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© 2018 Helmut Borth (www.meckpress.de)
Titelgestaltung unter Vorlage eines Aquarells von
Helmut Borth, Satz und Layout:
Felizita Rinck (www.werbe-rinck.de)
Herstellung und Verlag:
BoD Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783748115199
Der kleine weiße Tempel am Hochufer des Tollensesees ist ein echtes Stück Neubrandenburger Tafelsilbers. 2012 nahm ihn der Bundesverband der Standesbeamten in eine Liste der 50 besonderen Eheschließungsorte auf. Bei mehr als 5000 Standesämtern und bis zu 15.000 Eheschließungsorten in Deutschland ist das ein Ritterschlag. Von Mai bis September können sich hier Liebespaare mit Blick auf den 2015 zum schönsten See Mecklenburg-Vorpommerns gewählten Haus-See der Viertorestadt das-Ja-Wort geben. Um die 30 Paare nutzen jährlich die Möglichkeit, am „Tempel der Liebe“ in den Ehehafen einzulaufen und ihren Lebensbund zu besiegeln.
Für viele Neubrandenburger ist Belvedere Ziel von Spaziergängen oder Jogging-Läufen durch den Brodaer Wald. Nicht weit entfernt von hier findet sich der Jahn-Stein. Zum 150. Geburtstag des Turnvaters 1928 aufgestellt, soll er daran erinnern, dass hier zwischen 1802 und 1804 „das deutsche Turnen“ erfunden wurde. Das klingt zwar ziemlich vermessen, aber auch vor fast hundert Jahren gehörte Klingeln zum Geschäft. Und die Kurgäste von Augustabad am gegenüberliegenden Seeufer sollten zu Hause schließlich was erzählen können. Und auch etwas mit nach Hause nehmen können.
Gustav Adam Brückner, 1789 in Neubrandenburg als sechstes von acht Kindern des Mediziners, Botanikers und Hofrats Adolf Brücker geboren, schrieb 1853 an seinen acht Jahre älteren Bruder Adolf: „Jahn war in jenem Jahre [1803] wie man so sagte, aus G[reifswald] relegiert, weil er einen anderen Studenten verführt hatte, auf einer Studentenversammlung öffentlich eine von ihm verfaßte oder bearbeitete Parodie auf die Bibel (die berüchtigte Commentatio de Quomodone) vorzutragen. Er wurde nun in Neubrandenburg unter dem Namen Fritz Hauslehrer bei den Söhnen des Barons von Lefort. Hier entwickelte er nun auf dem damaligen Badeplatze am Kropf (Ausfluß des Tollense-Baches aus dem gleichnamigen See) bald sein ungewöhnliches Talent Knaben an sich zu ziehen, zu fesseln und unbedingt zu leiten. Ohne sein Zuthun sammelte sich ein Kreis von 20 bis 30 Knaben um ihn, die ihn nichts angingen, die er oft nicht einmal dem Namen nach kannte.
Mit Eifer lernten sie von ihm schwimmen, tauchen, andere im Wasser unterstützen, retten usw. Nach beendetem Bade begleitete die Schar dieser Freiwilligen ihn und seine Eleven nach Belvedere. Hier lehrte er Laufen, Klettern Springen, besonders aber Ringen. Er theilte den Haufen in zwei, den Kräften nach etwa gleich starke Partheien, deren eine Belvedere besetzen, die andern es erobern mußte, wobei zerrissene Kleider und blutige Köpfe alltägliche Erscheinungen waren. Abhärtung gegen jede Unbill der Natur, Übung aller Kräfte, mit entschiedener Hinweisung auf die Nothwendigkeit, die deutsche Nation zu einer mannhaften, den fremden Feinden wieder gewachsenen u erziehen, – war überall sein Augenmerk! Dabei hatte er [aus]seiner politischen Ansichten schon damals kein Hehl [gemacht]. Als im Herbst das Baden aufhörte, und die Zahl der Begleiter sich minderte, mußten wir Spaten und Beile mitbringen. Er unterrichtete uns im Faschinen-Flechten, und mit deren Hilfe an dem steilen Ufer Steige, Treppen und Rasenbänke anzulegen. Im Winter wurden Schneeschanzen gebaut und mit Schneebällen verteidigt und erobert. Dazu diente besonders der Hohlweg hinter dem neuen Kruge. Im Herbst 1804 verließ Jahn Neubrandenburg.“1
Belvedere, das Gustav Adam Brückner in den Erinnerungen an seine Kindheit beschreibt, ist nicht der griechische Tempel oberhalb Brodas am Tollensesee, der es sogar auf eine biedermeierliche Ansichtstasse geschafft hat. Es war auch nicht das Belvedere, das sich der Mecklenburg-Strelitzer Herzog Adolph Friedrich IV. 1775 bauen ließ. Das Fachwerkgebäude stand längst nicht mehr an seinem alten Platz. Es war schlicht und einfach das Stück Steilufer, das auch nach dem Abriss von Dörchläuchtings Sommerhäuschens wegen seiner verbliebenen schönen Aussicht den Namen Belvedere behalten hatte.
Belvedere als Miniaturgemälde auf einer Tasse; als das Porzellan im frühen 19. Jahrhundert billiger wurde, entwickelte sich in bürgerlichen Kreisen der Brauch, Tassen zu sammeln, als Freundschaftsgaben zu verschenken oder als Souvenir mit nach Hause zu bringen. Solche Erinnerungstassen waren weniger für den täglichen Gebrauch gedacht als für die Zurschaustellung in der Glasvitrine der guten Stube. Im Gegensatz zu heute lag dabei die Schauseite der Tasse dem Henkel genau gegenüber, um die Wirkung von Malerei und Beschriftung nicht zu stören.
400 Euro sollte im Sommer 2018 eine goldfarbene elfeinhalb Zentimeter hohe Ansichtstasse samt tiefem Unterteller kosten, die online zum Kauf angeboten wurde. Ein stolzer Preis für das im gebrauchten Zustand präsentierte Sammelstück einer unbekannten Manufaktur. Zu sehen war darauf Belvedere, wie es sich die Mecklenburg-Strelitzer Großherzogin Marie 1822 vom gerade erst zum Hofbaumeister beförderten Schinkelschüler Friedrich Wilhelm Buttel hatte bauen lassen.
Ein schönes teures Souvenir.
Schade, dass es heute nichts Ähnliches gibt.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut! Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, ließ der fliegende Grafensohn Antoine Marie Jean-Baptiste Roger Vicomte de Saint-Exupéry seinen kleinen Prinzen sagen, mit dem er berühmt wurde.
Das trifft auch auf Belvedere zu. Das Denkmal ist beliebt und wird geliebt. Seine Geschichte(n) aber sind den meisten Besuchern unbekannt. Die Stadt sieht das Baudenkmal, so ist es auf Ihrer Webseite zu lesen, als Tempel. So nahm es auch der in (Alt-)Strelitz geborene Georg Christian Friedrich Lisch, Prähistoriker und Altertumsforscher, Großherzoglich mecklenburg-schwerinscher Archivar, Bibliothekar und Konservator, Heraldiker, Redakteur und Publizist, kurz gesagt, Mecklenburgs Humboldt, wahr. „Auf einem hohen Vorsprunge des nordwestlichen Ufers des Tollenze-Sees, eines der reizvollsten Seebecken Norddeutschlands, in einer bewaldeten Gegend, erhebt sich [nämlich] ein kleiner griechischer Tempel in einfachem Styl als fürstliches Sommerhaus.“2
Der Oberlandesgerichtsregistrator Johann Friedrich Kratzsch aus Naumburg an der Saale sah in Belvedere ein „Schloss“34