Titus Müller

Vom Glück zu leben

Das kleine Buch für Lebenskünstler

Text auf S. 100 aus:

© 2013 Brunnen Verlag Gießen

Inhalt

Vom Glück zu leben

Zu diesem Buch

Heimlich verbündet

Kleine bunte Zettel

Kopfrechnen und Schuhe zubinden

Der Flügelschlag einer Mücke

Gedichte, Mühlen und verlassene Bahnwärterhäuser

Was Robinson Crusoe glücklich machte

Die zauberhafte Schönheit des Morgens

Dem Einerlei entkommen

Zeitreise

Mahnungen am Kühlschrank

Du hast Zeit

Vom Glück zu leben

Raumstationen und Freizeitparks

Vom Fernwehschrei einer Lokomotive

Besser eine Hand voll mit Ruhe

Glasmurmeln

Manchmal genügt ein Bahnhofsdach

Geschlossene Augen

Warum hat der Mann einen Hut auf?

Minuten trinken

Ein Kompliment an die Nase

Der Käfig ist offen

Der Rat der Sonnenuhr

Freiheit

Zeitpuffer

Freiwillig Französisch

Mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne schauen

Durch die Stadt laufen

Die Faszination des Lebens

Respektlose Biber

Kurskorrektur

Vom Schlafen und Träumen

Ein König, ein Löwe und ein Kind

Dringendes und Wichtiges

Klettern nur bis zwölf Jahre?

Tun Sie mal wieder etwas Sinnloses!

Die Zeit vergessen

Warum uns 4 × 7 gefällt

Wir und der Rest der Welt

Bin ich liebenswert?

Alte Briefe und ein Fußbad

Freude an neuen Ideen

Eine zerrissene Jacke gibt Freiheit

Das kleine Buch für Lebenskünstler

Positive Vorurteile

Der Duft von Sonnencreme

Der „Ich-koste-alles-pur“-Tag

Unerfüllte Wünsche

Wolkentage

Ein Leben, das Danke sagt

Regen in London

Banksy verblüfft die Welt

Herr S.

Privilegien

Manager

Quakenbrück und Goldene Klinke

Gut von sich denken

Jubeljahre

Mit anderen lächeln

Gott spielt im Dunkeln Gitarre für mich

Ein Nest mitten im Weltraum

Warnungen im Kopf

Wie Gott uns berührt

Wir dürfen nicht blind werden

Alte Leute mit Humor

Adventskalender

Mann, Frau, Leistung

Mein außerirdischer Freund

Gras, Luft, Licht

„Schuhe kaputt?“

Charlie Chaplin

Hören wir noch zu?

Heute lebe ich!

Mehr wäre möglich

Barfuß im Schnee

Picknick im Reichstag

Das Bild im Kopf

Bauen, Forschen, Herrschen

Auf den zweiten Blick

Theaterprobe

Ein funkelnagelneues Fahrrad

Verspielt durch den Alltag

Die Wunde

Wir sind alle mal Tölpel

Keine Angelhaken schlucken

Vom Glück zu leben

Zu diesem Buch

Wer legt sich heute noch auf eine Wiese und schaut den Wolken nach? Wer kennt noch Dämmerstündchen mit gegenseitigem Geschichtenerzählen? Wir rattern durch den Tag wie kleine Aufziehpuppen, ständig überdreht. Einmal richtig abzuschalten, das fällt uns schwer.

Mir jedenfalls ging es so, und deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Ich wollte herausfinden, wie man die kleinen Wunder des Lebens wieder aufspürt.

Titus Müller

Heimlich verbündet

Haben Sie einmal einen Fremden angelächelt und Ihr Lächeln wurde erwidert? Das sind Momente, in denen man sich mit der ganzen Welt verbunden fühlt. Alle Fugen sind gekittet, alle Sorgen gegenstandslos. Das Lächeln ist ein Geschenk, das man den ganzen Tag mit sich herumträgt. Es leuchtet, es funkelt. Ich behaupte, dass andere noch nach Stunden von unserem Gesicht ablesen können, dass wir mit einem fremden Menschen ein Lächeln ausgetauscht haben.

Wir hängen dabei nicht von Konventionen ab oder von Verwandtschaft. Wir denken nicht an berufliches Vorankommen und daran, dass später mit gleicher Münze erstattet werden wird. Wir schenken und werden beschenkt, einfach so. Es ist selten geworden, das Gute, das man einfach so erlebt und weitergibt.

Auf meinem Schulweg grüßte ich jeden Morgen einen Mann, ohne ihn zu kennen. Ich weiß nicht mehr, wer von uns damit anfing, in jedem Fall war es bald eine Gewohnheit, ein guter Brauch. Wohin er ging, habe ich nie erfahren. Unsere Wege kreuzten sich zur immer gleichen Uhrzeit am immer gleichen Ort. Wir haben kein Wort gewechselt, nur gelächelt haben wir, weil dieses Zusammentreffen ein Geheimnis war, das wir teilten: Das kurze Heben der Hände machte uns zu Vertrauten. Bald freute ich mich darauf, bald hielt ich nach ihm Ausschau, wenn ich in die Nähe unseres Treffpunktes kam. Was wird er über mich gedacht haben, das Schulkind, das ihn jeden Morgen anlächelte? Ich erinnere mich an seinen roten Bart, die vom Wind zerzausten Haare, den Großvaterblick. Morgen für Morgen gaben wir uns ein Signal: Du bist ein Mensch. Schön, dich wiederzusehen.

Ab und zu gelingt es mir auch heute noch, mit wildfremden Leuten einen freundlichen Blick auszutauschen. Der Mann am Postschalter, die unbekannte Frau am Bahnhof, die es stört, dass der Zug Verspätung hat, der Glatzköpfige, der mir auf dem Gehweg entgegenkommt. Probieren Sie es aus! Unsere Zivilisation lehrt uns, anderen Menschen emotionslos und mit nur kurzem, geschäftsmäßigem Gruß – wenn nicht gleich ganz ohne Gruß – zu begegnen. Aber der Freudensprung, den mein Herz macht, wenn ich menschliche Wärme mit Unbekannten austauschen darf, lässt mich glauben, dass es anders besser wäre.

Natürlich ist es nicht ohne Gefahr, sich der gesellschaftlichen Norm entgegenzustellen. Fremde vom anderen Geschlecht könnten meinen, Sie wären an ihnen als Partner interessiert; Unbekannte Ihres Alters könnten sich verspottet fühlen. Ich will keinesfalls Verwirrung stiften. Ich glaube allerdings, dass es eine Art von Lächeln gibt, die entwaffnet, entwirrt, Freude macht und vor allem daran erinnert, dass wir alle Geschöpfe des einen Gottes sind. Nicht Rivalen, die um ein paar Euro kämpfen oder um die Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen, sondern Gefährten, die sich an ähnlichen Dingen erfreuen.

Vor einem Bewerbungsgespräch hört man von seinen Freunden oft den Rat, man soll sich den strengen Herrn oder die strenge Dame vorstellen, wie sie gerade die Toilette aufsuchen, damit einem klar wird, dass auch sie nur gewöhnliche Menschen sind. Ich stelle mir lieber etwas anderes vor. Im Seminar für mittelalterliche Geschichte bemerkte ich einen Ring am Finger meines Professors. Er ist verheiratet? dachte ich. Womöglich hat er sogar Kinder? Ich malte mir aus, wie zwei kleine Jungen an seinen Beinen heraufspringen, wie er seiner Frau einen Begrüßungskuss gibt und das Jackett auf einen Stuhl wirft. Was denken sie von ihrem Vater, der so viel über das Mittelalter weiß? Ist seine Frau stolz auf ihn? Vielleicht haben sie geheiratet, als er noch ein einfacher Student war. Und nun ist er Professor.

Im Zug sehe ich manchmal jemanden weinen. Ich frage mich: Musste sie gerade Abschied nehmen von ihrem Freund? Oder für lange Zeit fortgehen von zu Hause? Wenn ein Kind quengelt, schiebe ich den Ärger beiseite und denke stattdessen darüber nach, wo Mutter und Kind wohl eingestiegen sind, wie lange sie schon fahren, wie sehr sich die Mutter auf die erlösende Ankunft freut. Sie hat vielleicht noch einen Apfel in der Tasche, der das Kind beschäftigen würde, hebt ihn aber für die letzte Stunde auf. Es ist ihr unangenehm, dass ihr Sprössling so laut ist, sie weiß, dass das Geschrei den anderen Reisenden auf die Nerven fällt. Ihre Körpersprache verrät, dass sie sich schämt. Ich lächele ihr zu, um zu sagen: Es ist alles in Ordnung. Sie Arme! Nicht leicht, oder? Und schon sind wir heimlich verbündet. Wie ein Vertreter der anderen Reisenden sage ich ihr durch das Lächeln: Wir halten Sie nicht für eine schlechte Mutter und Ihr Kind nicht für eine verzogene Göre. Ist doch alles verständlich bei einer so langen Zugfahrt. Sie schlagen sich tapfer.

Probieren Sie das mal aus, nur mit einem Blick und einem Lächeln zu kommunizieren! Wagen Sie sich an einen fremden Menschen heran. Und gehen Sie ruhig davon aus, dass all die Leute in der U-Bahn, die Kollegen im Betrieb und die Wartenden an der Aldi-Kasse ähnliche Probleme haben wie Sie. Jeder Mensch ist anders, aber Menschen sind wir alle. Wesen, denen ein Lächeln heilsame Medizin sein kann.

Kleine bunte Zettel

Wofür strampeln wir uns vom Morgen bis zum Abend ab? Es ist lachhaft. Für kleine Zettel, vierzehn mal acht Zentimeter groß, in hässlichen Farben bedruckt. Kleine bunte Zettel, die wir in unserem Portemonnaie sammeln, Papierfetzen, die wir immer wieder nachzählen und der Bank zum Hüten geben.

Moment, wenden Sie ein, diese Papierfetzen kann man gegen eine Menge eintauschen: ein neues Auto, einen Flug dahin, wo es warm ist, einen Hamburger Royal TS bei McDonald’s. Sie haben recht. Und es ist nichts einzuwenden gegen ein neues Auto, eine Reise oder einen Hamburger Royal TS. Gefährlich wird es, wenn wir uns von diesen bunten Zetteln niederdrücken lassen. Einem gesunden Menschen – und die sind selten geworden – wiegt ein solcher Zettel nur wenige Gramm. Den meisten wiegen sie etliche Kilogramm, nicht wenigen wiegen sie Tonnen. Wird das Portemonnaie gestohlen, vergießen wir mehr Tränen als über einen traurigen Brief. Kostet das Benzin einige Cent mehr, reden wir inbrünstiger und häufiger darüber als ein Frischverliebter von seiner neuen Verehrten. Die bunten Zettel kleben an uns wie Blutsauger. Sie verstopfen uns die Ohren, die Augen und den Mund.

Sie glauben das nicht? Dann machen Sie sich für ein paar Minuten frei von ihnen. Es wird ein Erlebnis sein, das Sie so schnell nicht wieder vergessen. Verschenken Sie Geld. Nicht einen Euro. Mehr. Ein Schein sollte es sein, wenn Sie mögen, ein größerer. Gehen Sie in die Stadt, irgendwo wird jemand betteln oder so aussehen, als hätte er es nötig, dass man ihm zeigt, dass die Menschheit doch noch nicht so tief gefallen ist, wie es immer den Anschein hat.

Sie denken, dass es wehtun wird, wenn Sie so viel Geld verschenken? Beobachten Sie sich. Es tut nicht weh. Es gibt Ihnen ein Gefühl der Freiheit. Geld beherrscht Sie nicht. Besitz beherrscht Sie nicht. Sie sind nicht wertvoll, weil Sie viel haben, sondern weil Sie selbst – ob nackt oder im Nadelstreifenanzug, ob in Lumpen oder im Versace-Kleid – ein kostbares Wesen sind.

Nebenbei bemerkt, der Beschenkte wird sich wundern. Der, den ich ausgewählt habe, bettelte in der U-Bahn. Als ich ihm den Geldschein gab, blieb er stehen und starrte mich an. Fassungslosigkeit im Gesicht. „Das ist ein Wort“, sagte er, wollte weitergehen, blieb dann noch einmal stehen und schaute. Es hat ihn offensichtlich verwirrt. Mir war es peinlich. Dann, als ich ausstieg und durch die Stadt lief, fühlte ich mich frei, als könnte ich fliegen.

Auch John D. Rockefeller musste lernen, den Wert des Geldes richtig einzuordnen. Jahrzehntelang führte er Buch über seine Ausgaben wie ein Schatzhüter. (Die 118 Dollar, die er für den Verlobungsring seiner zukünftigen Frau ausgab, verbuchte er in der Rubrik „Diverse Ausgaben“.) Ihm, dem damals reichsten Mann der Welt, fiel es schwer, Geschenke zu machen. Er schrieb einmal an einen Mitarbeiter: „Ich stecke in Schwierigkeiten, Mr Gates. Der Druck dieser Anfragen um Geschenke ist zu groß geworden, um ihn ertragen zu können. Ich bin so gebaut, dass ich unfähig bin, Geld wegzugeben, bis ich nicht genauestens festgestellt habe, ob der Zweck es wert ist. Diese Untersuchungen kosten mich inzwischen mehr Zeit und Kraft als Standard Oil selbst.“

Schließlich, mit 53 Jahren, war Rockefeller so krank, dass die Ärzte bezweifelten, dass er seinen 54. Geburtstag noch erleben würde. Er litt unter Nervenzusammenbrüchen, verlor alles Haar, selbst die Augenbrauen, und konnte weder richtig essen noch schlafen. Da entschied er sich, anders mit seinem Geld umzugehen. Er gründete die Universität von Chicago, baute Kirchen, spendete an zahlreiche Organisationen. Er rief die Rockefeller-Stiftung ins Leben, der wir die Entdeckung des Penizillins verdanken. Bald ging es mit seiner Gesundheit bergauf. Rockefeller wurde 98 Jahre alt. Von seinem Reichtum, der auf dem Höhepunkt 900 Millionen Dollar umfasst hatte, gab er bis 1929 allein an die Rockefeller-Stiftung 235 Millionen Dollar ab. Als er 1937 starb, besaß er nur noch 26.410.837 Dollar. Er hatte seine Lektion gelernt.

Ist unser Weg nicht kürzer als seiner?

Kopfrechnen und Schuhe zubinden

Alles wird teurer! Die Zeit reicht für nichts mehr! Es geht einfach nicht voran! Unzufriedenheit ist zum Dauerzustand geworden. Wir klagen über alles und jedes. Nun kann Meckern ja durchaus Spaß machen. Man lässt so herrlich Dampf ab dabei – für eine Weile. Auf die Dauer macht uns Missmut allerdings blind und undankbar. Schon gemerkt? Denken Sie mal darüber nach: Wann sind Sie das letzte Mal mit einem Lächeln aufgewacht?

Der hartnäckigste Grund, um unzufrieden zu sein, ist die Enttäuschung über sich selbst. Vielleicht sind Sie durch eine Prüfung gefallen. Oder Sie kommen sich schwach und unbegabt vor, weil Ihnen nicht gelingen will, was Sie sich erträumt haben. Dann probieren Sie es doch mal mit diesem alten Wanderertrick: Wenn ein Bergsteiger müde wird und der Gipfel unbezwingbar erscheint, blickt er zurück. So viel ist schon geschafft! So weit ist er schon gelaufen.

Manchmal ist es einfach an der Zeit, dass man sich lobt, dass man sich freut über das bereits Erreichte – und neues Vertrauen in die eigenen Kräfte gewinnt. Diesen Blick zurück haben wir verlernt, die Zufriedenheit vergessen, die einen dabei durchströmt. Es ist für einen modernen Menschen befremdlich, sich von seinen Zielen abzuwenden und rückwärts zu schauen. Unsere schwächlichen Rettungsversuche lauten: Das wird schon wieder. Nur nach vorn schauen. Dabei liegt die Lösung oft hinter einem, da nämlich, wo die eigene Kraft eine sichtbare Spur hinterlassen hat und Mut machen kann.

Versuchen Sie einmal den Blick in Ihre Vergangenheit? Es gibt viel, auf das Sie stolz sein können! Allein schon das Lesen! Erinnern Sie sich, wie es war, als Sie noch nicht lesen konnten? Ich weiß noch, wie ich als Kind im Bad eine Flasche Shampoo in den Händen gedreht habe. Diese seltsamen Muster! Das war Schrift, ein Geheimnis, von dem ich glaubte, es niemals lösen zu können. Heute sitze ich am Computer und füge die geheimnisvollen Schriftzeichen in rasender Geschwindigkeit aneinander, fast so schnell wie ich spreche. Und es ist zur Selbstverständlichkeit geworden.

Sie dürfen sich wundern über sich selbst. Ihre Augen wandern über diese Seite, und Sie entschlüsseln ihren Sinn. Das haben Sie mühsam gelernt in den ersten Schuljahren. Es ist großartig, dass Sie es beherrschen! Wussten Sie, dass Sie nicht einmal die einzelnen Buchstaben lesen? Dass Sie vielmehr den Anfang und das Ende eines Wortes im Vorbeirasen ertasten und den Rest mit einer äußerst guten Trefferquote erraten? Probieren Sie es mal aus: Selsbt wnen die Bcuhasteban drcehuienndaerergaten, knöenn Sie ncoh eknenren, um wlehces Wrot es scih hnadelt.

Sie haben auch anderes gemeistert: Kopfrechnen, die Bedeutung der Verkehrszeichen zu verstehen, die Schuhe zubinden, Höflichkeit, die Uhr zu lesen. Es ergäbe eine unglaubliche Liste, würde man alles aufzählen, was Sie seit Kindheitstagen gelernt haben. Sie können stolz sein auf das, was Sie bisher geleistet haben. Staunen Sie ruhig darüber. Und haben Sie Selbstvertrauen. Sie werden auch in der Zukunft vieles lernen und bezwingen.

Staunen, sagen Sie, staunen, obwohl das doch jeder kann? Es meldet sich die zynische Stimme, die uns die Leistungsgesellschaft in den Kopf gepflanzt hat. Warum nörgelt sie herum? Weil sie Ihnen weismachen will, dass Sie überlegen zu sein haben. Dass es nicht genügt, in Ordnung zu sein.

Stellen wir uns Europa als ein Dorf vor. Der Bäcker backt die Brote, weil er das besser kann als jeder andere im Ort. Der Schuhmacher näht die Schuhe. Der Busfahrer bringt die Leute zum Bahnhof, und die Lehrerin bringt den Kindern Englisch bei. Jeder wird gebraucht, denn der Bäcker will Schuhe anziehen, der Schuhmacher Brot essen, die Lehrerin zum Bahnhof fahren und der Busfahrer seine Kinder unterrichten lassen. Jeder tut das, was er am besten kann. Das ist das Bild, das man uns eingeprägt hat. Ein zweiter Bauer soll sich gefälligst spezialisieren, eine zweite Lehrerin kann ja Mathe unterrichten. Einen Landstreicher brauchen wir überhaupt nicht. Richtig?

Falsch. Der Busfahrer ist nicht weniger wert, wenn er im Alter erblindet und nicht mehr hinter dem Steuer sitzen darf. Der Landstreicher hilft den anderen, das Teilen zu lernen. Und wenn es zwei Bauern gibt oder sogar zwanzig, dann sind die Bauern immer noch nicht weniger wert als der eine Schuhmacher, auch wenn er weniger Konkurrenten hat. Glauben Sie wirklich, Sie sind nur dann kostbar, wenn die Gesellschaft Sie im Augenblick gut gebrauchen kann? Glauben Sie wirklich, Ihr Wert steigt mit Ihrer Leistung?

Wir sind es gewohnt, unseren Wert dadurch zu bestimmen, dass wir uns mit anderen vergleichen. Am besten man macht etwas, das kaum ein anderer tut, dann steht man besser da. (Ich zum Beispiel schreibe Bücher. Das macht in meiner Nachbarschaft niemand. Ein Blick in die Buchhandlung genügt allerdings, um mir die Flausen wieder aus dem Kopf zu treiben.)

Also gar nicht vergleichen? Wie soll man da Erfolgserlebnisse feiern? Der Vergleich mit anderen, die schon weitergekommen sind, ist ein Fehler, den uns die Leistungsgesellschaft antrainiert hat. Gesund ist der Vergleich mit uns selbst – wo wir vor einem Jahr waren, vor fünf Jahren, vor zehn Jahren. Wer würde da nicht lächeln und mutig weiterwandern?

Und was den Wert angeht: Auch wenn ich die Buchhandlung gesehen habe mit ihrer Masse an guten Büchern, pfeife ich ein fröhliches Lied. Ich glaube nämlich nicht an einen Wert durch Bücherschreiben, sondern an ein faszinierendes Überwesen namens „Gott“, das sich gedacht hat: So einen Titus, den brauchen wir, den soll es geben.

Der Flügelschlag einer Mücke

Hicham Dequiedt überholte einen Lastwagen, als sein Auto plötzlich selbstständig auf 190 Kilometer pro Stunde beschleunigte. Über eine Stunde raste er daraufhin die Autobahn entlang, benutzte die Lichthupe, wich anderen Fahrzeugen aus. Es war unmöglich, langsamer zu fahren. Die Bremse reagierte nicht, die Zündung ließ sich nicht ausschalten, denn Dequiedts Auto, ein Renault Vel Satis, wird anstelle eines Schlüssels mittels einer Chipkarte gestartet. Über das Mobiltelefon alarmierte der 29-Jährige die Polizei. Die gab im Radio eine Warnung für alle Fahrer durch. „Ich habe die Angst meines Lebens ausgestanden“, sagte Dequiedt der Französischen Tageszeitung Le Parisien. „Ich dachte, mein letztes Stündlein hat geschlagen.“ Erst 200 Kilometer später konnte er den Wagen zum Halten bringen.

Haben Sie manchmal das Gefühl, Ihr Leben besteht darin, mit Tempo 190 über die Autobahn zu brettern und mühevoll den auftauchenden Gefahren auszuweichen? Halten Sie das Steuer umklammert, unfähig, die Augen von der Straße zu nehmen?

Ein guter Test, ob wir zu schnell fahren, ist die Frage, ob wir noch staunen können. Staunen ist nur möglich, wenn man von Zeit zu Zeit innehält. Hicham Dequiedt hat sicher weder die Landschaft Mittelfrankreichs wahrgenommen, durch die er fuhr, noch interessante Bauwerke, verreisende Familien, Rehe, ein Sonnenblinzeln durch die Wolkendecke – dafür fuhr er zu schnell.

Wir müssen gar nicht weit gehen, um etwas Bestaunenswertes zu finden. Selbst in einer öden, wenig bewunderungswürdigen Umgebung kann man staunen. Soll ich ein Beispiel geben?

Ich habe seltsame Knorpel an meinem Kopf, an jeder Seite einen. Sie fangen Geräusche ein, Töne, Worte. Durch einen Tunnel wird der Schall zum Trommelfell geleitet. Es ist unglaublich, was diese Membran alles an die Gehörknöchelchenkette weitergibt! Ich höre den Flügelschlag der Mücke. Wie ein Summen erscheint er mir, weil sie so schnell die Flügelchen bewegt. Im Dunkeln, wenn ich die Mücke nicht sehen kann, höre ich doch, wo sie sich befindet. Das geht nur, weil ich zwei Ohren habe und nicht nur eins.

Ich höre das zarte Streichen eines Pferdehaarbogens auf einer Violinsaite. Ich höre das Zupfen der Basssaite. Ich höre jemanden flüstern. Ich höre Musik – und die Musik macht mich glücklich. Ich höre einen Freund meinen Namen rufen. Ich höre den Wind in den Blättern spielen (mein liebstes Geräusch).

Schnee kann ich hören, am Waldrand, ein feines Klirren, tausendfach: Winzige eisschillernde Schneekristalle rauschen auf Äste, Büsche und Vorjahresgras herunter, treiben übereinander, setzen sich fest. Einige Wochen später, im Frühjahr, kauere ich vor einem Ameisenhaufen und höre das Knistern der vielen Beinchen.

Auf einen Klang warte ich noch. Es gibt Radiomoderatoren, deren Stimme uns beeindruckt; wenn sie reden, laufen uns wohlige Schauer über den Rücken. Aber die Stimme, auf die ich warte, wird viel mehr als das tun. Ich stelle sie mir warm vor, tief und seltsam vertraut. Gottes Stimme.

Vielleicht ist es gar nicht so entscheidend, was Gott mir als Erstes sagt, wenn ich meinen Fuß auf den Boden der neuen Welt setze. Vielleicht ist es einfach der Klang seiner Stimme, der mich weinen machen wird vor Glück.

Gedichte, Mühlen und verlassene Bahnwärterhäuser

Ich bin ein Mensch, der die Zeit sekundenweise zusammenklaubt. Auf dem Heimweg krame ich den Haustürschlüssel schon im Laufen heraus, um nicht vor der Tür damit Zeit zu vergeuden. Ich überquere die Straße schräg, kürze Ecken ab, um einige Meter einzusparen. Mit pochendem Gewissen gehe ich bei Rot über die Ampel – zuvor ein kurzer Blick, ob Kinder in der Nähe sind –, meine Schritte greifen weit, mein Gang ist der eines gehetzten Großstädters, gleichgültig, ob es einen Termin einzuhalten gilt oder nicht. Oft verlasse ich das Haus mit einem Honigbrot in der Hand, das ich unterwegs verspeise. Ich knöpfe den Mantel erst auf der Straße zu, haste voran, um einen Bus nicht zu verpassen.

Dabei müsste ich es besser wissen. So oft schon habe ich gelernt: Wege sind herrlich! Sie gehören zu den schönsten Erfahrungen auf dieser Erde. Vergangene Woche beispielsweise war ich in einer dörflichen Gegend unterwegs, und der Bus, der mich zum Zielort bringen sollte, bog anders ab als erwartet. Ich musste aussteigen und den Rest des Weges über die Felder laufen. Passenderweise trug ich im Rucksack zehn schwere Bücher, obendrein ein neues DSL-Modem, mit dessen Hilfe ich, so hatte ich dem Verlag versprochen, am Nachmittag ein Romanmanuskript schicken würde. Aber was half es? Rennen war nicht möglich, voll bepackt, wie ich war.

Ich sah die schönsten Feldwege. Sanft geschwungene Hügel, herbstliche Waldränder machten mich glücklich. Ich atmete frische Landluft. Ich entdeckte einen Apfelbaum und mit ihm saftig-knackige Wegzehrung. Ich führte ein langes Gespräch mit Gott, das sonst an diesem Tag – was sage ich, in dieser Woche – nicht stattgefunden hätte.

Seltsam, dass diese Lektion so schwer zu erlernen ist. Immer wieder muss ich darauf gestoßen werden. In Berlin gab eine S-Bahn den Geist auf, wir mussten entlang der Gleise zur nächsten Station wandern – genau die Ruhepause im hektischen Tagesablauf, die ich brauchte.

Es gibt Menschen, die nicht wie ich falsch abbiegende Landbusse oder defekte S-Bahnen brauchen. Menschen, die wissen, was eine zurückzulegende Strecke an Möglichkeiten bietet. Mein Freund Sören zählt zu ihnen. Sören ist Harfner, wir reisen oft gemeinsam zu Lesungen, die er auf seinem Instrument begleitet. Ich plädiere für die Autobahn, er bleibt stur: „Wir treffen uns zwei Stunden früher und fahren die Landstraße. Und ich bringe noch einen Freund mit, du wirst sehen, es wird gut.“

Es wurde gut. Wir wechselten uns ab damit, Gedichte zu rezitieren, uns Mühlen, verlassene Bahnwärterhäuser zu zeigen – Sören: „So ein Bahnwärterhaus will ich mir eines Tages kaufen“ –, sinnierten, lachten, und am ganzen Lesungsausflug war die Fahrt das Beste.

Was für kurze Wege gilt, gilt für lange Reisen genauso. Der englische Autor Gilbert K. Chesterton schrieb in seinem Buch Ketzer: „Es ist zweifellos ein begeisterndes Gefühl, in einem Motorwagen durch die Welt zu sausen und Arabien als einen Sandwirbel, China als ein vorüberhuschendes Reisfeld zu erleben. Aber Arabien ist kein Sandwirbel, und China ist kein vorüberhuschendes Reisfeld. Beides sind alte Zivilisationen mit eigentümlichen Vorzügen, die wie Schätze in ihnen vergraben liegen. Wenn wir sie verstehen wollen, dann dürfen wir nicht als Touristen oder Ermittler kommen, sondern müssen die Treuherzigkeit von Kindern und die unendliche Geduld von Dichtern mitbringen.“

Geduld für den Weg – etwas, das wir auch im Zeitalter der Überschallflugzeuge nicht vergessen sollten.

Was Robinson Crusoe glücklich machte

Du isst das auf! Die Kinder in Afrika hungern.“ Haben Sie auch mit den Augen gerollt, wenn die Eltern das gesagt haben? Dabei ist es eine traurige Wahrheit. Sie zeigt: Alles ist eine Frage der Perspektive. Abgesehen davon, dass die Hungernden meine Hilfe brauchen, kann mir die Perspektive auch helfen, glücklicher zu sein. Indem ich mich nicht darauf konzentriere, was mir noch fehlt (zum Beispiel ein Auto, eine Freundin, ein lukrativer Job), sondern darauf, womit ich beschenkt bin (gute Bücher etwa, eine tolle Wohnung, Essen, Freunde). Es macht einen großen Unterschied, an welche der beiden Listen ich häufiger denke: Das eine heißt, mit den Zähnen zu knirschen, das andere heißt, vor Glück in die Luft zu springen.

Mehr noch. (Was folgt, ist ein gewagter Ansatz. Kritische Leserbriefe sind willkommen!) Ich meine, wir nehmen als Christen ebenso oft die falsche Perspektive ein. Wir blicken auf das Böse, statt das Gute anzusehen.

Man kann sagen: „Die Welt ist finster, hier herrscht der Satan.“ Man kann aber auch sagen: „Diese Welt hat unser Gott geschaffen. Immer noch ist seine Handschrift zu sehen.“ Beides ist richtig, und beides hat seine Zeit. Ich frage mich, ob wir nicht wieder die zweite, die positive Perspektive einnehmen sollten. Gerade heute, wo selbst Atheisten sich vor der Zukunft fürchten, weil die Hoffnung, der wissenschaftliche Fortschritt würde alle Probleme der Menschen lösen, ins Wanken geraten ist. Jeder sieht, dass das Schiff „Erde“ gegen die Klippen gefahren ist und nun manövrierunfähig an einem kargen Ufer vor sich hindümpelt. Soll es da die Aufgabe der Christen sein, auf den leck geschlagenen Bug zu zeigen, auf das zerbrochene Steuerrad, auf die zerfetzten Segel?

In scheingoldenen, trunkenen Zeiten mag das die passende Herangehensweise sein. Aber nicht für eine verzweifelte Menschheit. Zeigen wir lieber auf Jesus! Erinnern wir an den Schöpfergott, den Erbauer dieses Schiffs, das einmal stolz im Wind segelte! Die Menschen klagen (denken Sie nur mal an Ihre Nachbarn), suchen bewusst oder unbewusst nach einem Ausweg. Da sollten wir nicht sagen: Seht euch an, wie ihr feststeckt! Sondern: Ich weiß, wo es langgeht – kommt mit!

Und wie das?

Gilbert Keith Chesterton hatte ein Lieblingsbuch: Robinson Crusoe. Er beschreibt in seinem Klassiker Orthodoxie, was den Zauber des Romans ausmacht. Robinson Crusoe ist als Schiffbrüchiger auf einer menschenleeren Insel gelandet. Der Höhepunkt der Geschichte ist die Liste an Dingen, die er vom Schiff gerettet hat. Jedes Werkzeug ist unendlich kostbar, weil es genauso im Meer versunken sein könnte. Chesterton schreibt: „Es ist eine gute Übung in leeren oder unangenehmen Stunden des Tages, sich irgendetwas anzuschauen, den Kohleneimer oder das Bücherregal, und daran zu denken, wie glücklich man sein könnte, sie aus einem sinkenden Schiff auf eine einsame Insel gebracht zu haben.“

Wenn die Erde ein gestrandetes Schiff ist und die Passagiere sich weinend aneinanderklammern, dann ist es unsere Aufgabe, kleine Schätze aus dem Bauch des Wracks hervorzuholen und zu sagen: Seht einmal, könnt ihr euch daran erinnern, wofür ein Hammer gut ist? Und schaut, diese Geige! Hier ist sogar ein Bogen, kann jemand Geige spielen? Ein Buch, wir haben ein Buch! Erinnert ihr euch an Bücher? All das hat uns der Schiffserbauer mitgegeben. Gott hat die Musik erfunden, Freundschaft, Liebe, Sonne, Vogelzwitschern, Geschmack, Duft, Flüstern und Lachen. Es mag vieles zerstört sein, aber Gottes Schönheiten sind so groß, dass etliche davon noch heute funkeln. Sie erinnern uns daran, wie Gott ist!

Dieser Gott wird uns ein neues Schiff bauen. Ein unermesslich schönes. Verzweifelt nicht!

Die zauberhafte Schönheit des Morgens

Wenn Gott etwas verspricht, dann hält er es. 4500 Jahre lang. Ohne Ausnahme. „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, versprach er den Menschen nach der großen Flut (1. Mose 8,22). Gott mag Ordnung. Er weiß, wie wir gebaut sind, dass wir einen Rahmen, ein Zuhause brauchen. Deshalb sind Ihr Leben und mein Leben und die Leben von sechs Milliarden Menschen eingeteilt in Nacht und Tag, in Schlafen und Wachen, in Ausruhen und Aktivsein.

Klingt das für Sie wie die gewöhnlichste Sache der Welt? Ich behaupte, es ist ein Wunder.

Kinder begreifen das leichter als wir Erwachsenen. Haben Sie sich noch nie gefragt, wie es kommt, dass die Kleinen jeden Morgen fröhlich sind? Sie dagegen wachen mit einem Ächzen auf, ich weiß. Sie torkeln ins Bad wie ein 150-Kilo-Grizzlybär, der zu früh aus dem Winterschlaf geweckt wurde, werfen Ihrem Spiegelbild Hassblicke zu und äffen genervt die Moderatoren nach, die Ihnen im Radio etwas vorquasseln.

Nun denken Sie einmal an Ihre Kindheit zurück. Das Schlimme war damals der Abend, nicht der Morgen, richtig? Die Eltern mussten Sie zwingen, ins Bett zu gehen. Erinnern Sie sich, dass Sie aus Verzweiflung geheult haben, weil Sie ein Spiel unterbrechen mussten, obwohl Sie das doch am nächsten Tag fortsetzen konnten? Der nächste Tag war eine unsichere Sache für Sie – so weit denkt man als Kind nicht. Jedes Einschlafen war wie ein kleiner Tod. Sie haben sich im Dunkeln gefürchtet, Sie haben es gehasst, wenn das Licht ausgeschaltet wurde.

Aber der Morgen! Welches Glück, aufzuwachen und zu leben! Noch im Schlafanzug haben Sie angefangen zu spielen. Sie haben Ihre Geschwister geweckt, Ihre Eltern geweckt – unbegreiflich, dass die sich darüber ärgerten, obwohl Sie doch diese wunderbare Nachricht für sie hatten, dass ein neuer Tag angebrochen war. Ein Geschenk des Himmels! Kinder haben am Morgen das Bedürfnis zu jubeln.

Es spricht einiges dafür, dass Gott diese Dankbarkeit für das Leben gut findet. Ich meine keine generelle Einstellung, sondern das Gefühl am Morgen, beschenkt zu sein mit Licht, mit Zeit, mit einer neuen Chance, etwas Gutes zu tun. Tiere zum Beispiel sehen im Morgen ein von Gott geschaffenes Wunder. Da bin ich mir sicher. Für sie wird das Licht an jedem Tag neu geboren. Bäume und Häuser tragen einen roten Schimmer, als würden sie von innen leuchten, sie strecken sich dem Licht hin, dulden es, schmecken es. Die Vögel spüren das Besondere der Morgendämmerung. Sie singen. Sie begrüßen den Tag. Fröhlich schwatzen die Sperlinge, die Stare kreischen wie eine Schulklasse auf dem Ausflug zum See, Amseln flöten ein Gutenmorgenlied. Die Luft ist frisch. Moos und Gras glitzern vom Tau, im Wald zirpen Rotkehlchen, Gelbspötter und Baumpieper.

Wir sind mit neuer Kraft ausgestattet worden, haben durch Träume die Wirrnisse des Vortags verarbeitet und sind bereit für ein weiteres Abenteuer mit Gott. Oder? Wäre da nicht der Morgenstress! Im Kopf gehen wir einen Termin nach dem anderen durch, verzweifeln, weil wir fürchten, nicht alles schaffen zu können. Wir horchen in uns hinein: Lauert da nicht eine Erkältung? Lähmt nicht Mattigkeit die Glieder? Wir sind beschäftigt, abgelenkt, gehetzt.

Wann haben Sie das letzte Mal bemerkt, welche zauberhafte Schönheit der Morgen besitzt? Ich versuche neuerdings, als Erstes – sogar noch vor dem Morgengebet – etwas zu finden, für das ich dankbar bin. Ich schaue aus dem Fenster und freue mich über den Himmel. Ich höre den Vögeln zu. Oder ich überlege, welche Aufgabe, welches Telefongespräch, welches Ereignis mir heute Freude machen wird. Es funktioniert. Der neue Tag wird für mich zum Geschenk. Und wer lächelt nicht, wenn er etwas geschenkt bekommt?

Dem Einerlei entkommen

Wenn wir das Gefühl haben, in einer endlosen Abfolge gleicher Tage festzustecken, dieser stumpfen Kette aus Schlafen, Arbeiten, Essen, Schlafen ausgeliefert zu sein, wenn wir uns kaum noch erinnern, was letzte Woche war, und denken, es ist auch völlig gleichgültig – dann können wir dem auf verschiedene Weise beikommen.

Wir können uns ein Gummiseil an die Fußknöchel knoten und von einer Brücke springen. Endlich ein Tag, den wir nicht so leicht vergessen. Das Adrenalin peitscht uns auf. Wenn wir Glück haben, hält das Gummiseil.