Band 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)
Band 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)
Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)
Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)
Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)
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Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783744823456
1. Die Entwicklung der germanischen Religion
2. Lexikon der germanischen Religion
3. Der ursprüngliche Göttervater Tyr
4. Tyr in der Unterwelt: der Schmied Wieland
5. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1
6. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2
7. Tyr in der Unterwelt: der Zwergenkönig
8. Der Himmelswächter Heimdall
9. Der Sommergott Baldur
10. Der Meeresgott: Ägir, Hler und Njörd
11. Der Eibengott Ullr
12. Die Zwillingsgötter Alcis
13. Der neue Göttervater Odin Teil 1
14. Der neue Göttervater Odin Teil 2
15. Der Fruchtbarkeitsgott Freyr
16. Der Chaos-Gott Loki
17. Der Donnergott Thor
18. Der Priestergott Hönir
19. Die Göttersöhne
20. Die unbekannteren Götter
21. Die Göttermutter Frigg
22. Die Liebesgöttin: Freya und Menglöd
23. Die Erdgöttinnen
24. Die Korngöttin Sif
25. Die Apfel-Göttin Idun
26. Die Hügelgrab-Jenseitsgöttin Hel
27. Die Meeres-Jenseitsgöttin Ran
28. Die unbekannteren Jenseitsgöttinnen
29. Die unbekannteren Göttinnen
30. Die Nornen
31. Die Walküren
32. Die Zwerge
33. Der Urriese Ymir
34. Die Riesen
35. Die Riesinnen
36. Mythologische Wesen
37. Mythologische Priester und Priesterinnen
38. Sigurd/Siegfried
39. Helden und Göttersöhne
40. Die Symbolik der Vögel und Insekten
41. Die Symbolik der Schlangen, Drachen und Ungeheuer
42. Die Symbolik der Herdentiere
43. Die Symbolik der Raubtiere
44. Die Symbolik der Wassertiere und sonstigen Tiere
45. Die Symbolik der Pflanzen
46. Die Symbolik der Farben
47. Die Symbolik der Zahlen
48. Die Symbolik von Sonne, Mond und Sternen
49. Das Jenseits
50. Seelenvogel, Utiseta und Einweihung
51. Wiederzeugung und Wiedergeburt
52. Elemente der Kosmologie
53. Der Weltenbaum
54. Die Symbolik der Himmelsrichtungen und der Jahreszeiten
55. Mythologische Motive
56. Der Tempel
57. Die Einrichtung des Tempels
58. Priesterin – Seherin – Zauberin – Hexe
59. Priester – Seher – Zauberer
60. Rituelle Kleidung und Schmuck
61. Skalden und Skaldinnen
62 Kriegerinnen und Ekstase-Krieger
63. Die Symbolik der Körperteile
64. Magie und Ritual
65. Gestaltwandlungen
66. Magische Waffen
67. Magische Werkzeuge und Gegenstände
68. Zaubersprüche
69. Göttermet
70. Zaubertränke
71. Träume, Omen und Orakel
72. Runen
73. Sozial-religiöse Rituale
74. Weisheiten und Sprichworte
75. Kenningar
76. Rätsel
77. Die vollständige Edda des Snorri Sturluson
78. Frühe Skaldenlieder
79. Mythologische Sagas
80. Hymnen an die germanischen Götter
Loki ist einer der vielfältigsten und widersprüchlichsten Götter in den Mythen der Germanen, der in seiner Listigkeit zugleich der Feind und der Helfer der Götter ist.
Loki ist auch einer der Götter mit den meisten verschiedenen Mythen.
Der „Hauptname“ dieses Gottes ist „Loki“, aber er wird auch häufig „Loptr“ genannt.
Der Name „Loki“ könnte sich von altnordisch „lok“ für „Riegel, Schloß, Verschluß, Deckel, Decke, Bedeckung, Ende“ und für „Verlockung, Verführung“ herleiten.
Mit diesem Wort ist auch „lokkr“ für „Locke“ und „lok“ für „Farn“ verwandt. Der Name des Farns bezieht sich vermutlich darauf, daß die jungen Farnpflanzen wie eine „Locke“ aufgerollt sind.
Der Name „Loki“ könnte daher die Bedeutung „Gefangener“, „Lockiger“, „der am Ende“, „Lockiger“ und „Verführer“ haben. Alle diese Deutungen würden zutreffen:
Im Germanischen findet sich fast genau dieselbe Bedeutung für das Wort „luka“, das die Wurzel von altnordisch „lok“ ist.
„Luka“ bedeutet „Loch, Lücke, Höhle/Hölle, Versteck, Verschluß, Riegel, Bolzen, Ende, Drehung, Locke, Verlockung, Anlockung, Täuschung“.
Mit diesem Wort ist neben den deutschen Substantiven „Loch“, „Lücke“ und „Verlockung“ auch noch das Wort „Luke“ verwandt.
Die indogermanische Wurzel dieser Worte ist das Verb „leug“ für „biegen“, das auch die Nebenbedeutungen „Verzwirnung“ und „Knoten“ zu haben scheint, aus der heraus sich die Bedeutung „Verschluß“ entwickelt hat.
Zunächst war „leug“ jedoch einfach das „Gebogene“ und somit auch die „Locke“.
Man kann somit davon ausgehen, daß Loki, falls sein Name bis ins Indogermanische zurückreichen sollte, entweder als der „Lockige“ oder als der „Gefangene“ bezeichnet worden ist.
Es gibt zumindestens die Möglichkeit, den Namen dieses Gottes auch als eine Variante des Wortes „Lohe“, also „Flamme“ zu deuten.
Dieses Wort lautet im Isländischen „leygr“, im Schwedischen „läga“ im Althochdeutschen „loug“ und im Mittelhochdeutschen sowie im Neuhochdeutschen „Lohe“.
Im Germanischen lautete dieses Wort „laugaz“ und in einer anderen Variante „luhän“. „Laugithä“ war ein Name für den Blitz.
Diese Worte stammen von indogermanisch „leug“ für „licht, hell, leuchten, sehen“ ab, das von seiner Schreibung her mit „leug“ für „gebogen“ identisch ist.
Ein weiteres, sehr ähnlich klingendes Wort, das gut zu dem Charakter des Loki passen würde, ist das altnordische „ljuga“ für „lügen“, das von dem germanischen „leugan“ für „lügen“ abstammt, das wiederum eine Weiterentwicklung zu indogermanisch „leugh“ für „lügen“ ist.
Vermutlich ist „lügen“ ursprünglich als „verbogene Rede“ bezeichnet worden – ähnliche wie man illegale Taten eine Zeitlang als „krumme Dinger drehen“ bezeichnet hat.
Die wahrscheinlichste Herleitung des Namens dieses Gottes ist jedoch die von „lok“, die den Loki als den „Gefangenen“ kennzeichnen würde, weil die Gefangenschaft des Loki ein wesentliches Element seiner Mythe gewesen ist. Allerdings ist er auch ein guter Lügner …
Es ist gut denkbar, daß „Loki“ nicht der ursprüngliche Name dieses Gottes ist, sondern eine Umschreibung, die den Gott magisch unschädlich machen, d.h. gefangensetzen sollte. Dieses Verfahren findet sich u.a. bei der Umschreibung des Bären, dessen alter Name „Urs“ lautete, als „der Braune“ („Bär“).
Dieses Verhalten hat zu dem Sprichwort „Mal den Teufel nicht an die Wand!“ geführt – heute würde man eine solche Haltung „positives Denken“ nennen.
Der Name „Lodur“ könnte von dem Verb „loda“ abgeleitet sein, das „etwas festhalten, sich an etwas festklammern, an etwas festkleben“ bedeutet. Ein „Lodur“ wäre dann jemand, der etwas festhält. Falls mit „Lodur“ jedoch ein „Festgehaltener“ gemeint sein sollte, wäre „Lodur“ einfach eine Variante von Loki, dessen Namen vermutlich „Eingesperrter“ bedeutet.
Die Bedeutung von „loda“ scheint jedoch noch andere Aspekte umfaßt zu haben, da das von diesem Verb abgeleitete Substantiv „loddari“ in etwa „Jongleur, Gaukler“ bedeutete – was ja durchaus auch zu Loki passen würde.
Im Germanischen bedeutet „ludro“ in etwa „Nichtiger, Nichtsnutz, Wertloser“, was eine Weiterentwicklung von indogermanisch „leu“ für „Schlaffer, Hängender“ ist. Gaukler besaßen anscheinend keine besonders hohes Ansehen …
Auch germanisch „lod“ für „Frucht“ stammt von dem indogermanischen „leu“ ab und ist als „die Hängende“ bezeichnet worden.
Da „ludro“ mit dem lateinischen „ludo“ für „Spiel“ verwandt ist, wird die Bedeutung „Gaukler, Spieler“ vermutlich bis zu der Sprache der gemeinsamen Vorfahren der Germanen und Römer, also bis zu der Sparche westlichen West-Indogermanen (Kelten, Römer, Germanen) um ca. 2000 v.Chr. zurückreichen.
Der dritte Name des Loki lautet „Loptr“ und bedeutet „Luft“. Von dieser Grundbedeutung leiten sich „Himmel“ und „oben“ ab. Ein „lopt-eldr“, also ein Luft-Feuer“ bzw. ein „Himmels-Feuer“ ist ein „Blitz“.
Dieser Name des Loki könnte mit seinen magischen Schuhen in Zusammenhang stehen, mit denen er durch die Luft laufen kann. Wenn dies zutrifft, muß es einst eine Mythe gegeben haben, in der diese Schuhe wichtig waren – diese Erzählung ist leider nicht überliefert worden.
„Hvedrungr“ ist weiterer Name des Loki. Dies ergibt sich daraus, daß in der „Vision der Seherin“ der Fenris-Wolf „Hvedrungen-Sohn“ genannt wird:
Nicht säumt Siegvaters erhabner Sohn
Mit dem Leichenwolf, Widar, zu fechten:
Er stößt dem Hwedrungen-Sohn den Stahl ins Herz
Durch gähnenden Rachen: so rächt er den Vater.
Siegvater ist Odin; sein Sohn ist hier Widar; der Leichenwolf ist Fenrir Loki-Sohn.
Im Ynglingatal des Thjodolfr von Hvini wird Hel, die Schwester des Fenrir, „Hvedrungen-Tochter“ genannt.
Schließlich erscheint Hvedrungr noch in den Thulur, die die Namen der Riesen auflisten – Loki wird mal zu den Asen, mal zu den Riesen gezählt.
Der Name „Hvedrungr“ leitet sich von „hvedr“ für „Wind“ ab – ein „Hvedrungr“ ist jemand, der zum Wind gehört – ein „Wind-Junge“ oder ein „Windling“.
Dieser Name ist wie „Lopt“ („Luft“) eine Anspielung darauf, daß Loki mithilfe seiner magischen Flugschuhe in der Lage ist, durch die Luft zu laufen.
„Loki“ und Lopt“ gab es auch als Personennamen. Neben „Loki“ gab es auch einige Namen wie „Lokke“ oder „Lok“, die „Locken(-kopf)“ bedeuteten.
Mit dem Namen „Loptr“ wurde der Frauenname „Lopthäna“, also „Luft-Huhn“ oder „hohes Huhn“ gebildet. Dieser Name ist insofern interessant, als Loki/Lopt in den Mythen des öfteren zusammen mit Odin und Hönir („Hahn/Huhn“) erscheint und dieser Personenname daher auch „Loki-Hönir“ bedeuten könnte – zumal beide in den frühen Skaldenliedern manchmal als „Freunde“ bezeichnet werden.
Es könnte daher ein engerer Zusammenhang zwischen Loki und Hönir bestehen, als es aus den überlieferten Mythen ersichtlich ist.
Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß „Loptr“ in den Personennamen einfach „Luft“ bedeutet und sich nicht auf Loki bezieht.
Diese vier Namen des Loki könnten zwei verschiedene Phasen in seinen Mythen darstellen: Er könnte als Loki ein gefangener Gott sein und als Loptr ein frei umherfliegender Gott. Falls dies zutrifft, sollten die Mythen des Loki einen zyklischen Charakter haben und einen Wechsel zwischen zwei Polen enthalten.
Die Umschreibungen des Loki geben einen ersten Überblick über die Vielfalt des Charakters und der Mythen dieses Gottes.
„Wie soll man Loki umschreiben?“
„So: Indem man ihn Sohn des Farbauti und der Laufey oder der Nal nennt;
Bruder des Byleistr und des Helblindi;
Vater des Ungeheuers von Van und des riesigen Ungeheuers und der Hel und des Nari und des Ali;
Verwandter und Onkel, böser Begleiter und Bankgenosse des Odin und der Asen;
Besucher und Kisten-Fang des Geirröd;
Dieb der Riesen, des Ziegenbocks, des Brisingamen, der Äpfel der Idun;
Verwandter des Sleipnir;
Mann der Sigyn;
Feind der Götter,
Verletzer von Sifs Haar,
Unheil-Schmied,
Listen-Gott,
Beschimpfer und Betrüger der Götter,
Betreiber von Baldurs Tod;
gefesselter Gott,
Ringkampf-Gegner des Heimdall und der Skadi.“
Aus diesen Umschreibungen ergibt sich u.a. eine erste Skizze des Stammbaumes des Loki:
Die beiden Loki-Söhne „Nari“ und „Ali“ haben eine menschliche Gestalt, aber zumindestens Ali kann sich in einen Wolf verwandeln bzw. wird den Asen in einen Wolf verwandelt. „Nari“ bedeutet „Leiche“ und „Ali“ bedeutet möglicherweise „zahm“. Ali wird auch „Narfi“ genannt, was „Nacht“ bedeutet. Der Name „Ali“ wird auch „Wali“ geschrieben, was dann „Erwählter, Toter“ bedeutet.
Loki ist offensichtlich eng mit dem Tod verbunden, da Hel, die Herrin der Unterwelt, seine Tochter ist. Sie erscheint des öfteren auf einem Wolf (Fenrir) reitend, den sie mit einem Schlangen-Zaumzeug (Jörmungandr) lenkt. Die drei Geschwister sind gemeinsam das Bild des nahenden Todes.
Sleipnir ist das Pferd des Schamanengottes Odin, dessen zentrale Aufgabe der Ritt ins Jenseits ist – auch das zeigt Lokis engen Bezug zum Jenseits. Auch die Namen seiner beiden Söhne Nari („Leiche“) und Narfi („Nacht“) bzw. „Wali“ („Toter“) passen gut in dieses Bild.
Loki wird in den von Snorri Sturluson aufgeführten Kenningarn zwar „Verwandter des Odin und der Asen“ genannt, aber diese Verwandtschaft wird in diesen Umschreibungen nicht genauer erklärt.
Auch die Bezeichnung als „Onkel des Odin und der Asen“ ist wahrscheinlich nicht allzu wörtlich gemeint, da in dem Fall, daß Loki der Onkel des Odin wäre, einer der Geschwister des Loki, von denen nur Byleistr und Helblindi bekannt sind, der Vater von Odin sein müßte – worüber nirgendwo berichtet wird. „Onkel“ bedeutet hier demnach wohl eher diffus „älterer männlicher Verwandter“.
Die Umschreibung „Bankgenosse des Odin und der Asen“ ist ähnlich ungenau und sagt letztlich nur aus, daß Loki zur Sippe der Asen gehört.
Loki ist offensichtlich des öfteren ein Dieb, da er mit Namen umschrieben werden kann, die auf seinen Raub des Ziegenbocks (vermutlich der des Thor), der Äpfel der Idun und des Brisingamens der Freya Bezug nehmen.
Er wurde jedoch auch selber gefangen, wie die Kenningar „Raub der Riesen“, „Besucher und Kisten-Fang des Geirröd“ und „gefesselter Gott“ zeigen. Dieser Wechsel zwischen „Loki als Gefangener“ und „Loki als Dieb“ könnte mit der Polarität „Loki/ Lodur“ („Gefangener“) und „Loptr/Hvedrungr“ („Luft, Wind“) zusammenhängen.
Loki war offenbar generell der Verursacher allen Unheils, weshalb er „Listen-Gott“, „Unheil-Schmied“, „Beschimpfer und Betrüger der Götter“, „böser Begleiter des Odin und der Asen“, „Feind der Götter“, „Verletzer von Sifs Haar“, „Betreiber von Baldurs Tod“ und „Ringkampf-Gegner des Heimdall und der Skadi“ genannt werden konnte.
Man kann vermuten, daß diese „Kämpfe“ und dieses „Unheil“ die Dynamik des Wechsel zwischen den beiden Polen in den Mythen des Loki sind:
Polarität in den Loki-Mythen | ||
1. Pol: - gefangen - | Dynamik des Wechsels zwischen den beiden Polen | 2. Pol: - frei - |
Loki: „Gefangener“ | Diebstahl, Betrug, Kampf | Loptr: „Luft“ |
Lodur: „Festgehaltener“ | Hvedrungr: „Wind“ |
In diesem kurzen Lied, dessen Verfasser unbekannt ist, werden die Namen der Asen aufgezählt:
Ich werde euch
die Asen-Heitis sagen:
Dies sind Yggr und Thor
und Yngvi-Freyr,
Vidar und Baldur,
Vali und Heimdall,
das sind Tyr und Njörd,
weiterhin Bragi,
Hödur, Forseti,
und schließlich ist da noch Loki.
Der letzte Vers klingt ganz so, als ob Loki eine Sonderstellung unter den Asen hätte – eben die des Betrügers und Feindes …
Die Geschichte, die Snorri in seiner Einleitung zur Edda berichtet, wird von ihm später in seinem Buch über die germanischen Religion noch einmal fortgesetzt. Dort wird auch Loki genannt:
Die Asen setzten sich jedoch zu einem Ratsgespräch zusammen und besprachen all die Dinge, die sie gerade dem Gylfi erzählt hatten, und gaben genau die Namen, die eben genannt worden waren, den Menschen und den Orten dort (Schweden), damit dann, wenn lange Zeiten vergangen sein werden, die Menschen keinen Zweifel daran haben werden, daß sie alle dieselben gewesen sind – die Asen, über die in den Geschichten oben berichtet wurde, und die, denen nun dieselben Namen gegeben wurden.
So wurde nun einem von ihnen der Name Thor gegeben – und damit war der alte Thor der Asen, also Ökothor gemeint – und ihm schrieben sie die Taten zu, die Thor, also Hek-tor, in Troja vollbracht hat.
Und man glaubt, daß die Türken Geschichten über Odysseus erzählten und daß sie ihm den Namen Loki gaben, weil die Türken ihm gegenüber besonders feindlich gesonnen waren.
Snorri berichtet hier, daß die Eroberer aus Troja („Asen“) den Schweden (erfundene) Geschichten erzählten und sich selber als die Handelnden in diesen Geschichten ausgaben und zudem die Orte in Schweden nach den Orten aus diesen Geschichten aus den halbhistorischen griechischen Sagen benannten, damit die Menschen in späteren Zeiten glauben würde, das die Asen, also die Eroberer aus Troja, wirklich derartig große Heldentaten vollbracht hatten.
Ähnliche Deutungen der Mythen finden sich auch noch an anderen Stellen in Snorris Schriften. Es ist bemerkenswert, daß Snorri trotz dieser wenig ruhmreichen Interpretation der germanischen Mythen so eifrig diese alten Geschichten aufgeschrieben hat.
Hektor war der älteste Sohn des Königs Priamos von Troja. Er soll bei den Germanen zu dem Gott Thor, dem ältesten Sohn des Asen-Königs Odin, geworden sein.
„Türken“ = „Asen“ (Troja, das von Snorri Sturluson Asgard gleichgesetzt wurde, liegt an der Westküste der Türkei)
Die Trojaner waren für Snorri „Türken“ und Odysseus war ein Grieche – beide Parteien führten den Trojanischen Krieg gegeneinander.
Loki wird hier auf den listenreichen Odysseus zurückgeführt, der unter den Gestalten aus den griechischen Sagen von seinem Wesen her dem Loki offensichtlich am ähnlichsten gewesen ist.
Die germanischen Skalden haben für Odin die Kenning „Lodurs Freund“ benutzt. Da Odin auch „Lopts Freund“ genannt wurde und Lopt ein Beiname des Loki ist, sind Lodur und Lopt offenbar identisch.
Loki wird in den Mythen generell als der Verursacher von vielen Abenteuern, Verwicklungen und von allen Arten von Unheil geschildert.
Loki erscheint als einer der zwölf wichtigsten Götter am Anfang des Skalden-Lehrbuches Skaldskaparmal:
Ein Mann heißt Ägir oder Hler; er bewohnte das Eiland, das nun Hlesey heißt, und war sehr zauberkundig. Er unternahm eine Reise nach Asgard; und als die Asen von seiner Fahrt erfuhren, wurde er wohl empfangen, jedoch mit allerlei Sinnverblendungen.
Und am Abend, als das Trinken beginnen sollte, ließ Odin Schwerter in die Halle tragen, die waren so glänzend, daß ein Schein davon ausging und es keiner andern Beleuchtung bedurfte, während man aß und trank.
Da kamen die Asen zu ihrem Gelage und zwölf der Asen, die da zu Richtern bestellt waren, setzten sich auf ihre Hochsitze. Dies sind ihre Namen: Thor, Niörd, Freyr, Tyr, Heimdall, Bragi, Widar, Wali, Ullr, Hönir, Forseti, Loki.
Vermutlich steht Loki nicht ohne Grund wie in dem schon angeführten anonymen Lied über die Asen-Heitis an der letzten Stelle dieser Aufzählung …
In Snorris Liste fehlen Odin sowie die beiden Brüder Baldur und Hödur. Dafür erscheinen in ihr Hönir und Ullr.
Snorri rechnet Loki zu der „runden Zwölfheit“ der Asen von Asgard dazu, während Loki in den Asen-Heitis der dreizehnte ist, der die „runde Zwölfheit“ zerstört. Daraus kann man schließen, daß Loki zu den Asen gehört, aber auch deren Feind ist. Diese zwiespältige Position wird auch dazu geführt haben, daß Loki als Letzer aufgeführt wird.
die Asen von Asgard | |
„Asen-Heitis“ | „Skaldskaparmal“ |
Thor | Thor |
Yngvi-Freyr | Freyr |
Vidar | Vidar |
Vali | Wali |
Heimdall | Heimdall |
Tyr | Tyr |
Njörd | Njörd |
Bragi | Bragi |
Forseti | Forseti |
Yggr (Odin) | |
Baldur | |
Hödur | |
Hönir | |
Ullr | |
Loki | |
12 Asen + Loki | Loki ist einer der 12 Asen |
Man zählt des weiteren noch einen zu den Asen, den einige den Verlästerer der Götter, den Anstifter alles Betrugs, und die Schande der Götter und Menschen nennen.
Sein Name ist Loki oder Loptr, und sein Vater der Riese Farbauti; seine Mutter heißt Laufey oder Nal; seine Brüder sind Bileist und Helblindi.
Loki ist schmuck und schön von Gestalt, aber böse von Gemüt und sehr unbeständig. Er übertrifft alle anderen an Schlauheit und an jeder Art von Betrug.
Er brachte die Asen in so manche Verlegenheit; doch half er ihnen oft auch durch seine Klugheit wieder heraus.
Seine Frau heißt Sigyn, und deren Sohn Nari oder Narwi.
Loki hat zwar einen Riesen zum Vater, aber das bedeutet jedoch nicht unbedingt, daß auch Loki selber zu den Riesen zählt, da die Asen generell von den Riesen abstammen.
„Farbauti“ bedeutet „gefährlicher Schläger“ – ein typischer Riesenname.
„Laufey“ bedeutet „Laubinsel“ – falls dies die Jenseitsinsel sein sollte, wäre Laufey mit der Jenseitsriesin Hel, der Herrin des Totenreiches, identisch. Dann wäre Loki sowohl der Sohn der Jenseitsgöttin (Laufey/Nal) als auch ihr Vater (Hel).
Im norwegischen Runenlied tritt in der 13. Strophe, die die Rune „Bar“ beschreibt, Loki auf. Er wird dort als erfolgreicher Betrüger beschrieben.
Die erste Zeile der beiden Runen-Verse beginnt mit dem Namen dieser Rune: „bjarkan“, d.h. „Birke“.
Die Birke hat die grünsten Blätter aller Bäume;
Loki war oft erfolgreich mit seinen Betrügen.
Aus welchem Grund Loki jedoch mit der Bar-Rune und mit der Birke assoziiert worden ist, ist unklar. Da die Bar-Rune im allgemeinen ausgesprochen friedlich ist und mit Schutz, Geborgenheit und Taufe assoziiert worden ist, läßt sich am ehesten noch ein Zusammenhang mit einem Haus oder einer verschlossenen Kammer vorstellen, in der Loki gefangen ist – aber das ist eine sehr unsichere Deutung.
Wie man sieht, kannten auch die Germanen schon die Farbe „Maigrün“, die sie „Birkengrün“ nannten …
In einigen Sprichworten aus den Nordländern erscheint Loki als Lügner, was auch ein Aspekt seines Unheilstiftens ist.
Die Redewendung „Lokis Briefe tragen“ und „Lokis Märchen zuhören“ werden für „lügen“ bzw. „einer Lüge zuhören“ benutzt.
In Island wird eine besonders große Lüge „Lokalygi“, also eine „Loki-Lüge“ genannt.
In Dänemark sagt man von Vögeln während ihrer Mauser, daß sie „in Lokis Fußspuren gehen“ – anscheinend stiehlt Loki ihnen ihre Federn.
Die Finnen zählen nicht zu den indogermanischen Völkern, aber da sie zur Zeit der Niederschrift der Edda um 1220 n.Chr. schon über 2.500 Jahre lang die nordöstlichen Nachbarn der Germanen gewesen sind, hat zwischen beiden Völkern ein intensiver Austausch von religiösen Motiven stattgefunden.
Bei den Finnen ist ein Geist mit dem Namen „Lukki“ bekannt, der u.a. für Rachitis bei Kindern verantwortlich gemacht wurde. Man nahm an, daß diese Kinder Wechselbälger des Lukki seien, daß er also das gesunde Kind gestohlen und dafür ein krankes Kind dagelassen hat, daß dem gestohlenen Kind zum Verwechseln ähnlich sieht.
Loki spielt in vielen verschiedenen Mythen eine Rolle. In einigen von ihnen hat er die Rolle des Räubers – manchmal handelt er dabei im Sinne der Asen, aber manchmal auch gegen ihren Willen.
Der Raub des Ringes Andvarinaut setzt die tragische Dramatik der Nibelungensage in Gang. Offenbar ist dieser Raub eine wichtiges Thema gewesen.
In der Edda wird die gesamte Nibelungensage kurz zusammengefaßt. Die gesamte Sage der Nibelungen und der Völsungen, also der Vorfahren des Sigurd/Siegfried mit allen ihren verschiedenen Überlieferungen ist sehr umfangreich (siehe den Band 38 über „Sigurd“).
Zum Verständnis der Rolle des Loki reicht jedoch der Überblick, den die Edda gibt, weitgehend aus.
Es wird erzählt, daß drei der Asen ausfuhren, die Welt kennenzulernen: Odin, Loki und Hönir.
Die ist eine Eröffnung, die sich in mehreren Mythen und Sagen findet und die beinahe dem „Es war einmal …“ der Märchen entspricht. Oft sind es Odin, Hönir und Loki, die wie Wikinger ausziehen, um die Welt zu entdecken, aber manchmal variiert die Zusammensetzung dieser Dreiergruppe auch ein wenig.
Sie kamen zu einem Fluß und gingen an ihm entlang bis zu einem Wasserfall, und bei dem Wasserfall war ein Otter, der hatte einen Lachs gefangen und aß ihn blinzelnd.
Da es sich hier um eine Götter-Geschichte, also um eine Mythe handelt, besteht zumindestens der begründete Anfangsverdacht, daß dieser Fluß der Jenseitsfluß sein könnte und der Otter folglich ein Bewohner des Jenseits.
Da hob Loki einen Stein auf und warf nach dem Otter und traf ihn am Kopf. Da rühmte Loki seine Jagd, daß er mit einem Wurf Otter und Lachs erjagt habe.
Diese Tat des Loki setzt die gesamte folgende Dramatik in Gang – wobei es an dieser Stelle bemerkenswert ist, daß Loki zwar geschickt ist, aber daß er zumindestens in dieser Version der Mythe keine böse Absicht hat.
Darauf nahmen sie den Lachs und den Otter mit sich. Sie kamen zu einem Gehöft und traten hinein, und der Bauer, der es bewohnte, hieß Hreidmar und war ein gewaltiger Mann und sehr zauberkundig.
Der Logik von Mythen, Sagen und Märchen zufolge kommt man, wenn man am Jenseitsfluß jemanden getötet hat, in die Unterwelt. Wenn die Auffassung des Flusses als Jenseitsfluß zutrifft, müßte Hreidmar ein Bewohner des Jenseits sein.
Eine erste Bestätigung für diese Annahme ist es, daß der Bauer „sehr zauberkundig“ ist, da die Magie ihre Wurzeln im Jenseits bei den Ahnen und den Göttern hat und das Metier der Schamanen und Priester ist, die von Berufs wegen Kontakt zum Jenseits haben.
Der Name des Bauern setzt sich aus „hreid“ für „Nest, Flechtwerk, Zaun“ und „mar“ für „berühmt“ zusammen. „Hreidmar“ bedeutet somit „berühmte Wohnstatt“. Wenn dieser Name wie in Mythen und Sagen üblich das Wesen des Bauern beschreibt, muß Hreidmar an einem weithin bekannten Ort wohnen. Da ein einfacher Bauernhof kein „weithin bekannter Ort“ sein kann, ist dieser Ort evtl. das Jenseits.
Da baten die Asen um Nachtherberge und sagten, sie hätten Mundvorrat bei sich, und zeigten dem Bauern ihre Beute.
Als aber Hreidmar den Otter sah, rief er seine Söhne Fafnir und Regin herbei und sagte, daß ihr Bruder Otr erschlagen worden sei, und er sagte auch, wer es getan hätte.
Die Dreizahl der Söhne des Hreidmar läßt vermuten, daß es sich bei ihnen um eine Umdeutung der drei Götter handelt, die des öfteren in den nordgermanischen Mythen auftreten.
Die drei Götter sind u.a. die Repräsentanten der drei Stände der germanischen Gesellschaft. Odin vertritt die Fürsten und Krieger, Hönir die Priester und Heiler und Loki schließlich die Bauern und Handwerker.
Regins Name bedeutet „Herrscher“. Er entspricht somit den Kriegern und Fürsten. Otr der „Otter“ ist anscheinend der Jenseitsreisende (Fluß, Tod) und somit der Repräsentant der Priester und Heiler. Somit bleibt für Fafnir, dessen Name „Gieriger“ bedeutet, die Rolle des Vertreters der Bauern und der Handwerker.
Odin, Hönir und Loki sind die drei Stände-Repräsentanten aus der Odin-zentrierten Religion. Regin, Fafnir und Otr könnten diese drei Repräsentanten aus der früheren Tyr-zentrierten Religion sein. Da diese drei als die Söhne des Tyr angesehen worden sind, müßte Hreidmar der ehemalige Sonnengott-Göttervater Tyr sein. Der Streit zwischen Odin, Hönir und Loki auf der einen Seite und Hreidmar, Regin, Fafnir und Otr auf der anderen Seite wäre dann der Kampf, in dem Tyr um 500 n.Chr. als Göttervater abgesetzt worden ist.
die drei Stände | ||
Stand | Hreidmar-Söhne (Tyr-zentrierte Religion bis 500 n. Chr.) |
Asen (Odin-zentrierte Religion ab 500 n. Chr.) |
Fürsten und Krieger | Regin | Odin |
Priester und Heiler | Otr | Hönir |
Bauern und Handwerker | Fafnir | Loki |
Da ging der Vater mit den Söhnen auf die Asen los, sie griffen und banden sie und sagten, der Otter wäre Hreidmars Sohn gewesen.
Es sieht sehr unwahrscheinlich aus, daß ein Bauer mit seinen beiden Söhnen drei Asen überwältigen und fesseln kann. Diese Szene ist offenbar für die folgenden Ereignisse notwendig. Die bisherige Deutung des Hreidmar und seiner „weithin bekannten Wohnstatt“ als das Jenseits würde naheliegen, die Gefangenschaft der drei Asen als einen Aufenthalt in der Unterwelt anzusehen, d.h. als ihren Tod oder zumindestens eine Jenseitsreise.
Der beiden einzigen Kämpfe, die die Asen in großem Stil mit anderen, ihnen ebenbürtigen Wesen geführt haben, ist der mit Tyr und der mit den Wanen. Dies bestätigt die Annahme, daß Hreidmar eine Variante des Tyr ist.
Die Asen boten Lösegeld soviel als Hreidmar selbst verlangen würde, und das wurde zwischen ihnen vereinbart und mit Eiden bekräftigt. Da wurde der Otter abgezogen, und Hreidmar nahm den Balg und sagte, sie sollten den Balg mit rotem Gold füllen und ebenso von außen hüllen, und damit sollten sie Frieden kaufen.
Die Germanen nannten das Gold nicht „gelb“, sondern „rot“. Entweder war der Farbname, der normalerweise mit „rot“ übersetzt war, nicht exakt das, was wir heute unter „rot“ verstehen, oder das Gold enthielt damals einen hohen Kupferanteil und war daher rötlich – was durch die Archäologie allerdings nicht bestätigt wird.
Das Füllen des Otterfelles mit Gold und sein anschließendes Umhüllen mit weiterem Gold verbindet die Tat selber mit der Sühne für die Tat. Solche Sühnezahlungen waren ein fester Bestandteil der germanischen Rechtsauffassung.
Diese Zahlungen ermöglichten zumindestens im Prinzip, daß auf eine Tat nicht stets eine der Tat entsprechende Rache folgen mußte, die dann wiederum von der Gegenseite gerächt wurde usw., bis im Extremfall eine der beiden Parteien ausgerottet worden war.
Von der Symbolik her hätte es auch genügt, den Leib des toten Otr mit Gold zu bedecken – das Häuten seines eigenen Sohnes durch Hreidmar ist ja eigentlich befremdlich. Möglicherweise stammt dieses Motiv aus dem Brauch, für den Toten ein Herdentier zu opfern und den Toten mit diesem Tier zu identifizieren, indem man den Toten in das Fell dieses Tieres wickelt, dessen Zeugungskraft dann auf denn Toten übergeht und dessen Wiederzeugung mit der Jenseitsgöttin, die seiner Wiedergeburt durch die Jenseitsgöttin vorausgeht, magisch abzusichern.
Falls diese Assoziation tatsächlich zu dem Motiv des Häutens des Otters geführt haben sollte, dann hätte sie in dieser Mythe allerdings schon eine deutlich andere Funktion erhalten.
Da sandte Odin den Loki nach Schwarzalfenheim und er kam zu dem Zwerg, der Andwari hieß und ein Fisch im Wasser war. Loki griff ihn mit den Händen und heischte von ihm zum Lösegeld alles Gold, das er in seinem Felsen hatte.
Odin ist der Anführer der Asen-Gruppe und Loki der Listigste – folglich sendet Odin den Loki aus.
Zwerge sind Ahnengeister – „Dwergaz“ bedeutet „Totengeist“. Da die Wurzel dieses Wortes das indogermanische Verb „dreugh“ für „betrügen“ ist, daß sich nur bei den Nordwest-Indogermanen zu einer Bezeichnung für „Phantom“ weiterentwickelt hat, ist der Ursprung der Zwerge wohl die Vorstellung von „bösen Gespenstern“, d.h. von übelwollenden Totengeister gewesen.
Der Zwerg Andvari lebte in der Gestalt eines Fisches im Wasser, was die Deutung des Flusses in diesen Szenen als Unterwelt bestätigt: Der Zwerg Andvari ist ein Totengeist in der Wasserunterwelt.
Loki raubt folglich das Lösegeld für die Befreiung der Asen aus der Unterwelt, in der sie von Hreidmar aufgrund der Ermordung seines Sohnes gefangengehalten werden, aus eben dieser Unterwelt – das Lösegeld kommt aus der Unterwelt und geht wieder in die Unterwelt.
„Andvari“ bedeutet „der Antwortende“. Dies ist ähnlich wie „Fafnir“ („Gieriger“) ein sehr verkürzter Name, da er nicht aussagt, wem Andvari antwortet. In der Sage antwortet Andvari im Folgenden dem Loki – aber das wird nicht der Ursprung seines Namens sein. Man kann „Antworter“ auch als „Rächer“ auffassen.
In der Nibelungensage trägt Andvari den Namen „Alberich“, d.h. „Albenkönig“. Da auch die Alben/Alfen/Elfen Ahnengeister sind (allerdings wohlwollende), bestätigt dies die Auffassung des Andvari als Totengeist im Jenseits.
Im Völund-Lied wird tritt Tyr als Jenseitsschmied Wieland auf und wird dort von Loki-Nidud ebenfalls „Alfen-König“ genannt. Es ist also anzunehmen, daß Andvari neben Hreidmar eine zweite Saga-Variante des ehemaligen Göttervaters Tyr ist. Das ist nicht so ungewöhnlich, wie es zunächst scheint, da bei der Absetzung des Tyr alle seine Mythen in ihre Einzelteile zerfallen sind und diese Einzelteile dann in die neugeschaffenen Mythen des Siegers Odin eingefügt worden sind. Auf diese Weise konnten zwei Tyr-Motive unter verschiedenen Tyr-Namen in dieselbe neue Mythe eingebaut werden – hier „Hreidmar“ und „Andvari“.
Und als sie in den Felsen kamen, trug der Zwerg alles Gold hervor, das er hatte, und das war ein gar großes Gut.
Da Andvari der Geist eines Toten ist, wird der „Felsen“ die aus Steinplatten errichtete Grabkammer in einem Hügelgrab sein und das viele Gold somit ein Grabschatz. Das Plündern von Hügelgräbern war den Wikingern keineswegs fremd …
Da verbarg der Zwerg unter seiner Hand einen kleinen Goldring: Loki sah es und gebot ihm, den Ring herzugeben.
Der Zwerg bat, ihm den Ring nicht abzunehmen, weil er mit dem Ring, wenn er ihn behielte, sein Gold wieder vermehren könne.
Aber Loki sagte, er solle nicht einen Pfennig übrig behalten, nahm ihm den Ring und ging hinaus.
Dieser Ring ist offensichtlich das Wesentliche in dem Schatz des Andvari. Die Selbst-Vermehrung des Ringes des Andvari zeigt, daß dieser Ring mit dem Ring Draupnir des Odin identisch ist. Auch Draupnir wanderte zwischen dem Diesseits und dem Jenseits hin und her: Odin legte den Ring seinem toten Sohn Baldur mit auf den Scheiterhaufen und später, als Baldur in der Unterwelt bei Hel war, gab er dem Odins-Sohn Hermod, der die Funktion eines Schamane innehat, den Ring wieder mit, damit er ihn dem Odin zurückgab.
Der Ring des Andvari reist zwar vom Jenseits (Fluß des Andvari) ins Diesseits (Lokis Beschaffen des Lösegeldes) und dann wieder zurück ins Jenseits (Hreidmar), während der Ring Draupnir vom Diesseits (Odin) ins Jenseits (Hel) und wieder zurück ins Diesseits (Odin) wandert, aber beide Vorgänge sind sehr ähnlich und könnten Teile eines zyklischen Wechsels des Ringes zwischen Diesseits und Jenseits sein.
Zu dieser Deutung paßt auch, daß der Ring aus dem runden Symbol der Sonne entstanden ist und der Sonnenlauf das Urbild alles Zyklischen ist.
Lokis Tötung des Otr wäre innerhalb dieser Mythe dann die Ursache dafür, daß es diesen Zyklus überhaupt gibt.
Zudem ist Tyr bis 500 n.Chr. der Sonnengott-Göttervater gewesen, der damals der Besitzer dieses magischen Ringes gewesen sein wird.
Da sagte der Zwerg, der Ring solle jeden, der ihn besäße, das Leben kosten.
Loki versetzte, das sei ihm ganz recht und es solle gehalten werden nach seiner Voraussage; er werde es aber den schon wissen lassen, der ihn künftig besitzen solle.
Dieser Fluch des Andvari setzt sich in der folgenden Geschichte Schritt für Schritt um und ist der rote Faden ihrer Dynamik.
Möglicherweise liegt hier eine Umdeutung des Ringes als eines Hilfsmittels auf der Jenseitsreise in die Ursache für die Jenseitsreise, d.h. für den Tod vor. Dabei hat sicherlich die in den Sagas mehrfach beschriebene Angst der Wikinger vor den Geistern in den Hügelgräbern, die sie geplündert haben, eine große Rolle gespielt.
Loki scheint mit dem Fluch des Andvari ganz einverstanden gewesen zu sein, da er diesen Fluch sogar noch ausdrücklich bestätigt. Dadurch rückt Loki in die Rolle dessen, der selber diesen Fluch ausspricht.
Da die Ringsymbolik sich von einer Jenseitsreise-Hilfe zu einer Todesursache verschoben hat, könnte sich etwas ähnliches auch bei dem Fluch finden. Dies würde bedeuten, daß Lokis Bestätigung des Fluches des Andvari ebenfalls eine Umdeutung von Lokis Handlungen als Ursache des Ring-Zyklus wäre. Die ursprüngliche Version könnte daher ein bewußter Mord an Otr gewesen sein.
Es sieht somit so aus, als ob sowohl Tyr-Andwari als auch Loki die Ursache des Ring-Zyklus seien.
Da der Ring von seinem Ursprung her wahrscheinlich ein Sonnensymbol ist, könnte es sein, daß Loki einst auch als die Ursache des Wechsels der Jahreszeiten angesehen worden ist, da die Jahreszeiten von dem zyklisch wechselnden Stand der Sonne am Himmel abhängen.
Da fuhr Loki zurück zu Hreidmars Haus und zeigte Odin das Gold, und als er den Ring sah, schien er ihm schön. Er nahm ihn vom Haufen und gab das übrige Gold dem Hreidmar.
Es ist beachtenswert, daß Loki das Gold und den Ring zunächst dem Odin gibt und nicht einfach den Otterbalg mit Gold füllt und das restliche Gold um ihn herum aufhäuft.
Odin ist derjenige, der den Loki ausgesandt hat, um das Gold zu holen, und er ist auch derjenige, der das von dem Zwerg, d.h. aus dem Hügelgrab geraubte Gold empfängt – so wie Hermod den Ring Draupnir von Baldur aus der Hel zurück zu Odin bringt.
Da füllte Hreidmar den Otterbalg, so dicht er konnte, und richtete ihn auf, als er voll war.
Otter können sehr gut „Männchen machen“. In dieser Haltung des Otters war natürlich sehr viel mehr Gold notwendig, um ihn zu bedecken als wenn der Otter auf der Erde liegen würde. Es hat den Anschein, als ob Hreidmar eine große Gier in sich tragen würde aus dieser heraus einem seiner Söhne den Namen „Fafnir“, der wörtlich „Umarmer“ und im übertragenden Sinne „Gier“ bedeutet, gegeben hätte.
Da ging Odin hinzu und sollte ihn mit dem Gold hüllen. Als er das getan hatte, sprach er zu Hreidmar, er solle schauen, ob der Balg vollständig umhüllt sei. Hreidmar ging hin und sah genau hin und fand ein einziges Barthaar und gebot auch das zu hüllen, denn sonst wäre ihr Vertrag gebrochen.
Da zog Odin den Ring hervor, hüllte das Barthaar und sagte, hiermit habe er sich nun der Otterbuße entledigt.
Auch diese Szene zeigt, daß es bei dem Schatz des Andvari letztlich nur um den magischen Ring geht. Der Schatz selber ist sehr wahrscheinlich nur eine Ausweitung dieses Motivs, die entstanden ist, als der in der früheren Mythe zwischen Diesseits und Jenseits hin- und herwandernden Ring in die Nibelungen-Sage übertragen worden ist, in der aus diesem Thema ein Grabraub wurde.
Und als Odin seinen Speer genommen hatte und Loki seine Schuhe und sie sich dann nicht mehr zu fürchten brauchten, da sprach Loki, es sollte dabei bleiben, was Andwari gesagt hatte, daß der Ring und das Gold den Besitzer das Leben kosten solle – und so geschah es seitdem.
Darum heißt das Gold Otterbuße und der Asen Notgeld.
Odins stets treffender und stets zu ihm zurückkehrender Speer und Lokis Schuhe, die es ihm ermöglichten, durch die Luft zu fliegen, sind die magischen Gegenstände dieser beiden Asen. Von Hönir, dem dritten Asen, ist kein solcher magischer Gegenstand bekannt.
Hier bestätigt Loki ein zweites Mal ausdrücklich den Fluch des Andvari. Dies erweckt den Anschein, als ob es eigentlich Loki sei, der die Dynamik dieser Sage in Gang gesetzt hat – was ja auch schon durch seinen Otter-Mord zutrifft.
Als Hreidmar das Gold zur Sohnesbuße empfangen hatte, verlangten Fafnir und Regin ihren Teil davon zur Brudersbuße; aber Hreidmar gönnte ihnen nicht einen Pfennig davon. Da kamen die Brüder überein, ihren Vater des Goldes wegen zu töten.
Der Fluch des Andvari und des Loki zeigt sehr schnell Wirkung …
Als das geschehen war, verlangte Regin, daß Fafnir das Gold zur Hälfte mit ihm teilen sollte.