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EIN WORT
ZUVOR

»Sweets for my sweet, sugar for my honey …« Wie unbeschwert die Zeilen dieses Ohrwurms aus den Siebzigern klingen. Ja, süß tut gut, schmeckt toll und macht das Leben erst so richtig schön. Vor allem, wenn wir gestresst sind oder müde, eine kleine Belohnung zwischendurch brauchen oder uns abends auf der Couch vor dem Fernseher erholen. Und wer denkt beim Mitsummen und stummen Genießen schon an seine Zähne? An zu enge Jeans und im Bauchfett verborgene Risikofaktoren, die sehr krank machen können? An metabolisches Syndrom oder Typ-2-Diabetes? An Alzheimer und Depressionen? Nicht zuletzt: an eine stoffgebundene Abhängigkeit, ähnlich wie nach Zigaretten oder Alkohol, von der man nur schwer wieder loskommt? Eine Sucht, die Hunger macht und nie satt – und zu dick?

In Wahrheit hat die Liebe zu allem, was süß ist, in den westlichen Ländern und zunehmend auch in den Schwellenländern ihre Unschuld längst verloren. Ärzte und Ernährungswissenschaftler warnen insbesondere vor Zucker als einem der gefährlichsten Gifte unserer Zeit. Gleichzeitig steigt der Zuckerkonsum, der Jahr für Jahr von der Industrie mit Milliarden Werbe-Euros und -Dollars angeheizt wird, nach wie vor. Mit dem süßen Gift lässt sich viel Geld verdienen. In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Zuckerverbrauch weltweit verdreifacht. Allein in Deutschland hat er seit 1995 um 400 Gramm pro Kopf und Jahr zugenommen. Pro Jahr verzehrt jeder Deutsche 36 Kilogramm Zucker, jeder Amerikaner sogar 58 Kilogramm – das meiste davon versteckt in hochverarbeiteten Lebensmitteln und Süßgetränken.

Was im Lauf der menschlichen Evolutionsgeschichte ein wichtiger und vor allem seltener Energieträger war, ist heute zu einem billigen, ständig verfügbaren und unbegrenzt haltbaren Grundlebensmittel geworden, obwohl es sich bei ihm nur um ein Genussmittel handelt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nennt ihn »leer«, weil er kein einziges Vitamin und keine für den Körper wichtigen Mineralstoffe enthält.

Trotzdem macht Zucker glücklich, gilt als ein hochwirksames Antistress- oder Antifrustmittel und sorgte zumindest, als unsere Steinzeit-Vorfahren auf der Suche nach Nahrung noch den ganzen Tag auf den Beinen waren, für die nötigen Energiereserven. Da sich unsere Welt seither radikal geändert hat, der menschliche Stoffwechsel aber immer noch im Urzeitmodus tickt, haben wir heute ein erhebliches Problem. Die extreme Mehrproduktion von Lebensmitteln sowie die Vorratshaltung sind einerseits Zeichen eines wohlhabenden Lebensstils, haben aber sich epidemisch verbreitende Stoffwechselstörungen wie Diabetes und neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer im Schlepptau. Zahlreiche Studien zeigen, dass Zucker nicht nur dick, müde und schlapp macht, sondern extrem zell- und stoffwechsel- und damit organschädigend wirkt. Auf lange Sicht verändert er außerdem den Gehirnstoffwechsel so, dass die Substanz zum Suchtmittel wird und damit den Hunger nach immer mehr Zucker antreibt.

Die Erkenntnisse in diesem Buch sind das Ergebnis der engen Zusammenarbeit und des daraus resultierenden Lernprozesses zwischen verschiedenen Disziplinen: die umfassende Praxiserfahrung des Arztes Dr. med. Kurt Mosetter, die biochemische Forschung von Dr. Wolfgang A. Simon, die Rezepte für das Zucker-Entwöhnungsprogramm der renommierten Food-Journalistin Angelika Ilies und die Umsetzung in Buchform durch die Wissenschaftsautorin Anna Cavelius. Miteinander und voneinander haben wir im Dialog gelernt und gemeinsame Konzepte entwickelt, die einen Ausstieg aus der Zuckersucht möglich machen. Danken möchten wir an dieser Stelle vor allem Dr. med. Klaus Erpenbach aus Köln und dem Zahnarzt Prof. Dr. med. dent. Tilman Fritsch aus Bayerisch Gmain für ihre wertvollen Beiträge (> und >).

Die Frage, was Vorrang habe, eine gesunde Ernährungsweise oder eine, die schmeckt, wird in diesem Buch ganz klar mit einem »Sowohl-als-auch« beantwortet. Gesund genießen ist möglich! Alle Genussrezepte ab > helfen Ihnen dabei, einen entgleisten Zuckerstoffwechsel umzuerziehen, ohne dass Sie dabei auf Süßes verzichten müssten. Hier finden Sie für alle Mahlzeiten, die ohne Süßes gar nicht auskommen können – also Brot & Brötchen, süße Frühstücke & Hauptspeisen sowie Desserts –, tolle Alternativen, die Ihren Stoffwechsel entlasten und ein süßes, aber zuckerfreies Leben möglich machen. So wird aus dem Entwöhnungsprogramm ein echtes Wohlfühl- und Gesundheitsprogramm, mit dem Sie sogar bereits bestehende Folgebeschwerden aufgrund entgleister Stoffwechselprozesse erfolgreich ausgleichen können.

Wir wünschen eine spannende Lektüre und alles Gute!

SÜSS UND GIFTIG

Zucker gehört für viele Menschen zum Alltag einfach dazu. Egal ob als Gummibärchen, Schokolade und Müsliriegel oder in versteckter Form in Brot, Nudeln und Fastfood: Zucker macht den Großteil der Energie aus, die wir mit der Nahrung zu uns nehmen. Wissenschaftler sprechen sogar schon von seinem Suchtpotenzial. Dabei braucht unser Körper Zucker durchaus als wichtigen Energielieferanten. Es kommt allerdings auf die Menge und die Beschaffenheit an.

SWEETS FOR
MY SWEET …

Ein Schock für alle, die gerne süß und kohlenhydratreich essen: Zucker soll – wie verschiedene wissenschaftliche Studien belegen – im Gehirn die gleichen Suchtzentren wie Alkohol und Drogen aktivieren. Tatsächlich feuern Limo, Cola, Gummibärchen & Co diejenigen Regionen im Gehirn an, welche für Belohnung, Motivation und Wohlbefinden zuständig sind. Süßigkeiten und stärkereiches Weißmehl und Weißmehlprodukte lösen dabei im Gehirn die Ausschüttung derselben Botenstoffe aus wie harte Drogen. Die erste Geige spielt der Belohnungs-Nervenbotenstoff Dopamin mit seinen Bindungssystemen in der Steuerzentrale im Kopf: Zuerst peitscht der Zucker seine Ausschüttung regelrecht an und wir fühlen uns supergut. In der Folge aber werden bei gleichem Nachschub die Signale immer kürzer und schwächer. Dann braucht es immer mehr und immer häufiger Süßes. Auch das Wohlfühlhormon Serotonin wird zuerst überaktiviert, bis sich schließlich ebenfalls ein Mangelzustand entwickelt, spürbar an Unruhe, Schlafstörungen, Schmerz, Muskelverspannungen und Abgeschlagenheit. Die Gier nach Zucker wächst. Zusätzlich zu diesen Verschiebungen werden mit der Zuckersucht auch die körpereigenen Opiat- und Cannabis-Systeme verstärkt aktiviert. Über ihre unnatürliche Aktivierung verlieren die physiologischen Glückshormone – Endorphine und Endocannabinoide – ihre natürliche Balance. Unter diesen Vorzeichen können sich dann Symptome wie Erschöpfung, innere Unruhe, Ängste, Albträume, Panik, Fressattacken, Zittern und Schmerzen unkontrolliert im Körper ausbreiten.

Trotz der schweren »Nebenwirkungen« fällt es vielen Menschen schwer, den Zucker einfach vom Speiseplan zu streichen. Sie entwickeln sogar regelrechte Entzugssymptome, wenn ihr Körper nichts Süßes mehr bekommt. Stress, Hunger und Unruhezustände bestimmen die Betroffenen. Die logische Folge: Sie werden rückfällig. Um dies zu vermeiden, sollte der Zuckerentzug schrittweise und gezielt erfolgen, damit der Stoffwechsel umlernen und sich umstellen kann. Entzug bedeutet dabei nicht Verzicht. Es gibt auch gesunde, gute Zucker.

Auf Süßes programmiert

Zuerst die gute Nachricht: Eigentlich können wir ja gar nichts für unseren unendlichen Heißhunger auf Schokolade, Gummibärchen, Schokoeis, eine große Portion Nudeln, auf Trauben und Pfirsiche, auf Brötchen und Baguette, auf ein Glas Cola oder Apfelsaft. Denn all diese Speisen und Getränke haben eine wunderbare gemeinsame Eigenschaft. Sie schmecken mehr oder weniger süß, machen wach und gut gelaunt und – zumindest für kurze Zeit – satt und glücklich.

Das Wissen um die tiefe Zuneigung zu dieser Geschmacksqualität bringt jeder Mensch von Anfang an mit auf die Welt. Man muss sie nicht erlernen, sie ist genetisch in unserem biologischen Programm verankert. Babys auf der ganzen Welt lieben vom ersten Schluck Muttermilch (und auch gesüßter Ersatzmilch) an Süßes. Denn durch den in ihr enthaltenen Milchzucker (Laktose) schmeckt auch Muttermilch leicht süßlich. Saures, sehr Salziges oder gar Bitteres hingegen lehnen die Neugeborenen entschieden ab, wie in Studien beobachtet wurde. An diese Geschmacksrichtungen gewöhnt sich der Mensch erst im Laufe seines Lebens – abhängig von der individuellen Geschmacksprägung und -erziehung beziehungsweise den Ernährungsgepflogenheiten der Familie, in die man hineingeboren wird. Die Neigung für Süßes – für Anthropologen übrigens der unschlagbare Beweis für eine universelle Vorliebe – veranlasste den US-amerikanischen Psychologen Paul Rozin dazu, vom »Sicherheitsgeschmack der Evolution« zu sprechen. Tatsächlich gibt es kaum ein süßes, natürliches Lebensmittel, das giftig ist.

Süß = harmlos?

Um blitzschnell Bekömmliches von Ungenießbarem unterscheiden zu können – und Vergiftungen und Unverträglichkeiten möglichst zu vermeiden –, besitzt jeder Mensch fünf verschiedene Arten von Rezeptor- oder Schlüsselstellenzellen auf der Zunge: für die Geschmacksrichtungen bitter, salzig, sauer, süß und den herzhaften Geschmack Umami. In Urzeiten war der Mensch auf seinen Geschmackssinn angewiesen. Dieser gab den Ausschlag, ob man das, was auf der Zunge lag, herunterschluckte oder lieber doch wieder ausspuckte. Viele Wissenschaftler betrachten daher auch heute noch den Geschmackssinn als Sensorium für die Güte einer Nahrungsquelle, obwohl für deren Beurteilung dank moderner Technolgie mittlerweile auch diverse andere Methoden zur Verfügung stehen.

Das ausgefeilte Geschmacksempfinden des Menschen sollte letztlich dafür sorgen, dass sich die Höhlenmenschen im Lauf der Jahrtausende zu den wohlgenährtesten und kultiviertesten Lebewesen entwickelten und sich schließlich mit ihrem hoch entwickelten Gehirn an die Spitze der Nahrungskette setzten. Der Mensch war schon früh durch seinen Geschmackssinn in der Lage, Nahrungsmittel aufzustöbern, die andere Säugetiere nicht fanden, und besaß damit einen erheblichen Vorteil unter den anderen Mitbewerbern um die tägliche Nahrung. Und das in Zeiten, in denen alle Lebewesen ständig von Hunger bedroht waren. Katzenartige Tiere können beispielsweise aufgrund einer genetischen Mutation Süßes nicht wahrnehmen. Rhesusaffen, die immerhin zu den näheren Verwandten des Menschen gehören, haben keine Geschmacksrezeptoren für Thaumatin, einen pflanzlichen Süßstoff. Dabei bedeutete »süß« für alle urzeitlichen Lebewesen gleich eine ordentliche Portion an Kalorien, also Energie in Form von Zucker. Und das wiederum hieß mehr schnell verfügbaren Kraftstoff für die Muskeln und den entscheidenden Vorsprung auf der Jagd oder Flucht sowie für die Leistungsfähigkeit des Gehirns.

Zynisch aber wahr: zahlreiche Fertig-Babymahlzeiten und -getränke sind gesüßt für den (Zucker-)Konsumenten von morgen.

So lecker!

Jede einzelne Geschmacksrichtung besitzt eine wichtige biologische Funktion: Saures kann zum Beispiel den Appetit anregen, aber auch einen Hinweis darauf geben, dass ein Nahrungsmittel unreif, von Bakterien befallen oder verdorben ist. Ein Bittergeschmack kann Unverträglichkeit oder gar tödliches Gift bedeuten. Umami wiederum kann auf wertvolle, sättigende Eiweißquellen wie Fleisch hinweisen oder genauer gesagt den Geschmack von Salzen des Eiweißbausteins (Aminosäure) Glutamat. Tatsächlich kommt dieser Eiweißbaustein in Proteinen (Eiweiß) am häufigsten vor. Die meisten Menschen kennen Glutamat heute allerdings als Geschmacksverstärker in hochverarbeiteten Lebensmitteln.

Der Süßgeschmack bot evolutionär gesehen also zwei wesentliche Hinweise. Zum einen war er ein eindeutiges Signal für die Harmlosigkeit und Bekömmlichkeit eines Lebensmittels, zum anderen für seine hohe Energiedichte. Das bedeutete viele lebensnotwendige Kalorien und zugleich wenig Verdauungsballast, der schlapp und träge machte. In Zeiten, in denen Nahrungsressourcen extrem knapp und unter anderem vom Angebot der Jahreszeiten abhängig waren, bot die Bevorzugung von Lebensmitteln mit höherer Energiedichte, zum Beispiel in Form von reifen Früchten oder Honig, die lediglich eine etwas vitalstoffreichere Variante des Zuckers darstellen, über Tausende von Jahren im Zweifelsfall den entscheidenden Überlebensvorteil.

Das Gleiche galt im Übrigen auch für Fett, das schon in geringen Mengen reichlich Energie und Vitalstoffe lieferte und zugleich ein wichtiger Geschmacksträger war. Die Mischung aus süß und fett ist daher bis heute überaus geeignet, beim Essen alle Hemmungen fallen zu lassen und richtig zuzuschlagen. Das kennt man aus eigener Erfahrung. Und auch viele Studien und Tierversuche konnten den unschlagbaren Erfolg dieser Rezeptur nachweisen.

In Hungerzeiten ergab diese Mischung durchaus Sinn. In Zeiten, in denen man aber rund um die Uhr futtern kann und dazu einen Großteil des Tages im Sitzen, allenfalls Herumstehen oder Liegen verbringt, ist der Mix fatal. Er macht dick und, wie man heute aus einer Vielzahl von Studien weiß, auch krank. Denn anders als lange behauptet, ist nicht die Unlust auf Sport und Bewegung aller Art vorrangig verantwortlich für die weltweite Fettleibigkeitsepidemie. Bewegung ist zwar gesund, und wer sich regelmäßig regt und bewegt, lebt vermutlich auch länger und gesünder. Verantwortlich für den unstillbaren Hunger und den Verlust jeglicher Schranken beim Essen ist jedoch Zucker.

Wie wir Süßes schmecken

Die Wahrnehmung von »süß« findet ausschließlich in der Mundhöhle statt – im Gegensatz zur Wahrnehmung anderer Aromen, für die auch die Nase und der Geruchssinn mit zuständig sind (zum Beispiel bei Gewürzen wie Zimt oder Vanille). Süße ist lediglich eine Geschmacksempfindung, die im Gehirn konstruiert wird, nachdem sich die Zuckermoleküle auf der Zunge an bestimmte Schlüsselstellen gebunden haben. Diese Rezeptoren sind für die Übertragung von Signalen zuständig und funktionieren vereinfacht ausgedrückt wie Schlüssellöcher. Bestimmte Moleküle, also Teilchen des Zuckers, bilden die Schlüssel. Die Rezeptoren befinden sich auf den Zellen der Geschmackspapillen. Jede Papille oder Geschmacksknospe besteht aus etwa 100 Zellen. Ein Erwachsener verfügt über etwa 2 000 bis 5 000 dieser Geschmacksknospen. Bei einem Neugeborenen sind es noch doppelt so viele.

Während für den Bittergeschmack über 25 verschiedene Rezeptoren auf der Zunge vorhanden sind, ist es beim Süßgeschmack nur einer. Dieser kann allerdings viele unterschiedliche Süßgeschmacksmoleküle wahrnehmen. Denn Stoffe, die süß schmecken, können chemisch unterschiedlich aufgebaut sein und zu verschiedenen Stoffgruppen gehören, wie Kohlenhydrate, Eiweiße oder Polyole (Zuckeraustauschstoffe). Jede Geschmacksrichtung reizt auf besondere Weise die Sinneszellen in den Geschmacksknospen. Salz erzeugt beispielsweise ebenso wie Saures eine schwache elektrische Spannung im Zellinneren. Der Impuls wird dann über die Nerven zur Großhirnrinde weitergeleitet. Auch die anderen Geschmacksrichtungen reizen die Zellen der Geschmackspapillen. Das funktioniert über besondere Rezeptoreiweiße in der Zellaußenhaut (Membran). An diese Proteine docken die Geschmacksstoffe an und lösen so verschiedene biochemische Prozesse aus, die ihrerseits in einem elektrischen Impuls münden. In den Nervenzellen der Großhirnrinde werden die Geschmacksreize dann analysiert. Das so entstehende Erregungsmuster bestimmt, ob man einen Geschmack als angenehm oder als ekelhaft empfindet. Nach dem Genuss von Gummibärchen zum Beispiel (noch besser schmeckt uns Zucker in der Kombination mit Fett, also beispielsweise in Form von Schokolade oder Eiscreme) steigt im Gehirn die Konzentration von körpereigenen Opiaten. Das körpereigene Belohnungssystem springt an (mehr dazu ab >). Süß ist daher immer auch mit wahren Wonnegefühlen, Zufriedenheit, Entspannung und guter Stimmung verbunden. Selbst Urvölker, die bis dato keinen Zucker in Reinform kannten, reagierten begeistert auf Süßigkeiten, die ihnen Anthropologen mitbrachten. Der Mensch, für den Süßes jahrtausendelang ein seltener Luxus war, scheint entwicklungsgeschichtlich bedingt auf die Sucht nach dem Gute-Laune-Energiekick programmiert zu sein. Und das noch weit mehr als nach anderen Rauschmitteln.

INFO

ALLES AUF ZUCKER

INFO

ERERBT: LUST AUF SÜSSES

Dank einer bestimmten Genvariante sind Europäer und weiße Amerikaner offenbar noch sensibler für Süßes als Afrikaner oder Asiaten, wie die US-amerikanischen Genforscher Alexey Fushan und Dennis Drayna bei einer Untersuchung im Jahr 2008 feststellten. Die Forscher ließen 144 Versuchsteilnehmer aus Europa, Asien und Afrika neun verschiedene Substanzen testen, die mit Zuckerkonzentrationen zwischen null und vier Prozent versetzt waren. Dabei war vierprozentige Saccharose für jeden ein extrem süßes Geschmackserlebnis, vergleichbar mit einem gnadenlos überzuckerten Dessert. Die Forscher maßen auf Grundlage der unterschiedlichen Zuckerlösungen jeder Testperson einen bestimmten Zuckersensibilitätswert bei. Bei den Testteilnehmern aus Europa war ein bestimmter Genotyp besonders stark ausgeprägt. Die Angehörigen einiger afrikanischer Völker zeigten am wenigsten Empfindlichkeit auf Süßes.

Als Ursache für das Ergebnis vermutete Drayna den ursprünglichen Mangel an süßen Früchten und zuckerhaltigem Gemüse nördlich der Tropen. Wahrscheinlich benötigten die heutigen Europäer zu Urzeiten die erhöhte Sensibilität, um in ihrem Lebensraum Nahrungspflanzen zu finden, in denen viele energiereiche Kohlenhydrate steckten. Durch diese ausgeprägte Sensibilität für Süßes ernähren sich viele Europäer (und Amerikaner) heute jedoch zu zuckerreich.

Sicherheitsgeschmack der Evolution

Anthropologen gehen anhand von Zahnanalysen davon aus, dass sich unsere Vorfahren, die bereits aufrecht gehenden Australopithecinen vor drei bis vier Millionen Jahren, schon vielfältiger als andere Menschenaffen ernährten. Auf dem Speiseplan standen Blätter, Wurzeln, Nüsse, Stauden, Beeren, Insekten und auch Fleisch, vermutlich in Form von Aas.

Der Hang zur Vielfältigkeit vererbte sich weiter auf die Hominiden. Das Nahrungsangebot des Cro-Magnon-Menschen vor 45 000 bis 35 000 Jahren gestaltete sich dann noch breiter. Sie waren in der Lage, große Säugetiere wie Bisons, Wildpferde, Mammuts, Rentiere, Rotwild und Wildschweine zu jagen, und ernährten sich darüber hinaus auch von Fisch. Ergänzt wurde der Speiseplan durch Beeren, Nüsse und andere pflanzliche Produkte. Bei der Zubereitung ihrer Mahlzeiten verwendete der Cro-Magnon-Mensch bereits das Feuer. Auch kannte man zu jener Zeit bereits Methoden der Bevorratung wie zum Beispiel das Dörren oder Räuchern. Dadurch war auch in der kalten Jahreszeit das Nahrungsangebot gesichert.

Vor etwa 8 000 Jahren veränderte sich der menschliche Speiseplan dann entscheidend, da die Jagd langsam durch den Ackerbau verdrängt wurde. Im heutigen Mexiko züchtete der Homo sapiens zu dieser Zeit bereits Mais, ein stärkehaltiges Getreide. Vor 7 000 Jahren fand im Rahmen der zweiten Ernährungswende die Jäger-Sammler-Kultur langsam ihr Ende. Wildgetreide, aber auch Milch und Milchprodukte aus Viehhaltung bereicherten nun die Nahrungswelt. Auch Süßes konnte der Bauer herstellen, indem er Obstbäume und -sträucher pflanzte oder sich Bienen hielt. Die Mengen blieben allerdings immer noch sehr überschaubar und damit äußerst kostbar. Im alten Ägypten entsprach der Wert einer Amphore mit Honig immerhin dem eines Ochsen. Das sollte sich endgültig mit der dritten Ernährungs-Kulturrevolution ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert ändern. Im Lauf der Industrialisierung konnten nun große Mengen von allem erdenklichen Essbaren hergestellt werden, auch Süßes. Die individuelle Selbstversorgung fand weitgehend ihr Ende.

Heutzutage ist Zucker in fast jedem industriell hergestellten, hochverarbeiteten Nahrungsmittel enthalten, was das Leben für den Verbraucher schwer macht, der Lebensmittelbranche aber weiter satte Zuwächse beschert.

Tragisch bei alledem ist, dass wir längst die Kontrolle über unseren Zuckerverbrauch verloren haben.

Das liegt keineswegs an ungezügelter Lust am Futtern oder mangelnder Disziplin. Es geht dabei auch nicht um das Riegelchen Schokolade, das genussvoll verzehrt wird, oder das Löffelchen Zucker im Kaffee. Zwischen 50 und 60 Prozent aller industriell hergestellten Nahrungsmittel sind, wie der US-amerikanische Anthropologe Sydney W. Mintz berichtet, zuckerhaltig, und das auch, wenn sie gar nicht süß schmecken: Zucker steckt nicht nur in eingemachten Essiggurken, Salzstangen, Sandwiches oder Tomatenketchup, sondern auch in Fisch- oder Fleischkonserven, die durch Zucker zum Beispiel ihre appetitliche Farbe behalten.

Weil Zucker so vielgestaltig ist und die Lebensmittelindustrie ihre gezuckerten Produkte so aggressiv bewirbt, ist es gar nicht so einfach, sich dem Zuviel des Guten zu entziehen. Vor allem für Kinder und ihre Eltern gestaltet sich dies besonders schwierig. So bemängelt die engagierte Verbraucherorganisation Foodwatch 2012 in ihrem Report »Kinder kaufen«, dass fast drei Viertel der in einem Marktcheck überprüften 1514 Lebensmittel zu süß und zu fett waren. »Mit dem industriellen Angebot an Kinderlebensmitteln«, so Foodwatch, »ist eine ausgewogene Ernährung praktisch unmöglich, denn sie besteht fast ausschließlich aus Süßigkeiten und Snacks.«

Zuckerverbrauch pro Kopf weltweit

Gut versteckter Zucker

Zucker kommt nicht nur in Süßigkeiten, Marmelade, süßen Getränken (auch Fruchtsäften) und süßem Obst vor. In vielen hochverarbeiteten Fertiglebensmitteln, Fastfood, Babynahrung, Kinderlebensmitteln stecken geradezu absurde Mengen an Zucker. Er dient wie größere Mengen von Salz meist dazu, faden oder geschmacksfreien Grundlagen überhaupt irgendeinen Geschmack zu verleihen. Massenweise Zucker steckt zum Beispiel in:

Fruchtjoghurt: In einem Becher (150 Gramm) sind mitunter sechs Stücke Zucker enthalten. So viel wie in der gleichen Menge von konventionellem Cola.

Essiggurken: Eigentlich isst man sie ja wegen ihres säuerlichen Geschmacks. Aber: In Gewürzgurken stecken bisweilen zwölf Gramm Zucker pro Glas.

Heringssalat: In einer Portion (200 Gramm) stecken 16 Gramm Zucker. Das sind immerhin fünf Würfel.

Ketchup: 68 Gramm Zucker pro 300 Gramm stecken in der Würzsauce, die damit süßer als Cola ist. Übrigens: Auch Senf und Joghurtdressing sind reich an Zucker.

Joghurtdressing: Klingt leicht und gut verträglich. Immerhin stecken ja auch gesunde Milchsäurebakterien in dem Mix. Der hat es aber in sich. Fast zwei Würfel Zucker (fünf Gramm) stecken in 50 Gramm Dressing.

Cornflakes (gezuckert): Pro 30-Gramm-Portion kommen vier Stück Würfelzucker in die Schüssel.

Müsliriegel: Der gesunde Snack für zwischendurch enthält drei Stück Würfelzucker.

Dosenananas: Schon in einer kleinen Dose (570 Gramm) stecken insgesamt 88 Gramm Zucker – also 30 Würfel.

Apfelsaft: Ein Liter reiner Apfelsaft enthält 120 Gramm Zucker, das sind 40 Würfelzucker.

Multivitamin-Nektar: Knapp unter dem Zuckergehalt von Apfelsaft liegt das Gemisch aus Wasser, wenig Saft und 35 Würfeln Zucker.

Leberwurst: Ein 250-Gramm-Stück Leberwurst enthält drei Stücke Zucker. Dabei will man doch etwas Deftiges aufs Brot.

Tiefkühlpommes , Chips, Kroketten, Fischstäbchen oder Backcamembert werden mit Zucker benetzt, damit alles schön knusprig aus dem Ofen oder der Fritteuse kommt.

Fruchtgummis: Sind zwar oft »ohne Fett«, dafür reich an Zucker. In einer 300-Gramm-Tüte Gummibärchen stecken sage und schreibe 78 Stück Würfelzucker.

Lösliche Kaffeemischung: In 100 Gramm Kaffeepulver steckt fast die Hälfte an Zucker (44 Gramm).

Kondensmilch: In der 340-Gramm-Dose stecken immerhin elf Stück Würfelzucker.

Light-Produkte: Bei fettarmem Käse, Keksen oder Salatdressing fehlt mit dem Fett Geschmack. Die idealen Ersatzstoffe, die Lust auf mehr machen, sind Zucker und Salz und/oder Geschmacksverstärker. Das ist mit ein Grund, warum »Low-Fat-Produkte« als Abnehmhelfer völlig sinnlos sind.

Fertiglebensmittel: Wie viel Zucker für eine Mahlzeit verarbeitet wurde, können Sie anhand der Zutatenliste abschätzen. Je weiter vorn der Zucker in der Liste steht, desto mehr davon steckt drin.

Süßes Obst: Handelsübliche Speiseäpfel sehen im Gegensatz zu alten Sorten nicht nur immer hübsch glatt und ziemlich identisch aus. Zudem enthalten sie wesentlich mehr Zucker. Besonders viel Traubenzucker (Glukose) steckt in Weintrauben, insbesondere in den neugezüchteten, kernlosen Sorten. Auch Trockenfrüchte sind extrem zuckerreich, da sich ihr Zuckergehalt durch den Trocknungsprozess noch erhöht.

Nudeln, Müsli, Reis, Brot und Kartoffeln: Sie sind ebenfalls reich an Zucker, allerdings braucht der Körper ein kleines bisschen länger, die darin enthaltene Stärke aufzuspalten, und das Sättigungsgefühl hält nach einer Mahlzeit etwas länger an.

Kinderlebensmittel vom »kleinen Frühstück« über den Fruchtjoghurt bis hin zu Softdrinks sind wahre Zuckerbomben.

Begehrte Kunden: Kinder & Jugendliche

Heute weiß man, dass der ursprünglich fein abgestimmte Geschmackssinn – immerhin ein Überlebensinstrument –, mit dem ein Baby auf die Welt kommt, durch einen jahrelangen und übermäßigen Verzehr von Zucker und Salz verkümmern kann. Dass sich dabei eine Programmierung oder sogar eine Sucht entwickeln kann, liegt maßgeblich an zwei Faktoren:

Süßkram wird als Belohnung oder zur Ruhigstellung eingesetzt. Wenn sich ein Kind mal sein Knie aufgeschlagen hat, kommt ein Pflaster darauf, und danach gibt es etwas Süßes. Für eine gute Note gibt es Gummibärchen, oder Mütter und Väter werden einfach gezwungen, den Gelüsten der Kleinen nachzugeben. Wenn ein Kleinkind vor der Supermarktkasse das Weinen anfängt, dann kaufen sie eben genervt das eine oder andere Gezuckerte, das da so einladend neben der Kasse platziert ist, um weiteres Geschreie und peinliche Blicke oder Kommentare anderer Kunden, die an der eigenen Erziehungskompetenz zweifeln, zu vermeiden. Seltsam mutet in diesem Zusammenhang an, dass kein vernünftiger Mensch ernsthaft auf den Gedanken käme, seinem Kind ein Glas Wodka oder eine Zigarette zur Beruhigung anzubieten. Zuckerchen hingegen sind erlaubt. Sie sind ja so harmlos.

In der Werbung wird ein solches Verhalten regelrecht propagiert. Besonders gerne schaltet die Süßwarenindustrie ihre Werbespots zu Zeiten, wenn Kinder fernsehen. Die sehen dann, wie Altersgenossen hungrig vom Spielen heimkommen und von einer gut gelaunten Mama oder anderen lustigen Erwachsenen erst einmal einen zuckersüßen Joghurt oder einen Schokoriegel bekommen. Nicht zuletzt treten Vertreter von Süßwarenkonzernen gerne als Experten für gesunde Kinderernährung auf und stellen sich Staat, Sportverbänden, Schulen und sogar Kindergärten als kompetente Partner für Abspeckprogramme und Sportinitiativen zur Verfügung. So viel Mühe muss sich auch finanziell lohnen – und das tut sie auch: Pro Jahr erwirtschaftet die Süßwarenindustrie in Deutschland einen Umsatz von 13 Milliarden Euro. Mit Obst und Gemüse lässt sich dagegen kaum Geld machen.

Wie uns Essen kontrolliert

Auch mit hochverarbeiteten Lebensmitteln befeuert die Zucker- und Süßwarenindustrie unsere Lust auf Süßes. Vielen Fertiggerichten werden nicht nur die »Würzen« Zucker und Salz zugesetzt, um dem Künstlichen überhaupt Geschmack zu verleihen, sondern auch eine Vielzahl von Aromastoffen. Wer beispielsweise nur Erdbeerjoghurt aus dem Kühlregal kennt, hat unter Umständen bisher nur den Geschmack von aromatisierten Holzspänen oder mit Rote-Bete-Saft eingefärbten, Apfelstückchen wahrgenommen. Wer nie frisches Obst angeboten bekommt, kann dessen Geschmack auch nicht schätzen, findet ihn vielleicht auch ungewöhnlich und nicht lecker. Kurz: Wer sich von klein auf an künstliche Geschmackswelten gewöhnt hat, dem schmeckt das industriell Gefertigte aus der Tüte einfach besser. Wird er dann noch jahrelang unablässig mit bunten Träumen von frischem Obst, lustigen Spielfiguren und paradiesischen Welten auf Packungen bombardiert, will er auch als Erwachsener nichts anderes mehr. Denn die Kaufentscheidung fällt zu 70 Prozent über die Verpackung. Dabei schränken diese Nahrungsmittel die Geschmacksvielfalt extrem ein und stumpfen den Geschmack von klein auf ab. Das alles, um eine nicht vorhandene Qualität und Nährwerte vorzugaukeln. Auf der Zutatenliste steht dann »naturidentisches Aroma«. Warum die Industrie darauf zurückgreift? Es ist in der Herstellung einfach zehnmal billiger als natürliche Aromenträger. Hier steht nicht nur die Süßwaren-, sondern die gesamte Nahrungsmittelindustrie am Pranger, die alles dafür tut, billiges, industriell gestyltes Essen mit großen Mengen an Zucker, Salz und Fett unter die Leute zu bringen.

Auch wenn der Versuch, Kinder durch Abhängigkeit von Süßem zu zuverlässigen künftigen Kunden zu machen, sicher am perfidesten ist, sind auch Erwachsene kaum gegen Versuchungen gefeit. Lebensmittel warten in Bäckereien, Metzgereien, Supermärkten und Take-aways. Essen im Auto, im Gehen, am Schreibtisch, während der Arbeit ist völlig normal. Das Phänomen des »Überessens« ist fast alltäglich. Hunger kommt heutzutage bei Kindern wie Erwachsenen kaum mehr vor. Und der Antriebsmotor von alldem ist Zucker.

Joghurts mit Früchten werden als ideale Zwischenmahlzeit vermarktet – noch eine zuckersüße Werbelüge.

Gefährlicher Zucker

Wenn Süßes schon unseren steinzeitlichen Vorfahren signalisierte, dass es sich dabei um etwas Feines, Gutes, Wohliges handelte, warum dann dieses perfide Täuschungsmanöver? Was ist wirklich so gefährlich an der Substanz C 12 H 22 O 11 (so lautet die chemische Formel für Zucker)? Ist es nur ihr verführerischer Geschmack, der immer mehr Lust auf noch mehr macht? Oder sind es die bösen Kalorien? Letzteres lässt sich getrost verneinen: Ein Gramm Zucker schlägt gerade einmal mit vier Kalorien zu Buche, Fett dagegen mit satten neun.

Liest man auf den Internetseiten eines großen Zuckerkonzerns nach, erfährt man, dass es auch gar nicht der Zucker sei, der für das allseits grassierende Übergewicht sorge. Stattdessen sei die Hauptursache für die überflüssigen Kilos immer eine unausgewogene Energiebilanz. Diese Argumentation ist im Grunde richtig. Wer generell mehr isst, als er durch körperliche Aktivität an Energie verbraucht, nimmt zu. Denn unsere Muskeln nutzen Zucker als Energiequelle. Bewegungsmangel in Kombination mit einer zu hohen Energiezufuhr ist daher heute die Hauptursache für Übergewicht.

Doch die Zuckerindustrie argumentiert weiter: Einzelne Lebensmittel spielten bei der Entstehung von Übergewicht keine Rolle. Erst bei sehr großen Kohlenhydratmengen käme es zu einer gesteigerten Neubildung von Fett. In diesem Zusammenhang werden gerne auch Studien zitiert, die belegen sollen, dass das Körpergewicht und der Zuckerverzehr nicht in einem direkten Zusammenhang stehen. Ganz im Gegenteil: Je höher der Zuckerverzehr der Teilnehmer einer schottischen Langzeituntersuchung war, desto seltener waren sie angeblich übergewichtig. Übergewicht kam offenbar allein durch einen übermäßigen Fettkonsum zustande. Mit solchen Argumenten möchte man uns absurderweise weismachen, dass Zucker keineswegs zur Adipositas-Epidemie beiträgt, sondern im Gegenteil als Schlankmacher gilt. Die These lautet: Ob man zunimmt oder nicht, hängt allein von der Energiedichte einer Mahlzeit ab (Kalorien pro Nahrungsmenge). Und die ist abhängig von der Nährstoffzusammensetzung eines Lebensmittels. Fett mit seiner hohen Energiedichte macht also – will man den Informationen der Industrie glauben – fett, Proteine und Kohlenhydrate (Stärke, Zucker), die vergleichsweise energiearm sind, im Zweifelsfall normalgewichtig. Will man das wirklich glauben?

Zucker macht dick und krank

Tatsächlich ist laut einer Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aus dem Jahr 2011 die Hälfte der Bürger in den Mitgliedsstaaten zu dick. Schon jetzt ist jedes dritte Kind in den 33 OECD-Ländern übergewichtig. Und entgegen den Behauptungen der Zuckerindustrie hat Zucker sehr wohl einen wesentlichen Anteil daran. Dazu kommt: Zu viel Zucker macht nicht nur dick, sondern auch krank. Er verringert die Lebenserwartung und erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Lebererkrankungen, Typ-2-Diabetes, verschiedene Krebsarten und eine ganze Reihe weiterer schwer behandelbarer Beschwerden, die bisher nicht mit Zucker in Zusammenhang gebracht wurden (ab >). Im Jahr 2015 forderten die Allgemeinen Ortskrankenkassen die Bundesregierung auf, endlich etwas gegen den wachsenden Zuckerkonsum in Deutschland zu tun. Doch anders als bei Nikotin oder Alkohol nimmt die Politik ihre Verantwortung in der Gesundheitsvorsorge nicht wahr.

Ob das Problem mit einer staatlich verordneten Umerziehungsmaßnahme ähnlich wie beim Nikotinmissbrauch in den Griff zu bekommen ist, bleibt allerdings fraglich. Denn an der »Abhängigkeit« des Menschen vom Zucker verdient bis heute eine Industrie Milliarden. Zudem zeigen Studien am Nationalen Institut für Drogenmissbrauch (NIDA) in den USA, dass Süßes ebenso süchtig macht wie Kokain. Der Wille allein, so wissen Experten, reicht bei der Entwöhnung von einer Sucht nicht aus. Denn bei jeder Sucht handelt es sich um eine chronische Erkrankung des Gehirns, die von verschiedenen Seiten aus behandelt werden muss. Natürlich stellt sich angesichts dieser erschreckenden Fakten erst einmal die Frage, wozu Zucker überhaupt gut sein soll.

Zurück zu den Wurzeln?

Letztlich liegt es allein am Verbraucher selbst, also an jedem Einzelnen von uns, für welche Art von Nahrungsmitteln wir uns entscheiden. Dazu müssen wir (wieder) lernen, unserem Genusssinn und Bauchgefühl zu vertrauen – und falls wir uns bereits unter den Zuckerabhängigen wähnen, mit einer Ernährungsumstellung die Stellschrauben im Stoffwechsel neu stellen. Dazu kann Ihnen dieses Buch eine gute Hilfestellung geben.

Das heißt keineswegs, dass Sie in Zukunft ganz auf den Süßgeschmack verzichten müssen. Es geht vielmehr um die Wahl der richtigen Zucker und Mehle. Dann fällt der Abschied von ungesunden Zuckern, die dick und krank machen, leicht. Das System funktioniert außerdem nur mit »echten« Lebensmitteln, die den Namen auch verdienen. Anregungen für eine gute, genussvolle Küche mit qualitätsvollen Lebensmitteln und den »richtigen« Zuckern finden Sie ab > und im Rezeptteil ab >.

Kaum zu glauben: Ein kleines Glas Apfelsaft enthält fast doppelt so viel Zucker wie ein frischer Apfel.

VOM LUXUS ZUR MASSENWARE: eine Erfolgsgeschichte

Bevor Zucker zum industriell hergestellten Massenprodukt wurde, musste der Mensch erst lernen, wie man die Süße aus bestimmten Pflanzen herauslöst. Die ersten Zuckermäuler stammten offenbar von der pazifischen Inselwelt Melanesiens. Schon vor 15 000 Jahren diente den Insulanern das Zuckerrohr (Saccharum officinarum) als Pausenverpflegung, wenn sie in ihren Kanus auf Erkundungstouren oder zum Fischen gingen. Kaute man das Rohr, so löste sich die Saccharose aus der Pflanze. Diese enthält zwar keine Vitalstoffe oder Mineralstoffe, kann aber vom Körper leicht in Energie für anstrengende Muskelarbeit umgewandelt werden. Für die Menschen, die den ganzen Tag körperliche Höchstleistungen vollbringen mussten, war dies der optimale Energiekick für zwischendurch.

SÜSSE MEDIZIN

In der Antike und noch bis ins 18. Jahrhundert hinein galt Zucker vor allem als Medizin, weshalb er zunächst in Apotheken erhältlich war. Das Allheilmittel sollte gegen allerlei mehr oder weniger alltägliche Beschwerden wie zum Beispiel Fieber, Durchfall, Husten oder Gallenkoliken helfen und vermischt mit Wasser, Milch oder Kräutern Blut und Galle, Rachen und Darm reinigen. Auch Haut- und Augenkrankheiten sowie offene Wunden wurden mit dem »indischen Salz« oder »dem Honig aus dem Rohr«, wie die alten Römer Zucker bezeichneten, behandelt. Lediglich Zahnbeschwerden schien die süße Arznei noch zu verschlimmern …

ZUCKER ALS GELDMASCHINE

Um 600 nach Christus entwickelten die Perser eine bis heute übliche Methode, die es möglich machte, den kostbaren Zucker, der im Zuckerrohr schnell verderblich war, haltbar zu machen: die Kristallisation. So ließ sich Zucker auch über längere Strecken transportieren, und man konnte mit ihm handeln. Die Geburtsstunde eines der machtvollsten und wichtigsten Handelsprodukte der Weltgeschichte hatte geschlagen. Trotzdem blieb Zucker über viele Jahrhunderte eine echte Rarität. Das gemeine Volk süßte noch lange mit dem leichter verfügbaren Honig.

»BLUTIGER« ZUCKER

1492 entdeckte Christoph Kolumbus Amerika. In den Klimaregionen der Neuen Welt gedieh das Zuckerrohr ausgezeichnet. Riesige, von Sklaven bestellte Plantagen entstanden auf den Flächen weiträumig gerodeter Wälder. Der Appetit der adligen Europäer, die sich an das »Würzmittel« Zucker in Kaffee, Kakao und Tee sowie an süße Lebensmittel und Gebäck gewöhnt hatten, war groß. Da die karibische Urbevölkerung jedoch durch die weißen Einwanderer, Plünderungen und eingeschleppte Krankheiten an den Rand der Ausrottung getrieben worden war, benötigte man rasch Ersatz an billigen Arbeitskräften. So entstand im Gefolge des Zuckerhandels der grausame Handel mit Menschen. Bereits im Jahr 1530 arbeiteten 30 000 afrikanische Sklaven auf der Karibikinsel Santo Domingo.

EIN »SÜSSER« NAME

Die Bezeichnung »Zucker« stammt ursprünglich von dem Sanskrit-Wort »śarkarā« für »süß« ab. Es wurde als »sukkar« ins Arabische entlehnt und gelangte mit den Sarazenen in den europäischen Sprachraum. Spricht man heute von Zucker, so versteht man darunter vor allem den gewöhnlichen Haushaltszucker (Saccharose), obwohl der Begriff auch noch weitere Zucker wie Traubenzucker (Glukose), Fruchtzucker (Fruktose) oder Milchzucker (Laktose) umfasst.

INDUSTRIEZUCKER

Der Chemiker und Apotheker Andreas Sigismund Marggraf entdeckte 1747, dass in der Runkelrübe, die bisher nur an Tiere verfüttert oder allenfalls zu einem Arme-Leute-Eintopf verkocht wurde, der gleiche Zucker steckte wie im Zuckerrohr. Allerdings erwies sich die Ausbeute als noch zu gering. Ein breitflächiger Anbau lohnte noch nicht. Erst Franz Carl Achard, Marggrafs Nachfolger als Direktor an der Akademie der Wissenschaften in Berlin, gelang es, die erste »richtige« Zuckerrübe zu züchten. 1801 errichtete er auf dem unterschlesischen Gut Cunern die erste Rübenzuckerfabrik der Welt.

Um 1884 waren in Deutschland etwa 408 Rübenzuckerfabriken in Betrieb. 47 Raffinerien arbeiteten an der Herstellung des weißen Kristalls. Etwa zeitgleich begann der Handel mit Auszugsmehlen. Zucker und feine weiße, endlich haltbare Mehle – Letztere ebenfalls ohne nennenswerte wertvolle Inhaltsstoffe, aber reich an dem Kohlenhydrat Stärke – wurden zum lohnenden Milliardengeschäft.

DER BRUDER DES ZUCKERS: WEISSES MEHL

Bei weißen Auszugsmehlen werden beim Mahlvorgang Keim und Randschichten des Getreidekorns entfernt. Übrig bleibt der stärkehaltige Mehlkern, der vermahlen ein lang haltbares Weißmehl liefert. Dieses weist zwar gute Backeigenschaften auf, hat ansonsten aber nur »leere« Kalorien und keine nennenswerten Inhaltsstoffe. Denn Stärke besteht aus nichts anderem als langen Zuckerketten.

GRUNDNÄHRSTOFF
ZUCKER?

Wie Atmen, Schlafen und Bewegen ist auch Essen ein sogenanntes Vitalbedürfnis aller Lebewesen. Das heißt, wir müssen es tun oder tun es sogar reflexartig wie beim Atmen, um uns am Leben zu erhalten. Essen und Trinken versorgen uns mit Nährstoffen, Energie und lebensnotwendiger Flüssigkeit. So bleibt im besten Fall gewährleistet, dass der Körper gesund bleibt und sich seine Regenerationsfähigkeit erhält. Zucker ist dabei die wichtigste Energiequelle für die menschlichen Körperzellen. Über die Darmschleimhaut gelangt er ins Blut, wo er als Blutzucker (Blutglukose) zum Energielieferant für die unterschiedlichen Zelltypen wird. Am zuckerhungrigsten sind dabei die Zellen des Gehirns (ab >), das über alle körperlichen Funktionen sowie über unsere Gedanken und Gefühle wacht.

Damit die Zellen den Zucker überhaupt aufnehmen und verwerten können, sind die meisten Organe und Gewebe, wie zum Beispiel die Muskulatur und das Fettgewebe, auf einen Botenstoff angewiesen: das Insulin. Dieses Hormon wird in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse gebildet und funktioniert wie ein Schlüssel. Dazu bindet es sich an bestimmte Strukturen auf der Zelloberfläche (Membran) von Muskel-, Fett- und Leberzellen. Diese Schlüsselstellen nennt man Rezeptoren. Sobald das Insulin hier angedockt hat, wird eine bis zum Zellkern reichende Signalkette ausgelöst. Im Zellkern wird sodann die Bildung von Transportern veranlasst, um den im Blut anflutenden Zucker in die Zelle einzuschleusen. Hier wird er in die Zellkraftwerke (Mitochondrien) weitergeleitet und zur Energiegewinnung zum Beispiel für körperliche oder geistige Tätigkeiten verbrannt oder als Bausteine für neue Zellstrukturen eingesetzt.

Je schneller die Glukose in den Darm gelangt, also beispielsweise nach dem Genuss von Süßwaren oder Süßgetränken, desto höher steigt der Blutzuckerspiegel und infolgedessen die Insulinkonzentration. Schließlich versucht der Körper, den Zucker schnell zu verwerten und den Blutzucker rasch wieder zu senken.

Durch das Insulin wird auch die Aufnahmefähigkeit des Gehirns für eine bestimmte Aminosäure aus Nahrungseiweiß gefördert: Tryptophan. Es wird im Gehirn in das Gute-Laune-Hormon Serotonin umgewandelt, das spontan die Stimmung hebt. Eine Handvoll Gummibärchen oder ein Energieriegel bieten also bei Stress, schlechter Laune oder drohender Erschöpfungskrise eine kleine Erleichterung im Doppelpack: Energieschub und gute Laune. Leider hält beides nicht allzu lange an. Denn je schneller der Blutzuckeranstieg nach einer Mahlzeit, desto höher die Insulinausschüttung, und die positiven Effekte sind Vergangenheit. Nachschub ist gefragt.

Zucker ist nicht gleich Zucker

Reiner Traubenzucker (Glukose) in einer Mahlzeit wird sehr schnell von der Darmwand aufgenommen und ans Blut abgegeben. Ein Glas Limo oder Apfelsaft, eine Portion Eiscreme oder ein süßer Snack erhöhen daher in kurzer Zeit den Blutzuckerspiegel und regen postwendend die Insulinausschüttung an.

Eine andere Form von Zucker, die zunächst nach gar nichts schmeckt, muss dagegen erst durch die Verdauung in Glukose umgewandelt werden: Stärke. Dass es sich bei diesem Stoff um Zucker handelt, merkt man erst, wenn man zum Beispiel ein Stück Brotrinde gut kaut. Die Enzyme im Speichel spalten den Mehrfachzucker in Glukose. Ein süßer Geschmack entsteht. Stärke steckt in vielen Lebensmitteln, zum Beispiel in Brot und Backwaren, Teigwaren, Reis und Reisprodukten, Kartoffeln, Mais oder Getreide.

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