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Ross Lynch
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© 2018 Verena Hartner
Alle Rechte vorbehalten
Illustration: Verena Hartner
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7460-4259-6
„Emily, muss das sein?“
Meine beste Freundin Lizzy machte einen Gesichtsausdruck wie letztes Jahr im Bio-Unterricht, als wir einen Frosch sezieren mussten.
„Ja, bitte!“, sagte ich mit Nachdruck.
Wir saßen im Schulhof, hatten Mittagspause und ich war eben dabei, all meine Überzeugungskunst und mein Wissen aus unserem Nachmittagskurs „Rhetorik für Anfänger, Teil 1“, einzusetzen, um Lizzy zu überreden, auf meine Geburtstagsfeier zu kommen. Für alle, die es wundert, dass meine beste Freundin so standhaft darauf beharrte, der Party fernzubleiben, will ich hier einen kurzen Exkurs machen und meine missliche Lage erklären: Meine Eltern sind leider ziemlich reich. Wir wohnen in einer riesigen Villa am Stadtrand, haben ein Stubenmädchen und einen Gärtner und außerdem ein Musikzimmer und eine Bibliothek mit Büchern, die kein Mensch je liest, denn meine Mutter hat sie nur gekauft, weil die goldgeprägten Ledereinbände gut zu den Regalen aus Nussbaumholz passen. Meine Mutter ist auch diejenige, die es sich nicht nehmen lässt, sämtliche festliche Aktivitäten, die in unserer Familie stattfinden, selbst zu organisieren - egal ob es das 25jährige Firmenjubiläum der Kanzlei meines Vaters ist, meine Geburtstagsparty oder die Feier anlässlich von Tante Agathes bestandener Führerscheinprüfung (Tante Agathe hat nämlich vor Kurzem im betagten Alter von 68 Jahren nach ca. zwanzig vergeblichen Versuchen wider Erwarten ihren Führerschein gemacht. Gerüchten, nach denen sie den Fahrlehrer bestochen oder erpresst haben soll, bin ich nicht weiter nachgegangen).
Wenn man sechzehn ist, hat man im Allgemeinen wenig übrig für klassische Musik und Abendkleidzwang, was bisher leider noch nicht zu meiner Mutter durchgedrungen ist. Das führt regelmäßig dazu, dass unter meinen Freunden alljährlich spontan zu meinem Geburtstag die Grippe ausbricht und ich massenhaft Absagen auf meine Einladungen erhalte. Lizzy war die Einzige, bei der ich noch einen leisen Hoffnungsschimmer hegte, sie dieses Mal überreden zu können. Als meine beste Freundin hatte sie ja schließlich eine gewisse moralische Verpflichtung.
„Du musst kommen! Du darfst mich nicht ganz allein lassen!“, bettelte ich, setzte einen flehentlichen Blick auf und versuchte es jetzt mit der „Hab-doch-bitte-Mitleid-mit-mir-Masche“. Ich schien wohl allmählich Erfolg zu haben, denn statt einem „Nein!“, legte Lizzy nur gequält die Stirn in Falten und seufzte.
Sie fühlte sich bei uns daheim nämlich so wenig wohl wie ich. Wer wie wir einen durchschnittlichen Hang zur Unordnung hatte, konnte es bei uns auch nur ungemütlich finden. Darum trafen wir uns meistens bei Lizzy, die mit ihren Eltern, ihren vier Geschwistern, einem Golden Retriever, einem Chamäleon und zwei Hühnern in einem niedlichen, alten und sehr chaotischen Fachwerkhaus mit riesigem Garten lebte.
„Emily, bitte nicht! Deine Mutter lädt immer lauter wichtige Leute ein und ich fühl' mich da so fehl am Platz!“, wandte Lizzy ein.
Diesem Argument konnte ich schlecht etwas entgegensetzen. Die Gästeliste, die Mom zusammen stellte, hätte ebenso gut für die Einweihung eines Altenheims sein können. Wahrscheinlich würden auch dieses Jahr wieder vor allem die Familien von Geschäftsfreunden meines Vaters und angesehene Persönlichkeiten der Stadt bis hin zum hiesigen Bankdirektor geladen sein. Yvonne und ich würden es kaum schaffen, den Altersdurchschnitt auf unter 50 zu drücken.
Yvonne war meine Zwillingsschwester. Darum waren wir stets dazu verdammt, unseren Geburtstag gemeinsam zu feiern. Yvonne war großgewachsen, wunderschön, intelligent und der ganze Stolz meiner Eltern. Aber sie war auch ein kleines Miststück, egoistisch und hinterhältig, was man allerdings erst herausfand, wenn man sie näher kannte. Zu alledem war sie eine notorische Streberin und sowieso das genaue Gegenteil von mir. Ich war klein, eine durchschnittliche Schülerin und auch sonst in allen Dingen nur Mittelmaß - jedenfalls alles andere als der Stolz meiner Eltern. Yvonne und ich waren eben so verschieden wie Tag und Nacht und dementsprechend wenig konnten wir uns leiden.
„Ich mach dir einen Vorschlag“, sagte Lizzy versöhnlich. „Ich feiere meinen Geburtstag in zwei Wochen und das wird dann einfach eine gemeinsame Party bei mir zu Hause, ok?“
„Gerne“, sagte ich, ließ aber nicht locker. „Du musst trotzdem heute kommen. Sonst ist mein ganzer Geburtstag versaut!“
Das war er eigentlich ohnehin schon. Heute Morgen hatte ich auf dem Weg zu meinem Spint im Keller meinen Schwarm Björn ertappt, wie er mit Clari aus der Nachbarklasse vor den Schließfächern herumknutschte. Die beiden zu sehen, war so ein Schock, dass ich sofort umdrehte und kehrt machte. Dummerweise konnte ich ihnen auch jetzt nicht entgehen, denn sie standen ganz in unserer Nähe - sie saßen auf dem Zaun, der unseren Pausenhof von unserem Schulteich trennte und setzten die widerliche Knutschorgie fort, die vor dem Unterricht im Keller begonnen hatte.
Die ganze Zeit über hatte ich versucht, nicht hinzusehen. Aber jetzt konnte ich mich irgendwie nicht zusammen nehmen und schaute doch hinüber, obwohl es mir sofort einen furchtbaren Stich ins Herz gab.
Lizzy war meinem Blick gefolgt und wusste offenbar, was in mir vorging. „In Ordnung, ich komme heute Abend!“, lenkte sie ein.
„Super! Danke! Danke!“, rief ich und fiel ihr stürmisch um den Hals. Lizzy war wirklich meine Rettung. Vielleicht würde dieser Abend doch noch halbwegs erträglich werden, wenn sie dabei war. Die eigene Geburtstagsfeier konnte man ja schließlich nicht gut schwänzen (schon gar nicht, wenn man eine Mutter hatte wie die meine!).
„Sag mal, kennst du den Kerl? Der schaut die ganze Zeit zu uns rüber“, flüsterte Lizzy und wechselte unauffällig das Thema. Offenbar hatte sie sich in den Kopf gesetzt, mich abzulenken.
„Was? Wen meinst du denn?“
Ich drehte mich suchend in die Richtung, in die sie gedeutet hatte.
„Na, der mit den schwarzen Haaren da drüben auf der Mauer. Der mit dem Buch.“
„Nein, vielleicht ist der neu an unserer Schule?“
„Bestimmt, den hab ich hier noch nie gesehen. Jetzt glotz doch nicht so auffallend rüber! Das ist ja peinlich!“, zischte sie.
„Wasch ischt peinlisch?“, fragte Thomas, den Mund voller Butterbrot. Lizzys Cousin war wie zufällig zu uns herüber geschlendert, die eine Hand betont lässig in einer viel zu ausgebeulten Hosentasche. Thomas ging mit uns in eine Klasse und war eine rechte Nervensäge. Seit er sich in den Kopf gesetzt hatte, ich würde mit ihm auf den Abschlussball gehen, wurde ich regelrecht von ihm verfolgt. Fast jeden Tag fand er einen neuen Vorwand, um sich zu Lizzy und mir zu gesellen. Am schlimmsten war es, wenn er mir allein auf dem Flur oder irgendwo sonst begegnete. Dann hatte ich jedes Mal meine liebe Mühe, ihn wieder loszuwerden. Am Anfang hatte ich mit netten Andeutungen versucht, ihm klarzumachen, dass ich sicher nicht seine Partnerin für den Abschlussball (und auch nicht für irgendetwas anderes) werden würde, doch das schien er einfach zu überhören. Als das nichts nützte, wurde ich deutlicher, doch wieder stieß ich auf taube Ohren. Ob man das nun als erbärmlich begriffsstutzig oder beneidenswert hartnäckig auslegen sollte, weiß ich nicht. Thomas war so gar nicht mein Typ, was er einfach nicht wahrhaben wollte. Er war viel zu dünn, hatte einen schlaksigen Gang und trug eine überdimensionale Nickelbrille, die ihm immer das Aussehen einer kurzsichtigen Eintagsfliege verlieh. Dabei wäre er vielleicht sogar ganz nett gewesen, wenn er nicht ständig versucht hätte, einen von den wirklich coolen Jungs nachzuahmen.
„Du schon wieder!“
Lizzy rollte mit den Augen und war offenbar schon von Thomas bloßer Anwesenheit genervt. „Sag mal, kannst du uns denn nicht einmal eine Pause lang in Frieden lassen? Mädels wollen auch mal unter sich sein!“
Thomas schluckte einen weiteren Bissen Butterbrot fast unzerkaut herunter. Ich schaute angeekelt weg und drehte mich wieder zu dem Jungen auf der Mauer um. Er hatte pechschwarzes Haar und feine Gesichtszüge. Er schien vertieft in ein Buch zu sein. Trotzdem musste er wohl gespürt haben, dass ich ihn beobachtete, denn er sah plötzlich von seiner Lektüre auf und schaute mich an. Verlegen weil ich ihn so angestarrt hatte, lächelte ich. Er sah irgendwie nett aus. Er lächelte zurück, aber mir wurde der Blickkontakt mit diesem fremden Jungen dann doch zu unangenehm und ich drehte mich wieder zu Lizzy und Thomas.
„Liiiiiiiizzzyyy, du lässt mich doch sicher die Lateinhausaufgabe von dir abschreiben!“, fragte Thomas gedehnt.
„Nein, du hast schon die ganze Woche jeden Tag von mir abgeschrieben! Mach doch deine Hausaufgaben mal selber!“, gab Lizzy patzig zurück.
„Emiiiiilyyyy, darf ich dann von dir abschreiben?“, wandte sich Thomas an mich und warf mir einen Blick zu, von dem er wohl dachte, ich würde ihn unwiderstehlich finden.
Seufzend kramte ich in meiner Schultasche nach meinem Lateinheft, reichte es ihm und hoffte, das Papier würde nach dem Abschreiben nicht allzu viele Butterbrotflecken zieren.
„Meinetwegen. Aber lass mich jetzt bitte in Ruhe, ok?“, bat ich.
Wider Erwarten nahm Thomas das Heft an sich und trollte sich davon, was vielleicht gar nicht so gut war. Solange er hier gewesen war, kam ich wenigstens nicht in die Versuchung zu Björn und Clari rüber zu schauen. Kaum war Thomas jedoch fort, wanderte mein Blick wieder zu den beiden, die sich offenbar vorgenommen hatten, den Rekord im Dauer-Küssen zu brechen.
Ich hatte mich in Björn verliebt an dem Tag, an dem er in unserer Schule aufgekreuzt war. Das war vor etwa einem Jahr gewesen und seither himmelte ich ihn an, ohne bisher die Chance gehabt zu haben, viel mehr als ein kurzes „Hallo“ mit ihm zu wechseln. Björn war blond, groß und hatte hinreißende blaue Augen. Vor ein paar Wochen hatte ich glückselig festgestellt, dass er immerhin meinen Namen kannte, was nichts zu bedeuten hatte, wie mir jetzt klargeworden war.
„Jetzt schau doch nicht immer hin! Das macht es auch nicht besser“, meinte Lizzy und legte mir tröstend den Arm um die Schulter.
Bisher hatte ich Clari eigentlich ganz nett gefunden. Doch seit heute Morgen hasste ich sie und hatte sie zu meiner Todfeindin erklärt. Am allerliebsten hätte ich sie vom Zaun geradewegs in den Schulteich geschupst. Gerade als ich das dachte, spürte ich plötzlich kleine Funken um meine Nase herum - ungefähr so wie wenn man einer Wunderkerze zu nahe kommt. Es prickelte und knisterte, Clari stieß einen lauten Schrei aus und fiel rückwärts in den Schulteich. Vor Schreck verschluckte ich mich prompt an meiner Cola. Clari ließ ein Schwall Schimpfwörter los, die ich hier nicht zitieren will, und watete wütend aus dem Wasser. Ihr nasses Haar klebte unansehnlich an ihrem Gesicht und verlieh ihr zusammen mit der dunkelgrünen Algenschicht, die ihr Kleid zierte, den Anblick eines triefenden Seeungeheuers. Björn, der sich an seine guten Umgangsformen erinnerte, betätigte sich als Gentleman und reichte dem Seeungeheuer die Hand. Clari griff danach, rutschte dann aber auf den glitschigen Steinen am Ufer aus und landete erneut im Teich. Björn kletterte über den Zaun und wollte ihr helfen. Doch Clari schlug in ganz undankbarer Weise nach ihm. Offenbar machte sie Björn für das unfreiwillige Bad verantwortlich. Inzwischen brüllte der ganze Schulhof vor Lachen, Clari tobte und ließ Björn, der gar nicht recht wusste, was geschehen war, wie einen begossenen Pudel stehen. Begleitet von ein paar grölenden Fünftklässlern watete sie ins Schulhaus.
War ich das gewesen? Ich war so verwirrt, dass ich über Claris unfreiwilliges Bad nicht einmal lachen konnte. Blödsinn! Nur wenn man jemandem ein Missgeschick an den Hals wünschte, ging das noch lange nicht in Erfüllung. Das war sicher Zufall, sagte ich zu mir selbst und drehte mich weg, dummerweise genau wieder in Richtung des Jungen mit den pechschwarzen Haaren. Er hatte die Szene offenbar ebenfalls beobachtet. Er warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, fast so als wüsste er, was in mir vorging. Ich schaute ertappt zur Seite.
Lange hatte ich nicht Zeit, mir über den Vorfall Gedanken zu machen, denn nach der Mittagspause wurden Lizzy und ich auch noch in Bio abgefragt. „Emily Hallersberg und Elisabeth Gruber, bitte vor zur Tafel!“, säuselte der grauhaarige Herr Lohmeier und schaute uns durch die dicke Nickelbrille an wie ein Frosch, der einer Fliege auflauert. Gedanklich grenzte er den Notenspielraum, den er uns geben wollte, wohl schon zwischen 4 und 6 ein.
„Großartig!“, dachte ich wütend. „Was für ein Geburtstag!“
Herr Lohmeier ließ uns die Mendelschen Vererbungsregeln rauf und runter zitieren und stellte so gemeine Fragen, dass man nicht einmal auf die Lösung kam, wenn man gelernt hatte (was ich im Übrigen nicht wirklich getan hatte). Als wir uns ein paar Minuten später wieder auf unseren Platz setzen durften, hatte ich das ungute Gefühl, wieder eine Note versaut zu haben. Das war wohl einfach nicht mein Tag…
„Emly - wie ich mich freue, dich zu sehen!“
Tante Agathe sagte immer ‚Emly‘. Sie breitete ihre überdimensionalen Arme aus und drückte mich an ihre Brust, die breit genug für drei Personen meiner Größe gewesen wäre. Wie jedes Jahr hielt sie mir zwischen den Glückwunschbekundungen einen Vortrag darüber, ich sei viel zu dünn und unterernährt. Ich hustete, weil ich das Gefühl hatte, an ihrem Busen zu ersticken und war froh, dass meine Schwester Yvonne um die Ecke bog und Tante Agathe mich aus ihren Klauen ließ.
Ich verzog mich schleunigst in die Küche und wedelte mit der Hand vor meiner Nase, um den Geruch von Mottenpulver und Eau de Cologne loszuwerden, mit dem Tante Agathe mich eingenebelt hatte. Die berüchtigte Geburtstagsfeier war gerade dabei, ihren Anfang zu nehmen und ich seufzte bei dem Gedanken an all die Onkeln, Tanten und Cousins dritten Grades, die noch eintreffen würden. Dazu kamen dann noch einige Kollegen und Geschäftsfreunde meines Vaters - inklusive deren Kinder, die meine Mutter stets einlud, um Yvonne und mir einen „angemessenen gesellschaftlichen Umgang zu vermitteln“ - wie sie das ausdrückte. Unsere Freunde waren ihr nämlich für gewöhnlich nicht vornehm genug. Aber das war ohnehin fast niemand. Denn Moms heimlicher und wohl stets unerfüllt bleibender Traum war, Mitglied einer der großen europäischen Adelshäuser zu sein. Da wenig Aussicht bestand, dieser Traum könne eines Tages Wirklichkeit werden, kompensierte sie das Bedürfnis nach Glanz und Gloria eben anderweitig. Sie trug stets die gleiche Frisur wie Königin Silvia von Schweden, kannte das Hofzeremoniell im Buckingham Palace auswendig und war überhaupt bestens informiert über alle historischen Tatsachen und aktuellen Gerüchte über sämtliche Familien des europäischen Hochadels. Ich wette, nicht einmal die Queen wusste über sich selbst so gut Bescheid wie meine Mutter über sie.
In der Küche hatte mein kleiner Bruder Christopher derweil wenig übrig für höfische Sitten und Gebräuche. Er saß mit Anzug und Fliege auf der Anrichte und naschte die Marzipan-Deko von der dreistöckigen Torte, die vor ein paar Stunden von der Konditorei Kleve geliefert worden war.
„Chris, wenn Mom das sieht, dann setzt es ein paar hinter die Ohren!“, schalt ich ihn. Chris zuckte mit den Achseln. Er war viel zu frech, als dass er sich mit seinen elf Jahren davon hätte beeindrucken lassen.
„Mensch, die Torte sieht ja lecker aus!“, stellte ich fest. „Lass mich auch mal probieren!“
Chris löste eine der Marzipanblumen aus der Sahnecreme, mit der die Torte überzogen war, und steckte sie mir in den Mund. Fantastisch! Mein kleiner Bruder und ich naschten so lange weiter, bis sich auf der einen Seite der Torte überhaupt keine Marzipanblumen mehr befanden. In diesem Augenblick drang der durchdringende Ruf meiner Mutter durch das Treppenhaus in die Küche.
„Emmiiilllyyy! Wo bist du denn? Komm doch bitte her und begrüße deine Gäste!“
„Mensch, iss bloß die zweite Hälfte von den Marzipanblumen auch noch auf, sonst fällt unsere Nascherei womöglich noch auf!“, flüsterte ich meinem Bruder zu, wuschelte ihm durchs Haar und ließ ihn in der Küche zurück.
„Ach, Emily, da bist du ja!“ flötete Mom. „Herr und Frau Hilbert geben uns die Ehre und das ist ihr Sohn Erwin - ich glaube, ihr kennt euch noch nicht, nein?“
„Das ist der Direktor der Bank, benimm dich bloß anständig! Und halt dich gerade!“, zischte Mom mir im Vorbeigehen zu.
Ich hielt mich wie befohlen gerade, schüttelte allen artig die Hände und entschuldigte mich dann hastig mit der Ausrede, ich müsse mich noch um die anderen Gäste kümmern. In Wirklichkeit rannte ich aufs Klo und wusch mir nach Erwins schweißnasser Begrüßung die Hände.
Zum Glück tauchte Lizzy etwa zehn Minuten später auf. Sie kam gerade im richtigen Augenblick, als Mom mich erneut zu den Hilberts schleifte und mir ein Gespräch mit dem pickeligen Erwin aufzwängte.
„Dafür hab ich aber was gut bei dir!“, flüsterte Lizzy und grinste. „Mir wird`s sowieso schon jedes Mal ganz anders, wenn ich eure Villa betrete und euer Stubenmädchen mir die Tür öffnet. Aber wenn deine Mutter dann auch noch eine Party gibt und alle in Abendkleidern herumlaufen, dann fühl ich mich immer ganz deplatziert.“
„Da geht es dir wie mir“, wisperte ich zurück. „Aber lass uns raus in den Garten gehen. Mir wird das hier drin auch langsam zu viel.“
Meiner Meinung nach war der Garten das Beste an unserem Haus. Wie Lizzy schon erwähnt hatte, lebt meine Familie in einer ziemlich vornehmen Villa, die vor etwa 150 Jahren gebaut und damals einem sehr vermögenden Baron (vielleicht war es aber auch ein Graf oder was weiß ich) bewohnt wurde. Ursprünglich gehörte zu dem Anwesen auch ein ausgedehnter Park, der heute zum allergrößten Teil für die Öffentlichkeit zugänglich ist und quasi unser Stadtpark ist. Ein kleinerer Teil, der von einer alten Steinmauer umgeben ist, gehört aber immer noch zu unserem Haus. Sowohl in unserem Garten als auch im Park gibt es riesige, uralte Bäume, auf denen ich als Kind immer herum geklettert war (einmal hatte ich mir dabei auch bei einem unfreiwilligen Abstieg den Arm gebrochen). Außerdem haben wir noch einen Teich, der sich fast über die gesamte Längsseite unserer Villa erstreckt und über den eine kleine Brücke zu einem Pavillon führt. Ohne diesen verträumten, alten Garten hätte ich es zu Hause vermutlich nicht ausgehalten. Im Haus selbst musste nämlich alles stets tadellos ordentlich sein - dafür sorgte schon Mom, der jedes Staubkorn auf ihren kostbaren, antiken Möbeln ein Dorn im Auge war. Ich beneidete unser Hausmädchen Gesine wirklich nicht. Gesine war eigentlich eine drollige und humorvolle Person, aber meine Mutter hatte es trotzdem schon ein paar Mal fertig gebracht, dass sie weinend und vollkommen aufgelöst in der Küche saß.
„Oh Gott!“ murmelte Lizzy plötzlich und duckte sich hinter mir, als wir kaum draußen waren.
„Was ist denn?“, fragte ich.
„Da ist dieser Fritz oder Franz oder wie er heißt. Der Neffe von der Tochter von der Großcousine deines Vaters oder wer das auch immer war. Der mit der Knollennase, der mich letztes Jahr die ganze Zeit angebaggert hat. Bitte versteck mich!“, zischte Lizzy hilfesuchend und machte sich noch kleiner als sie ohnehin schon war.
„Ach, du liebe Zeit!“
Ich packte Lizzy an der Hand und trat den Fluchtweg querfeldein durch ein paar Thuja-Sträucher an. Wir krochen durch eine Nische zwischen zwei prachtvollen Rosensträuchern, es machte „ratsch“ und in meinem wundervollen weißen Abendkleid mit den aufgestickten Pailletten klaffte ein langer Riss.
„Oh je, das kostet mich wieder eine Packung Mohrenköpfe, damit Gesine mir das heimlich zusammen näht...“, sagte ich und schaute betreten auf den Schlitz in meinem Kleid. „Naja, Hauptsache, wir sind Franz-Fritz entkommen!“
Lizzy kicherte und ließ sich auf eine Gartenbank fallen, die direkt am Teichufer stand. „Weißt du was? Wir sollten deine Geburtstagsfeier hier draußen aussitzen und warten bis die Gäste wieder abziehen!“
„Gute Idee!“
Ich nahm neben ihr Platz und schaute auf das Wasser. Ich liebte es, nachts hier draußen zu sein. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem Teich und fing sich in den weißen Blättern der Seerosen. Von Weitem drang Musik und Gelächter von der Party zu uns, die aber von dem lautstarken Quaken der Frösche übertönt wurde. Für eine Weile saßen Lizzy und ich schweigend nebeneinander und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Eigentlich hätte ich mir meinen Geburtstag anders gewünscht - zumindest weil es der 16. war und ich fand, dies sei ein ganz besonderes Datum. Am liebsten hätte ich eine richtige Party gegeben, nur Lizzy, ich, unsere Clique und natürlich Björn. Das mit Björn und Clari ging mir ziemlich nahe. Wenn ich nur daran dachte, zog sich mein ganzer Magen zusammen. Irgendwie war für mich heute meine ganze Welt eingestürzt. Ich seufzte und bekam auf einmal feuchte Augen. Den ganzen Tag über hatte ich mich zusammen nehmen müssen, damit niemand etwas merkte und hatte versucht, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen, doch jetzt konnte ich nicht mehr.
„Ach Süße, jetzt wein‘ doch nicht!“, sagte Lizzy mitleidig und legte tröstend den Arm um mich. Sie wusste genau, was los war.
„Das hast du heute schon mal gesagt!“, schniefte ich. Lizzy kramte in ihrer Handtasche nach einer Packung Taschentücher und reichte sie mir.
„Es ist ja nur... Ich meine, als ich die beiden heute Morgen im Keller gesehen hab, das war einfach wie ein Schock, weißt du?“, stammelte ich.
Lizzy nickte stumm. Wir saßen noch eine Weile so da und ich war unsagbar dankbar für eine Freundin wie sie, die einfach nur verstehen und den Mund halten konnte. Lange blieb mir allerdings nicht Zeit für Trübsal, denn ein paar Minuten später rief irgendjemand meinen Namen.
Es war Yvonne. Dass sie nicht von einer schwesterlichen Sorge dazu getrieben wurde, nach mir zu suchen, sondern sie vielmehr kam, um mir einen Vortrag darüber zu halten, ich solle meine Pflichten als Gastgeberin wahrnehmen, hörte ich schon an ihrer Stimme. Ich war von ihrem arroganten Tonfall schon gereizt, bevor sie überhaupt vor mir stand. Schnell tupfte ich mir mit dem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht, da tauchte Yvonne schon in der Wegbiegung auf und steuerte geradewegs auf uns zu.
„Ach, hier bist du! Mama macht schon eine Szene, weil du dich nicht um deine Gäste kümmerst und Tante Agathe fragt auch schon laufend nach dir!“, verkündete Yvonne mit vorwurfsvollem Unterton.
Ausgerechnet Tante Agathe! Ich rollte mit den Augen, was Yvonne zum Glück nicht sehen konnte, denn hier draußen war es dafür zu dunkel.
„Falls du es nicht kapiert hast: Das war eine Aufforderung, nach drinnen zu gehen“, erklärte meine Schwester schnippisch. „Also kommst du jetzt nun mit oder nicht?“
Yvonnes langes rotes Haar schimmerte bronzefarben im Mondlicht und passte perfekt zu dem bodenlangen, meergrünen Abendkleid, das sie trug. Ich fragte mich zum tausendsten Mal, wie jemand, der so wunderschön aussah, nur so einen hässlichen Charakter haben konnte.
„Ja, ja, gleich“, seufzte ich. „Geh schon mal vor.“
„Wie du meinst“, entgegnete Yvonne pikiert, hob die Nase in die Luft und stolzierte wie ein aufgeblasener Schwan davon.
Als Lizzy und ich nach drinnen kamen, war das Buffet längst eröffnet worden. Die Leute, die es sich nicht draußen auf der Veranda oder im Garten bequem gemacht hatten, saßen oder standen in kleinen Grüppchen in unserem Wohnzimmer, während im Hintergrund aus der Stereoanlage leise Kammermusik von Bach oder Beethoven dudelte.
„Na, dann wollen wir mal!“, flüsterte ich Lizzy zu, die es vorzog, sich in die Küche zu verdrücken. Ich holte tief Luft und gesellte mich dann scheinbar zufällig zu Herrn und Frau Schnepfer samt Sohn, die Inhaber einer renommierten Steuerkanzlei waren. Es folgte die alljährlich obligatorische Frage von Herrn Schnepfer: „Na Emily, wie läuft's denn so in der Schule?“ und ich antwortete wie alljährlich obligatorisch: „Danke, sehr gut.“
Das „sehr gut“ war zwar übertrieben, aber es ging bei solchen Gesprächen ja schließlich darum, Konversation zu betreiben und nicht, irgendwelche Wahrheiten auszutauschen.
„Weißt du schon, was du nach dem Abitur machen willst?“, wollte er weiter wissen.
Eigentlich wusste ich das ganz genau. Am liebsten wäre ich Schriftstellerin geworden. Aber diese Antwort ist auf jene Frage in unserem Haus nicht zulässig. Also sagte ich pflichtgemäß - wie Mom es mir eingetrichtert hatte - „Vermutlich werde ich Jura studieren und dann in der Kanzlei meines Vaters einsteigen.“
„Ja, ja, dein Vater ist ja auch ein so erfolgreicher Anwalt. Ich kann verstehen, dass dich das reizt. Aber vielleicht solltest du dir überlegen, ob du nicht bei mir anfangen möchtest, Emily. Unsere Steuerkanzlei sucht immer wieder ehrgeizige, junge Menschen, die in diesem Beruf etwas erreichen wollen!“
Steuerrecht! Auch das noch! Am liebsten hätte ich angewidert das Gesicht verzogen, doch anstandsgemäß setzte ich eine dankbare Mine auf und entgegnete: „Das ist überaus freundlich von Ihnen, Herr Schnepfer!“
Ich beschloss, mich der Reihe nach durch die anwesenden Gäste zu arbeiten, um jedem gleichermaßen meine Aufmerksamkeit (und meine Nerven!) zu widmen. Daher entschuldigte ich mich nach einem unauffälligen Blick auf die Uhr von Herrn Schnepfer und schlenderte zu Großtante Tilda und Großcousine Hilda hinüber (vielleicht hießen sie auch umgekehrt. Aber ich fand es immer ziemlich schwierig, die beiden auseinanderzuhalten, weil sie beide dieselbe graue Löckchen-Einheits-Frisur trugen und sie sich beide hauptsächlich auf dem Friedhof aufhielten.)
Tilda klagte über ihren Ischias-Nerv, das Rheuma und die Gicht. Hilda jammerte über ihren grauen Star und ihre verlegten Zähne. Sie unterhielten sich offenbar glänzend, weil beide schwerhörig waren und so jeder vor der anderen einen Monolog abhalten konnte, ohne dass die andere sich daran gestört hätte. Meine Frage, wie ihnen die Feier denn gefalle, wurde offenbar auch falsch verstanden, denn ich bekam von Tilda als Antwort einen ausführlichen Bericht über ihren letzten Kuraufenthalt in Baden-Baden, während mir Hilda von ihrer Lieblingsserie „Schwarzwaldklinik“ vorschwärmte. Tilda und Hilda schienen mich nach einiger Zeit ganz zu vergessen, denn sie fuhren fort, sich über medizinische Befunde und altersbedingte Beschwerden auszutauschen. Daher bekamen sie gar nicht mit, wie ich sie allein ließ, um mich weiter durch die anwesenden Gäste zu kämpfen. Ich beneidete Dad, der sich bereits nach einer halben Stunde mit ein paar Kollegen in den Keller zum Kegeln verdrückt hatte - sehr zum Unwillen meiner Mutter. Die Einzige, die sich wirklich zu amüsieren schien, war Yvonne. Sie war in dieser Hinsicht eben vollkommen nach meiner Mutter geraten und fühlte sich im Gegensatz zu mir in dieser aufgeblasenen Runde äußerst wohl. Ich wurde erst erlöst, als Gesine mich beiseite nahm und mich bat, ihr beim Abräumen des Buffets und beim Aufdecken des Desserts zu helfen. Für diese Unterbrechung war ich mehr als dankbar, schnappte mir ein Tablett und fing an, mit Gesine und Lizzy die übriggebliebenen Speisen in die Küche zu tragen. Gerade als ich den Nachtisch auftragen wollte, wurde ich von Tante Agathe aufgehalten, die sich mit einem übergewichtigen Herrn in fortgeschrittenem Alter offenbar dem Thema „Ernährung“ widmete.
„Emly, wie heißt das gleich wieder, was du isst? Wegarisch, ja? Also sowas würde ich ja nie essen. Das kann ja nicht gesund sein! Also heute lernen die Kinder in der Schule aber auch nur Mist. So etwas kann ihnen ja nur in der Schule beigebracht werden. Wegarisch! Wenn ich das schon höre! Kein Wunder, dass du so dünn bist, Emly!“, schnatterte Tante Agathe.
Das sagte ausgerechnet Tante Agathe. Am liebsten hätte ich sie daran erinnert, wie sie sich letztes Jahr auf Anraten ihres Arztes eine Körperfettwaage angeschafft hatte, diese allerdings sofort wieder zurückgeben musste, da sich ihr Körperfettanteil außerhalb des messbaren Bereichs befand und das Gerät somit praktisch unbrauchbar war. Ich verkniff mir die Bemerkung.
„Tante Agathe, es heißt vegetarisch. Und sich vegetarisch zu ernähren ist alles andere als ungesund. Außerdem mache ich das vor allem, damit meinetwegen keine Tiere sterben müssen“, leierte ich herunter. Diesen Satz sagte ich auf fast jeder Familienfeier, denn an diesem Thema kamen wir praktisch nie vorbei.
„Also diese jungen Mädchen heutzutage! Wegarisch!“, wandte sich Tante Agathe wieder an ihren Gesprächspartner, schüttelte fassungslos den Kopf und machte „zzz-zzz-zzz“. Weil es ohnehin keinen Sinn hatte, mit Tante Agathe zu streiten, schwieg ich genervt, verteilte die ersten Schälchen mit Mousse au Chocolat und ging dann in die Küche, um das zweite Tablett zu holen. Als ich zurück kam, hatte sich meine Mutter zu Tante Agathe und ihrem fettleibigen Gesprächspartner gesellt.
„Yvonne sieht ja heute bezaubernd aus“, hörte ich Tante Agathe zu meiner Mutter sagen. „Und wie fleißig das Kind ist! Zu schade! Emly schlägt leider gar nicht in ihre Richtung. Naja, mit allen seinen Kindern kann man eben kein Glück haben, nicht wahr Charlotta?“
Langsam wurde es mir doch zu viel! Ich biss verärgert auf meine Unterlippe.
„Ich könnte sie an die Wand klatschen!“, dachte ich wütend und da war es wieder: Die Wunderkerzen-Funken knisterten an meiner Nase, ich stolperte über den Teppich, mein Tablett wurde in hohem Bogen durch die Luft katapultiert und Tante Agathe, die dem Wurfgeschoss hatte ausweichen wollen, drückte sich erschrocken an die Wand. Wie ein Regen prasselte die Mousse au Chocolat auf ihr neues Abendkleid nieder.
Sekunden später starrte Tante Agathe zuerst fassungslos auf die beschmierte Abendrobe und dann auf mich. Die anderen Gäste lachten belustigt, doch Tante Agathe zeigte in dieser Hinsicht keinerlei Humor.
„Emly, du Göre! Das hast du bestimmt mit Absicht gemacht!“ zeterte sie, wobei ihre Stimme vor Entsetzen einen Sprung über drei Oktaven machte.
Ich war so erschrocken, dass ich es nicht einmal schaffte, mich zu verteidigen. Zum Glück kam mein Vater, der offenbar das Kegeln unterbrochen hatte, in diesem Moment vorbei und bemühte sich zu schlichten.
„Agathe, das war bestimmt ein Versehen. Nun beruhige dich doch! Ich werde das Kleid morgen für dich in die Reinigung bringen, in Ordnung?“
Tante Agathe fluchte immer noch leise vor sich hin, ich stammelte ein „Entschuldigung“ und wandte mich dann mit hochrotem Kopf ab. Ich rannte auf die Toilette, verriegelte die Tür und fasste mir mit der Hand prüfend an die Nase. Da waren keine Funken mehr. Ich drehte mein Gesicht vor dem Spiegel hin und her. Nichts. „Was mache ich hier eigentlich?“, fragte ich mich im nächsten Augenblick. Ich wurde wohl langsam verrückt. Bei einer solchen Familie war das vielleicht nicht einmal unnormal. Oder doch? Wenn ich es schaffte, anderen ein Missgeschick an den Hals zu hexen, dann hatte ich womöglich so etwas wie magische Kräfte? Unsinn! So etwas gibt es gar nicht, schalt ich mich selbst und schüttelte den Kopf, wie ich nur auf so dumme Gedanken kommen konnte. Aber andererseits: Der Vorfall mit Clari heute Morgen konnte noch Zufall sein, aber dass zweimal an einem Tag eine ähnliche Situation passierte, war dann doch merkwürdig. Und dann diese Funken: Ich hatte sie nicht nur gesehen, ich hatte sie auch auf der Haut gespürt! Mein Blick fiel auf den Wasserhahn am Handwaschbecken. Wenn ich wirklich magische Kräfte hatte... Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, schloss die Augen und konzentrierte mich ganz fest darauf, der Wasserhahn solle zu laufen beginnen. Ich blinzelte und schielte nach dem Wasserhahn, doch es war nicht einmal ein einziger Tropfen zu sehen. Vielleicht war das zu schwierig? Als nächstes versuchte ich es mit der Wandbeleuchtung, ließ dieses Mal aber die Augen geöffnet. Nichts. Das Licht hatte nicht einmal geflackert.
„Emily, bist du da drin?“
Draußen hämmerte Lizzy gegen die Tür.
„So mach doch auf!“
Ich öffnete die Tür und Lizzy schlüpfte eilig herein. „Dein Vater schickt mich zu dir. Du sollst dich bei Tante Agathe entschuldigen!“, wisperte Lizzy und verdrehte die Augen.
„Was? Das hab ich doch schon!“, antwortete ich sauer. Offenbar hatte Tante Agathe mein Gestammel von vorhin jedoch nicht wirklich zur Kenntnis genommen.
Ich verließ also mit Lizzy die Toilette, suchte Tante Agathe auf und trug ihr hochoffiziell eine Entschuldigung vor, die so gespielt von Herzen kam, dass ich sogar das Gefühl hatte, sie würde mir ehrlich verzeihen. Ich musste mir allerdings noch eine ganze Weile einen Vortrag über unachtsames Verhalten von ihr anhören und wünschte mir nur, diese verfluchte Party möge endlich vorbei sein. Mein Wunsch wurde kurz darauf tatsächlich erhört - und zwar von Chris, der mit seinem besten Freund Frankie die Sprinkleranlage im Garten auf höchster Stufe aufdrehte und so den Gästen eine unfreiwillige Dusche bescherte. Alle - inklusive Tante Agathe - suchten eiligst das Weite und brachten so meine Geburtstagsfeier zu einem raschen, seligen Ende.
Chris bekam natürlich Stubenarrest, was bei uns die übliche Strafe für sämtliche Missetaten war. Meiner Meinung nach war das ziemlich sinnlos, denn es hielt Chris ohnehin nie lange davon ab, wieder etwas anzustellen. Außerdem fand ich, mein kleiner Bruder habe etwas gut bei mir, weil er die Heerscharen unserer Gäste dazu gebracht hatte, so fluchtartig das Haus zu verlassen. Darum schmuggelte ich ihm vor dem Schlafengehen noch ein Stück Torte in sein Zimmer, woraufhin er mir feierlich versprach, auch auf der nächsten Party für einen abwechslungsreichen Zwischenfall oder ein vorzeitiges Ende zu sorgen. Ich wünschte ihm verschwörerisch eine Gute Nacht und verzog mich auf mein Zimmer.
Nachdem ich mir meinen Hello-Kitty-Schlafanzug übergestreift hatte, setzte ich mich ans offene Fenster und genoss die kühle Nachtluft. Kurz darauf hörte ich, wie meine Eltern und auch Yvonne in ihre Schlafzimmer gingen. Im Haus wurde es still, doch ich hatte keine Lust, mich ins Bett zu legen. Dieser Moment gehörte mir ganz allein. Der Garten mit seinen uralten Bäumen sah geheimnisvoll aus im Mondlicht, von fern rief eine Eule. Ich hörte dem Wind zu, wie er leise in den Blättern raschelte und betrachtete die funkelnden Sterne, ohne an etwas Bestimmtes zu denken. Irgendwie hatte ich plötzlich Sehnsucht, alles hinter mir zu lassen: Die Schule, Björn, meine Familie, alles. Irgendwo anders hin, allein sein, frei sein. Unter meinem Fenster war der Garten in Dunkelheit gehüllt, unheimlich und doch verlockend.
Ich wollte hinunter, draußen spazieren gehen, einfach für mich sein. Ich schlüpfte in meine Tennisschuhe und kletterte aus dem Fenster auf einen Fassadenvorsprung. Direkt vor meinem Zimmer stand ein riesiger, alter Kastanienbaum. Einer seiner ausladenden Äste reichte bis direkt unter mein Fenster. Er war dick genug, um mich auszuhalten und war mein Fluchtweg nach draußen. Diese heimlichen Ausflüge machte ich schon seit ein paar Jahren. Meine Mutter und auch Yvonne hatten nämlich einen furchtbar leichten Schlaf. Über unseren knarzenden Dielenboden oder durch die quietschende Haustür hätte ich es vermutlich niemals unentdeckt in den Garten geschafft. Vielleicht hätten meine Eltern ja auch überhaupt nichts dagegen gehabt - innerhalb der Mauern unseres Grundstücks würde mir wohl schließlich kaum etwas zustoßen. Doch mein Leben war so voller Regeln und Verbote, dass ich sie lieber gar nicht erst fragte. Außerdem - es war auch schön, irgendein Geheimnis zu haben, selbst wenn es so unspektakulär war wie ein heimlicher Ausflug in die Dunkelheit.
Unten im Garten strich mein kleiner grauer Kater Gismo durchs Gras. Er begrüßte mich mit einem auffordernden Miauen und ich kniete mich zu ihm hinunter, um ihn zu streicheln, was er sofort mit einem glücksseligen Schnurren beantwortete. „Komm mit, Gismo!“, flüsterte ich leise und lief den Sandweg hinunter zum Teich. Gismo, der in puncto Anhänglichkeit eher Ähnlichkeit mit einem Hund hatte, flitzte mir sofort hinterher. Ich bemühte mich, unser Haus so rasch wie möglich hinter mir zu lassen, bevor am Ende doch noch jemand aus meiner Familie wach wurde. Erst als unsere Villa außer Sichtweite war, verlangsamte ich meinen Schritt. Obwohl der heutige Stadtpark nicht mehr zu unserem Grundstück gehörte, war unser Garten trotzdem noch riesig und fast 3000 qm groß. Es gab unzählige Wege, die mit Hecken und Sträuchern eingefasst ein verschlungenes Labyrinth bildeten. Gismo und ich machten es uns auf einem Felsen am Teichufer bequem. Ich streifte meine Tennisschuhe ab und ließ die Füße in das kalte Wasser hängen. Es war eine laue Frühlingsnacht und viel zu warm für Anfang Mai. Aber im Augenblick fand ich das ganz angenehm. Jetzt da ich allein war, dachte ich wieder an Björn. Mit einem Stöckchen zeichnete ich seinen Namen in den Sand und wollte meinen daneben schreiben. Doch dann durchzuckte mich der Gedanke an Clari und wie er sie auf dem Schulhof geküsst hatte. Schnell wischte ich Björns Namen wieder aus.
Das war vorüber.
Aus.
Vorbei.
Dumm nur, dass mein gebrochenes Herz das irgendwie nicht wahrhaben wollte. Herrje, heulte ich etwa schon wieder?
„Dieser Mistkerl!“, sagte ich leise, denn Lizzy hatte mir eingeschärft, Björn jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, so zu nennen. Das wäre ein sicheres Mittel gegen Liebeskummer, hatte sie mir versichert. Bis jetzt wirkte es jedenfalls noch nicht.
In der Ferne stimmte ein Hund sein nächtliches Heulen an. Gismo stellte unwillkürlich die Nackenhaare auf und starrte in die Dunkelheit. Ich schaute ihn amüsiert an.
„Das ist doch nur irgendein Hofhund. Der tut dir bestimmt nichts!“
Aber Gismo reagierte gar nicht auf mich. Wieder heulte der Hund und dieses Mal stimmten andere in das Rufen mit ein. Das klang gar nicht mehr nach einem Hofhund, eher nach einem Rudel Wölfe, schoss es mir durch den Kopf. Unsinn! Hier gab es doch keine Wölfe. Oder doch? Gismos Haare standen mittlerweile so steil von seinem Körper ab, dass er aussah, als habe ihm jemand eine Elektroschockbehandlung verpasst. Ich wollte ihn auf den Schoß nehmen, doch er entwand sich meinen Armen und rannte in Richtung Haus davon.
„So ein Angsthase!“, sagte ich. Gerade in diesem Augenblick kam ein kühler Wind auf, es knackte im Gebüsch. Die laue Frühlingsnacht hatte mit einem Mal etwas Dunkles und Bedrohliches an sich. Allmählich wurde es auch mir zu unheimlich. Ich stand auf und machte mich auf den Rückweg. Meine Schritte knirschten auf dem Kies. Oder waren es gar nicht meine Schritte? Mit pochendem Herzen verharrte ich und lauschte.
Nichts.
Ich setzte meinen Weg fort und wieder hatte ich das Gefühl, es würde mir jemand folgen. Dieses Mal blieb ich nicht stehen. In Panik rannte ich zum Haus zurück. Doch soweit kam ich gar nicht. Plötzlich tauchte vor mir ein maskierter Mann auf, die mir mit verschränkten Armen den Weg versperrte. Ich weiß nicht, ob er die ganze Zeit dort gestanden hatte oder woher er kam. Er war ganz in grau gekleidet in einer Uniform, die einer gepanzerten Rüstung ähnelte. Auf dem Kopf trug er einen Helm, der entfernt an Darth Vader erinnerte. Augen konnte man unter der eisernen Maske jedenfalls nicht erkennen, nur zwei dunkle Höhlen. Einen Augenblick lang war ich mir nicht sicher, ob ich einen Alptraum hatte, doch dieses Wesen war dermaßen furchterregend - ich wäre auch in einem Traum vor ihm davon gelaufen. So laut ich konnte, schrie ich um Hilfe. Ich machte auf dem Absatz kehrt und wollte in die andere Richtung davon rennen. Doch hinter mir hatte sich ein zweiter Darth Vader in den Weg gestellt. Erst in diesem Augenblick bemerkte ich seine furchterregend langen Krallen an den Fingern, die mindestens 30 Zentimeter lang waren. Waren das überhaupt Menschen? Vor Angst war ich wie gelähmt. Ich hatte das Gefühl von allen Seiten umzingelt zu sein. Die zwei Maskierten hatten es ganz offenbar auf mich abgesehen, denn sie ließen mich keine Sekunde aus den Augen und kamen Schritt für Schritt näher. Auf einmal sprang eine schwarze Gestalt mit einem flatternden Umhang von einem Ast und landete direkt neben mir. Ich erschrak so sehr, dass ich zur Seite taumelte. Die schwarze Gestalt entpuppte sich als ein junger Mann mit tiefdunklen Haaren, der sich zwischen mich und einen meiner Verfolger stellte. Wie er von diesem riesigen Baum hatte herunter springen können ohne sich zu verletzen und was er überhaupt hier machte, verstand ich nicht, doch offenbar wollte er mir helfen.
„Lauf weg. Ich halte sie auf“, raunte er mir zu.
Die zwei grau Maskierten schienen durch die Ankunft meines schwarzgekleideten Beschützers irritiert. Ich nutzte den Augenblick der Verwirrung und rannte nach rechts, wo eine Baumgruppe ein kleines Wäldchen bildete. In den Augenwinkeln sah ich noch wie einer meiner Verfolger von einem blauen Blitz getroffen wurde, der offenbar von dem fremden Jungen kam, und stöhnend zusammen sackte. Wann würde denn dieser furchtbare Alptraum endlich vorbei sein? Oder war das überhaupt kein Traum? Dafür war alles viel zu realistisch. Ich konnte diese Ungeheuer sogar riechen. Sie stanken wie ein verwesender Kadaver und noch etwas, was ich nicht beschreiben kann.
Weit kam ich nicht. Ich wurde verfolgt. Ob es einer der beiden Darth Vader war oder sogar ein Dritter, wusste ich nicht. Jedenfalls konnte er verdammt schnell rennen und hatte mich schon fast eingeholt. Er versuchte, mich mit seinen Klauen zu packen. Ich machte eine Ausweichbewegung zur Seite und wurde von seinen riesigen Krallen am Kopf gestreift. Sofort merkte ich, wie mir das Blut über das Gesicht lief. Ich stolpere und falle und habe das Gefühl, alles sei vorbei. Darth Vader beugt sich über mich und greift nach meinem Hals. Ich schreie und versuche, nach ihm zu treten, doch gleichzeitig wird mir klar, dass ich keine Chance habe. Ich werde sterben…
Plötzlich wird das graue Ungeheuer von hinten von einem blauen Blitz getroffen. Es stöhnt auf, löst seine Klauen von meinem Hals und bricht leblos zusammen. Ich kann nicht einmal aufstehen, so gelähmt bin ich vor Angst. Mein Puls rast, ich atme schwer. Hinter dem toten Darth Vader taucht mein rätselhafter Beschützer auf.
„Alles in Ordnung?“, fragte er und kniete sich neben mich. Ich nickte benommen, dabei war es das eigentlich überhaupt nicht. Ich lag nachts an der Schläfe blutend in unserem Garten, nachdem ich von zwei (oder waren es drei?) Science-Fiction-Monstern verfolgt und fast ermordet worden wäre. Wie sehr in Ordnung konnte man in so einem Fall wohl sein?
„Wer bist du?“, fragte ich, als ich wieder einigermaßen normal sprechen konnte.
„Mein Name ist Mirco de Moraine. Ich bin hier um dich zu beschützen“, antwortete er und holte ein Taschentuch aus seinem Umhang hervor. Es war bestickt und mit Spitzen besetzt. Wer hatte denn heute noch so etwas?
„Aha. Und wieso sollst du mich beschützen? Und vor wem?“
„Vor wem?“ Mirco blickte amüsiert und wischte mir das Blut von der Wange. „Vor den Marx natürlich!“ Er machte mit dem Kopf einen Wink zu dem toten Darth Vader, dessen ekelhafter Gestank mir jetzt noch deutlicher in die Nase stieg.
„Die Wunde ist nicht tief. Du hast Glück gehabt“, stellte er fest.
„Sag mal, ist das hier eigentlich ein Science-Fiction-Film oder spielt hier irgendjemand versteckte Kamera?“, fragte ich plump, denn das schien mir im Augenblick die einzig denkbare Erklärung für diese absurd sonderbaren Vorfälle, die eben in unserem Garten stattgefunden hatten.
„Nein, wirklich nicht...“ Mirco grinste. Und da sah ich sie: Seine Eckzähne. Sie waren lang und spitz...
„Du bist ein Vampir!“, stammelte ich erschrocken über diese neue Erkenntnis und robbte entsetzt rückwärts.
Mirco rollte mit den Augen, ganz so als passiere ihm das nicht zum ersten Mal.
„Na und? Sehe ich so aus als würde ich dich im nächsten Augenblick anfallen und dir das Blut aussaugen? Ob du es glaubst oder nicht, es gibt auch Vampire, die keine Menschen töten!“
„Aber...aber, es gibt keine Vampire! Außer in Hollywood-Gruselfilmen vielleicht...“
„Ja, das glauben die meisten Menschen, auch wenn es Unsinn ist. Hör mal, deine Wunde müssen wir verarzten. Sie ist zwar nicht tief, aber am Ende entzündet sie sich noch“, wechselte er das Thema, als wäre die Existenz von Vampiren eine reine Nebensächlichkeit, die keiner weiteren Erwähnung bedürfte.
„Das könnte jetzt ein bisschen weh tun, aber halt' bitte still, okay?“, fuhr er fort und legte seine Hand auf die blutende Wunde an meiner Schläfe.
„Was hast du vor?“, fragte ich beunruhigt. Doch statt einer Antwort fing Mirco an, eine leise Melodie zu summen - so fremdartig und schön, dass ich wie erstarrt sitzen blieb, obwohl ich eigentlich am liebsten aufgesprungen und ins Haus gerannt wäre. Fast augenblicklich wurde die Haut unter seinen Fingern warm, dann brennend heiß und begann zu jucken. Ein paar Sekunden später war alles vorbei und ich fühlte... nichts. Prüfend legte ich meine Hand auf die Stelle, an der eben noch eine klaffende Wunde gewesen war, doch sie war verschwunden. Die Haut fühlte sich weich und glatt an - offenbar hatte ich nicht einmal eine Narbe zurückbehalten.
„Wie hast du das gemacht?“
Fassungslos starrte ich Mirco an, doch er lächelte nur, dieses merkwürdig geheimnisvolle Lächeln, das mir vorhin schon an ihm aufgefallen war.
„Da sind Wölfe!“, rief ich plötzlich erschrocken, als mich gleich ein Dutzend furchteinflößende gelbe Augen aus dem Gebüsch heraus anstarrten.
„Und deinen Kater nennst du Angsthase, dabei bist du selbst einer“, sagte Mirco und drehte sich zu den Wölfen um. „Vor denen brauchst du keine Angst zu haben. Im Gegenteil, Ares und sein Rudel sind hier um dich zu beschützen.“ Er lockte eines der Tiere, das sich ihm freundlich näherte und sich von ihm das graue Fell kraulen ließ. Als der Wolf an meinem Bein schnuppern wollte, zog ich es aber sicherheitshalber doch weg.
„Sind das Werwölfe?“, hauchte ich und bekam eine Gänsehaut.
„Du hast wirklich zu viele Grusel-Filme geschaut! Hab ich irgendetwas gesagt von Werwölfen?“ fragte er und klang plötzlich ziemlich überheblich. „Nein, das sind ganz normale Wölfe.“
„Dann war das Heulen vorhin gar nicht von ein paar Hunden?“, fragte ich und behielt besorgt das Rudel im Blick, das um mich herumstreunte, als wäre ich das Hauptgericht in ihrem Tagesmenü.
Mirco nickte.
Skeptisch schaute ich auf die Wölfe, die mir immer noch nicht ganz geheuer waren, auch wenn sie angeblich nur friedliche Absichten hegten. Es widersprach ja auch jeder Logik, vor Vampiren und Wölfen keine Angst zu haben.
„Du kannst mir ruhig glauben. Die tun dir wirklich nichts! Aber komm jetzt! Ich bring dich zurück. In deinen Klamotten wirst du dich noch erkälten!“
Er reichte mir seine Hand und zog mich nach oben. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass ich meinen Hello Kitty-Schlafanzug trug und nicht gerade ‚salonfähig‘ war, wie Mom sagen würde.
„Sag mal, warum haben diese komischen Darth Vader-Typen eigentlich Jagd auf mich gemacht?“, fragte ich, um meine Verlegenheit zu überspielen.
„Was? Wer bitte ist Darth Vader?“
„Na, ich meine diese... wie hast du vorhin gesagt? Marx?“, antwortete ich.
„Die Marx sind die Diener von Trevor“, antwortete er schlicht.
„Und Trevor?“, hakte ich nach, denn ich fand seine Erklärung bisher wenig aufschlussreich.
„Trevor... Er ist äußerst gefährlich und versucht, die Macht in unserem Reich zu übernehmen“, erwiderte Mirco und setzte ein sorgenvolles Gesicht auf.
„Aha. Und was habe ich damit zu tun?“, bohrte ich nach, denn bisher ergab das alles für mich nicht den geringsten Sinn.
„Möglicherweise stellst du eine Bedrohung für ihn dar.“
„Das ist doch lächerlich“, sagte ich und hätte beinahe laut gelacht. „Warum sollte ich für irgendjemanden eine Bedrohung sein?“
„Ich darf es dir nicht sagen. Erst müssen wir wissen, ob du wirklich die Auserwählte bist.“
„Die was?“
„Die Auserwählte.“
Ich hatte mich also nicht verhört.
„Auserwählt wofür? Und wer ist ‚wir‘? Gibt es etwa noch mehr von deiner Sorte?“
„Natürlich, was hast du denn gedacht?“ Mirco lachte. „Ich kann dir nicht mehr erzählen. Noch nicht. Aber du solltest trotzdem vorsichtig sein. Du darfst dich nie allein draußen aufhalten, besonders nicht nachts. Am besten wäre es, wenn du nach Einbruch der Dunkelheit überhaupt nicht mehr das Haus verlassen würdest“, schärfte er mir ein.