Inhalt

  1. Titel
  2. Widmung
  3. Zu diesem Buch
  4. 1
  5. 2
  6. 3
  7. 4
  8. 5
  9. 6
  10. 7
  11. 8
  12. 9
  13. 10
  14. 11
  15. 12
  16. Leseprobe
  17. Die Autorin
  18. Die Romane von J. Lynn bei LYX.digital
  19. Impressum

J. LYNN

Tempting Love

Hände weg vom Trauzeugen

Roman

Ins Deutsche übertragen von
Friederike Ails

Für alle, die glauben …

Zu diesem Buch

Als Madison Daniels die Einladung zur Hochzeit ihres Bruders erhält, ist ihr sofort klar, dass das romantische Wochenende in den Weinbergen im Norden Virginias für sie alles andere als schön werden wird. Denn Trauzeuge ist kein Geringerer als Chase Gamble – für Madison der absolute Albtraum. Seit Madison zurückdenken kann, ist sie in den besten Freund ihres Bruders verliebt. Und alle Versuche, ihn endlich aus dem Kopf zu bekommen, scheitern immer wieder an seiner sympathischen Art, seinem guten Aussehen und diesen verdammt süßen Grübchen auf seinen Wangen – die verboten gehören, wie eigentlich alles an ihm. Dass alle in Chase und Madison das perfekte Traumpaar sehen, macht die Sache nicht einfacher, schließlich hat Chase ihr vor einigen Jahren mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass feste Beziehungen nichts für ihn sind. Und seit dieser verhängnisvollen Nacht fliegen zwischen ihnen nur noch die Fetzen. Madison kann sich nichts Schlimmeres vorstellen, als die Hochzeit ihres Bruders mit Chase verbringen zu müssen – bis sie erfährt, dass das Hotel völlig ausgebucht ist und sie sich eine romantische Hochzeitssuite mit Chase teilen muss …

1

Die elfenbeinfarbene Einladung mit der eleganten Schrift und den Spitzenverzierungen fühlte sich eher wie eine demütigende Zeitbombe an, die jeden Moment in Madison Daniels’ Gesicht explodieren konnte, und nicht wie eine wunderschöne Hochzeitsankündigung. Mann, sie hatte wirklich ein Problem!

Mitch, ihr drei Jahre älterer Bruder – ihr einziger Bruder –würde dieses Wochenende heiraten. Heiraten.

Sie freute sich total für ihn. Sie war begeistert. Lissa, seine Verlobte, war super, und Madison und sie hatten sich schnell angefreundet. Lissa würde ihrem Bruder niemals wehtun. Man hätte einen Hollywoodfilm über die beiden drehen können. Sie hatten sich im ersten Jahr an der University of Maryland kennengelernt, sich Hals über Kopf verliebt, direkt nach dem Studium tolle Jobs in großen Firmen bekommen, und der Rest war Geschichte.

Nein, Mitch und Lissa waren nicht das Problem.

Auch eine Hochzeit inmitten der Weinberge im Norden Virginias war definitiv nicht das Problem.

Nicht einmal ihre leicht verrückten Eltern, die einen überaus erfolgreichen Onlineshop namens DOOMSDAY ’R’ US besaßen und vermutlich Gasmasken an die Gäste austeilen würden, waren das Problem. Nein, wenn es sein musste, hätte Madison glatt einen Asteroiden mit der Aufschrift Hallo, hier bin ich, Erde bestiegen und sich sofort auf den Weg gemacht.

Ihr Blick fiel auf die Einladung, auf die Liste der anwesenden Brautjungfern und Trauzeugen ganz unten, und Madison verzog das Gesicht. Sie stieß den Atem aus, dass die langen braunen Strähnen, die aus ihrem unordentlichen Haarknoten gerutscht waren, nur so flogen.

Direkt neben ihrem Namen, nur durch ein paar unschuldige Pünktchen getrennt, stand in purpurner Tinte der Name des Trauzeugen: Chase Gamble.

Gott hasst mich. So musste es einfach sein. Tja, sie war die Trauzeugin, und jeder einzelne der Gamble-Brüder wäre als Trauzeuge in Ordnung gewesen. Aber nein, es musste Chase Gamble sein. Er war der beste Freund, der Vertraute, der Homie ihres großen Bruders – oder besser gesagt: der Fluch in Madisons Leben.

»Es ändert rein gar nichts, wenn du ständig auf diese verdammte Einladung starrst.« Bridget Rogers lehnte ihre mollige Hüfte an den Schreibtisch, und Madison blickte auf. Ihre Assistentin war ein lebendes Beispiel dafür, dass das, was für die einen eine Modesünde war, für andere wunderbar funktionieren konnte. Heute trug Bridget einen hellroten Bleistiftrock, kombiniert mit einer violetten Bauernbluse mit großen Punkten. Ein schwarzer Schal und Lederstiefel machten den Look perfekt. Faszinierenderweise sah sie wirklich gut in diesem Clownskostüm aus. Bridget traute sich was.

Madison seufzte. Ein bisschen Mut könnte sie jetzt auch gut gebrauchen. »Ich glaube, ich kann das nicht.«

»Tja, du hättest auf meinen Rat hören und mit Derek aus der Abteilung für Geschichte was trinken gehen sollen. Dann hättest du nun wenigstens wilden, animalischen Sex, statt die ganze Hochzeit über den besten Freund deines Bruders anzuschmachten. Einen Mann, der dich schon zweimal hat abblitzen lassen, wie ich dich kurz erinnern möchte.«

Bridget hatte ja recht. Schlau war sie auch noch.

»Was soll ich nur tun?«, fragte Madison und schaute aus dem Fenster ihres Büros. Alles, was sie sehen konnte, waren der Stahl und der Beton des Museums nebenan – des Smithsonian, das ihre Brust jedes Mal vor Stolz anschwellen ließ. Sie hatte hart dafür gearbeitet, eine der wenigen Privilegierten zu sein, die für diese großartige kulturelle Institution arbeiten durften.

Bridget beugte sich in Madisons Gesichtsfeld, um ihre Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. »Wird Zeit, dass du dich zusammenreißt und damit klarkommst. Ja, du hegst eine heimliche, unsterbliche Liebe für Chase Gamble, doch wenn er bis heute nicht begriffen hat, wie toll du bist, ist der Mann eindeutig geisteskrank und es absolut nicht wert, sich seinetwegen so einen Kopf zu machen.«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Madison. »Aber er bringt mich einfach zur Weißglut!«

»So ist das mit den Männern, Süße.« Bridget zwinkerte.

»Ist ja okay, wenn er sich nicht für mich interessiert. Enttäuschend, doch damit komme ich klar. Ich könnte es ihm sogar verzeihen, dass er es sich das eine Mal, als wir fast im Bett gelandet wären, anders überlegt hat. Na ja, vielleicht.« Sie stieß ein tonloses Lachen hervor und blickte ihre beste Freundin Zustimmung heischend an. »Aber er lässt mich einfach nicht in Frieden. Stichelt in Anwesenheit meiner Familie herum und behandelt mich wie seine kleine Schwester, dabei will ich ihn doch einfach nur schütteln … und ihm die Klamotten vom Leib reißen.«

»Ist doch bloß ein Wochenende – das kann wohl kaum so schlimm sein, oder?«, fragte Bridget. Sie spielte die Stimme der Vernunft, dabei würde das garantiert das schlimmste Wochenende in Madisons ganzem Leben werden.

Sie warf die Einladung auf ihren Schreibtisch, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und zog fast in Betracht, mal in der Abteilung für Geschichte anzurufen.

So lange sie zurückdenken konnte, war da Chase gewesen. Von Anfang an. Sie waren im selben Häuserblock in einem Vorort von Washington, D. C. aufgewachsen. Ihr Bruder und Chase waren schon immer unzertrennlich gewesen. Was für Madison als Nesthäkchen der Familie bedeutete, dass sie nie etwas Besseres zu tun gehabt hatte, als Mitch und seinen Freunden hinterherzurennen.

Sie hatte Chase verehrt. Was nicht schwer war bei seiner maskulinen Schönheit, seiner Offenherzigkeit und den Grübchen, die verboten gehörten. Als Junge und Heranwachsender hatte Chase so eine beschützerische Ader gehabt, dass das Herz eines Mädchens ins Stocken geraten konnte. Er war jemand, der sich im Schneesturm das Hemd vom Leib gerissen und es einem Obdachlosen auf der Straße gegeben hätte, aber er hatte auch immer etwas Raues, Gefährliches an sich gehabt.

Chase war ein Typ, mit dem sich niemand freiwillig anlegte.

Zu Highschool-Zeiten war ein Junge im Auto vor dem Haus ihrer Eltern ein bisschen zu aufdringlich geworden. Chase war gerade aus der Haustür getreten, als er ihren gedämpften Protest gehört hatte, als eine Hand dorthingewandert war, wo sie sie nicht hatte haben wollen.

Nach diesem Intermezzo ging der Typ mehrere Wochen lang an Krücken.

Eine weitere Folge dieser »Rettungsaktion« war eine Schwärmerei, die sich bis heute nicht gelegt hatte.

Alle hatten gewusst, dass sie die ganze Highschool-Zeit über und in den ersten beiden Collegejahren eine Schwäche für Chase hatte. Gott, es war auch nicht zu übersehen, dass überall dort, wo Mitch und Chase hingingen, auch Madison früher oder später auftauchte. Jämmerlicherweise – ja, es war wirklich lächerlich – hatte sie sich nur an der University of Maryland eingeschrieben, weil die beiden dort studierten.

Doch alles änderte sich in ihrem dritten Jahr am College, an dem Abend, als er seinen ersten Nachtclub eröffnete.

Danach … tat Madison alles, was in ihrer Macht stand, um Chase aus dem Weg zu gehen. Nicht, dass das sonderlich gut funktioniert hätte.

Man sollte meinen, dass es in einer derart überfüllten Stadt wie Washington möglich sein sollte, dieser miesen Ratte aus dem Weg zu gehen, aber nein, die Naturgesetze waren unerbittlich und grausam.

Chase war einfach überall. Sie hatte sich eins der kleineren Apartments im ersten Stock der Galerie gemietet, und keine drei Wochen später kaufte Chase ein Penthouse im obersten Stockwerk. Selbst an Feiertagen saßen er und seine Brüder am Essenstisch der Familie Daniels, weil ihre Eltern die Gamble-Brüder wie ihre eigenen Söhne behandelten.

Wenn sie frühmorgens im Fitnessstudio ihre tägliche Alibi-Runde auf dem Crosstrainer absolvierte, war er natürlich schon da und stemmte Gewichte. Und wenn er dann aufs Laufband ging? Oh Gott, wer hätte gedacht, dass Wadenmuskeln so sexy sein konnten? Es war nicht ihre Schuld, dass sie ihn anglotzte und bei seinem Anblick vielleicht sogar ein bisschen sabberte. Womöglich war sie auch ein-, zweimal vom Crosstrainer gefallen, als Chase sein Shirt hob, um sich damit den Schweiß von der Stirn zu wischen, und dabei seine unglaublichen Bauchmuskeln freilegte.

Wer wäre davon nicht abgelenkt worden und auf die Nase gefallen?

Gott, selbst wenn Madison in den Laden an der Ecke ging, war Chase da und befühlte mit seinen wunderschönen, langen Fingern Pfirsiche. Diese Finger konnten sicher genauso virtuos Gitarre spielen, wie sie eine Frau in sexuelle Ekstase und darüber hinaus bringen konnten.

Denn Madison wusste es – oh ja, sie wusste, wie gut er war.

Na ja, vermutlich wusste inzwischen halb D. C., wie geschickt seine Finger waren.

»Du hast wieder diesen Gesichtsausdruck.« Bridget zog eine Augenbraue hoch. »Den Blick kenne ich doch.«

Madison schüttelte heftig den Kopf. Sie musste wirklich aufhören, über diese Finger nachzudenken, aber vor ihrer Jugendliebe gab es kein Entkommen. Chase war der Inbegriff jeder ihrer Fantasien und Träume. Eine Schwärmerei, die sie nie abgelegt hatte, und der Grund dafür, dass sie es niemals länger als ein paar Monate mit anderen Typen aushielt, doch das würde sie nie und nimmer zugeben.

Chase war der Antichrist.

Ein unglaublich heißer Antichrist.

Ihr war plötzlich viel zu warm, sie zerrte an ihrer Bluse und warf der Einladung einen finsteren Blick zu. Es waren doch bloß vier Tage in den romantischen, vornehmen Weinbergen. Hunderte von Menschen würden da sein, und auch wenn sie während der Probe und der Hochzeit mit Chase zu tun haben müsste, würde sie es die restliche Zeit über schon schaffen, ihm aus dem Weg zu gehen.

Doch das nervöse Flattern in ihrem Magen und die Aufregung, die ihr durch die Adern strömte, sprachen eine völlig andere Sprache, denn jetzt mal im Ernst, wie sollte sie sich von ihm fernhalten – dem einzigen Mann, den sie je geliebt hatte … und zum Krüppel machen wollte?

»Wirf mir mal das Mitarbeiterverzeichnis rüber«, sagte Madison und fragte sich, ob Derek wohl überhaupt noch zu haben war.

Die Fahrt nach Hillsboro, Virginia, war am Mittwochmorgen kein Problem, da alle anderen in die Stadt hineinpendelten, aber trotzdem fuhr Madison, als machte sie bei einem Stockcar-Rennen mit.

Angesichts der drei verpassten Anrufe ihrer Mutter – die dachte, dass Madison in der großen, bösen Stadt entführt worden war und nur gegen eine Riesenstange Geld freigelassen würde –, der vier SMS ihres Bruders, der fragte, ob sie sich auch auf der Umgehungsstraße auskannte, und der Sprachnachricht ihres Vaters, der zufolge es irgendein Problem mit den Reservierungen gab, kam sie wohl zu spät zum Brunch.

Wer zur Hölle veranstaltete überhaupt heutzutage noch einen Brunch?

Sie trommelte auf dem Lenkrad und blinzelte, als die späte Maisonne auf dem Ausfahrtschild reflektierte. Genau in dem Moment, als sie vorbeifuhr – sie hatte die Ausfahrt verpasst.

Verflixt!

Madison warf einen finsteren Blick auf ihr Handy, weil sie schon wusste, dass es jede Sekunde anfangen würde zu klingeln, schoss auf die andere Spur rüber, um an der nächsten Ausfahrt raus- und zurückzufahren.

Sie wäre nicht so spät und so … so verwirrt, wenn sie wie eine ganz normale, emotional stabile Frau Mitte zwanzig – eine erfolgreiche, emotional stabile Frau – bereits am vergangenen Abend gepackt hätte, statt wegen der Tatsache rumzujammern, dass sie Arm in Arm mit Chase zum Altar schreiten musste, doch das war ja wohl wirklich einfach nur grausam. Und dass Derek am Wochenende bereits ein Date hatte und sie nicht zu der Hochzeitsfeier begleiten konnte, machte alles nur noch schlimmer.

Ihr Handy fing in dem Moment an zu klingeln, als die Reifen ihres Charger die korrekte Abfahrt berührten, und sie knurrte es an und verwünschte es. Zur Hölle damit, in den zehnten Höllenkreis! Hatte die Hölle überhaupt zehn Kreise? Keine Ahnung, doch wenn erst mal alle die ersten Getränke intus hatten und sich darüber unterhielten, wie Madison als Kind mit nacktem Oberkörper rumgelaufen war, hatte die Hölle vermutlich zwanzig Kreise, und sie wäre durch jeden einzelnen von ihnen gegangen.

Hohe, dunkle Walnussbäume säumten die Landstraße, die Madison nun entlangfuhr, spendeten Schatten und verliehen ihr ein beinahe ätherisches Gefühl. Vor ihr ragten die tiefblauen Berge über dem Tal auf. Wenn das Wetter stabil bliebe, würde es garantiert eine wunderschöne Hochzeit im Freien werden.

Bei dem plötzlichen Knall riss Madison das Kinn hoch und das Lenkrad nach links, rechts, dann wieder links. Ihr Herz raste, und ihre Finger umschlossen fest das Lenkrad; in Schlangenlinien schlingerte sie über die Mittellinie wie ein Paradebeispiel für Trunkenheit am Steuer.

»Verdammt«, murmelte sie mit aufgerissenen Augen, als sie die Kontrolle über den Charger zurückerlangte. Ein Reifen war geplatzt – ein verdammter Reifen war geplatzt! »Musste das sein?«

Während sie sich fragte, ob sie wohl die nächsten fünfzehn Meilen auf der Felge fahren konnte, ließ sie eine endlose Reihe von Flüchen vom Stapel, bei denen ihr Bruder rot geworden wäre. Sie drehte das Lenkrad nach rechts und ließ das Auto auf dem Randstreifen ausrollen. Sie rammte den Schalthebel in die Parkposition und überlegte, ob sie aussteigen und gegen das verdammte Auto treten sollte. Madison entschied sich für die reifere Variante: Sie legte den Kopf aufs Lenkrad und fluchte noch ein bisschen vor sich hin.

Das fing ja gut an.

Als sie den Kopf hob, fiel ihr Blick auf ihr Handy, das auf dem Beifahrersitz lag. Sie schnappte es sich, scrollte mit dem Daumen durch ihre Kontakte und drückte den Anruf-Button. Nach nur zweimaligem Klingeln meldete sich jemand.

»Maddie? Wo zum Teufel steckst du denn?«, dröhnte die besorgte Stimme ihres Vaters aus dem Hörer. »Deine Mutter ist kurz davor, die Polizei zu rufen, und ich weiß nicht, wie viel –«

»Dad, mir geht’s gut. Mir ist ungefähr fünfzehn Meilen von euch entfernt ein Reifen geplatzt.«

Im Hintergrund waren Gelächter und Besteckklimpern zu hören, und ihr Vater stöhnte.

»Was ist passiert?«

Ihr Magen erinnerte sie mit einem Knurren daran, dass es schon nach elf war und sie noch nichts zum Frühstück gegessen hatte. »Mir ist ein Reifen geplatzt.«

»Dir ist was geplatzt?«

Madison verdrehte die Augen. »Mein Rad. Es ist geplatzt.«

»Warte. Ich versteh dich ganz schlecht. Leute, könnt ihr mal leise sein?« Seine Stimme hatte sich etwas vom Hörer entfernt. »Maddie ist am Telefon, und ihr ist irgendwas geplatzt.« Männliches Gelächter ertönte.

Oh. Mein. Gott. Das durfte doch nicht wahr sein.

»Tut mir leid, Süße. Also, was ist passiert?«, fragte ihr Vater. »Dir ist der BH geplatzt?«

»Mein Rad! Mein Reifen! Weißt du, dieses runde Gummiteil?«

»Gummiteil?! Oh, ach so, jetzt versteh ich.« Dad kicherte. »Ist das reinste Irrenhaus hier, alle reden durcheinander. Hast du daran gedacht, nach dem Platten neulich wieder ein Ersatzrad in den Kofferraum zu legen? Du solltest immer für alle Fälle gerüstet sein, Liebling. Was, wenn evakuiert wird und du schnell aus der Stadt rausmusst?«

Fast hätte sie den Kopf wieder gegen das Lenkrad gedonnert. Sie liebte ihre Eltern über alles, aber sie wollte wirklich nicht über ihre mangelnde Voraussicht reden, während alle Männer im Raum darüber lachten, dass ihr irgendwas geplatzt war – während Chase lachte, denn seinen tiefen Bariton hatte sie im Hintergrund definitiv gehört. Madison spürte bereits, wie ihr Magen sich bei dem Gedanken daran, ihn bald zu sehen, verkrampfte. »Ich weiß, Dad, doch ich hatte noch keine Zeit, ein neues Ersatzrad zu besorgen.«

»Ein Ersatzrad muss man immer dabeihaben. Haben wir dir nicht beigebracht, stets auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein?«

Tja, das war doch jetzt verlorene Liebesmüh. Und es war nicht so, als wäre ihr Auto von einem Kometen getroffen worden.

Ihr Vater seufzte, wie alle Väter seufzen, wenn ihre Töchter in Not sind, egal, wie alt sie sind. »Halt durch, wir kommen dich holen, Liebling!«

»Danke, Dad.« Sie beendete den Anruf und warf das Handy in ihre Tasche.

Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie ihre absurd große Familie gerade um den Tisch herumsaß und alle den Kopf schüttelten. Nur Maddie kam zu spät. Nur Maddie platzte ein Reifen, und nur Maddie hatte kein Ersatzrad im Kofferraum liegen. Die Jüngste in einer Familie zu sein, die aus ihren Blutsverwandten und der Gamble-Horde bestand, war echt ätzend.

Egal, was sie machte, sie war immer die liebe, kleine, süße Maddie. Nicht Madison, die für die Ehrenamtlichen-Abteilung der Bibliothek des Smithsonian zuständig war. Sie war schon als Jugendliche ein Geschichts-Nerd gewesen und fand ihre Karrierewahl sehr passend.

Madison lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze und schloss die Augen. Obwohl die Klimaanlage lief, begann die Hitze von draußen ins Auto zu kriechen. Madison öffnete die obersten Knöpfe ihrer Bluse und war froh, sich für eine leichte Leinenhose statt Jeans entschieden zu haben. Wie sie ihr Glück kannte, würde sie einen Hitzschlag bekommen, ehe ihr Dad oder ihr Bruder auftauchten.

Es tat ihr leid, einen von ihnen vom Auftakt der Feier weglocken zu müssen. Das war das Letzte, was sie beabsichtigt hatte. Und das Zweitletzte war, dass Chase mit den anderen kopfschüttelnd am Tisch saß.

Sie blinzelte, ließ das Fenster mit dem elektrischen Fensterheber runter und drehte den Kopf, nur um in ein Paar himmelblauer Augen zu blicken, die von unfassbar dichten, schwarzen Wimpern umgeben waren.

Oh … oh nein …

Ihr Herz setzte aus und geriet ins Stolpern, als ihr Blick über die hohen Wangenknochen streifte, die sie so gut kannte, und dann über die vollen Lippen, die verlockend weich aussahen, aber fest und unnachgiebig sein konnten. Dunkelbraune Haare, die immer einen Tick zu lang waren, fielen in eine gerade Stirn. Die markante Nase mit dem kleinen Knick, wo er sie sich zu Collegezeiten mal gebrochen hatte, gab der ansonsten makellosen männlichen Schönheit das gewisse, auf gefährliche Weise sexy Etwas.

Madisons Blick wanderte hinunter über das schlichte, weiße Shirt, das sich um seine breiten Schultern, den steinharten Brustkorb und die schmale Taille spannte. Seine Jeans saß locker auf der Hüfte, und der Rest war zum Glück von der Autotür verdeckt.

Madison zwang sich, ihm wieder ins Gesicht zu sehen, und atmete tief ein.

Seine Lippen hatten sich zu einem vielsagenden Lächeln verzogen, das merkwürdige Dinge mit ihren inneren Organen anstellte. Wie ein Streichholz, das in eine Benzinpfütze fallen gelassen wird, loderte ihr Körper auf, und Flammen leckten an jedem Zentimeter.

Es nervte sie, dass ihr Körper so heftig auf ihn reagierte, und sie wünschte, jeder andere halbwegs passable Mann in ihrer Umgebung wäre in der Lage, das gleiche Inferno anzurichten. Aber gleichzeitig erregte es sie auch, ließ sie fast die Kontrolle über sich verlieren.

»Chase«, hauchte sie.

Sein Grinsen wurde breiter, und verdammt, diese Grübchen! »Maddie?«

Ihr Körper bebte beim Klang seiner Stimme. Sie war tief und weich, wie guter Whiskey. Diese Stimme sollte verboten werden, genau wie der Rest von ihm. Ihr Blick senkte sich wieder. Verdammte Autotür, sie wettete, dass auch das, was sie verdeckte, ein lohnender Anblick gewesen wäre.

Einen kurzen Augenblick fühlte sie sich unfreiwillig ins dritte Collegejahr zurückversetzt, zu dem Abend, an dem sie zum ersten Mal in Chases Club gewesen war und in seinem noblen Büro gestanden hatte. Voller Hoffnung, voller Sehnsucht …

Sie erwachte aus ihrer Starre, setzte sich gerade hin, die Wirbelsäule durchgedrückt. »Sie haben dich geschickt?«

Er lachte leise, als hätte sie gerade etwas unfassbar Komisches gesagt. »Eigentlich bin ich freiwillig gekommen.«

»Freiwillig?«

»Ja, klar«, antwortete er gedehnt. »Ich musste doch sehen, was der kleinen Maddie Daniels geplatzt ist.«