DIE FRÜHSTÜCKSFRAU
DES KAISERS
Vom Schicksal der
Geliebten
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
© 2007/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Daniela Bentele-Hendricks
Umschlaggestaltung: Gisela Kullowatz
Titelbild: © Interfoto – Archiv
E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-5773-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Über den Autor
Die Rolle der Geliebten in der Geschichte
I Die tödliche Liebe der Mary Vetsera
II Wilhelmine von Lichtenau und ihre Geister
III Rivalinnen: Charlotte von Stein und Christiane Vulpius
IV Teresa und der Vater von Maigret
V Lola Montez: Der König und die Tänzerin
VI Konstanze von Cosel, die vergessene Geliebte
VII Das Geheimnis der Marquise de Pompadour
VIII Jeanne Du Barry – ein grausames Mätressenschicksal
IX Die lasterhaften Frauen Napoleons III.
X Katharina Schratt, die Frühstücksfrau des Kaisers
Literaturhinweise
Premiere im Pariser Théâtre Français am 28. November 1802. Das Publikum tobte vor Begeisterung, der Applaus wollte nicht enden. Vor allem galt der Jubel der graziösen Mademoiselle George, der Darstellerin der Klytämnestra in dem Stück Iphigenie in Aulis. Blumen wurden auf die Bühne geworfen, und die schöne Schauspielerin in dem lang wallenden, durchsichtig schimmernden Gewand musste sich ein um das andere Mal verneigen. Sie war gerade sechzehn. In der Königsloge winkte der kleine, wie stets in grünen Samt gekleidete Herr seinen Diener Constant herbei, flüsterte ihm etwas ins Ohr; der Diener verschwand, noch ehe der Beifall geendet hatte.
Am nächsten Morgen stand eine grüne Equipage vor der Wohnung der gefeierten Schauspielerin. Mademoiselle George stieg ein. Sie trug ein rosafarbenes Kleid mit tiefem Dekolleté, einen Schal und einen Schleier. Dann ging die Fahrt durch die Stadt in Richtung Saint Cloud. Vor dem Schloss wurde die Sechzehnjährige schon erwartet. Ein Kammerdiener führte sie durch die Orangerie, dann durch eine leere Zimmerflucht mit Kandelabern und brennenden Kerzen. Es sah aus, als wäre alles zu einem festlichen Ball vorbereitet. In einem großen Boudoir, dessen Fenster den Blick freigaben auf Terrasse und Park, und das von einem großen Bett und einem noch größeren Diwan beherrscht wurde, bat der Kammerdiener die aufgeregte Besucherin um einen Augenblick Geduld. Aber noch bevor Mademoiselle George Gelegenheit hatte, sich in dem märchenhaften Zimmer umzusehen, ging neben dem Kamin eine Tür auf, und er stand vor ihr: Napoleon Bonaparte, Erster Konsul der Franzosen, wie er sich damals nannte, auffallend klein und in grüner Uniform mit rotem Kragen und roten Ärmelaufschlägen; über seine Stirn hing eine verwegene Haarlocke.
»Madame«, sagte Napoleon zu dem hochgewachsenen, schlanken Mädchen, »ich möchte Sie beglückwünschen, Sie waren wunderbar!« Und als er sah, wie sehr sein Kompliment die Schauspielerin in Verlegenheit brachte, fügte er hinzu: »Wie Sie vielleicht bemerken, bin ich netter und höflicher, als Sie es sind.«
»Aber wieso?«, stammelte Mademoiselle George verwirrt.
»Hatte ich Sie nicht schon einmal beklatscht? Hatte ich Ihnen nicht nach der Vorstellung 3000 Franc zukommen lassen? Haben Sie sich jemals dafür bedankt?«
»Aber ich wusste nicht … ich dachte … ich fürchtete …«
»Sie hatten Angst?«
»Ja, Monsieur.«
»Vor mir?«
»Ja, Monsieur.«
Napoleon lachte, er lachte laut und herzlich, und da lachte auch das Mädchen. Sie lachten und lachten, bis sie sich schließlich in den Armen lagen. Mademoiselle George blieb den ganzen Tag und die ganze Nacht. Das Einzige, das sie dabei anbehielt, waren ihre Strümpfe.
Am nächsten Morgen erst bewunderte Napoleon ihre Garderobe, die über dem Stuhl hing. »Von meinem Geld?«, erkundigte er sich selbstsicher und in der Überzeugung, sie habe sich mit seiner Zuwendung neu eingekleidet.
Die Schauspielerin schüttelte den Kopf.
»Ein anderer Mann, Madame?«
Mademoiselle George nickte. »Fürst Sapieha aus Polen. Von ihm sind Schal und Schleier.«
Da nahm Napoleon die Kleidungsstücke und zerriss sie in tausend Fetzen. Als er sich beruhigt hatte, sagte der Erste Konsul ernst: »Sie sind ehrlich, Madame, das gefällt mir. Aber Sie dürfen nie mehr etwas tragen, was nicht von mir stammt.« Dann schickte er seinen Kammerdiener Constant zum Ankleidezimmer seiner Frau Josephine und ließ neue Garderobe holen.
Josephine Bonaparte, verwitwete Marquise de Beauharnais, Tochter eines Hafenkapitäns von der Insel Martinique und seit sechs Jahren mit General Napoleon verheiratet, musste nicht nur ihre Kleider teilen, sie teilte fortan auch den Ehemann – bis Januar 1805. So lange war Mademoiselle George die Zweitfrau Napoleon Bonapartes, geliebt, beneidet, vor allem aber gut bezahlt. Es geschah häufig, dass Napoleon seiner Geliebten größere Geldsummen zusteckte. Den 2. November 1803 behielt Mademoiselle George in besonderer Erinnerung: »An diesem Abend schob mir der Konsul ein dickes Bündel Banknoten in den Ausschnitt. Es waren 40 000 Franc.«
Es wäre falsch, Mademoiselle George in die Kategorie der Prostituierten einzureihen. Das war sie nicht, weder vor noch nach Napoleon, sie war eher flatterhaft wie die Midinetten vom Montmartre, eine leichtlebige Schauspielerin, deren Berufszweig bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in dem Ruf stand, für die Eugerasie – die »Altenpflege« des Adels – zuständig zu sein.
Nicht zufällig gehörten die meisten Zweitfrauen der Geschichte diesem Berufszweig an, und die zahlreichen Hoftheater, die selbst an kleineren Residenzen wie Weimar, Bayreuth oder Ansbach aus dem herzoglichen oder markgräflichen Boden gestampft wurden, werfen die Frage auf, ob hinter der Gründung solcher Liliputbühnen wirklich Thalia und Melpomene oder nicht vielmehr Venus und Aphrodite standen, ob sich nicht die Liebe zur Kunst der Leidenschaft finanzkräftiger Potentaten unterordnen musste.
So gesehen verdankt die Menschheit den priapeischen Gelüsten vieler Herrscher architektonische Kostbarkeiten von Rang, aber auch eine bittere Erkenntnis: Ein Herrscher, der Herz und Genitalien in die Geschichte einbringt, läuft immer Gefahr, sich lächerlich zu machen. Das ist zwar ungerecht, weil diese Organe zweifellos zum Angenehmsten gehören, das menschliche Regungen hervorruft, und sogar bei Menschen wie du und ich nicht selten zu Problemen führen; doch wer auf dem Sockel der Geschichte steht, muss es sich nun einmal gefallen lassen, mit anderen Maßstäben gemessen zu werden.
Gewiss, es gibt Männer, die leben dreißig Jahre mit einer Zweitfrau, was – sagen wir es frei heraus – den Tatbestand der Misogynie erfüllt; aber wer würde glauben, dass sich hinter diesem Verhalten Seine Apostolische Majestät Kaiser Franz Joseph von Österreich-Ungarn verbirgt, der Heiligkeit und Tugend im Namen führte, ohne ehrlich davon Gebrauch zu machen. Er investierte in seine Zweitfrau, die Hofschauspielerin Katharina Schratt, umgerechnet gut 25 Millionen Euro, und das nur, weil er die resolute Dame auf andere Art und Weise liebte als seine Ehefrau, die Kaiserin Sisi. Ja, die eigenwillige Ehefrau war es sogar, die dem Kaiser die Schauspielerin zuführte, um ihren Einsamkeitskult und ihre Egozentrik besser leben zu können, ein Psychodrama auf höchster Ebene.
Schauspielerinnen waren es auch, die den englischen König Edward VII., einen Bonvivant mit Hang zu aufregenden Frauen und französischer Lebensart, um den Verstand brachten. Obwohl alles andere als ein schöner Mann, klein, dick und beinahe glatzköpfig, hatte Edward keine Schwierigkeit zu finden, was er suchte. Macht ist ein mächtiges Aphrodisiakum, es stimuliert Frauen wie Männer, selbst in England, wo null beim Tennis dieselbe Bezeichnung wie Liebe hat. Einer von Edwards Biographen brachte dessen Liebesleben auf einen einfachen Nenner: Edward zog ständig einen Schweif von verbotenem Samt und Atlas hinter sich her. Nachdem er sich einmal auf die Untreue eingelassen hatte, wurde der Prince of Wales von dieser überwältigt.
Nein, Edward VII. war nicht zu beneiden, denn bis es so weit war, bis er diesen Namen überhaupt tragen durfte, vergingen sechzig Jahre seines Lebens, und in einem Alter, in dem andere daran denken, sich aus den Regierungsgeschäften zurückzuziehen, konnte er damit erst beginnen. So lange blieb er der berufsmäßige Sohn Queen Viktorias, einer Witwe, die mit ihrem Puritanismus einem ganzen Zeitalter den Namen gab und damit den Jungen zum Hedonismus drängte. Es ist dies der gleiche Effekt, der Klosterschüler zu gottlosen Kommunisten und Seminaristen zu glühenden Antiklerikalen macht.
Obwohl seit 1863 glücklich verheiratet mit der attraktiven Alexandra von Dänemark, begann der Prince of Wales schon bald, seine Langeweile mit außerehelichen Affären zu kultivieren. Die Wohnsitze des Kronprinzenpaares, Marlborough House in London und Sandringham Hall in Norfolk, wurden zu Mittelpunkten des gesellschaftlichen Lebens in England und zur Anlaufstelle ehrgeiziger Mütter, die dem gierigen Prince of Wales ihre schönen Töchter – bei Bedarf auch sich selbst – ins Bett zu legen trachteten.
Zwei Damen der Gesellschaft spielten die Rolle der Zweitfrau des Prince of Wales und späteren Königs mit Bravour, und sie teilten sich dabei die drei letzten Jahrzehnte im Leben Edwards: Lily Langtry und Alice Keppel. Zwar lebte Edward in ständiger Geldnot, aber das hinderte ihn nicht, in die beiden Zweitfrauen ein Vermögen zu investieren, in Lily, die Schauspielerin, mehr als in Alice. Es kann aber auch sein, dass Lily mit der Freigebigkeit ihres Geliebten nur weniger diskret umging als ihre Nachfolgerin. Von Miss Langtry wissen wir jedenfalls, dass Edward ihr haufenweise Diamanten und den größten Rubin der Welt schenkte. Sie lag ihm dafür die achtziger und frühen neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts zur Seite, soweit das ihre Schauspielerkarriere zuließ.
Alice Keppel übernahm Lily Langtrys Part mit neunundzwanzig, da war Edward schon siebenundfünfzig Jahre alt und ein wohlgesetzter älterer Herr, seine Frau Alexandra hatte sechs Kinder zur Welt gebracht, und Queen Viktoria regierte noch immer. Die südländische Erscheinung Alices und ihre dralle Kleinheit nahmen den Prince of Wales sogleich gefangen. Anders als die vorlaute Schauspielerin verlor Mrs Keppel nie ein Wort über ihr ungewöhnliches Verhältnis, sodass es lange Zeit unentdeckt und auch später tabu blieb. Edward VII. liebte Alice mit der gleichen Hingabe wie seine Frau Alexandra. Die jedoch, schwerhörig und vom Schicksal mit einem steifen Knie geschlagen, was beides in Salons und Ballsälen hinderlich war, sah mit seltener Großzügigkeit über die Eskapaden ihres Mannes hinweg, solange sie nicht öffentlich wurden.
Als »Baron Renfrew« reiste Edward VII. unzählige Male übers Wochenende nach Paris, wo er im Hôtel Bristol abzusteigen pflegte, während Alice nachkam und im nahen Hôtel Vendôme logierte. Die Schlafwagenschaffner und Bahnhofsvorsteher auf beiden Seiten des Kanals waren instruiert und besorgten diskret die anfallenden Pass- und Zollformalitäten. Es war ein ungeschriebenes Gesetz – das auch nie gebrochen wurde, dass das königliche Dreiecksverhältnis nicht in den Klatschspalten der Boulevardpresse und schon gar nicht in seriösen Publikationen erwähnt werden durfte.
Nach der Thronbesteigung Edwards VII. erwarteten viele Ladys und Lords, die schon lange wegen der Geliebten die Nase gerümpft hatten, das Ende der Liaison. Aber es zeigte sich bald, dass die für ihre Diskretion bekannte Mrs Keppel nicht nur dem König, sondern sogar seinen Beratern eine Stütze war. Freilich brachte das Dreiecksverhältnis Seiner Majestät auch Probleme. Der königliche Etat sorgte zwar für eine Ehefrau, aber für eine zweite war kein Budgetposten vorgesehen, und Edwards Privatschatulle war so gut wie leer.
In Anbetracht seiner großen Tat für König und Vaterland ließ sich Alices Mann, der Hon. George Keppel, der bisher von den Latifundien seines Vaters gelebt hatte, herbei, in die Niederungen eines Londoner Geschäftsmannes einzutauchen. Womit er handelte, wusste niemand, aber Alice trug immer die vornehmste Garderobe, nahm sich Lady Sarah Wilson als Hofdame, und George, der Gehörnte, durfte ab und zu bei Königs in Schloss Sandringham dinieren. Bisweilen schlug das Protokoll Purzelbäume, wenn König Edward mit zwei Frauen an Staatsbanketten teilnahm. Alice entledigte sich jedoch aller Verpflichtungen mit Bravour. Sie verstand es sogar, den deutschen Kaiser Wilhelm II., dem sie bei seinem England-Besuch im November 1902 als Tischdame beigegeben war, für sich einzunehmen.
Als Edward VII. nach nicht einmal zehnjähriger Regierung starb, wurde Sir Ernest Cassel, der deutschstämmige Bankier und Finanzberater des Königs, bei Mrs Keppel in ihrem Haus am Londoner Portman Square vorstellig und eröffnete ihr, Seine Majestät habe für sie großzügige finanzielle Verfügungen getroffen. Alice scheint das wohl nicht so recht geglaubt zu haben. Sie zog einen Monat später aus, »um Ruhe zu haben«, wie sie sagte, und »um den Gläubigern zu entgehen«.
Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, welche für die Mathematik und eine legale Ehe gelten, haben für Zweitfrauen keine Gültigkeit. Nur wenigen wie der Marquise de Pompadour (mit Ludwig XV.) oder der Hofschauspielerin Katharina Schratt (mit Kaiser Franz Joseph) gelang der große Wurf. Die meisten Zweitfrauen der Geschichte fielen tief, sehr tief. (Vom Kopf der Jeanne Du Barry, der im Korb des Henkers landete, wollen wir gar nicht reden). In jungen Jahren an der Seite eines bedeutenden Mannes mit Macht und Reichtum ausgestattet, standen sie oft nur kurze Zeit im Rampenlicht. Verglühte aber die Leidenschaft des Mannes, so drängte sie ihre Verzweiflung oft genug in den Wahnsinn, ihr Gefühl in bitterste Armut.
Contessa Virginia di Castiglione galt zu ihrer Zeit als schönste Frau Europas, der Marquis de Herfort soll ihr für eine einzige Liebesnacht eine Million Franc geboten haben, und sie war die Geliebte Napoleons III., eine der Geliebten, die sich der Neffe des großen Bonaparte leistete. Virginia konnte nicht fassen, dass Napoleon ihr den Laufpass gab; sie wurde damit nicht fertig, ihre Sinne spielten verrückt, und sie glaubte auf einmal, hässlich zu sein wie ein Monster; sie zerschlug alle Spiegel und lebte nur noch in Dunkelheit hinter geschlossenen Fensterläden. Ihr letzter Wunsch: Sie wollte in einem Nachthemd begraben werden, das sie beim kaiserlichen Beischlaf im Schloss Compiègne getragen hatte.
Neunundvierzig Jahre lebte Anna Konstanze Gräfin von Cosel auf der einsamen Festung Stolpen. Wahrscheinlich wusste sie in ihren späten Jahren selbst nicht mehr, warum sie seit beinahe einem halben Jahrhundert in einem heruntergekommenen Turmzimmer hauste, das sie schon mehrere Male bei dem Versuch zu heizen angezündet hatte. Wände und Decke waren rußgeschwärzt, es stank bestialisch, aber niemand kümmerte sich darum. Einmal eroberten Preußen die Festung, dann wieder Österreicher, doch das Gemäuer erschien niemandem besitzenswert – wer die verrückte Alte war, interessierte ohnehin nicht. Die älteren Leute aus der Umgebung kannten die Cosel zwar noch, aber sie durften nicht darüber reden. Die Älteren starben, und die Jüngeren verloren sie aus dem Gedächtnis. Auch der, dem sie dieses Leben zu verdanken hatte, Kurfürst Friedrich August von Sachsen, starb, und nun geriet sie in völlige Vergessenheit.
Dabei war sie einmal eine ebenso schöne wie mächtige Frau, die Zweitfrau August des Starken, dem dreihundertfünfundsechzig Kinder nachgesagt werden, so viel wie das Jahr Tage hat. Im Jahre 1699 hatte sie sich vom sächsischen Kabinettsminister Adolf Magnus von Hoym scheiden lassen, um mit ganzer Hingabe die Geliebte des sächsischen Potenzprotzes zu werden, und dreizehn Jahre hatte sie dieses »Amt« auch inne, legitimiert durch eine Art Ehevertrag, der ihr Exklusivitätsrechte an Seiner Majestät und eine Jahresapanage von 100 000 Talern zusicherte. Am Ende blieb ihr weder das eine noch das andere. Zweitfrauen haben keine Rechte.
Die Geschichtsschreibung hat sich nie mit dem Leben von Zweitfrauen beschäftigt (Lola Montez und die Marquise de Pompadour sind die große Ausnahme, weil sie selbst Geschichte gemacht haben). Der Grund: Zweitfrauen schlugen keine Schlachten und unterzeichneten keine Verträge. Dass ihre Bedeutung in vielen Fällen jedoch weit über ein Liebesverhältnis hinausgeht, wird in diesem Buch deutlich. Es zeigt die Hauptpersonen der Geschichte, von denen manche einem Zeitalter oder einer Epoche den Namen gaben, einmal als Nebenfiguren und aus einer höchst ungewöhnlichen Perspektive, nämlich aus der Perspektive der Zweitfrau.
Sigmund Freud, der mit einem wahren furor biographicus an die Analyse großer Charaktere heranging (und dabei nicht einmal vor dem biblischen Moses zurückschreckte), forderte für die Therapie der Gegenwart und wissenschaftliche Bearbeitung der Vergangenheit äußerste Indiskretion. Freud bedauerte: »Für gewöhnlich erfahren wir ja, dank ihrer eigenen Diskretion und der Verlogenheit ihrer Biographen, von unseren vorbildlichen großen Männern wenig Intimes.« Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, Meister in der Kunst der Lebensanalyse, kleidete das gesamte Problem in vier Worte: »Ohne Sexualität keine Geschichte.«
Die Aura des Schweigens, die Zweitfrauen zu Lebzeiten und in den meisten Fällen auch später umgab, hatte für die Damen oft wenig erfreuliche Folgen. Viele gerieten vollkommen in Vergessenheit, weil sie es verabsäumten, gewinnbringend ihre Memoiren zu schreiben oder kompromittierende Briefe aufzubewahren. Dazu gehörten Maria Mancini, die ungekrönte Geliebte Ludwigs XIV., ebenso wie die Schwestern Louise, Pauline und Marie-Anne de Nesle, die, als Vorgängerinnen der Pompadour, Ludwig XV. die Regierungszeit vertrieben, oder Cora Pearl, die sich als Zweitfrau Edwards VII. versuchte, oder Cléo de Mérode, die Mätresse des Belgierkönigs Leopold II., eine Tänzerin, die bisweilen ihre Arbeitskleidung vergaß, oder Mlle. Gaby Deslys, die sich am portugiesischen König Emanuel II. versuchte.
Kein Mensch würde heute von Diane de Poitiers reden, der um achtzehn Jahre jüngeren Zweitfrau Heinrichs II. von Frankreich, hätte sie nicht die Maler ihrer Zeit in Verzückung versetzt. Die in jungen Jahren verwitwete Frau Groß-Seneschall der Normandie pflegte gewagte Kleider mit freien Brüsten zu tragen – darüber hinaus führte sie eine rege Korrespondenz mit ihrem Geliebten, die mindestens ebenso tief blicken ließ. Lola Montez, als Zweitfrau des Bayernkönigs Ludwig I. viel bekannter als dessen Ehefrau Therese, obwohl sie als dessen Geliebte nur zwei Jahre ihr Leben mit dem König teilte, wurde vor allem durch Zeitungsberichte und die spätere Herausgabe ihrer Memoiren bekannt.
Die stets schwarz gekleidete Lola, die statt einer Handtasche lieber eine symbolträchtige Reitpeitsche trug, verstand es, sich mit äußerster Raffinesse der damaligen Medien zu bedienen. Dazu gehörten Interviews, Vorträge und Leserbriefe ebenso wie ein eigenes Pressearchiv, das sie stets, auf mehrere Koffer verteilt, bei ihren Reisen begleitete. Ihre mehr als zweitausend Buchseiten umfassenden Memoiren sind das Werk eines oder mehrerer Ghostwriter. Sie erschienen 1851 und brachten ihr immerhin so viel Geld, dass sie damit ein neues Leben beginnen konnte.
Beinahe noch populärer als ihre autorisierten Memoiren, von denen nur ein Fünftel des Inhaltes einer objektiven Nachprüfung standhält, machten Lola Montez gefälschte Lebenserinnerungen von skandalträchtigem Inhalt. Ein Lohnschreiber namens August Papon, der bei der verstoßenen Zweitfrau für kurze Zeit die Stelle eines Sekretärs bekleidete und Einsicht in ihre Korrespondenz nehmen konnte, bot das Machwerk seiner ehemaligen Arbeitgeberin sogar zum Kauf an. Lola Montez besaß jedoch genug Selbstbewusstsein und ließ den miesen Erpresser gewähren.
Ähnlich erging es Wilhelmine Enke, geadelte Gräfin von Lichtenau, der Zweitfrau König Friedrich Wilhelms II. von Preußen. Kaum begann ihr Stern zu sinken, kaum hatte der Preußenkönig die Augen für immer geschlossen, da tauchten in Berlin und Potsdam gefälschte Memoiren und Schmähschriften auf, die ihren Herausgebern aus den Händen gerissen wurden: Geheime Papiere der Gräfin Lichtenau, Bekenntnisse der Gräfin Lichtenau, ehemalige Madame Rietz, Biographische Skizze der Madame Rietz, jetzige Gräfin Lichtenau, Versuch einer Biographie der Gräfin von Lichtenau, einer berühmten Dame des vorigen Jahrhunderts.
Aus der Feder Wilhelmines stammte keines dieser Werke. Sie selbst sah sich zehn Jahre später genötigt, eine Apologie der Gräfin Lichtenau herauszugeben, eine Verteidigungsschrift, eine Rechtfertigung. Aber zu dieser Zeit war Wilhelmine Enke, geadelte Gräfin Lichtenau, schon vergessen, und kaum jemand interessierte sich für die Wahrheit, wie es wirklich war, das Verhältnis zwischen ihr und dem Preußenkönig.
Was Kaiser Franz Joseph von Österreich-Ungarn drei Jahrzehnte für sich in Anspruch nahm, wollte er seinem designierten Nachfolger Kronprinz Rudolf in keiner Weise zugestehen: eine Zweitfrau. Nun waren Konkubinen im Hause Habsburg zwar schon immer eine Institution, aber eine Institution im Geheimen, ein Geheim-Dienst sozusagen, von dem die Ehefrauen durchaus Kenntnis hatten, aber nicht das Volk. Das eineinhalb Millionen Euro teure Konkubinat des verheirateten Kronprinzen mit der »Soubrette« Mizzi Caspar – so nannte man Ende des 19. Jahrhunderts in Wien eine Prostituierte der höheren Kreise – konnte der Märchenkaiser durchaus akzeptieren, erforderte es doch nur einen Bruchteil seiner eigenen extramatrimonialen Aktivitäten. Aber dass Rudolf eines Tages tot im Lotterbett mit einer ebenfalls toten siebzehnjährigen Baroness gefunden wurde, die er, bevor er Selbstmord beging, erschossen hatte, das war dem schockierten Kaiser zu viel. Er wies seine Geheimpolizei an, den Fall zu vertuschen. Zeugen, die die wahren Hintergründe der Tragödie von Mayerling kannten, wie Marie Gräfin Larisch oder die Mutter der beklagenswerten Baroness Vetsera, wurden geächtet und verbannt.
Da fragt man sich, was reizt eine Frau, den zweifelhaften Rang einer Zweitfrau einzunehmen? Für die abenteuerlustige, kindhafte Mary Vetsera mögen ihre siebzehn Lebensjahre und Rudolfs Stellung als Kronprinz Erklärung genug sein. Die meisten Geliebten gehen mit dem Ruf oder der Brieftasche des Angebeteten ins Bett. Tragisch wird es, wenn wahre Liebe im Spiel ist. Jede Geliebte hofft, einmal die Nummer eins zu werden, und dieser Hoffnung opfert sie alle Gefühle. Doch diese Hoffnung ist trügerisch. Männer vergessen schnell, selbst wenn sie der Geliebten das Eheversprechen mit dem eigenen Blut geschrieben haben wie Heinrich IV. von Frankreich. Es gibt nur wenige Beispiele dafür, dass die Geliebte zur Ehefrau wurde.
Manche Frauen würden es empört von sich weisen, je den Part einer Zweitfrau zu übernehmen, auf andere übt diese Rolle eine faszinierende Wirkung aus. Mit Treue oder Untreue hat das wenig zu tun – nicht vonseiten der Frau. Lola Montez, eine Frau, die es wissen muss, erklärte sich so: »Meine Natur gestattete es mir nicht, ein Weib der Gewohnheit, ein sozusagen traditionelles Weib zu sein, ein Weib, welches sein höchstes Glück darin sieht, dem Mann eine gute Brühe und ein freundliches Gesicht zu machen.« Lola Montez war drei Mal verheiratet. Wohlgefühlt hat sie sich nur in ihrer Rolle als Zweitfrau Ludwigs I.
Was den Begriff Treue betrifft, also das Festhalten an einem Partner, so hat sich die Auffassung darüber seit Adam und Eva mehrfach gewandelt. Seltsamerweise wird heute Untreue als viel verwerflicher angesehen als in früheren Zeiten, seltsam deshalb, weil viele glauben, unsere Gegenwart sei die moralisch verkommenste Zeit, die es je gab. Davon kann keine Rede sein. Karl der Große, der allzu gerne in den Zustand der Heiligkeit gerückt wird, war vier Mal verheiratet: mit der Langobardin Desiderata (die der »Heilige« in die Wüste schickte), mit der Alemannin Hildegard (die ihm vier Söhne und fünf Töchter gebar), mit der Fränkin Fastrada (von der er zwei Töchter bekam) und mit der Alemannin Liutgard (die seine Kaiserkrönung nicht mehr erlebte). Daneben zog Karl immer einen Pulk Zweitfrauen hinter sich her, mit denen er in sogenannter Friedelehe lebte, einer Ehe mit einer freien Frau, die er ohne Verpflichtungen lösen konnte, wann immer es ihm beliebte. Und es beliebte häufig.
Im Mittelalter, ja bis ins 19. Jahrhundert hatten Ehe und Treue einen anderen Stellenwert als heute, vor allem wenn sich die Partner in erlauchten Kreisen bewegten, also von Adel waren. Ein König heiratete aus Gründen der Staatsräson eine Frau, die er meist noch nie gesehen hatte. Der Name genügte oder die Mitgift oder Macht- und Gebietsansprüche, die sich aus der Verbindung ergaben. Eine Zweitfrau, welche die erotischen, manchmal auch geistigen Bedürfnisse des Ehegatten befriedigte, war von vornherein eingeplant, provozierte also keinen Skandal – wie das heute der Fall ist.
Eine französische Autorin, die alle Herrscher Frankreichs unter die Lupe genommen hat, kam zu dem verblüffenden Ergebnis, dass nur zwei von ihnen aus Liebe geheiratet haben. Aber alle hatten eine oder mehrere Zweitfrauen: Franz I. schenkte seine Gunst Françoise de Châteaubriand und der Herzogin von Étampes. Heinrich II. war Diane de Poitiers verfallen. Heinrich IV. liebte Gabrielle d’Estrées, Henriette d’Entragues und Charlotte de Montmorency. Ludwig XIV. brachte es auf vier Zweitfrauen: Maria Mancini, Louise de La Vallière, die Marquise de Montespan und die Marquise de Maintenon. Ludwig XV. war den Schwestern Louise, Pauline und Marie-Anne de Nesle verfallen, außerdem der Marquise de Pompadour und Madame Du Barry. Napoleon I. verfügte über Mademoiselle George und die Gräfin Marie Walewska, Napoleon III. über Harriet Howard, Marguerite Bellanger und Virginia di Castiglione. Nebenbei waren alle verheiratet.
Zweitfrauen begegnen wir nicht erst in der neueren Geschichte, in dieser Epoche hat ihnen das Christentum nur einen pikanteren Status verliehen. Von Zweitfrauen ist schon im Alten Testament die Rede und im Zusammenhang mit so honorigen Männern wie Abraham oder König David, und eigentlich ist dort auch schon die gesamte Problematik der Zweitfrau erklärt. Abrahams Zweitfrau Hagar verrichtete ihren Dienst mit Billigung von Ehefrau Sarah – bis Hagar ein Kind zur Welt brachte und Sarah von oben herab behandelte. So endete das Dreiecksverhältnis. Der biblische David war ein rechter Weiberheld mit mehreren Ehefrauen und einer Reihe Zweitfrauen, von denen Bathseba wohl die bekannteste ist, eine verheiratete Frau. Damit er ganz allein über sie verfügen konnte, stellte David ihren Ehemann Uria in die vorderste Schlachtreihe. Uria fiel, und Bathseba gebar einen Sohn, den berühmten Salomo. »Doch dem Herrn missfiel, was David getan hatte« (2. Kg, 11,27).
Im alten Griechenland hatten Zweitfrauen einen besonderen Namen, vorausgesetzt, sie bewegten sich in besseren Kreisen. Diese Zweitfrauen hießen Hetären, was so viel wie Lebensgefährtin bedeutet, und sie standen – im Gegensatz zu heute – in hohem öffentlichen Ansehen. Viele waren hochgebildet und dienten einflussreichen verheirateten Männern sowohl als Bettgespielin wie als politische Beraterin. Die zwei bekanntesten Hetären sind Phryne und Aspasia.
Phryne gelang es, Praxiteles, dem bedeutendsten Bildhauergenie aller Zeiten, den Kopf zu verdrehen, als sie ihm Modell saß. Phryne, die nie Make-up auflegte und dennoch jede geschminkte Konkurrentin ausstach, hatte, noch bevor sie Praxiteles kennenlernte, mit Hingabe so viel Geld verdient, dass sie den Männern von Theben den Vorschlag machte, die von Alexander dem Großen zerstörte Stadt auf eigene Kosten wiederaufzubauen. Einzige Bedingung: Im Zentrum der Stadt sollte eine Tafel aufgestellt werden mit der folgenden Inschrift: »Alexander hat die Stadt zerstört, aufgebaut hat sie Phryne, die Hetäre.« Die Thebaner lehnten dankend ab.
Dennoch, ihr Selbstbewusstsein blieb ungebrochen. Den Athenern bot sie eine Wette an, den Philosophen Xenokrates, einen Schüler Platons, der mit der Philosophie verheiratet war (er pflegte seine Wirkungsstätte, die Athener Akademie, nur einmal im Jahr zu verlassen), mit ihren Reizen zu verführen. Xenokrates galt schlichtweg als unempfänglich für weibliche Reize, so sie nicht der göttlichen Erleuchtung dienten. Aber welche Frau mag das schon von ihren primären Geschlechtsmerkmalen behaupten – von den sekundären ganz zu schweigen. Trotzdem passte Phryne Xenokrates ab, als er gerade wieder einmal seine Studierstube verließ. Auf welche Weise sie dem Vergeistigten dabei gegenübertrat, überliefern weder Pausanias noch Plutarch, die sonst jeden Skandal breitgetreten haben; wir erfahren nur, dass Phryne die Wette verlor.
Der Reiz des Verbotenen fordert eben immer eine Portion Dummheit, und dennoch: Was wäre das Leben auf diesem Planeten ohne Dummheit? Nein, Phryne verlor zwar die Wette gegen Xenokrates, aber sie gewann gegen die obersten Richter Athens, und dieser Sieg war von viel größerer Bedeutung; denn Phryne war der Asebie, der Gotteslästerung angeklagt, und darauf stand die Todesstrafe. Es sah nicht gut aus für sie in dem Prozess, aber in ausweglosen Situationen können Frauen immer auf zwei todsichere Mittel zurückgreifen: heiße Tränen und weibliche Reize. Also ließ Phryne erst ein paar Tränen, dann ihr Gewand zu Boden fallen, reckte den Richtern ihre Brüste entgegen und schluchzte in aller Unschuld: »Und so was wollt ihr in den Hades schicken?« Der Prozess endete mit einem Freispruch.
Nicht weniger Ruhm erntete Aspasia, eine Schönheit aus Milet. Sie kam in den vierziger Jahren des 5. Jahrhunderts vor der Zeitenwende nach Athen, um Perikles kennenzulernen, den größten Verehrer weiblicher Schönheit, Politiker und Feldherrn seiner Zeit – in dieser Reihenfolge. Perikles ist ein frühes Beispiel für ein Naturgesetz, nach dem die hässlichsten Männer die schönsten Frauen haben. Perikles hatte einen katastrophalen Eierkopf, und das war der Grund, warum er nie ohne Helm herumlief (behauptete schon Plutarch). Obwohl verheiratet mit einer Athenerin, wurde er von Frauen verfolgt und angebetet wie eine Statue des Phidias, und nicht selten erhörte Perikles die Gebete frommer Frauen. Er pflegte seine Geliebten auf ungewöhnliche Weise zu beschenken, der »Meerzwiebelkopf« – so sein Spitzname bei den Athenern – schenkte nicht etwa Gold oder Edelsteine, er schenkte jedes Mal einen Pfau. Zu diesem Zweck unterhielt Perikles eine Pfauenfarm.
Eine Frau wie Aspasia, deren Ruhm weit über die Grenzen des persischen Großkönigtums hinausging (selbst König Kyros nannte seine liebste Beischläferin Aspasia, obwohl sie Milto hieß), gab sich natürlich nicht mit einem Pfau zufrieden. Sie wollte Perikles, und zwar ganz. Aspasia ruhte nicht eher, bis der »Meerzwiebelkopf« sich von seiner Frau scheiden ließ und sie heiratete. Der Fall erregte in der Hauptstadt Athen großes Aufsehen. Honorige Männer schickten ihre noch honorigeren Ehefrauen zu Aspasia mit der Bitte, sie doch teilhaben zu lassen an ihren Künsten. Ob auch Xanthippe, die Frau des weisen Sokrates, unter den Klientinnen war, ist nicht überliefert; Plutarch weiß jedoch zu berichten, dass Sokrates durchaus zu Aspasias Verehrern gehörte und manchmal sogar seine Musterschüler mitbrachte, obwohl Aspasia »ein keineswegs ehrbares und anständiges Gewerbe trieb«. Neben ihrer Schönheit verfügte Aspasia über eine Reihe von Talenten, die bei Frauen des klassischen Altertums nur selten anzutreffen waren. Ihre Umgangsformen waren ebenso beispielhaft wie ihre Redegabe, eine Kunst, die den alten Griechen mehr bedeutete als alles andere, und dazu verfügte sie noch über eine politische Begabung. Perikles machte Aspasia nicht nur zur Bettgespielin, sie wurde auch seine engste Beraterin. Der Samische Krieg, heißt es, habe auf ihre Initiative hin stattgefunden.
Ungewöhnlich ist das Andenken, das die Athener Aspasia bewahrten. Es entspricht dem Gegenteil von der Regel. Gemeinhin finden Frauen vom Schlage Aspasias bei Dichtern Verständnis, bei Philosophen aber Verachtung. Bei Aspasia war es umgekehrt: Die Dichter Athens machten Aspasia in ihren Komödien lächerlich, nannten sie eine »hundsäugige Dirne« (was im Gegensatz zur kuhäugigen Athene ein Schimpfwort war), die Sokratiker aber schlossen sie noch jahrzehntelang in ihre hohen und edelmütigen Gedanken ein.
Künstler standen seit jeher den sexuellen Gewohnheiten des Adels in keiner Weise nach. Das Volk gestand ihnen Narrenfreiheit zu, und die galt auch im Hinblick auf eine Zweitfrau. Musiker, Maler und Dichter rechtfertigten ihre Geliebten als Musen zur Anregung der – künstlerischen! – Potenz, und nicht selten war das auch so. Johann Wolfgang von Goethe, der gehemmte Spätentwickler und späte Ehemann, machte das Thema Zweitfrau zum Thema seines Lebens. Ehefrau Christiane, vom Dichter geliebt und begehrt, nimmt in seinen Werken nur Statistenrollen ein. Die Hauptrollen sind von seinen Geliebten besetzt, und der Dichter machte daraus kein Geheimnis: Seine Figuren, sagte er, seien alle erlebt.
Man muss keine großen Forschungen betreiben, um Charlotte von Stein als Iphigenie wiederzuerkennen, Friederike Brion als Marie im Clavigo, Marianne Willemer als Suleika im Westöstlichen Diwan, Minna Herzlieb als Ottilie in den Wahlverwandtschaften und die siebzehnjährige Altersliebe des Vierundsiebzigjährigen, Ulrike von Levetzow, als Pandora in der Marienbader Elegie. Sie war auch die einzige Frau, der Johann Wolfgang von Goethe spontan einen Heiratsantrag machte. Der abschlägige Bescheid hatte für beide katastrophale Folgen: Goethe zog sich in Depressionen und Einsamkeit zurück, Ulrike suchte das Vergessen im Kloster.
Mit den wenigsten Verhältnissen, die Goethe »angedichtet« werden, hat der Dichter auch geschlafen. Leidenschaft bedeutete für ihn in erster Linie Unerfülltsein, Sehnsucht. Und dieser Sehnsucht verdanken wir die aufregendsten Rollen in seinen Werken und die glutvollsten Texte. Seiner Dauergeliebten Charlotte von Stein, die er zwölf Jahre glühend verehrte, ohne auch nur einmal zum Ziel zu kommen, schrieb er 1800 Briefe, obwohl sie nur ein paar Häuser weiter lebte. Ehefrau Christiane musste sich mit 354 bescheiden.
Was ihren Hang zu Zweitfrauen betrifft, so werden Dichter nur noch von Musikern übertroffen, allerdings wurden ihre Affären weniger bekannt als die der Dichter. Denn während Dichter schon einen unverhofften Beischlaf in ein Theaterstück, zumindest aber ein Gedicht, umsetzen, schreiben Komponisten in der gleichen Situation nur selten eine Oper. Zu mehr als einem Lied ließ sich kaum ein Komponist hinreißen. Nur Johann Strauß, der große Charmeur und Walzerkönig, machte eine (un)rühmliche Ausnahme: Er schrieb eine Helenen-, Cäcilien-, Elisen- und Olga-Polka, einen Adelen-Walzer, Josefinen-Tänze, die Annika-Quadrille und den FannyMarsch, was voraussetzte, dass Strauß mit den betitelten Damen mehr als nur diniert hatte.
Strauß war drei Mal verheiratet und nahm weitere dreizehn Mal Anlauf zu einem solchen Unternehmen, jedenfalls bezeichneten sich dreizehn Damen als verlobt mit Strauß – seine kurzen Abenteuer wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnen. Wie Goethe war Strauß der geborene Junggeselle, und er blieb es auch, wenn er gerade wieder einmal verheiratet war. Als er mit siebenunddreißig diesen Schritt zum ersten Mal wagte, trugen die Wiener Madln Trauer. Warum ausgerechnet die?, fragten sie, eine sieben Jahre ältere Sängerin mit sieben (!) unehelichen Kindern, abgelegte Zweitfrau des Wiener Bankiers Moritz Todesco?
Jetty Treffz, so nannte sich die Auserwählte (richtig hieß sie Henriette Chalupetzky), hatte für Strauß die gleiche Bedeutung wie Christiane für Goethe, sie war ihm Mutter, Geliebte und Hausfrau und sah auch über alle Zweitfrauen hinweg, denen der Walzerkönig nach wie vor huldigte. Jetty starb nach sechzehn Jahren, und Strauß ging schon sechs Wochen später eine neue Ehe ein: Lily, ebenfalls Sängerin, aber um fünfundzwanzig Jahre jünger als der Hochzeiter, hielt es nur ein paar Wochen bei ihm aus, sodass Strauß es noch ein drittes Mal versuchte. Die Auserwählte hieß Adele, war einundzwanzig Jahre jünger, aber dennoch schon Witwe, und hieß, ohne verwandtschaftliche Zusammenhänge, ebenfalls Strauß. Um Adele Strauß heiraten zu können (die Gesetze der k.u.k. Monarchie verboten die Wiederverheiratung Geschiedener), wurde Johann Strauß evangelisch und Bürger von Sachsen-Coburg-Gotha. Er liebte Adele, aber auf andere Frauen wollte er deshalb nicht verzichten.
Zweitfrauen, immer wieder Zweitfrauen waren es, die Theaterdichter in abgründige Theatergeschichten verstrickten. Ihr Leben geriet bisweilen zur Posse, viel häufiger aber zur Tragödie. Johann Nestroy und Ferdinand Raimund ähneln sich nicht nur im literarischen Genre, auch ihr Schicksal trägt verwandte Züge (eigentlich zählte auch Franz Grillparzer zu dieser Kategorie, der Finanzverwaltungs-Archivdirektor mit seiner »ewigen Braut« Kathi Fröhlich; Grillparzer jedoch war nie verheiratet). Nestroy und seine Zweitfrau Marie Weiler fanden trotz vollzogener Scheidung des Bühnendichters kein Happy End, weil Nestroy als Geschiedener nicht mehr heiraten durfte und, statt Umwege über Sachsen-Coburg-Gotha zu machen wie Johann Strauß, lieber oberflächliche Zerstreuung suchte bei den süßen Wienerinnen, die dem gefeierten Bühnenstar zu Füßen lagen. Dass er in seinem Innersten unglücklich blieb und zum Satiriker und beißenden Kritiker des Biedermeier wurde, das verdanken wir in der Hauptsache seinen persönlichen Umständen.
Sein älterer Kollege Ferdinand Raimund sprach ganz offen aus, dass er dem heftigen Temperament seiner Zweitfrau Toni Wagner »die Geburten seiner Kunst« verdankte. Verheiratet war Raimund nur kurz und widerwillig, denn die Frau, die er eigentlich haben wollte, Toni Wagner, deren Vater ein reicher Kaffeehausbesitzer war, hatte dem hergelaufenen Komödianten kategorisch die Ehe verweigert. Deshalb stürzte sich Ferdinand in seiner Verzweiflung auf die minderjährige Schauspielerkollegin Luise Gleich, mit der er allabendlich auf der Bühne stand, und die Raimund-Posse nahm ihren Lauf.
Am Morgen des anberaumten Hochzeitstages kam es zum Streit zwischen den Ehestandskandidaten, und Luise biss Ferdinand in den Finger, was den unter einer Tollwutphobie leidenden Komödianten zu dem Ausruf: »Beißen auch noch!« und anschließender Flucht veranlasste. Das war am 4. April 1820. Am 5. April stand Raimund im Theater in der Leopoldstadt auf der Bühne und wurde ausgebuht, weil er die bissige Braut sitzengelassen hatte. Drei Tage später gab er schließlich doch noch sein Jawort, keine zwei Jahre später wurde die Ehe geschieden. Grund: »Unordentlicher Lebenswandel, Treulosigkeit, Misshandlungen und wiederholte Kränkungen nach Paragraph 109«.
Noch während seiner Ehe hatten sich Raimund und Toni Wagner regelmäßig im Haus Ankergasse 25 getroffen, wo ihnen eine Theaterfriseurswitwe ein Zimmer vermietete, und zum Schein ließ Toni sich jahrelang von Anton Collet, einem Hauptpostamtoffizial, ausführen, der ihr den Hof machte. Heiraten konnten und durften sie nicht, also spielten sie ein Leben lang Theater. Von Ferdinand Raimund glaubt man zu wissen, dass er nach seiner Scheidung Toni kein einziges Mal betrogen hat. Ob das auch für Toni Wagner gilt, ist keineswegs sicher. Und das stürzte den Komödianten in tiefe Unruhe, er wurde immer mehr zum Sonderling. Sein Stück Der Alpenkönig und der Menschenfeind trägt starke autobiographische Züge.
Raimund wurde selbst zum Menschenfeind, ging nie ohne Pistole auf die Straße und verrammelte sein Haus wie eine Festung. Seine Zweitfrau, die er liebend gerne zur Erstfrau gemacht hätte, überwachte er mit einer gewissen Hilflosigkeit. Das führte zu immer neuen Problemen zwischen den beiden. Vor allem beklagte Raimund Tonis sexuelle Reserviertheit.
Auf einer der ganz seltenen gemeinsamen Reisen im August 1836 kam es zur Katastrophe. Im Gasthof Zum Hirschen in Pottenstein, wo Ferdinand und Toni sich eingemietet hatten, steckte sich der schwierige Komödiant eine Pistole in den Mund und drückte ab. Es dauerte sechs Tage, bis er tot war. Angst vor Tollwut sei das Motiv gewesen, heißt es. Die Wahrheit kannte nur die von Raimund zur Universalerbin eingesetzte Antonie Wagner, aber die schwieg.
Wiener Ärzte nahmen im Hirschen die Obduktion der Leiche vor. Dabei wurde die Hirnschale abgespalten. Toni bewahrte sie dreiundvierzig Jahre in einem Kästchen auf. So lange überlebte sie Ferdinand Raimund.
Diese Geschichte ist ungewöhnlich. Denn im Dreiecksverhältnis Mann-Ehefrau-Zweitfrau trifft den Mann, den eigentlichen Urheber des Problems, das tragische Ende nur selten. In erster Linie ereilt es die Geliebte, seltener die Ehefrau, und das hat einen einfachen Grund: Zweitfrauen sind relativ leicht zu ersetzen, Ehefrauen nur unter hohem Aufwand.
Für den Mann ist die Geschichte der Geliebten kein Ruhmesblatt. August der Starke, Ludwig XV. von Frankreich, König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, Ludwig I. von Bayern, Kaiser Franz Joseph von Österreich oder Johann Wolfgang von Goethe – sie alle haben ihre Meriten. Aber betrachtet man ihr Privatleben, das in Geschichtsbüchern keinen Eingang findet, so schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte, und Goethe wird zum verklemmten Sexualneurotiker, Franz Joseph zum sabbernden Lustgreis, Ludwig I. zum Busenfetischisten, König Friedrich Wilhelm II. zum Peepshow-Besucher, Ludwig XV. zum Bordellbetreiber und August der Starke zum krankhaften Potenzprotz. »Ich erfahre es alle Tage«, sagte die Marquise de Pompadour, »dass es keine schlimmere Gesellschaft gibt als die gute.«
»Ein letzter Abschiedsgruß in Gedenken allen schönen Frauen Wiens, die ich so sehr geliebt …«
Aus dem Testament Erzherzog Rudolfs,
Kronprinz von Österreich-Ungarn
Ein Fall für Sigmund Freud: Mann (30) erschießt nach dem Geschlechtsverkehr siebzehnjährige Geliebte, anschließend sich selbst. Selten finden Freuds Theorien der Psychoanalyse so eindeutige Bestätigung: Nach Freud ist die Libido der Hauptantrieb menschlichen Verhaltens, und eine gestörte Libido provoziert einen Todes- und Destruktionstrieb. Ja, sogar seine Theorie, dass zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr das Schicksal des Einzelnen besiegelt wird, scheint hier Bestätigung zu finden.
Arzt und Patient wären – so sie sich jemals getroffen hätten – etwa gleich alt gewesen, und zeitweilig lebten sie nur wenige Gehminuten voneinander, aber zu einer Begegnung ist es nie gekommen. Denn als Freud seine revolutionären Erkenntnisse veröffentlichte, war der andere schon lange tot, erschossen, seinem Destruktionstrieb folgend.
Erzherzog Rudolf, Kronprinz von Österreich-Ungarn, war von Geburt ausersehen, Kaiser zu werden, und vermutlich wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, hätte er nicht 1889 sein Leben im Bett mit einer Siebzehnjährigen und einer Pistole beendet. Das Mädchen wie die Pistole sind in diesem Zusammenhang – auch das bestätigt Freud – nur Symbole. Das Mädchen kannte er wohl, er hatte mit ihm aber nur einmal geschlafen. Eigentlich hasste er Frauen (sein Verschleiß an Zweitfrauen ist ein Beweis dafür). Die Pistole erschien ihm als die schnellste und sauberste Sterbehilfe. Doch Rudolf wäre auch ohne den tödlichen Schuss vom 29. Januar 1889 vorzeitig aus dem Leben geschieden, dahingesiecht an Syphilis, am Suff und Morphium, ohnehin halbirre. Frauen, von denen er mehr verbrauchte als sein unsterblich scheinender Vater Kaiser Franz Joseph, waren nicht die Ursache für diese Entwicklung, aber sie waren ihm eine Hilfe bei seinem Selbstvernichtungstrieb. In der Tat ein Fall für die Psychoanalyse.
Rollen wir den Fall, der unter dem Codewort »Mayerling« in die Geschichte eingegangen ist, von hinten auf:
Kaiser Franz Joseph zitierte seinen Sohn und Thronfolger Rudolf am Sonntag, dem 27. Januar 1889, in die Hofburg. Grund der – wie später zu hören war – heftigen Unterredung: Seine Apostolische Majestät hatte auf Umwegen erfahren, dass sein eigener Sohn, der künftige Kaiser von Österreich-Ungarn, beim Papst um die Annullierung seiner Ehe angesucht habe. Rudolf hatte, um der Staatsräson zu genügen, im Mai 1881 die Tochter des wegen seiner Grausamkeit als Kolonialherr berüchtigten Belgierkönigs Leopold II., Stephanie, geheiratet, mit dieser aber, trotz anfänglicher Zuneigung, kein Glück gefunden, dafür aber ständige Schwierigkeiten wegen seiner zahllosen Liebschaften. Die Unterredung zwischen Vater (Kaiser) und Sohn (Feldmarschallleutnant, Generalinspekteur der Infanterie und Vizeadmiral) endete mit einem lautstarken Krach, in dessen Verlauf Franz Joseph seinen Sohn Rudolf anschrie, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um diese Scheidung zu verhindern, während Rudolf resigniert erwiderte, nun wisse er, was er zu tun habe.
Am Vormittag gegen zehn Uhr desselben Tages betrat Kronprinz Rudolf das Grand Hotel an der Wiener Ringstraße, um sich mit Marie Gräfin Larisch-Wallersee zu treffen. »Die Larisch«, wie sie allgemein genannt wurde, bewohnte samt Zofe Jenny und Hund in dem feinen Hotel die Zimmer 21, 23 und 28, um sich, wie sie hatte wissen lassen, in Wien einer Zahnbehandlung zu unterziehen. Das mag gestimmt haben oder nicht – den Zahnärzten im heimischen Pardubitz ging nicht der beste Ruf voraus, aber Marie war jedes Mittel recht, um der langweiligen Ehe mit dem Grafen Georg Larisch-Mönnich zu entkommen.
Alle wussten, dass Marie ein wilder Trieb am Stammbaum der Wittelsbacher war (weniger poetisch: Herzog Ludwig in Bayern hatte ein Techtelmechtel mit der Schauspielerin Henriette Mendel gehabt), aber als sie Georg heiratete, war sie längst geadelt und damit von der Unperson zu einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens geworden, die genug Gesprächsstoff hergab. Mehr als es ihrem Stand zukam, pflegte sie das gesellschaftliche Leben, und obwohl ihre Ehe alle Züge einer Tragödie trug, spielte sie mit ihrem Ehemann nach außen hin die immerwährende Komödie. Über Rudolfs Mutter Elisabeth, die aus Bayern stammte, waren der unglückliche Kronprinz und die erlebnishungrige Gräfin Cousin und Cousine, ein Umstand, den die Larisch vor allem nutzte, um den österreichischen Vetter um Geld anzupumpen.
Nun konnte die Cousine sich revanchieren. Nicht, dass er mit ihr ein Verhältnis anfangen wollte, Marie war nicht sehr hübsch, vor allem erfüllte sie nicht ein wesentliches Kriterium: Sie war weder wesentlich jünger noch wesentlich älter als Rudolf, sondern gleich alt; aber Frauen, die den dreißigjährigen Kronprinzen interessierten, mussten entweder älter sein oder naive junge Mädchen, und damit scheint der Fortgang der Geschichte vorgezeichnet.
Die Larisch war mit einem siebzehnjährigen Mädchen befreundet, das den Kronprinzen, von dem es wusste, dass dieser verheiratet, aber auch ein Schwerenöter war, glühend verehrte: Marie Alexandrine, genannt Mary Vetsera. Monatelang hatte Mary den Kronprinzen auf Schritt und Tritt verfolgt, ihm aufgelauert, wenn er mit der Kutsche durch die Stadt fuhr, im Theater das Opernglas auf seine Loge gerichtet statt auf die Bühne, und endlich hatte sie ihm einen Brief geschrieben, dessen Wortlaut wir nicht kennen, dessen Inhalt jedoch unschwer zu erraten ist: Mary Vetsera dürfte dem Kronprinzen ihre Liebe gestanden, vielleicht sogar einen »unsittlichen Antrag« gemacht haben.
Von besonderer Pikanterie war die Situation schon allein deshalb, weil Marys Mutter, die Baronin Helene Vetsera, geborene Baltazzi, eine Schönheit der Wiener Szene, verheiratet mit einem zweiundzwanzig Jahre älteren k.u.k. Diplomaten, dem Kronprinzen zehn Jahre zuvor auf ähnliche Weise nachgestellt hatte. Wie ihre Tochter hatte sie Rudolf lange Zeit auf Schritt und Tritt verfolgt. Sogar der Kaiser hatte sich darüber mokiert: »Was diese Frau mit Rudolf treibt, ist unglaublich!« Nicht selten zwingen Mütter ihren Töchtern das auf, was sie selbst nicht erreicht haben. Es ist daher denkbar, dass Baronin Helene hinter den Schwärmereien ihrer Tochter Mary stand, und Gräfin Larisch sollte in der Angelegenheit vermitteln.
Obwohl seit Jahren mit dem stadtbekannten »Callgirl« Mizzi Caspar verbandelt, zeigte Kronprinz Rudolf an dem Abenteuer mit einer Siebzehnjährigen größtes Interesse. Warum, wo Rudolf doch nicht klagen konnte, was einen schnellen Seitensprung betraf?
»Als ich das erste Mal Gelegenheit hatte, ihre Schönheit zu bewundern«, notierte Prinzessin Louise von Coburg in ihren Lebenserinnerungen, »habe ich wirklich beinahe die Fassung verloren.« Nun gibt es in Bezug auf die Schönheit einer Frau keine härteren Kritiker als Frauen. Mary Vetsera muss also wirklich unbeschreiblich schön gewesen sein; denn auch die Gräfin Larisch geriet ins Schwärmen und beschrieb Mary als so süß und lieblich, »dass jeder sie gern haben musste«. Sie sei vom Instinkt her kokett und unbewusst unmoralisch in ihren Neigungen gewesen, dabei sinnlich wie eine Orientalin.