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Das Buch

Populistische Politiker, die ihr Fähnchen nur noch in den Wind hängen. Und Medien, die mitspielen. Vor allem ein immer seichteres öffentlich-rechtliches Fernsehen, das sich ohne Not unter das Diktat der Quote gestellt hat.

Das Ergebnis: Moralismus und Alarmismus statt kritischem Qualitätsjournalismus, statt Aufklärung und Bildung nur Fußball und Krimis. Ihre Aufgabe, »vierte Gewalt« in unserem demokratischen Gemeinwesen zu sein, verfehlen die Gebührensender dramatisch. Und das am Beginn des digitalen Zeitalters, wo sie so wertvoll sein könnten wie nie.

Wolfgang Herles beschreibt diesen besorgniserregenden Zustand und fordert: Reformiert ARD und ZDF grundlegend oder schafft sie ab.

Der Autor

Wolfgang Herles, Jahrgang 1950, ist einer der vielseitigsten und profiliertesten deutschen Fernsehjournalisten. Dreiundvierzig Jahre lang, die ersten zwölf Jahre beim Bayerischen Rundfunk, dann beim ZDF, moderierte er Nachrichtensendungen, politische Magazine, Elefantenrunden, Talkshows, zehn Jahre lang das Kulturmagazin »Aspekte« und zuletzt die Literatursendung »Das blaue Sofa«. Er gestaltete als Reporter und Autor Dutzende längerer Dokumentationen und Reportagen, porträtierte dabei so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Joseph Ratzinger und Bill Gates. Als Redaktionsleiter war er u.a. für das Kulturmagazin »Aspekte« und für das ZDF-Studio in Bonn verantwortlich, aus dem er auf Betreiben des damaligen Bundeskanzlers Kohl entfernt wurde. Herles ist Autor mehrerer politischer Sachbücher und Romane. Er lebt in München und Berlin.

Weitere Informationen zu unserem Programm unter www.knaus-verlag.de

Wolfgang Herles

Die Gefallsüchtigen

Gegen Konformismus in den Medien
und Populismus in der Politik

Knaus

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1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2015

beim Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Favoritbüro, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-13591-1

www.knaus-verlag.de

Conformism is the jailer of freedom and the enemy of growth.

John F. Kennedy

Das Wesen der Welt ist Unordnung und Chaos, auch wenn viele von uns alles tun, um dies zu verleugnen, und sich dem gesellschaftlichen Konformismus, der autorisierten Darstellung des Lebens unterordnen.

John Burnside

Immer, wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen.

Mark Twain

Die Gedankenlosigkeit ist zur Königin und Herrscherin über das postmoderne Leben geworden, und die Politik ist eins ihrer ersten Opfer.

Mario Vargas Llosa

Keine Institution hat sich die Demokratie so unter den Nagel gerissen wie das Fernsehen.

Bodo Kirchhoff

Inhalt

EINLEITUNG

Wie Quotenjunkies und Konformisten einander in Gefallsucht verbunden sind. Warum Medienkritik Gesellschaftskritik sein muss. Weshalb die Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens notwendig ist.

Medienkritik ist Gesellschaftskritik

Gefallsucht und Konformismus

Zum Buch

Das Gesetz der Quote

ERSTER TEIL
Zerrspiegel

EINS

Wie alles zu Unterhaltung wird, selbst Nachrichten. Von Quotenjunkies und Hofberichterstattern. Vom Gewicht der Nachricht. Weshalb Gefühle lügen. Warum Komiker Könige sind.

Quotenjunkies

Gedoppelte Gefallsucht

Verdichten, Verkürzen, Verfälschen

Im Sturm der Gefühle

Geschrei und Schweigen

Außer Atem

Im Wirbel der Unterhaltung

Comedy-News-Show

ZWEI

Wer quatscht da? Wie Talkshows funktionieren. Debattenort Parlament. Über ein Grundgesetz der Demokratie: Wer nicht streiten kann, kann nicht gestalten.

Quatschen – worüber?

Small Talk, ganz groß

Es ginge anders

Intellektuelle im Fernsehen

Streitkultur im Parlament

Scheindebatten in der Manege

Wer nicht streiten kann

DREI

Wozu Skandale gut sind. Wovon Moralismus ablenkt. Hoeneß, Middelhoff, Wulff und ein Bischof. Politische Korrektheit: Pannen-Peer und Fortpflanzungsgemurkse.

Blutrausch und Moral

Moralismus. Uli Hoeneß und der Steuerstaat

Schadenfreude. Der Manager, der Bischof und der Kandidat

Mediale Vorverurteilung. Lehrstück Wulff

Doppelmoral. Das Beispiel Edathy

Sprachverbote, Denkverbote

VIER

Weshalb Pegida verteufelt, der Islam jedoch beschönigt wird: Beispiele konformistischer Öffentlichkeit. Über die Entrüstungsindustrie und die Grenzen der Freiheit. Von der Wut auf die Medien.

Der Islam und Pegida

»Lügenpresse, halt die Fresse«

Der Islam und »die Guten«

FÜNF

Junkfood für den Kopf. Die Elementarteilchen des Konformismus. Wie Denkschablonen entstehen und was Sprachschablonen bewirken. Beispiel: Putin und die Ukraine. Über blinde Gefolgschaft.

Wie Denkschablonen funktionieren

Beispiel Putin

Sprachschablonen

Blinde Gefolgschaft

ZWEITER TEIL
Die Konformismusfalle

SECHS

Merkels Methode und weshalb sie Schule macht. Stimmungsdemokratie und postdemokratische Gängelei. Und wie aus konformistischer Politik ein Populismus der Mitte entsteht.

Die Verzerrung der Realität

Ein Trugbild von Führung

Die Macht der Meinungsforschung

Nudging

Postdemokratie

Leitbild Merkel

Das alternative Milieu und die FDP

Was war früher anders und warum?

Charisma und Leidenschaft

Populismus der Mitte

SIEBEN

Ursachen des Konformismus: die soziale und die kulturelle Spaltung der Gesellschaft. Weshalb alles gleichgültig ist, wenn alles gleich gilt. Risiken und Ungewissheiten. Der Preis der Freiheit.

Ein eingebildeter Konsens: Europa

Die tiefere Spaltung

Weshalb ästhetische Erziehung unverzichtbar ist

Soziale Spaltung

Konformismus aus Angst:
»Schwindelgefühl der Freiheit«

DRITTER TEIL
Die Seichtigkeitsspirale

ACHT

Wie die ökonomische Krise die Printmedien schwächt. Wozu Zeitungen gut sind, wenn sie gut sind. Weshalb auch im Netz die Gefallsucht dominiert. Und was die Demokratie davon hat.

Im Mainstream

Wozu noch Zeitungen?

Online-Journalismus

Demokratie im Netz

Digitale Streitkultur

Gefallsucht im Netz

Big Data

NEUN

Wie das Netz das Denken formt. Abkehr von der Schriftkultur. Die Gutenberg-Parenthese. Was wir zu wissen glauben.

Abkehr von der Schriftkultur

Das Auge des Pfaus

ZEHN

Kleine Bilanz des Privatfernsehens. Was Quoten wirklich sind. Die seltsamen Methoden der Programmplaner. Rankingshows, Hitler-Dokus und Krimis.

Privat: banal, trivial, egal

Mehr Vielfalt – mehr Einfalt

Was Quote bedeutet

Die Vollstrecker

Substanzverluste, Volume I

Substanzverluste, Volume II

Substanzverluste, Volume III

Substanzverluste, Volume IV

Substanzverluste, Volume V

Medium der Bequemlichkeit

ELF

Warum die Macht der Quote beendet werden muss. Weshalb das Gebührenfernsehen abgeschafft werden sollte. Und was dann? Notwendige Reformen: Unabhängigkeit, Programmqualität, Unternehmenskultur, institutionelle Reform.

Legitimation über Gebühr

Wozu öffentlich-rechtliches Fernsehen?

Fernsehen dient der Demokratie

Politische Unabhängigkeit

Programmreform

Für eine neue Unternehmenskultur ohne Primat der Quote

Fernsehen ohne Werbung

Ein öffentlich-rechtlicher Sender – finanziert aus Steuermitteln

DANK

EINLEITUNG

Wie Quotenjunkies und Konformisten einander in Gefallsucht verbunden sind. Warum Medienkritik Gesellschaftskritik sein muss. Weshalb die Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens notwendig ist.

Wer genau hinsieht, kann auf dem Gipfel des Lerchenbergs eine hohe Stange erkennen. Auf ihr steckt ein Hut. Der Quoten-Hut. Vor ihm hat jeder, der im ZDF arbeitet, das Haupt zu beugen. Alle opfern der Quote. Wir sind Marktführer!1 In diesem Stolz steckt zugleich das ganze Elend.

Dieses Buch widerspricht dem mit totalitärer Wucht herrschenden Dogma: Je größer die Zahl und der Anteil der Zuschauer, desto bedeutender, besser, erfolgreicher das Programm. Dieses Dogma ist falsch. Es zerstört Fernsehkultur. Es steht dem einzigen wirklichen Auftrag des öffentlichen Fernsehens entgegen, dem Auftrag, dem demokratischen Diskurs zu dienen. Auch wenn es nicht informiert und bildet, sondern unterhält, gilt dieser Auftrag.

Medienkritik ist Gesellschaftskritik

Nichts gegen gesunde Ambitionen. Gegen Marktführerschaft wäre nichts einzuwenden, müsste nicht ein zu hoher Preis dafür bezahlt werden. Ein Fernsehprogramm, das immer möglichst allen gefallen will, wird zwangsläufig beliebig. Wer sich anbiedert, ist schnell mutlos, vermeidet den besonderen Blick auf die Welt, kommt gern glatt und gefällig daher, erstarrt aus Angst vor Überforderung der Zuschauer. Wer auf das setzt, was erfahrungsgemäß ankommt, scheut Irritation und Provokation, bringt immer dasselbe und von dem zu viel. Es ist das, woran es seine Zuschauer gewöhnt hat: Krimis ohne Ende, Sportevents, Talk, Talk, Talk, Talk. Und selbst Nachrichten, Reportagen und Dokumentationen sind so, wie es die Marktforschung und die Zahlen befehlen.

Zwei Zahlen. Die absolute Zahl der Zuschauer ist die eine. Ihr wird weniger Bedeutung zugemessen als der anderen, der des Marktanteils, des Teils aller Zuschauer, die im Augenblick der Messung vor dem Gerät sitzen. Diese Zahl oder Quote zeigt, wie der Sender zu einer bestimmten Zeit gegen alle anderen Sender abschneidet. Über den Wert des Gesendeten verraten die Zahlen nichts.

Die Programme aber sollten am Auftrag der Sender gemessen werden, nicht am Wettbewerb mit anderen. Auftrag der Sender ist es, den demokratischen Diskurs zu beleben.

Die Leistungsfähigkeit einer Demokratie ist nicht zuletzt abhängig von der Qualität der Medien. Aller Medien. Was haben die Schwächen der Medien und die Schwächen der Politik miteinander zu tun? Das ist die Frage dieses Buchs. Seine These ist: Konformistische Medien und populistische Politiker sind einander in Gefallsucht verbunden. Die Gesellschaft ist konfliktscheu, gelähmt von moralisierender Selbstgefälligkeit und Fortschrittszweifeln. Medienkritik ist deshalb Gesellschaftskritik.

Dem Quotenwahn der Sender entsprechen Politiker, die auf Stimmungen setzen statt auf Überzeugungen. Ihre »Kundschaft« wirkt erschöpft und gelangweilt. Sie misstraut den Medien nicht weniger als der Politik.

Dazu kommt: Die Medienlandschaft steht im radikalen Umbruch. Der ökonomische Druck kommt überwiegend aus dem Netz. Das Netz aber ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.

Gefallsucht und Konformismus

Was gefällt? Die Große Koalition entspricht dem Wunsch der Wählermehrheit. Obgleich mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament ausgestattet, ist sie nicht für die Lösung großer Probleme berühmt. Das hat mit der Harmonie zu tun, die sie bei allen Meinungsverschiedenheiten vermittelt. Die Harmonie kommt zustande, weil um die großen Fragen ein großer Bogen gemacht wird, jedenfalls solange nicht das Dach brennt.

Zu beklagen ist die Diskursschwäche, um nicht zu sagen Lethargie der Gesellschaft. Seltsam, befindet sich die Welt doch in einem rasenden Wandel, technologisch, ökonomisch, kulturell. Alle Länder, auch das verhältnismäßig gut situierte Deutschland, steuern auf gewaltige Herausforderungen zu, die wohl kaum allein mit Liebe zum Konsens bewältigt werden können.

Vielleicht könnte man es auch so sagen: »Was in Berlin Stillstand scheint, ist näher besehen doch ein Marschieren.« Alfred Polgars Bonmot ist nicht mehr ganz frisch, doch immer noch gültig. Vielleicht liegt es an der deutschen Mentalität, dass Gleichschritt für wichtiger gehalten wird als die Richtung, in die marschiert wird. Hauptsache, es tanzt niemand aus der Reihe.

Es ist ein merkwürdiges Paradox. Einerseits haben Familie, Religion, Bildung, Herkunft, ja sogar Alter und Geschlecht ihre prägende Kraft verloren. Der Einzelne kann heute sein Leben, soweit es die materiellen Umstände zulassen, weitgehend nach eigenen Vorstellungen gestalten. Doch seltsamerweise erzeugt diese Fragmentierung der Gesellschaft nicht mehr Meinungsvielfalt oder gar lebendigere Debatten.

Für diesen Widerspruch gibt es einige Gründe. Einer ist die Macht des Marktes. Sie erzeugt nicht nur Konsumtrends und Lebensstile, sondern auch Einstellungen und Wertvorstellungen. Wer ihnen offen widerspricht, ist draußen. Die Gefallsucht der Medien und der Politik folgt dem Markt der Meinungen und Stimmungen. Konformismus und Konsumismus sind also miteinander verwandt.

Ein anderer Grund: Offenbar kommt das Bedürfnis, sich dem Mainstream der Meinungen anzupassen, aus dem Verlust von Gewissheiten. Ängste wachsen, losgelöst von wirklichen Gefahren. Die Gesellschaft rückt emotional zusammen. Das fällt ihr leichter als früher, denn mit dem Ende der großen, die Welt teilenden ideologischen Konfrontation gibt es scheinbar keine politischen Lager mehr. Weltanschauung ist aus der Mode gekommen.

Ist das nicht ein wunderbarer Vorteil? Was soll schlecht daran sein, wenn sich eine Gesellschaft in größter Einmütigkeit über fast alle großen Fragen verständigt hat? Gegen Klimawandel, für Frieden auf der ganzen Welt, gegen Bankenmacht, für soziale Gerechtigkeit, gegen Massentierhaltung, für Europa, gegen Staatsverschuldung und so weiter. Ich halte dagegen: Die Welt will nicht kapieren und steckt fest in ihren Widersprüchen.

Konformistische Gesellschaften gehen Auseinandersetzungen aus dem Weg, ohne die Probleme zu lösen. Sie verengen den Diskurs. Die Begrenzungen sind ein »Kanon dessen, was an Betrachtungsweisen, Begriffen, Sprachformeln und Argumenten in Deutschland ›geht‹ oder eben nicht ›geht‹. Wer sich daran hält, darf am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Wer sich gegen diesen Kanon vergeht, ist auszugrenzen«, so der Dresdener Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt über die Hysterie, die Pegida ausgelöst hat.2

Konformismus ist die Degenerationserscheinung einer politikmüden, zugleich tief verunsicherten Gesellschaft. Es zählt, was sich gut anfühlt. Fühlen gilt überhaupt mehr als Wissen und Argumentieren. Wer wagt sich noch mit eigenen Gedanken und im eigenen Namen hervor, muckt auf gegen die stille Wucht der Mehrheit? Nur das anonyme Maulen im Internet ist nicht zu übersehen. Parteien und Politiker folgen messbaren Stimmungen. So geht Konformismus einher mit jenem Populismus, der nicht an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft gedeiht.

Zum Buch

Im ersten Teil skizziere ich Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik. Ausgangspunkt ist der berühmte Satz von Niklas Luhmann: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.«3 Dem tausendfach zitierten Satz folgt bei Luhmann wenige Zeilen später ein anderer, der meist unterschlagen wird: »Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können.«

Wir wissen immer mehr. Das Wissen darum, wie Medien funktionieren, ist gewachsen. Aber eben auch die Gefallsucht der Medien. Nach allen öffentlich gewordenen und beklagten Fehlleistungen, Fälschungen und Regelverstößen ist das Geschrei groß. Aber es ändert sich nichts. Auch professionelle Medienkritik verpufft. Stefan Niggemeier, ein scharfer, unermüdlicher Kritiker, beschreibt »das zwischen Müdigkeit und Verzweiflung schwankende Gefühl«, weil »jeder Appell zur Zurückhaltung, zur Vorsicht, scheinbar wirkungslos verhallt«.4

Wie sind die Gefallsucht der Medien und der Populismus der Politik miteinander verbunden? Davon handelt der zweite Teil – Die Konformismusfalle. Er befasst sich mit der Entpolitisierung der Politik, also auch mit der erfolgreichen und deshalb stilbildenden Methode Merkel. Ursache dieser Ermüdung der gegenwärtigen Demokratie ist eine tiefe, nicht bloß soziale, sondern mehr noch kulturelle Spaltung der Gesellschaft. Geht man ihr auf den Grund, stößt man auf die Krise der Bildung. Eine Herausforderung, nicht zuletzt für die Medien.

Der dritte Teil – Die Seichtigkeitsspirale – beschreibt, weshalb die Medien dieser Entwicklung so wenig entgegenzusetzen haben. Die digitale Revolution hat tiefgreifende kulturelle Folgen. Der Substanzverlust ist besonders im Fernsehen zu beobachten.

Es geht in diesem Buch um Mängel, Schwächen und Versäumnisse der Medien wie der Politik. Aber es endet nicht im Negativen.

Weil der Markt Medien bedroht und auszehrt, bleibt nichts anderes übrig, als auf jene Medien zu setzen, die sich den Bedingungen dieses Marktes weitgehend entziehen können. Für diese Aufgabe braucht die Gesellschaft öffentlich-rechtlichen Rundfunk dringender als jemals zuvor. Nur nicht den, den sie hat. So, wie das System ist, könnte es abgeschafft werden. Es wird Zeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu aufzustellen und sich vom gegenwärtigen Gebührenfernsehen zu verabschieden.

Das Gesetz der Quote

Natürlich schreibe und urteile ich aus der Erfahrung von mehr als 40 Jahren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wer aber mit Abrechnung rechnet, verrechnet sich. Ich fühle mich der Aufgabe nach wie vor verpflichtet und hoffe, zur Reformdebatte beizutragen.

Die jungen Leute, die 1971 mit mir an der Deutschen Journalistenschule in München ihr Handwerk lernten, wollten nicht Moderator oder Talkmaster werden. Sie träumten davon, sich als Kommentatoren des Zeitgeschehens in den Wettstreit der Meinungen zu stürzen. Die Mehrheit dieser angehenden Journalisten galt damals als »links«. Aber auch die anderen, zu denen ich zählte, wollten selbstverständlich die Welt erklären und verbessern. Was sonst? Journalisten sind Werkzeuge der Aufklärung. So ein Bekenntnis klingt inzwischen altmodisch. Richtig ist es doch.

Ehe sich Journalistenschüler von heute um den Zustand der Welt sorgen, müssen sie sich um sich selbst kümmern. Ich war mit 24 Jahren Korrespondent in Bonn. Heute ist es für Journalisten dieses Alters das höchste der Gefühle, irgendwie als freie Mitarbeiter über die Runden zu kommen. Der ökonomische und technische Wandel gefährdet den Berufsstand. Im Netz kann jeder schreiben. Wer braucht dazu noch Journalisten?

Ich habe dieses Buch nicht für Kolleginnen und Kollegen geschrieben, auch nicht für Medienjournalisten. Der Adressat dieser Seiten ist das Publikum, für das ich immer gearbeitet habe.

Nicht wenige Zuschauer schalten nicht mehr an, fühlen sich über Gebühr gelangweilt. Brauchen wir noch öffentlich-rechtliches Fernsehen, wenn fast alles, was dort zählt, die Quote ist? Wie müsste öffentlich-rechtliches Fernsehen aussehen, was müsste es leisten, wäre es die »Demokratieabgabe« wert?

Gemessen an seiner Reichweite ist Fernsehen noch immer die wichtigste Quelle politischer Information. Es besteht kein Zweifel daran, dass die durchschnittlich gut dreieinhalb Stunden, die die Deutschen täglich vor dem Schirm verbringen, ihr Fühlen und Denken und ihre politischen Einstellungen stark beeinflussen.

Die Leistungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kritisiere ich nicht pauschal. Wie könnte ich das? Ich habe an vielen, sehr unterschiedlichen Stellen mitgewirkt, im Radio und im Fernsehen, auf den Feldern der Politik, Wirtschaft und Kultur. Gewiss, in meine Bilanz mischt sich Enttäuschung über die Entwicklung des Mediums Fernsehen. Nicht zu übersehen ist aber, was ARD und ZDF leisten. Es ist besser als das, was das öffentliche Fernsehen der meisten anderen Länder zu bieten hat. Aber das darf nicht blind machen für den generellen Verfall der Fernsehkultur, nicht nur, aber auch in Deutschland. Hier ist zweifellos noch immer viel Licht, gelegentlich Glanz. ARD und ZDF unterhalten Orchester, finanzieren Spielfilme, betreiben Arte, 3sat, Phoenix, digitale Kanäle und ein großartiges Korrespondentennetz, aus dem sie zu wenig machen. Was ist diese Leistung wert? Kommt sie doch nicht wegen, sondern trotz des Quotendrucks zustande.

Wer Veränderungen wünscht, muss die Debatte in die öffentlich-rechtlichen Sender hineintragen. Ein beachtlicher Teil meiner Kolleginnen und Kollegen teilt meine Kritik. Die Debatte findet aber in den Kantinen statt, nicht in Redaktionskonferenzen oder auf Führungskräftetagungen. Dort geht es um Personalabbau und ökonomische Fragen, selten um den Programmauftrag. Das Gesetz der Quote aber ist tabu. Ich bin davon überzeugt: Besseres Fernsehen ist möglich, wenn es sich von Quotenwahn und Gefallsucht verabschiedet.

Ich beschäftige mich mit Fehlentwicklungen. Sie können nur mit konkreten Beispielen belegt werden. Es sind immer Einzelfälle, natürlich, allerdings alltägliche und symptomatische – und sie nehmen meiner Beobachtung nach zu. Nein, früher war nicht alles besser. Aber das, was aus den Medien und besonders dem Fernsehen geworden ist, ist nicht erfreulich.

Im Hut auf der Stange steckt eine weiße Feder. Als wär’s eine weiße Fahne. Kampflos ergibt sich das ZDF der Diktatur der Quote. Es kapituliert ohne Not. Fernsehmacher, die glauben, sie erfüllten den Auftrag der Gesellschaft durch Marktführerschaft um fast jeden Preis, haben ihren Auftrag nicht verstanden. Sie verkaufen ihre Seele.

1 Auch wenn der Intendant betont und betonen muss, »klar sind wir stolz darauf, aber Marktführerschaft war und ist nicht unser Hauptziel«. (Thomas Bellut, Etatrede Herbst 2013)

2 »Edel sei der Volkswille«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2015

3 Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 2009, 4. Auflage, S. 9

4 FAZ, 29.03.2015

ERSTER TEIL
Zerrspiegel