TEXTAUSGABE + LEKTÜRESCHLÜSSEL
Reclam
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© 1968, 2001, 2010, 2012, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2013
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
ISBN 978-3-15-960251-6
ISBN der Buchausgaben:
Heinrich von Kleist: Prinz Friedrich von Homburg: 978-3-15-000178-3
Manfred Eisenbeis: Lektüreschlüssel. Heinrich von Kleist: Prinz Friedrich von Homburg: 978-3-15-015428-1
www.reclam.de
Heinrich von Kleist: Prinz Friedrich von Homburg
Zu dieser Ausgabe
Manfred Eisenbeis: Lektüreschlüssel. Prinz Friedrich von Homburg
1. Erstinformation zum Werk
2. Inhalt
3. Personen
4. Werkaufbau
5. Wort- und Sacherläuterungen
6. Interpretation
7. Autor und Zeit
8. Rezeption
9. Checkliste
10. Lektüretipps / Filmempfehlungen
Heinrich von Kleist
Prinz Friedrich von Homburg
Ein Schauspiel
Reclam
Ihrer Königlichen Hoheit
der Prinzessin
Amalie Marie Anne
Gemahlin des Prinzen Wilhelm von Preußen
Bruders Sr. Majestät des Königs
geborne Prinzessin von Hessen-Homburg.
Gen Himmel schauend greift, im Volksgedränge,
Der Barde fromm in seine Saiten ein.
Jetzt trösten, jetzt verletzen seine Klänge,
Und solcher Antwort kann er sich nicht freun.
Doch eine denkt er in dem Kreis der Menge,
Der die Gefühle seiner Brust sich weihn:
Sie hält den Preis in Händen, der ihm falle,
Und krönt ihn die, so krönen sie ihn alle.
FRIEDRICH WILHELM, Kurfürst von Brandenburg
DIE KURFÜRSTIN
PRINZESSIN NATALIE VON ORANIEN, seine Nichte, Chef eines Dragonerregiments
FELDMARSCHALL DÖRFLING
PRINZ FRIEDRICH ARTHUR VON HOMBURG, General der Reuterei
OBRIST KOTTWITZ, vom Regiment der Prinzessin von Oranien
Obersten der Infanterie:
HENNINGS
GRAF TRUCHSS
GRAF HOHENZOLLERN, von der Suite des Kurfürsten
RITTMEISTER VON DER GOLZ
Rittmeister:
GRAF GEORG VON SPARREN
STRANZ
SIEGFRIED VON MÖRNER
GRAF REUSS
EIN WACHTMEISTER
OFFIZIERE, KORPORALE und REUTER. HOFKAVALIERE.
HOFDAMEN. PAGEN. HEIDUCKEN. BEDIENTEN. VOLK jeden Alters und Geschlechts.
Szene: Fehrbellin. Ein Garten im altfranzösischen Stil. Im Hintergrunde ein Schloss, von welchem eine Rampe herabführt. – Es ist Nacht.
Der Prinz von Homburg sitzt mit bloßem Haupt und offner Brust, halb wachend halb schlafend, unter einer Eiche und windet sich einen Kranz. – Der Kurfürst, seine Gemahlin, Prinzessin Natalie, der Graf von Hohenzollern, Rittmeister Golz und andere treten heimlich aus dem Schloss, und schauen, vom Geländer der Rampe, auf ihn nieder. – Pagen mit Fackeln.
DER GRAF VON HOHENZOLLERN.
Der Prinz von Homburg, unser tapfrer Vetter,
Der an der Reuter Spitze, seit drei Tagen
Den flüchtgen Schweden munter nachgesetzt,
Und sich erst heute wieder atemlos,
Im Hauptquartier zu Fehrbellin gezeigt:
Befehl ward ihm von dir, hier länger nicht,
Als nur drei Füttrungsstunden zu verweilen,
Und gleich dem Wrangel wiederum entgegen,
Der sich am Rhyn versucht hat einzuschanzen,
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Bis an die Hackelberge vorzurücken?
DER KURFÜRST. So ist’s!
HOHENZOLLERN. Die Chefs nun sämtlicher Schwadronen,
Zum Aufbruch aus der Stadt, dem Plan gemäß,
Glock zehn zu Nacht, gemessen instruiert,
Wirft er erschöpft, gleich einem Jagdhund lechzend,
Sich auf das Stroh um für die Schlacht, die uns
Bevor beim Strahl des Morgens steht, ein wenig
Die Glieder, die erschöpften, auszuruhn.
DER KURFÜRST. So hört ich! – Nun?
HOHENZOLLERN. Da nun die Stunde schlägt,
Und aufgesessen schon die ganze Reuterei
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Den Acker vor dem Tor zerstampft,
Fehlt – wer? der Prinz von Homburg noch, ihr Führer.
Mit Fackeln wird und Lichtern und Laternen
Der Held gesucht – und aufgefunden, wo?
(Er nimmt einem Pagen die Fackel aus der Hand.)
Als ein Nachtwandler, schau, auf jener Bank,
Wohin, im Schlaf, wie du nie glauben wolltest,
Der Mondschein ihn gelockt, beschäftiget,
Sich träumend, seiner eignen Nachwelt gleich,
Den prächtgen Kranz des Ruhmes einzuwinden.
DER KURFÜRST. Was!
HOHENZOLLERN. In der Tat! Schau hier herab: da sitzt er!
(Er leuchtet von der Rampe auf ihn nieder.)
DER KURFÜRST. Im Schlaf versenkt? Unmöglich!
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HOHENZOLLERN. Fest im Schlafe!
Ruf ihn bei Namen auf, so fällt er nieder.
(Pause.)
DIE KURFÜRSTIN.
Der junge Mann ist krank, so wahr ich lebe.
PRINZESSIN NATALIE.
Er braucht des Arztes –!
DIE KURFÜRSTIN. Man sollt ihm helfen, dünkt mich,
Nicht den Moment verbringen, sein zu spotten!
HOHENZOLLERN (indem er die Fackel wieder weggibt).
Er ist gesund, ihr mitleidsvollen Frauen,
Bei Gott, ich bin’s nicht mehr! Der Schwede morgen
Wenn wir im Feld ihn treffen, wird’s empfinden!
Es ist nichts weiter, glaubt mir auf mein Wort,
Als eine bloße Unart seines Geistes.
DER KURFÜRST. Fürwahr! Ein Märchen glaubt ich’s! –
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Folgt mir Freunde,
Und lasst uns näher ihn einmal betrachten.
(Sie steigen von der Rampe herab.)
EIN HOFKAVALIER (zu den Pagen).
Zurück! die Fackeln!
HOHENZOLLERN. Lasst sie, lasst sie, Freunde!
Der ganze Flecken könnt in Feuer aufgehn,
Dass sein Gemüt davon nicht mehr empfände,
Als der Demant, den er am Finger trägt.
(Sie umringen ihn; die Pagen leuchten.)
DER KURFÜRST (über ihn gebeugt).
Was für ein Laub denn flicht er? – Laub der Weide?
HOHENZOLLERN.
Was! Laub der Weid, o Herr! – Der Lorbeer ist’s,
Wie er’s gesehn hat, an der Helden Bildern,
Die zu Berlin im Rüstsaal aufgehängt.
DER KURFÜRST.
50
– Wo fand er den in meinem märkschen Sand?
HOHENZOLLERN. Das mögen die gerechten Götter wissen!
DER HOFKAVALIER.
Vielleicht im Garten hinten, wo der Gärtner
Mehr noch der fremden Pflanzen auferzieht.
DER KURFÜRST.
Seltsam beim Himmel! Doch, was gilt’s, ich weiß,
Was dieses jungen Toren Brust bewegt?
HOHENZOLLERN.
O – was! Die Schlacht von morgen, mein Gebieter!
Sterngucker sieht er, wett ich, schon im Geist,
Aus Sonnen einen Siegeskranz ihm winden.
(Der Prinz besieht den Kranz.)
DER HOFKAVALIER. Jetzt ist er fertig!
HOHENZOLLERN. Schade, ewig schade,
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Dass hier kein Spiegel in der Nähe ist!
Er würd ihm eitel, wie ein Mädchen nahn,
Und sich den Kranz bald so, und wieder so,
Wie eine florne Haube aufprobieren.
DER KURFÜRST.
Bei Gott! Ich muss doch sehn, wie weit er’s treibt!
(Der Kurfürst nimmt ihm den Kranz aus der Hand; der Prinz errötet und sieht ihn an. Der Kurfürst schlingt seine Halskette um den Kranz und gibt ihn der Prinzessin; der Prinz steht lebhaft auf. Der Kurfürst weicht mit der Prinzessin, welche den Kranz erhebt, zurück; der Prinz mit ausgestreckten Armen, folgt ihr.)
DER PRINZ VON HOMBURG (flüsternd).
Natalie! Mein Mädchen! Meine Braut!
DER KURFÜRST.
Geschwind! Hinweg!
HOHENZOLLERN. Was sagt der Tor?
DER HOFKAVALIER. Was sprach er?
(Sie besteigen sämtlich die Rampe.)
DER PRINZ VON HOMBURG.
Friedrich! Mein Fürst! Mein Vater!
HOHENZOLLERN. Höll und Teufel!
DER KURFÜRST (rückwärts ausweichend).
Öffn’ mir die Pforte nur!
DER PRINZ VON HOMBURG. O meine Mutter!
HOHENZOLLERN. Der Rasende! Er ist –
DIE KURFÜRSTIN. Wen nennt er so?
DER PRINZ VON HOMBURG (nach dem Kranze greifend).
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O! Liebste! Was entweichst du mir? Natalie!
(Er erhascht einen Handschuh von der Prinzessin Hand.)
HOHENZOLLERN. Himmel und Erde! Was ergriff er da?
DER HOFKAVALIER.
Den Kranz?
NATALIE. Nein, nein!
HOHENZOLLERN (öffnet die Tür).
Hier rasch herein, mein Fürst!
Auf dass das ganze Bild ihm wieder schwinde!
DER KURFÜRST.
Ins Nichts mit dir zurück, Herr Prinz von Homburg,
Ins Nichts, ins Nichts! In dem Gefild der Schlacht,
Sehn wir, wenn’s dir gefällig ist, uns wieder!
Im Traum erringt man solche Dinge nicht!
(Alle ab; die Tür fliegt rasselnd vor dem Prinzen zu.)
Pause.
DER PRINZ VON HOMBURG bleibt einen Augenblick, mit dem Ausdruck der Verwunderung, vor der Tür stehen; steigt dann sinnend, die Hand, in welcher er den Handschuh hält, vor die Stirn gelegt, von der Rampe herab; kehrt sich sobald er unten ist, um, und sieht wieder nach der Tür hinauf.
Der Graf von Hohenzollern tritt von unten, durch eine Gittertür, auf. Ihm folgt ein Page. – Der Prinz von Homburg.
DER PAGE (leise).
Herr Graf, so hört doch! Gnädigster Herr Graf!
HOHENZOLLERN (unwillig).
Still! die Zikade! – Nun? Was gibt’s?
PAGE. Mich schickt –!
HOHENZOLLERN.
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Weck ihn mit deinem Zirpen mir nicht auf!
– Wohlan! Was gibt’s?
PAGE. Der Kurfürst schickt mich her!
Dem Prinzen möchtet Ihr, wenn er erwacht,
Kein Wort, befiehlt er, von dem Scherz entdecken,
Den er sich eben jetzt mit ihm erlaubt!
HOHENZOLLERN (leise).
Ei, so leg dich im Weizenfeld aufs Ohr,
Und schlaf dich aus! Das wusst ich schon! Hinweg!
(Der Page ab.)
Der Graf von Hohenzollern und der Prinz von Homburg.
HOHENZOLLERN (indem er sich in einiger Entfernung hinter dem Prinzen stellt, der noch immer unverwandt die Rampe hinaufsieht).
Arthur!
(Der Prinz fällt um.)
Da liegt er; eine Kugel trifft nicht besser!
(Er nähert sich ihm.)
Nun bin ich auf die Fabel nur begierig,
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Die er ersinnen wird, mir zu erklären,
Warum er hier sich schlafen hat gelegt.
(Er beugt sich über ihn.)
Arthur! He! Bist des Teufels du? Was machst du?
Wie kommst du hier zu Nacht auf diesen Platz?
DER PRINZ VON HOMBURG. Je, Lieber!
HOHENZOLLERN. Nun, fürwahr, das muss ich sagen!
Die Reuterei ist die du kommandierst,
Auf eine Stunde schon im Marsch voraus,
Und du, du liegst im Garten hier, und schläfst.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Welch eine Reuterei?
HOHENZOLLERN. Die Mamelucken! –
So wahr ich Leben atm’, er weiß nicht mehr,
100
Dass er der märkschen Reuter Oberst ist?!
DER PRINZ VON HOMBURG (steht auf).
Rasch! Meinen Helm! Die Rüstung!
HOHENZOLLERN. Ja wo sind sie?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Zur Rechten, Heinz, zur Rechten; auf dem Schemel!
HOHENZOLLERN.
Wo? Auf dem Schemel?
DER PRINZ VON HOMBURG. Ja, da legt ich, mein ich –!
HOHENZOLLERN (sieht ihn an).
So nimm sie wieder von dem Schemel weg!
DER PRINZ VON HOMBURG.
– Was ist dies für ein Handschuh?
(Er betrachtet den Handschuh, den er in der Hand hält.)
HOHENZOLLERN. Ja, was weiß ich? –
(Für sich.)
Verwünscht! Den hat er der Prinzessin Nichte,
Dort oben unbemerkt vom Arm gerissen!
(Abbrechend.)
Nun, rasch! Hinweg! Was säumst du? Fort!
DER PRINZ VON HOMBURG (wirft den Handschuh wieder weg).
Gleich, gleich! –
He, Franz, der Schurke der mich wecken sollte!
HOHENZOLLERN (betrachtet ihn). Er ist ganz rasend toll!
DER PRINZ VON HOMBURG. Bei meinem Eid!
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Ich weiß nicht, liebster Heinrich, wo ich bin.
HOHENZOLLERN. In Fehrbellin, du sinnverwirrter Träumer;
In einem von des Gartens Seitengängen,
Der ausgebreitet hinterm Schlosse liegt!
DER PRINZ VON HOMBURG (für sich).
Dass mich die Nacht verschläng! Mir unbewusst
Im Mondschein bin ich wieder umgewandelt!
(Er fasst sich.)
Vergib! Ich weiß nun schon. Es war, du weißt, vor Hitze,
Im Bette gestern fast nicht auszuhalten.
Ich schlich erschöpft in diesen Garten mich,
120
Und weil die Nacht so lieblich mich umfing,
Mit blondem Haar, von Wohlgeruch ganz triefend
Ach! wie den Bräutgam eine Perserbraut,
So legt ich hier in ihren Schoß mich nieder.
– Was ist die Glocke jetzo?
HOHENZOLLERN. Halb auf Zwölf.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Und die Schwadronen, sagst du, brachen auf?
HOHENZOLLERN.
Versteht sich, ja! Glock zehn; dem Plan gemäß!
Das Regiment Prinzessin von Oranien,
Hat, wie kein Zweifel ist, an ihrer Spitze
Bereits die Höhn von Hackelwitz erreicht,
130
Wo sie des Heeres stillen Aufmarsch morgen,
Dem Wrangel gegenüber decken sollen.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Es ist gleichviel! Der alte Kottwitz führt sie,
Der jede Absicht dieses Marsches kennt.
Zudem hätt ich zurück ins Hauptquartier
Um zwei Uhr morgens wieder kehren müssen,
Weil hier Parole noch soll empfangen werden:
So blieb ich besser gleich im Ort zurück.
Komm; lass uns gehn! Der Kurfürst weiß von nichts?
HOHENZOLLERN.
Ei, was! Der liegt im Bette längst und schläft.
(Sie wollen gehen; der Prinz stutzt, kehrt sich um, und nimmt den Handschuh auf.)
DER PRINZ VON HOMBURG.
140
Welch einen sonderbaren Traum träumt ich?! –
Mir war, als ob, von Gold und Silber strahlend
Ein Königsschloss sich plötzlich öffnete,
Und hoch von seiner Marmorramp’ herab,
Der ganze Reigen zu mir niederstiege,
Der Menschen, die mein Busen liebt:
Der Kurfürst und die Fürstin und die – Dritte,
– Wie heißt sie schon?
HOHENZOLLERN. Wer?
DER PRINZ VON HOMBURG (er scheint zu suchen).
Jene – die ich meine!
Ein Stummgeborner würd sie nennen können!
HOHENZOLLERN. Die Platen?
DER PRINZ VON HOMBURG. Nicht doch, Lieber!
HOHENZOLLERN. Die Ramin?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Nicht, nicht doch, Freund!
150
HOHENZOLLERN. Die Bork? die Winterfeld?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Nicht, nicht; ich bitte dich! Du siehst die Perle
Nicht vor dem Ring, der sie in Fassung hält.
HOHENZOLLERN.
Zum Henker, sprich! Lässt das Gesicht sich raten?
– Welch eine Dame meinst du?
DER PRINZ VON HOMBURG. Gleichviel! Gleichviel!
Der Nam ist mir, seit ich erwacht, entfallen,
Und gilt zu dem Verständnis hier gleichviel.
HOHENZOLLERN. Gut! So sprich weiter!
DER PRINZ VON HOMBURG. Aber stör mich nicht! –
Und er, der Kurfürst, mit der Stirn des Zeus,
Hielt einen Kranz von Lorbeern in der Hand:
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Er stellt sich dicht mir vor das Antlitz hin,
Und schlägt, mir ganz die Seele zu entzünden,
Den Schmuck darum, der ihm vom Nacken hängt,
Und reicht ihn, auf die Locken mir zu drücken
– O Lieber!
HOHENZOLLERN. Wem?
DER PRINZ VON HOMBURG. O Lieber!
HOHENZOLLERN. Nun, so sprich!
DER PRINZ VON HOMBURG.
– Es wird die Platen wohl gewesen sein.
HOHENZOLLERN. Die Platen? Was! – Die jetzt in Preußen ist?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Die Platen. Wirklich. Oder die Ramin.
HOHENZOLLERN.
Ach, die Ramin! Was! Die, mit roten Haaren! –
Die Platen, mit den schelmschen Veilchenaugen!
Die, weiß man, die gefällt dir.
170
DER PRINZ VON HOMBURG. Die gefällt mir. –
HOHENZOLLERN.
Nun, und die, sagst du, reichte dir den Kranz?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Hoch auf, gleich einem Genius des Ruhms,
Hebt sie den Kranz, an dem die Kette schwankte,
Als ob sie einen Helden krönen wollte.
Ich streck, in unaussprechlicher Bewegung,
Die Hände streck ich aus, ihn zu ergreifen:
Zu Füßen will ich vor ihr niedersinken.
Doch, wie der Duft, der über Täler schwebt,
Vor eines Windes frischem Hauch zerstiebt,
180
Weicht mir die Schar, die Ramp’ ersteigend, aus.
Die Rampe dehnt sich, da ich sie betrete,
Endlos, bis an das Tor des Himmels aus,
Ich greife rechts, ich greife links umher,
Der Teuren einen ängstlich zu erhaschen.
Umsonst! Des Schlosses Tor geht plötzlich auf;
Ein Blitz der aus dem Innern zuckt, verschlingt sie;
Das Tor fügt rasselnd wieder sich zusammen:
Nur einen Handschuh, heftig, im Verfolgen,
Streif ich der süßen Traumgestalt vom Arm:
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Und einen Handschuh, ihr allmächtgen Götter,
Da ich erwache, halt ich in der Hand!
HOHENZOLLERN.
Bei meinem Eid! – Und nun meinst du, der Handschuh,
Der sei der ihre?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Wessen?
HOHENZOLLERN. Nun, der Platen!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Der Platen. Wirklich. Oder der Ramin. –
HOHENZOLLERN (lacht).
Schelm, der du bist, mit deinen Visionen!
Wer weiß von welcher Schäferstunde, traun,
Mit Fleisch und Bein hier wachend zugebracht,
Dir noch der Handschuh in den Händen klebt!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Was! Mir? Bei meiner Liebe –!
HOHENZOLLERN. Ei so, zum Henker,
200
Was kümmert’s mich? Meinthalben sei’s die Platen,
Sei’s die Ramin! Am Sonntag geht die Post nach Preußen,
Da kannst du auf dem kürzsten Weg erfahren,
Ob deiner Schönen dieser Handschuh fehlt. –
Fort! Es ist zwölf. Was stehn wir hier und plaudern?
DER PRINZ VON HOMBURG (träumt vor sich nieder).
– Da hast du recht. Lass uns zu Bette gehn.
Doch, was ich sagen wollte, Lieber,
Ist die Kurfürstin noch und ihre Nichte hier,
Die liebliche Prinzessin von Oranien,
Die jüngst in unser Lager eingetroffen?
HOHENZOLLERN.
Warum? – Ich glaube gar, der Tor –?
210
DER PRINZ VON HOMBURG. Warum? –
Ich sollte, weißt du, dreißig Reuter stellen,
Sie wieder von dem Kriegsplatz wegzuschaffen,
Ramin hab ich deshalb beordern müssen.
HOHENZOLLERN.
Ei, was! Die sind längst fort! Fort, oder reisen gleich!
Ramin, zum Aufbruch völlig fertig, stand
Die ganze Nacht durch mindstens am Portal.
Doch fort! Zwölf ist’s; und eh die Schlacht beginnt,
Wünsch ich mich noch ein wenig auszuruhn.
(Beide ab.)
Szene: Ebendaselbst. Saal im Schloss. Man hört in der Ferne schießen.
Die Kurfürstin und die Prinzessin Natalie in Reisekleidern, geführt von einem Hofkavalier, treten auf und lassen sich zur Seite nieder. Hofdamen. Hierauf der Kurfürst, Feldmarschall Dörfling, der Prinz von Homburg, den Handschuh im Kollett, der Graf von Hohenzollern, Graf Truchß, Obrist Hennings, Rittmeister von der Golz und mehrere andere Generale, Obersten und Offiziere.
DER KURFÜRST. Was ist dies für ein Schießen? – Ist das Götz?
FELDMARSCHALL DÖRFLING.
220
Das ist der Oberst Götz, mein Fürst und Herr,
Der mit dem Vortrab gestern vorgegangen.
Er hat schon einen Offizier gesandt,
Der im voraus darüber dich beruhge.
Ein schwedscher Posten ist, von tausend Mann,
Bis auf die Hackelberge vorgerückt;
Doch haftet Götz für diese Berge dir,
Und sagt mir an, du möchtest nur verfahren,
Als hätte sie sein Vortrab schon besetzt.
DER KURFÜRST (zu den Offizieren).
Ihr Herrn, der Marschall kennt den Schlachtentwurf;
230
Nehmt euren Stift, bitt ich, und schreibt ihn auf.
(Die Offiziere versammeln sich auf der andern Seite um den Feldmarschall und nehmen ihre Schreibtafeln heraus.)
DER KURFÜRST (wendet sich zu dem Hofkavalier).
Ramin ist mit dem Wagen vorgefahren?
DER HOFKAVALIER.
Im Augenblick, mein Fürst. – Man spannt schon an.
DER KURFÜRST (lässt sich auf einen Stuhl hinter der Kurfürstin und Prinzessin nieder).
Ramin wird meine teur’ Elisa führen,
Und dreißig rüstge Reuter folgen ihm.
Ihr geht auf Kalkhuhns, meines Kanzlers, Schloss
Bei Havelberg, jenseits des Havelstroms,
Wo sich kein Schwede mehr erblicken lässt. –
DIE KURFÜRSTIN. Hat man die Fähre wieder hergestellt?
DER KURFÜRST. Bei Havelberg! – Die Anstalt ist getroffen.
240
Zudem ist’s Tag, bevor ihr sie erreicht.
(Pause.)
Natalie ist so still, mein süßes Mädchen?
– Was fehlt dem Kind?
PRINZESSIN NATALIE. Mich schauert, lieber Onkel.
DER KURFÜRST.
Und gleichwohl ist mein Töchterchen so sicher,
In ihrer Mutter Schoß war sie’s nicht mehr.
(Pause.)
DIE KURFÜRSTIN.
Wann, denkst du, werden wir uns wiedersehen?
DER KURFÜRST.
Wenn Gott den Sieg mir schenkt, wie ich nicht zweifle,
Vielleicht im Laufe dieser Tage schon.
(Pagen kommen und servieren den Damen ein Frühstück. – Feldmarschall Dörfling diktiert. – Der Prinz von Homburg, Stift und Tafel in der Hand, fixiert die Damen.)
FELDMARSCHALL.
Der Plan der Schlacht, ihr Herren Obersten,
Den die Durchlaucht des Herrn ersann, bezweckt,
250
Der Schweden flüchtges Heer, zu gänzlicher
Zersplittrung, von dem Brückenkopf zu trennen,
Der an dem Rhynfluss ihren Rücken deckt.
Der Oberst Hennings –!
OBERST HENNINGS. Hier! (Er schreibt.)
FELDMARSCHALL. Der nach des Herren Willen heut
Des Heeres rechten Flügel kommandiert,
Soll, durch den Grund der Hackelbüsche, still
Des Feindes linken zu umgehen suchen,
Sich mutig zwischen ihn und die drei Brücken werfen,
Und mit dem Grafen Truchß vereint –
Graf Truchß!
GRAF TRUCHSS. Hier! (Er schreibt.)
FELDMARSCHALL.
260
Und mit dem Grafen Truchß vereint –
(Er hält inne.)
Der auf den Höhn indes, dem Wrangel gegenüber,
Mit den Kanonen Posten hat gefasst –
GRAF TRUCHSS (schreibt).
Kanonen Posten hat gefasst –
FELDMARSCHALL. Habt Ihr?
(Er fährt fort.)
Die Schweden in den Sumpf zu jagen suchen,
Der hinter ihrem rechten Flügel liegt.
EIN HEIDUCK (tritt auf).
Der Wagen, gnädge Frau, ist vorgefahren.
(Die Damen stehen auf.)
FELDMARSCHALL.
Der Prinz von Homburg –
DER KURFÜRST (erhebt sich gleichfalls).
– Ist Ramin bereit?
DER HEIDUCK.
Er harrt zu Pferd schon unten am Portal.
(Die Herrschaften nehmen Abschied voneinander.)
GRAF TRUCHSS (schreibt).
Der hinter ihrem rechten Flügel liegt.
FELDMARSCHALL.
270
Der Prinz von Homburg –
Wo ist der Prinz von Homburg?
GRAF VON HOHENZOLLERN (heimlich). Arthur!
DER PRINZ VON HOMBURG (fährt zusammen). Hier!
HOHENZOLLERN.
Bist du bei Sinnen?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Was befiehlt mein Marschall?
(Er errötet, stellt sich mit Stift und Pergament und schreibt.)
FELDMARSCHALL.
Dem die Durchlaucht des Fürsten wiederum
Die Führung ruhmvoll, wie bei Rathenow,
Der ganzen märkschen Reuterei vertraut –
(Er hält inne.)
Dem Obrist Kottwitz gleichwohl unbeschadet,
Der ihm mit seinem Rat zur Hand wird gehn –
(Halblaut zum Rittmeister Golz.)
Ist Kottwitz hier?
RITTMEISTER VON DER GOLZ.
Nein, mein General, du siehst,
Mich hat er abgeschickt, an seiner Statt,
280
Aus deinem Mund den Kriegsbefehl zu hören.
(Der Prinz sieht wieder nach den Damen herüber.)
FELDMARSCHALL (fährt fort).
Stellt, auf der Ebne sich, beim Dorfe Hackelwitz,
Des Feindes rechtem Flügel gegenüber,
Fern außer dem Kanonenschusse auf.
RITTMEISTER VON DER GOLZ (schreibt).
Fern außer dem Kanonenschusse auf.
(Die Kurfürstin bindet der Prinzessin ein Tuch um den Hals. Die Prinzessin, indem sie sich die Handschuh anziehen will, sieht sich um, als ob sie etwas suchte.)
DER KURFÜRST (tritt zu ihr).
Mein Töchterchen, was fehlt dir –?
DIE KURFÜRSTIN. Suchst du etwas?
PRINZESSIN NATALIE.
Ich weiß nicht, liebe Tante, meinen Handschuh –
(Sie sehen sich alle um.)
DER KURFÜRST (zu den Hofdamen).
Ihr Schönen! Wollt ihr gütig euch bemühn?
DIE KURFÜRSTIN (zur Prinzessin).
Du hältst ihn, Kind.
NATALIE. Den rechten; doch den linken?
DER KURFÜRST.
Vielleicht dass er im Schlafgemach geblieben?
NATALIE. O liebe Bork!
DER KURFÜRST (zu diesem Fräulein).
Rasch, rasch!
290
NATALIE. Auf dem Kamin!
(Die Hofdame ab.)
DER PRINZ VON HOMBURG (für sich).
Herr meines Lebens! hab ich recht gehört?
(Er nimmt den Handschuh aus dem Kollett.)
FELDMARSCHALL (sieht in ein Papier, das er in der Hand hält).
Fern außer dem Kanonenschusse auf. –
(Er fährt fort.)
Des Prinzen Durchlaucht wird –
DER PRINZ VON HOMBURG. Den Handschuh sucht sie –
(Er sieht bald den Handschuh, bald die Prinzessin an.)
FELDMARSCHALL.
Nach unsers Herrn ausdrücklichem Befehl –
RITTMEISTER VON DER GOLZ (schreibt).
Nach unsers Herrn ausdrücklichem Befehl –
FELDMARSCHALL.
Wie immer auch die Schlacht sich wenden mag,
Vom Platz nicht, der ihm angewiesen, weichen –
DER PRINZ VON HOMBURG.
– Rasch, dass ich jetzterprüfe, ob er’s ist!
(Er lässt, zugleich mit seinem Schnupftuch, den Handschuh fallen; das Schnupftuch hebt er wieder auf, den Handschuh lässt er so, dass ihn jedermann sehen kann, liegen.)
FELDMARSCHALL (befremdet).
Was macht des Prinzen Durchlaucht?
GRAF VON HOHENZOLLERN (heimlich). Arthur!
DER PRINZ VON HOMBURG. Hier!
HOHENZOLLERN. Ich glaub,
Du bist des Teufels?!
DER PRINZ VON HOMBURG.
300
Was befiehlt mein Marschall?
(Er nimmt wieder Stift und Tafel zur Hand. Der Feldmarschall sieht ihn einen Augenblick fragend an. – Pause.)
RITTMEISTER VON DER GOLZ (nachdem er geschrieben).
Vom Platz nicht, der ihm angewiesen, weichen –
FELDMARSCHALL (fährt fort).
Als bis, gedrängt von Hennings und von Truchß –
DER PRINZ VON HOMBURG (zum Rittmeister Golz, heimlich, indem er in seine Schreibtafel sieht).
Wer? lieber Golz! Was? Ich?
RITTMEISTER VON DER GOLZ. Ihr, ja! Wer sonst?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Vom Platz nicht soll ich –?
RITTMEISTER VON DER GOLZ. Freilich!
FELDMARSCHALL