FÜR MEINE MUTTER
† 2013

Inhalt

1. Paolina Bonaparte Borghese: Der Aufstieg vom korsischen "Aschenputtel" zur "Vénus Impérial"

Paola Maria Bonaparte wurde am 20. Oktober 17801 als sechstes von insgesamt acht Kindern von Carlo Maria Bonaparte (1746–1785) und Maria Letizia Catterina Ramolino in Ajaccio auf Korsika geboren. Sie galt als die attraktivste der drei Schwestern Napoleons (Abb. 1).

Abb. 1. Jacques-Louis David, Napoleon krönt Kaiserin Josephine (Detail: Caroline, Paolina und Elisa), Paris, Louvre.

Ihre Zeitgenossen verglichen ihre körperliche Schönheit und ihre verführerische Anziehungskraft oftmals mit den der Liebesgöttin Venus zugeschriebenen Eigenschaften von weiblicher Erotik und Sinnlichkeit. Dem Wirkungskreis der schönen und anmutigen Aphrodite wurden das Liebesverlangen, die Verführungskunst und Leidenschaft, sowie der lustvolle Liebesakt, und damit die Macht über die Geschlechtlichkeit zu herrschen, zugeordnet. Diese Macht hatte sie, so der griechische Dichter Hesiod (um 700 v. Chr.), von Göttervater Zeus persönlich erhalten. Zudem sprach er ihr die Fähigkeiten zu, ihre "anmutig, ziehend Schönheit über das Gesicht zu breiten und die Kraft, schmerzendes Verlangen hervorzurufen und gliederzerfressenden (Liebes-)Kummer"2. Venus war die ungestüme und leidenschaftliche Göttin, die sich immer wieder auf die Suche nach neuen Liebschaften begab.

Und auch Paolinas erklärtes Ziel war es, immer verlockend, verführerisch, begehrend und begehrenswert und damit voller Anziehungskraft zu sein. Venus war die uneingeschränkte Herrin, zu der das männliche Element verlangend blickte. Wie die Göttin der Liebe, so war auch Paolina ihren beiden Ehegatten alles andere als treu. Sie war stets bereit, neue erotische Abenteuer einzugehen.

Paolina wurde als lebhaftes und wildes Kind geschildert, das seit frühester Jugend eine schwärmerische Bewunderung für ihren älteren Bruder Napoleon empfand. Ihre ersten Lebensjahre auf Korsika verliefen relativ ruhig und ereignislos. Das änderte sich jedoch in der Nacht vom 25. auf den 26. März 1793. Letizia Bonaparte, ihr Bruder, der Abbé Fesch, sowie die Kinder Elisa, Paolina und Louis flohen unter Mithilfe getreuer Anhänger Napoleons vor den Paolisten3, da sie um ihr Leben fürchten mussten.4 Napoleon kam am 31. Mai des Jahres mit einem Schiff, um die Seinen nach Toulon in Frankreich in Sicherheit zu bringen.5 Hier lebte die Familie in ärmlichen Verhältnissen, da sie bei der Flucht ihr gesamtes Hab und Gut auf Korsika zurücklassen musste.

Die Bonaparte ließen sich schließlich in Marseille nieder, wo Paolina sich zu einem schönen und frühreifen Mädchen entwickelte, das die Blicke der Männer auf sich zog, was wiederum ihrem Bruder Napoleon nicht verborgen blieb. Er bemühte sich beizeiten, einen geeigneten Ehemann für seine Schwester zu finden. Da Paolina sehr schön war, suchte er nach einem Bewerber in gesicherter und angesehener gesellschaftlicher Position und mit politischen und ökonomischen Ambitionen.

Während unseres Aufenthaltes in Mombello, erinnerte sich Marschall Marmont (1774–1852), beschäftigte sich der General Bonaparte mit der Vermählung seiner zweiten Schwester, Pauline, nachmaligen Fürstin Borghese. Er ließ sie mir durch seinen Bruder Joseph anbieten; sie war reizend und von vollkommener, fast idealer Formenschönheit. Nur erst sechzehn Jahre und einige Monate alt, kündigte sie doch schon an, was sie dereinst werden würde. Ich schlug die Verbindung aus, trotz allen Reizes, den sie für mich hatte, und trotz der Vortheile, die sie mir versprach. […] Heute, nach Abspielung des großen Drama’s habe ich wahrscheinlich mehr Grund mich glücklich zu preisen, als meinen Entschluß zu bereuen.6

Am 14. Juni 1797 heiratete Paolina auf Anraten Napoleons den Generaladjudanten Victor Emanuel Leclerc (1772–1802) in Mombello (Abb.2).7 Im April 17988 brachte sie ihr erstes und einziges Kind zur Welt, das auf den Namen Louis Napoleon Dermide9 (1798–1804) getauft wurde.10

Abb. 2. François-Joseph Kinson, General Victor Emanuel Leclerc, 1804, Versailles, Musée National du Château de Versailles et du Trianon.

Die Geburt war schwierig, und sie hatte noch Jahre später unter den Nachwirkungen zu leiden. Während der Schwangerschaft, die ziemlich problematisch verlief, verbrachte sie bereits "viele Stunden, hingegossen auf einem Ruhelager, eine Positur, die ihr zur Gewohnheit wurde, nachdem sie gemerkt hatte, wie gut sie ihr stand".11

Laura Permon Junot, die spätere Herzogin von Abrantès (1784–1838), eine Dame, die stets zum engsten Umfeld der Schwester Napoleons gehörte, schilderte in ihren Memoiren einen der viel bewunderten Auftritte Madame Leclercs, während eines Balles im Hause der Permons. Sie schrieb, dass Paolina, als sie die Blicke aller Anwesenden auf sich fühlte, sich in das angrenzende Boudoir der Madame Permon zurückzog, wo sie sich anmutig auf einer Ottomane niederlagerte, die hell beleuchtet war. Auf diese Weise bot sie ihre reizende Erscheinung den anwesenden Gästen wie ein "lebende[s] Bild" dar.12

Auf Anweisung ihres Bruders musste Paolina ihrem Gemahl 1801 auf die französischen Antillen folgen, da Napoleon Leclerc zum Oberbefehlshaber des Heeres von Santo Domingo ernannt hatte.13 Paolina weigerte sich zunächst, dem Befehl ihres Bruders nachzukommen. Sie schützte eine nicht vorhandene Schwangerschaft und ihr schwächliches Nervensystem, das auf den schlechten Straßen nach Brest (wo die Einschiffung nach Santo Domingo stattfinden sollte) weiteren Schaden nehmen würde, vor, um diesem Schicksal zu entgehen. Napoleon ließ sich jedoch nicht erweichen, er durchschaute ihre fadenscheinigen Listen und begegnete den "Unpässlichkeiten" der Schwester, indem er ihr einen Tragestuhl für die Reise zur Verfügung stellen ließ. Wohl oder übel musste diese daraufhin ihre "Waffen strecken" und sich der Anordnung des Bruders fügen. "Dank des Tragstuhls, den sie damals schätzen lernte und den sie von da ab ständig benutzte, ertrug sie die Strapazen des Transports mit ziemlicher Mühelosigkeit."14

Am 14. Dezember 1801 schiffte sich Paolina auf dem Admiralsschiff L‘Ozean ein und segelte nach Santo Domingo.15 Die Überfahrt und die Anwesenheit der jungen Frau an Bord wurden von dem Dichter Joseph Alphonse Esmenard (1770–1811), der den Feldzug als Berichterstatter begleitete, dokumentiert: "Mit unvergleichlicher Grazie lag Frau Leclerc auf dem Ruhebett auf Deck. In dem ganzen Zauber ihrer Schönheit erinnerte sie an die Galatea der Griechen, an die Venus, die Schaumgeborene."16

Leclerc starb während des Antillenaufenthaltes 1802 an Gelbfieber. 17 Als junge Witwe, gerade 22 Jahre alt, kam Paolina am 27. Januar 1803 auf der Swiftsure in Toulon an, wo sie aufgrund ihrer angegriffenen Gesundheit eine Zeit in Quarantäne verweilen musste. Das Klima Santo Domingos hatte ihren Gesundheitszustand, der sich seit der Geburt des Kindes nicht mehr ganz erholt hatte, noch weiter verschlechtert.18 Madame de Rémusat (1780–1821) erinnerte sich in ihren Memoiren an die Rückkehr Paolinas nach Frankreich: "Obwohl schwächlich und leidend, und in Trauerkleidern, war sie für mich die reizendste Person, die ich je in meinem Leben gesehen habe."19

Ähnliche Äußerungen bezüglich der Person Paolinas sind auch den Aufzeichnungen der Herzogin von Abrantès zu entnehmen:

Es ist unmöglich sich eine Vorstellung zu machen, wie vollendet schön diese außerordentliche Frau war. Im allgemeinen kennt man sie erst, als sie schon ein wenig welk und nicht einmal mehr der Schatten jener Paulette war, die wir in ihrer entzückenden Schönheit manchmal wie eine herrliche Statue der Venus Galatea bewunderten.20

Nach einer kurzen Erholungsphase, die sie im Hause des ältesten Bruders Joseph in Paris verbrachte, stabilisierte sich ihr Gesundheitszustand, und die Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse auf Santo Domingo begannen zu verblassen. Ihr Denken und Handeln waren – im Bewusstsein, eine neue, bessere Existenz gestalten zu können, – wieder zukunftsorientiert ausgerichtet. Als junge, schöne Witwe und als Schwester Napoleons, der zu dieser Zeit (1803) Erster Konsul und damit französisches Staatsoberhaupt war, begab sie sich wieder auf das gesellschaftliche Parkett und lernte schon bald einen der begehrtesten Junggesellen der Zeit kennen: Camillo Filippo Ludovico Borghese (1775–1832), den Spross eines der ältesten und einflussreichsten Adelsgeschlechter Italiens und gleichzeitig einen der reichsten Männer Europas (Abb. 3). Der 28 Jahre alte Fürst war seit dem Tode seines Vaters Marc Antonio III. (1730–1800) Oberhaupt des traditionsreichen Hauses Borghese, das seinen Ruhm und Wohlstand auf Papst Paul V. Borghese (1552–1621) zurückführte.21

Die kirchliche Eheschließung mit Borghese, die eifrig von den Bonaparte forciert wurde, fand am 28. August 1803 (Ziviltrauung am 6. November 1803) im Hause ihres Bruders Joseph in Mortefontaine statt.22 Sie besiegelte Paolinas rapiden Aufstieg in die aristokratische Gesellschaft. Napoleon begrüßte die Verbindung mit dem alteingesessenen römischen Adelsgeschlecht, da sie eine Legitimierung der Familie Bonaparte bedeutete. Zudem hoffte er, in Borghese einen familiären und damit absolut vertrauenswürdigen Vermittler im diplomatischen und politischen Umgang mit dem Heiligen Stuhl gefunden zu haben.

Abb. 3. François Gérard, Fürst Camillo Borghese, 1809, Versailles, Musée National du Château de Versailles et du Trianon.

Auf Anweisung Napoleons brach das junge Ehepaar am 14. November nach Rom auf23, wo Paolina an der Seite des Fürsten Borghese die Repräsentationspflichten mit dem ihr angeborenen Charme übernahm. Diese Position erschien ihr zunächst erstrebenswert, da die Noblen Roms ihr sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwerden ließen. Doch Paolina verlor rasch das Interesse am Glanz offizieller Anlässe. Sie verspürte kein großes Bedürfnis nach Begegnungen innerhalb starrer konventioneller Schranken, begann sich schon nach wenigen Monaten in der "Ewigen Stadt“ entsetzlich zu langweilen und sehnte sich nach dem mondänen Gesellschaftsleben der französischen Hauptstadt, die für sie Eleganz und Lebensfreude verkörperte, zurück. Immer öfter ging sie ihren alten Pariser Sitten und Gewohnheiten nach, pflegte außereheliche Beziehungen – wie schon zuvor in ihrer Ehe mit Leclerc – und vertrieb auf kapriziöseste Weise ihre Langeweile. Ihre Biografen wissen von amourösen Gelagen und verschwiegenen Treffen zu berichten; sie behaupten, dass sie ihre Gesellschaftsdamen als Fußbank benutzte und sich von einem riesigen Farbigen in die Badewanne tragen ließ. Der römische Adel und Klerus, deren Herzen sie zunächst aufgrund ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit im Sturm erobert hatte, reagierten befremdet und begannen sich hinter vorgehaltener Hand den neuesten Klatsch über die eigenwillige Fürstin Borghese zuzuraunen. Man war entrüstet über die schamlose Lebensweise und Verschwendungssucht Paolinas, die wenige Jahre zuvor keinen Pfennig besessen hatte und daher wohl auch den Neid vieler Zeitgenossen erregte. Ihr exzentrischer Lebenswandel und ihre offensichtliche Unwilligkeit, ihre Funktion als Ehefrau, Mutter und "Vorzeigefrau" wahrzunehmen, führten schließlich zum Eklat mit dem Fürsten und seiner Familie. Paolina wies ihrem Ehemann kurzerhand die Rolle eines Statisten zu, der gerade noch gut genug war, ihren aufwendigen Lebensunterhalt zu finanzieren. Borghese, zunächst noch gewillt, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, fügte sich alsbald frustriert ihren Launen, während sie begann, ihr Dasein nach eigenem Gutdünken auszurichten.24

Napoleon reagierte, als ihm die Gerüchte über die Eskapaden der Schwester zu Ohren kamen, sehr ungehalten. Aus diesem Grunde fühlte er sich genötigt, ihr in einem an den Kardinal Fesch adressierten Brief, der vom 10. April 1804 datiert ist, folgende unmissverständliche Mahnung zu übermitteln:

Sagen Sie ihr, daß sie nicht mehr so schön ist wie sie war, und daß sie es in ein paar Jahren noch weniger sein wird, daß sie aber ihr ganzes Leben lang gut sein und Achtung erwecken sollte. Sie möge sich anstelle ihrer gegenwärtigen Aufführung, derentwegen sie selbst in den lockersten Kreisen von Paris schief angesehen werden würde, einer gesellschaftlichen Haltung befleißigen, die ihres Ranges würdig ist.25

Napoleon argumentierte in seinem Schreiben absichtlich mit der schwindenden Schönheit Paolinas, da er wusste, welch hohen Stellenwert diese für seine Schwester besaß. Aber selbst ihm gelang es nicht, sie auf diesem Wege zur Ordnung zu rufen. Mehr und mehr ging sie in dem Kult um ihre eigene Person auf und gab sich fast ausschließlich der Vervollkommnung und Ausschmückung ihres äußeren Erscheinungsbildes hin. Mangels geistiger Aktivitäten und wirklichen Ehrgeizes waren allein ihre Launen maßgebend. Sie kompensierte Intellekt durch ihre physische Anziehungskraft. Ihr Körper war das einzige, für das sie sich wirklich interessierte und mit dem sie sich ständig befasste. Er wurde ihr wichtigstes Mittel, um gesellschaftlich anerkannt und akzeptiert zu werden. Voller Stolz bot sie ihn ihren (auch männlichen) Freunden und Bekannten – selbst wenn sie ihr Bad einnahm – in exhibitionistischer Weise dar. Paolina gönnte allen, ihre schönen Formen zu betrachten, um sich der Bewunderung aller zu versichern.

Die Damen, welche den Dienst bei der Fürstin hatten, mussten stets ihrer Toilette beiwohnen; die Fürstin gab ihnen oft und gern Gelegenheit, das schöne Ebenmaß ihrer Gestalt zu bewundern, indem sie sich vollständig unbekleidet, zwanglos lächelnd, in ihrem Boudoir auf und ab bewegte; es wurden von diesen Toiletten die unglaublichsten Einzelheiten berichtet – ich mag sie mir nicht ins Gedächtnis zurückrufen,26 hielt Napoleons langjähriger Kammerdiener Louis Constant (1767–1830) später in seinen Memoiren fest.

Paolina brauchte Bewunderung; Blicke, die sie betrachteten waren ihr Lebenselixier. Aus diesem Grunde beglückte sie auch nicht nur die Menschen ihres engsten Umfeldes mit ihrer enormen – fast krankhaften – Eitelkeit. Nein, ihre Persönlichkeit begehrte das größtmögliche Publikum.

Man erzählte, daß, als sie während ihres Aufenthaltes in Rom die Bäder von Lucca besuchte, sie die Lichter auf den Armleuchtern auslöschen ließ, sobald sich Besucher entfernt hatten, und sie wieder anzuzünden befahl, sobald ein Wagen vor der Hausthür hielt.27

Paolina war geradezu süchtig nach ständiger Bewunderung, – so sehr, dass sie laut einer Aufzeichnung der Baronin du Montet nach einer Erzählung der Frau von Höhenegg sogar Einladungen aussprach, ihr bei ihren Toilettenaktivitäten zuschauen zu dürfen.

Frau von Höhenegg begab sich gemeinsam mit der Fürstin Ruspoli in den "Palazzo Borghese und wurde in ein reizendes Boudoir geführt, in dem die Fürstin nachlässig ausgestreckt auf einem Ruhebett lag, ihre kleinen Füße sichtlich zur Schau gestellt. Das war aber noch nicht alles. Ein Page trat ein, hübsch wie ein Amor und wie die Pagen auf den Bildern des Mittelalters gekleidet; in den Händen trug er ein Kännchen und ein Becken aus Gold, ein feines Handtuch von Battist, Parfüms und andere Schönheitsmittel. Er rückte einen samtbezogenen Schemel an das Ruhebett, die Fürstin legte graziös eines ihrer Beine darauf, der kleine Page zog ihr den Strumpf aus, er löste ihr, glaube ich, sogar das Strumpfband und begann nun, den wirklich unvergleichlich schönen Fuß seiner Herrin zu reiben, zu trocknen und zu parfümieren. Die Operation war lang und das Staunen der Zuschauerinnen so groß, dass sie darüber die Fähigkeit verloren, mit der Begeisterung zu loben, die man zweifellos von ihnen erwartete. – Während der kleine Page die schönen Füße auskleidete, ankleidete und parfümierte, während er ihre Nägel feilte und polierte, plauderte die Fürstin und schien gegen diese Toilette vollkommen unempfindlich.28

Diese Anekdoten charakterisieren die Fürstin als eine ehrgeizige Narzisstin, die sich immer wieder gekonnt auf ungewöhnliche und vielfältige Weise exhibierte (Abb. 4). Sie heischte nach ständiger Bewunderung ihres äußeren Erscheinungsbildes; so sehr, dass sie ausdrückliche Einladungen aussprach, ihr bei ihren Toilettenaktivitäten zuzuschauen. Sie machte ihre Existenz zu einem dem Beifall der Öffentlichkeit dargebotenen Schauspiel und genoss es geradezu, wenn sie das nötige Podium erhielt, sich selbst in Szene zu setzen.

Abb. 4. Pauline Bonaparte Borghese. Foto: aus: Walter Greer: Napoleon and his Family. The Story of a Corsian Clan. New York 1927, Abb. 14.

In dieser Gemütslage kam Paolina in der ersten Hälfte des Jahres 1804 die Idee, ihre körperliche Wohlgestalt von dem angesehenen italienischen Bildhauer Antonio Canova in Marmor verewigen zu lassen, um damit auch kommenden Generationen zu dokumentieren, wie anmutig sie dereinst war. Vor allem aber gönnte sie ihren Zeitgenossen das Privileg, ihre zu Stein gewordenen reizvollen Formen einer ausführlichen Betrachtung zu unterziehen, um die angemessenen Lobeshymnen hinsichtlich ihrer schönen "Figur" entgegenzunehmen.

Die Fürstin liebte es, ihren Körper vor Spiegeln – laut zeitgenössischen Mitteilungen auch unbekleidet – zur Schau zu stellen, um auf diese Weise ihr eigenes Ich zu reflektieren. Simone de Beauvoir beschrieb dieses Phänomen wie folgt: "Passiv und gegeben, ist ihr Abbild ein Ding wie sie selbst. Und da sie das weibliche Fleisch begehrt, belebt sie die leblosen Reize, die sie im Spiegel entdeckt, mit ihrer Bewunderung, ihrem Begehren."29 Selbstverliebt in das eigene Ich, genügte Paolina die unbeständige Spiegelung ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht mehr. Der Wunsch nach einem bleibenden und dauerhaften Ebenbild in unvergänglichem Stein war die daraus resultierende und weiterführende Konsequenz.31Abb. 5