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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Karen Gerwig
ISBN 978-3-492-98460-7
© für diese Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2018
© Shelly Laurenston 2006
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Pack Challenge«, Samhain Publishing, Macon 2006
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2012
Covergestaltung und -motiv: Tanja Winkler
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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Prolog
Zeitverschwendung. Das war es. Minuten seines Lebens, die er nie zurückbekommen würde. Zach betrat den Club namens Skelly’s, überrascht, einen Ort wie diesen in dieser schäbigen texanischen Kleinstadt zu finden. Hardcore Industrial und Techno dröhnten durch das winzige Gebäude, und Zach entspannte sich ein wenig. Nach dem Äußeren des Clubs und all den Pick-up-Trucks auf dem Parkplatz zu urteilen, musste der Laden voller Bauerntrampel sein. Seinesgleichen flog unter Rednecks normalerweise irgendwann die Scheiße um die Ohren. Zu viel Testosteron und Alkohol führten immer zu Problemen.
Er schob sich durch den brechend vollen Club, nahm jeden unter die Lupe, bis er die Bar erreichte. Er beobachtete eine Weile die Barfrau, wie sie Drinks zubereitete. Eine zierliche kleine Schwarze mit einem dunklen Lockenkopf. Sie war definitiv ein Profi und bereitete alle Drinks mit äußerster Präzision zu. Sie servierte nie mehr oder weniger als nötig. Nebenher unterhielt sie sich aufmerksam mit einer großen, sehr sexy Latina am anderen Ende der Bar und verpasste keine Sekunde des Gesprächs. Verschüttete keinen Tropfen. Sie war gut.
Er hielt einen Zehner hoch, und die Barfrau kam zu ihm herüber. Er hörte den letzten Satz, den sie ihrer Freundin zurief: »Ich kann nicht gleichzeitig bedienen und auf sie aufpassen. Ich dachte, du würdest sie im Auge behalten!« Dann wandte sie sich Zach zu und ließ ein hinreißendes Lächeln aufblitzen. »Was willst du?«
»Tequila.«
Die Frau nickte, und ihre Hand ging unter der Bar auf die Suche, dann erstarrte ihr Gesicht. Sie verschwand plötzlich unter dem Tresen, um genauer hinzusehen. »Scheiße!«, schnauzte sie. Als sie wieder erschien, war ihr Lächeln verschwunden. »Eine Sekunde.« Sie ging zu der hinter ihr liegenden Tür und schrie zu der Latina hinüber: »Angelina, sie hat die Flasche geklaut!«
»O-oh.« Die Latina drehte sich um und schaute über die Tanzfläche zu einer Gruppe von Tischen und Barhockern voller Leute. Zach folgte der Blickrichtung der Frau und sah sie sofort.
Sie war groß; größer als ihre besorgte Freundin. Ihr kohlrabenschwarzes Haar reichte ihr bis über die Schultern und strich über die Träger ihres schwarzen Tanktops, das ein keltisches Tattoo auf ihrer rechten Schulter frei ließ. Als sie den Kopf drehte, konnte Zach deutlich die gezackte Narbe sehen, die quer über ihre Gesichtshälfte führte.
Sie war von vier jungen Männern umgeben, schien sie aber nicht zu bemerken. Eigentlich wirkte sie sogar geradezu gelangweilt. Er war sich nicht so recht im Klaren darüber, weshalb ihre Freundinnen sich Sorgen machten.
»Hier, bitte.« Die Barfrau stellte einen Tequila vor ihn hin. »Dein Wechselgeld.«
Zach winkte ab. »Stimmt so.«
»Danke.« Sie schob das Geld in die hintere Jeanstasche und kehrte zu ihrer Freundin am anderen Ende der Bar zurück.
»Wir müssen etwas tun«, sagte sie. Zach hörte sie auch über die Musik hinweg, und auch was sie mit dem Rücken zu ihm sprach, kam klar und deutlich bei ihm an. »Sie ist völlig dicht.«
»Ja, aber weißt du noch, was letztes Mal passiert ist? Wir sollten wohl einfach dankbar sein, dass sie nicht jeden Tag trinkt … oder jedes Jahr. Oder jedes Jahrzehnt.«
»Was ist überhaupt heute Abend mit ihr los?«
»Ich glaube, ihr Bein macht ihr wieder Probleme.«
»Ihr Bein macht ihr immer Probleme. Das ist nichts Neues.«
»Es wird schlimmer. Und ich glaube, sie macht sich Sorgen. Was das bedeuten könnte.«
»Das bedeutet gar nichts. Sie interpretiert zu viel in alles hinein.«
Die dunkelhaarige Schönheit lehnte sich zurück und sah ihre Freundin an. »Das musst ausgerechnet du sagen. Wer im Glashaus sitzt …«
Die Kleine zeigte ihr den Stinkefinger und mixte geschickt einen Martini – alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Er war beeindruckt.
»O-oh, Miki. Sie ist unterwegs.«
Zach drehte sich wieder zu der anderen Frau um. Sie rutschte von ihrem Hocker, ließ einen Kerl mitten im Satz stehen und ging einfach. Na ja, sie hinkte eher, aber er hatte ja gehört, dass ihr Bein schwer verletzt sei. Dennoch benutzte sie beim Gehen – höchstwahrscheinlich zur Toilette – weder Stock noch Krücken.
Er hätte keine Sekunde über die ganze Sache nachgedacht, wären da nicht die beiden Männer gewesen, die an der gegenüberliegenden Wand lehnten. Obwohl sie sich größte Mühe gaben, passten sie nicht ins Bild. Sie trugen schwarze Lederjacken, aber brandneue, die aussahen, als hätten sie sie am selben Tag erst gekauft. Ihre Hemden waren schwarz, aber aus Seide. Die Hosen mit Bundfalten. Und ihre Schuhe? Die waren aus Leder, teuer, und Zach hätte so etwas nicht einmal mit vorgehaltener Waffe angezogen. Und sobald sie sich bewegte, gingen sie ihr nach. Zach kippte seinen Tequila und folgte ihnen ebenfalls.
Er hatte sich gerade durch die Menge bis zum Hinterausgang des Clubs gedrängt, als er sie entdeckte. Einer hatte die Frau um die Taille gepackt und hochgehoben. Er hielt ihr den Mund zu, und die drei verschwanden durch die Hintertür. Es geschah so schnell, dass es keiner der anderen Gäste bemerkte.
Zach lief los, stieß Leute aus dem Weg, da er befürchtete, zu spät zu kommen. Er platzte durch den Hintereingang in die Seitengasse hinaus. Sie hatten die Frau zu Boden geworfen, und einer hatte die Hand erhoben. Für jeden anderen hätte es ausgesehen, als wolle er ihr eine Ohrfeige verpassen. Doch Zach wusste, dass ein Schlag dieser Hand der Frau die Kehle zerfetzt hätte. Er knurrte und ließ seine Eckzähne ausfahren. Die Männer drehten sich um, und einer antwortete mit einem Brüllen.
Doch bevor Zach irgendetwas tun konnte, zog die Frau ein langes, schmales Stück Metall aus ihrem abgetragenen Cowboystiefel und rammte es einem ihrer Angreifer in die Innenseite des Schenkels. Er brüllte wieder auf, diesmal vor Wut und Schmerz. Dem Unverletzten schien aufzugehen, dass es jetzt kein einfacher Mordplan mehr war. Die Frau würde nicht kampflos sterben. Also schnappte er sich seinen Partner, und die beiden verließen im Laufschritt die Seitengasse, wobei sie eine Blutspur hinterließen.
Zach ging zu der Frau hinüber, die inzwischen die Waffe wieder in ihren Stiefel geschoben hatte und jetzt versuchte, sich aufzurappeln – eindeutig ein größeres Unterfangen. Zach seufzte, nahm ihren Arm und zog sie mühelos hoch.
»Hey!«, blaffte sie und schaute zu ihm auf. Von seinem Platz an der Bar aus hatte er nicht sehen können, wie hübsch sie eigentlich war. Unglaublich hübsch. Dunkelbraune Augen sahen ihn unter schwarzen Wimpern hervor an. Ihre Haut war von einem hellen Braun mit einer Spur Rot. Und die brutale Narbe auf ihrer Wange konnte ihre scharf gezeichneten Wangenknochen und die vollen Lippen nicht verbergen. Eigentlich unterstrich sie sie sogar.
Diese eindringlichen Augen sahen ihn direkt an. »Hübsche Zähne«, murmelte sie betrunken. Sie hatte einen leichten texanischen Akzent. Nicht so deftig wie die anderen, die er auf der Fahrt von Kalifornien hierher gehört hatte. »Lang.« Ihr rechter Zeigefinger schob sich in seinen Mund. Plötzlich ging ihm auf, dass er seine Eckzähne nicht wieder eingezogen hatte.
Jetzt lächelte sie ihn an und sagte: »Du bist auch hübsch.« Wow, sie war wirklich sehr betrunken. Plötzlich zu Kräften gekommen, knallte sie Zach an die gegenüberliegende Wand. »So einen Hübschen wie dich habe ich noch nie gesehen.«
Zach war in seinem Leben schon einiges genannt worden, aber »hübsch« war nicht dabei gewesen. Gleichzeitig knurrend und lächelnd – äh, nein –, anzüglich grinsend, lehnte sie sich an ihn; ihre Brüste drückten durch das T-Shirt gegen seine Brust und erschreckten ihn mit der Hitze ihres Körpers.
Sie küsste ihn. Weiche Lippen auf seinem Mund; die Zunge glitt zwischen seine Zähne.
Ihre Zungen trafen sich, und Zach hatte das unglaubliche Bedürfnis, sie sofort und hier in dieser Seitengasse zu nehmen. Als sie die Hand vorn in seine Jeans schob und mit festem Griff die sekündlich wachsende Beule umfasste, wusste er, dass er diese Frau haben musste. Jetzt. Sofort. In diesem Augenblick. Bevor er jedoch auch nur die Arme um sie legen konnte, wurde sie von ihm weggezogen. Weggerissen, seinem Gefühl nach.
Er war so in sie vertieft gewesen, dass er nicht einmal gemerkt hatte, wie ihre Freundinnen eindeutig kampfbereit in die Seitengasse gestürmt waren. Diejenige, die Miki hieß, hatte einen Baseballschläger dabei, wahrscheinlich von hinter der Bar. Die andere, Angelina, hatte ihre hochhackigen Schuhe ausgezogen und schien bereit, die Sache mit bloßen Händen auszutragen. Ja, Zach hatte sich keine Sekunde lang von ihren Designerklamotten täuschen lassen. Diese Frau konnte einem die Kehle durchschneiden, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie strahlte unmissverständlich aus, dass sie selbst auf sich aufpassen konnte.
»Sara!«, kreischte Angelina, während sie Sara von Zach wegriss. Miki blieb im Hintergrund und schaute nur zu, den Baseballschläger immer noch schlagbereit. Zach konnte nur vermuten, wie es für sie aussehen musste, wenn ihre Freundin einem Fremden die Zunge in den Hals und die Hand in die Hose steckte. »Was soll das?«
Zach zog eilig seine Reißzähne so weit ein, dass sie normalen menschlichen Eckzähnen glichen, gerade rechtzeitig, bevor Angelina ihn ansah und aufmerksam musterte. Leider konnte er sein Ding nicht so beherrschen wie seine Zähne.
Sara machte sich von Angelina los und lehnte sich wieder an Zach. Erneut lächelte sie, den Blick auf seine Lippen gerichtet. »Das ist mein hübscher Mann. Ist er nicht toll? Ich glaube, ich liebe ihn.«
Miki verdrehte die Augen und senkte den Schläger. »Das soll ja wohl ein Witz sein!«
Angelina machte eine Bewegung auf ihre Freundin zu. »Okay, Süße, aus dir spricht eine halbe Flasche Tequila. Aber jetzt lassen wir den ›hübschen Mann‹ gehen.«
»Nein!«, blaffte sie, und ihre Freundin erstarrte in der Bewegung. Zach sah zu, verblüfft über Saras Aggression.
Doch ihren Freundinnen schien nicht klar zu sein, wie nah sie echter Gefahr waren. Miki fing an zu lachen, Angelina dagegen sah eher gelangweilt aus. »Sara, Süße, du musst dein Spielzeug gehenlassen.«
»Hey!«, grollte Zach.
Angelina warf ihm einen bösen Blick zu. »Leg dich nicht mit mir an!«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Okay, okay.« Sara richtete sich auf. »Streitet nicht meinetwegen. Ich habe schon verstanden. Ich komme mit.«
Angelina entspannte sich sichtlich. »Gut.«
»Aber …«, flüsterte Sara, sodass nur Zach sie hören konnte, legte die Hand in seinen Nacken und zog ihn zu sich herab, »es wäre einfach unhöflich, vorher nicht gute Nacht zu sagen.«
Sie küsste ihn noch einmal. Und sofort setzte mit voller Wucht wieder dieser Drang ein, sie hier und jetzt zu nehmen, ob ihre Freundinnen zusahen oder nicht.
»Hey!«, rief Miki lachend aus.
Bevor er Sara über eine Mülltonne legen konnte, hatte Angelina ihre Freundin schon um die Taille gefasst und schleppte sie zurück in den Club. »Na komm, du aufsässiges Mädchen. Wir flößen dir Kaffee ein, bevor du wieder ein Auto in Brand steckst.«
»Tschüss, hübscher Mann!« Sara winkte.
Miki öffnete die Hintertür, und Angelina warf ihre Freundin buchstäblich hinein. »Das reicht. Kein Tequila mehr für dich, junge Dame. Nie mehr.«
Miki folgte ihnen, blieb aber am Eingang stehen und drehte sich noch einmal zu Zach um. »Tut mir leid. Sie ist echt betrunken.«
»Kein Problem«, brachte Zach hervor, der all seine innere Kraft brauchte, um sein Ding unter Kontrolle zu bekommen.
Miki ließ ein hübsches Lächeln aufblitzen und wollte in den Club gehen. Da blieb sie abrupt stehen. »Du meine Güte, Angie! Hilf ihr vom Boden auf!«
Zach zog ein Handy heraus und drückte eine Taste. Während er auf die Verbindung wartete, rückte er rasch seine plötzlich eng gewor dene Jeans zurecht. »Hey«, sagte er, als jemand das Gespräch annahm. »Hier ist Zach. Sie ist es definitiv. Aber sie sind schon hier.«
Kapitel 1
»Er steht auf der Liste.«
»Aber er …«
»Er steht auf der Liste!«
Sara saß hinter dem Tresen von Marrec’s Choppers, dem Laden, in dem sie arbeitete, seit sie vierzehn war, und beobachtete das wöchentliche Ritual ihrer zwei besten Freundinnen.
»Sara«, befahl Miki. »Die Liste!«
»Würdet ihr zwei Zicken bitte damit aufhören? Ich habe Migräne.«
»Nein. Du hast einen Kater. Los jetzt, die Liste.«
Sara seufzte. »Keine Cowboys. Keine Biker. Keine wie auch immer gearteten Kriminellen. Und keine Republikaner.«
»Und?«, drängte Miki.
Sara und Angelina zuckten die Achseln.
»Keine Rodeo-Clowns.«
»Die hast du eben erst draufgesetzt«, schnauzte Angie sie an. Just an diesem Morgen hatte sie ein Rodeo-Clown um ein Date gebeten.
»Nein, nein. Die standen schon immer auf der Liste.«
»Er ist ein netter Kerl!«
»Er verdient seinen Lebensunterhalt damit, vor Bullen davonzurennen! Er wird dich bescheißen!«
»Schreit nicht so!« Sara barg das Gesicht in den Händen. »Lasst mich einfach in Frieden sterben.«
»Das hat man davon, wenn man sich die Lampen ausschießen muss«, tadelte Miki.
Angie legte Sara den Arm um die Schultern. »Süße, es ist jetzt sechs Monate her, seit deine Großmutter gestorben ist. Vielleicht wird es langsam Zeit, mit dem Feiern aufzuhören. Vor allem, da du anscheinend zur Hure wirst, wenn du etwas getrunken hast.«
»Werde ich gar nicht!« Doch Sara konnte sich bei der dunklen, alkoholvernebelten Erinnerung daran, wie sie hinter ihrem Lieblingsclub irgendeinen armen Kerl angefallen hatte, ein Lächeln nicht verkneifen. »Abgesehen davon feiere ich nicht. Ich bin nur froh, dass meine Großmutter …«
»In der Hölle schmort?«, warf Miki ein.
»Das ist nicht erwiesen.« Außerdem war sich Sara ziemlich sicher, dass Satan die boshafte alte Kuh nicht haben wollte.
Sara rieb sich die Schläfen. Ihre Kopfschmerzen würden irgendwann vorbeigehen. Schmerzen waren sowieso ein Teil ihres Lebens. Das würde sich niemals ändern. Ihr rechtes Bein schmerzte schon seit mehr als zwanzig Jahren mehr oder weniger unerträglich. Sie hatte ganz einfach gelernt, es zu ignorieren. Bis neulich. In letzter Zeit war es … nein. Sie würde jetzt nicht in Selbstmitleid verfallen. Das hatte sie am Abend zuvor zum Trinken gebracht. Dummes Selbstmitleid. Ihr Leben hätte wirklich schlimmer sein können. Zum Henker, sie könnte tot sein!
Oder es könnte ihr wie der jungen Frau gehen, die gerade in den Laden gestolpert kam, das Gesicht und die Lederjacke mit Schmutz und Blut verschmiert.
»Heilige Scheiße!« Sara hinkte eilig um den Tresen herum. »Leute, ruft einen Krankenwagen! Marrec!«, schrie sie hinter sich. »Komm schnell!«
»Nein, nein. Mir geht’s gut.« Die Frau winkte ab.
»Ehrlich? Du siehst beschissen aus«, bemerkte Miki.
»Unfall mit dem Motorrad.« Das Mädchen streckte sich, und Sara hörte jeden einzelnen Knochen knacken. »Wegen dem bin ich eigentlich hier. Ihr habt einen Mechaniker, oder?«
Angelina musterte die Frau von oben bis unten. »Brauchst du wirklich keinen Krankenwagen?«
»Oder vielleicht einen Leichenwagen«, murmelte Miki vor sich hin.
Sara versetzte ihrer Freundin einen Stoß mit dem Ellbogen. Das tat sie bei Miki oft.
»Nö. Nur einen Mechaniker. Und ein Badezimmer.«
»Ich bringe sie hin.« Angelina führte das Mädchen in den hinteren Bereich des Ladens.
Marrec erschien mit ölverschmiertem Gesicht, auch Hände und T-Shirt waren ölverschmiert. Der Mann war wahrscheinlich Mitte sechzig, aber er wirkte eher wie ein vorzeitig ergrauter Fünfundvierzigjähriger. Er war kleiner als Sara, aber kräftig gebaut, und er hatte sie unter seine Fittiche genommen, als ein egozentrischer College-Footballer sie während einer Prügelei, von der Miki immer noch behauptete, es sei nicht ihre Schuld gewesen, kopfüber durch Marrecs Ladentür geworfen hatte.
»Was ist los?« Marrec wischte sich die Hände an einem Lappen ab.
»Irgendein Mädel hatte einen Unfall.«
Miki schaute aus dem großen Schaufenster. »Mann, schau dir das Bike an! Sie müsste eigentlich tot sein.«
Marrec warf einen Blick darauf, und seine Augen wurden schmal. »Sie kann noch gehen?«
»Ob du’s glaubst oder nicht«, antwortete Sara. »Angelina hat sie ins Bad gebracht.«
Angelina kehrte zu ihren Freundinnen zurück. »Sie ist im Bad. Ich warte nur darauf, einen Aufprall zu hören.«
»Ich gehe mir ihr Bike ansehen«, murmelte Marrec schon im Gehen.
Nach ungefähr zehn Minuten kam die Frau zurück. Sie hatte sich das Gesicht und die Hände gewaschen und Blut und Schmutz aus den Haaren gespült. Sie war überraschend hübsch – und sah aus, als könne sie einen Buick stemmen.
»Viel besser«, verkündete sie. Dann wandte sie sich den drei Frauen zu, die sie anstarrten. »Stimmt was nicht?«
»Wir warten nur darauf, dass du ohnmächtig wirst«, gab Miki zu.
Die Frau grinste. »Mechaniker?«
»Das ist Marrec. Er sieht sich gerade dein Bike an.« Sara schaute aus dem Fenster. »Aber Süße, dein Bike ist geliefert.«
»Glaubst du?« Sie ging hinaus; Sara, Miki und Angie folgten ihr.
Sara staunte, wie schnell sich die Frau zu erholen schien. Vielleicht war sie auf irgendwelchen neuen Schmerzmedikamenten. Sara musste sie fragen. Vielleicht würde sie das Zeug bald selbst brauchen.
Das Mädchen ging zu den übel zugerichteten Überresten ihres Bikes hinüber. »Mein armes Baby.«
Sara sah, wie Miki die Augen verdrehte. Ihre kleine Freundin würde die Liebe der Biker zu ihren Choppern nie verstehen. Die Leidenschaft.
Marrec, der immer noch neben dem Motorrad kauerte, stand langsam auf und sah die Frau finster an. Sie starrten einander in die Augen. Das war alles. Sie starrten nur. Schließlich wandte sich die Frau ab.
Miki stieß Sara an, doch die ignorierte es. Sie hatte das schon oft bei Marrec gesehen. Diese »komische Sache« machte er ständig. Manchmal sogar mit seinen eigenen Söhnen oder seiner Frau. Aber zum Henker, Miki machte selbst haufenweise komische Dinge, also konnte sie sich wohl kein Urteil erlauben.
»Wo hattest du überhaupt den Unfall?«, fragte Angelina.
Die Frau kniete neben dem verbogenen Metall nieder. »Keine Ahnung. Ich glaube, ungefähr vor zwei Meilen.«
Die Freundinnen tauschten Blicke.
»Wie hast du dein Bike hierhergebracht?«
»Hab’s geschleppt.« Die Frau drehte den Kopf, als Marrec sich zum Eingang des Parkplatzes umwandte.
»Moment mal.« Miki versuchte nicht einmal, ihre Ungläubigkeit zu verbergen. »Du willst uns weismachen, dass du das Ding bis hierher geschleppt hast? In deinem Zustand? Blödsinn«, endete sie kategorisch.
Wie immer war Miki subtil wie ein Vorschlaghammer.
Das Mädchen ignorierte sie einfach. »Gut«, sagte sie erleichtert. »Sie sind da.« Sie stand auf und ging in Richtung Parkplatzeinfahrt. Dort bogen gerade vier wunderschöne, aufgemotzte Chopper ein, jeder davon mit einer Frau im Sattel. Sie hielten neben dem Mädchen an.
»Schau dir das an.« Angelina stieß ihren Freundinnen die Ellbogen in die Seiten. »Lesben. In Texas.«
»Hältst du bitte die Klappe?« Sara kicherte.
»Julie, schön, dass du noch lebst«, sagte die älteste der Frauen. Sie hatte graue Strähnen in den blonden Haaren und Falten im Gesicht. Wahrscheinlich war sie einmal umwerfend gewesen. Jetzt war sie nur noch schön.
Die Frau stieg ab und umarmte das ramponierte Mädchen. »Fehlt dir ganz sicher nichts?«
»Ja, Casey. Mir geht’s gut.« Das Mädchen lehnte sich an sie und flüsterte etwas. Casey sah zu Marrec hinüber.
»Kein Problem.« Casey ging zu ihm hinüber. »Ist das Ihr Laden?«
Sara sah, wie ihr Boss sich aufrichtete und die Arme vor der breiten Brust verschränkte. »Ja.«
Die Frau lächelte kühl. »Haben Sie einen Moment?«
Marrec betrachtete die Frau aufmerksam. »Sara«, sagte er, ohne den Blick von Casey abzuwenden, »geh rein.«
Eine erschrockene Sara sah ihre ebenso erschrockenen Freundinnen an. »Soll das ein Witz sein?« Es musste ein Witz sein. Marrec befahl ihr selten etwas. Vor allem befahl er ihr nie wie einer Zehnjährigen, wegzugehen.
Sein Gesichtsausdruck zeigte ihr aber deutlich, dass er es ernst meinte. Doch bevor Sara ihm klipp und klar sagen konnte, wohin er sich scheren sollte, schaltete sich Casey ein.
»Julie braucht ein neues Bike. Das hier fährt nirgendwo mehr hin. Könntest du ihr zeigen, was ihr im Angebot habt?«
Sara schnaubte über diesen schwachen Versuch, sie loszuwerden.
»Wow, Julie. Dein Bike ist im Arsch!« Diese leise Feststellung kam von einer winzigen Asiatin, die neben dem Totalschaden kauerte.
»Ich weiß, Kelly. Ich weiß.«
»Keine Sorge«, sagte Casey. »Wir besorgen dir hier ein neues. Kelly hat das Bargeld und die Karten. Ich glaube, es wird Zeit, dass wir ein bisschen Geld ausgeben.«
Miki verschränkte die Arme vor der Brust. »Drogengeld, nehme ich an?«, fragte sie süffisant.
Angelina riss die Augen auf, und Sara hielt ihrer Freundin den Mund zu. Casey zog eine Augenbraue hoch und schaute Sara direkt an. Als könne sie Miki kontrollieren oder so etwas. Zum Henker, niemand konnte Miki kontrollieren.
»Wie wär’s, wenn Sie alle hereinkommen und sich ansehen, was wir haben?«, schlug Sara eilig vor. »Wir haben gerade ein paar tolle Sachen reinbekommen.«
Casey nickte ihren Frauen zu, und sie betraten den Laden, während sie selbst mit Marrec außer Hörweite ging. Als sie allein waren, stießen Sara und Angelina tiefe Seufzer aus.
»Drogengeld, nehme ich an?«, zischte Angelina und versetzte Miki einen kräftigen Schubs.
Miki zuckte die Achseln. »Ich hab doch nur gefragt!«
»Lass es. Frag einfach nicht. Zweifle nicht. Hinterfrage nicht.« Angelina ging auf die Tür zu, wirbelte aber noch einmal mit finsterem Blick auf ihren Zehn-Zentimeter-Designer-Highheels zu Miki herum. »Und versuch zu vermeiden, dass dir Biker-Chicks die Scheiße aus dem Leib prügeln. Glaubst du, du schaffst das?«
»Glaubst du, du schaffst das?«, äffte Miki sie wütend nach, als sie Angelina in den Laden folgte. Sara sah, wie Miki den Türgriff umfasste, aber drückte, statt zu ziehen, und gegen die Tür knallte. »Scheiße!«
Sara lachte und spürte, wie ihre Kopfschmerzen vergingen.
Kapitel 2
»Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«
Sara schnappte Miki hinten an T-Shirt und Jeans, bevor diese über den Verkaufstresen hechten und die Asiatin namens Kelly würgen konnte.
Während sie Miki zu sich zurückzog, beugte sich Angelina vor und sagte: »Weißt du, was mit neugierigen, nervigen kleinen Biker-Mädchen passiert? Sie werden mit einem Messer bearbeitet, bis sie Blut spucken.«
Oh ja. Das war sehr subtil. Sara zog auch Angelina zurück. Ihre Freundinnen glaubten immer, sie beschützen zu müssen. Das war etwa so süß wie ein tollwütiges Eichhörnchen.
Die Leute fragten sie selten nach ihren Wunden. Nicht so direkt. Doch es schien keine Bosheit in Kellys Frage zu liegen. Es war eine einfache Frage. Also gab ihr Sara eine einfache Antwort: »Das geht dich nichts an. Also, nimmst du die Shirts?«
Kelly blickte auf die sechs T-Shirts hinab, die sie in der Hand hielt. »Äh … ja. Klar.«
Während Sara den Einkauf in die Kasse tippte, kehrten Marrec und Casey zurück. Die Spannung zwischen ihnen schien nachgelassen zu haben, aber sie konnte sehen, dass Marrec immer noch nervös war, als er um den Tresen herumkam und Sara auf die Schulter klopfte. »Alles klar?«
»Ja«, sagte Sara leise. »Und sie kaufen tonnenweise Zeug. Ich erwarte einen Bonus, alter Mann.«
Marrec lächelte. »Geldgierige Schlampe.«
Casey baute sich vor Sara auf und musterte sie gründlich. »Interessante Narbe.«
»Das ist doch unglaublich, Scheiße noch mal!«, zischte Miki, die schon wieder aussah, als wolle sie versuchen, über den Verkaufstresen zu springen.
»Schau dir das an.« Casey schob ihre Mähne beiseite, um ihren Hals zu entblößen, und drehte sich, damit Sara deutlich sehen konnte.
Angelina und Miki zuckten zusammen.
Hinter dem Ohr begannen verheilte und wulstige Narben, zogen sich den Hals der Frau hinab und verschwanden im Kragen ihrer Jacke. Sara hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie noch weit ihren Oberkörper hinabreichten.
»Ein Berglöwe«, erläuterte Casey. »Vor acht Jahren. War ein böser Kampf.«
»Du? Du hast mit einem Berglöwen gekämpft?« Das nahm ihr Miki eindeutig nicht ab.
»Es war ein Kampf auf Leben und Tod, entweder er oder ich. Letztendlich geht es doch nur ums Überleben.«
Sara dachte an ihren Vater. Er hatte vor all den Jahren gekämpft, um sie zu beschützen, und es hatte ihn das Leben gekostet, doch sie hatte schließlich überlebt.
Julie, die minütlich gesünder und stärker zu werden schien, unterbrach sie mit einer Ankündigung: »Die Männer sind hier.«
Vier weitere Motorräder hielten vor dem Laden. Sara sah das Chrom durch das Schaufenster funkeln. Sie wurde ganz kribbelig, wenn sie nur daran dachte, eines dieser Bikes zwischen den Beinen zu haben.
Miki wandte sich an Casey: »Sind das echte Männer oder Tussis, die sich anziehen wie Männer?« Sara seufzte, und Angelina schloss schicksalsergeben die Augen. Miki grinste. »Ich frag doch nur.«
Was drei Minuten später durch die Tür kam, waren allerdings eindeutig »echte Männer«.
Kapitel 3
»Wisst ihr was«, verkündete Angelina ihren zwei Freundinnen leise, »ich glaube, ich muss noch beim Metzger vorbei. Ich brauche Frischfleisch.«
»Eine ordentliche, dicke Fleischwurst wäre auch nicht schlecht«, fügte Sara hinzu. Dann begannen sie und Angelina über die »heißen Typen« zu kichern, die eben Marrecs Laden betraten.
»Machen euch diese Leute eigentlich überhaupt keine Angst?«, fragte Miki mit gedämpfter Stimme.
Sara beobachtete die Gruppe. Zugegebenermaßen verhielten sie sich anders als jeder Motorradclub, den sie je erlebt hatte. Freundschaftlich, aber höflich. Liebevoll und spielerisch, aber nicht im Entferntesten sexuell, abgesehen von ein paar.
Ein großer, unglaublich gut aussehender Mann kam zu Casey herüber. Seine Haare waren grauer als ihre, doch sie wirkten frühzeitig ergraut. Er hatte nur wenige Falten. Casey lächelte über das ganze Gesicht, sobald sie ihn sah. Er erwiderte das Lächeln, küsste sie aber nicht zur Begrüßung. Stattdessen rieb er seinen Kopf zart an ihrem. Schnupperte unter ihrem Kinn, schob ihre Haare beiseite und leckte die Narbe in ihrem Nacken.
Angie bemerkte es nicht; sie war zu beschäftigt damit, auf ihre Hände zu starren und über den abgeblätterten Nagellack zu schimpfen. Doch Miki sah es.
»Okay. Macht dir das Angst?«
Sara zuckte mit den Schultern und antwortete ehrlich: »Ich fand das irgendwie süß. Abgefahren, aber süß.« Sie war daran gewöhnt, dass Biker ihren Frauen mitten im Laden in den Schritt fassten und ihnen die Zunge in den Hals schoben. Es wirkte immer so, als wollten sie sie gleich direkt hier auf dem Boden des Geschäfts vögeln. Doch was sie eben gesehen hatte, war Zuneigung. Sie selbst hatte so etwas noch mit keinem der Männer erlebt, mit denen sie im Lauf der Jahre zusammen gewesen war. Nette Kerle, die sie immer nur bis zu einem bestimmten Punkt an sich herangelassen hatte. Nie fiel die Mauer, die sie um sich aufgebaut hatte, oder wie ihre Freundinnen es nannten: »die Rüstung«. So fühlte sie sich sicherer, aber es hielt natürlich auch jeden Mann, der gute Absichten hatte, auf Armeslänge fern.
Noch ein Mann kam herein. Blond und vielleicht eher in ihrem Alter. Aber er war groß wie ein Scheunentor. Wie ein blonder Eisbär. Nur Muskeln und Kraft. Er erinnerte Sara an die Wikinger in einem von Mikis Computerspielen. Ihm fehlte nur der gehörnte Helm. Er begrüßte ein paar der Frauen, aber meistens mit einem Schulterklopfen oder Nicken. Doch als er Miki sah, war es, als hätte ihm jemand einen Stein über den Kopf gezogen. Er wirkte benommen – und lief gegen eine Wand.
Sara drehte sich zu Marrec um und versuchte, ihr Lächeln zu verbergen. Er war zu Casey hinübergegangen, um den älteren Biker zu begrüßen, mit dem Casey leise sprach. Als sie fertig war, sahen sich die beiden Männer eindringlich an und schüttelten sich schließlich die Hände. »Yates ist mein Name. Und ich weiß das wirklich zu schätzen«, sagte er mit aufrichtiger Wärme in der Stimme.
Marrec nickte. »Kein Problem. Denkt nur daran, wem dieses Gebiet gehört.«
Daraufhin lächelte Yates. »Das ist kein Problem, glaube ich.«
Sara und Miki blickten sich stirnrunzelnd an. Sara hatte Marrec noch nie so territorial erlebt. In seinen Laden kamen ständig Biker, aber er hatte nie so besorgt gewirkt wie bei dieser Gruppe. Dabei erschienen ihr diese Leute geradezu verspielt im Vergleich zu einigen der harten Kriminellen, die im Lauf der Jahre über die Schwelle von Marrecs Geschäft getreten waren.
All das ließ Mikis Intellekt auf Hochtouren arbeiten. Und Sara wusste, dass ihre Freundin – schon wieder – kurz davor war, etwas vollkommen Unangemessenes zu sagen.
Angelina dagegen war vollkommen damit beschäftigt, vor einem Spiegel, der zum Aufprobieren von Sonnenbrillen gedacht war, Lipgloss aufzulegen. Angie war eine Frau, die sich nicht so schnell über Dinge aufregte, die sie nicht in der Hand hatte. Wenn sie sich auch ihre Zen-mäßige Gelassenheit erst durch jahrelange, gerichtlich angeordnete Therapie erworben hatte.
»O Gott, o Gott«, flüsterte Miki verzweifelt. Sara sah, dass der blonde Bär in ihre Richtung geschlendert kam – möglicherweise mit der Absicht, Miki anzusprechen. Mit reinstem Entsetzen im Blick wandte sie sich zu Sara um und wimmerte: »Sag mir, dass er nicht hier rüberkommt!«
»Es ist nicht jeder Frau gegeben, von Thor, dem Donnergott, geliebt zu werden.«
Miki warf ihr einen finsteren Blick zu, konnte sich ein Lachen aber nicht verkneifen. »Ich hasse dich!«
Sara grinste und wollte ihrer Freundin gerade helfen, der wahren Liebe zu entkommen – doch da kam er herein.
Er war draußen geblieben, um sich das beschädigte Motorrad anzusehen. Er war groß. Größer als Yates. Größer als sie alle, bis auf den großen Blonden, der weiterhin schweigend Miki anstarrte und sich auf sie zubewegte. Kräftig gebaut war der neue Kerl außerdem. Sara fragte sich, wie er mit diesen Schultern durch die Tür kam. Und mit ihren eins dreiundachtzig begegnete sie selten Männern, bei denen sie sich klein fühlte.
Seine dunkelbraunen Haare reichten bis über die Schultern und fielen ihm ins Gesicht, sodass sie seine hellen, haselnussbraunen Augen praktisch verdeckten. Auf den Wangen waren die Stoppeln mehrerer Tage zu sehen, und er besaß einen breiten, muskulösen Hals, an dem sie den ganzen Tag hätte knabbern und lecken können. Bekleidet war er mit einer schwarzen Jeans, einem schwarzen T-Shirt und einer schwarzen Lederjacke, und er war ganz einfach der schönste Mann, den Sara in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Sie wollte ihn so sehr, dass es ihr den Atem verschlug.
Er bemerkte sie nicht, als er hereinkam, aber dafür alle anderen. Die restlichen Mitglieder der Gruppe unterbrachen, was sie gerade taten, und erstarrten. Gleichzeitig hoben sie alle die Köpfe und schnüffelten. Dann drehten sie sich zu Sara um.
Sie verstand es nicht. Sie hatte nichts getan. Sich nicht gerührt. Sie hatte auch Yates angestarrt, als er hereingekommen war. Was sie auf die Idee gebracht hatte, sich auszuziehen und sich rittlings auf diesen braunhaarigen Gott zu setzen, war ihr vollkommen schleierhaft.
Während sie sich noch weiter hineinsteigerte, beugte sich Angelina zu ihr herüber und sagte: »Ähm … Süße? Müssen wir dich von deinem Hocker kratzen?«
Das lenkte Sara davon ab, im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen, und sie wandte sich zu Angelina um: »Halt die Klappe!«
»Du erinnerst dich nicht an ihn«, tadelte Miki; ihren blonden Stalker hatte sie rasch vergessen.
»An wen erinnern?«
»An den tragischen, in schwarzes Leder gekleideten Kerl da drüben.«
Angie fing an zu lachen. »O mein Gott, er ist es wirklich!«
»Wer?«, fauchte Sara.
Bevor sie eine Antwort bekam, wurde Sara bewusst, dass er sie endlich bemerkt hatte, nachdem er die Frauen aus seiner Gruppe begrüßt hatte. Sein Blick richtete sich auf sie, und sie spürte buchstäblich, wie ihr Gesicht heiß wurde und sich die Wände ihrer Muschi zusammenzogen.
»Der gute Samariter«, bemerkte Miki.
»Ich glaube«, fügte Angelina hinzu, »deine genauen Worte waren: ›Der hübsche Mann gehört mir allein.‹«
»Direkt bevor du ihm die Zunge bis zum Anschlag in den Mund geschoben hast«, ergänzte Miki.
»Und ich glaube, es wurde auch in den Schritt gefasst.« Angelina schüttelte den Kopf. »Hure.«
Sara knurrte ihre Freundinnen an, als die Erinnerung an den Wahnsinn des Vorabends wie eine Welle über sie hinwegspülte. Zu viel Tequila. Die Arschlöcher im Club, die sie sich geschnappt hatten. Und die klassische Sara-Dämlichkeit, die sie jedes Mal, wenn sie getrunken hatte, etwas anstellen ließ, das sie am nächsten Morgen bereute. Anscheinend war es diesmal er.
»Ach, Scheiße.«
»Aber er erinnert sich eindeutig an dich«, kicherte Angelina.
Natürlich tat er das. Wenn man von einer großen Frau mit Narben als hübscher Mann bezeichnet wurde und sie einem dann die Zunge in den Hals steckte – das vergaß man nicht. Und falls Sara noch Zweifel hatte, wurden sie von seinem plötzlichen Lächeln zerstreut.
»O-oh«, flüsterte Angelina.
»Er kommt hier rüber«, fiel Miki ein. Verdammt, sie sang es beinahe!
»Ich glaube, ich bin in der Hölle gelandet.« Sara begann nach etwas – irgendetwas – zu suchen, womit sie sich beschäftigen konnte. Aber sie war zu abgelenkt, um sich zu konzentrieren. Ihre Nippel waren hart geworden. Ihre Muschi stand in Flammen. Und sie überlegte die ganze Zeit, wie er wohl nackt aussah.
Nackt, mit dem Kopf zwischen ihren Schenkeln.
Du lieber Himmel! Was war nur los mit ihr?