Der mehrmalige Auszug aus Ägypten
oder
Müssen 1000 Jahre Geschichte
neu geschrieben werden?
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© 2017 by Geschichtswissenschaftliche Gesellschaft Wien, ZVR:626233967
Fotos:
„Moses“ by Erhard Zauner, © 1969
„Toutankamon-expo 48 masque“ by Traumrune, verfügbar unter CC-BY, © 2012
„Echnaton“ by Kingtut, verfügbar unter CC-BY, © 2003
„Michelangelos David“ by David Gaya, verfügbar unter CC-BY, © 2005
„Erhard Zauner“ by Z-Foto, © 2015
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Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-74-485028-5
Ich danke allen Menschen,
die dazu beigetragen haben,
dass dieses Buch erscheinen konnte.
Ich widme dieses Buch allen Menschen,
die sich nicht vorschreiben lassen wollen,
was sie glauben sollen.
Bei meinen jahrzehntelangen Beschäftigungen mit der biblischen Geschichte wurde die Vermutung immer klarer, dass die Geschichte von Abraham bis David aus mehreren unabhängigen Stücken zusammengesetzt wurde. Weiters deutete vieles darauf hin, dass das, was in der Bibel nacheinander erzählt wird – Ägypten Aufenthalt – Exodus – Landnahme – Richter – Saul und David – sich eher zeitgleich nebeneinander abgespielt hat. So ähneln sich Situationen bei der Landnahme mit solchen bei David. Andererseits sieht es aus, als wüssten die Menschen in der nächsten Epoche nichts von dem, was in der vorigen passiert ist. Ganz besonders betrifft dies Mose1 und seine Gesetze.
Bei meinen Recherchen zur ägyptischen Geschichte, besonders zu der des Neuen Reiches, der 18. Dynastie und Echnaton fielen mir ebenfalls Ungereimtheiten auf. Allerdings zeigte sich auch, dass vieles, was über Mose berichtet wird – abgesehen von seinem hohen Alter – sehr gut auf Tutanchamun passt. Besser jedenfalls als auf Echnaton, der ja schon seit langem als „historischer Mose“ betrachtet wird.
Ich wollte daher untersuchen, ob sich eine „verkürzte“ biblische Geschichte besser mit der ägyptischen harmonisieren lässt und ob damit vielleicht auch folgende Fragen besser beantwortet werden können:
Die Suche nach der Frühgeschichte Israels bzw. dem historischen Exodus der Juden aus Ägypten gestaltete sich wie die Fahrt auf einer Hochschaubahn. Anfangs war alles klar und eindeutig:
Doch je genauer ich mich mit dem alttestamentarischen Geschehen auseinandersetzte, desto widersprüchlicher und verwirrender wurde alles: Rechnen wir vom heute weitgehend anerkannten Baubeginn des Tempels im Jahre 967 v.Z.2 zurück, so kommen wir auf 1446 v.Z. für den Exodus. Damals herrscht, nach weitgehend allgemein anerkannter ägyptischer Chronologie, Thutmosis III. aus der 18. Dynastie (D18). Er ist zwar ein sehr mächtiger Pharao, doch finden wir in seiner Zeit keine ägyptischen Plagen, er kommt nicht im Roten Meer um, sondern herrscht weitere 20 Jahre.
Ich versuchte mich mit mehreren unterschiedlichen Ansätzen der Problematik zu nähern und musste dabei feststellen, dass die Geschichte vom Aufenthalt in und dem Auszug aus Ägypten immer verworrener wurde statt klarer.
Mit diesem völlig neuen Ansatz des mehrfachen Auszugs aus Ägypten lassen sich wesentlich mehr Teile der biblischen Mose- und Exodus-Erzählung zuordnen, als wenn man nur von einem einzigen Exodus ausgeht. Offensichtlich wurden bei der Endredaktion des AT im babylonischen Exil alle Erzählungen zu einem einzigen spektakulären, von Jahwe geleiteten Exodus zusammengefasst, mit all den bekannten chronologischen und sonstigen Problemen.
Was dabei aber auch noch zutage trat, ist eine Verschwörung zur Vertuschung der wahren Umstände des letzten großen Exodus unter Tutanchamun sowohl von ägyptischer als auch von jüdischer Seite vor dreitausend Jahren.
Eine weitere große Verschwörung gibt es dann ab 1922, als im Grab von Tutanchamun Papyri gefunden wurden, die unter anderem „… die wahre und skandalöse Beschreibung des Exodus der Juden aus Ägypten zum Inhalt“3 haben. Daher gehe ich von einer zweiten, gegenwärtigen Verschwörung zur Vertuschung der historischen Realität des Auszugs der Juden aus Ägypten aus.
Tutanchamun hat mit dem biblischen Mose mehr gemeinsam als jede andere historische Person. Allerdings leitet er den Exodus nicht selbst, sondern übergibt das Kommando an seine beiden Generäle Ramses und Haremhab. Regie führt dabei die graue Eminenz „Gottvater“ Ay!
Das Alte Testament ist „Theo-Fiction-Literatur“
Zu Vielem, was im AT geschrieben steht, gibt es keine oder nur geringe archäologische Entsprechungen. Etliches lässt sich nur schwer oder gar nicht mit den historischen Aufzeichnungen benachbarter Staaten in Einklang bringen. Ein großer Teil, speziell aus der Exoduserzählung, lässt sich nur vor dem Hintergrund des Kultes im Zweiten Tempel in Jerusalem verstehen. Ich möchte daher in Anlehnung an den literarischen Begriff der „Science-Fiction“ für das Alte Testament eine neue Literaturgattung definieren. Bei Science-Fiction wird meist unter der Prämisse einer oder mehrerer wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse oder Errungenschaften eine reale oder fiktive Gesellschaft in einer zumeist zukünftigen Zeit und/oder weit entfernten Gegend dargestellt. Dabei werden bekannte wissenschaftliche und technische Möglichkeiten mit Spekulationen angereichert und teilweise dramatisch übersteigert in die Zukunft projiziert.
Für mich ist das AT analog dazu „Theo-Fiction“. Damit meine ich die Darstellung einer realen oder fiktiven Gesellschaft in einer vergangenen Zeit und/oder weit entfernten Gegend unter der Prämisse eines schon seit langer Zeit existierenden und in das damalige Geschehen eingreifenden Gottes. Dabei werden die zum Zeitpunkt der Abfassung herrschende Theologie und die religiösen Praktiken mit Spekulationen angereichert und teilweise dramatisch übersteigert in die Vergangenheit rückprojiziert.
1 Ich verwende generell die Schreibweise der Einheitsübersetzung. Nur beim Buchtitel habe ich die gängigere, „klassische“ Form „Moses“ verwendet.
2 v.Z. = vor der Zeitenwende = v.Chr.
3 Stanglmeier: Die Moses-Schriftrollen; Kopp 2006; S 150
Vielleicht liegt der gesamten Problematik der zeitlichen Zuordnung und der allgemeinen Umstände des biblischen Auszugs eine einzige Ursache zugrunde, nämlich die, dass alles nicht so stattgefunden hat, wie uns die Bibel, die Theologen, aber auch die modernen Wissenschaftler, allen voran die Ägyptologen, glaubhaft machen wollen. Dafür gibt es, meines Erachtens, fünf plausible und gut nachvollziehbare Gründe.
Grund 1: Mehrere Wanderbewegungen von unterschiedlichen Stämmen von und nach Ägypten zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Motiven sind zur Steigerung der Dramatik und zur höheren Ehre Jahwes zu einem einzigen gigantischen Befreiungswerk zusammengefasst, das so nie stattgefunden hat und daher auch weder archäologisch in den betroffenen Gebieten noch literarisch bei den damaligen Nachbarn gefunden werden kann.
Grund 2: Bei der Zusammenstellung des Alten Testaments, hunderte, wenn nicht sogar tausend Jahre nach den Ereignissen sind unterschiedliche Erzählstränge von verschiedenen Stämmen, die in diesem Gebiet gelebt haben, zu einer einheitlichen von Jahwe inszenierten Geschichte des einen auserwählten Volkes zusammengefasst worden. Dabei wurden Geschehnisse, die an verschieden Orten zur gleichen Zeit stattgefunden hatten, hintereinander gereiht. Dies geschah auch im Sinne des damals aktuellen „internationalen“ Trends: „Unser Volk ist das älteste der Welt“. Dadurch wurde die biblische Geschichte viel zu weit in die Vergangenheit zurückverlegt.
Grund 3: Die moderne Wissenschaft, speziell die Ägyptologen, haben auch gewissermaßen eine stillschweigende Übereinkunft, dass an der grundsätzlichen Chronologie der ägyptischen Geschichte bzw. den Dynastien nicht gerüttelt wird. Kleine Korrekturen bei den Jahresangaben, speziell was das Mittlere und Neue Reich betrifft, sowie die zweite und dritte Zwischenzeit, können angebracht werden. Eine Infragestellung dieser Konsens-Chronologie ist aber ein Sakrileg.
Grund 4: Die Hauptbeteiligten des damaligen Geschehens, die Israeliten bzw. Juden und die Ägypter, haben aus unterschiedlichen Gründen kein Interesse daran gehabt, dass die sehr enge Beziehung des biblischen mit dem ägyptischen Volk ans Licht kommt. Oder besser gesagt, sie haben sogar ein ganz eminentes Interesse daran gehabt, dass vieles unterdrückt, verfälscht und verschlüsselt wiedergegeben wird. Die vorliegende Version der Bibel wurde ja maßgeblich im babylonischen Exil in die heutige Form gebracht. Eine zu enge Verbindung der Juden mit dem Erzfeind Ägypten hätte eventuell zu einer verschärften Unterdrückung in Babylon geführt.
Grund 5: Dieser hängt eng mit dem vierten Grund zusammen. Eine Aufklärung der Zusammenhänge ist für die heutigen Nachfolger der damals beteiligten Völker auch nicht von Interesse. Denn auch heute leben die Juden bzw. Israelis auf der einen Seite und die Ägypter bzw. Araber auf der anderen Seite nur in einem gespannten aber nicht stabilen Frieden miteinander. Darüber hinaus ist es eine absolut globale politische Angelegenheit im weltlichen wie im religiösen Sinn, da es durch das internationale Judentum natürlich auch die USA und mit dem Christentum auch den Vatikan betrifft.
Wenn man sich die wesentlichen Zutaten dieser historischen „Kriminalkomödie“ vor Augen hält, dann lässt sich sehr leicht erkennen, welche Gründe die handelnden Gruppen damals gehabt haben könnten, dies oder jenes in die eine oder andere Richtung zu verändern.
Insgesamt betrachtet, kommt der dringende Verdacht auf, dass damals wie heute in diesem Zusammenhang von beiden Seiten, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, eine „Verschwörung“ stattfand bzw. stattfindet, um die Verbindung und den innigen Zusammenhang zwischen den Ägyptern und den Israeliten/Juden und ihrer Geschichte inklusive der handelnden Personen zu verschleiern.
Eigentlich beginnt die Vorbereitung für die Exoduserzählung schon bei Abram, der im Alter von 75 Jahren mit seinem Neffen Lot von Haran in Richtung Kanaan auszieht. Erste Station ist die Orakeleiche in der Nähe von Sichem. Weiter geht es ins Bergland zwischen Bet-El und Ai und dann dem Negeb zu. Der Negeb ist eine Wüste, sie beginnt südwestlich des Toten Meeres und reicht bis in die Sinaihalbinsel. Als eine Hungersnot ausbricht, zieht Abram mit Sarai, Lot, ihren Knechten, Mägden und Viehherden nach Ägypten.
Dann kommt es zu der, aus meiner Sicht, völlig unverständlichen Szene, wo Abram Angst hat, dass die Ägypter ihn erschlagen würden, weil die „schöne“ Sarai seine Frau ist. Daher gibt er vor, dass sie seine Schwester sei. Da Sarai gerade einmal 10 Jahre jünger als Abram ist, haben wir es hier mit einer bereits 65-jährigen Frau zu tun. Es steht außer Zweifel, dass eine Frau dieses Alters auch „schön“ sein kann, ich glaube aber nicht, dass alle Ägypter, die Beamten des Pharao und ganz besonders dieser selbst von der 65-Jährigen derart fasziniert sind, dass der Pharao sie sofort von Abram um einen hohen Preis abkauft, damit sie seine Frau wird. Daraufhin wird das Haus des Pharao mit schweren Plagen geschlagen, was zur Folge hat, dass er Sarai Abram wieder zurückgibt. Allerdings ohne dass dieser den Kaufpreis zurückerstattet.
Interessanterweise bleibt er nicht, wie ausdrücklich angekündigt, dort, sondern zieht sofort wieder in den Negeb hinauf, ziemlich genau dorthin, von wo er gekommen ist. Er lässt sich zwischen Kadesch und Schur nieder. Da aber die gesamte Sinaihalbinsel die meiste Zeit unter ägyptischer Oberhoheit steht, muss man eigentlich sagen, dass Abram gar nicht aus Ägypten ausgezogen ist. Hagars Sohn Ismael und seine Nachkommen leben und vermehren sich auf dieser Halbinsel, während die Söhne der Ketura die arabische Halbinsel besiedeln. Schur bedeutet „Wall“ und ist eine Bezeichnung für „Ägypten“, denn während der 12. Dynastie wurde östlich des Nildeltas ein Befestigungswall errichtet, der aus einer ganzen Reihe von Grenztürmen bestand. Er soll das unkontrollierte Eindringen von Nomaden in die fruchtbaren Weiden verhindern. Der nördlichste Teil der Sinaihalbinsel wird als Wüste Schur bzw. Wüste Etam benannt. Der Weg nach Schur ist ein Karawanenweg, der von Palästina kommend über Kadesch-Barnea bis ins Nildelta führt. Nördlich der Wüste Schur verläuft der Horusweg nahe beim Mittelmeer ebenfalls Richtung Palästina und weiter nach Syrien. Südlich der Wüste Schur liegen die Wüsten Sin und Paran.
Die Hungersnot ist anscheinend im Handumdrehen beendet, denn weder in Ägypten noch danach ist sie ein Thema. Mir scheint, dass diese entweder nur eingefügt ist, um einen Grund für Abram zu haben, dass er nach Ägypten zieht, oder aber die Rückwanderung ist eingefügt, um Jakob-Israel von Ismael und Esau zu trennen, damit die Verheißung nur noch auf Israel zutrifft. Dafür sprechen die Zeitangaben von 400 Jahren Unterdrückung bzw. 430 Jahren Aufenthalt in Ägypten, gerechnet ab dem Zug von Abram aus Haran.
(Gen 12,9) Dann zog Abram immer weiter, dem Negeb zu. (10) Als über das Land eine Hungersnot kam, zog Abram nach Ägypten hinab, um dort zu bleiben; 4 denn die Hungersnot lastete schwer auf dem Land. (11) Als er sich Ägypten näherte, sagte er zu seiner Frau Sarai: Ich weiß, du bist eine schöne Frau. (12) Wenn dich die Ägypter sehen, werden sie sagen: Das ist seine Frau!, und sie werden mich erschlagen, dich aber am Leben lassen. (13) Sag doch, du seiest meine Schwester, damit es mir deinetwegen gut geht und ich um deinetwillen am Leben bleibe. (14) Als Abram nach Ägypten kam, sahen die Ägypter, daß die Frau sehr schön war. (15) Die Beamten des Pharao sahen sie und rühmten sie vor dem Pharao. Da holte man die Frau in den Palast des Pharao. (16) Er behandelte Abram ihretwegen gut: Abram bekam Schafe und Ziegen, Rinder und Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele. (17) Als aber der Herr wegen Sarai, der Frau Abrams, den Pharao und sein Haus mit schweren Plagen schlug, (18) ließ der Pharao Abram rufen und sagte: Was hast du mir da angetan? Warum hast du mir nicht gesagt, daß sie deine Frau ist? (19) Warum hast du behauptet, sie sei deine Schwester, so daß ich sie mir zur Frau nahm? Nun, da hast du deine Frau wieder, nimm sie, und geh! (20) Dann ordnete der Pharao seinetwegen Leute ab, die ihn, seine Frau und alles, was ihm gehörte, fortgeleiten sollten.
Danach kommt es zur Gebietsaufteilung zwischen Abram und Lot und zur Begegnung mit Melchisedek. Zehn Jahre später bekommt Abram von der ägyptischen Magd der Sarai seinen Erstgeborenen Sohn Ismael. Erst dreizehn Jahre später wird Abraham (99) und Sara (89) Isaak verheißen. Doch bevor dieser auf die Welt kommt, wiederholt sich die Szene mit Sara und dem König Abimelech von Gerar, der die jetzt 89-jährige Sara zur Frau nimmt. Als Abraham diesbezüglich zur Rede gestellt wird, begründet er dies damit, dass sie seine Halbschwester ist, und er sie deshalb zur Frau nehmen kann.
(Gen 20,12) Übrigens ist sie [Sara] wirklich meine [Abrahams] Schwester, eine Tochter meines Vaters, nur nicht eine Tochter meiner Mutter; so konnte sie meine Frau werden.
Wenn ich den vorhin aufgenommen Gedanken weiterspinne, nämlich dass Abraham nach Ägypten zieht und dort verweilt, dann ergibt dies eine durchaus interessante Situation. Das unvermittelte Auftauchen der Hagar in der heutigen Bibelfassung lässt einige Fragen offen, die im alternativen Szenario einfach zu erklären sind. Ich will dabei einmal das hohe Alter von Abraham und Sara beiseitelassen, möglicherweise handelt es sich dabei um eine Dynastie und nicht nur um eine einzelne Person. Es wäre, meines Erachtens, durchaus stimmig, wenn ein aramäischer Herrscher mit einer seiner Prinzessinnen einen befreundeten Pharao besucht. Dieser heiratet die fremde Prinzessin und gibt dem fremden Herrscher eine seiner Töchter zur Frau; eine damals durchaus gängige Form der Diplomatie und der Sicherung von Freundschaften zwischen zwei Reichen. Interessanterweise wird im antiken Buch Jaschar5 Sarai nicht als Halbschwester von Abram bezeichnet, sondern als zweite Tochter von Abrams älterem Bruder Haran, also als seine Nichte. Allerdings ist sie auch nach diesen Angaben etwa gleich alt mit ihm. Weiters wird ganz dezidiert geschildert, dass Sarai Hagar vom Pharao geschenkt bekommt. Das Buch Jaschar, das inhaltlich weitgehend den Zeitraum abdeckt, den auch die fünf Bücher Mose beinhalten, dürfte zumindest in weiten Teilen eine frühere Version dieser Ereignissen überliefern.
(Jasch 7,22) (…) und Nahor zeugte Terah, und als Terah 38 Jahre alt war, zeugte er Haran und Nahor. (…) (51) (…) und das Weib von Terah empfing und gebar ihm einen Sohn in jenen Tagen. (51) Terah war siebzig Jahre alt, als er ihn zeugte, und Terah nannte den Namen des Sohnes, der ihm geboren wurde, Abram, (…)
(Jasch 9,4) Haran war 42 Jahre alt, als ihm Sarai geboren wurde, was im zehnten Jahr des Lebens von Abram geschah (…)
(Jasch 16,24) Und als sie sah, dass sie keine Kinder gebären konnte, nahm sie ihre Magd Hagar, die Pharao ihr gegeben hatte, und gab sie ihrem Ehemann Abram als ein Weib.
Denkt man obigen Gedanken zu Ende, dann ist Isaak nicht der Sohn von Abraham, sondern vom Pharao. Als Sohn einer der Nebenfrauen des Pharao könnte es sehr gut sein, dass er nach Kanaan geschickt wird, um dort als Stadthalter zu agieren. Isaak holt sich wiederum eine Prinzessin aus dem Reich seiner Mutter, nämlich seine Großnichte Rebekka und zeugt Jakob und Esau. Einen ähnlichen Fall von Heiratspolitik finden wir bei Amenophis III., dem Vater von Echanton, der sich aus dem türkisch-irakisch-syrischen Grenzgebiet die Mitanni-Prinzessin Taduchepa holt, die dann unter dem Namen Nofretete, was „die Schöne ist gekommen“ bedeutet, bekannt wird. Haran, der Stammsitz von Terach, Abraham und Laban befindet sich interessanterweise genau in dem Bereich, der vom Mitanni-Reich beherrscht wird. Esau heiratet neben anderen Frauen auch zwei Töchter von Ismael, dem Sohn der ägyptischen Prinzessin Hagar und dem Aramäer Abraham. Jakob heiratet seine beiden Cousinen Rahel und Lea. Somit hätten wir eine vierfache Verschränkung der aramäischen Nachkommen von Terach mit der ägyptischen Pharaonendynastie. Dann sieht natürlich die Geschichte von Josef in Ägypten auch vollkommen anders aus. Es braucht dann keine waghalsige Konstruktion mit seinen Brüdern, die ihn umbringen wollen, um ihn dann doch als Sklaven an midianitische oder ismaelitische Händler zu verkaufen. Auch die Geschichte mit Potifars Weib, seine Inhaftierung und die Deutung der Träume sind dann nicht notwendig, um zu erklären, wie und warum er in den Palast des Pharao kommt und schließlich Wesir wird. Hohe Beamtenposten werden auch damals meist an Familienmitglieder und Verwandte vergeben. Dann sind auch keine Tötung der neugeborenen israelitischen Knaben und kein Baby im Bastkörbchen notwendig, um Mose in den Königspalast zu bringen, denn auch er gehört im weitesten Sinn zur Sippe des Pharao.
Eine Unterstützung dieser Vermutung findet sich in einer der Schriftrollen von Qumran und im Buch der Jubiläen. In der Qumran-Rolle 1Q21 (Genesis Apokryphon) wird der Pharao, der Sara zur Frau nimmt, als Pharao Zoans genannt. Zoan, Tanis bzw. Auaris (Avaris) ist die Hauptstadt während der Hyksosdynastie (D15). Im Buch der Jubiläen zieht Abraham ebenfalls wegen einer Hungersnot in Kanaan nach Ägypten. Allerdings steht hier, dass er bereits fünf Jahr in Ägypten wohnt, bevor sich der Pharao in Sara verliebt und sie ihm wegnimmt. Außerdem wird Tanis, die Hauptstadt der Hyksos, genau in dieser Zeit erbaut. Beides deutet eher darauf hin, dass es sich bei dem Pharao um einen Hyksos, also auch um einen Semiten, gehandelt und dass Abraham mit seinen Nachkommen eventuell eine lokale Herrschaft unter dem Schirm der Hyksos errichtet hat. Dies würde auch gut mit dem 7. Pharao der 16. Dynastie (kleine Hyksos) mit Namen Jaqobher oder Jacabhaddu (Jakob?) zusammenpassen. Andererseits ist Hagar eine Ägypterin, die dann auch Abrams Erstgeborenen Ismael gebiert, der selbst wiederum eine Ägypterin heiratet. Seine Nachkommen – die Araber – sind somit eigentlich zu drei Vierteln Ägypter bzw. Hamiten.
(Gen 21,13) Aber auch den Sohn der Magd [Hagar] will ich zu einem großen Volk machen, weil auch er dein Nachkomme ist. (14) Am Morgen stand Abraham auf, nahm Brot und einen Schlauch mit Wasser, übergab beides Hagar, legte es ihr auf die Schulter, übergab ihr das Kind und entließ sie. Sie zog fort und irrte in der Wüste von Beerscheba umher. (…) (20) Gott war mit dem Knaben. Er wuchs heran, ließ sich in der Wüste nieder und wurde ein Bogenschütze. (21) Er ließ sich in der Wüste Paran nieder, und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägypten.
Abschließend möchte ich zusammenfassen, dass die Erzählung von der Übersiedlung von Abram und Sarai nach Ägypten anlässlich einer Hungersnot in Kanaan, dem engen Kontakt mit dem Pharao, den Plagen und dem darauffolgenden Auszug eigentlich schon alle wesentlichen Elemente der späteren „großen Exodus Geschichte“ beinhaltet.
Laut der biblischen Genealogie gibt es ein wesentliches und eigentlich absolut Trennendes zwischen den beiden Völkern: Ägypten stammt von Ham und Abraham, Israel und deren Nachkommen von Sem ab. Man könnte diese Beziehung fast eine Hassliebe nennen, denn einerseits sind die Israeliten auf Ägypten wegen der Zeit der Unterdrückung nicht gut zu sprechen, andererseits sichern diese ihnen das Überleben während der großen Dürre, als das Volk nach Ägypten übersiedelt. Darüber hinaus ist es auch immer wieder Zufluchtsort für Verfolgte, wie König Jerobeam, den Salomo töten will, oder Jesus, der von Herodes verfolgt wird. Außerdem gab es eine Militärkolonie in Elephantine im 5. Jhdt. v.Z., oder einen zweiten jüdischen Tempel in Heliopolis um die Zeitenwende.
Betrachtet man in der Bibel (genauer gesagt im AT) die Anzahl der Nennungen und Bezüge zu Ägypten (mit allen Abwandlungen und Endungen) und vergleicht sie mit der Häufigkeit der Nennung anderer Völker und Länder, mit denen Israel zu tun hat, dann sieht man ganz eindeutig, dass es ein inniges Verhältnis dieser beiden Völker gibt, das weit über jenes zu anderen Nachbarn hinausgeht.
Israel | 2700 | Aram | 150 |
Juda, Judäa | 1300 | Edom | 125 |
Ägypten gesamt | 1025 | Chaldäa | 100 |
davon: Ägypten | 750 | Amoriter Midian |
90 75 |
davon: Pharao | 275 | Hetiter | 60 |
Babel, Babylon | 325 | Amalek | 50 |
Philister | 300 | Jebusiter | 45 |
Moab | 200 | Arabien | 40 |
Assur, Assyrien | 190 | Hiwiter | 25 |
Kanaan | 170 | Perisiter | 25 |
Kommen wir nun zu Josef. Er ist der erste Sohn von Rahel und ausdrücklich auch der Erstgeborene von Jakob. Erstaunlicherweise liebt ihn Jakob am meisten, weil er ihn „noch im hohen Alter bekommen hat“. Dies stimmt aber nicht, denn gemäß den Schilderungen hat Jakob bis auf Benjamin alle 11 Söhne innerhalb von acht Jahren bekommen. Da kann man wirklich nicht behaupten, dass Jakob bei der Geburt von Ruben mit 84 Jahren „jung“ und bei der Geburt von Josef mit 91 Jahren „im hohen Alter“ ist. Und wie bezeichnet man dann das Alter von 109 Jahren, in welchem Jakob dann Benjamin bekommen hat? Möglicherweise sind auch hier wieder mehrere Erzählungen vermischt worden, die dann zu dieser unpassenden Aussage geführt haben. Josef wird als verträumt, aber hellsichtig beschrieben. Von seinem Vater bekommt er einen Ärmelrock, der in anderen Übersetzungen als Leibrock, als bunter Rock oder als reichlich verzierte Robe bezeichnet wird.
(1 Chron 5,2) Juda erlangte nämlich die Herrschaft über seine Brüder, und einer aus ihm wurde der Fürst, obwohl das Erstgeburtsrecht bei Josef war.
(Gen 37,3) Israel liebte Josef unter allen seinen Söhnen am meisten, weil er ihm noch in hohem Alter geboren worden war. Er ließ ihm einen Ärmelrock machen. (4) Als seine Brüder sahen, daß ihr Vater ihn mehr liebte als alle seine Brüder, haßten sie ihn und konnten mit ihm kein gutes Wort mehr reden. (5) Einst hatte Josef einen Traum. Als er ihn seinen Brüdern erzählte, haßten sie ihn noch mehr.
In Ägypten wird er als Sklave an Potifar, den Obersten der Leibwache des Pharao verkauft. Dies ist unglaubwürdig, denn es hätte ein enormes Sicherheitsrisiko für den Pharao dargestellt. Haben doch die Ägypter gegen alle Viehhirten eine große Abneigung. Außerdem sind ihnen die unberechenbaren, immer wieder im Osten ihres Landes einfallenden Nomaden eine Störung ihrer inneren Ordnung. Das wäre einer Situation vergleichbar, als wenn ein syrischer Flüchtling als Bediensteter des Sicherheitsberaters des US-Präsidenten eingestellt würde oder beim Chef des Bundesnachrichtendienstes. Diese unglaubliche Situation wird sogar noch weiter gesteigert, als Potifar ihn zum Verwalter seines Hauses bestellt, seinen ganzen Besitz in Josefs Hand gibt und sich nur noch um sein Essen kümmert. Damit wird Josef de facto zum amtsführenden Kommandanten der Leibwache.
Für den nachfolgenden Teil der Geschichte, die Verführung durch Potifars Frau, gibt es ein altägyptisches Pendant, das Zweibrüdermärchen. Dort dient der jüngere, unverheiratete Bata auf dem Gehöft seines älteren Bruders Anubis. Dessen Frau versucht Bata zur verführen, was jedoch nicht gelingt. Sie erzählt Anubis, dass sein Bruder ihr einen unsittlichen Antrag gemacht und sie geschlagen habe. Anubis und Bata repräsentieren als Götter den 17. oberägyptischen Gau, den Schakalsgau. Die literarische Vorlage der Geschichte von Josef und Potifars Frau ist ein profanierter Göttermythos.
Diese Verführungsgeschichte dient offenbar nur wieder dazu, Josef ins Gefängnis zu bringen, wo er durch das Deuten der Träume des Bäckers und des Mundschenks des Pharao seine göttlichen Fähigkeiten beweisen kann. Dies wiederum verschafft ihm dann den Zugang zum Pharao selbst, da nur er in der Lage ist, die Träume des Pharao zu deuten. Dafür wird er zum Wesir über ganz Ägypten befördert, bekommt Asenat, die Tochter Potiferas, des (Hohe-) Priesters von Heliopolis zur Frau und zieht ein ehrgeiziges Vorsorgeprogramm durch. Während der sieben Jahre des Überflusses lässt er Vorratslager für Getreide in ganz Ägypten anlegen. Während der darauffolgenden sieben Hungerjahre verkauft er Getreide gegen Geld. So kommen auch seine Brüder aus Kanaan, um Getreide zu kaufen, was dann letztendlich zur Wiedervereinigung mit seiner Familie und der Übersiedlung von Jakobs Sippe nach Ägypten führt.
Als das ganze Gold und Silber konfisziert ist, verkauft er Getreide gegen Vieh. Nachdem der gesamte Viehbestand in den Besitz des Pharao übergegangen ist, verkauft er Getreide gegen den Ackerboden und schließlich verkaufen sich die Ägypter selbst in die Sklaverei, um zu überleben. Da weder der Pharao noch Josef all die Viehherden selbst hüten und die Äcker selbst bestellen kann, verpachtet er sie im Gegenzug gleich wieder an die vorherigen Eigentümer gegen einen Pachtzins (oder Steuer) von 20 %. Nur das Eigentum der Priester wird nicht konfisziert, sie bekommen sogar das Getreide unentgeltlich.
Da die Hohepriesterwürde in Ägypten dynastisch weitergegeben wird, nehme ich an, dass Potifera ohne männliche Nachkommen ist und Josef durch die Hochzeit mit dessen Tochter in dieses Amt eingeheiratet hat. Aufgrund seiner Fähigkeiten Träume zu deuten, ist er für so ein Amt prädestiniert. Heliopolis (zu Deutsch: Sonnenstadt) ist der Urhügel, der als erster aus der Urflut auftaucht, der größte und damit wichtigste Tempelbezirk in Ägypten nordöstlich des heutigen Kairo. Dort werden unter anderem Atum und Re-Harachte verehrt. Der Hohepriester von Heliopolis ist damit eine der wichtigsten, wenn nicht überhaupt die wichtigste religiöse Persönlichkeit nach dem Pharao. Während Karnak erst während des Mittleren Reiches seine Blüte erreicht, hat Heliopolis seine herausragende Bedeutung schon während des Alten Reiches.
Diese Übersiedlung nach Ägypten birgt wieder Erstaunliches. So wird Josef und seiner Verwandtschaft der „beste Teil des Landes“ zugeteilt, nämlich in Goschen, im Gebiet von Ramses. Diese Stadt bleibt auch das Zentrum der Israeliten während ihres gesamten Ägyptenaufenthaltes. Später, in der Zeit von Mose, müssen die inzwischen versklavten Israeliten die Speicherstädte Ramses und Pitom ausbauen, und auch der Exodus beginnt in Ramses.
Viele nehmen aufgrund des Namens Ramses und des Ausbaues der Stadt an, dass der Auszug daher unter Ramses II. oder seinem Nachfolger Merenptah stattgefunden haben muss. Sie vergessen dabei aber, dass dann der Zug von Jakob 200 oder 400 Jahre vorher auch schon unter Ramses stattgefunden haben müsste, denn als Israeliten nach Ägypten kommen, existiert die Stadt Ramses bereits.
Die nächste Ungereimtheit findet nach rund sieben Jahren statt. Erinnern wir uns: Jakob ist mit seiner Sippe und seinen Viehherden im zweiten Hungerjahr nach Ägypten übersiedelt, damit sie die mageren Jahre überleben können. Nach sieben Jahren sind die Dürrejahre vorbei, ebenso das erste Jahr mit einer normalen Ernte und die nächste Ernte scheint auch schon wieder reichlich zu werden. Warum zieht Jakob mit seiner Sippe nicht wieder zurück nach Kanaan auf die ihm gehörenden Weidegründe? Das wäre doch absolut logisch, ist aber nicht geschehen. Entweder gibt es einen ganz anderen Anlass für die Übersiedlung oder Abraham, Isaak und Jakob haben zuvor gar nicht in Kanaan gelebt.
Interessanterweise ziehen rund 10 Jahre später das ganze Haus Josef, seine Brüder und das Haus seines Vaters Jakob mit allen Hofleuten des Pharaos, den Ältesten seines Hofes und allen Ältesten Ägyptens nach Kanaan, um dort den einbalsamierten Jakob zu begraben. Dies wäre ein guter Anlass, in ihre angebliche Heimat zurückzukehren. Erstaunlich dabei ist allerdings, dass sie sowohl ihre Kinder, Schafe, Ziegen und Rinder zurücklassen, dafür aber Streitwagen mit dazugehöriger Mannschaft mitnehmen. Dies sieht eher nach einer militärischen Strafexpedition aus, denn nach einem Begräbniszug. Die nächste Ungereimtheit ergibt sich beim Begräbnisort. Jakob wird nämlich in der Höhle von Machpela begraben, das Abraham seinerzeit vom Hetiter Efron gekauft hat. Dabei hat ja Jakob von den Söhnen Hamors, des Vaters Sichems, ein Grundstück gekauft. Auf diesem wird dann allerdings Josef begraben.
(Gen 50,12) Jakobs Söhne taten an Jakob so, wie er ihnen aufgetragen hatte. (13) Sie brachten ihn nach Kanaan und begruben ihn in der Höhle des Grundstücks von Machpela. Abraham hatte das Grundstück bei Mamre als eigene Grabstätte von dem Hetiter Efron gekauft.
(Jos 24,32) Die Gebeine Josefs, die die Israeliten aus Ägypten mitgebracht hatten, begrub man in Sichem auf dem Grundstück, das Jakob von den Söhnen Hamors, des Vaters Sichems, für hundert Kesita erworben hatte; es war den Nachkommen Josefs als Erbbesitz zuteil geworden.
Das Buch Genesis endet mit dem Tod von Josef im Alter von 110 Jahren, 93 Jahre nach seinem Verkauf an Potifar, 71 Jahre nach dem Zug von Jakob nach Goschen und 54 Jahre nach Jakobs Tod und der Bestattung von dessen Leiche in Kanaan. Dann kommt ein großer Schnitt in der Erzählung, denn das Buch Exodus beginnt viele viele Jahre später. Es werden zwar noch einmal genau die Personen aufgezählt, die mit Jakob nach Ägypten gekommen sind, aber dann wird nur lapidar erklärt, dass sie fruchtbar sind, sich überaus stark vermehren, das Land bevölkern und ein neuer König in Ägypten an die Macht kommt, der Josef nicht kennt. Offensichtlich muss es zur damaligen Zeit einen recht großen Einwanderungsdruck von asiatischen Nomaden im östlichen Nildelta gegeben haben. Aus Angst, die Israeliten könnten stärker werden als die Ägypter und sich im Falle eines Krieges den Feinden anschließen, werden sie versklavt und zum Ausbau von Pitom (auch Pi-Atum = Haus des Atum) und Ramses (auch Pi-Ramesse = Haus des Re, der ihn geboren hat) als Vorratslager eingesetzt. Sethos I., der zweite Pharao der 19. Dynastie, hat etwa 1 km westlich von Auaris (Avaris), der alten Hauptstadt der Hyksos, seinen Sommerpalast errichtet. In dieser Zeit wird der 400. Jahrestag des Wiederaufbaues des Tempels des Seth gefeiert. Die semitischen Hyksos setzen nämlich den ägyptischen Gott Seth mit ihrem Gott Baal gleich. Dadurch erfährt der Kult des Seth einen großen Aufschwung. Die 19. Dynastie, die aus Auaris (Avaris) stammt, wählt sogar Seth zu ihrem Dynastiegott. Vorher ist Seth als Gegenspieler des Osiris eher negativ belegt, obwohl er trotzdem auch immer als Helfer von Re genannt wird.
Sein Sohn Ramses II. verlegt dann seinen Regierungssitz nach Pi-Ramesse. Da Ramses II. 66 Jahre regiert, erscheint es vielen logisch, dass in dieser langen Regierungszeit einerseits die Israeliten beim Ausbau der Stadt Ramses helfen müssen, andererseits aber auch unterdrückt werden. Addieren wir die Regierungszeiten der ersten drei Pharaonen der 19. Dynastie – Ramses I. 2 Jahre, Sethos I. 11 Jahre und Ramses II. 66 Jahre – so kommen wir auf rund 79 bis 80 Jahre, bis Merenptah an die Macht kommt. Diese Zeit entspricht ziemlich genau den 80 Jahren, die in der Bibel genannt werden, bis Mose aus dem Exil von Midian zurückkehrt, „… als ein neuer König an die Macht kommt, der Josef nicht gekannt hatte.“ (Ex 1,8) Dieser neue König ist dann der Sohn von Ramses II., Merenptah. Er wird daher von vielen als der Pharao des Auszugs betrachtet. Dies hat sicherlich einen gewissen Reiz, doch sprechen zwei Fakten dagegen. Laut Bibel ist der Pharao des Auszugs in den Fluten des Roten Meeres versunken, während die Mumie von Merenptah im Tal der Könige gefunden wurde. Das zweite wesentlich wichtigere Gegenargument ist die sogenannte Israel-Stele. Anlässlich eines Kriegszuges in das Gebiet von Kanaan im 5. Jahr seiner Herrschaft wird diese errichtet und darauf erstmals in Ägypten ein Volk namens Israel erwähnt, welches vernichtet und dessen Same ausgerottet worden sein soll. Da aber laut Bibel die Israeliten Kanaan erst 40 Jahre nach dem Exodus erreichen, können sie nicht schon 4 Jahren nach dem Exodus dort schon wieder vernichtet worden sein. Eine Möglichkeit, diesen Widerspruch zu lösen, ist die, dass eventuell die 40-jährige Wüstenwanderung nur eine literarische Fiktion ist, und tatsächlich nur wenige Tage, Wochen oder Monate gedauert hat. Die auf der Stele genannte Vernichtung Israels wenige Jahre nach dem Exodus widerspricht aber ebenfalls der Bibel.
Trotz schwerer Arbeit vermehren sie sich weiter und breiten sich aus. Aus Angst vor einem eventuellen Aufstand ordnet der Pharao die Tötung aller männlichen Nachkommen der Israeliten an. Die insgesamt zwei hebräischen Hebammen werden angewiesen, alle männlichen Neugeborenen sterben zu lassen, was diese jedoch mit der Begründung nicht umsetzen, dass die Hebräerinnen immer schon geboren hätten, wenn sie dort hinkommen. Es ist schon erstaunlich, dass es einerseits nur zwei Hebammen für rund zwei bis drei Millionen Hebräer gibt, aber auch erstaunlich, dass es überhaupt zwei von ihnen gibt, wenn doch bei den Hebräern keine für eine Geburt benötigt wird. Völlig unnötig aber ist, dass sogar die Namen dieser zwei Hebammen tradiert werden, nämlich Schifra und Pua. Da der Kindermord mittels der Hebammen nicht funktioniert, befiehlt der Pharao seinem ganzen Volk, alle Knaben, die den Hebräern geboren werden, in den Nil zu werfen. Dies ist dann die Überleitung zur wundersamen Geburts- und Überlebensgeschichte von Mose.
Mose – ein Nachkomme aus dem Stamm Levi – überlebt durch ein Wunder. Seine Mutter legt ihn in ein Körbchen und versteckt dieses im Schilf des Nil in der Nähe des Königspalastes. Eine Prinzessin findet das Körbchen mit dem Kind, hat Mitleid, nimmt es an sich und übergibt es einer Magd zum Stillen. Das nächste Wunder geschieht, denn diese Magd ist die leibliche Mutter von Mose.
Vierzig Jahre später muss Mose fliehen, weil er einen Ägypter erschlagen hat. Er flieht nach Osten in das Land Midian und heiratet dort die Tochter des Hohepriesters Jitro. Nach weiteren 40 Jahren bekommt er von Jahwe den Auftrag, sein Volk zu befreien und die Israeliten ins verheißene Land zu führen. Da der Pharao die Israeliten nicht freiwillig ziehen lassen will, lässt Mose mit seinem Stab und mit Hilfe Jahwes zehn Plagen über Ägypten kommen. Endlich gelingt der Exodus, und Mose kann mit 600.000 wehrfähigen Männern das Land verlassen. Probleme und Hindernisse, die auftreten, werden wiederum mit seinem Stab elegant und kurzfristig gelöst, wie die Teilung des Roten Meeres oder die Beschaffung von Trinkwasser, indem er mit dem Stab auf einen Felsen schlägt.
Während er von Jahwe die Zehn Gebote erhält, murrt sein Volk und sehnt sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Die Israeliten sagen sich von Jahwe los und Aaron, der Bruder von Mose, lässt ein goldenes Kalb gießen, um das das Volk tanzt. Aus Wut über die Rebellion zertrümmert Mose die Gesetzestafeln und lässt dreitausend Männer von den Leviten erschlagen. Nach gut einem Jahr kommen sie dann vor die Tore Kanaans. Als ausgesandte Kundschafter nach 40 Tagen berichten, dass das Volk stark und die Städte gut befestigt sind, verzagen die Israeliten. Sie sind in einer aussichtslosen Lage: In Kanaan erwartet sie eine Niederlage und das Dasein in der Wüste ist auch näher beim Sterben als beim Leben. Der einzige Ausweg scheint eine Rückkehr nach Ägypten zu sein, denn trotz Sklavenarbeit war das Leben dort, im Vergleich zur Wüstenwanderung, ein halbes Paradies. Sie wollen Mose und Aaron steinigen, andere Führer wählen und zurückkehren. Daraufhin verfügt Jahwe, dass die Israeliten erst nach 40 Jahren das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen, betreten werden. Außerdem soll keiner von ihnen das Land betreten, sie sollen alle noch in der Wüste sterben, nur ihre Kinder werden in diesen Genuss kommen.
Endlich nach 40 Jahren überqueren die Israeliten den Jordan, doch müssen sie das ihnen zugesagte Land erst mühsam erobern. Die ansässige Bevölkerung überlässt ihnen ihr Land nicht freiwillig. Nach weiteren rund 400 Jahren Richterzeit beginnt die Königszeit mit Saul, dem glorreichen David und dem weisen Salomon. Das Reich hat seine größte Ausdehnung vom Grenzbach Ägyptens bis zum großen Strom Euphrat. Kurz darauf finden wir das Land wieder auf seine ursprüngliche Größe geschrumpft. Noch dazu zerfällt es in das Nordreich Israel und Juda im Süden. 200 Jahre später fällt Samaria, die Hauptstadt Israels. Weitere 140 Jahre später wird der Tempel in Jerusalem zerstört. Es folgen die babylonische Gefangenschaft und die Rückkehr nach weiteren 50 Jahren.
Aber auch bei der Zeit der Unterdrückung treffen wir auf gravierende Unstimmigkeiten. Mose ist 80 Jahre vor dem Exodus geboren worden, sein Bruder Aaron drei Jahre davor. Als Aaron auf die Welt kommt, gibt es diese Unterdrückung noch nicht, auch können die männlichen Kinder der Hebräer noch problemlos groß gezogen werden. Wie kann es dann vor dem Auszug 400 Jahre der Unterdrückung geben haben?
(Gen 15,13) Gott sprach zu Abram: Du sollst wissen: Deine Nachkommen werden als Fremde in einem Land wohnen, das ihnen nicht gehört. Sie werden dort als Sklaven dienen, und man wird sie vierhundert Jahre lang hart behandeln.
Um den neugeborenen Knaben vor der Exekution zu schützen, verbirgt ihn seine Mutter die nächsten drei Monate. Danach packt sie ihn ein Binsenkästchen und setzt ihn am Nilufer aus. Seine Schwester bleibt in der Nähe stehen, und als die Tochter des Pharao zum Nil zum Baden kommt, bemerken ihre Dienerinnen das ausgesetzte Kind und bringen es zu ihr. Die Schwester von Mose vermittelt ihr seine leibliche Mutter als Amme. So wächst er zunächst daheim auf. Später – vermutlich nach etwa zwei bis drei Jahren des Stillens – wird das Kind in den Palast gebracht, wo die Tochter des Pharao ihn adoptiert. Das Motiv der Aussetzung und wundersamen Errettung des „Heldenkindes“, „Königskindes“ oder „Schicksalskindes“ gibt es in fast allen Mythologien des Altertums, die bekanntesten sind die Kindheitsgeschichten von Romulus und Remus, Ödipus, Sargon von Akkad und Kyros II.
Die Jahre vergehen, ohne dass Mose sich um seine Stammesgenossen kümmert. Doch nach vielen Jahren geht er hinaus und schaut ihnen bei der Fronarbeit zu. Da sieht er, wie ein Ägypter einen Hebräer schlägt. Daraufhin erschlägt Mose den Aufseher und verscharrt ihn im Sand. Allerdings wird er dabei beobachtet, was dazu führt, dass der Pharao von dem Vorfall erfährt und ihn töten will. Ich verstehe zwar nicht, warum der Pharao seinen Adoptivenkel aus diesem Grunde auch nur bestrafen will, aber offensichtlich ist diese Konstruktion notwendig, damit die Flucht nach Midian begründet werden kann. Eine Altersangabe von Mose für den Zeitpunkt des Mordes und der Flucht fehlt, erst im Alter von 80 Jahren kehrt er zurück. Im Buch Jaschar wird dieses Ereignis genauer datiert: Hier heißt es, Mose sei 18 Jahre alt.
(Jasch 71,1) Und als Mose achtzehn Jahre alt war, wünschte er, seinen Vater und seine Mutter zu sehen, und er ging zu ihnen nach Goschen, und als Mose nahe bei Goschen war, kam er zu dem Ort, wo die Kinder von Israel ihre Arbeit verrichteten, und er sah ihre Bürden, und er beobachtete, wie ein Ägypter einen seiner hebräischen Brüder niederschlug.
Nur in der Apostelgeschichte wird der Aufenthalt in Midian mit 40 Jahren präzisiert. Daraus ergibt sich, dass Mose erst im Alter von ebenfalls 40 Jahren dort ankommt. Was er in diesen vier Jahrzehnten vor dem Mord und der Flucht gemacht hat, wird nicht erzählt.
(Apg 7,30) Als vierzig Jahre vergangen waren, erschien ihm in der Wüste beim Berg Sinai ein Engel im Feuer eines brennenden Dornbusches.