Kevin Brooks
Devil’s Angel
Ein gefährlicher Freund
Aus dem Englischen von
Uwe-Michael Gutzschhahn
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© dtv/Beatrice Habersaat
Kevin Brooks, geboren 1959, wuchs in einem kleinen Ort namens Pinhoe in der Nähe von Exeter/Südengland auf. Er studierte in Birmingham und London. Sein Geld verdiente er lange Zeit mit Gelegenheitsjobs. Seit dem überwältigenden Erfolg seines Debütromans ›Martyn Pig‹ ist er freier Schriftsteller. Für seine Arbeiten wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Uwe-Michael Gutzschhahn, geboren 1952, studierte deutsche und englische Literatur in Bochum und lebt als Übersetzer und Autor, Herausgeber und freier Lektor in München. Er hat alle auf Deutsch erschienenen Bücher von Kevin Brooks übersetzt.
Jack weiß sofort, dass Dean etwas Besonderes ist, als der zum ersten Mal an seiner Schule auftaucht. Die zwei werden Freunde und träumen davon, eine Band zu gründen. Gemeinsam durchleben sie eine wilde Zeit, doch unter all der üblichen Teenager-Rebellion liegt bei Dean immer auch etwas Dunkleres, das mehr will – mehr Wildheit, mehr Gewalt …
Deutsche Erstausgabe
2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2007 Kevin Brooks
Titel der englischen Originalausgabe:
»The Devil’s Angel«, 2015 erschienen bei Barrington Stoke Ltd, Edinburgh
© der deutschsprachigen Ausgabe:
2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Lektorat: Britt Arnold
Umschlaggestaltung: Alexandra Bowien unter Verwendung eines Fotos von Alamy
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eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-42997-9 (epub)
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ISBN (epub) 9783423429979
Als ich Dean zum ersten Mal begegnete, waren wir beide fünfzehn.
Der Sommer war schon halb vorbei, als er plötzlich in der Schule auftauchte. Niemand wusste, wer er war oder woher er kam. Es gab keinen großen Wirbel, auch keine Ankündigung. Eines Tages kam er einfach in die Klasse, ganz allein, und setzte sich auf einen Platz.
Ich tat so, als würde ich ihn nicht beachten, und genauso verhielten sich auch die andern. Er war ein Neuer und mit Neuen redet man natürlich nicht. Man macht einfach weiter, womit man beschäftigt ist. In unserem Fall war das nicht gerade viel. Es war die erste Stunde nach der Vormittagspause und wir hingen alle bloß rum und warteten auf unseren Kunstlehrer.
In der Klasse war es laut, aber nicht übertrieben laut. Es herrschte Chaos, aber kein übermäßiges Chaos. Die meisten saßen nur da, unterhielten sich und versuchten cool zu wirken. Ein paar Jungs standen am Fenster und beobachteten die Mädchen von der Klosterschule auf der anderen Straßenseite.
Natürlich sahen wir alle immer wieder zu Dean. Wir checkten ihn ab, doch das schien ihm nichts auszumachen. Er saß bloß da, so cool, wie du es dir nur vorstellen kannst, kaute an einem Bleistift, schaute sich in der Klasse um und registrierte alles.
Selbst da, bevor wir ein Wort miteinander gesprochen hatten, wusste ich bereits, dass etwas Besonderes von Dean ausging. Ich wusste nicht, was dieses Besondere war, und mir war auch nicht klar, ob es mir gefiel oder nicht, ich wusste lediglich, es war etwas, dem ich mich nicht entziehen konnte.
Dean war ein schlanker, ziemlich harter Typ, der mit seinen dunkelblonden Haaren aussah wie ein Engel des Teufels. Sein Gesicht war blass mit scharfen Kanten, und die Augen leuchteten grün wie das Herz einer eisigen Flamme. Wenn er lächelte, prickelte einem die Haut.
Jetzt lächelte Dean. Er lächelte vor sich hin, als er einen Jungen namens Carter fixierte. Carter stand drüben am Fenster und laberte jeden, der zuhörte, mit irgendwelchem Mist voll. Carter war der übelste Typ auf der ganzen Schule. Er war weder richtig groß und auch nicht überaus stark, aber brutal. Und ziemlich durchgeknallt – ein kleiner Psycho.
Ich weiß noch, wie wir mal vor der Essensausgabe in einer Reihe standen und ein Junge namens Ross aus Versehen Carter anrempelte und dabei seine Dose Cola auf ihn verschüttete. Ross versuchte sich noch zu entschuldigen, aber Carter hörte ihm gar nicht zu. Er zeigte ihm nur ein frostiges Lächeln, zog ein Messer aus der Tasche und stach es Ross ins Bein.
Einfach so.
Carter blinzelte nicht mal.
Er stach einfach zu – wummm! – und verschwand.
Wie auch immer, Dean beobachtete Carter jetzt jedenfalls. Beobachtete ihn wie ein Habicht. Ich war mir nicht sicher, ob Carter es überhaupt merkte, doch mir war klar, dass jeden Moment etwas passieren würde. Ich spürte die Spannung in der Luft. Sie wirkte schwarz und aufgeladen, wie unmittelbar vor einem Gewitter, wenn eine merkwürdige Stille herrscht. Ein paar der anderen Jungs schienen es auch zu spüren. Sie hörten auf zu reden. Und auf einmal war die Klasse absolut still.
Alle schauten und warteten. Ihre Blicke sprangen zwischen dem neuen Jungen und Carter hin und her.
Dean rührte sich eine Weile nicht. Er machte nichts, sondern saß nur da und sog die Stimmung der Klasse ein. Er lächelte immer noch vor sich hin, starrte weiter und wirkte weiter ganz ruhig. Seine Augen waren zu einem blassen grünen Eisschimmer erkaltet.
Er wartete, bis es fast völlig still war. Dann stand er – ohne ein Wort – auf, ging durch die Klasse und rammte Carter die Faust gegen den Kopf. FUMPPP!
Es war unglaublich – die Kraft, der Schock. Es war wie eine Szene im Film. Carters Kopf ruckte mit einem widerlichen Knacken zurück und er stürzte zu Boden, als wenn er tot wäre. Eine Schrecksekunde lang dachte ich wirklich, dass Carter tot war. Ich sah nicht die kleinste Bewegung. Er stöhnte nicht, seufzte nicht oder hielt sich den Kopf, sondern lag einfach nur da, mit dem Gesicht nach unten, leblos wie eine kaputte Puppe.
Gott, dachte ich, er ist tot. Der Neue hat ihn umgebracht.
Doch dann – gerade als ich das Schlimmste befürchtete – sah ich, wie Carters Fuß zuckte. Es war keine große Bewegung, nur ein winziger Reflex, aber für mich reichte das. Und auch für Dean. Jetzt, als er beruhigt war, dass Carter noch lebte, zerrte er ihn auf die Füße und prügelte immer weiter auf ihn ein.
Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Deans Fäuste waren wie Hämmer, die Carters Gesicht zu Brei schlugen.
Bamm, bamm, bamm.
Klatsch, klatsch, klatsch.
Es war unglaublich. Atemberaubend. Wir waren viel zu schockiert, um uns zu rühren. Wir standen nur staunend da, während Dean weiter seine Fäuste in Carters Kopf rammte. Bamm, bamm, bamm. Klatsch, klatsch, klatsch. Wieder und wieder.
Und die ganze Zeit sagte Dean kein einziges Wort. Er fluchte nicht. Er schrie nicht. Er stieß keinen einzigen Laut aus. Er ächzte nicht mal, sondern schlug einfach weiter auf Carter ein, prügelte gnadenlos vor sich hin.
Dann kam der Kunstlehrer in die Klasse, riss Dean zurück und zerrte ihn von Carter weg.
Ich weiß noch viel von dem Tag. Ich weiß noch, wie ich die andern Jungs ansah und den verstörten Blick in den Gesichtern erkannte. Ich weiß noch, wie die Schulschwester hereinkam und Carters blutenden Kopf in ihre Arme schloss. Aber vor allem weiß ich noch, wie sich Dean, während der Lehrer ihn aus der Klasse führte, umdrehte und mich anlächelte.
Er sah so unschuldig aus wie ein kleines Kind.