete der Zulu hoheitsvoll, „aber Wafi hätte es riskiert, zusammen mit seinem Herrn zu sterben.“

„Und hat Gibo das nicht öfter getan, als Wafi Finger an beiden Händen hat?“, lautete die hitzige Antwort. „Gibo war im Dschungel des Amazonas bei dem Herrn und in Afrika auch. Wafi war nur in Afrika bei ihm.“

Tobo schaltete sich als Friedensstifter bei den beiden ein, die sich trotz häufiger Streitereien doch als Kameraden aufrichtig gernhatten.

„Wafi und Gibo sollen nicht wie die Mädchen des Stammes streiten, die an der Quelle plappern“, sagte er. „Wafi und Gibo würden beide jederzeit für Bomba sterben. Lasst es gut damit sein.“

Eine halbe Stunde später unterhielten sich Bomba und sein Vater ruhig in der Kabine, als an die Tür geklopft wurde. Der Junge sprang auf, um zu öffnen. An der Schwelle stand Lester Groop, der Mann, den Bomba vor dem sicheren Tode des Ertrinkens gerettet hatte. Er war etwa dreißig und unter Mittelgröße, sein Äußeres war gepflegt; doch schien er etwas furchtsam zu sein. Er schaute durch seine Brille mit Hornrand ein wenig verlegen auf Bomba und seine Gefährten.

„Vielleicht störe ich“, sagte er, als er Mr. Bartows Einladung annahm, einzutreten und Platz zu nehmen, „aber ich konnte einfach nicht ruhen, ehe ich dem Mann gedankt hatte, der mich vor dem Hai rettete.“

Bomba winkte bescheiden ab.