Als die Römer frech geworden
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Wenn Vertrauen zu Verrat wird, ist das Desaster vorprogrammiert. Im Fall der einstigen Verbündeten Varus und Arminius kostete der Verrat Tausende Soldaten und Zivilisten das Leben und die römische Militärführung erhebliches Ansehen. Das Trauma der Varusschlacht sollte die römische Bündnispolitik für Jahrzehnte prägen. Erfahren Sie, wie der listenreiche Arminius das disziplinierte römische Heer austrickste und wie die Römer auf die Schmach der verlustreichen Niederlage reagierten.
Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop
Über den Autor
Dirk Husemann, geboren 1965, ist Archäologe und Historiker. Seit vielen Jahren ist er als freier Autor und Journalist, unter anderem für Spektrum der Wissenschaft, GEO und Spiegel Online, tätig. Bei Campus erschienen bislang von ihm »Die Neandertaler« (2005), »Spiele, Siege und Skandale« (2007) und »Der Sturz des Römischen Adlers« (2008). Dirk Husemann lebt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ort des Geschehens in Ostbevern bei Münster.
Varus’ verhängnisvoller Irrtum
Urknall der deutschen Geschichte oder viel Lärm um Nichts
Der Legionär hat’s schwer
Campus Kaleidoskop
Impressum
Varus’ letzte Stunde war Arminius’ großer Augenblick. Aber der Ort, an dem die Germanen triumphierten, ist bis heute nicht bekannt. 700 Mal glaubten vermeintliche Entdecker, das Rätsel gelöst zu haben. Heute gilt das niedersächsische Kalkriese als vielversprechender Kandidat – aber damit sind einige nicht einverstanden. Die Wahrheit über die Varusschlacht liegt vielleicht verborgen in den Beschreibungen, die über das Ringen zwischen Römern und Germanen berichten.
Varus reiste mit großem Gefolge. Drei Legionen zogen vom Sommerlager an der Weser zurück ins befestigte Legionslager Haltern an der Lippe. Zu einer Legion gehörten unter dem Regime des Kaisers Augustus 6 000 Soldaten. In Friedenszeiten waren es maximal 4 500. Im Fall der Varusschlacht gehen Forscher heute davon aus, dass 4 000 Legionäre eine Legion bildeten. Schließlich verhielten sich die Germanen in jenen Tagen ruhig, und Soldaten waren teuer. Die Römer kochten auf Sparflamme. Überdies kam auf jeden Legionär ein Zivilist. Das mochten Frauen gewesen sein und Händler, Handwerker und Sklaven. Insgesamt schoben sich etwa 22 000 Menschen in einer zehn Kilometer langen Kolonne durch die Wälder – eine kleine Völkerwanderung in Großgermanien.
Unterwegs geschah Geschichte. Was sich auf dem Weg von der Weser zum befestigten Legionslager Haltern abspielte, erschütterte die Weltpolitik so nachhaltig, dass es bis heute einer der großen Forschungsgegenstände der Altertumswissenschaften ist. Die Quellen aber sind dürftig. Sie erzählen eine Geschichte von Verrat und Tod.
Der Zug des Varus mitten durch das Herz der Germania magna in ein Sommerlager war kein Wochenendausflug, sondern eine Unverfrorenheit gegenüber den Germanen. Um 9 n. Chr. waren die schlimmsten Schlachten um Germanien bereits geschlagen, es gab zwar keine Sieger, aber die Waffen schwiegen, und die kampfesmüden Krieger tauschten statt Hiebe lieber Waren mit den Römern. In dieser Ruhe klirrten die Kettenpanzer der marschierenden Römer besonders laut.
Das war Absicht. Der Historiker Gustav Adolf Lehmann ist der Ansicht, Varus marschierte ins Kernland der Cherusker, um den östlich der Weser siedelnden Elbgermanen die Macht Roms unter die Nase zu reiben. Diese Stämme waren mit dem Marbodreich alliiert und gehörten damit zu den Sorgenkindern des Kaisers Augustus. Dessen Devise hieß Abschreckung durch Schwerterrasseln. Doch das ist nur einer der möglichen Gründe für die Reise. Ebenso gut mag Varus auch einen Flecken im germanischen Forst gesucht haben, um einen neuen Stützpunkt der Römer weit im Osten errichten zu können, doch fehlt es der Idee an historischen Belegen. Heute ist der Ort des Sommerlagers unbekannt, für die Suche nach dem Varus-Schlachtfeld aber von entscheidender Bedeutung.
Einige für Varus wichtige Faktoren lassen sich rekonstruieren: Bei der Wahl des Lagerplatzes war das Weserufer erste Wahl. Nur über den Fluss konnten 22 000 Menschen mehrere Monate lang versorgt werden. Der jährliche Bedarf einer Legion an Nahrung lag bei 1 500 Tonnen Getreide. Wer diese Zahl auf drei Legionen umrechnet, die drei Monate überleben müssen, kommt auf etwa 1 200 Tonnen Getreide. Damit aber füllten nur die Soldaten die Mägen, wer zum Tross gehörte, hungerte noch. Über Flüsse und Wege muss sich eine Versorgungslogistik aus Schiffen, Karren und Zugtieren die Weser hinaufgearbeitet haben. Dass das Getreide offenbar säckeweise und unbeschadet in den Kochtöpfen des Varus landete, ist ein weiterer Beleg dafür, dass zwischen Germanen und Römern ein Stillhalteabkommen galt. Das sollte sich ändern.