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VORWORT
Vincent Concort ...
Stichwortverzeichnis
ÜBER DEN AUTOR
MEHR SPANNUNG VON F. A. CUISINIER
F. A. Cuisinier
Picon und das tote Mädchen von Stonehenge
Kriminalroman
DeBehr
Copyright by: F. A. Cuisinier
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Erstauflage: 2018
ISBN: 9783957535856
Grafiken Copyright by Fotolia by Juergen Wiesler, Алексей Воробьёв
Übersetzungen und Worterklärungen finden Sie im Stichwort-Verzeichnis am Ende des Buches.
VORWORT
Einem jungen Mädchen das Leben zu nehmen, ist eines der verwerflichsten Verbrechen, das ich mir vorstellen kann! Leider müssen wir solche abscheulichen Taten in unserer Zeit täglich irgendwo auf der Welt beklagen! Umso unverständlicher ist es, dass unsere Justiz die Täter, wenn sie denn gefasst werden, sehr milde bestraft und die überlebenden Opfer einer solchen Tat, d. h. die Hinterbliebenen, ziemlich alleine und die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden, ungesühnt lässt!
Die Justitia wird in unserem Land als Personifikation der Unparteilichkeit, ohne Ansehen der Person, immer als junge Frau mit verbundenen Augen und einer Waage in der Hand dargestellt.
Füllen wir nun diese Waagschalen am Beispiel eines jungen, 16-jährigen Mädchens, das erst vergewaltigt und dann getötet wurde:
In die linke Waagschale kommt
1. Der Mord an einem jungen Mädchen von 16 Jahren. Nach heutiger Lebenserwartung hätte sie ca. 86 Jahre alt werden können – der Mörder hat also 70 Jahre Leben ausgelöscht!
2. Die Vergewaltigung, eine der brutalsten Körperverletzungen, die man einem Mädchen antun kann!
3. Die schwere Körperverletzung, die fast immer mit Vergewaltigungen einhergeht, um das Opfer an einer Gegenwehr zu hindern!
4. Die psychische Körperverletzung an den Hinterbliebenen, wie Eltern, Geschwistern, Großeltern, Freunden des Opfers, die an dieser Tat ihr ganzes Leben lang leiden müssen und, nicht selten, daran zerbrechen! (Dieses Verbrechen wird in unserer Rechtsprechung in keinster Weise berücksichtigt und einfach unter den Tisch fallen gelassen!)
In die rechte Waagschale kommt
1. Im Höchstfalle eine lebenslange Gefängnisstrafe, die allerdings, falls nicht die „besondere Schwere der Schuld“ ausgesprochen wurde, bei guter Führung, nach 15 Jahren in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wird, d. h. der Täter lebt fortan auf freiem Fuß! Wobei es erlaubt sein muss, nachzufragen, warum ein Straftäter bei guter Führung einen Bonus in Form von Straferlass bekommt! Nach meinem Rechtsempfinden hat er sich im Gefängnis erstklassig zu benehmen! Angriffe auf andere Gefangene oder gar auf Strafvollzugsbeamte müssten eine deutliche Strafverlängerung nach sich ziehen! Da Humanität (allerdings nur für Täter!) bei uns großgeschrieben wird, bekommt er im Gefängnis Zugang zu Radio, Fernsehen, Internet, Sport, Zeitungen, teilweise Freigang und nach der Entlassung Hilfe bei der Suche nach einem Job, einer Wohnung etc.
Wenn wir uns jetzt die Inhalte der Waagschalen anschauen und miteinander vergleichen, müssen wir ein haarsträubendes Ungleichgewicht feststellen!
Was, bitte, hat das auch nur im Entferntesten mit Gerechtigkeit zu tun?
Vincent Concort kam gerade von seiner, fast täglichen, Partie Pétanque nach Hause zurück, genehmigte sich ein kühles Bier und setzte sich auf seiner Terrasse in die Sonne. Es war, wieder einmal, ein sehr schönes Spiel gewesen und seine Mannschaft hatte mit 13:7, 11:13 und 13:8 gewonnen! Er war seit einem halben Jahr im Ruhestand und wohnte seit diesem Tag mit seiner Frau Irène ganzjährig auf einem ehemaligen Gestüt in der Nähe von Aix-en Provence, das sie vor vier Jahren als Altersruhesitz gekauft hatten. Im Urlaub und an verlängerten Wochenenden hatten beide mit viel Enthusiasmus und körperlichem Einsatz das Anwesen hergerichtet und für ihre Zwecke umgebaut. Die alten Stallungen, die noch sehr gut in Schuss waren, die Scheunen, den Abreiteplatz und die Longierplätze hatten sie an örtliche Interessenten verpachtet. Das Haupthaus wurde mit einer großen Terrasse und zwei Garagen versehen. Eine Scheune hatten sie behalten, als Unterstellplatz und Winterquartier für ihr Wohnmobil, das sie sich gerade erst gekauft hatten, um endlich mal zu verreisen, andere Gegenden und Städte zu sehen und frei und leger irgendwo in der Natur relaxen zu können!
„Oh, Pardon! Garçon, ich hab vergessen, Dir Wasser zu geben! Kannst Du mir noch mal verzeihen?“
Garçon war sein Hund, eine männliche Bordeaux-Dogge, die ihn überall hin begleitete, natürlich auch zum Pétanque-Spiel. Dort lag er, brav wie immer, neben dem Spielfeld und döste in der Sonne.
Vincent Concort stand auf, holte den Wassernapf und füllte ihn mit frischem, kaltem Wasser. Den Napf stellte er dann neben seinen Schaukelstuhl auf der Terrasse und sah seinem Hund beim Trinken zu. Ob man das Trinken einer Bordeaux-Dogge allerdings so bezeichnen kann, darf bezweifelt werden. Diese Rasse macht dabei durch ihre übergroßen Lefzen eine Sauerei, die einem Elefanten Ehre machen würde! Seinen Herrn störte das aber wenig, er hatte sich schon als Kind so einen Hund gewünscht! Noch vor der Pensionierung waren seine Frau und er zu einem Züchter gefahren und hatten sich einen Welpen-Rüden reservieren lassen. Am ersten Tag des Ruhestandes holten sie ihn ab und haben das auch nie bereut! Eine Bordeaux-Dogge ist ein unbestechlicher, sehr loyaler Wach- und Schutzhund, der sich besonders dadurch auszeichnet, dass er trotzdem sehr ruhig und unproblematisch am Leben seiner Familie teilnimmt, ohne zu kläffen und keine besonderen Ansprüche stellt. Da seiner Frau und ihm kein passender Namen eingefallen war, hatten sie ihn einfach „Garçon“ genannt, was auf Französisch „Junge“ heißt!
Nach dem „Drink“ für den Hund setzte sich Vincent wieder in seinen Schaukelstuhl und schaute auf seinen Lieblingsberg, die „Montagne Sainte-Victoire“, ein Bergmassiv, welches unzähligen Malern der Provence, allen voran Paul Cézanne, als Motiv gedient hatte. Kaum ein Felsengebilde zieht einen so in seinen Bann wie dieses, es hat einfach was, wie man so schön sagt!
Plötzlich störte das Klingeln seines Handys die malerische Szene und Ruhe. Seine Frau Irène war am Apparat.
„Hallo Sheriff! Hier ist Dein Deputy, was kann ich für Dich tun?“
„Hallo, alter Wadenbeißer! Gute Nachrichten, habe meinen Fall gelöst!“
Irène Concort war Gerichtsmedizinerin in Marseille und arbeitete noch, da sie erst 58 Jahre alt war und auch noch viel Spaß an ihrem Job hatte, wenn man das Obduzieren und Sezieren von Leichen als Spaß bezeichnen möchte!
„Meine Leiche war Mexikanerin aus der Gegend von Puebla, das haben die Zahn- und Haaranalyse zweifelsfrei ergeben! Recherchen der dortigen Behörden haben einen Vermisstenfall zutage gebracht, bei dem der Freund der Toten, der sie als vermisst gemeldet hatte, damals aussagte, sie hätten sich auf einer Rucksack-Reise in Paris getrennt, weil sie sich ein Kloster ansehen wollte und er die Katakomben. Danach sei sie nicht mehr aufgetaucht und er habe nach einer Vermisstenmeldung bei der Pariser Polizei den bereits gebuchten Flug nicht verfallen lassen wollen und sei nach Hause geflogen. Da sie immer davon gesprochen hatte, mal für einige Zeit in einem Kloster zu leben, sei er davon ausgegangen, dass sie die Chance dazu genutzt habe. Auf die Nachfrage, ob sie sich nicht per Handy bei ihm abgemeldet habe, sagte er aus, sein Handy sei ihm vor Notre Dame geklaut worden! Da ich aber viel von meinem Wadenbeißer-Mann gelernt habe, gab ich meinen Kollegen den Tipp, die Überwachungskameras der TGV*-Bahnhöfe überprüfen zu lassen. Und siehe da, die beiden sind noch gemeinsam von Paris nach Marseille gereist, er aber allein am nächsten Tag zurück! Mit diesem Beweis konfrontiert hat er gestanden, sie aus Eifersucht umgebracht zu haben! Ich komme gleich nach Hause, was hältst Du davon, wenn wir das Wohnmobil scharfmachen und uns ein paar Tage in Barcelona gönnen?“
„Gute Idee! Bis gleich!“
Er legte auf und dachte: „Jetzt trinke ich erst mal mein Bier aus! Ich bin ja schließlich im Ruhestand und nicht auf der Flucht!“
Als Vincent Concort nach einer halben Stunde aufstehen wollte, um alles für die bevorstehende Reise vorzubereiten, kam gleichzeitig seine Frau herein und es klingelte wieder sein Handy!
Da er die Nummer nicht zuordnen konnte, stellte er laut, nahm ab und sagte:
„Oui, vous désirez?“
„Ich bin’s!“, tönte es aus dem Apparat.
„Ich kenne keinen ‚Ich bin’s!‘“
„Bist Du jetzt schon so dement, dass Du Deinen alten Kollegen Georges am Telefon nicht mehr erkennst?“
„Alt stimmt genau!“
„Ha, ha! Spaß beiseite – Picon, ich hab Arbeit für Dich!“
„Picon“ war Vincent Concorts Spitzname gewesen, als er noch Kriminal-Kommissar im Pariser Polizeipräsidium am Quai des Orfevres gewesen war. Dort hatte er 35 Jahre lang Verbrecher gejagt und eine unvergleichliche Aufklärungsrate vorweisen können. Den Spitznamen bekam er, weil er so gerne den gleichnamigen Aperitif trank.
„Sag mal, bist Du mit knapp 50 schon so vergesslich? Ich bin seit einem halben Jahr im wohlverdienten Ruhestand!“
„Weiß ich doch! Aber dieser Fall wird Dich interessieren! Man hat in Stonehenge, in der altertümlichen, englischen Kultstätte, eine nackte Mädchenleiche gefunden, mit gefalteten Händen, wie aufgebahrt!“
„Von wegen! Du bist schon dement! – Was haben wir mit einer Mädchenleiche aus England zu tun? Und ich schon gar nicht!“
„Das Mädchen wies tiefe Fesselmale an den Hand- und Fußgelenken auf und hatte schwere innere Verletzungen ihrer Vagina! Außerdem ist ihre Haut extrem hell und von Schürfwunden übersät!! Es sieht so aus, als ob die Arme über längere Zeit in einem Verlies ohne Sonnenlicht gefangen gehalten und vergewaltigt worden ist! Ach so, hätte ich fast vergessen – sie wurde erwürgt!“
„Scheußlich! Aber was hab ich damit zu tun?“
„Du hast bei Deinem Abschied gesagt, ich zitiere: ‚Wenn Ihr mal einen Fall habt, bei dem Ihr absolut nicht weiterkommt, kann ich Euch ja beratend ein bisschen unter die Arme greifen!‘ Das ist jetzt so ein Fall!“
„Georges, das ist eine Tote aus England! Weißt Du nicht, wo England ist? England ist ein Staat in Nordwest-Europa, kein französisches Département!“
„Danke für den Geografie-Unterricht! Die Zahn- und Haaranalyse hat zweifelsfrei ergeben, dass sie bei ihrem Tod 16 Jahre alt war und aus Deiner Gegend stammen muss!“
„Wie kommst Du denn darauf?“
„Heutzutage kann man durch die Zahn- und Haaranalyse oft ziemlich genau ermitteln, in welcher Gegend ein Toter längere Zeit, vor allem zuletzt, gelebt hat!“, mischte sich Irène Concort lautstark ein.
„Da hast Du es!“, triumphierte sein ehemaliger Kollege Georges. „Außerdem hatte das Mädchen Essensreste in ihrem Magen – Ratatouille mit Tomaten, Auberginen, Zucchinis, Zwiebeln, Knoblauch und Kräuter der Provence!“
„Aber Georges, ich bitte Dich! Ratatouille wird mittlerweile auf der ganzen Welt gekocht und gegessen, sogar in England!“
„Mag sein, aber nicht dieses! Die Zusammensetzung der Zutaten entspricht einem sehr alten Rezept, welches nirgendwo aufgeschrieben ist, nur mündlich weitergegeben wurde und nur noch von sehr wenigen gekocht wird, hauptsächlich von alten Großmüttern! Die verwendeten Gemüsesorten werden heute fast nicht mehr angebaut!“
„Woher hast Du diese Information?“
„Der Gerichtsmediziner, der die erste Obduktion des Mädchens gemacht hat, ist Franzose aus Nîmes und der Liebe wegen nach England gezogen!“
„Der arme Kerl!“
„Er kennt das Gericht auch unter dem Namen „Bourbouillade“ von seiner Großmutter aus Arles! Und noch etwas – ich trau mich es fast nicht auszusprechen – sie haben ihr die Zunge rausgeschnitten – als sie noch lebte! Vermutlich schon Jahre früher!“
Irène Concort hatte genug gehört! Sie griff sich das Handy und schrie hinein: „Georges, ich will das Mädchen so schnell wie möglich auf dem Tisch haben, wir übernehmen den Fall! Das Schwein oder die Schweine krieg ich, verlass Dich drauf!“
„Wird gemacht, Irène! Gebt Euer Bestes!“
Vincent Concort sah seine Frau verwundert an.
„Ich dachte, wir wollten nach Barcelona!“
„Später, wenn ich den Fall nicht aufkläre, platze ich!“
„Na, das wollen wir doch auf keinen Fall! Ich bin dabei!“
Am nächsten Nachmittag landete eine englische Spezialmaschine für heikle Transporte, wie empfindliche Medikamente, Impfstoffe, Infusionen, Organspenden und Leichen, die alle extrem gut gekühlt werden mussten, auf dem Flughafen von Marseille. Die sterblichen Überreste des Mädchens wurden in ein Fahrzeug der Gerichtsmedizin umgebettet und mit Blaulicht und Sirenen zu Irène Concorts Arbeitsplatz gebracht. Die wartete schon ungeduldig! Mit ihrem Assistenten, einem jungen Mann von der Elfenbeinküste, der gerade mit der Uni fertig geworden war, begann sie mit ihrer Obduktion. Alles wurde penibel über Kopfbügel-Mikrofon aufgezeichnet, mit Datum und Uhrzeit, damit es vor Gericht als Beweis verwendet werden konnte, falls nötig.
Währenddessen organisierte „Picon“ Concort mit seinem Kollegen Georges in Paris die Kontrolle aller Überwachungskameras der Strecken, die ein vermutlich geschlossenes Lieferfahrzeug aus Südfrankreich nach Südengland genommen haben könnte. Denn das Mädchen war bereits 2 Tage tot, bevor sie in der Kultstätte abgelegt worden war! Das hatte die erste Obduktion ergeben.
„Nur mit einem Lieferwagen konnte die Tote dorthin gebracht worden sein!“, belehrte Picon seinen Kollegen Georges.
„Ein Pkw kommt nicht infrage, da man in den hineinsehen kann, ein riesiger Lkw, z. B. mit Anhänger würde zu oft kontrolliert werden können und die Leiche dann hinter zwanzig Paletten Ware vor Stonehenge wieder hervorzuholen, wäre zu umständlich und zu auffällig gewesen! Es musste ein Lieferwagen gewesen sein! Wahrscheinlich ein neutraler, da es nicht gut ankommt, wenn ein Fahrzeug mit der Aufschrift: „Gemüsehandel – Frisch und Lecker – für Sie direkt aus Südfrankreich“ an einer Kultstätte ein nacktes Mädchen auslädt! Der Mörder oder der Transporteur der Leiche, das müssen nicht zwangsläufig ein und dieselbe Person sein, musste damit rechnen von Weitem gesehen zu werden! Denn die Straße A303 von Amesbury nach Mere liegt nur 150 Meter entfernt, also in Sichtweite der Kultstätte! Und eine Nebenstraße nach Larkhill ebenfalls! Der Lieferwagen könnte Ware transportiert haben und möglicherweise immer noch transportieren, über die Route: Barcelona – Marseille – Lyon – Paris – Calais – Fähre / Tunnel nach England – London – Stonehenge. Oder Genua – Nizza – Marseille – Lyon – Paris – Calais – Fähre / Tunnel nach England – London – Stonehenge. Diese Strecken sollten wir kontrollieren!“
„Das könnte so gewesen sein! Aber wie wurde die Leiche verpackt? Schließlich konnte der Mörder/Transporteur sie nicht einfach nackt auf der Ladefläche liegen lassen oder neben sich auf dem Beifahrersitz anschnallen!“
„Ich denke, dass Irène das sehr schnell herausfinden wird! Bis dahin müssen wir abwarten!“
„Abwarten ist nicht gerade meine Stärke!“
„Meine auch nicht, aber vor Irènes Statement haben wir keine greifbaren Fakten, an die wir uns halten können!“
„Du hast recht! Ruf mich an, wenn sie Verwertbares herausgefunden hat!“
„Mach ich, Salut Georges!“
„Salut Picon!“
Vincent Concort legte sich in seinem Büro bei jedem neuen Fall eine Zettelwand an. Dort schrieb er jede Vermutung auf ein weißes Blatt und jeden Fakt auf ein grünes. Das sah also im Fall des toten Mädchens so aus:
Grünes Blatt: Fundort der nackten Leiche in Stonehenge mit gefalteten Händen, wie aufgebahrt.
Weißes Blatt: Der Mörder/Transporteur muss eine emotionale Beziehung zu dem Mädchen gehabt haben.
Grünes Blatt: Leiche war schon 2 Tage tot.
Grünes Blatt: Mädchen stammt aus Südfrankreich (Zahn-/Haaranalyse/Mageninhalt/Altes Ratatouille-Rezept).
Weißes Blatt: Vermutlich mit Lieferwagen dorthin gebracht.
Usw.
Bestätigte sich eine Vermutung, ersetzte er das weiße durch ein grünes Blatt, neue Fakten erhielten ein neues grünes Blatt. Stellte sich eine Vermutung als falsch heraus, entfernte er das weiße Blatt. So hatte er es immer gehalten und war stets sehr gut damit gefahren!
Irène Concort brauchte 3 Tage, bis sie sicher war, nichts übersehen oder falsch interpretiert zu haben! Dann schickte sie eine E-Mail an ihren Mann und Georges in Paris:
„Also Ihr Terrier! Ich habe Folgendes herausgefunden: Der Gerichtsmediziner aus England, der die Leiche zuerst untersuchte, hat in seiner Einschätzung der Todes- und Lebensumstände des Mädchens völlig recht! War ja auch kein Wunder, ist ja Franzose! Grins! Grins! Was ich aber noch entdeckt habe, wird Euch eine Menge Arbeit bescheren! Denn unter ihren Fingernägeln habe ich so was wie Mörtelreste isoliert, die zweifellos von einem sehr alten Gemäuer stammen müssen! Dessen Zusammensetzung lässt Rückschlüsse zu auf die Herstellung des Materials und die stammt, haltet Euch fest, aus der Antike! Die Römer entwickelten eine betonähnliche Substanz, Opus caementicium genannt, mit dem sie spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. erst Fundamente, danach ganze Bauwerke errichteten. Die Zusammensetzung: kleine Steine, Sand, gebrannter Kalk und Ziegelstaub. Durch den Ziegelstaub oder gemahlene Ziegelsteine härtete das Opus caementicium nach Zugabe von Meerwasser zu einem druckfesten Stein aus wie unser heutiger Beton. Und das auch unter Wasser! (Wichtig für Gebäude, die ständig in Kontakt mit Wasser kommen!)
Darüber hinaus fand ich in ihrer Vagina Spermaspuren von mindestens zwei Männern. Das ist aber noch nicht alles! Ihre Vagina weist sehr viele Einrisse auf, was darauf schließen lässt, dass sie beim Eindringen von Penissen oder was auch immer in sie hineingesteckt wurde, nicht feucht war, also ein klarer Fall von mehrfacher, systematischer Vergewaltigung! Und jetzt kommts: Einige Risswunden wurden ihr post mortem, also nach dem Tod, zugefügt! Da hat sich so ein mieses Dreckschwein auch noch an der Leiche vergangen!
Zu der abgeschnittenen Zunge: Das ist mindestens fünf Jahre her, der Schnitt erfolgte mit einer Art Brotmesser mit gezahnter Klinge!
Außerdem hab ich noch ein Highlight für Euch: Die Schürfwunden, die am ganzen Körper zu finden sind, wurden mit einem uralten Hausmittel gepflegt, das heutzutage völlig in Vergessenheit geraten ist – Propolis. Das ist eine von Bienen hergestellte, harzartige Masse mit antibiotischer, antiviraler und antimykotischer Wirkung, die man auf Wunden schmierte, um die Heilung zu fördern!
Übrigens: Das Mädchen muss früher einmal sehr hübsch gewesen sein! Sie hatte blonde Haare, ebenmäßige Gesichtszüge, eine sehr schöne Figur und für ihr Alter einen außerordentlich fraulichen Körper mit relativ großen, wohlgeformten Brüsten. Wie man so ein Juwel derartig grausam malträtieren kann, ist mir völlig unverständlich!
Ich fasse zusammen:
Ihr müsst erst ein antikes Gemäuer aus der Zeit der Römer finden, vermutlich irgendwo am Meer, wo sollten die Baumeister sonst z. B. im Gebirge Meerwasser herbekommen?
Dieses Gebäude, das auch eine Ruine oder ein altes Haus auf römischen Grundmauern sein kann, sollte in der Nähe von Wasser sein, sonst hätten die Erbauer nicht dieses Verfahren zur Abwehr aggressiven Wassers und zur Unterwasserhärtung gewählt.
In unmittelbarer Nähe dazu sollten sich Gemüsegärten befinden, die alte, fast vergessene Sorten kultivieren.
Und zu guter Letzt: Da das Mädchen sich das Ratatouille nicht selber gekocht und ihre Wunden nicht selber mit Propolis behandelt haben kann, muss eine Person, vermutlich eine alte Frau, dort leben, die das übernommen hat!
Viel Erfolg! Ich bin mir sicher, Ihr seid jetzt so angepisst, dass Ihr nicht aufhören werdet, die Schweine zu suchen, bis Ihr sie gefunden habt!
Anlagen
„Obduktionsbericht“
Nachdem die beiden Ermittler die E-Mail gelesen hatten, telefonierten sie miteinander: „Salut Georges! Da kommt aber mächtig Arbeit auf uns zu!“
„Salut Picon! Da hast Du wohl recht! Ich war auch nicht untätig und habe vom Amt für Denkmalpflege eine Liste aller alten Gebäude mit römischen Grundmauern, Ruinen und Gebäudeteilen angefordert! Jetzt brauchen wir die nur zu lokalisieren, eine Verbindung zum Meer herstellen und dann jemand hinschicken, der die Lokalität überprüft!“
„Genau! Deshalb habe ich mir überlegt, dass ich das übernehmen werde, allein schon deswegen, weil ich in der Nähe bin! Dafür brauche ich aber verschiedene Identitätskarten, nämlich:
Meinen alten Polizeiausweis, den hatte ich ja erst vor Kurzem erneuern lassen, weil er abgelaufen war, das Bild ist also aktuell!
Einen Ausweis des Amtes für Denkmalpflege.
Eine Identitätskarte des Ministeriums für Agrarwirtschaft und
einen Ausweis des Bauministeriums, wo ich als Inspektor für Wasserschäden an alten Gebäuden Zutritt zu Räumen habe, die Außenkontakt mit Wasser haben.“
„Geniale Idee! Kriegst Du so schnell wie möglich!“
„Merci! Darüber hinaus brauche ich Informationen, was alles auf einer Fahrerkarte und dem Fahrtenschreiber gespeichert wird! Sollten wir, hoffentlich irgendwann, einen Verdächtigen haben, können wir nachweisen, welche Strecke er gefahren ist!“
„Kriegst Du auch!“
„Ich bin aber noch nicht fertig!“
„Das habe ich befürchtet!“
„Heh! Du willst die Schweine doch auch fassen!“
„Natürlich! Was brauchst Du noch?“
„Eine Liste aller Wochenmärkte in den Départements: 13 / 83 / 84 / 04 / 30 und 34.“
„Wozu das denn?“
„Die werde ich alle abklappern, um zu sehen, wer alte, in Vergessenheit geratene Gemüsesorten anbietet und vor allem wo anbaut!“
„Sehr gute Idee, da hast Du aber reichlich zu tun!“
„Weiß ich, aber ich muss mich jetzt mit Arbeit zu dem Fall vollstopfen! Wenn ich an das arme Mädchen denke und was man ihr angetan hat, kriege ich einen dicken Hals und mir stellen sich die Nackenhaare hoch!“
„Das geht mir genauso! Also bis später einmal, wir halten ständigen engen Kontakt! Und noch was – solltest Du mal den legalen Weg der Ermittlung verlassen müssen, keine Sorge, der Chef hat schon signalisiert, dass wir alles daran setzen sollen, die Täter so schnell wie möglich zu fassen, koste es, was es wolle!“ Du verstehst, das können wir natürlich sehr großzügig auslegen!“
„Sehr gut! Salut Georges!“
„Salut Picon!“
„Das ging aber schnell, Picon, wir haben doch gerade erst telefoniert!“
„Ja, mir ist noch was Wichtiges eingefallen! Ich brauche eine Liste aller Mädchen, die vor 15 bis 17 Jahren in der Provence und dem Languedoc geboren wurden! Und eine Liste aller vermissten Mädchen Frankreichs von vor 15 bis vor 5 Jahren! Die vergleiche ich auf Gemeinsamkeiten!“
„Auch die kriegst Du! War’s das jetzt?“
„Für den Moment schon! Salut!“
Vincent Concort rief seine Frau im Gerichtsmedizinischen Institut von Marseille an: „Hast Du Sehnsucht nach mir oder willst Du nur was Fachliches zu dem Fall wissen?“, fragte Irène Concort, als sie das Gespräch auf ihrem Handy angenommen hatte.
„Beides Chérie! Zum Ersten möchte ich Dich zum Essen einladen. Was hältst Du vom „Les Deux Garçons“ in Aix heute Abend?“
„Oh, ja! Tolle Idee! Aus welchem Anlass?“
„Wenn wir nach Barcelona gefahren wären, würden wir heute Abend auch zum Essen gehen!“
„Das stimmt!“
„Und außerdem wollte ich mich im Namen des armen Mädchens bei Dir bedanken, dass Du wieder mal so hervorragende Arbeit geleistet und uns so viele Informationen gegeben hast!“
„Hab ich gerne gemacht! Ich bin ja auch ganz wild darauf, Dich bei der Suche nach den Mördern und Vergewaltigern des Mädchens zu unterstützen!“
„Damit kannst Du auch gleich anfangen! Bringe mir bitte viele kleine Plastiktütchen mit, in denen ich Mörtelreste von alten Gemäuern mit römischem Ursprung sammeln kann, damit Du sie im Labor mit denen unter den Fingernägeln des Mädchens vergleichen kannst! Und viele mittlere Tütchen, in denen ich alte Gemüsesorten auf Märkten kaufe, die Du dann mit denen aus ihrem Magen vergleichen kannst!“
„Mach ich! Ich kenne ja Dein Motto bei der Arbeit: Gute Vorbereitung ist der Schlüssel zum Erfolg!“
„Genau! Aber nicht nur bei der Arbeit! Eigentlich immer! Deshalb lege ich mir gleich als Erstes den schicken, legeren Sommeranzug für heute Abend raus, den Du mir im letzten Jahr in dem netten Second-Hand-Laden in St. Tropez gekauft hast!“
„Braaav!! Das wird ein netter Abend! Und ich ziehe mein schärfstes Sommerkleid an, das ich habe! Ich will sehen, wie den Herren der Schöpfung im Restaurant der Mund offen stehen bleibt!“
„Oh, ja! Das machst Du, darauf freue ich mich schon! Fahren wir mit dem Taxi?“
„Klar! Das bringt uns direkt vor die Tür und holt uns dort wieder ab, wenn wir die entsprechende Bettschwere haben! Denn wir wollen ja ein Gläschen trinken, nicht wahr?“
„Sehr gerne! Also bis nachher!“
„Bis nachher!“
Als sich Vincent Concort gerade angezogen hatte, um mit seinem Hund Garçon einen kleinen Spaziergang zu machen und er schon am Gartentor war, klingelte sein Handy: „Salut Georges! Was gibt’s?“
„Salut Picon! Mir ist da noch was eingefallen! Eigentlich möchte ich ja kein Foto des toten Mädchens ansehen, aber es könnte vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt der Ermittlungen hilfreich sein, eines zu haben, um es z. B. einem Verdächtigen zu zeigen! Anhand seiner Reaktion kann man eventuell Rückschlüsse ziehen, ob derjenige was mit den Vergewaltigungen oder gar dem Mord zu tun hat! Am besten auch detaillierte Fotos der Verletzungen und des Zungenrestes! Bei dem Anblick bleiben emotionale Reaktionen sicherlich nicht aus!“
„Blendende Idee! Ich sag Irène gleich Bescheid! Und sie soll auch am Computer eine Fotomontage erstellen lassen, wie das Mädchen ohne Verletzungen und als Kind ausgesehen haben könnte! Dann können wir die den Leuten zeigen, die ein vermisstes Mädchen damals gekannt haben, Eltern, Freunden und Bekannten! Und dadurch im Ausschlussverfahren den Kreis derjenigen verkleinern, die infrage kommen, möglicherweise unser Mädchen sein zu können!“
„Ja! Das ist gut! Sie soll sie mir per E-Mail und als Papierabzüge direkt ins Präsidium schicken! Danke!“
„Sag ich ihr! Und, Georges, ruf bitte heute Abend nicht mehr an! Ich gehe mit Irène essen!“
„D’accord! Ich wünsche Euch einen schönen Abend! Ich mach jetzt auch bald Feierabend! Wahrscheinlich werde ich eine Runde mit meiner alten Münch-TTS drehen! Dabei kann ich am besten den Kopf freikriegen! Das brauche ich bei dem Fall! Salut Picon!“
„Salut Georges!“
Im Pariser Polizeipräsidium am Quai des Orfevres wurde eine eigene Ermittlungs-Sonderkommission „Stonehenge“ gebildet. Der gehörten, neben Georges Devereaux, sechs der besten Ermittler Frankreichs an, unter ihnen auch drei Kommissarinnen, die alles daran setzen würden, diesen abscheulichen Fall aufzuklären und die Täter der Justiz zu überstellen! Was dann mit denen passieren würde, darüber wollte keiner der SOKO ernsthaft nachdenken! Gerechte Strafen waren nicht zu erwarten!
Die ersten Schritte dieser Ermittlungsgruppe waren Routinearbeit, Routinearbeit und nochmals Routinearbeit! Es mussten die Vermisstenfälle der letzten 15 Jahre durchgeschaut und entschieden werden, ob da Gemeinsamkeiten mit dem Mädchen von Stonehenge vorlagen oder nicht. D. h. unzählige Fotos ansehen und vergleichen, was jeden der SOKO emotional sehr berührte! Allein diese Arbeit konnten die Ermittler immer nur eine Woche lang machen, dann war die psychische Belastung für sie zu groß und sie gaben ihre Arbeit an einen Kollegen oder eine Kollegin weiter!
Die Mädchengeburten der letzten 16 Jahre mussten in eine Excel-Liste im Computer übertragen werden!