Charlotte Lyne

Das Haus Gottes

Historischer Roman

Glossar

Ablativus: Ablativ; lateinischer (fünfter) Fall. Ablativus modi ist dabei eine Anwendungsform, die einen Begleitumstand bezeichnet.

Alaun: In der Tuchherstellung zum Gerben und Färben verwendetes Mineral.

Aspergill: Liturgisches Gerät zum Versprengen von Weihwasser.

Astrolabium: Im Mittelmeerraum und im Indischen Ozean verwendetes Instrument zur Positionsbestimmung eines Schiffes anhand von Himmelskörpern; auch für astronomische und geographische Messungen benutzt.

Bailiff: Stadtbeamter, mit der Eintreibung von Geldern betraut.

Balinger: Schnelles Kampfschiff, mit Rudern und Segeln ausgestattet.

Ballock: Dolchmesser, eine der gebräuchlichsten Handwaffen des vierzehnten Jahrhunderts.

Barbierchirurg: Dem deutschen Bader verwandter medizinischer Praktiker. Barbierchirurgen pflegten, neben der Schönheitspflege, bestimmte Behandlungen und Operationen an Kranken durchzuführen; ihr Berufsstand wurde erst unter Henry VIII. anerkannt.

Bildenmeister: Eigens für die Herstellung von Wurfmaschinen geschulter Waffenmacher.

Brache: Unbestelltes Feld, zumeist Acker, der im Rahmen der Dreifelderwirtschaft ein Jahr lang gar nicht oder als Viehweide genutzt wird.

Brassen: Drehen der Rah, um das Segel in die gewünschte Windrichtung zu bringen.

Bruche: Männerunterhosen, an denen Beinlinge befestigt wurden.

Brünne: Kettenhemd aus auf Stoff angebrachtem Kettengeflecht als Teil der Rüstung, häufig mit Kapuze.

Cappa: Kurzer Umhang.

Centenar: Hunderterführer des Heeres.

Chevauchée: Kriegszug, bei dem feindliches Gebiet systematisch zerstört wurde.

Cinque Ports: Zusammenschluss wichtiger Hafenstädte an der englischen Südküste zu wirtschaftlicher und militärischer Zusammenarbeit, gegründet um die Zeit der normannischen Eroberung (Dover, Hastings, Hythe, Roniney und Sandwich, später auch Rye und Winchelsea).

Citern: Der Mandoline ähnliches, gezupftes Saiteninstrument.

Confiteor: Allgemein: christliches Schuldbekenntnis; in der katholischen Liturgie dazu verwendetes Gebet.

Emmer: (auch: Zweikorn) Winterweizen.

Farthing: Viertelpenny.

Fürspan: Metallspange zum Schließen des Gewandes.

Gambeson: Gestepptes und gepolstertes jackenartiges Kleidungsstück für Krieger, das unter der Rüstung oder für sich allein getragen wurde, um vor Quetsch- und Schürfwunden zu schützen.

Gebende: Weibliche Kopfbedeckung, um Kinn und Ohren geschlungenes Leinenband.

Heuke: Schwerer, übergeworfener Wollmantel.

Holk: Bananenförmiger Schiffstyp, bei dem die Verplankung die Schiffsenden bildet, es also keine sichtbaren Steven gibt.

Indentur: Vertrag in doppelter Ausführung auf demselben Blatt, wobei die Hälften in gezähntem – englisch indentured –Muster voneinander getrennt wurden, sodass man später prüfen konnte, ob sie zusammenpassten; häufig zur Verpflichtung von Kriegsknechten verwendet.

Kalfatern: Abdichten der Fugen im Schiffsleib, wozu in der Regel Werg und Pech benutzt werden.

Karacke: Ursprünglich aus Genua stammendes, aus der Koggenform entwickeltes Segelschiff, das schneller und wendiger als die Kogge war.

Kardeele: Dünnes Seil zur Herstellung einer Trosse.

Karden: Auskämmen von Wolle.

Kastell: Kampfplattform, die Schutz vor der Witterung bot und zuweilen Wohnräume enthielt; befand sich vor Bug- und Achtersteven des Schiffes.

Klinkerbauweise: Art der Plankenanbringung beim Schiffbau, die außerhalb des Mittelmeerraumes bis ins fünfzehnte Jahrhundert hinein üblich war; dabei werden die Planken überlappend angebracht. Steht im Gegensatz zur Kraweelbauweise.

Kogge: Stark bauchiges, vorwiegend für Handelsfahrten, jedoch auch im Krieg eingesetztes Lastschiff mit flachem Boden.

Kotte: Ärmelloses Schlupfkleid, von Männern wie Frauen über den Untergewändern getragen.

Kragstein: Aus Wänden auskragender Mauervorsprung, der andere Gebäudeteile tragen kann; häufig mit Ornamenten geschmückt.

Kraweelbauweise: Art der Plankenanbringung beim Schiffbau, die im Mittelmeerraum üblich war; dabei werden die Planken Stoß auf Stoß miteinander verbunden, wenn nötig verzahnt und zu den Enden hin verjüngt. Steht im Gegensatz zur Klinkerbauweise.

Leitstein: Mittelalterliche Bezeichnung des Kompasses.

Manor: Herrenhaus, Feudalanwesen.

Marse: »Krähennest«, Mastkorb.

Mendikant: Angehöriger eines Bettelordens.

Messstipendium: Spende an Priester, für die dieser im Gegenzug ein Messopfer im Sinne des Spenders darbrachte.

Miasma: Nach Hippokrates eine giftige, übelriechende Ausdünstung des Bodens, die durch Wind weitergetragen wird und für die Ausbreitung von Krankheiten sorgt.

Nocke: Pfeilende, in den Schaft gesägter Schlitz zum Aufsatz auf der Bogensehne.

Oleron, Code von: Der Überlieferung nach auf der Île d’Oleron entstandene Rechtssammlung, die Fragen des Seerechtes behandelt, u.a. das Verhältnis des Schiffsführers zur Mannschaft.

Oriflamme: Französisches Kriegsbanner.

Rah: Quer zur Fahrtrichtung am Mast angebrachtes Rundholz, an dem das Segel befestigt wird.

Rammsporn: Verstärkte Erweiterung des Bugs von Kriegsschiffen; verwendet, um gegnerische Schiffe unterhalb der Wasseroberfläche zu rammen.

Ribauld: Vorstufe der Kanone; gebündelte und auf Karren montierte Röhren, die vor allem durch Lärm und Rauch wirkten, deren Schüsse aber selten tödlich waren.

Rojer: Ruderer.

Rutte: Schießgerät für horizontale Schüsse, zum Abfeuern von Brandbolzen geeignet.

Schlussstein: Keilförmiger Stein, der den höchsten Punkt eines Gewölbes markiert, häufig verziert.

Schot: Leine zur Segeleinstellung.

Schrange: Marktbereich, offene Lagerhalle mit Bänken, auf denen Fleisch verkauft wurde.

Scutage: Schildgeld; Betrag, mit dem sich zum Kriegsdienst verpflichtete Männer freikaufen konnten.

Sech: Messerartiger Bestandteil des Pfluges, der vor der Schar senkrecht in den Boden fährt.

Segelanweisung: Vorläufer der Seekarte. Schriftliche Anweisung ohne Illustration, die Richtungsangaben nach Quadranten, Fahrtdauerschätzungen und Landmarken enthielt.

Sehnenohr: Schlaufe an beiden Enden der Sehne, zum Einhängen an den Spitzen der Wurfarme.

Sheriff: Für die örtliche Rechtssprechung einer Grafschaft eingesetzter Beamter, dem Vogt des Heiligen Römischen Reiches vergleichbar (Shire-reeve).

Speigatt: Öffnung in der Außenhaut des Schiffes in Höhe des Decks, die dazu diente, Wasser abzuleiten.

Spiere: Jedes auf Segelschiffen verwendete Rundholz mit Ausnahme des Mastes.

Stolgebühren: Für ein Begräbnis dem zuständigen Pfarrer zu entrichtende Gebühr.

Tables: Brettspiel, Vorform des Backgammons.

Tillern: Vorsichtiges Abraspeln der Bogeninnenseite, des »Bauches«, um die gewünschte Form der Wurfarme zu erhalten.

Trebuchet: Belagerungsmaschine des Mittelalters; großes, hölzernes Wurfgerät nach dem Hebelwurfprinzip. Bestandteil mechanischer Artillerie.

Treibsel: Schwemmgut an der Flutlinie, zahlreiche Meereslebewesen bergend.

Trosse: Dickes, aus mehreren Kardeelen zusammengedrilltes Seil.

Ventenar: Zwanzigerführer des Heeres.

Waid: Kraut, dessen Blätter zum Blaufärben von Stoff verwendet wurden.

Wehfrau: Hebamme.

Werg: Rückstände des Wollkämmens, die unter anderem bei der Kalfaterung Verwendung fanden.

Wittum: Teil des Frauengutes; vom Ehemann zu entrichten, verbleibt nach dessen Tod im Besitz der Frau.

Zimier: Zierender Helmaufsatz, häufig mit figürlichen Darstellungen, Wappen und Wahlsprüchen; von Rittern getragen.

Danksagung

Für ein unbeschreibliches, unvergessliches, unbezahlbares Jahr in Portsmouth am Solent danke ich:

Den Trusts und Organisationen:

English Heritage, namentlich den Betreuern und Freiwilligen des Domus Dei, Portsmouth

Portsmouth Historic Dockyard

Historic Royal Palaces

UEL, University of East London

The Mary Rose Trust

sowie

The Bear Hotel, Havant.

Den Einzelpersonen:

Peter Rogers

David MacCormack

Iain Friel

Uschi Timm-Winkmann

Barbara Slawig

Jürgen Bräunlein

Lisa-Marie Dickreiter

Sabine Adler

Anne Loehr-Goessling

Andreas Goessling

Roman Hocke

Uwe Neumahr

Und Alan und Raul, meinem geliebten Rechercheteam mit Kameras, Zeichenstiften, Boots-Mahlzeiten und Rioja.

Die Begegnung mit den unglaublichen Menschen des vierzehnten Jahrhunderts, mit einer lebensmutigen Stadt und ihrer Meerenge, dem Solent, hat mein Leben bereichert. Ich werde sie nicht vergessen.

Charlie Lyne in London.

November 2007

Die Autorin


Charlotte Lyne

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman Als wir unsterblich waren stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.

Für meine Eltern
Für Portsmouth am Solent

Sumer is icumen in,
Lhude sing, cuccu!
Groweth sed and bloweth med
And springth the wde nu,
Sing cuccu!
Awe bleteth after lomb
Lhouth after calue cu.
Bulluc sterteth, bucke uerteth
Murie sing cuccu!
Cuccu, cuccu, well singes thu, cuccu.
Ne swik thu nauer nu,
Sing cuccu nu, sing cuccu.

Der Sommer ist gekommen.
Sing lauthals, Kuckuck!
Samen sprießen, Wiesen blühen,
Und der Wald schlägt aus.
Sing, Kuckuck!
Das Schaf blökt nach dem Lamm,
Und die Kuh muht nach ihrem Kalb.
Es springt der Ochse, es furzt der Bock,
Sing heiter, Kuckuck!
Kuckuck, Kuckuck, so schön singst du, Kuckuck.
Schweig nimmermehr.
Sing, Kuckuck. Sing.


(Englischer Rundgesang des Spätmittelalters)

Prolog:
Die Frau in der Salzwiese

Portsmouth, Hampshire,
September 1322

Ihr Mann nahm die Peitsche. Sie wippte in seiner Hand, die armlange Lederpeitsche, die er benutzte, um sein gelbbraunes Fohlen einzureiten. Mit der freien Hand stieß er die Frau, die keinen Halt fand und stürzte. Schulter und Hüfte prallten hart auf die Dielen. Sie schrie. Seit sie ihrem Mann vermählt worden war, hatte niemand ihr Schmerz zugefügt. Sie erhaschte einen Blick auf sein Gesicht, das sie weiß und gefasst kannte und das jetzt die Fassung verlor und dunkel anlief. Ich habe dich geschlagen. Schlag du mich, zahl’s mir heim, und dann lass all das zwischen uns vergangen sein.

Als er die Peitsche über den Kopf hob, bedeckte sie das Gesicht mit den Armen und kniff die Augen zu. Doch der Hieb, auf den sie wartete, kam nicht. Nur die Stimme ihres Mannes peitschte auf sie nieder. »Geh«, sagte er, ganz kalt, ganz reglos. »Geh zu ihm, er soll dich nehmen. Komm nie wieder in mein Haus.«

Er verstummte, und sie hörte den Regen prasseln, hörte ihren kleinen Jungen oben nach ihr weinen. Ihr Mädchen schlief wohl, ahnte nichts von Gefahr. Mit Mühe rappelte sie sich auf die Knie. Seit Tagen hatte sie den Boden nicht gefegt, und jetzt hing all der Dreck in ihren Röcken. Sie sah auf das Gesicht ihres Mannes: Es war starr, und das Haar hing ihm in die Stirn.

Ich hab dich so lieb, mein Amselhahn. Ich bin das schlechteste Weib in der Stadt, ich sollte mit dem Strohkranz gehen, aber als wir am Wasser der Äbtissin lagen, dein Pechkopf in meinem Schoß, hatten wir es nicht schön? Behalt mich doch bei dir. Greif doch dem Rad mit deinen Zauberhänden in die Speichen und dreh es noch einmal zurück.

»Pack dich.« Er trat an ihr vorbei und warf die Tür auf. »Geh.«

Sie stemmte sich hoch. Wind blies Nässe in die Stube. Die Röcke raffend rannte sie aus der Türe in den Regen, die Gasse hinunter, deren Boden durchweicht war. Bei jedem Schritt sanken ihre Füße ein, klebten im Schlamm. Wohin laufe ich denn?, fragte sie sich jäh. Zu ihm, zu meinem hübschen, fetten Schweinchen, die Küste entlang, und wie eine nasse Katze leg ich mich vor seine Tür?

Der Himmel hing tief. Solcher Sturm war ein Vorzeichen allen erdenklichen Übels: Die Ernte mochte leiden, die Steuer steigen, ein Schiff sinken oder die Welt untergehen. Auf der gepflasterten Hauptstraße zauste Wind die Budendächer. Jeden Donnerstag war Wochenmarkt, doch Anger und Gasse waren menschenleer. Die Händler waren vor dem Unwetter unters Dach der Metzgerhalle geflüchtet. Da war niemand, der die Frau erspähen konnte, ohne Gebende, im schlammbespritzten Kleid. Kein fauler Apfel, der ihr auf dem Hintern zerplatzte, kein Hohn, der brannte: »Seht, da rennt sie, die schöne Hoch-das-Haupt, gebt ihr was auf den Weg, der Ehebrecherin!« Sie lief schneller, ließ die Marktstraße hinter sich.

Und dann roch sie das Meer. Immer roch man es, sobald man aus dem Gefängnis enger Gassen brach, und hörte seine Stimme, selbst wenn Stürme lärmten wie heute. Noch ein paar verstreute Häuser, ein Gehöft, ein Lager, dann erstreckte sich vor ihr nichts mehr als die Salzwiese und dahinter, vom Guss gepeitscht, das Grau der Meerenge, die den Namen Solent trug. Die Insel, die sonst Wellen von Wolken trennte, schien vom Meer verschluckt.

Wohin sollte sie gehen? Bis in die größere Stadt, wo ihr Geliebter sein Haus hatte, wäre sie bei diesem Wetter die ganze Nacht unterwegs. Auf einmal fühlte sie sich so schwach, dass sie keinen Fuß mehr aus den Fängen der Nässe bekam. Wie eine der Wellen stürzte das, was ihr geschehen war, über ihr zusammen. Sie ließ sich fallen, fing sich auf Händen und Knien im Schlick. Er hatte sich an ihr ergötzt, ihr Buhle, aber würde er sie jetzt noch einlassen, eine Verstoßene, ihr hübsches Hurenhaar wie Werg verfilzt, das teure Kleid in Fetzen? An ihrer Hand sah sie den Hochzeitsring, den roten Jasper, der für Schirm und Schutz stand, dreckverschmiert. Tränen rannen wie Regen. Welchen Mann gelüstete es nach einer Geliebten, die um einen anderen weinte?

Ich muss es versuchen, sagte sie sich. Mir bleibt keine Wahl, in der Nacht kommt die Springflut. Weil ihr Regen und Wind ins Gesicht trieben, drehte sie sich um. Kehrte dem Sturm den Rücken. So sah sie das Nest von Häusern, das steile Dach des Hauptgebäudes, den kurzen Glockenturm und die würfelförmigen Wohnstätten, die sich darum duckten. Die einzigen ganz in Stein errichteten Bauten, die zur Stadt gehörten. Wiewohl sie Gott gehörten, nicht der Stadt. Domus Dei hieß das Hospiz, Haus Gottes, so hatte ihr Mann es sie gelehrt. Mildtätige Brüder und Schwestern lebten dort und boten denen, die keines hatten, ein Dach. Es stand länger hier als jedes andere Haus.

Eine Regenwehe traf ihren Rücken. Nur ein, zwei Herzschläge noch, um Kräfte zu sammeln, dann stünde sie auf und ginge ihren Weg. Nicht zu dem andern. Zu den barmherzigen Brüdern und Schwestern ginge sie und bäte dort um ein Dach. Der helle Stein der aneinandergeschmiegten Gebäude schimmerte durchs Grau. So klug bist du, mein Amselhahn, und so dumm zugleich, dachte sie. Hast du nicht gewusst, dass ich zu dem andern nie wollte, sondern zu dir, dass ich mir nur nicht helfen, dich nicht zu mir zwingen konnte, mit deinem Kopf in den Sternen, hundert Jahre voraus?

Als sie den Kopf in den Regen hob, um aufzustehen, sah sie den Reiter. Vom Domus Dei kam er, auf einem Apfelschimmel, dem Schlamm an die Flanken spritzte. Bald erkannte sie ihn. In der Stadt wurde über jenen Herrn geredet, ein Verwandter des Königs sollte er sein und auf des Königs Gut King’s Green leben. Die Frau war sicher, er hatte sie auch gesehen. Rasch senkte sie den Blick ins Erdbraun, das zwischen welkem Strandflieder Blasen warf und Priele bildete. Mit einem Platschen sprang er vom Pferd. Leiseres Platschen begleitete jeden Schritt, mit dem er näher kam. Sie umklammerte ihre Knie und duckte den Kopf ins Nest der Arme.

Mit seinem Stock stach er ihr in den Nacken. »Hoch, hoch das Frätzchen, dass ich’s ansehen kann. Mein Herz will ein verlauster Affe sein, wenn das nicht Mühlen-Gregs schöne Tochter ist.«

Ihr Leib begann zu zittern, als gehöre er nicht ihr. Sie zwang sich, den Kopf aus den Armen zu recken, bis sie ein Paar Waden in besudelten Beinlingen sah. »Einlass begehr ich«, stieß sie heraus. »Ins Haus Gottes.«

»Aber ja doch.« Der Herr lachte. Kurz streifte ihr Blick sein Gesicht, sein Haar, dessen Farbe auffiel. »Zu den keuschen Schwestern willst du. Aber du warst nicht keusch, habe ich recht, Müllerstochter?«

Sie wollte aufspringen. Sich zur Seite rollen und fliehen, zu den Häusern zurück, an verschlossene Türen hämmern. Aber es war ja zu spät. Er beugte sich über sie. Als sie sich rührte, griff seine Hand in ihr Haar.

*

In der Woche vor Erntedank rief der Bürgermeister den Mann zu sich. Der Mann ging durch die Stadt zum Gildehaus, wo der Rat tagte, und auf dem Weg schlug ihm das Herz. Er war sicher zu wissen, was ihm der Bürgermeister zu sagen hatte, und zugleich sicher, dass er es nicht hören wollte. Der Bürgermeister, der Walter Deghere hieß, empfing ihn in der Schreibstube. Der Mann nahm seine Kappe ab und hielt sie in der Hand.

»Setz dich«, sagte Walter Deghere, dessen Familie seit Jahr und Tag den Ältesten der Gilde und nunmehr auch den Bürgermeister stellte. Er sprach erst weiter, als der Mann seiner Anordnung nachgekommen war. »Du weißt, was ich von dir halte. Wie ich bei deinem Vater um dich gerungen habe, einerlei, was später geschah. Ohne Ende geredet habe ich: Schick deinen Jungen in die Lateinschule, in dem steckt mehr als in uns beiden zusammen. Glaub mir, mich kommt diese Unterredung hart an. Man hat deine Frau gefunden. Auf der Salzwiese, hundert Schritte weit vom Domus Dei.«

»Tot?«, fragte der Mann, obgleich er daran keinen Zweifel hegte.

»Totgemacht«, sagte Deghere. »Um den ranken Hals ihr Gürtelband. Hör mir zu. Jeder in der Stadt weiß, was sie dir angetan hat, jeder wird verstehen, wenn du dich an ihr vergriffen hast. Aber du musst es mir sagen, ehe morgen der Sheriff aus Southampton kommt. Ihr hätte ja harte Strafe gebührt. Wolltest du ihr die selbst erteilen, hast zu derb zugefasst, und auf einmal war sie tot?«

Der Mann sagte nichts. Rührte sich nicht.

Deghere sah ihn lange an, bis ihm die Augen brannten. »Nun gut. Wirst du sie begraben?«

Der Mann saß starr, hielt die Fäuste auf den Schenkeln, schwieg.

»Begrab sie, denk an deine Kinder. Ich lege mein Wort bei Vater Stephen ein, dass die arme Verlorene in geweihter Erde ruhen darf.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Im Domus. Der Bruder, der sie fand, hat sich erbarmt.«

Der Mann stand auf. »Ich sorge dafür, dass sie begraben wird«, versprach er und wandte sich zum Gehen.

Deghere hielt ihn nicht zurück. »Eines Tages«, rief er ihm hinterher, »wird das Leben dich lehren, wer deine Freunde sind. Für dich bete ich, dass du dann noch welche hast.«

Anderntags ging der Mann auf den Markt. Lieber hätte er keinem Menschen ins Gesicht gesehen, aber er brauchte Eisenwaren, sonst käme er mit seiner Arbeit nicht voran. Die Arbeit war alles, beschwor er sich. Um der Arbeit willen ging er zwischen den Ständen entlang wie mit der Schandmaske, die Blicke der Vorbeistreifenden scharf wie Trossenhiebe, das Hemd klebrig am Rücken, das Gewisper ein Gellen in den Ohren. Am Karren des Eisenhändlers erstand er Zwecken und Nieten. Dann kehrte er um und ging zurück durch die Gasse, bis ihm der andere den Weg verstellte. Der, den sie geliebt hatte, mit dem sie hatte gehen wollen. Er hatte nichts anderes erwartet.

Der andere war nicht größer als er, aber massiger und breiter. »Du Tier«, sagte er. »Du hast sie umgebracht.«

Der Mann wich nicht aus, sah nicht weg, sprach kein Wort. Der andere zog die Peitsche aus dem Gurt und schlug ihm übers Gesicht. »Mörder.« Dann spuckte er. »Mörder.«

Der Schmerz kam erst jetzt. Seine Wange hinab rannen Blut und Speichel. Er schob den anderen zur Seite. Zum ersten Mal berührte er ihn. Übelkeit stieg ihm in die Kehle, Schwindel füllte ihm den Kopf, und über sein linkes Auge senkte sich ein roter Schleier. Geh, befahl er sich. Grub die Zähne in die Lippen. Ging.

1. Teil:
Die Stadt im Meer

Southampton, Hampshire,
April 1336

Manche würden heute sterben. Andere würden einen Sohn gebären. Manche lichteten heute Anker, andere legten an, manche wurden krank und andere genasen. Für wieder andere wäre dieser ein Tag unter vielen. Aber für sie, für Dorothy Loyes, würde es der Tag ihrer Hochzeit sein.

Vom Hof drang Geblöke bis in die Kammer unterm Dach. Dorothy stieß den Laden der Fensterluke auf, sodass weißes Aprillicht in den Raum floss, rief einen Namen und winkte. Ihr Bruder, der im morgenkurzen Schatten der Apfelbäume stand und das zappelnde Lamm auf die Bank niederdrückte, ließ das Hackbeil fallen. Mit der freien Hand zog er die Mütze. »Gott zum Gruß, Dottie Nussholzhaar.« Als das Tier, das an allen vieren um sein Leben strampelte, ihn mit einem kleinen Huf am Arm traf, lachte er und verstärkte seinen Griff. Sein Haar war so nussholzbraun wie ihres, und sein Lachen steckte an.

»Gott zum Gruß, Clement. Beeil dich, meine Brautjungfern sind schon auf der Treppe, ich höre Isemays Gekicher.«

»Dann eil dich selbst.« Der Bruder lachte wieder. Bückte sich, ohne den Bauch des Lamms freizugeben, nahm das Beil, schwang es aus und durchtrennte dem Tier mit einem Hieb Kehle und Genick. Der gelockte Kopf fiel zu Boden, noch einmal zuckten die Läufe, um nach dem Tod zu treten wie zuvor nach Clements Arm, doch dann knickten sie wie Hölzchen um und fügten sich.

Flugs ging Clement in die Hocke, griff sich Messer und Schale und öffnete dem Tier mit zwei Schnitten die Brust. Er verstand sich darauf, war schließlich Knochenhauer wie sein Vater vor ihm. In das Blut, das er in der Schale fing, würde die Mutter Milch und Talg, zerhackte Zwiebeln und Hafermehl rühren, bis die Mischung sich zu dem köstlichen schwarzen Pudding verdickte, den Dorothy jeder Honigspeise vorzog.

Ihr Bruder wartete, bis das Tier ausgeblutet war. Dann band er ihm die Hinterläufe auf den Tragbaum und zog es zum Abhängen an der Schuppenwand hoch. Dabei sang er:

Bei Tage dreschen wir die Garben.
Und bei Nacht legen wir die Netze aus.
Wir sind die Männer vom Solent, aus hartem Holz geschnitten,
Und wenn es in den Krieg geht, gegen den Franzosen,
Dann stehen wir an uns’res Königs Seite.

Dorothy liebte seine Stimme, die bebte vor Lebenslust. Aus dem Leib des aufgehängten Lamms fischte Clement blutwarme Kaldaunen. Wenn es fertig ausgenommen war, würde er es seinem Maultier über den Rücken werfen und als Gabe der Brautfamilie nach Portsmouth bringen. Erregung packte sie. Ihr Tag war gekommen, das Warten hatte ein Ende. Über Brücken und Furten ginge ihr Hochzeitszug, denn Portsmouth war anders als andere Städte: nicht ganz Festland, nicht ganz Insel. Die ins Meer gebaute Stadt.

Auf einmal hielt Clement inne, unterbrach sein Lied und sah wortlos zu ihr auf. Dorothy war, als stehe das Bild still und präge sich ihr ein: ihr Bruder bei der Schlachtbank, unter den Apfelbäumen, in deren Geäst sie als Kinder ein Tau geknotet hatten, um daran zu schwingen. ›In den Himmel, Clement‹, hatte sie gerufen, ›schau, ich schwinge in den Himmel!‹ Von morgen an würde sie auf einen anderen Hof hinausschauen, aber dieses Bild vom Hof ihres Vaterhauses verschloss sie in der Brust, um es mitzunehmen in ihr neues Leben, das sie mit so viel Spannung erwartete.

Die Tür flog hinter ihr auf. Dorothy wirbelte herum, und die Mädchen stürmten in die Kammer, die sieben Basen und Lettice, die ledige Tochter des Nachbarn, die sie dazugebeten hatte, weil die Zahl Sieben als böses Omen für eine Hochzeit galt. Ebenso verhieß es Übel, sich im Mai zu vermählen. Wer zur Jahreszeit der Lust den Bund schloss, bekam einen lüsternen Wüstling zum Mann. Im April hingegen drohte keine Gefahr. Sie, Dorothy Loyes, war stolz auf ihre Besonnenheit und ließ sich auf Gefahren nicht ein.

Isemay, mit ihren dreizehn Jahren die jüngste der Basen, lief quer durch die Kammer und warf sich ihr in die Arme. »Du gehst wirklich fort, nicht wahr, Dottie? Nichts und niemand hält dich bei uns?«

Die Base war so schmal und leicht, noch wie ein Kind. Dorothy küsste sie auf den von gelbem Geringel bedeckten Kopf. »Nichts, mein Vöglein. Ich bin siebzehn und mannbar, gerade recht. Und heiraten muss jede von uns.«

»Das freilich schon, aber nicht jede von uns zieht fort aus unserer Stadt. O Dottie, warum gehst du nur nach Portsmouth, das ist scheußlich weit weg. So nett, wie du bist, hättest du doch auch bei uns einen guten Mann gefunden.«

»Wer den besten haben kann, lässt alle guten stehen«, bemerkte Lettice, ein ungeschlachtes Geschöpf, das die zwanzig überschritten hatte und das die Basen unter sich das schale Ale nannten. Sie hatte recht, befand Dorothy. Ihr Bräutigam, an den sie kaum denken konnte, weil ihr sonst das Herz davonjagte, war der beste von allen – ausgenommen Clement, den sie schließlich nicht heiraten konnte. Symond Fletcher hatte sich für sie entschieden. Dabei hatte sie als Tochter einer Witwe nur eine spärliche Mitgift zu bieten; zudem war sie zwar keineswegs hässlich, doch auch keine berückende Schönheit, nach der die Burschen sich die Hälse verdrehten. Dorothy besaß andere Reize: einen hellen Kopf, einen Ruf ohne Makel und rege Hände, die aus weniger mehr machten. Und noch etwas, das sich schwer benennen ließ. Süße Schärfe, sagte ihr Bruder. Etwas zum Würzen, wenn die Tage bitter schmecken.

Isemay ließ den Kopf gegen Dorothys Brust sinken. »Dein Symond Honiglocke mag der beste Mann vom Solent sein, ich tät ihn trotzdem nicht nehmen, wenn ich den grausigen Schwiegervater dazubekäme.«

»Was ist gegen den alten Francis denn zu sagen?«, hielt ihre Schwester Martha dagegen.

»Der ist Symonds Großvater«, begehrte Isemay auf. »Ich spreche von dem Teufel Aimery, wenn ich an den freilich nur denke, kraust sich mir das Haar.«

»Dein Haar kraust sich, ob du dummes Zeug schwatzt oder nicht.« Martha zog die Schwester von Dorothy fort. »Hinter dem Gewäsch über Aimery Fletcher steckt nichts als Missgunst. Selbst unser Gildemeister lässt sich ein Schiff von ihm bauen, drüben in Portsmouth, nicht bei uns auf Berkhams Werft. Das schürt böses Blut.«

Das war gut gesagt. Unter den Schiffsbaumeistern fand Symonds Vater die Küste entlang nicht seinesgleichen, und das Gemunkel über faulen Zauber, das man hier und da hörte, entsprang gewiss nur der Bosheit von Neidern. Dennoch erfasste Dorothy ein Schauder. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie im Hemd dastand und dass das offene Fenster Wind einließ. Sie wandte sich Martha zu. »Wir müssen uns beeilen.«

Gleich war die Missstimmung verflogen. Die Mädchen fassten nach ihr wie nach einem Geschenk, das es zu richten galt, und drängten sie auf die Bettstatt. Splitternackt wurde sie ausgezogen, ihre Haut gesalbt, Hals und Brust mit einer Essenz aus frühen Blüten betupft. Als machten die flinken Hände, die strichen und kneteten, aus dem Leib eines Kindes den Leib einer Frau. Jäh schloss Dorothy die Schenkel, derweil ihr klar wurde: Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, teile ich ein Geheimnis, das mich von euch trennt.

Sie legten ihr die Unterkleider an, feines Leinen, kaum erschwinglich, doch für die Hochzeit seiner Schwester hatte Clement sich nicht lumpen lassen. Wenn das Geraschel und Gekicher der Mädchen abebbte, konnte sie ihn vom Hof her noch immer sein Lied singen hören. Die plumpe Lettice war ans Fenster getreten und sah hinunter, wobei ihr gewiss die Sehnsucht aus den Augen quoll. Das schale Ale war beileibe nicht die Einzige, die für Clement schwärmte. Der jedoch träumte vom Kriegsruhm, nicht vom Ehestand. Die, die ihn einmal bekam, würde an ihrem Hochzeitstag so stolz und selig sein wie heute Dorothy.

Übers Untergewand streifte Martha ihr die Kotte, in deren Hüftteil Dorothy Keile eingesetzt hatte, damit der Rock sich bauschte. Bewundernd strich die Base ihr über die Hüfte. »Du verstehst, was den Männern den Mund wässrig macht. Dabei täte bei dir solch ein Kniff nicht einmal not.« Ich weiß, dachte Dorothy. Aber ich nähe lieber dreifach als doppelt, ich will sichergehen.

Und dann halfen ihr die Basen auf die Füße und trugen von der Truhe das Brautkleid herbei. Wolltuch, mit Waid in jenem Blau gefärbt, das für Sittsamkeit stand, doch vorn, wo der Fürspan es verschloss, tief ausgeschnitten und an den Ärmeln gerafft. »Dein Symond hat ja Geschmack«, rief Isemay und schlug die Hand vor den Mund. »Nie im Leben habe ich ein so hinreißendes Kleid gesehen.«

»Erzähl uns, Ise, für das Kleid nähmst du glatt den bösen Schwiegervater mit.«

Niemand lachte, alle berochen und befingerten das Kleid. Dorothy, die kaum hatte abwarten können, es zu tragen, fühlte sich jetzt, da es ihr umgeschnürt wurde, seltsam beklommen und steif. Als gehöre das Kleid nicht ihr, als sei die ganze Hochzeit nicht um ihretwillen ausgerichtet. Was für ein Unsinn! Seit August, seit dem Jahrmarkt von Portsmouth, hatte Symond um sie geworben. Er war verrückt nach ihr wie sie nach ihm, und eine andere gab es nicht für ihn.

Spangen schlossen sich, und das Haar, das nur noch einmal vor aller Augen über ihre Schultern fallen durfte, wurde zu schimmernden Wellen gekämmt.

»Zupft es mir vorn kräftig aus, damit meine Stirn nicht so niedrig wirkt«, befahl Dorothy. Sie wollte ihm gefallen – die Augen sollten ihm übergehen! Zuletzt wand ihr Martha das Strumpfband. Heute Abend, vor dem Einzug ins Brautgemach, würde jede Jungfer versuchen, es ihr abzureißen, denn wer das Strumpfband einer Braut ergatterte, fand als Nächste einen Bräutigam. Martha war eben fertig, da ließ Gepolter die Dielen beben.

»Sie sind da, die Männer aus Portsmouth sind da!«

Die Männer aus der ins Meer gebauten Stadt. Von morgen an meine Heimat. Dem Brauch gemäß musste Symond als Ortsfremder alle ledigen Männer der Nachbarschaft zum Umtrunk laden, weil er ihnen ein heiratsfähiges Mädchen raubte. Einen Herzschlag lang, derweil eine Base ihr Karminpaste auf die Lippen rieb, schloss Dorothy die Augen und hörte dem Lärmen zu wie einem Lied.

Was würde ihr von dem Tag im Gedächtnis bleiben, von dem einen, dessen Königin sie war? Was war das Schönste, der rahmsüße Kern der Pastete? War es nicht der Augenblick, als sie in ihrem herrlichen Kleid auf die Treppe trat und unten in der Stube, in der Horde lärmender Männer, den blonden Schopf ihres Verlobten entdeckte? Symond Fletcher. Er trug einen pflaumenblauen, auf der Brust gepolsterten Surcot, geschmückt mit Tasseln und Schellen, der knapp bis auf die Schenkel fiel. Sie waren gleich alt, er schlank und sie füllig, und ihre Größen passten zueinander. Sie würden sein, was man ein schönes Paar nannte, ein glückliches Paar, das seinem Brautzug voran in ein ordentliches Leben ging. Ihre Mutter hatte ihr stets geraten: ›Sorge vor, bette dich, wie du liegen magst‹, und das hatte Dorothy getan.

Ihr Symond würde ihr alles bieten können. Sicherheit, Wohlstand und ein Ungreifbares darüber hinaus, das sie ersehnte, wiewohl ihr die Worte dafür fehlten: Sie nannte es »etwas mehr«. Solange sie denken konnte, hatte sie darauf gewartet, dass sie dieses Etwas zu fassen bekäme. Und jetzt hielt sie es doch in den Händen, oder nicht? Während sie Symond betrachtete, drehte er den Kopf nach ihr, und sie verliebte sich noch einmal in ihn. Er hatte Züge wie einer von Adel, seine Haut war weiß und seine Augen grau. Mit diesen Himmelsaugen sah er sie an, und sie hätte allen Brauch vergessen und sich hinunter, in seine Arme stürzen wollen. Ja, die kurze Zeit auf der Treppe, als alles begann, war der süßeste Teil des Tages. Wie hätte irgendetwas, das danach kam, sich mit diesem Anfang messen können?

Die Männer zogen los, um zu trinken, die Frauen luden die Mitgift auf Karren: eine Kupferpfanne, eine Abtropfpfanne, zwei Truhen voll Leinenzeug, ein schöner, dreibeiniger Zinntopf und eine trächtige Sau. Dazu ihr Rosenkranz aus Tonperlen. Dorothy war kein reiches Mädchen, aber der Bruder gab ihr, was er aufbringen konnte: »Die sollen drüben wissen, Dottie Nussholzhaar stammt aus keinem schlechten Haus.« Zwei lebende Gänse in einem Korb schleppte er noch herbei, die waren als Geschenk für den Priester gedacht.

Als das Mannsvolk aus dem Alehaus zurückkam, fanden die Versammelten sich in der Stube zum Kreis. Erst trat Clement vor, um die Posten der Mitgift aufzuzählen, dann der graubärtige Francis Fletcher, der das vom Bräutigam gestellte Wittum offenlegte. Diese Aufgabe wäre Symonds Vater zugekommen, aber gewiss bedauerte niemand, dass der Sonderling sich nicht blicken ließ. Der Bräutigam gab seiner Braut die Hälfte einer zerbrochenen Silbermünze, und damit wurden Symond Fletcher und Dorothy Loyes zu Mann und Frau.

Warum fühlte es sich noch so unwirklich an? Warum sah Symond ihr nicht in die Augen, sondern trat gleich wieder beiseite und verschwand hinter seinen Kumpanen? Sie wollte sich all dies nicht fragen, es würde sich schon finden, würde so und nicht anders seine Richtigkeit haben. Später am Tage würde ihr Bund vom Priester eingesegnet. Francis Fletcher hatte darauf bestanden, dass das in Portsmouth geschah: »Unsere Stadt mag kleiner sein als eure, aber sie ist eine Stadt aus eigenem Recht und besitzt ihre eigene Kirche.«

In Wahrheit betrachteten die aus Southampton Portsmouth als Teil ihrer Vorstadt und beharrten auf der Zollhoheit über ihren Hafen. Immer wieder kam es darüber zu Streit, aber Dorothy war das von Herzen gleichgültig. Portsmouth war die ins Meer gebaute Stadt, ein stürmischer Geist herrschte dort, und eines Tages würde die kleine Schwester die behäbige Große überflügeln. Und wer trieb einen solchen Höhenflug voran, wenn nicht die Schiffsbaumeister, die dem König schwimmende Schlachtfelder bauten? Der König gierte nach Krieg, sagte Clement. Er würde Schiffe brauchen, wie die Fletchers sie bauten.

»Lebt wohl, reizende Dottie, Tochter dieser Stadt!« Der Mann in der Haustür zog ehrerbietig die Kappe und entblößte volle, ingwerrote Locken. Gilbert Berkham, Schiffsbaumeister und Handelsherr in einem. Er musste an die vierzig Jahre alt sein, aber so sah er nicht aus. Er nährte sich redlich, sein Gesicht war glatt wie ein frisch gepflückter Apfel. Ein Mann, dem die Frauen zugetan waren und der vielleicht ebendeshalb noch unvermählt war. Es gab Gerüchte, auch er habe sich um Dorothy beworben, aber ob die der Wahrheit entsprachen, behielt Clement für sich.

Ich hätte ohnehin keinen anderen als Symond gewollt, trumpfte Dorothy im Stillen auf. Sie nickte Berkham flüchtig zu und ließ sich von ihrem Bräutigam ins Freie geleiten, in die Aprilsonne, die inzwischen hoch am blassen Himmel stand. Vom Meer herauf wehte ein scharfer Wind. Im Hof stand ein Pferd angepflockt, schon betagt, sodass es seine Reiterin nicht abwerfen würde, aber goldbraun und hochbeinig, ein Ross für eine Braut. Symond hätte sie in den Sattel heben sollen, er trat auf den Steigklotz, aber als er Dorothy vom Boden hob, geriet er ins Schwanken und ließ sie unter Ächzen wieder fallen. Sie hatte kaum begriffen, wie ihr geschah, da war schon ein anderer zur Stelle. Gilbert Berkham fing sie, schob Symond vom Klotz und stemmte dessen Braut auf den Pferderücken. Das Tier setzte sich in Schritt, und Dorothy verspürte noch immer den festen Griff um ihre Leibesmitte.

In langer Reihe – Pferde, Maultiere, Karren – zog die Gesellschaft an den Deichen des Southampton Water entlang, sodann quer über Land, durch den breit gerodeten Weg des Waldgürtels und dann wieder hinaus auf freies, flaches Feld. Man roch das Meer, ehe man es sah, doch irgendwann blitzte es mit der Sonne auf wie in tausend Splitter geteilt. Bei Ebbe zockelten sie durch die Furt vor Sudewede, dass Hufe und Räder das seichte Wasser zum Spritzen brachten. Das Siechenhaus und die schäbigen Hütten im Sumpfland sah Dorothy nicht an. Erst dahinter, im Trockenen, begann die wahre Stadt: Vor den niedrigen Häusern scharten sich Menschen, die warfen Blumen nach dem Brautzug. »Gute Leute, kommt alle«, rief Clement von seinem Schecken herunter. »Kommt alle zum Fest.«

Gefeiert wurde auf der Gasse des heiligen Thomas, vor dem Haus, das höher als die übrigen war und das von jetzt an das ihre sein würde. Musikanten spielten mit Citern und Viole auf, ein Jongleur warf Bälle, auf denen Gesichter prangten, und fiel einer zu Boden, so rief er: »Oh, oh, da ist wieder ein Kopf zerplatzt.«

Dorothy sah alledem zu, und es kam ihr vor, als verfliege es, als könne sie nichts davon festhalten, sodass es vorbei wäre, ehe sie sich fragen konnte: Gefällt es mir? Ist es so, wie ich es mir ausgemalt habe, tage- und nächtelang? Ihre Basen ließen indessen keinen Tanz aus, und die Tafel war aufs Üppigste gedeckt. Francis Fletcher, der als Geizhals verschrien war, hatte aufgetischt wie ein Verschwender. Schwein am Spieß gab es, Huhn und Wachtelpastete, Weißfisch in Tunke, dicke Bohnen und Pfeffergurken, Salat aus Schnittlauch, Zwiebeln und Nüssen. Gelbe Butter, in Bier gebackenes Brot, mehlige Äpfel, seit dem Herbst gespart, und all die runden, nach Nelken duftenden Kuchen, die die Gäste mitbrachten und die zu einem Turm gestapelt wurden. Aus Krügen wurde Ale ausgeschenkt, aus Fässern Apfelwein und Roter aus Bayonne, den Dorothy nie zuvor getrunken hatte. Er stieg ihr zu Kopf, ließ all das Bunte, Wirre um sie schwanken. Ein Trupp Gäste, wie ein Hühnerhaufen kreischend, spielte Blindekuh. Burschen warfen Kegel, Verliebte herzten einander, es wurde auf Schultern geklopft und in Hintern gekniffen, und Dorothy, die Braut, stand inmitten der Wogen wie der Anker, an dem sich alles vertäute, auf den aber kein Mensch achtgab.

Ich bin fremd, sprang es sie an. Ihr Bräutigam war ihr nach dem Brauttanz abhanden gekommen, und ihren Bruder hatte sie seit der Ankunft nicht gesehen. Jetzt erblickte sie ihn: Er tanzte mit einer Jungfer im moosgrünen Kleid, dass Haar und Röcke flogen. Als die Spielleute die Instrumente absetzten, versuchten ein paar Kumpane, Clement in ihren Kreis zu locken: »He, alter Kampfhahn, lass dir Guy vorstellen, der war beim Halidon Hill gegen Schottland dabei.«

Clement aber, der sonst keinem Kriegsgerede widerstehen konnte, ließ die Gefährten links liegen, führte seine Tänzerin an einen Tisch und zapfte Wein für sie. Jemand pfiff, als die beiden vorübergingen. Die Haarpracht des Mädchens fächerte sich schimmernd in ihrem Rücken auf. Solches Haar hatte Dorothy bisher nur einmal gesehen. Die Blonde musste Symonds Schwester sein, die sie sogar noch in Southampton die schöne Agnes nannten.

Neben Dorothy trat eine Frau, die roch, als habe sie soeben Teig zu Brot geknetet. So sah sie auch aus, die Wangen backstubenrot. Sie legte ihr die Hand auf den Arm. »Fühlst du dich einsam? Das gibt sich, Herzlein. Du wirst es gut bei den Fletchers haben, lass dir nicht Bange machen. Ein Segen, dass endlich eine Frau ins Haus kommt, die Ordnung schafft und ein Auge auf die arme Agnes hat.« Über das Brotgesicht kroch ein Schmunzeln. »Matilda heiß ich, bin das Weib des Gildeältesten. Komm Kuchen austeilen, dein Augenschmaus von Bräutigam wartet schon.«

Symond stand vor dem Turm aus Gebäck und hob ein Messer, das sie mit verflochtenen Händen fassen und durch die Kuchen ziehen mussten. Als seine Hand die ihre packte, durchjagte Dorothy, die eben noch gefroren hatte, ein Schwall Wärme. »Süßes für alle!«, schrie irgendeiner unter den Gästen. »Anis und Honig stärken Manneskraft und Weibeslust!«

Im nächsten Augenblick bezog der Himmel sich schwarz, wie es am Meer so oft geschah, ein Windstoß riss Tafelleinen in die Höhe, wirbelte Hüte von Köpfen, und gleich darauf fiel Regen. Als hätte Gott einen Vorhang vor ihren Tag gezogen. Die Gäste schnappten sich, was sie tragen konnten, und drängten ins Haus.

Nach der fahlen Sonne war es drinnen düster. Dorothy war nie zuvor in dem Haus gewesen. Es war gut zweimal so groß wie ihr Vaterhaus, der Wohnraum weit und kahl. Matilda half der Magd, tappte behäbig umher und entzündete Wandfackeln, und mit dem Licht schälten sich Konturen aus dem Grau. Auf der Treppe stand ein Mann in dunkler Kleidung, erschrocken wie ein Verbrecher. So laut, wie es auf der Gasse gewesen war, so still war es jetzt. Bis einer rief: »Aimery!«

In langen Schritten floh der Mann durch den Raum und verließ das Haus.

Was tut ein Mädchen, wenn es ins Brautbett geführt wird, was erwartet ihr Bräutigam? Nacht um Nacht hatte Dorothy über der Frage wach gelegen, aber das Bild hatte in ihrem Kopf keine Farbe angenommen. Und als es schließlich kein Bild mehr war, sondern sie leibhaftig, ohne ihr Strumpfband, das Isemay ergattert hatte, auf dem duftend bereiteten Bett saß, sagte sie: »Der Wein hat mir sehr geschmeckt«, und glaubte selbst nicht, dass sie solch belanglosen Unsinn redete.

»Den sauf denn nur«, antwortete Symond. »Soll ja schwarze Galle vertreiben, die Weiber bei Laune halten und der Vermehrung helfen. Der Großvater hat zwei Schiffsladungen davon gekauft.«

»Für uns zum Trinken?«

»Wo denkst du hin? Freiwillig gibt der ja keinen Tropfen raus, aber Agnes zapft uns unser Teil, wenn er schläft.«

»Warum hat er ihn überhaupt gekauft?«

»Er will ihn zum Jahrmarkt verscherbeln, wenn die Preise steigen. Doch was kümmert das uns?«

Als er zu ihr kam, hatte er seinen schönen Surcot und sein Hemd zu Boden geworfen. Auf seiner Haut tanzten Lichter von der Kerze, seine Weiße und Weichheit überraschten sie. Auch sein Geruch war anders als erträumt. Saurer, fand Dorothy. »Symond, warum handelt dein Großvater mit Wein? Ihr baut doch Schiffe.«

»Mein Vater baut Schiffe.« Er griff nach ihr. »Und mein Großvater schimpft ihn einen Nichtsnutz. Er sagt, wer zu was kommen will, verlegt sich aufs Handeln. Solange ich denken kann, hab ich ja deren Gezänk im Ohr.« Er schälte ihr das Kleid von den Schultern, sah nicht hin, sondern ließ sich auf sie sacken.

Aber sie war stärker als er. Heftig, ohne innezuhalten oder zu überlegen, schob sie ihn von sich. »Dein Vater mag mich nicht.« Dass Aimery Fletcher der Trauung ferngeblieben war, kam einer Beleidigung gleich, und seine Flucht aus dem Haus schlug dem Fass den Boden aus. Dorothy rückte von Symond ab und setzte sich auf. »Warum hat er der Heirat zugestimmt, wenn ich ihm so zuwider bin?«

Seufzend hob Symond den Kopf. »Das hat ja mein Großvater getan. Um meinem Vater eins auszuwischen, denk ich, weil mein Vater hoffte, ich würde eine mit mehr Geld heimführen.«

»Weshalb?«

»Weil er ja Geld braucht für das, was er treibt. Jetzt gib doch Ruhe. Was gehen denn mich die zwei verbohrten Streithähne an?«

Mich gehen sie an, wollte Dorothy rufen, während ihr Gemahl sie einhändig niederstieß. Ich werde unter einem Dach mit ihnen hausen, mit einem Schwiegervater, der mich hasst, und einem Großvater, der mich zum Zankapfel macht. Sie hatte von diesem Augenblick geträumt, von dem Honighaar, das über sein Gesicht fiel, von Liebesblicken und geflüsterten Worten. Jetzt aber wünschte sie sich, allein zu sein, daheim in Southampton, in ihrer Kammer unterm Dach. Noch lieber wollte sie mit Symond reden, doch der quetschte ihr die Zunge in den Mund, und Dorothy würgte. Gleich darauf ließen seine Hände ihre Schultern los, spreizten ihr die Beine, nestelten, zwängten. Es tat nicht weh. Im Grunde war es kaum der Rede wert, zumal die Arbeit zwischen ihren Beinen ihn vom Küssen abhielt. Vielleicht ist meine Mundhöhle zu klein, dachte sie. Und vielleicht stimmt noch anderes nicht mit mir, weil ich von Wein und Schiffen und Schwiegervätern rede, derweil mein Liebster mich nimmt. Vielleicht kann ich kein Kind empfangen? Im nächsten Atemzug besann sie sich und verwarf solch törichtes Zeug. Es gab einiges, was eine Frau für ihre Fruchtbarkeit tun konnte, und sie hatte nichts davon versäumt. Ihr Mann stieß noch zwei-, dreimal in sie, dann sackte er zusammen. Als er von ihr herunterplumpste, gab es ein furzendes Geräusch.

Ich werde es lernen, suchte sie sich zu beschwichtigen, ehe ihr Tränen kamen. Es gab noch andere Nächte, um ihren Mann zu umarmen, um etwas mehr aus dieser Sache zu machen, so wie sie es sich gewünscht hatte. Aber gab es die wirklich? Andere Nächte nach dieser einen, auf die sie all ihr Planen gerichtet hatte? Gurgelndes Schnarchen verriet, dass Symond eingeschlafen war. Dorothy tastete nach ihrem Rosenkranz, blies die Kerze aus und lag im Dunkeln wach. Manche würden morgen sterben und andere würden einen Sohn gebären, manche würden zu Eheweibern und andere zu Witwen. Für sie aber, für Dorothy Fletcher, würde der morgige Tag der erste von vielen sein.

*

Aimery hatte befürchtet, das Fest könnte tagelang währen. Es hätte ihm nichts ausgemacht, weitere Nächte auf der Werft zu verbringen, lieber trotzte er im offenen Verschlag einem Sturm als einer Horde berauschter Gäste im Haus. Aber aus Angst vor Wasserschäden bewahrte er Geräte im Schuppen des Anwesens auf, darunter den Wetzstein, den er dringend brauchte. Er hatte ihn in mühevoller Arbeit selbst behauen, um nicht von fahrenden Schleifern abhängig zu sein, die für liederliches Handwerk überhöhte Preise verlangten.

Als er vor Tagesanbruch in die Stadt zurückkehrte, war er froh, das Anwesen in völliger Stille zu finden. Die Stadträte warnten davor, im Dunkeln allein die Straßen zu durchstreifen. Aimery aber schreckte das nächtliche Portsmouth nicht, eine Stadt, die von Menschen erbaut war und dennoch in den finsteren Stunden der Natur gehörte. Dem Meer, dem dünnen Regen, den Ratten. Er schlich sich ins Haus, durchquerte den Wohnraum und die stinkende Küche und trat in den Hof.

Den schweren Wetzstein mit der Drehvorrichtung hatte er auf einem Becken befestigt, das wiederum mit Rädern ausgestattet war, sodass das Gerät sich ins Freie schieben ließ. Er lauschte dem Scharren, dann ging er zum Brunnen, schöpfte einen Eimer voll Wasser und füllte es ins Becken. Das Wasser, das eiskalt aus der Erde kam, würde den Stein während des Schleifens kühlen. Aimery tauchte die Hände hinein, genoss den kurzen Schmerz. Gleich darauf holte er sein Werkzeug aus dem Schuppen: die Schlagaxt, mit der er Planken hackte, das Beil mit der schmalen Schneide, das zum Begradigen der Schott taugte, die Keile und Messer, die wie angewachsen in der Hand lagen. Mit der Rechten führte er das Schleifgut über den Stein, mit der Linken drehte er die Kurbel und brachte das Gerät zum Surren. Am Geräusch und an den Funken, die ins Dämmerlicht stoben, maß er die Geschwindigkeit.

Sich beinahe lautlos zu bewegen, hatte er im Laufe der Jahre geübt. Für Menschen genügte es, nicht aber für die Hühner, die, auf Futter hoffend, aus der Klappe drängten und die Leiter hinunterhüpften. Drei Legehennen, mager und zerrupft, und der verschnittene Hahn. Wo war Hilda, die Magd, die das Vieh verpflegte? Das Gegacker würde das Haus aufwecken. Aimery hatte noch keine Klinge geschliffen, da stand sein Vater in der Tür.

»Etwas Besseres hast du nicht zu tun, nein?«

»Nein«, erwiderte Aimery und drehte den Stein, dass er zischte.

»Hör damit auf«, schrie sein Vater.

Aimery umklammerte den Griff des Messers. Im Augenwinkel sah er den Vater eine Faust ballen.

»Du Nichtsnutz. Gottesleugner.«

Aimery ließ den Stein ausrollen und zog die Klinge sachte über seine Fingerspitze. Als ein Tropfen Blutes austrat, legte er das Messer beiseite und hob ein anderes auf.

»Ich rede mit dir.«

»Das entginge auch einem Mann ohne Ohren nicht.«

»Was glaubst du, wer du bist? Rennst von der Hochzeit deines Sohnes fort und beschämst die Familie vor der Stadt.«

»Vor deinen Kunden, wolltest du sagen.«

»Und wenn schon«, brüllte sein Vater. »Von meinen Kunden nährt sich diese ganze missratene Sippe, dein Sohn, der schlaffe Schluck Wasser, deine Tochter, die durch die Gegend hurt, und du, dem nichts einfällt, als gutes Holz für Schiffe zu vergeuden, als könne ein Mann noch wie zu Urzeiten davon leben.«

»Zu Urzeiten war dieses Land eine Insel«, sagte Aimery und zog das Messer vom Wetzstein, um es nicht zu verderben. »Ich wüsste nicht, dass sich daran etwas geändert hat oder dass man den Wein, den du verschacherst, neuerdings mit Karren auf Inseln schafft.«

»Ich wollte, ich könnte dich und dein Drecksmaul noch einmal zu Gelump prügeln.«

»Warum tust du es nicht? Dann bist du fertig, und ich habe meinen Frieden.« Aimery glaubte, zu hören, wie der Vater mit den Zähnen knirschte. Sein Nacken schmerzte vor Anspannung, er vermochte kaum den Kopf zu drehen.

»Am Bösen zerbricht der Stock«, zischte der andere. »Ich weiß eine Strafe, die dich härter trifft.«

Aimery richtete sich auf.

Sein Vater verzog den Mund. »Bettle ruhig, das verschafft mir Vergnügen. Aber es nützt dir nichts. Von meinem Geld bekommst du für deine Windenknechte keinen Viertelpenny.«

»Es ist mein Geld ebenso wie deines.«

»Meinst du?«