Taizé
heute

Frère Alois im Gespräch
mit Marco Roncalli

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

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Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand

Umschlagmotiv: © Sabine Leutenegger

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-33543-3

ISBN (E-Book) 978-3-451-80173-0

Inhalt

Vorwort

Die Versöhnung vorwegnehmen

Einen Austausch der uns anvertrauten Gaben anregen

Den Glauben mit den kommenden Generationen teilen

Neue Schritte der Solidarität

Die Schönheit des Gebets und des gemeinsamen Lebens

Vorwort

Das vorliegende Buch erhebt keinen historischen Anspruch, obwohl es immer wieder auf teilweise weit zurückliegende Ereignisse eingeht. Es ist deshalb weder chronologisch aufgebaut, noch hat es reportageartigen Charakter.1 Man wird als Leser zwar auch Neues über Taizé erfahren, der Schwerpunkt aber besteht darin, vor allem das herauszuarbeiten, was in Taizé vor dem Hintergrund von 2000 Jahren Geschichte des Christentums einzigartig ist.

Hervorgegangen ist dieses Buch aus einem Heft, in dem ich Begegnungen festgehalten und Gespräche notiert habe, in dem ich Aufzeichnungen machte auch über Augenblicke der Stille und von Momenten gemeinsamen Lebens. Ich versuche sowohl etwas über Frère Roger, den Gründer der Communauté de Taizé, zu sagen als auch mit Frère Alois, seinem Nachfolger, bekannt zu machen. Auf diese Weise erfährt man, woraus die Communauté lebt und worauf es in Zukunft ankommt.

Auf den folgenden Seiten werden in kurzen Zügen die verschiedenen Etappen eines Abenteuers vorgestellt, das auf Frère Roger zurückgeht und das er mehreren Generationen auf den Weg mitgegeben hat. Wie ist es dazu gekommen, und wie sieht das Leben in Taizé heute aus? Anhand von Frère Alois’ Antworten auf diese Fragen wird vielleicht deutlich, worum es den etwa einhundert Brüdern und den zahllosen

Jugendlichen auf ihrem gemeinsamen Weg geht, dessen Leitlinien in den Zwischenüberschriften dieses kleinen Buches angedeutet sind: Die Versöhnung vorwegnehmen – Einen Austausch der uns anvertrauten Gaben anregen – Den Glauben mit den kommenden Generationen teilen – Neue Schritte der Solidarität – Die Schönheit des Gebets und des gemeinsamen Lebens.

Im Folgenden wird Frère Alois, der Prior der Communauté de Taizé, zu Wort kommen. Dieser sechzigjährige Mann macht einen jugendlichen Eindruck. Er kommt 1954 in dem kleinen Dorf Ehingen in Bayern zur Welt, wächst in Stuttgart auf und tritt 1974 in die Communauté ein. 1998 bestimmt Frère Roger ihn zu seinem Nachfolger, und im Jahr 2005 tritt Frère Alois diesen Dienst an. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er über viele Jahre hinweg die Vorbereitung der internationalen Jugendtreffen in Taizé und in zahlreichen europäischen Großstädten koordiniert. Sein Leben ist, wie das seiner Brüder auch, von Gebet, Liturgie, Musik und der geistlichen Begleitung junger Menschen geprägt, vom Miteinanderteilen und von Solidarität.

Ich habe Frère Alois mehrere Male getroffen: in seinem Zimmer in Taizé und in der kleinen Stadtwohnung der Communauté in Rom, in die die Brüder schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils einzelne Bischöfe eingeladen haben. In diesen Räumen spürt man die gleiche Atmosphäre wie auf dem Hügel in Burgund: die schlichte Einrichtung, die Ikonen und kleinen Leuchter, alles hat hier seinen Platz. Wir sind uns auch in Sotto il Monte, dem Geburtsort von Papst Johannes XXIII., begegnet, wo noch heute das Gästebuch der ehemaligen Sommerresidenz Angelo Roncallis – mittlerweile ein Museum – an den Besuch Frère Rogers im Jahr 1964 erinnert. Frère Roger hinterließ dort den Satz: „Johannes XXIII. hat uns aus dem Winter in den Frühling geführt.“ Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass Frère Alois und ich damals in Taizé waren, als mein Großvater Giuseppe, der Bruder von Papst Johannes XXIII., und mein Vater Privato vor vielen Jahren gemeinsam die Communauté besuchten. Frère Roger empfing uns sehr herzlich. Es war meine erste Reise auf den Hügel von Taizé, auf den ich in den darauffolgenden Jahren mehrmals mit dem Zug und per Anhalter zurückkehrte, sei es mit Freunden oder Familienangehörigen. Im Rückblick fällt mir auf, wie viel ich auf jeder dieser Reisen gelernt habe. Diese Erfahrung half mir unter anderem bei einer Lizenziatsarbeit über das römische Einheitssekretariat.2 Aus dieser Zeit stammt auch mein Interesse für die Ökumene, die ja in Taizé nicht theoretisch untersucht, sondern tagtäglich gelebt wird.

Aber für Frère Roger und Frère Alois – und dies soll auf den folgenden Seiten ebenfalls deutlich werden – geht es nicht nur um die Vorwegnahme der Einheit unter den Glaubenden der verschiedenen Konfessionen. Von Anfang an ging es auch um die Überwindung anderer skandalöser Formen von Spaltung in der Menschheitsfamilie. So fanden in den ersten Jahren der Communauté während des Zweiten Weltkriegs verfolgte Juden in Taizé Unterschlupf; später nahm man sich der deutschen Kriegsgefangenen an, die in der Umgebung untergebracht waren.

Darüber hinaus kennzeichnen diesen Ort des Gebets Gesänge und Schweigen, Gemeinschaft und Solidarität, Worte und Gesten, die auf einen Ruf zur Treue antworten. In diesem Zusammenhang muss auch auf einige immer wiederkehrende Begriffe eingegangen werden: Versöhnung, Vertrauen, Hoffnung, Einfachheit … Diese Worte sprechen vom Wesentlichen, es sind keine Schlagworte aus vergangenen Tagen. Vielleicht hat Johannes Paul II. dies so gut wie kein anderer zum Ausdruck gebracht, als er bei seinem Besuch in Taizé 1986 zu den Jugendlichen sagte: „Man kommt nach Taizé wie an den Rand einer Quelle. Der Reisende hält an, löscht seinen Durst und setzt den Weg fort. Die Brüder der Communauté wollen euch nicht festhalten. Ihr sollt in Stille und Gebet vom lebendigen Wasser trinken können, das Christus verheißen hat, ihr sollt seine Freude erfahren, seine Gegenwart erkennen, auf seinen Ruf antworten, um dann wieder zurückzufahren und in euren Kirchengemeinden, Städten und Dörfern, an euren Schulen, euren Universitäten und all euren Arbeitsplätzen seine Liebe zu bezeugen und euren Brüdern und Schwestern zu dienen.“

Dies alles hat Frère Alois mich durch seine geduldigen Antworten verstehen lassen. Er hat mir den Sinn seines Pilgerwegs auf den verschiedenen Kontinenten erklärt, die Beziehungen zwischen Taizé und den Jugendlichen, die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils für Taizé. Er hat von Freunden der Communauté erzählt, zu denen auch der orthodoxe Theologe Olivier Clément und der evangelische Philosoph Paul Ricœur gehörten. Auch sie haben aus der Überzeugung gelebt, dass Gott nicht straft, sondern liebt und dass das Kreuz jede Verurteilung verurteilt.

Ich glaube, Frère Alois hat nicht ohne Grund erwähnt, welchen Eindruck die Worte Isaaks des Syrers, eines Bischofs von Ninive und Mystikers aus dem 7. Jahrhundert, auf Frère Roger machten: „Gott kann nur seine Liebe schenken.“ Als Frère Roger diese Worte zum ersten Mal hörte, war er so glücklich, dass er sofort vorschlug, einen neuen Gesang daraus zu machen. Gedanken wie diese finden sich schon im Diognetbrief aus dem 2. Jahrhundert sowie bei Irenäus und Basilius und auch später bei Franz von Sales, aber auch bei Schriftstellern wie Dostojewskij und Theologen wie Karl Barth. Auf den folgenden Seiten schwingt dieser Gedanke immer mit und deutet das Bild eines barmherzigen Gottes an, das nichts mit den verheerenden Karikaturen zu tun hat, in denen Gott Angst und Schuldgefühle verbreitet und gnadenlos verurteilt. So kommt auch Frère Alois – wie vor ihm bereits Frère Roger – immer wieder auf die Worte des Evangelisten Johannes zurück: „Gott ist Liebe …“

MARCO RONCALLI

Die Versöhnung vorwegnehmen

Marco Roncalli: In Taizé ist immer wieder von Versöhnung die Rede. Frère Alois, warum ist dieses Wort für Sie so wichtig? Um welche Versöhnung handelt es sich überhaupt?

Frère Alois: Versöhnung spielt nicht nur in Taizé, sondern bereits im Evangelium eine zentrale Rolle. Versöhnung ist das Herz des Glaubens und nicht nur ein Aspekt unter anderen. Johannes, ein Jünger Jesu, schreibt: „Christus ist gekommen, um die versprengten Kinder Gottes wieder zusammenzuführen“ (Johannes 11,52). Und Paulus geht sogar so weit zu sagen, dass Christus „alles mit sich versöhnt hat, im Himmel und auf Erden“ (Kolosser 1,20).

Christus hat der Menschheit den Frieden gebracht, er hat sie mit Gott versöhnt und die trennenden Mauern zwischen den Menschen niedergerissen. Seitdem haben Gewalt und Feindschaft nicht mehr das letzte Wort. Von dieser Versöhnung möchten wir Zeugnis ablegen. Wer Christus nachfolgt, den sendet er zu den Menschen, um die Wunden der Trennungen zu heilen. Er ruft uns dazu auf, in der Welt Einheit zu stiften und neue Schritte der Solidarität zu gehen.

Wenn Versöhnung auf der Welt so wichtig ist, welche Rolle spielt in Ihren Augen dann die Versöhnung zwischen den Christen, die Ökumene, für die sich die Communauté seit Langem so stark einsetzt?

Wenn wir hier zu Beginn von der Versöhnung der Christen sprechen, dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass es eigentlich um die Solidarität zwischen allen Menschen auf der Erde geht. Das eine hängt untrennbar mit dem anderen zusammen.

Deshalb würde ich dem Leser mit einem kleinen Augenzwinkern vorschlagen, falls ihn das Thema der Versöhnung der Christen ermüdet, die ersten Seiten dieses Buches einfach zu überblättern.

Ich sage das, weil viele junge Menschen in erster Linie eine geistliche Nahrung und einen Sinn für ihr Leben und ihr Engagement suchen. Und wenn die Christen dann über Kirche, verschiedene Konfessionen und Gemeinden sprechen, dann klingt das oft sehr abstrakt. Vor Kurzem sagte ein anglikanischer Bischof aus Asien: „Die Jugendlichen suchen ein geistliches Leben, und wir verlangen von ihnen, dass sie einer Institution beitreten; sie sehnen sich nach einem inneren Leben, aber unsere Institutionen schirmen sie davon ab.“

Unsere Berufung verlangt von uns, diese beiden Pole in Taizé zusammenzuhalten. Wir versuchen, die Jugendlichen zu verstehen und sie so anzunehmen, wie sie sind; und wenn sie um Brot bitten, möchten wir sie nicht mit etwas anderem abspeisen. Aber wir möchten sie auch entdecken lassen, dass das, was sie während einer Woche auf dem Hügel erleben, eine Erfahrung von Kirche ist. Wir versuchen also, sie Geschmack am Leben der Kirche finden zu lassen, an einem Leben in Einfachheit und in der Offenheit des Herzens.

Was hat nun die Versöhnung der Christen mit dem Frieden auf der Welt zu tun?

Die Christen könnten viel für die Versöhnung tun und zu einem Sauerteig des Friedens in der Menschheitsfamilie werden. Ihre Bemühungen sind jedoch nur dann glaubhaft, wenn sie auch selbst in Einheit leben. Jugendliche verlangen heute ein glaubwürdiges Zeugnis, und wer das, was er sagt, selbst nicht lebt, ist nicht glaubwürdig.

Solange die Christen getrennt nebeneinanderher leben, verhallen ihre Worte. Die Botschaft des Friedens und der Gemeinschaft, die Christus gebracht hat, kann nur gemeinsam weitergegeben werden. Erst wo die Christen sich versöhnen, wird deutlich, was das Evangelium eigentlich sagt, besonders in einer Welt, die so sehr auf Vertrauen angewiesen ist, um gerechte und friedliche Lösungen für die Zukunft zu finden. Es gab Zeiten, in denen sich die Christen um der Wahrheit des Evangeliums willen voneinander getrennt haben. Heute kommt es jedoch darauf an, uns im Namen des Evangeliums zu versöhnen.

Zögern wir also nicht länger, der sichtbaren Einheit entgegenzugehen! Diesen Ruf des Evangeliums möchten wir als Communauté weitergeben. Darin besteht das Vermächtnis Frère Rogers, unseres Gründers.

Dieses Bild der Kirche als lebendige Gemeinschaft hat mich schon 1970 bei meinem ersten Besuch als Jugendlicher in Taizé tief beeindruckt: das Gebet, die Stille, die Gemeinschaft unter den Brüdern  … Ja, ich kann sagen, dass ich als Katholik in Taizé die Katholizität der Kirche noch tiefer verstanden habe.

Kommen wir also zur Communauté, die zunächst eine Idee von Frère Roger war, dem neunten Kind des evangelischen Pfarrers Charles Schutz und seiner Ehefrau Amélie Marsauche. Diese Idee war während einer langen Krankheit in seiner Jugend gereift. Würden Sie sagen, dass die Gründung einer monastischen Gemeinschaft auf eine Vision zurückgeht, auf eine Utopie, oder dass Frère Roger dafür einen konkreten Plan mit bestimmten Phasen hatte?

Eine Utopie war sie sicher nicht! Eine Vision oder ein Plan? – Vielleicht etwas von beidem. Sicher stand am Anfang eine Vision: die Suche nach Frieden und die feste Überzeugung, dass das Evangelium in der Lage ist, die Welt zu verändern. Dazu aber mussten sich die Christen untereinander versöhnen, um der Menschheit in Einheit dienen zu können. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass dies alles begann, als der Zweite Weltkrieg gerade ausgebrochen war und in Frankreich gekämpft wurde.

Gleichzeitig fällt mir jedes Mal auf, wenn ich über diese Zeit nachdenke, wie wichtig es Frère Roger war, sich Ziele zu setzen, damit seine Vision nicht nur ein Traum bliebe, sondern Wirklichkeit würde. Dies scheint mir sehr wichtig zu sein, und in diesem Sinne kann man durchaus von einem Plan sprechen, was nicht heißt, dass alles vorab in einem menschenmöglichen Rahmen festgelegt gewesen wäre. Das Ganze war kein ausgearbeitetes Programm, sondern ein Plan, der sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und auch verändert hat. Ich denke dabei zum Beispiel an die Frage eines Engagements auf Lebenszeit, die die Brüder in den ersten Jahren sehr beschäftigte: Sollten sie sich wirklich für ihr ganzes Leben binden oder nur ein zeitlich begrenztes Engagement eingehen?

Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich glaube, zum einen gab es eine gleichsam prophetische Vision von Gemeinschaft, von Frieden und Versöhnung. Zum anderen galt es, einen Plan in die Tat umzusetzen und durch die Gründung einer Gemeinschaft von Brüdern ein sichtbares Zeichen der Gemeinschaft zu schaffen.

Unweit von Taizé verlief damals die Grenze zu dem von deutschen Truppen besetzten Teil Frankreichs. Taizé war ein winziges Dorf mitten in Burgund, sowohl von der Schweiz als auch von Italien und Deutschland leicht zu erreichen, in unmittelbarer Nähe von Cluny. Soviel ich weiß, wurde in den ersten Jahren im Zusammenhang mit der Communauté noch nicht von Taizé, sondern immer nur von Cluny gesprochen.

Die Demarkationslinie zwischen dem freien und dem besetzten Teil Frankreichs verlief tatsächlich unweit von Taizé. Der Mann, der sich im Jahr 1940 dort niederließ, mochte weder Grenzen noch Schranken oder Brüche; genausowenig mochte er unumstößliche Urteile oder Spaltungen zwischen religiösen Bekenntnissen, Kulturen und Generationen. Frère Roger sehnte sich zutiefst nach Einheit. Er war stets mehr darauf bedacht zu verstehen, als selbst verstanden zu werden; ein Mensch, der nicht länger warten, sondern mit anderen durch das eigene Leben die Versöhnung verwirklichen wollte.

Taizé ist tatsächlich nicht weit von der geschichtlich bedeutenden Abtei Cluny entfernt, die der junge Roger vom Theologiestudium her kannte. Seine Lizenziatsarbeit aus dem Jahr 1943 trug den Titel: „Das Ideal des monastischen Lebens bis Benedikt (VI. Jahrhundert) und dessen Übereinstimmung mit dem Evangelium“. Für Frère Roger war das monastische Leben ein Weg, dem Evangelium zu folgen, und stand mit diesem keineswegs im Widerspruch. Für sein protestantisches Umfeld allerdings war dieses Thema recht ungewohnt.

Mönchtum, gemeinsames Leben, Zölibat, Lebensregel  … War die „Communauté von Cluny“ in den ersten Jahren nicht den Vorwürfen gewisser Kreise des Genfer und Waadtländer3 Protestantismus ausgesetzt, „die Grundsätze der Reformation zu verraten“? Und nun sollte auch noch Cluny zum Sitz dieser Gemeinschaft von Intellektuellen werden, die in der Reformierten Kirche verwurzelt sein wollten!

Solche Vorwürfe wurden tatsächlich erhoben. Aber im wichtigsten Teil seiner Lizenziatsarbeit stellte Frère Roger – vierhundert Jahre nach der Reformation – die Frage, ob das gemeinsame Leben nicht vielleicht doch ein möglicher Weg wäre, sich Christus zu nähern und die Versöhnung zu suchen.

Das monastische Leben war in den Kirchen der Reformation erloschen. So gründete Frère Roger, ohne seine eigene Herkunft zu verleugnen, eine Gemeinschaft von Brüdern, deren Wurzeln notwendigerweise über den Protestantismus hinaus in die ungeteilte Kirche reichten. Die Gründung der Communauté stellte aus sich selbst bereits eine Verbindung zur katholischen und orthodoxen Tradition her.

Und die Nähe zu Cluny: War dies nicht eine bewusste oder vielleicht sogar eine strategische Entscheidung?

Das glaube ich nicht! Natürlich könnte man dies vermuten, aber Frère Roger hatte sich auch in Savoyen und in der Bresse, östlich von Taizé, nach einem geeigneten Ort umgesehen. Aus Gesprächen mit ihm ging hervor, dass das Leiden der Menschen in Burgund, wo er sich schließlich niederließ und ein Haus kaufte, für ihn viel ausschlaggebender war: „Das Leben hier war sehr hart“, waren seine Worte. Eine alte Frau bat ihn zu bleiben, um mit den wenigen verbliebenen Dorfbewohnern in der Abgeschiedenheit die schwere Zeit des Krieges zu überstehen.

Dennoch haben es Frère Roger gerade diese Einsamkeit und die Nähe zur Demarkationslinie ermöglicht, mit anderen zu teilen …