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Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karen Gerwig
© dieser Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2020
© Shelley Laurenston 2009
© Deutsche Erstausgabe 2013
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Mane Squeeze«
© Kensington Publishing, New York 2009
© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2013
Covergestaltung: Cover&Books by Rica Aitzetmüller
Covermotiv: stock.adobe.com
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Sobald die Ohrringe und Schuhe abgelegt wurden, wusste er, dass es eine Schlägerei war.
Eine Schlägerei, in die er gar nicht hatte verwickelt werden wollen. Er hatte gerade versucht, sich hinauszuschleichen. Dabei gehörte Schleichen für einen von seiner Sorte zum Schwierigsten überhaupt. Doch einfach gehen und nichts unternehmen konnte er auch nicht. Dies war die Hochzeit seines Freundes, und er würde nicht zulassen, dass ein paar Katzen sie ruinierten, weil sie keinen Alkohol vertrugen oder ihren Raubtierinstinkt nicht unter Kontrolle hatten. Aber vielleicht, nur vielleicht schaffte er es doch noch hinaus, ohne erwischt zu werden, wenn er die Lage schnell genug entschärfte. Der Schlüssel war, dafür zu sorgen, dass es kein Publikum gab. Kein Publikum, keine Zeugen – und er würde sich doch noch davonschleichen können.
Na also. Ein Ziel. Er mochte Ziele.
Und mit diesem Ziel im Kopf ging Lachlan »Lock« MacRyrie zwischen den Bäumen hindurch, die das Grundstück auf Long Island umgaben, wo die Hochzeit seines Freundes stattfand. Er war vorher noch nie auf einer Hochzeit in einem Schloss gewesen, aber es passte zum Stil der Braut, die damit das Geek-Dasein auf eine ganz neue Ebene erhob. Sie war auch diejenige gewesen, die ihm gesagt hatte, er solle gehen. Moment. Das stimmte so nicht ganz. Sie hatte nicht gesagt, er solle gehen. Sie hatte gesagt: »Verschwinde, schnell! Bevor die Hunde der Finsternis dich aufspüren und unseren Plan zunichtemachen, unser Volk aus ihrer Sklaverei zu befreien! Lauf, Lachlan MacRyrie aus dem Klan der MacRyries! Lauf! Und blick nicht zurück, mein Freund!« Wenn man sie nicht kannte, wäre einem das vielleicht merkwürdig erschienen, aber Lock wusste, dass das einfach Jessica Wards Art war zu sagen: »Du siehst kreuzunglücklich aus. Nun geh schon!«
So dankbar war er noch nie gewesen, auch wenn es nicht Jess’ Schuld war, dass es ihm so mies ging. Auf vollmenschlichen Veranstaltungen ging es ihm ein bisschen besser, denn dort erntete er meistens Erschrecken und Ehrfurcht. Aber unter Seinesgleichen war die Reaktion viel weniger … freundlich.
Was aber auch nicht besonders überraschte, wenn die Raubtiere wussten, was er war. Wenn sie wussten, dass er sich, wann immer ihm danach war, in einen drei Meter großen, fast siebenhundert Kilo schweren Grizzly verwandeln konnte. Woher sie es wussten? Weil Gestaltwandler-Eltern ihren Nachwuchs von frühester Kindheit an ein paar Dinge zu erkennen lehrten: das Kichern einer Hyäne, das Brüllen eines männlichen Löwen, das Heulen von Wölfen in der Nähe und den Geruch eines Grizzlys. Für die ersten drei Punkte auf der Liste waren die Anweisungen simpel: »Wenn du eines davon hörst und ich nicht in der Nähe bin, ruf nach mir! Sofort!« Aber wenn es um Grizzlys ging, waren die Vorschriften viel … detaillierter: »Wenn du diese Witterung auffängst, geh in die entgegengesetzte Richtung. Wenn du über einen stolperst, weck ihn nicht auf! Wenn du ihn doch weckst, stell dich tot oder kletter auf einen Baum. Sehr hoch! Und wenn du zwischen eine Bärin und ihre Jungen gerätst – bete.«
Tragischerweise konnte Lock nicht einmal behaupten, dass die anderen Rassen unrecht hatten, auch wenn sie vielleicht etwas übertrieben.
Letzten Endes war das alles aber egal, denn er mochte keine Partys, hasste Hochzeiten und in diesem Smoking stecken zu müssen, nervte ihn unendlich. Normalerweise nahm er, um seine Nerven zu schonen, überhaupt nicht an solchen Veranstaltungen teil, aber auf Jess Wards Hochzeit durfte er nicht fehlen. Auf eine bessere Frau, Gestaltwandlerin und Freundin konnte ein Mann nicht hoffen, und deshalb würde Lock jetzt die unangenehme Aufgabe übernehmen, sich zwischen zwei knurrende Frauen zu stellen, bevor sie aufeinander losgingen. Er war fast bei ihnen, nur ein paar Schritte entfernt. Mit etwas Glück war er zwischen ihnen, bevor Blut floss, denn nichts zog die Aufmerksamkeit von Gestaltwandlern schneller auf sich als der Geruch von frischem Blut – und natürlich zwei sich prügelnde, betrunkene Hühner.
Doch bevor er die letzten Schritte zurücklegen konnte, war sie schon da und trennte die beiden Frauen, bevor sie auf Tuchfühlung gehen konnten. Mit ausgefahrenen Reißzähnen und einem leisen, tödlichen Knurren hielt sie die beiden mit ausgestreckten Armen getrennt.
»Ein Mischling«, hatte eine Löwin früher am Abend abfällig über die Katze gesagt, als sie vorbeigegangen war. Der politisch korrektere Ausdruck war natürlich Hybride. Eine unwahrscheinlich gut aussehende Hybride noch dazu, die Lock während der Trauung zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte gespürt, dass jemand ihn anstarrte, aber das war nichts Außergewöhnliches. Die Leute starrten ihn die ganze Zeit an. Doch als er schließlich aus reiner Bären-Neugier einen Blick über die Schulter geworfen hatte, um zu sehen, wer es war, … tja, da hatte er direkt in ihr Gesicht geblickt. Und den Rest des Abends – während des Wildhund-Gruppentanzes, beim Provinzwolf-Line-Dance und den nicht enden wollenden Polonaisen, die von einem nervtötenden männlichen Löwen angeführt wurden – hatte Lock sie jedes Mal beobachtet, wenn sie in sein Blickfeld kam.
Es war schwer, sie nicht anzusehen in ihrem köstlich durchscheinenden, ärmellosen schwarzen Kleid, ausgestattet mit nur zwei kleinen Bändern, die im Nacken verknotet waren, um den zarten Stoff zu halten, und die Schultern einer olympischen Schwimmerin freigaben, während ein leicht seitlicher Schlitz bis zum Oberschenkel die Beine einer olympischen Turnerin enthüllte. Vielleicht war er auch fasziniert von diesem markanten Gesicht mit den mandelförmigen, strahlend goldenen Augen, der kleinen Nase, die ihn an die Schnauze einer Hauskatze erinnerte, diesen vollen Lippen, bei denen ihm nichts weiter einfiel als heißer, verschwitzter Sex, und diesen beinahe rasiermesserscharfen Wangenknochen, die ihn ahnen ließen, dass sie echten Ärger bedeuten konnte.
War es wirklich verwunderlich, dass er den Blick nicht abwenden konnte – oder dass er den Großteil des Abends darüber nachgedacht hatte, sie zu fragen, ob sie etwas trinken wollte? Ja, er hatte darüber nachgedacht. Er war ein Bär, und Bären waren notorische Denker. Sie studierten, sie dachten nach, dann handelten sie. Leider hatte er nie die Möglichkeit bekommen zu handeln. Sie flitzte die ganze Zeit herum. Allerdings nicht, weil sie gesellig gewesen wäre. Das war sie nicht. Er sah, wie sie mit ein paar Leuten sprach, aber meistens schien sie auf der Jagd nach etwas oder jemandem zu sein; die goldenen Augen immer wachsam, immer Ausschau haltend nach einem Ziel. Er war überrascht, dass sie nicht von der Marine rekrutiert worden war. Lock hatten sie sich direkt nach dem College geschnappt und ihn in eine reine Gestaltwandler-Einheit gesteckt. Er konnte sie sich gut als eine seiner Teamkolleginnen vorstellen. Andererseits war das vermutlich keine gute Idee. Er hätte nicht viel zustande gebracht, wenn er den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen wäre, sie anzustarren.
»Hört sofort mit diesem Scheiß auf!«, knurrte sie die zwei Frauen an. Ihre Stimme war tief, ein bisschen rau. Sie gefiel ihm.
»Halt dich da raus!«, sagte die eine Löwin. »Diese Hure gehört mir.«
»Hure?«
»Das reicht!« Die Hybride atmete durch und senkte die Arme. »Das reicht. Was auch immer Roxy O’Neill dir erzählt hat: Es ist ein Haufen Mist.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach. Und wenn du nicht schon beim fünften Martini wärst und du bei deinem siebten Long Island Iced Tea, dann wüsstet ihr blöden Kühe das auch.«
»Pass auf, wie du mit mir redest!«
»Würde ich ja, wenn ich glauben würde, dass du ein Hirn in deinem Riesen-Löwenschädel hättest.« Hält sie das wirklich für hilfreich? »Hast du aber nicht. Also hör sofort mit dem Scheiß auf oder …«
»Oder was?«, wollte die andere Löwin wissen. »Was machst du sonst, Rettungskätzchen?«
Die erste Löwin lachte, und plötzlich hatten sich die beiden Feindinnen gegen ein neues Ziel verbündet.
Das wusste auch die Hybride. Er sah es daran, wie der Blick ihrer goldenen Augen durchdringend wurde, auch wenn ihr Körper entspannt blieb. Dies war nicht ihr erster drohender Kampf, und sie würde sich nicht an die Gestaltwandler-Etikette gebunden fühlen, nur mit Zähnen und Klauen zu kämpfen. Er hätte gewettet, dass sie bewaffnet war. Nicht mit einer Pistole – zu laut –, sondern mit etwas Scharfem, das man schnell einsetzen und wegwerfen konnte, bevor die Cops kamen.
Die beiden Löwinnen hatten es mit einer Gegnerin zu tun, der sie einfach nicht gewachsen waren. Tödlicher als eine bloße Katzenartige oder Hybride. Sie hatten es mit einem Mädchen aus Philadelphia zu tun.
Als Junge aus New Jersey, der in seiner Kindheit oft den Sommerurlaub mit seinen Eltern an der Küste von Jersey verbracht und später dort während der Sommermonate als Türsteher gearbeitet hatte, hatte Lock mit genug Mädchen aus Philly zu tun gehabt, dass es ihm fürs ganze Leben reichte. Er kannte niemanden – unabhängig von der Rasse –, der so gern stritt wie die Frauen aus Philly. Sie konnten über alles streiten – und taten es auch. Und Gott stehe dir bei, wenn es über den reinen Streit hinausging und in Handgreiflichkeiten ausartete.
Woher er wusste, dass diese bestimmte Hybride ein Mädchen aus Philly war? Weil sie diese Info gut lesbar an einer Goldkette um den Hals trug.
Lock wusste, dass ihm nur Sekunden blieben, um die Sache zu beenden, bevor er die Cops rufen oder Leichen entsorgen musste – was er beides, wenn möglich, wirklich gerne vermeiden wollte –, und umrundete die drei Frauen, bis er gegen den Wind stand. Eine leichte Sommernachtsbrise wehte, und beide Löwinnen hoben den Kopf, streckten die Nase in die Luft, spannten die Körper an und schienen auf der Stelle nüchtern zu werden. Er sah zu, wie sie sich ihm langsam zuwandten, die dunkelgoldenen Augen in stummem Entsetzen weit aufgerissen. Er hätte in diesem Moment vieles tun können, doch das musste er nicht. Die ganz harten Bluffs hob er sich für seine eigene Art auf.
Stattdessen kräuselte er nur beinahe unmerklich die Lippen und knurrte fast unhörbar. Kaum mehr als ein Schluckauf. Es wirkte wie ein Zauberspruch; die beiden Katzen wichen zurück und stolperten beinahe übereinander, als sie über das feuchte Gras schlitterten und im Laufschritt inmitten der Hochzeitsgesellschaft verschwanden.
Damit blieben er und die Hybride zurück. Sie hatte sich überhaupt nicht bewegt, als die Katzen auf ihrer Flucht um sie herumgelaufen waren. Doch jetzt, als sie weg waren, wandte sie sich ihm zu. Ihr hellgoldener Blick wanderte von seinem Kopf bis zu den Füßen und wieder zurück. Er wusste, sie würde vielleicht davonlaufen, vielleicht mit einem wilden Satz in den Wald verschwinden. Kein Problem mit solchen Beinen.
Sie tat nichts dergleichen. Stattdessen breitete sich ein träges Lächeln über ihre Lippen aus und sie sagte: »Der Bär aus Jersey eilt mir zu Hilfe.« Ihr Kopf neigte sich ein wenig, und sie blickte durch pechschwarze Wimpern zu ihm auf. »Denn wir wissen beide, was ich getan hätte, wenn sie mich angegriffen hätten, nicht wahr, Jersey-Bär?«
Äh … ja, ja. Klar. Wie du meinst. Den Bären in ihm interessierte das alles kein bisschen … er wusste nur, dass er das hübsche Kätzchen wollte. Er wollte sie hochheben und zum nächsten Fluss tragen und ihr frischen Lachs anbieten, Honigwaben, an die sich noch verzweifelte Bienen klammerten, und niemals endenden Sex. Ja. Sex. Sehr viel Sex.
Lock der Grizzly war so auf die Katze konzentriert, die da vor ihm stand und sexyer aussah als alles, was er je gesehen hatte – oder wovon er auch nur geträumt hatte –, dass er nicht bemerkte, was sonst um ihn herum passierte. Zumindest nicht, bis eine Hand grob auf seiner Schulter landete und ein männlicher Löwe hinter ihm knurrte: »Was zum Henker tust du da mit meiner Schwester?«
Erschrocken reagierte Lock auf die einzige Art, die der Bär in ihm kannte: mit roher Gewalt.
Er wirbelte herum, packte die Katze im Genick, hob sie hoch. Der Löwe riss die Augen auf, seine Finger wurden zu Krallen, doch bevor der Schwachkopf irgendetwas tun konnte, schleuderte Lock ihn fünfzehn Meter in den Wald.
Wut und Furcht rissen an seinen Eingeweiden, und mit schnappendem Kiefer wollte Lock dem haarigen Bastard nachsetzen, um die Bedrohung niederzumachen, bis es keine Bedrohung mehr gab, doch die Katzenartige stellte sich ihm mit einem Satz in den Weg. »Nein, nein, nein, nein, nein, nein!«
Sie stemmte ihm die Hände gegen die Brust, und er spürte diese Berührung durch Kleidung und Haut bis in sein tiefstes Inneres. Augenblicklich blieb Lock stehen, Reißzähne und Krallen zogen sich zurück. Er war noch nie jemandem außer Familienmitgliedern oder sehr engen Freunden begegnet, der mutig genug war, ihn zu berühren, wenn er sich in so einem Zustand befand. Mutig genug, nicht davonzulaufen und Freunde, Geliebte und Blutsverwandte im Stich zu lassen. Und das allein verblüffte ihn so, dass das vernünftige Denken wieder ansprang.
»Bitte nicht!«, flehte sie. »Sie werden mir die Schuld geben, und dann sind die O’Neills schon wieder für eine Prügelei auf einer Hochzeit verantwortlich.«
Lock sah sie eindringlich an und merkte kaum, dass noch eine Löwin – wie viele kannte Jess eigentlich und hatte sie zu ihrer verdammten Hochzeit eingeladen? – die Feier verlassen hatte, um jetzt Zeugin zu werden, wie der Löwe in den Wald flog.
»Brendon!«, hörte er die Löwin keuchen, als sie hinter dem Kater herrannte. »O mein Gott! Geht es dir gut?« Ihre Stimme war vor Angst um ihn ganz hoch und schwach, was das Raubtier in Lock reizte, ihr zu folgen und die Sache zu Ende zu bringen. Beide Katzen zu erledigen und diese Katzenartige hier davonzutragen und sie zum bereits erwähnten Lachs-Festmahl einzuladen. Doch als sein Blick dem Laut aus dem Wald folgte, drückte sie fester gegen seine Brust, um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
»Weißt du«, sprach sie weiter, und ihr cooles, aber taffes Philly-Äußeres verschwand in einem Nebel aus Panik und Furcht, »wegen der Dummheit anderer Leute haben wir Hausverbot in drei katholischen Kirchen, zwei protestantischen und einer lutheranischen. Und es gibt mehrere Stadthallen, bei denen wir auf der schwarzen Liste stehen.«
Lock schloss die Augen, wütender auf sich selbst als auf irgendjemanden sonst. »Er hat mich erschreckt.« Und er zuckte beim knurrenden Ton seiner Stimme zusammen, die immer noch mehr wie die eines angepissten Grizzlys klang als wie die eines vernünftigen Menschen.
»Jeder weiß, dass man einen Bären nicht von hinten packt. Es sei denn, man will sein Gesicht loswerden.« Sie strich ihm mit den Händen über die Brust, und Lock wurde beinahe schwindelig. Sie hatte lackierte Nägel, die, wenn auch nicht wahnsinnig lang, so doch länger waren als alle, die er bisher an anderen Raubtierfrauen gesehen hatte, und jeder Nagel war dunkelrot lackiert und aufwendig mit Blumen und anderen Mustern in Schwarz verziert. Es musste sie Stunden gekostet haben, das machen zu lassen, und das Gefühl der Nägel machte ihn durch seine Kleider hindurch verrückt. Er sollte diese Nägel hassen. Normalerweise fand er so etwas geschmacklos oder billig, aber verdammt noch mal, an ihr sah es gut aus. Und weil es an ihr gut aussah, kam es auch bei ihm an.
»Das ist alles meine Schuld«, sprach sie weiter, völlig ahnungslos ob der Wirkung, die sie auf ihn hatte. »Das ist ein Domino-Effekt, den nur meine Mutter auslösen kann, und es tut mir leid. Ich habe versucht, sie im Auge zu behalten, aber sie ist mir entwischt.« Mutter? Was hatte ihre Mutter damit zu tun? Keine der Löwinnen, die gerade fast aufeinander losgegangen wären, hatte alt genug ausgesehen, um ihre Mutter zu sein.
Er schluckte und versuchte seinen Wunsch zu unterdrücken, etwas zu zerfleischen. Dann zeigte er auf den Wald. »Das ist dein Bruder?«
»Der?« Sie lachte. »Nein. Das wäre er nur gern. Er ist der Halbbruder meines Halbbruders. Und die Frau, die ihm nachgerannt ist, ist seine Zwillingsschwester, die ich ehrlich hasse, aber das ist eine andere Geschichte. Was sie zur Halbschwester meines Halbbruders macht, aber mit keinem von ihnen bin ich blutsverwandt.« Lock war damit beschäftigt, all das in Gedanken in so etwas wie einem Familienstammbaum unterzubringen, als sie einwarf: »Rudelleben. Ist nicht jedermanns Sache.«
»Ich habe ein Elternpaar und eine Schwester«, gab er zu. »Und ich war dafür noch nie so dankbar.«
»Das tut mir alles wirklich leid.« Sie löste ihre Hände von ihm, und er hätte sie beinahe gepackt, um sie wieder dorthin zu legen, wo sie sie gehabt hatte. »Wie wäre es, wenn du gehst, bevor jemand herauskommt, um nachzusehen, was das neueste Drama ist? Ich kümmere mich um diese Sache hier.«
Ein Teil von ihm schrie ihm zu, er solle bleiben und mehr Zeit mit der Katze aus Philly verbringen, aber seine rationalere Seite sagte ihm, er solle sich verdrücken, solange er noch konnte.
Denn mal ehrlich: was sollte er mit einer Frau wie ihr anfangen? Wie die meisten Bären mochte er es ruhig und entspannt, und etwas sagte ihm, dass nicht ein einziger Augenblick mit dieser Frau in diese Kategorie fiel.
»Danke«, sagte er und machte den ersten Schritt rückwärts.
»Kein Problem.«
Er redete sich ein, kein Bedauern in ihrem Blick zu sehen, und wandte sich zum Gehen. Während er beim Parkservice auf seinen SUV wartete, redete er sich ein, eine heiße, aber eindeutig wartungsintensive Katze wie sie wäre niemals an einem durchschnittlichen Grizzly wie ihm interessiert. Als er seinen SUV bekam und davonfuhr, redete er sich ein, dass sie seine verschrobene Art sowieso nur ertragen hätte, solange er ihr Dinge schenken oder ihre Schulden bezahlen konnte.
Und bis er auf dem Southern State Parkway war, hatte er sich beinahe davon überzeugt, dass das alles die Wahrheit war.
Das war ein Leben! Ein warmes Frühstück, das irgendwann aufhörte zu zappeln, eine nette Runde in einem großen, leeren See schwimmen und jetzt im hohen Gras unter den letzten Strahlen der Sommersonne entspannen.
Ja. Daran konnte sich Gwen O’Neill gewöhnen.
Wie für die meisten Gestaltwandler aus Philadelphia und New Jersey war dies nicht Gwens erstes Mal im Macon River Falls Park, wo es Wild in Fülle gab und das Land frei von Vollmenschen war, aber es war auf jeden Fall ihr erstes Mal im »reichen Teil«. Der Abschnitt von Macon River Falls, der einigen der reichsten Rudel, Meuten und Klans im »Dreistaateneck« gehörte. Als sie und ihre beste Freundin Blayne vorgestern in Gwens Arbeits-Truck vorgefahren waren, hatten sie die Wächter am Tor, das zu den Privatgrundstücken führte, nicht durchlassen wollen, bevor sie mit Brendon Shaw persönlich gesprochen hatten und er sich für sie verbürgt hatte. Danach hatten sich die Wächter aufgeführt, als wären Gwen und Blayne Nutten, die fürs Wochenende engagiert worden waren. Na, egal. Gwen ließ sich vom Schwachsinn Fremder nicht den Spaß verderben. Die Familie dagegen war eine andere Geschichte.
An manchen Tagen glaubte sie, dass ihre Familie ihr mit ihrem Schwachsinn absichtlich den Spaß verderben wollte. Davon war sie so überzeugt, dass sie Brendons Angebot beinahe abgelehnt hätte. Er war der Halbbruder ihres großen Bruders Mitch, aber weil Mitch bis Weihnachten in Japan und ihre Mutter mit Gwens Tanten und Cousinen an diesem Labor-Day-Wochenende in irgendeinem teuren Spa waren, hatte Gwen keinen Puffer zwischen sich und Brens ständigem Bedürfnis zu beweisen, dass sie alle »eine Familie« waren. Womit er ihr gehörig auf die Nerven ging. Doch dann hatte es sie irgendwann in der letzten Woche getroffen wie ein Blitz – wenn sie an diesem Wochenende nach Macon River fuhr, würde das bedeuten: kein Mitch, keine Ma und laut Brendon auch keine Brendon-Zwillingsschwester Marissa »Zicke« Shaw. Und das bedeutete, dass sie ihre Ruhe hatte – wenigstens dieses eine Mal.
Gwen würde tatsächlich einmal irgendwo entspannen können. Einfach entspannen. Sie sprach Blayne darauf an und bekam zur Antwort ein extrem enthusiastisches »O mein Gott! Das müssen wir unbedingt machen! Freiland-Jagen! Hurra!« Natürlich reagierte Blayne auch genauso, wenn Gwen vorschlug, vor der Arbeit zum Frühstück in einem Diner vorbeizufahren. »O mein Gott! Das müssen wir unbedingt machen! Pfannkuchen! Hurra!«
Grinsend und mit hängender Katzenzunge rollte Gwen sich auf den Rücken und schaute in den blauen Himmel hinauf.
Nein. Dies hier war »schwachsinnsfreies« Leben, und Brendon war zumindest erträglich. Natürlich war er auch wunderbar beschäftigt. Er hatte nicht nur Gwen und »eine Freundin« eingeladen. Er hatte auch alle Wölfe der Smith-Meute aus New York und die Kuznetsov-Wildhundmeute eingeladen. Normalerweise hätten so viele Hundeartige auf einem Fleck Gwen in eine fauchende, kratzende Hauskatze verwandelt. Aber sie hatte eine Geheimwaffe. Sie hatte Blayne, und alle liebten Blayne. Sie war fröhlich, lieb, lustig, und vor allem schaffte sie es, sich in ein menschliches Schutzschild für Gwen zu verwandeln. Sie blockte jeden ab, den Gwen nicht in ihrer Nähe haben wollte – irgendwie wusste sie, wer das war, ohne dass Gwen ein Wort sagen musste. Blayne hatte eine Gabe dafür, und Gwen nutzte sie weidlich aus.
Äh … was war das?
Gwen rollte sich wieder auf den Bauch und horchte angestrengt; sie war sich sicher, dass sie etwas gehört hatte.
Ihre Ohren zuckten und drehten sich im Versuch, die Quelle zu lokalisieren – und sie schafften es. Es war Blayne, die vor fast zwei Stunden ihrer eigenen Wege gegangen war. Gwen erkannte die Schmerzensschreie ihrer Freundin, vermischt mit dem Knurren einer unbekannten Hundeartigen.
Gwen rannte los und ließ sich dabei von Blaynes Geruch leiten. Als sie buschige Schwänze aus dem hohen Gras lugen sah, kauerte sie sich auf den Boden und kroch geduckt näher.
Sie hatten Blayne umzingelt. Beim ersten Knurren glaubte sie, es seien ein paar von den Smiths, die vielleicht beschlossen hatten, dass sie Blayne und ihre verwirrende Wolfshundart doch nicht mochten. Aber nein, es waren nicht die Smiths. Der Geruch passte nicht, und ihr Fell war viel heller als das der Smiths und außerdem um einiges schäbiger. Denkt dran, Leute: Conditioner ist euer Freund.
Gwen biss die Zähne zusammen, als sie sah, wie sie Blayne herumschubsten. Leider war es nicht das erste Mal, dass Blayne oder Gwen von Meuten-, Rudel- oder Klan-Mitgliedern angegriffen wurden. Als Hybride waren sie oft allein, was sie zur leichten Beute für alle machte, denen der Gedanke nicht gefiel, Mischlinge könnten ihre wertvollen Genpools verschmutzen.
Blayne stand einer wirklich großen Wölfin gegenüber, während zwölf andere Wölfe sie von hinten angriffen. Bei so vielen Gegnern hatte sie keine Chance, sich vernünftig zu verteidigen. Noch schlimmer: Blayne war weder Alpha noch Omega. Sie war Blayne. Und sie hatte eine hohe Toleranzschwelle für Mist, bis es ihr irgendwann zu viel wurde – und dann rastete die liebe, hübsche Blayne aus, und was als bloßes Herumgeschubse angefangen hatte, wurde zu etwas, wobei entweder Blayne getötet wurde oder wonach sie sich den Rest des Wochenendes überlegen mussten, wo sie die Leichenteile verstecken konnten. Auf keines von beidem hatte Gwen Lust.
Also stand sie auf, sprintete los, schoss durch das hohe Gras und mitten in die Meute, bevor einer von ihnen überhaupt merkte, dass sie da war. Sie warf die Wölfin, die mit Blayne gekämpft hatte, zu Boden und rollte sich mit ihr als fauchendes, schnappendes Knäuel aus Fell und Klauen über die Erde. Während Gwen sich um die Wölfin kümmerte, konnte sich Blayne den anderen Wölfen zuwenden.
Gwen stieß die Wölfin von sich und schleuderte sie gegen einen Baum, was sie vorübergehend betäubte, sodass Gwen Zeit hatte, nach Blayne zu sehen. Wie immer hielt sie sich wacker, trotz ihres kleineren Wolfskörpers und den winzigen Hundepfoten, doch Gwen konnte das Weiße in den Augen ihrer Freundin erkennen. Ein sicheres Zeichen, dass Blayne kurz davor war auszurasten. Gwen musste sofort Blaynes Konzentration durchbrechen, oder sie würde die Schweinerei hinterher aufwischen müssen. Sie sprintete auf Blayne zu und packte sie im Vorbeirennen im Nacken. Blayne jaulte auf, mehr aus Überraschung denn aus Schmerz, doch Gwen hatte es geschafft, Blayne dazu zu zwingen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Sie ließ sie los, und die beiden Freundinnen rannten weiter, dicht gefolgt von der Meute.
Gwen konnte allerdings nicht lange laufen. Sie war von Natur aus Sprinterin, aber sie lief keine Marathons. Sie mussten die Wölfe abschütteln, denn dass sie ihnen folgten, bedeutete, dass dies kein einfaches – wenn auch schmerzhaftes – »Necken« der Mischlinge mehr war.
Sie wandte den Kopf auf der Suche nach einem Ausweg und nahm einen Geruch wahr, den zu erkennen man sie schon gelehrt hatte, bevor sie sich überhaupt verwandeln konnte. Man hatte sie außerdem gelehrt, vor diesem Geruch davonzulaufen. Weit weg, so schnell sie konnte. Doch das würde jetzt nicht passieren. Jetzt würde sie ihn zu ihrem Vorteil nutzen.
Gwen schlug einen Haken, wobei sie Blayne mit ihrem Körper lenkte; die Meute blieb ihnen auf den Fersen. Als sie sich ihrem Zielort näherten, lief Gwen schneller voraus. Blayne beschleunigte ebenfalls, um an ihrer Seite zu bleiben, doch als Gwen ungefähr drei Meter von ihrem Ziel entfernt war, stieg Blayne sozusagen auf die Bremse. Ihre zu kleinen Wolfshundfüße gruben sich in die weiche Erde, sie versuchte anzuhalten und endete mit einem Rückwärtssalto, woraufhin die Meute direkt über sie hinwegtrampelte.
Perfekt. Genau, was Gwen wollte.
Ihr Ziel anpeilend, machte Gwen einen Satz, doch in diesem Moment traf sie eine Wolfspranke an der Hinterhand. Schmerz schoss durch ihre Gliedmaße, doch sie ignorierte ihn und konzentrierte sich stattdessen auf ihre Landung.
Sie landete mitten auf seinem Rücken und biss in den dicken Klumpen Muskeln zwischen seinen Schulterblättern, während ihr Körper über ihn hinweg- und von ihm herabglitt. Angesichts seiner Größe bewegte er sich schneller als alles, was sie je gesehen hatte. In einer flüssigen Bewegung brutaler, schlecht gelaunter, erschrockener Muskeln erhob sich der Grizzlybär auf die Hinterbeine und ließ die ganze Macht seiner Wut auf alles herabregnen, was in seiner Nähe war. Was in Menschengestalt vermutlich gute zwei Meter zehn waren, waren nun mit Leichtigkeit drei Meter auf den Hinterbeinen. Was sonst ungefähr hundertsechzig Kilo menschliche Muskelmasse waren, waren jetzt fast siebenhundert Kilo Grizzlymuskeln. Und was vorher geschlafen hatte, war jetzt wach.
Und angepisst.
Die Wölfe versuchten, rechtzeitig zu bremsen, schafften es aber nicht und krachten direkt in seine riesenhaften Pranken, die wild um sich schlugen. Das Bärengebrüll ließ ansonsten ruhige Vögel kreischend aus den Bäumen aufsteigen. Gwen kam hinter dem Grizzly wieder auf die Beine und sah zu, wie er zwei mehr als neunzig Kilo schwere Wölfe vollkommen mühelos in den Wald schleuderte oder dreißig Meter übers Gras schlittern ließ. Sie genoss es in vollen Zügen, bis diese verdammte Wölfin von der Seite kam und ihre Reißzähne in Gwens bereits verwundete Hinterhand grub. Gwen brüllte und fauchte gleichzeitig und stürzte sich wieder auf die Wölfin. Bevor sie sie allerdings erwischte, kam plötzlich ein dicker Bärenhintern auf sie zu.
Die Meute von dreizehn Wölfen stellte sich als eine Meute von dreiundzwanzig Wölfen heraus. Sie kamen aus dem Wald, griffen den Bären an, erschreckten ihn noch einmal und drängten ihn zurück. Also bewegte er sich rückwärts.
Normalerweise kein Problem, bis Gwen merkte, dass sie an der Kante einer in den Werbeprospekten »malerisch« genannten Klippen des Macon River stand. Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht befand sich einer der Wasserfälle, darunter lag ein Teil des reißenden Flusses.
Gwen versuchte, dem Bär auszuweichen, aber er hatte sie wohl hinter sich gespürt, denn er drehte sich mit bereits ausholenden Pranken um. Doch als er sie sah, wurden seine kleinen braunen Augen weit, und auch wenn er es schaffte, ihr mit seinen Zehn-Zentimeter-Krallen nicht das Gesicht aufzuschlitzen, erwischte er sie doch mit dem Unterarm, und die Wucht wirbelte sie herum. Sie landete flach auf dem Bauch, die Beine hingen über die Riffkante, während sie sich mit den Vorderkrallen an dem Vorsprung festklammerte. Aber der Boden war an dieser Stelle weicher, und ihre fast hundertvierzig Kilo schwere Töwengestalt war einfach zu viel. Sie glitt über die Kante und ihre Krallen hinterließen Furchen in der Erde, also nahm sie eilig ihre menschliche Gestalt an, in der Hoffnung, weniger Gewicht würde helfen. Sie konnte sich mit einer Hand an einem Ast festhalten, aber er begann fast sofort zu brechen.
»Mist!«, platzte sie heraus. »Mistmistmistmist!«
Dann streckte sich der muskulöseste menschliche Arm, den sie je gesehen hatte, nach unten, und lange, kräftige Finger hielten ihre Hand fest.
»Halt dich fest! Ich hab dich!«, rief er. Sie blickte auf und erkannte ihn sofort. Der Bär von der Smith-Ward-Hochzeit, der Brendon Shaw in den Wald geworfen hatte wie einen Fünf-Pfund-Sack Kartoffeln. Sie erkannte die dunkelbraunen Augen, dieses gut aussehende, wenn auch fast schon schmerzhaft süße Gesicht und die tollen braunen Haare mit den silbernen Spitzen, die sie die ganze Zeremonie über angestarrt hatte. Und er erkannte sie auch. Die beiden starrten sich in einem geschockten Moment der Klarheit in die Augen.
Als sie die Stärke der Hand spürte, die sie so fest umklammerte, und voller Erleichterung, dass sie den Bären kannte, begann Gwen zu lächeln …
Bis der erste Brocken feuchter Erde ihr Gesicht traf. Nach einer Schrecksekunde, in der sie spürte, wie der Boden unter ihnen unter seinem Gewicht nachgab, hievte der Bär sie eilig hoch. Allerdings nicht schnell genug. Die Erde brach unter ihm weg und regnete auf Gwen herab, sodass sie den Blick abwenden musste. Doch sie sah noch, wie der große, männliche Menschenkörper nach vorn taumelte – direkt auf sie zu.
Sie schrie, als sie im freien Fall abstürzten. Instinktiv nahm sie wieder ihre Katzengestalt an, denn sie wusste, dass sie mehr aushielt als ihre schwächere menschliche. Aber dennoch – bei so einem Sturz hatte sie nicht viel Hoffnung. Und alles, was sie denken konnte, war: Ich kann es nicht fassen, dass ich im beschissenen New Jersey sterben werde!
Aber bevor ihr Leben als Film vor ihrem inneren Auge ablaufen konnte oder sie irgendwelche weißen Tunnel sah, an deren Ende tote Verwandte auf sie warteten, spürte Gwen, wie lange, unglaublich starke, fellbedeckte Arme sich um sie legten und sie eng an all diese harten Muskeln drückten.
Sie vergrub den Kopf im Fell des Bären, hielt den Atem an, und gemeinsam klatschten sie in den reißenden Fluss.
Die Lachse waren überall, sie sprangen aus dem Wasser direkt in die offenen Mäuler der Bären. Doch dieser Abschnitt war sein Revier, und die Lachse gehörten ihm allein. Er öffnete das Maul, und ein Fünf-Kilo-Exemplar sprang direkt hinein. Mit einem befriedigten Seufzen schloss er die Kiefer. Mit Honig-Überzug. Er liebte honigüberzogenen Lachs!
Dies war seine perfekte Welt. Ein kalter Fluss, Lachse, die gern für sein Überleben starben, und Honig. Viel, viel Honig …
Was hätte besser sein können? Was konnte jemals an das hier heranreichen? Nichts. Absolut nichts.
Ein Lachs schwamm auf ihn zu. Er hatte kein Interesse, er kaute noch auf dem honigüberzogenen. Doch der Lachs bestand darauf, ihn eindringlich anzustarren … beinahe wütend.
»Hey!«, rief er. »Hey! Kannst du mich hören?«
Warum verdarb ihm dieser Lachs seine Mahlzeit? Er sollte ihn töten und für später aufheben. Oder ihn einem der Weibchen mit Jungen zuwerfen. Alles, nur damit dieser offensichtlich aus Philadelphia stammende Lachs endlich die Klappe hielt!
»Antworte mir!«, befahl der Lachs laut. »Mach die Augen auf und antworte mir! Sofort!«
Seine Augen waren doch offen, oder nicht?
Anscheinend nicht, denn irgendwer zerrte seine Lider auseinander und starrte ihm ins Gesicht. Und wow, war sie nicht umwerfend?
»Kannst du mich hören?« Er antwortete nicht, er war zu beschäftigt damit, sie anzustarren. So hübsch!
»Komm schon, Paddington! Sag was!«
Bei dem Spitznamen knurrte er instinktiv, und sie lächelte erleichtert. »Was ist los?«, neckte sie ihn. »Magst du Paddington nicht? So ein süßer, knuddeliger Kuschelbär!«
»Ich habe kein Problem mit Zeichentricktieren … Mr Mittens.«
Sie richtete sich auf, die Hände in die Hüften gestemmt, und ihre langen, meisterhaft manikürten Nägel trommelten ungeduldig gegen ihre schmalen Hüften.
»Mr Mittens?«, blaffte sie.
»Paddington?«, schoss er zurück.
Sie stieß ein kurzes Schnauben aus. »Okay. Von mir aus. Nenn mich Gwen. Ich hatte bei der Hochzeit ja nie die Gelegenheit, dir meinen Namen zu sagen.
Oh! Jetzt erinnerte er sich an sie. Die Katze, die in den zwei Monaten seit Jess’ Hochzeit ständig in seinen Tagträumen vorgekommen war. Und … wow. Sie war nackt. Sie sah wirklich gut aus, so nackt …
Er blinzelte, als ihm klar wurde, dass er ihren schönen, starken Körper anstarrte. Konzentrier dich auf etwas anderes! Irgendetwas anderes! Du machst ihr noch Angst!
»Du hast Tattoos!«, platzte er heraus. Tätowierte Bänder zogen sich an beiden Seiten um ihren Bizeps. Eine Kombination aus schwarzen Kleeblättern und einem dunkelgrünen chinesischen Symbol, dessen Bedeutung er nicht kannte. Und auf der rechten Hüfte hatte sie einen schwarzen chinesischen Drachen, der ein keltisches Kreuz im Maul hielt. Es waren schöne Arbeiten. Aufwendig. »Sind die neu?«
»Nee. Ich hatte die auf den Armen für die Hochzeit nur mit Make-up abgedeckt. Mit einer Mutter wie meiner falle ich schon genug auf. Ich wollte es nicht auch noch steigern.« Sie gestikulierte mit einer Hand in seine Richtung. »Jetzt wissen wir also, dass ich Gwen heiße und Tattoos habe … Hast du auch einen Namen?«
»Ja, klar. Ich bin …« Er blickte zu ihr auf und durchforstete sein Hirn.
»Du erinnerst dich nicht an deinen Namen?«, fragte sie mit großen Augen.
»Ich weiß noch, dass er etwas mit Haaren zu tun hat.« Er starrte sie nachdenklich an, dann schnippte er mit den Fingern. »Lock.«
»Lock? Dein Name ist Lock?«
»Ich glaube. Lock. Lock … Lachlan! MacRyrie!« Er blickte wieder zu ihr auf. »Glaube ich.«
»Du meine Güte.«
»Kein Grund, schnippisch zu werden. Es ist schließlich mein Name, der mir nicht mehr einfällt.« Er nickte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Lock war. Lock … irgendwie.«
»MacRyrie.«
»Okay.«
Sie knurrte kurz entnervt auf und hielt sich die Hände vor die Augen. Er starrte ihre lackierten Nägel an. »Sind das die Teamfarben der Philadelphia Flyers?«
»Fang nicht damit an!«, fuhr sie ihn an.
»Schon wieder schnippisch? War doch nur eine Frage!«
Lock stemmte sich ein wenig hoch und bemerkte zum ersten Mal, dass sie in einem viel flacheren Teil des Flusses gelandet waren. Das Wasser reichte ihm kaum bis zur Hüfte. Sie wollte etwas sagen, wandte dann aber kopfschüttelnd den Blick ab. Ihm war es egal. Er brauchte im Moment keine Konversation, erst musste er herausfinden, wo er war.
Ein Fluss, er war in einem Fluss. Leider nicht in seinem Traumfluss. Der mit dem honigüberzogenen Lachs, der ihm freiwillig in den Mund gesprungen war. Eine enttäuschende Erkenntnis – es hatte sich so echt angefühlt, bis er aufgewacht war –, aber er war trotzdem froh, dass er den Sturz überlebt hatte.
Lock stemmte sich vollends hoch, damit er sich hinsetzen konnte.
»Sei vorsichtig«, sagte sie schließlich. »Wir sind von da oben runtergefallen.«
Er schaute zu dem Punkt hinauf, auf den sie zeigte, ignorierte, wie viel Schmerzen diese kleine Bewegung verursachte, und verzog das Gesicht, als er sah, wie weit unten sie waren.
»Allerdings waren wir weiter flussaufwärts, glaube ich.«
»Verdammt«, brummte er und rieb sich den Nacken.
»Wie schlimm ist es?«
»Das wird schon.« Lock schloss die Augen und neigte den Kopf erst zur einen Seite, dann zur anderen. Das Geräusch knirschender Knochen war zu hören, und als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sie ihr hübsches Gesicht schmerzlich verzogen hatte.
»Siehst du?«, sagte er. »Schon besser.«
»Wenn du meinst.«
Sie machte ein paar unsichere Schritte rückwärts, um sich auf einen großen Felsbrocken zu setzen.
»Du bist verletzt«, informierte er sie.
»Ja, bin ich.« Sie streckte das Bein aus und legte es auf einen kleineren Felsblock vor sich, dann atmete sie langsam aus und schloss die Augen. »Ich weiß, es heilt, aber Scheiße, tut das weh!«
»Lass mal sehen.« Lock stand auf und ignorierte seine eigenen Schmerzen im ganzen Körper. Als er bei ihr angekommen war, öffnete sie die Augen und lehnte sich blinzelnd zurück.
»Hey, hey! Nimm das Ding da aus meinem Gesicht!«
Sein Schwanz befand sich tatsächlich genau vor ihrer Nase. Tja. Er senkte sich vor ihr auf ein Knie und sagte: »Mehr kann ich im Moment nicht tun. Ich habe nicht wirklich Zeit, loszulaufen und ein Tier zu erlegen, um an sein Fell zu kommen.«
»Na gut«, brummelte sie. »Pass einfach auf, wo du das Ding herumschwingst. Sonst brichst du mir noch die Nase.«
Er konzentrierte sich auf ihr Bein, um nicht zu stolz über diese Bemerkung zu erscheinen, und hob ihren Fuß langsam und vorsichtig mit sanften Fingern an. Er verkniff sich ein Zusammenzucken, als er den Schaden sah. Es war schlimm, und sie verlor Blut. Wahrscheinlich mehr Blut, als ihr klar war. »Das war doch nicht ich, oder?«
»Nein. Das habe ich von dieser Wolfs-Schlampe.« Sie beugte sich vor und versuchte, besser zu sehen. »Habe ich noch ein bisschen Muskel an der Wade übrig?«
Das wollte er nicht beantworten. Zumindest nicht ehrlich. Stattdessen setzte er seinen schönsten »beruhigenden« Blick auf und sagte sanft: »Wir bringen dich ins Krankenhaus.«
Abrupt richtete sie sich auf, ihre hübschen Augen blinzelten wild. »Nein.«
Das war nicht die erwartete Reaktion. Panik vielleicht. Oder: »Mein Gott, ist es so schlimm?« Aber stattdessen sagte sie »Nein«. Und sie sagte es ruhig und mit einer gewissen ernsthaften Endgültigkeit. Er konnte sich vorstellen, dass sie auf dieselbe Art auf den Vorschlag reagiert hätte, ihr Bein mit einem Steakmesser abzutrennen.
»Es ist nicht so schlimm. Aber du willst doch nicht, dass es sich entzündet, oder? Ich trage dich die Böschung hinauf, besorge uns Klamotten …« – wenn sie nicht vorher vom Blutverlust ohnmächtig wurde – »… und dann bringe ich dich ins Macon-River-Ärztezentrum. Die sind für solche Fälle ausgestattet.«
»Nein.«
»Ich musste schon mehrmals dorthin. Es ist wirklich sauber, die Leute sind super und die Ärzte sind immer die besten.«
»Nein.«
Sie stellte sich nicht nur an, um sich anzustellen, oder?
Lock legte den Unterarm auf seinem Knie ab und sah sie an. »Das soll kein Witz sein, oder?«
»Nein.«
»Gibt es einen Grund, dass du nicht ins Krankenhaus willst?« Und er hoffte wirklich, es wäre etwas Lächerliches wie sie sei einmal mit einem der Ärzte zusammen gewesen und wolle ihn nicht sehen oder etwas ähnlich wenig Überzeugendes.
»Natürlich gibt es einen. Die Leute gehen zum Sterben dorthin.«
Ach, du meine Güte. Lächerlich, aber wohl kaum wenig überzeugend. »Oder … Leute gehen dorthin, damit es ihnen besser geht.«
»Nein.«
»Hör mal, Mr Mittens …«
»Nenn mich nicht so!«
»… ich versuche, dir zu helfen. Du kannst es also auf die einfache Tour haben oder auf die harte. Deine Entscheidung.«
Sie zuckte die Achseln und trat ihm mit dem gesunden Fuß direkt in die Nüsse.
Gwen rannte los und verwandelte sich mitten im Sprung, was sie trotz ihrer Verwundung ungefähr zehn Stundenkilometer schneller machte. Sie konnte den Pfad erkennen, der aus dem Flussbett führte und hatte vor, dorthin und dann zu den Bäumen zu gelangen. Grizzlys konnten nicht auf Bäume klettern, und in Macon gab es ein paar richtig hohe. Doch ihr war nicht bewusst gewesen, wie schnell Grizzlys laufen konnten, bis der große verwandelte Mistkerl sie von hinten packte. Er schlang ihr seine pelzigen Arme um die Taille, wobei seine langen Krallen ihrem weichen Unterbauch ein klein wenig zu nahe kamen, und hob sie hoch. Scheinbar hatte er wirklich vor, sie in eines dieser furchtbaren Höllenlöcher zu verschleppen, wohin menschliche Wesen zum Sterben gingen, damit ihre Organe entnommen werden konnten!
Tja, so leicht würde es ihm Gwen O’Neill nicht machen.
Sie wand sich und hieb mit den Krallen nach ihm. Sie spürte, wie sie ihm unter dem Fell die Haut aufschlitzte, und obwohl er nicht ein einziges Mal zurückschlug, ließ er sie nicht los – bis ein männlicher Löwe von zweihundertsiebzig Kilo mit voller Wucht gegen ihn krachte.
Gwen ging mit ihnen zu Boden, aber der Bär musste nun seine Aufmerksamkeit auf den Löwen richten, der versuchte, ihn zu töten, und löste die Arme von ihrer Taille. Erleichtert strampelte Gwen sich frei, während die beiden Tiere miteinander kämpften. Es war brutal, blutig und aggressiv – sie genoss es in vollen Zügen, bis diese mehrfarbige Wolfshündin mit langem Fell angerannt kam und bellte, bis sie sich in eine schwarze Frau verwandelte, die dazu neigte, Gwen für alles die Schuld zu geben. In gewisser Weise bellte sie also weiter, als sie sagte: »Was zum Geier soll das? Halt sie auf!«
»Ich sollte mich nicht einmischen«, sagte Gwen ausdruckslos, während sich hinter ihr zwei Raubtiere von der Spitze der Nahrungskette aufs Blut bekämpften.
»Gwen!«, schalt Blayne, deren besorgte Hundeseite zum Vorschein kam. »Er hat dir das Leben gerettet! Ich habe es gesehen! Also halt sie auf!«
Gwen und Blayne hatten sich an einem Ort kennengelernt, den Gwen immer noch Gefängnis nannte, den andere aber als katholische Schule bezeichneten. Um genau zu sein, beim Nachsitzen in der neunten Klasse. Nach einem holprigen Start waren sie beste und unzertrennliche Freundinnen geworden und waren es bis heute. Sie hatten mehr gemeinsam als die meisten Leute bemerkten, und ihre Bindung war so stark, dass keiner es wagen sollte, sich zwischen sie zu stellen – wie etliche männliche Wesen im Lauf der Jahre hatten lernen müssen.
Nichts davon hielt Gwen allerdings davon ab, Blayne zu ärgern, sobald sich eine Gelegenheit bot … wie in diesem Moment.
Mit einem hilflosen Achselzucken sagte Gwen: »Es geht mich wirklich nichts an.«
»Gwendolyn O’Neill!«
Sie blinzelte: »Ma? Bist du das?«
Blayne schubste sie an der Schulter, also schubste Gwen zurück.
Blayne blieb der Mund offen stehen. »Schubs mich nicht!«
»Du hast mich zuerst geschubst!«
Also schubste Blayne sie noch einmal, und Gwen schubste zurück.
»Reiz mich nicht, Gwen!«, warnte Blayne. Also schubste Gwen sie wieder, diesmal mit beiden Händen und mehr Schwung.
»Und was willst du dagegen machen? Hä?«, spottete Gwen ausgelassen, ohne auf den brutalen Schmerz in ihrer Wade zu achten oder auf das Blut, das sich zu ihren Füßen sammelte. »Was willst du machen?«
Und wie bei ihrer ersten Begegnung beim Nachsitzen vor all den Jahren packte Blayne Thorpe Gwens Haare und zog daran, als risse sie im Garten Unkraut aus.
Der Löwe hatte es geschafft, ihn auf den Rücken zu drehen und hatte die Pranke über Locks Kopf erhoben, während Lock kurz davor war, ihn abzuwerfen und durch den Fluss zu prügeln, bis er nichts weiter als ein Klumpen Fleisch mit goldenem Fell war.
Leider wurden beide von den schreienden, nackten Frauen abgelenkt, die sich prügelten, während eine Wölfin von Weitem ruhig zusah und sich mit dem Hinterbein am Ohr kratzte.
Normalerweise hätte Lock neben der Wölfin gesessen und zugesehen, wie sich die beiden wirklich attraktiven nackten Frauen prügelten, und sich dabei an Stellen gekratzt, an die er als Mensch nicht herankam, aber er machte sich immer noch Sorgen um Mr Mittens’ Wade, und ja, wenn es nach ihm ging, würde er sie bis ans Ende der Zeiten Mr Mittens nennen.
Lock schüttelte den Löwen ab, stand auf und verwandelte sich. Er stolzierte hinüber, als die Katze die Hände hob, die Krallen ausfuhr und die andere Frau – dem Geruch nach eine Hundeartige – sich die Hände vors Gesicht schlug und kreischte: »Nicht die Hauskatze, Gwen! Nicht die Hauskatze!«
Ohne auch nur eine Vermutung wagen zu wollen, was zum Henker die Hundeartige meinen könnte, packte er beide Frauen um die Taille und trennte sie.
»Hört auf damit! Beide!«
»Sie hat angefangen …!«
»Du hast angefangen …!«
»Ich will es nicht hören!«, brüllte er, was die beiden augenblicklich zum Schweigen brachte. »Schon wieder eine Prügelei?«, fragte er Gwen. »Was soll das, verdammt? Dein Bein ist verletzt, oder hast du diesen Teil der Einfachheit halber vergessen?«
»Du bist verletzt?«, wollte die andere wissen und sah schuldbewusst drein, obwohl sie eigentlich wirklich keinen Grund dazu hatte. »Gwen, warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Es ist nicht so schlimm.«
Lock ließ die Hundeartige los. »Wir müssen die hier …« – er schubste Gwen ein bisschen, sehr zu deren Ärger – »… in ein Krankenhaus bringen. Sie weigert sich, aber ich bringe sie trotzdem hin.«
Die andere Frau stemmte die Hände in die Hüften und trommelte mit ihren viel kürzeren, weniger gut gepflegten Nägeln gegen ihre Hüfte, genau wie es die Katzenartige vorhin getan hatte. »Das schon wieder, Gwenie? Schon wieder dieser Schwachsinn?«
»Ich gehe nicht«, sagte die Katze ruhig und mit großer Entschiedenheit.
»Doch, du gehst«, erklärte Lock.
»O nein, ich gehe nicht.«
Die Hündin legte eine Hand auf Locks Arm. »Schon gut«, sagte sie. »Bringen wir sie einfach zurück zum Haus und säubern die Wunde selbst.«
Lock blickte finster drein. Die Idee gefiel ihm gar nicht, denn er wusste, wie schlimm die Wunde war, aber die Hündin zwinkerte ihm fast unmerklich zu. Er hätte es beinahe übersehen.
»Okay, Gwenie?«, fragte die Hündin lächelnd.
»Ja. Das ist okay.«
»Super.«
Lock wollte Gwen loslassen, aber ein kurzes Kopfschütteln der Hündin ließ ihn innehalten und stattdessen seinen Griff verstärken. Die Katze schaute auf seinen Arm hinab, dann riss sie den Kopf hoch und starrte die Wolfshündin an.
»Blayne Thorpe, denk nicht einmal daran …«
Die Hündin, Blayne, schlug ihre Freundin mit einem schönen rechten Haken an den Kiefer bewusstlos. Der Aufprall war so stark, dass Lock einen Ausfallschritt machen musste, um die Frau nicht loszulassen. So einen Haken hatte er seit seiner Ausbildung als Rekrut nicht mehr gesehen.
Lock starrte mit offenem Mund auf Blayne hinab. Sie sah so unschuldig aus mit ihrer schönen braunen Haut und diesen vollen Wangen mit tiefen Grübchen, die jedes Mal aufblitzten, wenn sie lächelte. Und dennoch …
»Du hast sie geschlagen!«
»Natürlich habe ich sie geschlagen«, sagte sie, während sie mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Hand schüttelte. »Auch wenn sie einen Kiefer aus Granit hat. Aber wenn wir versucht hätten, sie im Wachzustand ins Krankenhaus zu schaffen, hätte sie sich gewehrt wie der Teufel. Jetzt können wir sie einfach hochheben und gehen.«
Lock seufzte. »Das hatte ich vergessen.«
»Was vergessen?«
»Philly-Logik.«
Blayne lachte und tätschelte seinen Unterarm. »Bringen wir sie ins Krankenhaus, bevor sie aufwacht.«
Lock nahm Gwen auf die Arme und drehte sich um, doch da stand ihm ein streunender Kater im Weg. »Kenne ich dich nicht?«, fragte Lock mit dem Gefühl, den Mann schon einmal gesehen zu haben.
»Gib sie mir!«
Lock schüttelte den Kopf und wandte sich mit seiner Beute ab. »Nein. Such dir deine eigene Katze.«
»Sie ist meine Schwester.«
Lock sah die asiatische Katze in seinen Armen an, dann den angelsächsischen Löwen, der wutschnaubend vor ihm stand. »Ihr seht nicht verwandt aus«, konstatierte er trocken.
»Es ist kompliziert.« Als Lock ihn nur ansah, fügte er hinzu: »Ich bin der Halbbruder ihres Halb …«
»Stopp«, unterbrach ihn Lock, dem der unmögliche Stammbaum wieder einfiel und der nicht in Stimmung war, ihn sich noch einmal anzuhören. »Hör mal, ich habe sie, ich trage sie und ich bringe sie ins Krankenhaus. Du kannst also aus dem Weg gehen und mich tun lassen, was ich tun werde, oder du kannst dir einen Arschtritt abholen, und ich tue trotzdem, was ich tun werde. Du hast die Wahl.«
Lock sah einen Löwen-Reißzahn aufblitzen, aber die Wölfin, die von der Seite alles beobachtete, machte einen Satz zwischen sie, stellte sich auf die Hinterbeine, sodass ihre Vorderpfoten auf den Schultern der Großkatze landeten, und sie verwandelte sich in einen Menschen. »Hör mal, Schatz«, sagte sie mit einem Akzent, den Lock irgendwie nervig fand, »wenn du dich aufregst, hilfst du unserer Gwenie kein bisschen. Wir lassen sie von ihm tragen und bleiben den ganzen Weg hinter ihnen.«
Der Löwe beugte sich ein bisschen herab und flüsterte: »Aber sie ist nackt.«
könnte