Maisey Yates, Lucy Gordon, Scarlet Wilson, Jessica Steele

ROMANA EXTRA BAND 32

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Maisey Yates
Originaltitel: „Forged in the Desert Heat“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gisela Blum

© 2014 by Lucy Gordon
Originaltitel: „The Final Falcon Says I Do“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Dorothea Ghasemi

© 2014 by Scarlet Wilson
Originaltitel: „The Heir of the Castle“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Anne Herzog

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 32 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 1996 by Jessica Steele
Originaltitel: „A Wife in Waiting“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gudrun Bothe
Deutsche Erstausgabe 2003 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA EXTRA, Band 210

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany, Hamburg;
in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 32 2015

Abbildungen: DUEL / Getty Images, irabel8 / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733742461

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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MAISEY YATES

Küsse im Palast des Wüstenprinzen

Nächte voller Sinnlichkeit genießt Analise im Palast … Doch ihre zärtlichen Gefühle für den Wüstenherrscher Zafar Nejem sind gefährlich! Schließlich ist sie mit seinem größten Feind verlobt …

LUCY GORDON

Sinnliche Reise nach Ägypten

Selbstverständlich ist Jackson Falcon für seine gute Freundin Freya da, als sie von einem Mistkerl sitzen gelassen wird! Aber als sie sich vertrauensvoll an ihn schmiegt, empfindet er plötzlich mehr für sie …

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Happy End in den Highlands?

Als Laurie ihn hingebungsvoll küsst, spürt Callan: Hier steht mehr auf dem Spiel als eine flüchtige Romanze! Nur kann ein überzeugter Schotte wie er nicht auf ein Happy End mit einer Londoner Anwältin hoffen – oder?

JESSICA STEELE

Lass mir Zeit, Chéri

Mit sanfter Beharrlichkeit versucht der französische Bankier Dacre, das Herz der schüchternen Josy zu erobern. Allerdings scheint ein Wunder nötig zu sein, damit Josy wieder an die Liebe glaubt …

Küsse im Palast des Wüstenprinzen

1. KAPITEL

Von seinem edlen Hengst aus beobachtete Scheich Zafar Nejem aufmerksam das Zeltlager in der Wüste. Er trug das wallende Gewand eines Beduinen. Die Kopfbedeckung, die nur seine Augen frei ließ, schützte ihn nicht nur vor der sengenden Sonne, sondern auch davor, erkannt zu werden. Hier in der Wüste war er zu Hause. Weitab jeglicher Zivilisation, Hunderte von Kilometern von der nächsten Stadt entfernt, hatte er sich einen Namen gemacht als gefährlichster Mann in ganz Al Sabah.

Im Lager schien alles mit rechten Dingen zuzugehen. Über offenen Feuerstellen brodelte Essen in Kochtöpfen, aus den Zelten drang Stimmengewirr. Dennoch zögerte er, sein Nachtquartier dort aufzuschlagen. Die Bewohner des Camps waren keine Beduinen, sondern Wegelagerer, Ausgestoßene wie er selbst. Obwohl zwischen ihnen inoffiziell Waffenstillstand herrschte, traute er ihnen nicht.

Im Moment vertraute er ohnehin niemandem. Dass er seinen rechtmäßigen Platz auf dem Thron einforderte, war vielen ein Dorn im Auge. Besonders in den zivilisierten Landesteilen würde seine Rückkehr wenig Anklang anfinden. Sein Onkel hatte ganze Arbeit geleistet und seinen Ruf gründlich ruiniert.

Könnte ich nur die Gerüchte widerlegen, dachte er. Doch die Legenden, die sich um ihn rankten, kamen der Wahrheit ziemlich nahe. Lediglich die Beduinen, die besonders unter seinem Onkel gelitten hatten, wussten nicht nur von der Schuld, die er auf sich geladen hatte, sondern auch von seinen jahrelangen unermüdlichen Bemühungen um Wiedergutmachung.

Nachdenklich ließ er den Blick über die karge, flache Wüstenlandschaft schweifen. Fünf Stunden von hier gab es eine Oase, in der er übernachten konnte, aber er saß bereits seit Stunden im Sattel und wollte sich und seinem Pferd eine Verschnaufpause gönnen.

„Lass uns hier unser Glück versuchen.“ Er klopfte dem Tier den Hals und führte es kurz darauf in den behelfsmäßigen Pferch zu den anderen Pferden des Lagers, schloss das Gatter sorgfältig hinter sich und machte sich auf den Weg zum Hauptzelt.

Seine Ankunft war nicht unbemerkt geblieben, denn ein Mann kam ihm entgegen. „Was für eine Überraschung, Scheich.“

„Ist meine Rückkehr nach Bihar das wirklich?“ Erneut beschlich Zafar ein ungutes Gefühl. Dass er in der weiten Wüste ausgerechnet auf Jamals Bande stieß, war bestimmt kein Zufall.

„Viele Wege führen in die Hauptstadt.“

„Dann hast du dieses Treffen nicht herbeigesehnt?“

Der Anführer der Bande lächelte. In seinen dunklen Augen blitzte es verschlagen auf. „Ich habe es sogar erhofft. Auf die Begegnung mit jemandem, der über vergleichbaren Reichtum verfügt, habe ich schon seit geraumer Zeit gewartet.“

„Solange ich den Palast nicht erreicht habe, sind meine Mittel begrenzt.“

„Es fehlt Ihnen aber an nichts, wie ich sehe.“

„Genauso wenig wie dir. Willst du mich nicht hereinbitten?“

„Noch nicht.“

Dass Jamal ihm die Gastfreundschaft verweigerte, bewies Zafar, dass etwas nicht stimmte. Er kannte Banden wie die von Jamal und die Orte, an denen sie am liebsten auf der Lauer lagen. Bald würde er über die Mittel verfügen, ihnen das Handwerk zu legen. Allerdings stellten sie keine allzu große Bedrohung dar, daher stand diese Aufgabe weit unten auf seiner langen Liste der zu erledigenden Dinge – was Jamal offenbar nicht ahnte.

„Willst du mir stattdessen Geschenke anbieten?“ So war es in der Wüste Sitte, wenn Gastfreundschaft nicht gewährt werden konnte.

„Ich habe keine, aber etwas anderes, das Sie interessieren wird.“

„Was könnte das sein? Pferde oder Kamele brauche ich nicht.“

Jamal grinste breit, und seine Zähne blitzten im Sonnenlicht. „Es handelt sich um eine wahre Kostbarkeit, Hoheit.“

„Lass mich das beurteilen.“

Auf einen Wink hin führten zwei Männer eine zierliche Blondine aus einem der Zelte. Ihre schönen Augen waren gerötet, und sie wirkte erschöpft. Zu Zafars großer Erleichterung schien sie jedoch unverletzt zu sein. Da sie keinen Widerstand leistete, wusste sie offenbar, dass ein Fluchtversuch in der Wüste zwecklos war.

„Was soll ich mit einer Frau anfangen?“

„Sie könnten sie heiraten oder zu Ihrer Geliebten machen.“

„Wie kommst du denn auf die Idee, ich würde mich für sie interessieren?“

„Sie würden doch niemals eine Frau allein in der Wüste zurücklassen.“

„Du schon, oder?“

„Leider ja, Hoheit.“

„Offensichtlich kommt sie aus dem Westen, und ich habe wahrlich genug Probleme im eigenen Land.“

„Dennoch werden Sie sie kaufen – und zwar zu einem anständigen Preis.“

Zafar zuckte gleichmütig mit den Schultern und wandte sich zum Gehen. „Wende dich an ihre Angehörigen, und fordere von ihnen Lösegeld. Sie können dir bestimmt mehr zahlen als ich.“

„Das würde ich ja machen, aber ich will keinen Krieg vom Zaun brechen.“

Abrupt blieb Zafar stehen. Das Herz schlug ihm plötzlich bis zum Hals. „Was soll das heißen?“

„Es dient nicht meinen Interessen, wenn die Armee von Shakar durch die Wüste marschiert.“

Shakar grenzte direkt an Al Sabah, und zwischen beiden Ländern bestanden extreme Spannungen. „Was haben unsere Nachbarn mit einer Frau aus dem Westen zu tun?“

„Der Scheich von Shakar hat sich mit einer Amerikanerin verlobt, mit Analise Christensen. Das haben Sie doch sicher gehört.“

Trotz seiner zurückgezogenen Lebensweise hatte Zafar das in der Tat erfahren. „Was hast du mit ihr vor? Und welche Rolle soll ich in deinem Spiel übernehmen?“

„Es liegt in Ihrer Hand, wie es weitergeht. Bleibt sie hier, kommt es unweigerlich zum Krieg. Falls Sie sie aber kaufen, genügt ein Wort in das richtige Ohr, und Sie geraten in eine verzwickte Lage: Man wird sich sicher fragen, wie die Verlobte Ihres Feindes in Ihre Hände gelangt ist …“

Zafar dachte nicht im Traum daran, die Fremde bei den Banditen zurückzulassen. Dass Jamal ihn erpresste, bedeutete jedoch eine unnötige Komplikation.

Nimm sie mit, und setz sie am nächsten Flughafen aus, ging es ihm durch den Kopf. Er hatte nur wenig Geld dabei, doch darum ging es der Bande nicht. Sie legte es auf seinen Schutz an.

Nachdenklich betrachtete er die Frau, die ihn jetzt wütend anfunkelte. Wenigstens war sie klug genug, nicht hier und jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen, sondern ihre Energie für einen passenden Moment aufzusparen.

„Was habt ihr ihr angetan?“ Details mochte er sich gar nicht erst vorstellen.

„Wir haben ihr kein Haar gekrümmt und sie nur gefesselt, um sie an einer Flucht zu hindern.“

Zafar überlegte krampfhaft. Wenn Tarik erfuhr, dass seine Braut von Banditen aus Al Sabah entführt worden war, würde er den neuen, übel beleumundeten Scheich des Landes dafür zur Rechenschaft ziehen, und ein Krieg wäre unvermeidlich.

Stattdessen eröffnete Jamal ihm, Zafar, die Möglichkeit, die Frau unversehrt ihrem Verlobten zurückzubringen.

„Hier ist mein erstes und letztes Angebot.“ Zafar griff tief in die Tasche seines Gewands, holte eine altmodische, mit einer Kordel verschlossene Geldbörse hervor und hielt sie hoch. Als Jamal danach greifen wollte, befahl er: „Zuerst die Frau.“

Auf ein Zeichen ihres Anführers hin, brachte einer der Männer sie zu Zafar. Er umfasste ihren Arm und zog sie eng an sich. Sie gab keinen Laut von sich, sondern blieb steif stehen und hielt den Blick gesenkt.

Dann gab er Jamal das Geld. „Wir reiten sofort weiter.“

„Sie können es wohl nicht erwarten, sie auszuprobieren?“

„Das wäre der sicherste Weg, einen Krieg heraufzubeschwören“, erwiderte Zafar. Dann führte er die Frau zu dem Pferch, in dem sein Pferd stand. Da sie immer noch nichts sagte, begann er sich zu fragen, ob sie unter Schock stand.

„Denken Sie ja nicht an Flucht, Prinzessin“, sagte er auf Englisch. „Im Gegensatz zu diesen Männern habe ich nicht vor, Ihnen etwas Böses anzutun.“

„Wieso sollte ich Ihnen glauben?“

Als er jetzt das Gatter öffnete, kam sein Pferd sofort angetrabt. Er führte es ins Freie. „Können Sie allein aufsitzen? Sind Sie verletzt?“

Statt seine Fragen zu beantworten, sagte sie störrisch: „Ich will nicht reiten.“

Wortlos legte er daraufhin die Arme um sie, hob sie hoch und schwang sich mit in den Sattel. „Ich habe für Sie leider zu viel bezahlt, um Sie hier zurückzulassen.“

Dann gab er dem Pferd einen Klaps, woraufhin es sich in Bewegung setzte. Nur wenige Minuten später lag das Camp weit hinter ihnen.

„Sie haben mich gekauft?“

„Es war ein guter Handel, denke ich. Dabei habe ich nicht einmal Ihre Zähne geprüft“, spottete er. Eine hysterische Frau war das Letzte, was er im Moment gebrauchen konnte. Doch was hätte er tun sollen?

Gleich darauf bereute er seine Worte. Er hätte ein wenig Mitgefühl zeigen sollen.

„Wer sind Sie?“, wollte sie wissen.

„Sprechen Sie kein Arabisch?“

„Nicht den Dialekt, den Sie verwendet haben. Ich konnte nur wenig verstehen.“

„Das war die Sprache der Beduinen.“

„Das erklärt immer noch nicht, wer Sie sind.“

„Gestatten: Zafar Nejem. Ich bin der Scheich von Al Sabah und Ihr Retter.“

Ana hielt sich krampfhaft an der Mähne des Pferdes fest. Obwohl die Nachtluft endlich die ersehnte Abkühlung brachte, war Ana wie betäubt und überhaupt nicht in der Lage, zu denken. Ob sie wohl unter Schock stand?

Der Mann, der von sich behauptete, der Scheich von Al Sabah zu sein, schwieg. Sie hatte keine Ahnung, wie er aussah, denn bis auf die dunklen Augen war sein Gesicht verhüllt. Sie wusste nur, dass zum Zeitpunkt ihrer Entführung vor wenigen Tagen noch ein gewisser Farouk Nejem der Herrscher von Al Sabah gewesen war. Tarik hatte ihr von den Problemen mit ihm und seinem Land erzählt.

„Zafar Nejem – der Name sagt mir nichts. Ich dachte, Farouk …“

„Er ist nicht mehr an der Macht“, schnitt er ihr schroff das Wort ab und brachte das Pferd zum Stehen.

Ana sah sich verblüfft um. Sie verstand nicht, weshalb sie anhielten, denn um sie her gab es nichts als Sand … Deswegen hatte sie auch nicht versucht zu fliehen. Es hätte den sicheren Tod bedeutet. Das war die erste Lektion, die ihr Reiseleiter ihnen beigebracht hatte, als sie mit ihren Freundinnen einen Tagesausflug in die Wüste unternommen hatte. Doch ihr letzter Ausflug in die Freiheit, ehe ihre Verlobung mit Tarik öffentlich bekannt gegeben wurde, hatte sich in einen Albtraum verwandelt. Damit bestätigte sich, was sie immer schon geahnt hatte: Aus der Reihe zu tanzen führte geradewegs in die Katastrophe.

Ein weiterer Aspekt, der sie vor einer Flucht zurückschrecken ließ, war ihre zarte helle Haut. Die stechende Sonne hätte sie gnadenlos verbrannt.

Der unerwartete Stopp jagte ihr eine Heidenangst ein. Bisher hatte sie Glück im Unglück gehabt. Ihre Entführer hatten sie nicht angerührt, um, wie sie sagten, die kostbare Ware nicht zu beschädigen. Wie ihr „Retter“ darüber dachte, wusste sie jedoch nicht.

Mühsam atmete sie durch, denn die Luft war extrem trocken und an ein Davonlaufen war nicht zu denken. Sie nahm sich fest vor, unbedingt die Ruhe zu bewahren und zu versuchen, die Kontrolle zu behalten, wenn schon nicht über die Situation, dann wenigstens über sich selbst.

Ihr Begleiter glitt elegant vom Pferd und hielt ihr dann die Hand hin, nach der sie dankbar griff. So erschöpft, wie sie war, wäre sie womöglich auf den Boden gesunken und dort liegen geblieben. Eine solche Demütigung hätte sie nicht ertragen.

„Wo sind wir?“, erkundigte sie sich.

„An unserem Rastplatz.“

„Aber hier ist doch nichts!“

„Ich sitze seit acht Stunden auf dem Pferd und brauche dringend eine Pause.“

„Wenn Sie ein Scheich sind, wieso benutzen Sie dann kein Auto?“

„Wo sollte ich denn mitten in der Wüste tanken?“

Um Benzin und Öl – darum geht es doch immer, dachte sie gereizt. Sie war die Tochter des reichsten Ölhändlers der USA. Durch ihren Vater hatte sie Scheich Tarik kennengelernt, war nach Shakar gereist und saß nun offensichtlich in Al Sabah fest. Das Öl war schuld an ihrem Elend.

Um auf andere Gedanken zu kommen, versuchte sie, sich Tariks Bild vor Augen zu führen: seine schönen dunklen Augen und sein Lächeln. Doch es gelang ihr nicht, weil sie zu erschöpft, verschwitzt und durstig war.

Beim Anblick des geheimnisvollen Fremden beschleunigte sich allerdings ihr Herzschlag unwillkürlich, und sie rückte rasch von ihm ab. Dabei ähnelte er Tarik in keiner Weise. Sein harter, kalter Blick ließ nicht die Spur eines Lächelns erkennen. Dennoch zog er sie magisch an …

Sie blinzelte, weil die Sonne, die gerade in einem berauschenden Farbenspiel aus Rot- und Purpurtönen hinter einer Bergkette versank, sie blendete. „Wann kehren wir wieder in die Zivilisation zurück und wann kann ich endlich Kontakt zu meinem Vater und Tarik aufnehmen?“

„Ich weiß noch nicht, ob ich Ihnen Letzteres gestatten werde. Vielleicht stecke ich Sie ja auch in meinen Harem.“

„Sie haben doch gesagt, dass Sie mein Retter sind!“

„Haben Sie je in einem Harem gelebt? Vielleicht gefällt es Ihnen dort ja.“

„Besitzen Sie denn einen?“

„Leider nicht. Ich könnte mir allerdings als zukünftiger Herrscher von Al Sabah einen zulegen.“

Vor Schreck verschlug es ihr für einen Moment die Sprache. Doch dann schimpfte sie zornentbrannt los: „Ihre Witze können Sie sich sparen.“

Da sie auf der strengen Schule, die sie besucht hatte, gelernt hatte, in jeder Situation Haltung zu bewahren, nie zu laufen, wo man gehen konnte, nie zu schreien, wo ein ruhiges Wort möglich war, nahm sie sich jedoch sogleich zurück. Schließlich hatte sie auch gelernt, dass Tränen nichts zum Besseren wendeten. Ihre Mutter hatten sie jedenfalls nicht zurückgebracht.

„Glauben Sie etwa, ich wäre glücklich über die Situation? Diese Gauner würden einen Krieg auslösen, wenn es für sie von Vorteil wäre. Sie versuchen, sich meinen Schutz mit Erpressung zu erkaufen. Sobald Ihr Verlobter erfährt, dass Sie von Leuten aus Al Sabah entführt wurden oder dass der zukünftige Herrscher des Landes Sie gegen Ihren Willen festhält, gehört der labile Waffenstillstand, der zwischen unseren Ländern zurzeit besteht, der Vergangenheit an. Was denken Sie, wie ich mich gerade fühle?“

Benommen sah sie ihn an. „Ich … Sie meinen, dass meinetwegen ein Krieg ausbrechen könnte?“

„Nicht, wenn ich es vermeiden kann.“

„Mich in Ihren Harem zu stecken wäre der Sache auch nicht dienlich, oder?“

„Gewiss nicht. Falls ich allerdings an einer Auseinandersetzung interessiert wäre …“

„Wieso sollten Sie das sein?“

„Ich muss erst sämtliche Unterlagen meines Onkels durchsehen und mir einen Überblick über die Lage verschaffen, ehe ich eine Entscheidung fälle. Seit ich erfahren habe, dass ich der zukünftige Regent bin, hatte ich noch kaum Kontakt zum Palast.“

„Warum nicht?“

„Wie bei einem Regimewechsel üblich, habe ich in einer ersten Amtshandlung alle Leute gefeuert, die für meinen Onkel gearbeitet haben.“

„Ist das ähnlich wie bei einer feindlichen Übernahme?“

„Nein, denn ich bin der rechtmäßige Herrscher. Mein Onkel ist tot.“

„Das tut mir leid.“ Selbst in dieser kritischen Lebenslage vergaß Ana ihre gute Erziehung nicht.

„Mir nicht. Er hat Al Sabah nichts als Armut und Gewalt gebracht – und Ärger mit den Nachbarn. Leider sind Sie zu einer wichtigen Person in diesem Poker um die Macht geworden, und ich muss mich entscheiden, welchen Zug ich mit Ihnen mache.“

Einen Moment lang verspürte Zafar so etwas wie Mitleid mit der zarten Blondine, auch wenn Gefühle völlig fehl am Platze waren. Beinahe sein halbes Leben hatte er fern der Gesellschaft und Familie verbracht. Er hatte sich ganz auf seine Bestimmung konzentriert, über Al Sabah zu wachen und seine schwächsten Einwohner zu schützen. Rücksicht auf Gefühle hatte er nie genommen.

Noch immer kämpfte er für Gerechtigkeit, und notfalls würde er es auch auf Kosten dieser jungen Frau tun. Glücklicherweise hatten sie ähnliche Ziele, wenngleich sie ihres später erreichen würde, als ihr lieb war. Der einfachste Weg, Frieden zu bewahren, war, sie unversehrt an Tarik zu übergeben. Wie er das möglichst geschickt einfädelte, musste Zafar sich allerdings noch gründlich überlegen. Er war ein starker, unerschrockener Kämpfer, aber diplomatisches Geschick und Raffinesse fehlten ihm.

„Ich will nach Hause!“, stöhnte die junge Frau plötzlich, nun gar nicht mehr gelassen.

Zafar wusste, wie es war, unter Schock zu stehen. Man nahm die Realität wie durch Watte wahr. Er selbst war damals benommen durch die Wüste getorkelt, ohne die sengende Hitze zu spüren.

Hoffentlich bekommt sie keinen Nervenzusammenbruch! dachte er. Sich um eine hysterische Frau kümmern zu müssen, das fehlte ihm jetzt gerade noch.

„Das ist leider nicht möglich.“

„Ich verstehe. Der Krieg …“

„Dann haben Sie mich ja richtig verstanden. Ich schlage jetzt das Zelt auf. Laufen Sie in der Zwischenzeit bitte nicht fort.“

„Ich bin doch nicht lebensmüde. Wieso, glauben Sie, habe ich bislang keinen Fluchtversuch unternommen?“

„Ich weiß ja noch nicht einmal, wie Sie Jamal in die Hände gefallen sind.“ Er löste das am Sattel festgezurrte Zelt und breitete es auf dem Boden hinter einem Felsen aus, der es vor Blicken schützen würde. In der Wüste drohten schließlich noch andere Gefahren außer Jamals Bande.

„Ich habe einen Ausflug zu den Beduinenlagern in Shakar unternommen.“

„Dann haben die Banditen also die Grenze überschritten. Was für ein Glück, dass die wussten, wer Sie sind.“

„Anhand meines Verlobungsrings haben sie mich erkannt. Er gehört zu den Kronjuwelen von Shakar.“ Sie hielt ihre Hand hoch. „Natürlich haben sie ihn behalten.“

„Wieso haben sie ihn mir dann nicht als Beweis vorgelegt?“

Erschrocken sah sie ihn an. „Aber Sie haben doch bestimmt von meiner Verlobung mit Tarik gehört?“

„Handelt es sich dabei um eine Verbindung, die aus Vernunftgründen erfolgt ist?“

„Schon, aber er liebt mich auch.“

„Gewiss.“

„Doch! Selbstverständlich dient unsere Verbindung auch geschäftlichen Zwecken, aber wir sind bereits seit Jahren heimlich verlobt.“

„Lieben Sie ihn denn?“

Trotzig hob sie das Kinn. „Von ganzem Herzen. Ich freue mich auf die Hochzeit.“

„Wann soll sie denn stattfinden?“

„In wenigen Monaten. Erst soll ich sein Land kennenlernen, danach will er mir in aller Öffentlichkeit den Hof machen.“

„Obwohl Sie schon so lange ein Paar sind?“

„Es geht darum, den Schein zu wahren. Das ist doch auch Ihre Absicht, sonst würden Sie mich umgehend zu Tarik bringen, oder? Er soll nur nicht herausfinden, dass Ihre Landsleute mich entführt haben. Sie haben den Überfall zwar nicht angeordnet, aber zumindest auch nicht verhindern können.“

„Ich habe meine Amtsgeschäfte noch nicht einmal richtig aufgenommen und möchte nicht sofort in einen Entführungsskandal verwickelt werden.“

„Verstehe.“

„Was genau verstehen Sie, habibti?“ Das Kosewort kam ihm unwillkürlich über die Lippen. Er nannte Frauen sonst gern „Schatz“. Das war einfacher, als sich ihre Namen zu merken, und schuf gleichzeitig eine gewisse Distanz.

Als Nomade in der Wüste hatte er kein geregeltes Liebesleben, doch immer wieder fand er Frauen, die ihn in ihr Bett einluden. Zumeist handelte es sich um Beduinenfrauen, aber es gab auch eine Geliebte in der Hauptstadt, die ihm obendrein als zuverlässige Informationsquelle diente.

„Dass meine Entführung eine Bedrohung für Sie darstellt.“ Ana sah ihn abschätzend an.

„Mein Volk liebt mich nicht, was insofern ein Problem darstellt, als ich es regieren muss.“

Während seines Exils in der Wüste hatte er sich um die Beduinen gekümmert. Sein Onkel hatte sie gnadenlos besteuert, ihnen jegliche medizinische Versorgung und Unterstützung vorenthalten. Die Beduinen standen geschlossen hinter Zafar, die Städter aber kannten nur die üblen Gerüchte, die sein Onkel verbreiten ließ.

Zafars Aufgabe war es nun, sich vor der Stadtbevölkerung zu rehabilitieren, ohne die Wüstenbewohner zu verprellen – und ohne den Zorn des Scheichs von Shakar zu erregen, was keine einfache Aufgabe war.

„Das hilft mir auch nicht viel weiter.“

„Es tut mir leid, aber das ist Ihr Problem. Jetzt lassen Sie mich endlich das Zelt aufbauen, sonst müssen wir im Freien übernachten.“

„Soll ich etwa mit Ihnen in einem Zelt schlafen?“

„Sie können die Nacht auch unter freiem Himmel verbringen. Haben Sie denn nicht die Insekten gesehen, die nachts aus dem Sand krabbeln?“

Ana schauderte. Die Vorstellung erschreckte sie. Doch war es wirklich weniger gefährlich, neben diesem Mann zu liegen? Einem Fremden? Lediglich das Wissen, dass er unbedingt einen Krieg verhindern wollte, tröstete sie ein wenig.

Vielleicht sollte ich ihn darauf hinweisen, dass ich noch unschuldig bin und Tarik das bekannt ist, ging es ihr durch den Kopf. Das bot ihr vielleicht einen gewissen Schutz. Sie beschloss, es sich für den Notfall aufzuheben.

„Wie lange muss ich bei Ihnen bleiben?“, fragte sie, während er geschickt das winzige Zelt aufbaute.

„So lange wie nötig.“

Ana beobachtete ihn neugierig bei der Arbeit und überlegte, wie er wohl gebaut sein mochte. Unter dem wallenden Gewand ließ sich seine Figur nicht erahnen. Seine geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen deuteten allerdings darauf hin, dass er sich in ausgezeichneter körperlicher Verfassung befand. Nicht, dass es von Bedeutung gewesen wäre …

„Wie aufschlussreich!“

„Mehr kann ich nicht sagen. Sobald ich die Situation besser einschätzen kann, gebe ich Ihnen Bescheid.“ Mit schnellen, geschickten Bewegungen arbeitete er weiter.

„Machen Sie das öfter?“

„Fast täglich.“

„Sie kaufen jeden Tag entführte Frauen und reiten mit ihnen durch die Wüste?“

„Ich spreche vom Zelt.“

„Das ist mir schon klar. Ich wollte nur die Stimmung etwas auflockern.“ Sie neigte den Kopf zurück und betrachtete den inzwischen tiefschwarzen Himmel, an dem Millionen von Sternen funkelten.

Mach jetzt bloß nicht schlapp, ermahnte sie sich. Ihrem Vater zuliebe musste sie sich zusammenreißen und alles tun, um rasch zu ihm und Tarik zurückzukehren. Schließlich wollte sie keine Last für sie darstellen.

„Genau genommen habe ich Sie nicht gekauft“, erklärte Zafar, während er eine Schnur verknotete, „sondern Lösegeld für Sie bezahlt.“

„Das klingt doch gleich viel besser!“

„Sie sollten sich daran immer erinnern. So, fertig. Möchten Sie sofort schlafen gehen?“

Ja und nein. Die Vorstellung, mit ihm in dieses winzige Zelt zu kriechen und ihm ganz nahe zu sein, ließ ihren Herzschlag in ungeahnte Höhen schnellen. Gleichzeitig fühlte sie sich zu Tode erschöpft.

„Ich weiß es nicht“, brachte sie schließlich hervor, und gleich darauf brachen sich all ihre Ängste Bahn. Heftiges Schluchzen schüttelte ihren Körper, und sie erlitt endgültig einen Nervenzusammenbruch. Tränen strömten ihr über die Wangen, und zwischen einzelnen Schluchzern rang sie heftig nach Luft.

Zafar tat nichts, um sie zu trösten, sondern ließ sie einfach weinen. Er hätte ihr ohnehin nicht helfen können. Nach Tagen, in denen sie Stärke bewiesen und ihre Ängste vor ihren Entführern verborgen hatte, musste Ana sich einfach gehen lassen.

Nach einer Weile beruhigte sie sich jedoch wieder. Der Gefühlsausbruch war ihr peinlich, und sie ärgerte sich über sich selbst.

„Ist es jetzt besser?“

Zafar sah sie mit undurchdringlicher Miene teilnahmslos an, was Ana als unangemessen empfand. Natürlich wollte sie nicht von ihm getröstet werden, aber ein wenig Mitgefühl hätte sie schon erwartet.

„Danke.“ Vom Weinen war ihre Stimme ganz rau.

„Möchten Sie jetzt schlafen gehen?“

„Ja.“ Vor Erschöpfung konnte sie sich auf einmal kaum mehr auf den Beinen halten, und sie begann am ganzen Körper zu zittern. „Ich weiß gar nicht, woher das kommt“, stöhnte sie.

Fluchend legte Zafar die Arme um sie und zog sie fest an sich.

Dass er sie nicht aus Zuneigung umarmte, war Ana sofort klar. Doch selbst geborgen an seiner Brust bebte sie noch eine ganze Weile. Gleichzeitig nahm sie seinen überraschend angenehmen Geruch wahr. Obwohl er den ganzen Tag durch die Wüste geritten war, duftete er ausgesprochen würzig, und das gefiel ihr überraschend gut.

Jetzt bist du völlig durchgedreht! sagte sie sich, denn sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich an ihn zu klammern und ihn anzuflehen, sie auf keinen Fall wieder loszulassen.

„Das nächste Feldlazarett ist weit entfernt. Tun Sie also bitte nichts Unüberlegtes wie zum Beispiel zu sterben“, sagte Zafar in diesem Moment, und seine Stimme klang ungewöhnlich rau.

„Wenn ich tot wäre, würde mir ein Lazarett auch nicht mehr helfen.“ Ana legte den Kopf an seine Brust. Sein gleichmäßiger Herzschlag beruhigte sie ein wenig. Irgendwie stellte er für sie eine Verbindung zur Welt her, zum Leben. „Keine Sorge, ich sterbe schon nicht.“

„Wann haben Sie zum letzten Mal etwas getrunken?“

„Das ist eine Weile her. Ich weiß nicht einmal, wie viele Tage seit meiner Entführung vergangen sind.“

„Kommen Sie, ich bringe Sie ins Zelt.“ Er hob sie auf seine Arme und trug sie behutsam ins Zelt. Dort setzte er sie auf einer Decke ab. Dann ging er wieder hinaus, um einen Moment später mit einem Wasserschlauch zu ihr zurückzukehren. „Trinken Sie.“

Ana folgte seiner Aufforderung und merkte erst jetzt, wie durstig sie war. In gierigen Zügen leerte sie den ganzen Inhalt. „Hoffentlich war das nicht Ihr gesamter Wasservorrat.“

„Ich habe noch mehr. Morgen Vormittag legen wir ohnehin Rast bei einer Oase ein, ehe wir zur Stadt weiterreiten.“

„Wieso übernachten wir nicht heute schon in der Oase?“

„Weil ich müde bin, genau wie Sie.“

„Mir geht’s gut“, widersprach sie, weil seine Freundlichkeit ihr nicht geheuer war.

„In der Wüste muss man lernen, seine Grenzen realistisch einzuschätzen. Jeden Moment führt sie uns unsere Sterblichkeit vor Augen.“

Erschöpft ließ Ana sich auf die Decke sinken. Dabei kehrte sie Zafar den Rücken zu. Sie hörte, wie er sich ebenfalls hinlegte, und spürte, dass er über sie eine Decke ausbreitete.

„In der endlosen Wildnis sind wir winzig klein und unbedeutend.“ Seine sonore Stimme klang sanft und warmherzig, und Ana hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihr nachgeben.

„Sie führt uns aber auch unsere Stärke vor Augen. Wenn man die Wüste respektiert und die eigenen Grenzen akzeptiert, ohne dagegen anzukämpfen, kann man in ihr leben. Beherrschen lässt sich die Wüste nicht, aber wer hier überlebt, der beweist wahre Stärke.“

Ana fielen die Lider zu. „Mir ist kalt“, murmelte sie und spürte, wie ein starker Arm sie daraufhin umfing. Schon bald ging es ihr besser, und sie fühlte sich überraschend geborgen an Zafars breiter Brust. Seine Berührung hatte etwas unendlich Tröstliches an sich.

Zärtlich streichelte er ihren Arm. Es fühlte sich an, als hätte er eine Flamme in ihr entfacht.

Anas letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, dass er der erste Mann war, der sie im Schlaf umfangen hielt – und dass sie sich dieses Erlebnis lieber für ihren Verlobten aufgespart hätte.

Dennoch schmiegte sie sich eng an ihn und gestattete sich, was sie sich seit ihrer Entführung nach Möglichkeit versagt hatte: Sie schlief ein.

2. KAPITEL

„Wachen Sie auf.“ Zafar schüttelte Ana behutsam, die zusammengerollt wie ein Kind dalag und fest schlief.

Die Sonne ging gerade hinter den Bergen auf, und es herrschten noch angenehme Temperaturen. In wenigen Stunden würde es zu heiß zum Reiten sein. Bis dahin wollte er die nächstgelegene Oase erreicht haben, um dort eine Rast einzulegen. Am Spätnachmittag, wenn es sich wieder etwas abgekühlt hatte, beabsichtigte er, mit Ana zur Stadt weiterzuziehen.

Noch eine Nacht im Freien wollte er der zerbrechlich wirkenden Blondine nicht zumuten. Ein längerer Aufenthalt in der Wüste würde ihrem zarten Teint schaden. Außerdem brauchte er dringend Schlaf.

In diesem Moment schlug sie die Augen auf. „Ich …“ Abrupt setzte sie sich auf. „Oh nein! Es war also kein Albtraum.“

„Leider nicht. Meinen Sie damit mich oder Ihre Entführung?“

„Alles. Auf dieses Abenteuer hätte ich gut verzichten können. Mir tut alles weh. Der Boden war einfach schrecklich hart.“

„Darüber müssen Sie sich bei Ihrem Schöpfer beschweren.“

„Halten Sie mich etwa für wehleidig?“ Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, wobei sich ihre Finger darin verfingen.

Unwillkürlich fragte Zafar sich, wann sie es zum letzten Mal gekämmt hatte. Ein Bad hatten ihre Entführer ihr bestimmt nicht ermöglicht und auch sonst wohl keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen. Dafür hätte er die Männer nur zu gern zur Rechenschaft gezogen. Doch in seiner zukünftigen Position durfte er sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Er musste seine Ziele um jeden Preis verfolgen.

„Solche Gedanken mache ich mir überhaupt nicht. Sie stellen für mich lediglich eine Last dar und behindern mein Vorankommen.“ Er hatte es schließlich eilig, zum Palast zu gelangen. Seine Männer hatten ihn informiert, dass Botschafter Rycroft, ein Freund seines verstorbenen Onkels, auf einem baldigen Treffen bestand. Diese Begegnung würde nicht angenehm verlaufen – wie überhaupt sein weiteres Leben. Von nun an würde er es fast ausschließlich der Politik widmen müssen.

„Ich habe weder darum gebeten, entführt zu werden, noch dass Sie mich kaufen.“

„Haben Sie es schon vergessen? Ich habe Lösegeld für Sie gezahlt.“

„Wie Sie es nennen ist mir egal. Es geschah auf jeden Fall gegen meinen Willen.“

„Würden Sie sich jetzt bitte nach draußen begeben, damit ich das Zelt abbauen kann?“

Ana stand auf, warf ihm einen bitterbösen Blick zu und ging mit hocherhobenem Kopf an ihm vorbei ins Freie.

„Falls Sie Hunger haben, Sie finden in einer der Satteltaschen Dörrfleisch.“

Obwohl sie darauf absolut keinen Appetit verspürte, durchwühlte Ana die Taschen und fiel gleich darauf mit unerwartetem Heißhunger über den Proviant her.

„Ist noch Wasser da?“, fragte sie dann hoffnungsvoll.

„Im Schlauch.“ Während sie es trank, baute Zafar rasch das Zelt ab.

„Haben die Entführer Ihnen nichts zu essen gegeben?“

„Nicht genug jedenfalls. Außerdem war ich mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Also habe ich nur etwas zu mir genommen, wenn es gar nicht mehr anders ging.“

„Sie zu vergiften oder unter Drogen zu setzen, hätte den Kidnappern keinen Vorteil verschafft.“

„Vermutlich nicht, aber auf diese Idee bin ich einfach nicht gekommen.“

„Was kein Wunder war in solch einer Situation.“

„Sie werden mir doch nichts antun, oder?“ Sie sah ihn mit großen Augen fragend an.

„Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“ Eine Frau zu misshandeln war eindeutig unter seiner Würde.

„Ich glaube Ihnen. Sonst hätte ich diese Nacht auch nicht schlafen können.“

„Wie viele Nächte haben Sie durchwacht?“

Ana schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Ich hatte Angst, die Augen zu schließen, weil ich nicht wusste, was dann passiert. Dadurch wurde alles allerdings noch schlimmer. Wenn man müde ist, vermischen sich Realität und Wahnvorstellungen … Ich war kurz davor, verrückt zu werden.“

„Dann hören Sie mir jetzt gut zu: Ich halte Sie weder zu meinem Vergnügen fest, noch um Ihnen in irgendeiner Form zu schaden. Ehe ich Sie freilasse, muss ich mir allerdings ein genaues Bild der Lage verschaffen. Das mag Ihnen nicht gefallen, doch einen Krieg wollen Sie gewiss nicht auslösen.“

„Eine solche Auseinandersetzung ist immer die schlechtere Alternative“, stimmte sie ihm zu. „Aber ich könnte Tarik doch erklären …“

„Möglicherweise würde er sogar auf Sie hören. Er könnte es aber auch für angebracht halten zu beweisen, dass er in der Lage ist, sein Eigentum zu schützen.“ Zafar schwieg einen Moment. „Außerdem muss ich an mein Land denken. Jamal würde möglicherweise Gerüchte in Umlauf bringen, dass ich in die Entführung verwickelt war. Das wäre normalerweise kein Problem. Als Herrscher könnte ich in so einem Fall eine Rebellion im Keim ersticken. Aber mein Volk steht noch nicht loyal hinter mir. Ein solcher Skandal wäre vielen ein willkommener Anlass, mich so schnell es geht wieder vom Thron zu stürzen.“

„Ist Ihnen der Thron denn so wichtig?“

„Man hat mir die Krone gestohlen und mich ins Exil verbannt. So will ich nicht länger leben. Der Thron von Al Sabah gehört mir. Ich nehme nur meinen rechtmäßigen Platz ein.“

„Selbst um den Preis, dass Sie mich zu dem Zweck gefangen halten müssen?“

„Ihr Gefängnis wird ein luxuriöser Palast sein, ähnlich dem Ihres Verlobten. Betrachten Sie Ihre Zeit dort einfach als Wellness-urlaub.“

„Dann fange ich am besten gleich mit einem Sandpeeling an. Das soll sehr gut sein für die Poren.“

„Die Schönheitskur beginnt erst heute Abend im Palast. Augenblicklich befinden Sie sich noch auf einem Ausflug in der Wüste in Begleitung eines privaten Fremdenführers. Ich kenne die Wüste besser als die meisten Bewohner die Stadt, in der sie aufgewachsen sind.“

„Leider erschließt sich mir die Schönheit der Umgebung nur langsam.“

„Die Landschaft hier gleicht der Wüste in Shakar. Wenn Ihnen die Umgebung so wenig zusagt, sollten Sie sich besser noch einmal überlegen, ob Sie Tarik wirklich heiraten wollen.“

„Es tut mir leid. Ich habe einfach nur schlechte Laune.“

„Das ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich gleichgültig.“ Er zurrte das zusammengerollte Zelt am Sattel fest, nahm Ana den Wasserschlauch aus der Hand und verstaute ihn in einer Satteltasche. „Schaffen Sie es allein aufs Pferd, oder soll ich Ihnen helfen?“

„Ich befürchte, ich benötige Ihre Hilfe.“

„Kein Problem. Ich habe Sie schließlich die ganze Nacht über im Arm gehalten, da kommt es auf eine weitere Tuchfühlung auch nicht mehr an.“

Als Ana errötete, machte Zafar sich insgeheim Vorwürfe. Es war überflüssig, sie zu necken, zumal er sich aus Wortspielen und Humor bisher nie etwas gemacht hatte. Er ahnte allerdings, dass er damit nur gegen etwas ankämpfte, das ihn zutiefst verstörte. Ana zog ihn unwiderstehlich an. Das gestand er sich allerdings nicht ein.

Er verschränkte die Hände und hielt sie ihr hin. „Steigen Sie darauf“, forderte er sie auf.

Gehorsam griff Ana mit einer Hand in die Pferdemähne, die andere legte sie auf Zafars Schulter, stieg mit einem Fuß auf die verschränkten Hände und ließ sich von ihm hochheben, bis sie das andere Bein über den Pferderücken schwingen konnte.

„Wollen Sie vor oder hinter mir sitzen?“, erkundigte sich Zafar.

Die Frage brachte Ana in Verlegenheit. Rasch überlegte sie, in welcher Position sie am wenigsten Körperkontakt haben würden. „Vor Ihnen.“

Für Zafar würde das Reiten auf diese Weise zwar schwieriger sein. Doch allein der Gedanke, dass sie hinter ihm sitzen würde, die Brust an seinen Rücken gepresst, ließ ihn innerlich erglühen.

Rasch rief er sich zur Ordnung. Wie er es ihr versprochen hatte, würde er sie beschützen und nicht anrühren. Er stand schließlich immer zu seinem Wort. Er wusste, was richtig war, und setzte es um. Deswegen kehrte er auch nach Jahren im Exil in die Stadt zurück, in den Palast. Nicht Machthunger trieb ihn an, sondern das Wissen um seine Pflicht seinem Volk gegenüber. Es gab keinen anderen Weg, und Zeit für eine Ablenkung hatte er auch keine.

Er saß hinter Ana auf und griff nach den Zügeln. „Halten Sie sich gut fest“, befahl er und legte ihr einen Arm um die Taille. „Wenn wir den Palast heute noch erreichen wollen, müssen wir uns beeilen.“

Sie ritten wie der Teufel und rasteten nur kurz in der Oase in den Bergen, die sich mit ihrem saftigen Grün von der trockenen, staubigen Umgebung abhob. Danach jagten sie wieder im Galopp über das karge Land.

Als Ana in der Ferne einen flüchtigen Blick auf die Stadt erhaschte, war sie so erschöpft, dass sie sich kaum noch auf dem Pferd halten konnte. Sie war von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt, und ihre Finger waren so steif, dass sie sich kaum mehr an der Mähne des Tiers festhalten konnte. Nach nichts sehnte sie sich mehr als nach einem Bad und einem weichen Bett. Alles andere konnte warten.

Das harte Leben in der Wüste war sie nicht gewöhnt. Sie stammte aus einem vornehmen Elternhaus und hatte jahrelang ein exklusives Mädchenpensionat besucht, das den Komfort eines Fünfsternehotels bot.

Bequeme Betten und heiße Schaumbäder waren für sie bis vor Kurzem eine Selbstverständlichkeit gewesen. Nun war sie von Kopf bis Fuß schmutzig wie noch nie und fühlte sich entsetzlich.

Als sie sich der Stadt näherten, entdeckte Ana Wolkenkratzer und graue Türme aus Glas und Stahl, wie sie sich in jeder beliebigen Großstadt in den Vereinigten Staaten befanden. Doch die uralte gelbe Lehmmauer, die die Stadt einfasste, legte Zeugnis ab von ihrer tausendjährigen Geschichte.

„Willkommen in Bihar“, sagte Zafar.

„Reiten wir direkt in die Stadt?“

„Wieso nicht?“

Zafar stellte für Ana ein Rätsel dar. Er hielt eloquente Monologe, rezitierte ohne ins Stocken zu geraten wunderbare Gedichte über die Wüste, aber sobald sie ihn in eine Unterhaltung zu verwickeln versuchte, wurde er wortkarg. Im Zwiegespräch schien seine Selbstsicherheit wie weggeblasen zu sein.

„Zwischen den hohen Häusern wirkt ein Pferd sicher fehl am Platz.“

„Das trifft in der Innenstadt zu, aber nicht in den Vororten und auf dem Weg zum Palast, den wir einschlagen werden.“

Wenig später lag die Wüste hinter ihnen. Sie durchquerten eines der Stadttore in einem Viertel, in dem sich vierstöckige Wohnhäuser aus sonnengetrockneten Lehmziegeln eng aneinanderreihten, und vorbei an einem Marktplatz, auf dem Getreide, Nüsse und getrocknete Früchte in großen Körben feilgeboten wurden. Überall herrschte großes Gedränge, doch die Leute machten ihnen Platz, ohne weiter auf Pferd und Reiter zu achten.

Einmal wandte Ana sich zu Zafar um. Sein Gesicht war noch immer bis auf die Augen verhüllt. Der Gedanke, dass der Scheich sich unerkannt auf seinem Rappen durch die Stadt bewegte, eine Gefangene vor sich im Sattel, amüsierte sie seltsamerweise.

Kurz darauf erreichten sie weniger besiedelte Stadtviertel, dann bogen sie von der gepflasterten Straße ab auf einen schmalen Pfad, der an der Innenseite der Stadtmauer verlief und bald in einen riesigen Olivenhain mündete. Minuten später erhaschte Ana einen Blick auf den Palast.

Das eindrucksvolle Bauwerk, aus weißem Stein im orientalischen Stil errichtet, thronte auf einem Hügel. Sein saphirblaues Dach leuchtete wie eine Fackel und musste von nahezu jeder Stelle in der Stadt zu sehen sein. Der wunderschöne Palast wirkte trotz seiner riesigen Ausmaße irgendwie filigran, fast übernatürlich, und war dennoch nicht aus dem Stadtbild von Bihar wegzudenken – ganz im Gegensatz zu den modernen Hochhäusern.

Zafar trieb sein Pferd ein letztes Mal an, und sie näherten sich dem Palast in vollem Galopp. Kurz vor einem Tor zügelte Zafar den Hengst, stieg ab und löste das Tuch, das sein Gesicht bedeckte. Als Ana seine markanten Gesichtszüge erblickte, wusste sie, weshalb er sich unterwegs verhüllt hatte. Sie waren einfach unverwechselbar. Wer Zafar einmal gesehen hatte, vergaß ihn bestimmt nie wieder.

Gleich darauf staunte sie ein zweites Mal, als er aus den Falten seines Gewands ein Handy hervorzog und eine Nummer wählte. Gerade noch war er wie eine Gestalt aus längst vergangenen Zeiten auf einem schwarzen Hengst durch die Wüste geritten, nun bediente er sich moderner Technik.

„Ich bin da. Öffnet das Tor.“

Sekunden später ging es wie von Zauberhand auf, und Zafar führte das Pferd, auf dem Ana immer noch saß, in einen weitläufigen Innenhof. Sofort fühlte sie sich wie in eine andere Welt versetzt. Kunstvolle Steinmosaike zierten die Innenwände der Mauern, in der Mitte des Hofs, eingefasst von Beeten voller bunt blühender Blumen und Sträucher, stiegen hohe Wasserfontänen eines Springbrunnens auf. Von Tarik wusste Ana, dass solche grünen Oasen in den wasserarmen Ländern der Region als Zeichen von Reichtum und Luxus angesehen wurden.

Gleich hinter dem Tor nahm eine Gruppe beängstigend wild aussehender Männer sie in Empfang. Einer von ihnen trug sogar einen Krummsäbel an der Seite. In diesem Moment wurde ihr erneut bewusst, dass sie Zafar auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Das hatte sie in den vergangenen Stunden erfolgreich verdrängt. Seine Macht flößte ihr Angst ein. Gleichzeitig fühlte sie sich geradezu unwiderstehlich von ihm angezogen, und zwar in einer Weise, die sie nicht zu ergründen vermochte.

Schnell verdränge sie die verwirrenden Gefühle. Dass ihr Herz schneller pochte, lag bestimmt nur an den furchterregenden Männern, die sie gerade umringten.

„Scheich“, begrüßte einer von ihnen Zafar und neigte den Kopf tief, während er Ana völlig ignorierte.

„Brauchen Sie Hilfe beim Absitzen?“, fragte Zafar sie.

„Danke, das schaffe ich allein.“ Ungeschickt glitt sie vom Pferd, strauchelte, fing sich aber gleich wieder und lächelte dann verlegen.

„Lasst ein Zimmer für meinen Gast herrichten. Ihr habt doch neue Diener eingestellt, oder?“, wandte Zafar sich an seine Leute.

Für meinen Gast? Beinahe hätte Ana laut aufgelacht.

Der größte und breitschultrigste Mann nickte. „Wir haben alles nach Ihren Wünschen vorbereitet, Scheich. Botschafter Rycroft hält sich gerade im Palast auf und hat Ihre Ankunft bemerkt. Er besteht darauf, Sie umgehend zu sprechen. Es wird schwierig sein, ihn noch länger hinzuhalten.“

„Gut, ich kümmere mich gleich um ihn. Versorgt inzwischen mein Pferd.“

„Ja, Scheich.“

Ana wunderte sich, dass die Leute Zafars neuen Status als Scheich ungefragt akzeptierten. Doch dann kam es ihr in den Sinn, dass er vermutlich schon immer ihr Anführer gewesen war. Ihn umgab eine unverwechselbare Aura von Selbstbewusstsein, Macht, Kraft und Wagemut. Doch statt sich davon abgestoßen zu fühlen, faszinierten diese Eigenschaften sie, während sie ihr andererseits auch Furcht einflößten.

„Wo ist Ihr Gepäck?“, erkundigte sich einer der Männer.

„Wir haben nichts dabei. Sorgt dafür, dass meine Begleiterin umgehend eine neue Garderobe erhält, und zwar möglichst noch heute.“

„Das geht in Ordnung, Scheich.“

Ana wäre am liebsten im Erdboden versunken, denn sie befürchtete, dass man sie im Palast zumindest für Zafars Geliebte halten würde. Unternehmen konnte sie dagegen nichts, denn was sich hier gerade abspielte, war einmalig in der Geschichte des Landes.

Zafar übernahm den Thron von einem Herrscher, mit dem er, von Blutsbanden abgesehen, nicht das Geringste gemein hatte. Der Führungswechsel würde nicht nur seinem Volk zugutekommen, sondern auch Tarik. Ana wusste um die Spannungen zwischen beiden Ländern. Ihr Verlobter hatte ihr davon berichtet, und sie hatte ihm hoch angerechnet, dass er ihr seine Sorgen anvertraute.

Nicht zuletzt seine Offenheit und sein Respekt ihr gegenüber hatten sie dazu bewogen, seinen Heiratsantrag anzunehmen. Ihr Vater hatte die Verbindung eingefädelt, dennoch hätte sie niemals in eine Ehe eingewilligt, wenn sie Tarik nicht gemocht hätte.

Nein, es ist mehr als das, sagte sie sich. Sie liebte ihn, wenngleich es eine leidenschaftslose Liebe war. Tarik war altmodisch. Er machte ihr den Hof auf ehrerbietige Weise. Außerdem sah er fantastisch aus mit seiner ebenmäßigen dunklen Haut, den rabenschwarzen Augen, den dichten, langen Wimpern und kräftigen Brauen.

Verstohlen sah sie zu Zafar hinüber, und plötzlich konnte sie sich Tariks Gesicht nicht mehr vorstellen.

Die markanten Züge ihres Retters schlugen sie in Bann: Der schwarze Bart, der das sonnengebräunte Gesicht halb bedeckte, die feurig blickenden Augen und die Lippen. Zafar hatte einen Mund, der in ihr den Wunsch auslöste, ihn zu …